Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970414025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897041402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897041402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-14
- Monat1897-04
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs Preis tn der Hauptexpedition oder den im Stadt, bezirk und den Vororten errichteten AuS- Ladestellen abgeholt: vierteljährlich.44.30. bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» X K.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^4 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich 7.30. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/»? Uhr. di« Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action und Ervedition: IohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktt» Klemm'S Sartim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum), LouiS Lösche. Latharinenstr. 14, Part, und KönigSplad 7. Abend-Ausgabe ttpMrIagMM Anzeiger. Amtsblatt -es Äönigttcheu Land- «n- Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes im- Polizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Arrzeigen-Preis ' die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4qe- spalten) bO^z, vor den Familiennachnchlen (8 gespalten) 40^. Größere Lchrifteu laut unserem Preis. Verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernfatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderum, 60.—. mit Postbeförderung 70.—. Iinnuhmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Biorge u-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Mittwoch den 14. April 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 14. April. Die Ultra montanen fahren fort. daS am 22. März und 1. April gekennzeichnete Verhältniß zwischen dem ReichSobcrhaupt und dem Fürsten Bismarck so zu be leuchten, daß ein günstiges Licht auf die Loyalität des Centrums fällt. Die Kunst, auf kritische Wege getretene Monarchen durch Lobsprüche zum Weiterschreiten zu verlocken, haben die Jesuiten ja von jeher geübt. Nun halten wir im heutigen Deutschland Vieles für möglich, Wa3 früher ausgeschlossen schien, daran aber glauben wir nicht, daß eS dem Mußpreußen Lieber und seinem Gefolge gelingen werde, irgendwo außerhalb des eigenen Lagers glaubhaft zu machen, sie träten im Interesse von Kaiser und Reich gegen den Fürsten BiSmarck auf. Diesem Wahne versperrt schon die Tbatsache den Eingang, daß das Centrum zu allen Zeiten den ersten Kanzler, auch wo dieser sich mit seinem Herrscher im vollsten Ein vernehmen befand, und da erst recht, angefcindet Kat. Deshalb wird der CentrumSführer, der heute, die „Ger mania" als Sprachrohr benutzend, dem Kaiser ins Ohr raunt, Fürst Bismarck, obwohl der mit Schonung behandelte Beleidiger, habe ihn, den Kaiser, zur „Abbille" zwingen wollen, so wenig Glück haben, wie mit der Wiesbadener Rede und anderen Versuchen, die Heiligen der Ultramontanen als die geborenen Vertheidiger des Thrones bei Hofe aufzu- sühren. ES grenzt an Kränkung des Kaisers, wenn der klerikale Einflüsterer auf Gehör hofft mit der niedrigen Denunciation, der Artikel der „Hamburger Nachrichten", der von dem Rückversicherungsvertrag mil Rußland bandelte, sei ein „Act leidenschaftlicher Rachsucht" des seines Amtes Ent hobenen und lasse in den „vielen persönlichen Spitzen gegen den Kaiser" seinen eigentlichen Zweck erkennen. Jener Artikel hat allerdings nicht den Grasen Caprivi für eine mißbilligte Handlung in der auswärtigen Politik verantwortlich gemacht, aber indem sein Verfasser nicht