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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.05.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189705305
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970530
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970530
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-30
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.05.1897
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Erößere Schrift«« laut unserem Preis» derzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrfördrrung 60.—, mit Postbeförderung 70 —. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 272. Sonntag den 30. Mai 1897. Sl. Jahrgang. Aus der Woche. E» haben in den letzten sechs, sieben Jahren schon oft „Entscheidungen bevorgestanden" und lange Zeit ist einer jeden mit gespannter Erwartung entgegengesehen worden. Damit, mit der Spannung, ist e» vorbei. Tie Lust am Verändern, die den nachbismarckischen „CurS" kennzeichnet und die politische Scenerie so oft hat wechseln lassen, mag das Interesse der Zuschauer abgestumpft haben. Die eigent liche Ursache der wachsenden Gleichgiltigkeit ist aber in der Erfahrung zu suchen, daß im Grunde niemals etwas ge ändert und daß eben nur die Scene und die Personen, nicht aber die Handlung wechselt. Diese Gleichgiltigkeit läßt sich jetzt wieder wahrnehmen. Man ist nicht neugierig auf die Entscheidungen und wird sich auch nicht wundern, wenn solche überhaupt nicht getroffen werden. Eins allerdings wird erfolgen. Wenn Herr v. Boetticher Minister und Staats- secretair bleiben sollte — er hat inzwischen wieder im Reichs tage geredet —, so müßte man dies nicht als Fortdauer eines bestehenden Zustandes, sondern als eine Veränderung an sehen. Denn mag dieser Staatsmann auch vielleicht heute derselbe sein, der er vorher war, er — bisher ein gewandter Vertheidiger des Regierungssystems — stebt nach seinem Ver halten in der Neichstagssitzung vom 18. Mai als ein Anderer vor der Welt. Die Kritik, wenn sie in redlicher, selbstloser Absicht geübt wird, wird immer mehr zur Pflicht. Aber daß sie in die Lage versetzt Werve, sich aus vas Scbwcigen eines Ministers zu berufen, der auS konservativem Munde gehört hatte, von einem Thronwechsel datire das Schwinden des monarchischen und nationalen Gefühles, das kann man nicht wünschen, vom positiven Standpuncte wenigstens nicht. Der Reichstag ist also vertagt. Wenn er zurückkehrt, wird er nicht mehr leisten, als er bis zu Pfingsten hätte thun können. Von der Erledigrmg der ConsectionSvor- lage, deS Invaliden- und vcS Unfallgesetzcs, der Dampfer-Subventionsangelegenheit kann nicht die Rede sein. Man kann also, wenn man die Annahme des Nachtragsetats, des Beamtenbesoldungs gesetze-, der Handwerkerorganisation und eines Nestes der Servisvorlage „diScontirt", bereits die Bilanz des Sessionsabschnittes ziehen. Sie zeigt im „Soll" außer den schon erwähnten Rückständen die Justiznovelle. Ob das Margarinegesetz auch dahin zu schreiben ist, ob also der Reichstag einen werthvollen Schutz landwirth- schaftlichrr Erzeugnisse gegen betrügerischen Wettbewerb durch Einfügung anderen Zwecken dienender Vorschriften ein zweites Mal vereitelt haben wird, hängt von den Regierungen ab. Der stärkste Posten auf seinem Schuldconto ist die Ver weigerung von Kriegsschiffen, über deren Noth- wendigkeit er selbst nicht im Zweifel war. Sie sind der Wahlpolitik des Centrumö zum Opfer gefallen. Geleistet