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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970602011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897060201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897060201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-02
- Monat1897-06
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Trotz dieser Theilung konnte die Monarchie ihre Machtstellung in Europa bewahren, weil eine Reihe von ge meinsamen Einrichtungen dafür sorgte, daß Oesterreich und Ungarn in einem festen Verhältnisse zu einander blieben. Auch war für daS Vcrhältniß von Oesterreich zu Ungarn der Umstand günstig, daß ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen den beiden Reich-Hälften bestand. Es ist nun ebenfalls ein Menschenalter her, daß dieses Gleichgewicht durch den Vorschlag einer Tbeilnng der ciS- leithanischen Reichshälfte beinahe gestört worden wäre. Un mittelbar vor dem Ausgleiche mit Ungarn schlug der Minister präsident Belcredi vor, CiSleithanien in drei selbst ständige Königreiche, nämlich Oesterreich, Böhmen und Polen, zu zerlegen, TranSleithanien sollte in Ungarn und Kroatien-Slawonien zerfallen. Die Ungarn haben eS wohl verstanden, in diesem Menschen alter den Zerfall TranSleitbaniens in zwei gleichberechtigte Staaten zu verhindern. Sie haben vielmehr mit solcher Energie magharisirt, daß der Zusammenhalt der ungarischen Reichshälfte in diesen dreißig Jahren nur fester geworden ist. In Oesterreich aber hat Dank der Schwäche der deutschen Bevölkerung daS Slawentbuin derartige Fort schrittemachen können, daß ein tschechisches Königreich Böhmen und rin polnisches Königreich Galizien zu den Möglichkeiten gehören, mit denen gerechnet werden muß. Vor dreißig Jahren ist es dem Widerstande der deutschen Bevölkerung geglückt, den Belcredi'schen Plan zu nickte zu machen, und eben jetzt sehen wir die deutsch gesinnte Be völkerung in einem Kampfe gegen einen ähnlicken Plan des gegenwärtigen Ministerpräsidenten begriffen. Denn nach allen den Tschechen bereits vom Grasen Taaffe gewährten Vergünstigungen ist die Sprachen Verordnung Badeni'S rin weiterrr Schritt dazu, ein selbstständiges Königreich Böhmen zu errichten. Dieses Königreich Böhmen würde natürlich ein tschechischer Staat sein, in dem daSDeutsck- thum der Uebermacht deö TscheckcnthuniS rettungslos ver fallen würde. Diese Thatsacke ist auch den reckt schwer fälligen Deutschen Cisleitvaniens klar zum Bewußtsein ge kommen, und deshalb sehen wir die wahrhaft deutschen Elemente Oesterreichs in einer Kampfstimmung, die freilich ein wenig spät, aber hoffentlich nicht zu spät kommt. Gerade das deutsche Element in Oesterreich ist viel zu loyal gesinnt, als daß es auf gewaltsame Weise seine Reckte zu erzwingen «ersticken würde. Was aber außerhalb der Grenzen der Revolution getban werden kann, daö wird jetzt von ven Deutschen in Oesterreich gethan, und das ist richtig. An dem Kampfe betheiligt sich in erster Reihe das Parlament durch die Obstruktion, die von deu deutschgesinntrn Mit gliedern betrieben wird, nnd eS ist interessant, wenn man auf jene Zeit vor einem Menschenalter zurückblickt und dabei sieht, daß damals von tschechischer Seite etwas AehnlicheS gethan wurde, indem die tschechischen Abgeordneten sich von dem ReichSralhe fern hielten und dadurch gegen die damalige Negierungspolitik demonstrirten. 