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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970603024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897060302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897060302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-03
- Monat1897-06
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Anzeigen-Prer- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pf-, Reelamen unter dem Redactlonsstrich (4g«» spalten) vor den Familieunachrichle» (6 gespalten) 40^4- Gröbere «Lchristen laut unserem Preis- Verzeichnib. Tabellarischer und Zisfernjax nach höherem Tarif. (fxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der, Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunzi 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Äunahmeschluß für Änzeigen: Abeud-Au-gabr: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von <k. Pol» in Leipzig. 28«. Donnerstag den 3. Juni 1897. A. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Juni. Am Tage nach dem HimmelfabrSfest wurde im Reichs tag eine Zusammenstellung der in zweiter Lesung gefaßten Beschlüsse de« Reichstag« über die Handwertervortage au«- gegeben. Daß auch diese» Schriftstück heute durch einen an anderer Stelle mitgetheilten Nachtrag in einem sehr wesent lichen Puncte berichtigt werden muß, sei hier nur beiläufig erwähnt, weil sich dadurch wiederum offenbart, mit welcher Eile die ganze Arbeit betrieben wurde. Au» diesem Grunde ist es zweckmäßig, daß der Reichstag die dritte Lesung nicht mehr vor Pfingsten unternahm, sondern sich selbst eine Frist setzte, damit die Mitglieder das Material erst im Einzelnen prüfen und den Werth deS ganzen OrganisationSplaneS nochmals in Betracht nehmen können. Eine Aenderung oder wenigstens eine Ergänzung wird jedenfalls zu den beiden Paragraphen zu beschließen sein, welche den Gesellenausschuß auch bei den Hand werkskammern einrichten wollen. Es ist die einzige grundlegende Aenderung am eigentlichen Organisations gedanken des Entwurfs, die von der Commission vorge schlagen und vom Reichstag bestätigt wurde. Mit welcher Gründlichkeit hierbei verfahren worden, mag daraus erhellen, daß der Commissionsbericht kaum eine Seite seines Textes dafür übrig hat und daß in der 2. Lesung im Plenum knapp drei Minuten Zeit zur Erledigung ausreichten. Bei näherem Zusehen wird sich jetzt wohl Jedem die Einsicht aufdrängen, daß die beschlossene Neuerung so nicht bestehen bleiben darf. Es soll hiernach ein Organ sür die Gesellen geschaffen werden, durch welches sie auch bei der Handwerkskammer in allen, die Interessen der Gesellen, sowie daS Lehrlings- und Prüfungswesen berührenden Angelegenheiten mitrathen und mitbeschließen können. Ob das in Form einer besonderen Organisation nothwendig ist, bleibe dahingestellt. Jedenfalls hat es die Commission bejaht und das Plenum des Reichstags hat sich dieser Entscheidung angeschlossen. Nach Ansicht einer Minderheit hätte aber die Wahrnehmung der Interessen der Gesellen ebenso wirksam geschehen können durch Anwendung anderer Vorschriften des Entwurfs. Die Kammer ist ja in allen hier in Betracht kommenden Fragen gehalten, sich mit den Innungen des Bezirks ins Benehmen zu setzen, und diese wieder sind gehalten, in allen Fragen des Gesellen-, Lehrlings-, PrüsungSwescnS u. s. w. ihren GesellenauSschuß gutachtlich zu hören. An dererseits steht der Kammer und deren Ausschüssen anheim, zur