ein Verantwortlichkeitsverhältniß fingirte, dessen Nichtvorhandcnsein notorisch ist, bat er nur gelkan, was uothgedrungcn mehr und mehr Brauch in der öffentlichen Erörterung geworden ist, ein Brauch, von dem auch die Klerikalen sich nicht ausschließen. Gerade jetzt lesen wir in der „Schles. Ztg.", cS sei „nicht daran zu denken, daß Fürst BiSmarck auch nur eine der mancherlei unter der NeichSkanzlerschast des Fürsten Hohenlohe vorgekommenen politischen Unbegreiflichkeiten und Plötzlichkeiten aufRechnung des gegenwärtigen Reichskanzlers setzt". Wir laden die „Germania" ein, es herauszusagen, wenn sie der Meinung ist, Fürst Bismarck irre, wenn er dergestalt daö Maß der Verantwortlichkeit des jetzigen Reichs kanzlers beurtheilt. Kann das Blatt dies nicht, so wird es zugeben müssen, daß eS nur sachlich und billig ist, wenn dem hinter dem Fürsten Hohenlohe an persön lichem Ansehen und staatsmännischer Bedeutung weit zurück stehenden Grafen Caprivi nicht aufgebürdet wird, was er nicht ersonnen hat. Fürst BiSmarck hat das wohlerworbene und von der Nation freudig anerkannte Recht, die Fehler, die in der deutschen Politik gemacht werden, als solche zu bezeichnen. Daß er von diesem Rechte nicht aus „Rachiucht", sondern um sein Vaterland vor Schaden zu bewahren, Gebrauch macht, ist auch von den Machthabern anerkannt worden. Es sind in dem Verhältniß zu England, in der Polenpolitik, in der Auffassung der social demokratischen Gefahr und in anderen Dingen die neuen Wege verlassen und solche eingeschlagen, die sich in der Richtung der verlautbarten Auffassungen des Altreichs kanzler- hinzirhen. Wir können unS nicht verstellen, daß man so verfahren wäre, wenn die Kritik des Fürsten Bismarck als von Rachegelüsten dictirt angesehen worden wäre. Werden nun aber in der Absicht, sie künftig vermieden zu sehen. Fehler aufgedeckt, so versiebt es sich von selbst, daß deren uellen nicht an Orten gesucht werden, wo sie nicht fließen. Um ihre Leser glauben zu machen, unser Protest gegen die Einmischung der Berliner Leitung des BnnvcS Ver Landwirthe in Angelegenheiten des sächsischen Kartells sei an eine falsche Adresse gerichtet gewesen, behauptet die „Deutsche Tageszeitung", wir hätten die Aufstellung der Candidatur des Herrn Bahrmann im 9. ländlichen Wahlkreise getadelt. Dieser Punct ist jedoch im „Leipziger Tageblatt" mil keinem Worte erwähnt worden. Wir haben uns lediglich gegen die unbefugte Kritik gewendet, die daS Organ des Herrn v. Ploetz an denVercinbarungendeSSeniorenconventszu üben sich herauSgenommen hat. Unsere Bemerkungen waren also richtig adressirt. Die Meinung der „Deutschen Tagesztg.", daß sie von „taktischem Ungeschick" zeugten, läßt unS gänzlich un berührt. Einmal, weil daS Blatt, um sie aussprechen zu können, unsere Ausführungen theils gefälscht, theils unter schlagen hat, und sodann, weil Agitatoren, die einen Wahl kreis um den andern in die Hänoe ihrer Gegner spielen, kein autoritatives Urtheil über politisches Geschick zuerkannt werden kann. Ende dieses Monats reist bekanntlich der Kaiser von Lester- reich in Begleitung deS Thronfolgers und des Ministers des Aeußern nach Petersburg. Diese Reise flößt den Franzosen einige Beklemmungen ein. Whist im „Figaro" weist darauf hin, daß kurz vor dem Antritte der Reise Kaiser Wilhelm in Wien sein und daß nach der Reise der österreichische Kaiser von Petersburg aus über Berlin zurückkehren würde. Letzteres ist nun nicht richtig, da der Besuch des Kaisers Franz Josef in Berlin auf der Rückreise von Anfang an nicht in Frage gekommen ist, aber