30 Iabre schwachmütbiger Regierung in Oesterreich haben also genügt, um die parla mentarische Situation Henau j» das Gegentheil zu verwandeln. Man begnügt sich indessen auf deutscher Seiie verstän diger Weise nicht nur mit dem parlamentarischen Kampfe, sondern man führt den Kampf auch in den Gemeinden. Hier kann der Kampf auch wirksamer geführt werden, weil jedes Stocken der Verwaltungsmaschine sich noch unmittel barer geltend macht, als daS Stocke» der Gesetzgebungs maschine. So anerkcnnenSwerth auch der Entschluß mehrerer deutsch gesinnter Eommunen ist, an der nächstjährigen zur Feier dcS 50. ReaierungSjubiläumS des österreichischen Kaisers slattsindenden WoblfahrtSausstellung nicht theilzunehmen, und so sehr zu hoffen ist, daß dieser Entschluß seine mora lische Wirkung nicht verfehlen wird, so handelt es sich dabei doch immer nur um eine Demonstration. Von einschneiden derer Bedeutung ist der Beschluß deutsch-böhmischer Ge meinden, die Staatsgesckäfte, die für den Staat von den Beamten der Gemeindeverwaltung ausgeführt werden, nicht mehr für den Staat auSzuüben. Hierdurch werden dock für die Regierung Schwierigkeiten erwachsen, die sie zum Nach denken darüber veranlassen können, ob es räthlich ist, die deutschen Böhmen durch die Ausführung der Sprachenverord nung zur Verzweiflung zu treiben. Sind die Deutschen in Böhmen auch energischer als ihre Landsleute im übrigen Oesterreich, insbesondere als die schlaffe Wiener Bevölkerung, die durch ihre Indolen; dem Deutsck- thnm schon vielen Schaden zngefügt Hal, so sind sie doch ihrem Charakter nach Alles eher als exaltirt und zum Un frieden neigend. Wenn nun eine solch rubige Bevölkerung sich zum Widerstand rüstet, noch dazu in einer Art, die ihr selbst viele Verdrießlichkeiten bringen muß, so ist daS ein Zeichen dafür, daß die Dinge nicht so werter gehen können, wenn anders die Ruhe und der Friede im Staate aufrecht erhalten werden sollen. Dem polnischen Grafen Badeni mag eS ja herzlich glcichgiltig sein, ob die Deutsche» in Oesterreich und besonders in Böhmen in eine Verzweiflungs stimmung gerathen, er niag sich auch vielleicht, wie schon manch anderer leichtherzige österreichiscke Minister, wenig Sorge darum machen, ob er durch seine Maßregeln künftiges Unheil für den Staat vorbereitet, aber dem österreichischen Herrscher, der für den Bestand seiner Dynastie zu sorgen hat, wird es hoffentlich weniger gleichgiltig sein, ob die loyale deutsche Bevölkerung, die sicherste Stütze deö österreichischen Thrones, dem Throne entfremdet wird. So wenig wir also auf die österreichische Regierung rechnen, so hoffen wir immer noch, daß der österreichische Kaiser dafür Sorge tragen wird, daß die Sache nicht auf die Spitze getrieben wird. Deutsches Reich. K Berlin, 1. Juni. Wie in Sachsen, so findet auch in Baden in diesem Jahre die Erneuerung eines Theiles der Mandate zur zweiten Kammerstatt. Während in Sacksen aller zwei Jahre ein Drittel der auf sechs Jahre gewählten Abgeordneten auSscheidct, erlischt von den vierjährigen badischen Mandaten aller zwei Jahre die Hälfte. Die badische Kammer zählt 63 Sitze, von denen am 1. Juli 3l sich erledigen. ES befinden sich darunter 14 der im Ganzen 32 Sitze innehabenden nationallibrralen Fraction. Das Centrurn wird von seinen 21 Mandaten 12 zu vertheidigen haben. Der Nest geht die Demokraten und die Conservativen an. Der demokratische Führer Muser muß sich einer Neuwahl unterziehen, auch der vielgenannte Stegmüller, der wegen Bewilligung von Geldern für einen