Berathung jeder Frage Sachverständige in unbe schränkter Zahl zuzuziehen. Indessen mag eS, von allerhand Vermehrung de« Schreibwerks abgesehen, ebenso angängig erscheinen, dafür den ständigen Gesellenausschuß wie bei jeder Innung, so auch bei der Kammer obligatorisch ein- zurichlen. Nur müssen dann die Bestimmungen, welche der Gesellenschaft ein solches Anrecht auf ständige Vertretung gewähren, sorgfältiger durchgearbeitet werden, als es bis jetzt geschehen ist. Der GesellenauSschuß bei der Kammer wird nach 103üü de» Entwurfs von den Gesellenaussrbüssen bei den Innungen deö Kammerbezirks gewählt. Bestehen Gewerbe vereine und andere das Handwerk fördernde Vereinigungen im Bezirk, die in der Kammer mit vertreten sind, so soll auch den Gesellen der in diesen Gewerbevereincn re. organisirten Handwerker eine Betheiligung an der Wahl zum Gesellen- auSschusse, bezw. eine Vertretung in demselben zugestanden werden. Unter der Voraussetzung, daß die Kammer selbst und die Behörden einen erträglichen WahlmoduS und einen ebensolchen Maßstab sür die Vertheilunz der Mandate auf Innung und Gewerbeverein finden, mag hiermit vielleicht daS Rechte getroffen sein. Aber das gilt dann lediglich für diejenigen Bezirke, in denen die LandeSregierungeine Handwerkskammer einrichlet, während voraussichtlich in Mittel- und Süddeutschland solche Kammern kaum entstehen werden. Vielmehr dürfte dort überall von dem Vorbehalt des § 103 o Gebrauch gemacht werden, wonach die Regierungen alle gesetzlichen Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kammer einfach auf schon bestehende HandelS- und Gewerbekammern übertragen können. In allen diesen Fallen würde, wie der Entwurf jetzt lautet, die Bildung des Gesellenausschusses für den weiteren Bezirk einer Kammer unterbleiben. Die Commission hat — vermuthlich doch aus bestimmten Gründen — davon abgesehen, auch jenen Gewerbe kammern die Organisation eines Gesellenausschusses vorzu schreiben, wiewohl dies im vorjährigen Entwürfe des Frhrn. v. Berlepsch gefordert war. Ein Zwang ist demnach reichs gesetzlich nicht geübt und die Statuten der Handels- und Ge werbekammern dürsten insgesammt von einem solchen Gesellen auSschuß nichts wissen, denselben also direct ausschließen. Es bedarf aber gewiß keiner näheren Ausführung darüber, daß solche Ungleichheiten in der gesetzlichen Begründung des An rechts auf Vertretung der Arbeitnehmer nur zum Schaden des friedlichen socialen Beisammenseins im Volke bestehen würden. An diesem nicht unwichtigen Puncte, der überdies unliebsame Erinnerungen an die „Mainlinie" wachruft, also auch politisch inS Gewicht fällt, muß in dritter Lesung jeden falls die Haft des Erledigens einmal unterbrochen und es muß — so oder so — gleiches Recht für alle Gesellen gewähr leistet werden. Die „Kölnische Zeitung" legt durch den Inhalt und die „Minister v. P. Recke und die Presse" lautende Ueberschrist einer längeren Betrachtung dem jüngsten Auftreten des preußischen Ministers deS Innern eine Bedeutung bei, die ihm unseres Erachtens nicht zukommt. Herr v. d. Recke, dem überhaupt an den homerischen Recken die Sprechweise am nachahmenSwerthesten zu sein scheint, hat bekanntlich gesagt, die Opposition der Presse gegen daS Vereinsgesetz habe auf die Regierung nicht den geringsten Eindruck gemacht, im Gegentheil hab« sich bei ihr, der Regierung, nur die Auf fassung befestigt, daß sie sich mit der Einbringung der Vorlage auf richtigem Wege befand; ein