auch mit dieser Ein schränkung hat der Franzose gar nicht Unrecht, wenn er den Kaiserbesiichen besondere Bedeutung beimißt und wenn er daraus folgert, daß nicht nur zwischen Deutschland und Oester reich in allgemeinen Fragen, sondern auch im Hinblick auf daS Verhältniß zu Rußland ein inniges Einvernehmen herrsche Er sieht sogar so schwarz, daß er ein Bündniß zwischen den drei Kaiserreichen als nicht unmöglich ansieht. Dahin dürfte es allerdings so bald nicht kommen; daß aber Rußland durch die zweideutige Haltung Frankreichs in der orien talischen Frage und durch den Panamascandal in seinem freundichaftlichen Gefühl für Frankreich ein wenig abgekühlt sein dürfte, und daß es deshalb engere Fühlung mit den benachbarten beiden Kaisermächten sucht, erscheint auch uns sehr plausibel. In jedem Falle wird, wie auch der „Figaro" annimmt, die Zusammenkunft in Peters bürg den Erfolg habe», daß das schon im August vorigen Jahres angebahnte Zusammengehen Rußlands und Oester reichs in der orientalischen Frage noch sicherer gestaltet wird. Daß gerade gegenwärtig eine Verständigung zwischen den beiden Staaten über die orientalischen Angelegenheiten dem Weltfrieden dient, gereicht uns zur großen Freude, während die Franzosen natürlich weniger davon erbaut sind, da die praktische Bedeutung des russisch-französischen Bündnisses dadurch vermindert wird. Aus den neuerdings veröffentlichten englische» Consulat»- berichten geht wieder hervor, wie sehr die Sachverständigen that- sächlichbesorgtsind.daßeineUeberflügelung des englischen Handels durch deutsche Firmen erfolgen oder andauern möge. Der englische Consul von Patras schreibt: Die Anzahl und der Tonnengehalt der englischen Fahrzeuge, welche während des letzten JahreS in den Hafen von PatraS eingelaufen seien, zeige gegen frühere Jahre eine be denkliche Abnahme. Obschon dies zum Theil auf die mangelhafte Ernte und die für den Import so ^ungünstige Finanzlage deS Landes zurückzuführen sei. so müsse man es doch zum größten Theil dem starken Wettbewerb zuschreiben. In früheren Jahren sei der Handel fremder Schiffe nicht nennenswerth gewesen, jetzt nehme er jährlich größere Ver- hällnisse an und werde sehr bald die englischen Schiffe ver drängen, wenn nicht die englischen Rheder aus ihrer offenbaren Lethargie erwachen sollten. Deutschland scheine den größten Vorsprung im Wett bewerb zu erreichen. Der Tonnengehalt der deutschen Schiffe für die Halbinsel Morea habe im Jahre 1893 10 317 Tonnen betragen, im vergangenen Jahre jedoch 2 t 037. Der englische Consul in Cherbourg berichtet, die Engländer hätten noch viel zu lernen, bis sie sich auf eine Stufe mit den deutschen Mitbewerbern stellen könnten. Der englische Handel müsse so lange leiven, als die Exportsirmen ihre Preislisten in englischer Sprache nach Frankreich sendeten und ihre Reisenden eine fast vollständige Unwissenheit in der französischen Sprache besäßen. Im Gegensatz hierzu seien die deutschen kaufmännischen Reisenden vollendete Kenner der französischen Sprache und sicherten sich die Aufträge mit großer Leichtigkeit. Noch immer läßt sich kein sicheres Bild von dem Stand der Dinge au der griechisch türkischen Grenze gewinnen, da fortgesetzt die griechischen und die türkischen Nachrichten sich widersprechen. Auf beiden Seiten schreibt man sich heute wie gestern den Sieg zu und übertreibt dabei ungeheuerlich. Fest steht das eine, daß die türkische Nachricht, die griechischen Freischärler seien allesammt oder doch zum allergrößten Theile über die Grenze zurückgetrieben worden, falsch war, denn