hat das Reichsparlament innerhalb sechs Monaten außer der Etatsfestsetzung und der Rentenumwandlung ein Auswanderungsgesetz, die Reform des Handels gesetzes, ein Subhastationsgesetz und eine Grund buchsordnung. Die vielgelästerlen Juristen sind besser als ihr Ruf, die drei letztgenannten Gegenstände sind fast aus schließlich ihr Werk. Dazu werden, wie bemerkt, Ende Juni noch einige weitere Arbeiten kommen. Von den Initiativ anträgen ist nur der zweimal, zuerst von nationalliberaler. dann von freisinniger Seite angeregte, die Aufhebung des Versammlungs-Verbotes für Vereine bezweckende der Erwähnung werth. Der Jesuitenbescblnß entspricht einer alten Gewohnheit dieses Reichstages. Von den Inter pellationen darf die über den ameri kan isch en Z ol ltarif als ein Anlaß zu nicht unfruchtbaren Erörterungen hervorgehoben werden. Debatten über den Zweikampf ist zeitlich eine Reform des Duell Wesens im Heere gefolgt. Tie Er örterung politischer oder zu solchen gestempelter Fragen ließ die große Mehrheit der Zeit, nämlich der Zeit vor den Wahlen, entsprechen. Im nächsten Winter wird sich das noch verschlimmern. Die Meldung, der Reichstag werde bei seinem Wieder- zusanimentrelen eine Militairstrafproceßordnung vor finden, verdient keinen Glauben. Es wäre auch ganz zwecklos, sie bis dahin einzubringen, da an eine Erledigung nicht zu denken wäre. Vielleicht ist auch die Vorlage bis dahin noch gar nicht im Bundesrathe vereinbart. Nach einer von uns wieder gegebenen Meldung der „Allg. Ztg." läge das Hinderniß der Einigung in demZögern desK aiser s,derErrichtung eines eigenen obersten MilitairgerichtshoscS für Bayern zuzustimmen. Wenn dem so wäre, was man nicht weiß, müßte doch entschieden zurückgewiesen werden, was die „Germania" zu der Mit theilung des Münchener Blattes beifügt, nämlich: „Wenn dem Reichskanzler die Erfüllung seines Versprechens erschwert wird, trägt der preußische ParticulariSmus die Schuld." Wir lassen das Gewicht der Frage eines bayerischen Separatgerichts hofes dahingestellt, aber wenn der deutsche Kaiser der Bildung von Sondereinrichtungen im Reiche widerstrebt, so handelt er nicht als preußischer Particularist, sondern kraft des seinem Vorfahren von den Fürsten und der Nation über tragenen Amtes als ReichSoberhaupt. Mit der Zustimmung zu den meisten Reichsinstitutionen, nahezu allen, hat gerade der König von Preußen als solcher große Opfer gebracht. Er fungirt jetzt in vielen Staatssachen als Organ der BundeSfürstcn, wo er früher als souveräner Herrscher ent schieden hat. DaS braucht allerdings nur Solchen gesagt zu werden, die wie die „Germania" das BundeSverhältniß wissentlich falsch darstellen. Der Proceß Tausch bat bereits fünf Tage in Anspruch genommen, ohne daß sich ein nahes Ende absehen ließe. Sein — bisher wenigstens — ermüdender Verlauf kommt vielleicht erst Ende der Woche zum Abschluß. Vorher Betrachtungen an ihn zu «knüpfen, verbietet, wie der Oberstaatsanwalt Drescher richtig bemerkte, der Anstand. Es gehört zu den schlimmsten Mißbräuchen, die sich im Preßwesen finden, daß Vorfälle, während sie der richterlichen Prüfung unterliegen, zum Gegenstände öffentlicher Besprechungen gemacht werben. Selbst ihre feuilletonistische Behandlung ist zu tadeln, da auch bei ihr vorgreifende Urtheile kaum vermieden werden können. Uebrigens hat es bis jetzt den Anschein, als ob politisch über den Proceß auch nach seiner Beendigung blutwenig zu sagen sein werde. Der Leitung des Bundes