großer Theil der Presse habe nicht die eigentliche öffentliche Meinung wiedergegeben, sondern sie direct gefälscht. Zu dem großen Theile der Presse, der in Opposition gegen die Vorlage sich gestellt bat, gehören auch wir. Wir fühlen uns aber, abweichend von der „Köln. Ztg."und obwohl wir in Bezug auf dieZartheit der Epidermis mit dem rheinischen Blatte kaum einen Vergleich zu scheuen haben, nicht „be leidigt". Herr v. d. Recke hat sich bei der Vertretung „seiner" Vorlage im Zustande tödtlicher Verlegenheit befunden. Er hatte keine stichhaltigen Gründe sür die Vorschläge der Regierung und wußte den Gründen der parla mentarischen Gegnern nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen. In solchen Fällen haben schon größere Politiker eine „Diversion nach außen" versucht. Nützt es nichts, so macht man wenigstens damit dem Gemüthe Luft; giebt es doch kein niederdrllckendereS Gefühl, als im Kampfgewühl zu stehen, ohne hauen und stechen zu können. Herr v. d. Recke hat nach der Presse gestochen, sie aber — und das scheidet uns von der „Köln. Ztg." — nicht verletzt. Er hat auch die Be hauptung, die Zeitungen hätten die öffentliche Meinung gefälscht, nicht zu begründen versucht, etwa an der Hand von Stimmungsberichten, Versammlungsergebnissen, Petitionen und dergleichen. Diese Zurückhaltung nimmt den harten Worten den Stachel. Zudem glauben wir, daß Herr v. d. Recke das Gewicht des gebrauchten Ausdrucks gar nicht gekannt habe. Die Schätzung der Bedeutung von Worten ist eine subjective. Der Minister hat in derselben Sitzung, in der er die Presse beleidigt haben soll, sein großes Erstaunen darüber ausgedrückt, daß man nicht zufrieden mit der Verurtheilung sei, die er dem vom Landrath von Puttkamer in Stolp gegen den Verein Nord- Ost beobachteten Verfahren batte angedeihen lassen. Herr v. d. Necke war also gewiß überzeugt gewesen, eine Ver urtheilung ausgesprochen zu haben. Bis in die Reihen der conservatwen Rechten hinein hatte man das nicht herauS- gehört. Ueber Worte läßt sich also nicht unter allen Umständen rechten. Auch die Situation ist nicht dazu an- gethan, Herrn v. d. Recke anzuklagen. Von vielen Seiten wird aufmunternd auf den Bcsinarck und den Roon der ConflictSzeit hingewiesen, und haben nicht auch diese Staats männer harte Worte gegen die Presse gebraucht? Man muß nur gerecht sein. Man dürfte die Rohheiten gegen daS Deutsch- thum, mit denen sich in einem Pcster Theater magyarische Noblesse und Gesittung wieder einmal ein Denkmal gesetzt haben, ruhig zu dem Uebrigen legen, wenn nicht auch dies mal, wie leider regelmäßig bei solchen Vorgängen, ein Theil unserer Presse durch Beschönigen und Vertuschen das deutsche Nationalbewußtsein gegenüber dem Auslande bloßgestellt hätte. Die „Nationalztg." war sofort bei der Hand, sich aus „Budapest" telegraphiren zu lassen, die De monstrationen würden „dort allseitig tief bedauert", sämmt- liche Excedenten seien verhaftet worden und es befände sich unter denselben kein einziger ernst zu nehmender Mensch. DaS Wolff'sche Telegraphendureau ließ AchnlicheS telegraphiren. Nun haben sich am Dienstag bei einer Aufführung des „Egmont", die Scandalscenen erneuert, und sie hörten erst auf, bis an gezeigt wurde, baß keine deutsche Vorstellung mehr stattfinden werde, sondern am Mittwoch „Trilby" in ungarischer Sprache werde aufgeführt werden. E« waren unter den Excedenten außer Iourualisten und Studenten „viele Abgeordnete". Es dürften