thatsächlich kommt eS auf türkischem Ge biete täglich zu neuen Kämpfen und eS scheint, als ob die griechischen Irregulären in derselben Stärke weiter vor- aedrungen seien, in der sie die Grenze überschritten haben. In Athen hält man namentlich die Meldung aufrecht, daß die Freischaaren die Orte Baltimo und Borowo genommen und sich dort festgesetzt hätten. Nach weiteren Meldungen, welche die „Agence HavaS" aus Athen verbreitet, hätte drei Stunden von Grevena abermals ein Kampf stattgefunden, und hätten die Banden die telegraphische Ver bindung zwischen Grevena und Janina zerstört. Wenn diese Mittheilungeu sich bestätigen sollten, so müßte man annehmen, daß es den griechischen Irregulären gelungen sei, sich in den Gebirgen zwischen Metzovo, Grevena und Krania einzunisten und die Verbindung zwischen dem thefsalischen und epirotischen Flügel der türkischen Armee ernstlich zu gefährden. Jedenfalls ist, darin stimmen auch Londoner militairische Kreise mit unS überein, die griechische Position, wie wir schon gestern hervorhoben, durch den Vor sprung der Banden kriegerisch günstiger als die der Türkei. Waö den Zweck des griechischen Einfälle» betrifft, so verlautet in London Folgende»: „Indem Griechenland die irregulären Truppen ermunterte, die Grenzen zu überschreiten, bezweckte «» einen Aufstand in Makedonien zu verur sachen und die türkischen Truppen von Sals nicht abzu schneiden. Dann sollten griechische Schiffe Salonichi blockiren, Prevesa bombardiren und ein dritte» Ge schwader sollte Smyrna angreifen. Eine Torpedoslotille ollte versuchen, die Dardanellen zu besetzen. Das Miß lingen des Jnsurgenleneinsalles verhinderte nun die Aus- ührnng dieses kühnen Feldzugsplans." Mit der Hoffnung auf die Erregung einer allgemeinen Christenerhebung in Makedonien hat man sich allerdings verrechnet, denn abgesehen von einzelnen Unruhen ist es zu keinem ernsten Ausstand gekommen; zu einem solchen haben die makedonischen Christen sich auch früher nie entschließen können, sie dürften es jetzt umso weniger, als ihnen die türkische Armee aus dem Nacken sitzt. Welche Aufgabe wird aber den freiwilligen Banden nun zufallen? Äuf die Dauer können sie sich gegen das Gros der türkischen Armee natürlich nicht halten. Wird ihnen die regulaire griechische Armee zu Hilfe kommen, wird Griechenland thatsächlich den Krieg gegen die Türkei wagen? Das ist die Frage, über die man in Athen selbst noch nicht einig zu sein scheint. Zum Kriegsühren gehört bekanntlich dreimal Geld, aber dieser Artikel glänzt in den griechischen StaatScassen gegenwärtig durch absolute Abwesenheit. Man meldet nnS: * London» 14. April. (Telegramm.) Die „Times" melden aus Athen unterm gestrigen Tage: Der griechische Staats schatz sei nahezu erschöpft; die einzige Hilfsquelle bilde eine innere Anleihe, die wahrscheinlich bei der herrschenden Be geisterung voll gezeichnet werde. Wahrscheinlich! Sagen wir vielleicht, vielleicht auch nicht, da das Vertrauen der Bevölkerung und des Heeres in die „lahme" Politik der Regierung im Schwinden begriffen ist. Gleichzeitig mit der Anleihemelbung kommt uns die folgende zu: * Pari», 14. April. Hier waren Gerüchte verbreitet, das Cabinet Delyannis beabsichtige zu demissioniren. Die hiesige griechische Gesandtschaft erklärt, daß ihr keinerlei hierauf bezügliche Nachricht zugegangen sei; sie halte die Nachricht für unrichtig. — Eine der „Agence Havas" aus Athen zugegangene Drahtmeldung berichtet, daß dort von einer Demission des Cabinets Nichts bekannt sei. Diesem Dementi braucht man selbstverständlich