der Landwirthe ist das Mißgeschick widerfahren, daß eine „Erklärung" ihrer Grund sätze, auf welche sie die Candidaten verpflichten will, die bei den nächstjährigen Wahlen die Unterstützung der Bundes mitglieder genießen wollen, vorzeitig an die Oeffentlichkeit gekommen sind. Das Beginnen der BundeSleitung regt zwei Fragen an: erstens die der Zulässigkeit von im- perativenManda ten überhaupt und dann die weitere,ob es irgend einen ehrlichen Menschen giebt, der diese Erklärung unterschreiben kann. Als „nächstliegend: Ziele", denen also der verpflichtete Abgeordnete in der nächsten Legislaturperiode nackzustreben verspricht, werden u. a. bezeichnet: gesetzliche Regelung der Getreidepreise mit der über de» Antrag Kanitz noch hinausgehenden Maßgabe, daß die Regelung eine stetig aufwärtssteigende Entwickelung der Preise berbeizuführen habe, ferner die „schleunige" internationale Einführung der Doppelwährung, endlich die Abkehr von der derzeitigen Zollpolitik. Das zuletzt angeführte Ver sprechen enthält die Zusage des Kampfes, nicht etwa nur gegen die bestehenden Handelsverträge, sondern gegen jeden Handelsvertrag, der Getreidezölle bindet. Mit der Forderung nach gesetzlicher Regelung der Getreidcpreise ist die Bindung eines GetreidezolleS auch ganz unvereinbar. Solche Zoll sätze können viel höher sein, als sie jetzt stipnlirt sind, aber die Unmöglichkeit, Getreidezölle überhaupt vertragsmäßig fest zulegen, bedeutet für Deutschland die Unmöglichkeit, mit einer Reihe von Ländern, die für den Export seiner Industrie hochwichtig sind, überhaupt Handelsverträge abzuschließcn, be deutet also den Zollkrieg so ziemlich auf der ganzen Linie, ver schärft durch die gleichfalls in der „Erklärung" geforderte Kündigung „der die Landwirthschaft schädigenden Meist- begünstignngsverträge". Die Herbeiführung dieser Zustände soll der (Kandidat in der ersten Hälfte des JabrcS 1898 ver sprechen, obwohl er zu dieser Zeit keine Vorstellung haben kann, wie die Lage des Marktes, insbesondere auch des Getreidemarktes, nach fünf Jahren, wo über die Handels verträge zu beschließen ist, sich gestaltet haben wird! Im Vergleich zu dieser Zumuthung ist es — moralisch ge nommen — noch eine Bagatelle, daß deutsche Reichstags abgeordnete auf die schleunige Herstellung der internatio nalen Doppelwährung verpflichtet werden. Da kann sich ein bimetallistischcr Mandatsbewerber doch sagen: vielleicht ist England dafür zu haben. Aber die Stellungnahme zur Handels- verlragSvolitik, wie sie die BundeSleitung fordert, wird mit gutem Gewissen kaum einer verbeißen können. Uebrigens wird in der Anleitung zu der Erklärung ganz zutreffend daran er innert, daß die BunveSmitglieder in den einzelnen Wahl kreisen abstimmen, nicht die Bundesleitung. Und jene werden die Anforderung an die Candidaten anders bemessen als diese, die mit einer solchen Erklärung keine anderen als agitatorische Zwecke verfolgen kann. Das preußische Abgeordnetenhaus bat gestern ziemlich rasche Arbeit gemacht. Die zweite Lesung der Vereinsgesetz-Novelle ist in einer Sitzung erledigt worden und zwar mit dem ganzen erwünschten Erfolge. Neben der Beseitigung des 8 3 ist das Verbot der Betheiligung von Minderjährigen an Versammlungen und Vereinen an genommen worden, alles Uebrige ist gefallen, die freiconser- vativen Anträge, über die namentlich abgestimmt wurde, bei der entscheidenden ersten Abstimmung mit 193 gegen 206 Stimmen. Zu den letzteren zählte von den nationalliberalen