Kirchenbau in die socialdemokratische Reichsacht erklärt worden ist, scheibet aus. Der „Aufmarsch der Parteien" scheint sich wie in Baden herkömmlich voll ziehen zu sollen: Alle miteinander, ohne Gnade und Barm- berzigkeit, gegen die Nationalliberalen. Höchstens, daß die Conservativen, die aber wenig zu bedeuten haben, sich diesmal von der heiligen Liga ausschließen werden, in der Socialdemokraten, Demokraten und Freisinnige gegen geringen Lohn und ohne die Gewähr guter Behandlung dem Ccntrum ihre Dienste weihen. Im Namen der Freiheit und Cultur natürlich. Die Demokraten nnd die Freisinnigen Badens haben kürzlich ihre Verbindung aufgelöst, hauptsächlich weil sie sich über die Volksschule nicht ganz einigen konnten. Die Demokraten wollten aus ihrer Bereitwilligkeit, die in Baden lange bestehende bewährte Schulordnung den Ultra montanen zu opfern, kein Hehl machen, die Freisinnigen hin gegen glaubten im Programm doch etwas vom „Festhalten" sagen zu müssen. Man trennte sich deshalb. Aber Bedeutung hat die Scheidung nicht. Die Freisinnigen werden nach wie vor und unbekümmert nm die Schule daS Centrum zu ver stärken suchen. Zum Glück sind sie ziemlich dünn gesät. In ihrerZeitung freilich thun sie sehr wichtig nnd prophezeien inUeber- einstimmung mit den ultramontanen und socialdemokratischen Mitstreitern den „Zusammenbruch" deö Nationalliberalismus in Baden. Das baden sie aber schon oft gethan, ohne daß die nationallibcrale Götterdämmerung heranfgezogen wäre. Im Jahre 1893 zwar gelang eS, die nationalliberale Kammer- mchrbeit, die damals wie jetzt nur eine Stimme betrug, in die Minderheit zu verwandeln. Aber 1895 kam statt des Debacleö die Wiederherstellung der Mehrheit. Tie Gering fügigkeit derselben gestaltet die bevorstehenden Wahlen zu einem Ereigniß von großem Interesse. Wie die Dinge gediehen sind und weiter gedeihen, bedeutet die Zerstörung der national liberalen Mehrheit die Herrschaft beS UltramontanismuS in der Zweiten badischen Kammer. Dieser besitzt zwar jetzt nur gerade ein Drittel aller Mandate und wird gewiß nicht auf die Hälfte kommen, aber die Demokraten sind derart gefügig gegen den Herrn Geistlichen Rath Wacker, ohne dessen Zulassung sic überhaupt kein Mandat erkalten können, daß man wohl sagen kann, ein Sturz der nationalliberalen Mehr heit wäre gleichbedeutend mit der Bildung einer klerikalen, welcke — mit Hilfe der Freiheits- und FortschrittSmänner!— die Regierung früher oder später im Schulwesen, und nicht dort allein, auf reaktionäre Bahnen drängen würde. * Berlin, 1. Juni. Die am 27. Mai in der römischen PeterSkirche durch Papst Leo XIII. begangene doppelte Heiligsprechung wird von der „National-Ztg." in einem Leitartikel commenlirt. Derselbe legt dar, wie die Fiction von der vatikanischen Gefangenschaft des Papstes durch der artige glanzvolle Festlichkeiten völlig unhaltbar wird: „Man ist kein Gefangener, wenn man einen Kaiser bei sich empfängt, eine Kunstgewerbe - Ausstellung einricktet und eröffnet, Tausenden den Segen ertbeilt und Verstorbene öffentlich zu Heiligen erhebt. Dies Märchen von der päpstlichen Gefangenschaft ist auch für die Einfältigsten nicht mehr aufrecht zu erhalten. Leo XIII. handelt freier und un abhängiger als jemals PiuS IX. in den fünfziger und sechziger Jahren unter dem Schutz der Franzosen hätte handeln und reden dürfen. Selbst das UnfehlbarkeitSdvgma konnte nur durch die Nachsicht der französischen Regierung auf dem vatikanischen