nicht un bedingten Glauben beizumrssen. Jedenfalls möchten wir noch die weitere Meldung verzeichnen, nach welcher der König die Demission abgelehnt habe, da „die inneren Angelegenheiten nicht von Europa entschieden würden" Unter inneren Angelegenheiten kann man in diesem Augen blicke kaum etwas Anderes, als die äußerst mißliche finanzielle Lage des Landes verstehen, und cs ist nicht unmöglich, daß eS darüber, ob durch den sofortigen Be ginn des Krieges, wie Delyannis zu beabsichtigen scheint, die Entscheidung näher gerückt oder noch läiiger zugewartet werden solle, wofür man sich am Athener Hofe entschlossen haben dürste, zu Zwistigkeiten an den leitenden Stellen ge kommen ist. Wenn der „Figaro" recht unterrichtet ist, hätte der König Kenntniß davon, daß alle Mächte, bis auf Deutschland, einig darüber seien, Kreta eine Nationalversammlung zu geben, welche endgiltiz über das Schicksal rer Insel und die Wahl eines christlichen Generalgouverneurs entscheiden solle. König Georg dürfte in Corisequenz der griechischen Antwort auf das erste „Ultimatum" der Mächte diese Lösung annehmen und die türkischen Truppen von Kreta und der thefsalischen Grenze zurückziehen. Es ist ganz zweifellos und geht auch wieder aus den an anderer Stelle mitgetheilten Aeutzerungen des italienischen Außenministers im römischen Senat hervor, daß die Mächte bemüht sind, Griechenland goldene Brücken FsnrHeton« Sneewittchen. 12) Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verboten. An dem Abkratzer beseitigte Zarnow, so gut eS geben wollte, den an seinen Stiefeln haftenden zusammengeballten Schnee, schüttelte dann seinen Mantel, schwenkte energisch seinen Hut und öffnete nun erst die unverschlossene Haus thür. Zarnow würde geglaubt haben, daß die Einwohner alle ausgegangen seien, wenn nicht au« dem Salon heraus einschmeichelnde Töne von Saiteninstrumenten erklungen wären. Zarnow lauschte — es waren die bizarren und ver zwickten Variationen deS „Carnevals von Venedig", die da von Meisterhand gespielt wurden. Aber die Töne einer Violine und eines Cello waren nicht die einzigen, die da» wunderlichste Concert bildeten, da« Zarnow jemals gekört hatte, aus dem Zimmer rechts erscholl vielstimmiger Gesang von Canarienvögeln, und dazu machte sich ab und zu da» klägliche Winseln eine» Hunde» vernehmbar, das dann meistenthril» von einem dröhnenden Gelächter begleitet wurde. „Da haust ja eine ganz unkluge Gesellschaft!" murmelte Zarnow, und er wäre im Zweifel gewesen, ob er eintreten dürfe, wenn nicht eben wieder da» Vertrauen erweckende dröhnende Gelächter erklungen wäre. Er klopfte an — Niemand hörte ihn; endlich drückte er auf di« Klinke und trat ein. Die Musicirrnden waren in ihre Kunst so vertieft, daß sie ihn auch jetzt noch nicht beachteten. Aber ein großer prächtiger Bernhardiner sprangaauf und war in einem Satze, feindselig knnrrend, bei dem verdächtigen Ankömmling, offen bar bereit, ihm bei der ersten Bewegung an die Kehle zu springen. Die Mustk verstummte und eine kräftige Baß- stimme ries den Hund zurück. Ehe Zarnow cine'Entschuldigung wegen seine» Eindringen» Vorbringen konnte, rief Gerard unwirsch: „Da hat nun wieder kein» von den Mädchen ausgepaßt Das nichtsnutzige Gesindel! Da hat man sieben und vierzig tausend Schock Dienstboten im Hause, und keiner davon hört e», wenn sämmtliche Strolche und Mörder Deutschland» ein brechen und da» Hau» au-raubeu!" Gan» so schlimm ist es doch nicht, Herr Gerard I" sagte Zarnow, der sich mit gutem Humor in die drollige Situation and. ,Son mir haben Sie nicht» zu