nur die des Abg. Bueck. Bon den 32 Fehlenden — 2 Mandate sind erledigt — hatte sich eine kleinere Anzahl von Freunden der Vorlage mit Gegnern abgepaarl. Die dritte Berathung soll am Montag stattfinden. Aus der gestrigen Debatte ist als das Merkwürdigste der Muth her vorzuheben, der Herrn v. Zedlitz befähigte, die An nahme seines Antrages mit dem Hinweise auf die Noth- wendigkeit einer „starken" Regierung zu empfehlen. Glaubte der gut beobachtende Abgeordnete wirklich, diese Regierung könne überhaupt stark oder auch nur stärker werde», als sie ist? Dazu gehört doch noch etwas mehr als Machtmittel, vor Allem Zielbewußtsein und Thatkraft. Ohne Eisen im Blut nützt das Eisen in der Hand nichts. AuS dem Auftreten des Herrn v. d. Recke hat Herr v. Zedlitz seine Zuversicht kaum geschöpft. Er selbst mußte den Minister fragen, warum dieser das von den Conservativen beantragte Prävcntivverbot für Vereine, daS er hocherfreut begrüßte, nicht selber vorgeschlagen habe. Ein großes Wort hat aber Herr v. d. Recke ausgesprochen, eigentlich zwei. Die Presse, die seine Vorlage bekämpfte, hat die öffentliche Meinung gefälscht, und die Bevölkerung wird mit den Gegnern des Gesetzes Abrechnung halten. Hat auch die konservative Presse, die zu einem Theile schwieg, zu einem anderen der Opposition beitrat, gefälscht? Und werden die nationalliberalen Abgeordneten, wenn sie nach Hause kommen, von den Vereinen in Rheinland, in Westfalen, in Hessen- Nassau, die ihr Verhalten gebilligt, Mißtrauensvoten erhalten? Wenn ein Polizeiminister sich so wenig über die Stimmung im Lande unterrichtet zeigt, so leistet er allerdings ein starkes Stück, deswegen ist er aber noch lange kein starker Minister. Zu dem kleinen Socialistcngesetz der Freiconservativen hat Herr v. der Necke mit keinem Sterbenswörtchen Stellung genommen und Fürst Hohenlohe war nicht anwesend. An scheinend fehlte sowohl der Muth, der Rechten ein Nein zuzurufcn, als auch der, der dazu gehört, gegenüber den Nationalliberalen einen nationalpolitischen Rückschritt von größter Tragweite als zulässig zu bezeichnen, und drittens der Muth, vor Centrum und Freisinnigen etwas über ein ReichSsocialistengesetz zu sagen. Eine so geartete Regierung hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer discretionärer Machtmittel. Das bat der nationalliberale Ab geordnete Schmieding, der ausgesprochenermaßen dabei dem Wunsche der Industrie nach nachdrücklicher Bekämpfung der Socialdemokratie Worte lieh, auch gerade heraus gesagt. Und sein Fractionsgcnosse vr. Sattler drückte sich nicht minder deutlich aus. Vertrauen zur Negierung — wohlgemerkt nur in Bezug auf die Nichtanwendung ihres Gesetzes auf bürger liche Parteien — bekundete nur Graf Limburg. Er batte Grund dazu. Ist doch die Vorlage viel weniger ein Gesetz gegen den Umsturz, als ein solches für die conservative Partei. Deutsches Reich. * Berlin, 29. Mai. Durch die gestrigen Beschlüsse des Abgeordnetenhauses hat die Novelle zum Ver einsgesetz folgende Fassung erhalten: Artikel I. An Versammlungen, in denen politische Angelegen heiten erörtert oder berathen werden sollen, dürfen Minder jährige nicht Theil nehmen. Artikel II. Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern (8 8 der Verordnung vom 11. März 1850), dürfen Minderjährige nicht als Mitglieder aufnehmen. An den von solchen Vereinen veranstalteten Versammlungen und SitzungenHin denen politische Angelegenheiten erörtert oder berathen werden sollen, dürfen Minderjährige nicht Theil nehmen. Anderen Versammlungen und Sitzungen dürfen Minderjährige, sowie weib liche Personen beiwohnen. Die Verbindung von Vereinen F-niH-tsn. Wie die Gabeln Sitte wurden. Bon Martin Beck. Nachdruck verboten. Die Gabel ist daS jüngste aller Eßgeräthe. Sie ist noch nicht auf dem alten Culturboden Europas überall ein gebürgert, und selbst in Deutschland war sie vor kaum hundert Jahren nur erst in feineren Kreisen üblich. Ihre Einführung stieß auf eine Abneigung, die man keinem andern Eßgeräth gegenüber gezeigt batte. Das erklärt sich ja aller dings daraus, daß um ihretwillen mit einer Jahrtausende alten Gewohnheit gebrochen werdest mußte. Was sollte dieser Luxus? Er machte das Speisen nur umständlicher und unbequemer. Hatten die Griechen und Römer trotz ihres hohen Cultur- standcS nicht auch ohne Gabeln gegessen? Gabeln kannten sie allerdings. Die kamen aber nicht auf die Tafel. Man würde darüber so gelacht haben, wie wenn heute Jemand einen Hackklotz und ein Beil im Speisezimmer aufstellen wollte, um damit die Bratenknochen zu zerspalten. Draußen in der Küche, wohin sie auch, gehörten, lagen die Gabeln. Da bandhabte sie der Koch als große Fleischgabel, um beiße Fleischstücken au» dem Kessel oder der Schüssel zu nehmen. In seinem Onomastikon erwähnt der im zweiten Jahr hundert lebende griechische Sophist Julius Pollux deshalb bei dem Verzeichniß der Tischgeräthe Vie Gabeln gar nicht. Bei anderen griechischen Schriftstellern wird aber die Krcagra, d. h. Fleischgabel, bisweilen genannt. Sie muß einer heutigen Schöpfkelle nicht unähnlich gewesen sein. Denn zu einer Stelle de» Aristophaneö, die daS Wort Kreagra enthält, sagt der Scholiast: sie gleiche einer Hand und diene dazu, kochende« Fleisch auS Töpfen hervorlangen zu können, ohne sich die Finger zu verbrennen. In Rom hieß die Fleischgabel ?urcilla. Dieses „Gäbelchen" im Gegensatz zur k'urca, der Heugabel, war Hroß genug, um eS nöthigenfallS al« Waffe gebrauchen zu können. Darauf weist schon die Redensart hin, die von der gewaltsamen Vertreibung eine- unliebsamen Gaste« gebräuchlich war: b'urcilU» eiectrw «8t, er ist mit den Gabeln hinauSgetrieben worden. Wie noch heute im Orient, wurden die Speisen so weich gekocht aufgetragen, daß sie ohne jede Mühe zerlegbar waren. Bei Fleischsprffen vorzüglich war rS allgemein Sitte, nur da» Fleisch ganz frisch geschlachteter Thiere zum Tisch bedarf ru verwenden. Außerdem trug man die Speisen ganz N«m gtschnitten auf. Da» besorgte in vornehmen Häusern der „Vorleger". Der trieb sein Geschäft nach bestimmten Regeln als eine besondere Geschicklichkeit erfordernde Kunst. Er allein führte auch nur ein Messer. Dasselbe gehörte zu den Insignien seines Amtes. Die Essenden lagen auf Eß- sophas am Tische, mit der einen Hand sich aufslützend und mit der anderen die Speisen oder den Löffel ergreifend und daS kuchenartige Brod brechend. Ohne Umstände fuhren sie mit den Fingern in die Schüsseln, wie es Homer schon in der Odyssee beschreibt. Um sich Mund und Hände sauber halten zu können, wurde nach jedem Gang von Sklaven frisches Waschwasser berumgereicht. Späterhin, als der Luxus stieg, empfand man diese Art zu essen doch unmanierlich und unbequem. Mau kam deshalb auf den Gedanken, den Fingern in der Länge künstlich nachzuhelfen und erfand Eßstäbchen, wie sie bei den Chinesen und andern orientalischen Völkern noch jetzt ge bräuchlich sind, nur daß die altrömischen Eßstäbchen nicht, wie die chinesischen, die Gestalt kleiner Tactstäbe haben. Aus Ebenholz uud Elfenbein, mit Gold und Silber ausgelegt waren sie aber auch. Sie hatten die Gestalt kleiner Spaten und hießen Inxulas (Züngelchen). Im Abendlande behalf man sich beim Essen ebenso wie in Athen und Rom. Man aß mit den Fingern. Heiße Fleischstücken nahm man mittels eine» kleinen hölzernen oder späterhin eisernen Spießes auS Kesseln und Töpfen, wie die Gabel ja eigentlich auch nur ein Spieß mit zwei Spitzen ist. DaS Zertheilen geschah durch den Hausherrn, der allein ein Messer führte. Unser deutsches Wort Gabel ist von hohem Alter. Es lautete im Althochdeutschen gadais, im Mittelhochdeutschen schon wie heute xabvls und gabst. Vielleicht ist es schon von den Kelten übernommen worden. Bei den Kymren, den walesischen Kelten, hieß e« gedel. Die Abstammung ist dunkel. Mit dem deutschen Wort Gabel bezeichnete man die ur alten hölzernen WirthschaftSgabeln, die man auf Feld und Wiese brauchte. Als man dann Lurch die Berührung mit der römischen Cultur auch eiserne Gabeln kennen lernte, be nannte man diese mit dem lateinischen Worte turca. burca oder im deutschen Munde Fork für eiserne Gabeln macht sich schon sehr früh neben Gabel geltend von der Schwei; und Schwaben an, da« Rheinland bis ins Niederland und nach Norddeutschland, selbst nach Skandinavien und nack England, wo schon die Angelsachsen die kork kannten. Sogar östlich der Elbe, in der Altmark, heißen Heu- und Mistgabel Fork, wahrend sonst im östlichen Mitteldeutsch nur Gabel vor kommt. Mit dem neuen LuruSgegenstand, der zuerst in Italien im 12. Jahrhundert auftauchte, mit der korcdett», der Tisch gabel, befreundete man sich nicht so bald. Sie wird zum ersten Male erwähnt bei dem italienischen Cardinal Peter DamianuS (1007—1072), der in seinen Schriften gegen die Tischgabel, die eine byzantinische Prinzessin mit nach Venedig gebracht hatte, als gegen eine sündhafte Verweichlichung eiferte. In Frankreich, das doch so gern an der Spitze der Civilisation marschirte, blieben die Tischgabelu noch lange ein Gegenstand des Luxus. Noch im 16. Jahrhundert geißelte man die neue Sitte am französischen Hofe durch Satiren. Aber selbst zur Zeit des deutschen Befreiungs krieges nock pflegte man in den gewöhnlichen WirthShäusern den Tischgästen keine Messer, viel weniger Gabeln vorzu legen, nur Löffel. Man nahm an, daß alle Männer ein Taschenmesser bei sich hätten und damit für sich und ihre Frauen das aufgetragene Fleisch schon klein schneiden würden. Als im Jahre 1608 der englische Sonderling TbomaS Coryate auf seinen Reisen auch Italien besuchte, erregten die Tisch^abeln als eine neue Erfindung seine besondere Auf merksamkeit. Nach seiner Heimkehr gaben ihm seine Lands leute den Spitznamen Furciser, Gabelführer, weil er die italienische Sitte, Gabeln bei Tisch zu gebrauchen, in England einführen wollte. In Deutschland hatte man die Tischgabel seit Anfang des fünfzehnten Jahrbunderts kennen gelernt. Aber selbst an den Höfen war sie hundert Jahre später noch etwas Neues und Seltenes. Auf einem Bilde im Üortu8 voliciarum (Lustgarten) der Elsässer Aebtissin Herrad von Landsperg aus dem Ende des 12. Jahrhunderts sieht man eine fürstliche Tafelgesellschaft von vier Personen mit nur zwei Messern am Tisch sitzen, während die Vorleger daneben auf ihrem Anrichtetische zwei Messer und zwei Gabeln haben, die wie ein wenig gespaltene Löffel aussehen, also den alten römischen lixulno