also wohl Tags vorher entgegen der eiligen Information der „Nationalzeitung" nicht sämmtlicke Scandalmacher verhaftet worden sein, denn die Abgeordneten und Journalisten sind ernst zu nehmen und Leute dieser Art waren jedenfalls die Anstifter. Der Abgeordnete Eötvös hat im Abgeordnetenhaus« auch nicht über die Beschimpfung des DeutschthumS interpellirt, sondern wegen der Processirung der Beschimpfenden. Daß der Minister die sofortige Be antwortung unterlassen hat, ist wohl damit zu erklären, daß er die elenden Vorgänge, wenn er sich überhaupt auf ihre Erörterung einlicß, aus Rücksichten des inter nationalen Anstandes hätte brandmarken müssen, im Hinblick auf den magyarischen Chauvinismus aber nicht zu brandmarken wagen durfte. Diese Vorsicht läßt sich auch aus der Haltung der Pester Zeitungen wohl verstehen, die keineswegs insgesammt, wie die „Nationalzeitung" und das Wolff'sche Bureau hatten glauben machen wollen, die „Kundgebungen" verurtheilt hatten, sondern wie die „Neue Fr. Presse" meldet, zumeist die Veranstalt er ber deutschen Vorstellung für den Scandal verantwort lich gemacht hatten. Und diejenigen, welche die wirklichen Schuldigen tadeln, thun dies vorzugsweise aus opportunistischen Gründen; sie meinen namentlich, man habe Wasser auf dieMühle Lueger'S gegossen. Ohne Zweifel ist das Magyarenthum im Lager der Scandalmacher gewesen. Daß der Tapferkeit ibr Lohn geworden, die magyarische „Trilby" über den deutschen „Egmont" gesiegt, kränkt uns nicht weiter, wir gönnen sogar der magyarischen Kunst diesen Triumph. Das bequeme Vorgehen des spanischen Ministerpräsidenten, zur Vermeidung weiterer Schwierigkeiten die Cortes zu schließen, ist von dem österreichischen Ministerpräsi denten in Bezug auf den ReichSrath nachgeahmt worden. Die Session des Reichsrathes, die Ende März begonnen hat und durch die Osterferien unterbrochen wurde, war kurz und unrühmlich. Es kam nicht einmal zu einer Feststellung der Adresse, die als Erwiderung auf die Thron rede abgefaßt werden sollte. Wohl aber kam es Tag für Tag zu unerquicklichen und stürmischen Debatten im Abgeordneten hause. An diesen unerfreulichen Zuständen ist vor allen Dingen die unglückselige Sprachenverordnung Schuld, da sie mit Recht die Deutschen aufs Höchste erbittert. Graf Badeni will nun, wie es heißt, die parlamentarische Sommerruhe dazu benutzen, mit den Deutschen zu ver handeln und einen Ausgleich zwischen ihnen und den Tschechen zu vermitteln. Der Plan des Grafen Badeni ist nicht übel. Eine vertrauliche Verhandlung ist nicht, wie eine Parlamentssitzung, dem Lichte der Oeffenllichkeit ausgesetzt, und ein Abgeordneter, der in öffentlicher Sitzung vielleicht davor zurückschreckt, die Sache seiner Volks genossen zu verrathen, läßt sich vielleicht vertraulich er folgreicher behandeln und sich dazu verleiten, dem Sirenen gesänge ministerieller Schmeichelei zu folgen. Es wäre leider nicht daS erste Mal, daß deutsch-österreichische Ab geordnete sich von der Regierung einsangen lassen. Daß die Verhandlungen mit den Tschechen keinen Erfolg haben werden, kann man wohl Voraussagen, denn die Tschechen sind viel zu siegesbewußt, um zur Nachgiebigkeit bereit zu sein. Nur wenn die Deutschen festhalten und sich nicht von der Regierung ködern lassen, können sie einen Erfolg erringen, oder vielmehr, da sie ja in die Defensive gedrängt sind, eine weitere Ver gewaltigung abwehren. Man wird der Tagung inr nächsten Herbst mit Spannung entgegensehen können. Die Schließung der Session anstatt ihrer Vertagung hat zur Folge, daß die Abgeordneten in der parlamenlslosen Zeit keine Immunität genießen und beim Wiederzusammentritt deS Hauses Prä sidium und Ausschüsse neugewählt werden müssen; auch macht sich eine neue Thronrede nöthig. An Auflösung und Neu wahlen war nicht gedacht worden. Da durch das griechische Rundschreiben, in welchem die von der Türket aufgestellten Friedensbedingungen kritisirt werden, die Meinung hervorgerufen werden mußte, Griechenland denke nicht daran, sich der Entscheidung der Mächte, die es erst angerufe», zu fügen, hat, wie aus London gemeldet wird, die griechische Regierung ein neues Rund- j chreiben versandt, in welchem ausgeführt wird, daß Griechen land, nachdem es seine Sache den Mächten anvertraut habe, bereit sei, sich ihrer Entscheidung zu unterwerfen. I Das früher« Rundschreiben wird mit der sehr durchsichtigen I Behauptung abgelhan, es habe nur die Mächte auf die übcr- ! triebene Höhe der türkischen Forderungen aufmerksam machen Zwei Frauen. 19j Roman von F. Marion-Trawford. Nachdruck verboten. „ES ist recht", fuhr er fort, „und ich werde «S thun, komme, waS da mag, .denn trotz Ihres gütigen Herzens und Ihrer liebevollen Worte würden Sie mir Ihre Tochter nicht geben. Aber selbst wenn Sie «S wollten, würde ich sie nicht nehmen. Sie sehen mich verwundert an, — ach, ,ch liebe sie zu sehr, daS ist der Grund zu meinem Ent schluß. Wenn ich sie weniger liebte, dann würde ich meine schöne Hilda meiner selbst willen nehmen und in ihrer Liebe die grauenvollen Schatten zu vergessen suchen, die sich über meine jüngeren Jahre breiteten. Ich könnte mit Hilda irgendwo in diesem einsamen Walde wohnen und an ihrer Seite meine trüben Erinnerungen begraben. Ja, wenn ich sie nicht so liebte, wie ich sie siebe, würde ich sie zur Frau nehmen und auch ihre Einwilligung zu gewinnen wissen, denn Sie sind gütig und liebevoll, wie sonst Niemand. Aber e« ist unmöglich. Sie würde sich erinnern und ich würde mich erinnern, wenn unsere Sohne erst herangewachsen sind und in die Welt rmtreten müssen, mit dem Brandmal unsere« Namens auf der Stirn. Sehen Sie auf Rex. Er ist mein bester Freund. Gestern erfuhr ich, daß er mein Vetter ist. Selbst er verbarg seine« Vater« Thaten unter einem gewöhnlichen, bedeutungslosen Namen. Wieviel mehr müßte ich mein Haupt verbergen! Nein, gehen Sie zu Hilda, sagen Sie ihr die Wahrheit, gestatten Sie mir, sie noch einmal zu sehen, und ick will Sie aus immer von mir befreien, wenn ich ihr Lebewohl gesagt habe. Sie sind ihre Mutter, und Sie allein können ihr Alle« sagen, Alle«, außer dem letzten Wort, und wenn ich da« gesprochen habe, werde ich mit Rex zusammen fortgehen und Sie werden nie wieder von mir hören." Greif war aufgestanden, um während de« Sprechen« da« Zimmer zu durchmessen. Jetzt trat er, die Arme ineinander geschlungen, vor die Baronin und sah ihr in die Augen, al« erwarte er ihre Antwort. Die Baronin senkte ihren Blick vor dem seinigen, be schämt über Da«, was sie gefühlt hatte, al- sie zu ihm kam. E« gab wenige bessere Frauen al« sie, wenige, deren Güte sich so klar in Thaten und Absichten bekundete, und dennoch war sie sich bewußt, mit Recht oder mit Unrecht, daß Greis sie an Großmuth überbot. Für sie hatten seine Worte etwas Heldenhaftes, und er selbst schien ihr in Würde und Kraft gewachsen. „Greif, Du bist ein Ehrenmann, und Du wirst mich ver stehen", sagte sie. „Als ich zu Dir kam, fühlte ich Alles so, wie Du eS nur auseinandergesetzt hast, ich fühlte es in der Nacht, ehe Du nach Hause kamst, und beabsichtigte, Dir zu sagen, waS Du mir jetzt sagtest, nicht heute, aber später und so schonend wie möglich. Es wäre mir sehr schwer geworden, denn Du bist mir theurer, al« Du ahnst." „ES wäre Ihre Pflicht gewesen und Sie würden nur richtig gehandelt haben", antwortete Greif ruhig. „Es wäre nicht recht gewesen, Greis", sagte die Baronin, ihre Hand auf seinen Arm legend. „Ich würde eS ge glaubt haben, denn ich kannte Dich nicht so, wie ich Dich letzt kenne. Du hast Alle« gethan, WaS ein Mann thun kann, mehr vielleicht, als je ein anderer Mann gethan haben würde. Ich that Dir in dem, was ich empfand, wie mit dem, wa« ich Dir zu sagen beabsichtigte, kein Unrecht, aber nimmermehr könnte ich Dir jetzt sagen, waS ich mir vorgesetzt hatte. Nimm Hilda und nenne Dich, wie Du willst; denn Du bist ihrer würdig, und Ihr werdet eS niemals bereuen." Greif kniete vor ihr nieder und küßte ihre Hände. „Du wirst e« thun", sagte sie, und ihre Augen standen voll Thränen. „Ich kann nicht", antwortete er in herzbrechendem Ton, stand auf, lehnte sich au den Kamin und stützte den Kopf auf das Gesims. Er kannte die Selbstlosigkeit und den opferfreudigen Edel- muth der Baronin, aber ihre Güte änderte nicht« an seiner Lage. Die Furcht, an Hilda ein Unrecht zu begehen, be herrschte noch immer sein Gemüth ausschließlich. „Nicht- wird mir erspart", seufzte er, „nicht einmal Ihre Großmuth!" ES wäre ihm um so leichter geworden, seiner Liebe zu Hilda zu entsagen, wenn ihre Mutter ihm mit ihrem beharrlichen Widerstande geholfen hätte. Und nun bot sie ihm an, wa« er nicht nehmen durfte, drängte sie ihm auf, wonach seine ganze Natur verlangte und wa« allein die Ehre gebot, zurückzuweisen. Ihre Stimme Nang wie die sanfte Musik der Versuchung. „Sage da« nicht, Greif", bat sie. „Bedenke, daß Du vollkommen unschuldig bist und daß Hilda Dich von ganzem Herzen und ganzer Seele liebt. Weshalb willst Du Dich zwingen, zu thun, WaS mich und sie unaussprechlich unglücklich machen würde? Endlich, Greif, ist es an Hilda und mir, die Entscheidung zu treffen. Du hast mir nichts verhehlt, ich weiß Alles, und wenn ich sage, daß Deine Güte und Dein Heldenmuth daS Andere überwiegt, solltest Du da nicht befriedigt sein? Und überdies, Du bist jung, Du weißt nicht, wie schnell die Well vergißt. Wer wird sich in zwanzig Jahren noch der traurigen Geschehnisse dieser Nacht erinnern? Die schlimmen Thaten wurden nicht einmal in einer Stadt begangen, und die sie verübten, hatten kaum irgend welche Bekanntschaften und vielleicht keinen Freund. Du selbst bist nicht alt genug, Viele zu kennen, und Ihr könnt hier wohnen, bis Eure Kinder erwachsen sind. Es scheint mir, daß ich sehr Unrecht hatte, auch nur einen Augenblick an eine Tren nung von Euch Beiden gedacht zu haben, und für meine thörichte Absicht muß ich Deine Verzeihung erbitten." So vertheidigte sie die Sache seines eigenen Herzens, während er mit sich selbst kämpfte und wünschte, er könnte sich gegen ihre überzeugende UeberredungSkunst die Ohren verstopfen. Ihm war das Grauenvolle der Lage gegen wärtiger al« ihr, und sie konnte seine Furcht nicht begreifen, Hilda dem Fluche zuzugesellen, der auf sein Hau» ge fallen war. „Ich kann nicht", sagte er fest. „Ueberlege eS Dir, Greif", antwortete sie. „Du darfst ihr Herz nicht brechen, um übertriebenen Bedenken der Ehre zu genügen." Mit leisen Schritten, erstaunt über sich selbst und gewiß, da« Beste gethan zu haben, entfernte sie sich. Zweiter Band 1. Capitel. Die Baronin von Wildenberg war zu gewissenhaft, um sich eine Rückschau dessen, wa« geschehen war, zu erlassen. Sie wußte, daß sie großmüthig, wenn auch vielleicht nicht weltklug gehandelt hatte, aber sie glaubte, daß in gewissen Fällen Güte besser ist al- Klugheit. Ein Punct in Greis'- Auseinandersetzungen war ihr besonders ausgefallen. Er nahm al« Gewißheit an, daß der alte Greifenstein Clara qetödtet hatte, während die Baronin geneigt war, da« Verbrechen Ricseneck allein zuzuschreiben. Anfang« verstand sie Greif'» Bereit- Willigkeit nicht, zu glauben, daß sein Vater das Verbrechen begangen hatte, aber je länger sie die ganze Angelegenheit überdachte, desto mehr kam sie zu der Ueberzeugung, daß für sie kein anderer Grund vorlag, den Einen eher als den Andern von der Sckuld frcizusprechen, als der Wunsck, um Greifs willen dessen Vater für unschuldig zu halten. Die gute Frau war sehr bestürzt, zu finden, daß ihre Wünsche mächtig genug gewesen waren, ihr Urtheil zu beeinflussen, und sie fühlte sich mehr und mehr von dem Verhalten befriedigt, da« sie Greif gegenüber beobachtet, nachdem sie mit ihm gesprochen batte. Sie sah jetzt ein, daß Greif für Hilda's Glück unerläßlich, und sie begriff, daß er deS Mädchens Werth war. In der Welt draußen würden sich boshafte Personen genug gefunden haben, zu argwöhnen, Greif wünsche nur mit guter Art von seiner Verlobung mit Hilda loszukommen, aber in der Baronin konnte rin solcher Verdacht nicht Raum gewinnen. Sie hatte in ihm nur den Helden gesehen, der bereit war, für Die, die er liebte, Alles zu opfern, und nach Frauenart fühlte sie sich unwiderstehlich gedrängt, ihn unverzüglich durch ein großmüthigeS Ver zichten auf jene Ueberzeugungen zu belohnen, die seine Beredtsamkcit schon erschüttert hatte. So vertrauensvoll und zuversichtlich war sie in ihrem schlichten Sinn, daß sie auch nicht einen Augenblick an die vollständig ver änderte Lage Greif'« dachte, ter unvermuthet sein eigener Herr, Besitzer eines großen Vermögens geworden war und vielleicht Neigungen hatte, die er bei Lebzeiten seines Vaters zu verbergen gezwungen war. Sie sah, daß Greif ehrenhaft war, und suchte keine boshafte Erklärung für seine Absichten. Im Gegentheil, je länger sie über seine Unter redung mit ihr nachdachte, desto mehr bewunderte sie ihn und, seltsamer Weise, desto mehr näherte sie sich seiner Ansicht über die Schuld seines Vater-. - Mit einer gewissen Verwunderung erinnerte sie sich, daß sie ihre Entscheidung in der Heirathsangelegenheit von der Kcnntniß der Strafbarkeit oder der Unschuld des alten Greifenstein abhängig gemacht, die sie durch Rex zu erlangen gehofft hatte. Sie fühlte sich ermüdet und entschloß sich endlich, ein wenig au»zuruhen; doch hielt sie eS sür ihre Pflicht, ehe sie sich zu Bette begab, Rex aufzusuchen, wenn auch nur, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Sie fand ihn noch immer lesend oder sich den Anschein gebend, als ob er bei dem gedämpften Licht einer Studir- lampe lese. Auf einem Seitentische standen einige Schüsseln mit Speisen. Seine ältere und zähere Natur zeigte sich darin, sagte sie sich; denn er selbst mußte den Befehl gegeben haben, sie ihm zu bringen. Sein Wesen stand in einem so merk-
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