fürchten. Ich bin nur ein harmloser Lehrer. . ." „Herr vr. Zarnow I" und mit diesen Worten eilte da» Mädchen auf ihn zu und gab ihm mit furchtlosem Zutrauen die Hand. „Der Onkel Gerard bat nicht daran gedacht, daß Sie sich angemelvet hatten. Strolche und Mörder sehen auch ander» aus, nicht so wie Sie —" und die glänzenden Augen hafteten mit einem unverhohlenen Wohlgefallen auf Zarnow'S Gesicht, daß er beinahe darüber in Verlegenheit geratben wäre. „Je — Herr vr. Zarnow!" rief nun auch Gerard. „Verzeihen Sie meine harmlose Bemerkung; aber Sie wissen ja, wie da» Dienstbotenvolk, da« Tag und Nacht schläft wie eine Herde von Dachsen, auch einen so unglaublich sanft- müthigen Menschen, wie ich bin, zur rasendsten Ver geistung bringen kann. Nun seien Sie willkommen. Setzen ie sich einmal dahin — und Juauita — geschwind das liebliche!" DaS liebliche war eine geschliffene Flasche mit schwerem spanischen Wein und ein Teller BiScuit«, die auf ein Tischchen gesetzt wurden, an dem Zarnow Platz nehmen mutzte." „So", sagte Gerard befriedigt. „Sie müssen sich schon in unsere Hausordnung fügen. Wir können unsere Angelegen heit nachher besprechen. Einstweilen müssen Sie hiermit zu frieden sein. Wie heißt unsere Hausordnung, Juanita?" „Ein angefangene« Musikstück muß zu Ende geführt werden", recitirte Juanita mit unrerstörbarem Ernste, ,much wenn ein Erdbeben oder eine Ueverschwemmung dazwischen käme, ja selbst wenn die Posaunen de» jüngsten Tage» ertönten." „Brav, kleiner Molch!" belobte Gerard seine Pflegetochter. „Also vorwärts! Nachher wolle» wir klug und verständig schwatzen wie die Schneeeulen im Kaukasus. Da unten sind wir, Juanita!" Nnd während Gerard mit kräftigem Strich über die Saiten des CelloS fuhr, handhabte Juanita mit so an- muthiger Sicherheit den Bogen ihrer Geige, daß Zarnow ebenso erstaunt wie entzückt zusah und zubörte. Die beiden Spieler kamen ihm märchenhaft vor, wie die ganze Umaebuag. Fast betäubend war der Blumengeruch, der da« Zimmer erfüllte: denn neben der Musik war Blumenzucht Herrn Gerard'« Leidenschaft; Treibhauspflanzen und exotisch« Blumen von sonderbaren Gestalten füllten die Fensterbänke und be sondere Gestelle; ein große» tafelförmige» Piano war recht» an der Wand, ganze Stöße von Noten lagen auf allen Tischen und Stühlen umher, prachtvolle Teppiche, wunder volle Thierselle bedeckten den Boden. Aber mehr als der todte Inhalt deS Zimmers fesselten dessen lebeude Insassen Zarnow'S Aufmerksamkeit. Die jetzt 14jährige Juanita spielte mit einer für ihr Alter erstaunlichen Sicherheit und Gewandtheit, wozu sich eine entzückende Anmuth aller Bewegungen gesellte. Alle Er wartungen, die ihre Schönheit schon erregte, als sie mitten im Oceau aufgefunde« wurde, waren übertroffen. Sie trug ein am Halse ausgeschnittene« kurze« weiße» Kleid mit rothen Streifen besetzt und rothe Bänder im Haar und sah in dieser Tracht mit ihrem tiefschwarzrn Haar nnd den von langen seidnen Wimpern beschatteten blauen Augen so hin reißend schön aus, daß Zarnow dachte: „Wenn di« noch ein paar Jahre älter ist, steckt sie die ganze Welt in Brand." Und Gerard! Wer hätte in diesem Herrn, dessen kraft volle, mit fanatischem Eifer geführte Bogenstriche dem Cello so wunderbar reine Töne entlockten, den Partner der großen Importfirma Mauvillon und Co. erkannt? Wer es für möglich gehalten, daß e« der Wege» seine« tiefen Einblicks in alle Coniuncturen des Gewürzmarkte- berühmteKaufherr war, der in Paganini'S Noten so vollständig aufging, als existirte gar nichts anderes auf der Welt? Ja, da» war «in wunderlicher