Concil durckgrsetzl werden; ausschließlich mit den Kriegsplänen gegen Preußen beschäftigt, wollte sie den Papst nicht durch Widerspruch entstammen. Niemals aber würde Napoleon III. dem Papste erlaubt haben, sich in die inneren Angelegenheiten Frankreichs zu mischen und fran zösischen Arbeitern socialistisch angehauchte Reden zu halten. Wie mächtig sich indessen auch Leo XIII., wie unantastbar in seiner moralischen Sphäre fühlen mag, ist er doch Welt kind genug, um den Schutz zu erkennen, den ihm das Königreich Italien gewährt. In keinem anderen Lande würde er diese Freiheit der Bewegung und der Rede besitzen, denn überall würde er nur ein mehr oder minder willkommener Gast sein, in Italien ist er heimisch und seßhaft. Das Papsttbum hat wohl einen allgemeinen internationalen Charakter, aber es wurzelt im italienischen Boden. Die Absicht ist für Jedermann klar: der Papst will in Rom neben dem KöniH seine Rolle spielen, glanzvoll, in gewohntem Pomp, nicht als Ge fangener, sondern als Haupt der Kirche, weithin sichtbar, und zeigen, daß auch ihm Millionen gehorchen." Der Artikel führt dann aus, wie ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der durch die SuSpendirung aller Festlich keiten die an diese Schauspiele gewöhnten Römer gegen den italienischen „Räuberstaat" zu erbittern suchte, der jetzige Papst den Fortbestand der alten pomphaften Herrlichkeit zu docnmentiren sucht, und fährt dann fort: „Die Hoffnung aus eine Rückkehr der weltlichen Papstherrschaft ist eine Chimäre, der auch der Unversöhnlichste unter den Cardinälen nur auf die Gefahr bin, daS Papsttbum ausJtalien zu vertreiben, nachjagen könnte. Das Italien zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ist keine Stätte für einen grollenden und fluchenden Papst mehr. Die Bedingung für die neue Stellung des PapstthumS, die ibm Leo XIII. im Culturleben der Welt gegeben hat, ist der Friede mit Italien. Das Papsttbum wird nie aufhören, die weltliche Herrschaft und die „heiligen Scheiterhaufen" der Inquisition herbeizusebnen, aber in Wirklichkeit muß es doch mit der französischen Republik und ihrer religions losen Schule, mit dem „Räuberstaate" Italien und seinem Standbild Giordano Brunos sich vertragen. Nur um diesen Preis kann es seine Rolle in der Welt behaupten, sonst nicht mehr." V Berlin, 1. Juni. (Telegramm.) Heute fand bei herrlichem Wetter die große Frühjahrsparade unter dem Zudrange einer tausendköpfigen Menschenmenge statt. Der Kaiser in Generalsuniforin und die Kaiserin in einem weißen Reitcostüm in den Farben der alten Bayreuther Dragoner ritten die Front der in zwei Treffen aufgestellten Truppen ab. Die Parade commandirte der General v. Winter feld. Es erfolgte ein einmaliger Vorbeimarsch der Infanterie in Compagnie-Front, der Cavallerie, der Artillerie und des TrainS im Trabe. Die Parade verlief glänzend. DaS zahlreiche Gefolge der fremden Ofsiciere bot ein farbenreiches Bild. Nach Beendigung der Truppenschau ritt der Kaiser an der Spitze der Fahnencompagnie, der die Standartenschwadron folgte, nach der Stadt zurück. Nach der Parade empfing der Kaiser den StaatSsecretair des Auswärtigen Amtes v. Marschall zum Vortrage nnd nahm militairische Meldungen, darunter die des zum Obersten beförderten Commandanten der Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika, v. Trotha, entgegen. Ztz Berlin, 1. Juni. (Privattelegramm.) Der be kannte Geschichtsmaler Professor Anguft von Heyden, Mit glied des Staatsraths, ist gestorben. U. Berlin, 1. Juni. (Privattrlegramm.) Die „Nat.-Ztg." berechnet, daß die Verlängerung der Land - tagssession um zwei Monate, welche unerläßlich ist, wenn die Verhandlungen über die BereinürechtSnovelle in den Formen der Verfassungsänderung zu Ende geführt werden sollen, dem Lande 400 000 an Diäten kosten würde. DaS Blatt richtet daher an die Regierung die Mahnung, sich rasck zu entschließen, ob sie die Fassung deS Abgeordneten hauses annehmen und für sie im Herrenhause eintreten will. „Bestehl diese Absicht nicht, so scheint unS, daß die Regierung auf jeden Rest von politischer Führung und von Autorität verzichtet, wenn sie eine zweimonatige gesetzgeberische Farce, wie sie gegenwärtig „für nichts und wieder nichts" bevorzusteben scheint, zuläßt. Die Regierung ist in der Lage, durch Besprechung mit den Parteiführern heS Ahgeordneten- nnd Herrenhauses festzustellen, ob etwas Andere- al» eine solche Farce zu erwarten ist; muß sie sich überzeugen, daß die parlamentarische Maschinerie zwei Monate im Leeren Vom Gemeßen der Alder. Bon Frrd. Avenariu». Nrckdriick Ver0»t»ii. In den Ruinen des griechischen Theaters von Taormina war». Oft schon hatte ich da gesessen, daS Auge auf dem blauen Meer, dem braun- und grüngoldigen Ufergelände, dem Aetnaschnee, vor Allem aber den rothen Trümmern im Vordergrund, die zeugten von einer herrlichen Zeit. Oft schon — aber doch jedes Mal mit stärkerem Genuß, und nun ich ganz allein hier saß, zum ersten Male doch, sckien mir-, milder rechten Inbrunst. Sprach heute nicht Alles? Stieg vor diesem alle» Menschliche überdauernden Hinter grund einer erhabenen Landschaft die althellenische Welt nicht wie mit feierlichen Grüßen au» den goldig leuchtenden Steinen auf? Da wurde» störende Stimmen laut. Und nun kam ein Haufe von Menschen in Reiseanzügen. Der Führer kletterte dahin, wo einst die Bühne gewesen, und schrie Er klärungen über die Leute au». Als er schwieg: zehn Minuten allgemeinen UmherschaurnS, Plaudern-, Blättern» im Bädecker, Ah- und Oh-RufenS, Lachens, Gähnens — und die Reise gesellschaft zoa weiter. Sie kannte ja nun da» Theater von Taormina. Lieber Gott, — sie kannte e«I Ich bin selten in einer unsrer modernen Kunstausstellungen, ohne daß mir da« klein« Erlebniß au« Sizilien durch« Gedächtniß huscht. Hätten die Reisenden damals nicht gar so viel haben wollen „für» Geld", hätten sie in der zugemessenen Zelt rin viertel so viel Erde durchlaufen, wie viel mehr wahren Genüsse« wäre ihnen geworden! Und sähen sich die Leute hier den zehnten Theil all der Bilder an, aber mit Rübe und Vertiefung, um wie viel innerlich reicher gingen sie nach HauS! Man kann sich ja einfach über sie lustig machen. Sieht man die Herrchen und Dämlein an der Unsumme von geistiger und sinnlicher Arbeit, die eine Wand guter Bilder bedeutet, mit rin paar „wie häßlich!" oder „wie nett!" vorbeischassiren, so macht- eben Mühe, ernst zu bleiben. Und eS kann auck Aerger, ja Empörung aufsteigen; wenn wir Meisterwerke an innerlicher Gediegenheit mit fünf Pfennigen au« dem mit gebrachten Portemonnaie voll Gott weiß wo geprägter Ur- theils-Scheidemünzen bezahlen sehen — das böse Wort vom „Schaupöbel" wird dann verzeihlich. Aber ganz znr Genüge begründet wäre weder da« Au-lachen noch der Aerger; die Leute meinen halt, sie müßten sich auf Bilder verstehen; jeder Mensch müßte das, wenn er nicht blind ist, zum mindesten gehör' eS zur Bildung, und so sei's eine Schande, sagen zu müssen: ich verstehe nichts davon. Wüßten sie, wie anders die Sachverständigen, also zunächst die Künstler selber darüber denken! „Wer war der Herr, dem Sie mich vorhin vorstellten?", fragte mich jüngst m der Ausstellung ein be kannter Maler, „da- muß ein ungewöhnlich feiner Kopf sein." „Woraus schließen Sie das?" „Er hat, so lange wir mit einander gingen, nur angesehen und nicht geurtheilt." Muß denn immer „geurtheilt" werden? Ist den» hie Kunstausstellung ein Gerichtssaal mit den Bildern al- hoch- nothpeinlich Angeklagten? Ein Bild de- Lebens ist sie, des bunten Leben», in dem e» auch so etwas wie „Kunst richter" giebt, in dem aber zu preise» sind sic, die blo» genießen dürfen. Gescheiter Leser du, der du auf da« Kunstrichtern so lange schon (ich zweifle nicht daran) ver zichtet hast — laß uns ein wenig über da« Kunst genießen plauder»! Du weißt ja, e« kann auf sehr verschiedene Art ge schehen. Da ist z. B. rin Bild, daS stellt eine unterbrochene Trauung dar! gerade im rechten Augenblick ist verschöne junge Mann noch zurückgekehrt, um seine beängstigend blasse Gesiebte vor dem Ja an den reichen alten Lebemann dort ru retten. Ja Vergangenheit und Zukunft spinnt sich ei» kleiner Roman von dem Bilde au-, dem sinnst du nach, und das freut dich. Die Aesthetiker, siehst du, nennen da stoffliche- Interesse: der Stoff ist«, der Gegenstand der Darstellung, durch den der Auge Maler deine Theilnahmr gefangen bat. Siehst du da- Bild länger an, kommen dir Vielleicht Bedenken. Sonderbar, meinst du, daß der Mann ganz genau ausgerechnet in diesem Momente kommt — hätte sich der Zug verspätet, wär» Unglück fertig. Und konnte die Dame wirklich nickt ohne ihn Nein sage»? Warum nickt? ES steigen dir allerhand Scrupel auf — läsest du die Geschichte diese» Liebespaare- in einer guten Novelle, so wäre da- nicht der Fall, denn da würde dir Alle- Hübsch begründet mitgetheilt: der Dichter kann seine Geschichten motwiren, der Maler kann- nicht. De-Halb wollen die Aesthetiker von „Novellen-" oder „Anekdoten- Maierei" nicht viel wissen; sie sagen: jede Kunst möge »ns geben, was keine andere Kunst ebenso gut geben kann, wie sie — Geschichten lassen sich aber besser mit der Feder er zählen als mit dem Pinsel. Wärst du lange mit dem Bilde zusammen, hinge es etwa in deinem Zimmer, so stimmtest du ihnen wohl bei: eS hätte dir bald nichts Neue- mehr zu sagen, eS langweilte dich. Halt — das setzte voraus, daß eS schlecht gemalt wäre. Denn wäre es gut gemalt, ei, so würden dich nun ändere Seiten daran interessire». Lassen wir die „unterbrochene Trauung" beiseit, nehmen wir an, c» handle sich um ein altniederländisches Familienbild. WaS ist uns Hekuba? — dieser würdevolle Mynheer mit seiner Myfrouw und beider Sprößlinge gehen un- eigentlich gar nichts an, also: stoff- lickeS Interesse ----- 0. Aber wie leben all diese Gesichter, was prägt sich Alles auf ihnen aus — ihre Beschäftigung, ihr Denken und Wollen, ihre ganze Zeit! Sehen wir ihnen erst genau ins Auge, so interessiren uns die unvorgestelllen Leute im höchsten Maße, weil sie vortrefflich charakteri- sirt sind. Und hier stehts anders, als bei dem Anekdoten- Interesse: dieses muß erlöschen, sobald wir die Geschickt« erst kennen, da- Interesse an malerischer Charakteristik aber erlischt überhaupt nur, wen» der Herr Maler «in Flachkops oder ein schlechter Könner war. Dann, ja dann langweilt auch er uns bald, den» wir durchschauen seine gemalten GristeSkinder schnell, oder aber, wir fühlen; der Maler konnte nicht genug, um Alles in» Bild zu lege», wa« er empfand. Haben wir aber ein Meisterwerk vor un-, so sprechen die Züge fort und fort, wie die Natur; immer Neues lesen wir auS den Menschenhäuptern heraus, aber mit den neuen Aufschlüssen auch immer ueue Räthsrl. Es ist eben Kunst, die ganz an ihrem Platze ist: di« tiefen Wunder deS MenschenangesichtS lassere sich spiegeln mit Pinsel und Stift, aber nicht beschreibe». Während beim Schildern einer Anekdote der Schriftsteller dem Maler voran geht, kann der Port, der ein Antlitz schildern will, nur wie auf Krücken dem Bfldnißmaler nachhinken. Wenden wir u»S einem anderen Bilde zu. E» sei rin« Landschaft, wie sie jetzt altmodisch sinh, eine Landschaft heroischer Art, nickt unmittelbar der Natur entnommen, sondern auf schöne Linien hin componirt: gerade, damit diese Linien recht zur Geltung kommen, ist die Farbe nur so eia wenig hingetuscht, als Nebensache und bloße Zuthat. Lehnen wir nicht von vornherein ab, wa- UNS der Künstler bietet, mit andere» Worten: wollen wir da- Bild genieße», so sind wir Tboren, wenn wirs auf seine Färb en hin ansehen: in seine Linien müssen wir uns versenken. Ein viertes Bild aber zeigt uns von Linien überhaupt so gut wie gar nichts, nur Flächen stehen pq, begrenze» sich hier, gehen dort in einander über, aber farbige Fläche». Da- Bild ist durchaus nur auf das Kolorit hi» gemalt — werde» wir ibm gerecht, wenn wir sagen: weg Hamit, eS hat keine schönen Linien? Zum mindeste» wären wir nickt klug, wen» wir so verführen, den» wir brächten u»S damit um de» Genuß, den es uns bieten kann. Da hätten wir also vier Arte» schon he« Bildergenuffes, aber damit noch fange nicht alle. Dieser Maler hier will dir zeige», wie wunderbar da» Licht quf nassen Dächern spielt — «s ist einfach ein Mißverständnis, wenn du glaubst, er verlange von dir, d» solltest Pie Dächer selbst „schön findens die er dir vorsübrt. Einen anderen hats entzückt, wie schier in die Unendlichkeit Pas Luftmeer sich über grüne Wiesen dehnte bis hin zum Horizonte, und den Eindruck dieser Unendlichkeit wollte ex durch sei» Bild auch im Be schauer erwecken. Aergerst d» dich Über di» falsch gezeichnete Kuh, die im Vordergrund weidet, so -leibt dein Blick an einer Nebensache bangen, und dir entgeht darüber der Genuß dieser herrlichen Ferne, oder er wird dir doch geschmälert. Wieder einem anderen Künstler kams darauf an, zu zeigen, mit Wie wenigen Striche» und Tupft» sich irgend ei» Gegen stand so auf der Leinewand andeuten laff«, daß au» gewisser F,r»e da- Aua« ihn deutlich erkennt — er isi vielleicht ein „Fex", der Mann, «in bloßer Virtuos, drsse» Hauptkunst IM Handgelenk sitzt — immerhin, etwa» hat auch er, um zu erfreuen, und da» siehst du nicht, wenn du an seiner Technik vorüberschaust. Ja, sagst d», aber «in Meisterwerk ist doch nur, was in jeder Hinsicht befriedigt, Verehrter Leser, da« habe« früher sogar Maler gepackt, und so wollte» sie z. B- vpm Raffael vi« Linien, vom T»zian di« Farben, vom Correggio das Licht nehme». Aber es kam bei pj«s«a „Eklektikern", riesen „Auslesern" niemals wa- Auserlesenes heraus, Denn Schön- I beit z. B. der Linien und der Farbe stehen unter ganz ver- I schiedenen Bedingungen, du kannst nicht die eine aufs Höchste I steigern, oho« die andere zu schmälern, du kommst, willst du
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