ähneln. Und auf einem Holzschnitte von Michael Wohlgemuth (1434—1519) im „Schatzbebalter", ein fürstliches Festmahl darstellend, sind gar keine Gabeln zu sehen, nur vereinzelt Messer und Löffel mit ganz kurzem Stiel, die wahrscheinlich von den Gästen selbst mitgebracht worden waren. Allerdings waren die noch so seltenen Gabeln wie auch die Messer und Löffel manchmal von Krystall und Gold ver fertigt und mit Perlen und Edelsteinen besetzt und wurden in mächtigen Futteralen von feinstem Leder aufbewahrt. Der schlesische ritterliche Abenteurer Hans von Schweinichen, der mit seinem Herzog Heinrich von Liegnitz meistens auf Borg eine drollige Bierreise durch die deutschen Lande machte, spricht in seinem, für die Sittengeschichte de» 16. Jahr hunderts äußerst werthvollen Tagebncke auch von „sein Messer und Gabel auflegen", weil sie e» selbst mitführten. Und in dem 1668 erschienenen SimplicissimuS liest man: „Zu solcher neuen Haushaltung hatten wir Beide keinen andern Haus- raht als eine Axt, einen Leffel, drei Messer, eine Piron (ital.) oder Gabel und eine Scheer." Die allgemeine Einführung der Gabeln in die besseren bürgerlichen Kreise war erst unserm Jahrhundert Vorbehalten. Weil man die Gabel immer als überflüssigen Luxusartikel betrachtete und nur zum Tranchiren benutzte, findet man sie auf den niederländischen Bildern deS 17. und 18. Jahr hunderts, die Mahlzeiten darstellen, nur ausnahmsweise mit dargcstellt. Wie wenig sich in Deutschland die Gabeln noch im vorigen Jahrhundert eingebürgert hatten, geht aus einer Ordnung deS Spitals zu Notenfels vom Jahre 1787 hervor, in der als Tischutensilien Messer und Löffel, aber keine Gabeln erwähnt »erden. Die seltenen Gabeln früherer Zeit, wie sie kunstgewerbliche Museen uns zeigen, waren freilich kleine Meisterwerke in ihrer gefälligen künstlerischen Ausführung: der große Griff von Elfenbein, Hirschhorn, Gold und Silber oder damit tauschirt, durch bildliche Darstellungen reich verziert und auf der Fußplatte der Zinken eine Inschrift,ein Reimspruch oder der Name des Besitzers mit Jahreszahl eingeätzt. Die hervorragendste Sammlung solcher älteren Gabeln weist die Kunstsammlung von R. Zschille in Großenhain auf. Man versteht bei Be trachtung dieser schönen Geräthe der alten Kleinkunst, warum einst die Gabeln nur langsam allgemein üblich werden konnten Die moderne Industrie, die allem Luxus eifrig Vorschub leistet, hat darin erst Abhilfe geschafft durch ihre billige fabrikmäßige Massenherstellung. Trotzdem sind noch heute die Gabeln auf Island ebenso wenig gebräuchlich wie im Innern Rußlands und in Spanien, wo man sie auf dem Lande gerade so vergeblich sucht wie Löffel und Trinkgläser. Aber auch in Deutschland stimmt in vielen Gegenden noch jetzt bei Bauern und einfachen Städtern, was Jmmermann im Münchhausen von den westfälischen Bauern erzählt: sie essen, obwohl ihnen die Gabeln nichts Fremdes mehr sind, doch lieber ohne sie. Zuweilen kann man noch hier und da eine Bauernmahlzeit seben, bei der Jedes sein spitzes Klappmesser ans der Tasche zieht, damit die kleingeschnittenen Bissen anspießt und zum Munde führt. Und das rhut man nur der Einfachheit wegen nach dem alten Baucrngrundsatze, mit der HauSwirthschaft möglichst wenig Umstände zu machen, um desto mehr im Stall und auf dem Felde arbeiten zu können. Wenn Besuch kommt und an den Feiertagen, wenn man Zeit hat, erscheinen auch Gabeln auf dem Tische.
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