und fesselnder Anblick, und ganz im Rahmen de» bizarren Schauspiel« war das Be nehmen de« dritte« lebenden Wesens, das dem Coucert« in der Roll« eine« leidenden TheilnehmerS beiwohnte — de« Bern hardiner« Nero. Rührend und komisch zugleich war eS anznsehen, wie er den Kampf zwischen treuer Zuneigung zu seinem Herr« und den Gefühlen tiefster Verstimmung über die fortwährend gegen seine hündischen Nerven ge führten Attentate bestand. Offenbar kannte er au» bitterer Erfahrung da» ganze, nach seinem Empfinden greulich« Musikstück; den« so oft eine besonders schreckliche Stelle herannable, ward er unruhig und winselte leise, um dann, wenn Cello nnd Geige wirklich da» Entsetzliche begingen, in laute» Heulen au«zubrecden. Dennoch ging er nickt fort und Gerard'» gemütbliche» Lachen, da» Nero stet» mit gravitä- tffchem Schweifwedeln beantwortete, schien «ine besänftigende Wirkung auf die gekränkten Gefühle seine» Hundeherzens auSzuüben. Endlich war die musikalische Production zu Ende. Nero dehnte und streckte seine Glieder und schloß dann di« Augen, um die «»»gestandenen Llualra in einem leichten Schlummer mit Träumen von einem Hundeparadiese ohne Saiteninstrumente zu vergessen. Nun erst konnten Juauita und Gerard sich ganz ihrem Besuche widmen. Das rein Geschäftliche war sehr bald erledigt. Zarnow sollte dreimal iu der Woche kommen, um Juanita jedesmal zwei Stunden sprachlichen Unterricht zu geben; andere Lehrer und Lehrerinnen sollten andere Fächer übernehmen. Denn Gerard wollte Juanita nicht einer höheren Töchterschule anvertraurn, gegen welche Institute er eine gründliche, durch ganze Salven au» dem schwersten Geschütz seine» Sprach schatzes documentirt« Abneigung besaß. Juanita batte in der Schule, die sie bisher besucht, recht gut Deutsch gelernt und alle anderen Anfangsgründe des Wissens bewältigt; jetzt sollte sie in freierem Studium ihre weitere Ausbildung erhalten. Als dies Alles erledigt war, erhob sich Zarnow, um Ab schied zu nehmen — aber da kam er schön an! Es sei doch selbstverständlich, daß er bei ihnen zu Mittag speise, erklärte Gerard, das wisse Jedermann, der im Gerard'scheu Hause verkehre; jeden Sonntag speisten Mauvillon, Gerard und Hartmann zusammen, abwechselnd bei einem der Inhaber der Firma — und wer da Vormittags iu de» Bannkreis dieses „Gesindels" hineingerathe, der müsse ohne Gnade und Barmherzigkeit mitthun. Das sei eine ausgemachte Sache und Gerard wundere sich, daß ein so kenntnißreicher Mann wie Zarnow von einer so weltbekannten Tbatsache nichts wisse. Wenn Zarnow nach diesen mit erquickender Herz lichkeit gesprochenen Worten noch Neigung verspürt hätte, die Einladung abzulehnen. so würde sein Entschluß vor Juanita'S bittend auf ihn gerichteten Augen zusammen gebrochen sein. DaS junge Mädchen zeigte ihm flüchtig ihre Schulbücher und Hefte, mit strahlendem Entzücken aber ihre Noten, und Zarnow sah wohl, wie sie mit Leib und Seele der Musik ergeben war. Er fragte, ob sie wohl schon lange spiele. „Erst seit ich bei Onkel Gerard bin", antwortete sie und dieser fügte hinzu: „Ja, da» muß ich Ihnen erräbleu. Da« ist eine ganz wahnsinnige Geschichte, worüber selbst ein von Zahnschmerz geplagter Elephant lustig werden müßte. Wie die kleine Sumpfhexe da — na, schmolle nicht, Juanita — ich meine, wie die kleine Waldfee zur Musik gekommen ist, daS würde ich nicht glauben, wenn ich «S nicht selbst angesehen und mitgemacht hätte. Sie haben heute gesehen, waS ich für rin Musiknarr bin; ich spiele den ganzen Tag
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite