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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970531024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897053102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897053102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-31
- Monat1897-05
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Die „Bundesgenossen" in dem Kampfe gegen die Regierungsvorlage bestätigen durch die Bekundung ihrer Unzufriedenheit mit den Nationalliberalen selbst, daß diese nickt ihres demokratischen und klerikaldemokratischen Geistes Kinder sind. Wenn Zwei dasselbe thun, ist es nicht dasselbe; die preußischen Nationalliberalen haben überdies, indem sie die Bestimmung über die Minderjährigen annahmen und überhaupt eine dritte Lesung ermöglichten, etwas wesent lich Anderes gethan als Centrum und Freisinn. Ihr Ver fahren verdient nicht nur deshalb Anerkennung, weil eS ein vernünftiges und ein nützliches Verbot auS dem schädlichen Gesetzentwürfe zur Conservirung herausbebt, sondern es ist auch allgemeinpolitisch richtig gewesen, denn cs zeigte sofort, wie die Geister der Gegner der Vorlage geschieden sind. Das klebrige thaten die Reden der national liberalen Abgeordneten, die grundsätzlich das Bedürfniß nach einer nachdrücklichen Bekämpfung der Umsturz bestrebungen anerkannten. Wenn aber die „Kreuzztg." dieses Auftreten belobt und meint, die Nationalliberalen müßten nun ihren bei der zweiten Lesung gesprochenen Worten gemäß in der beute beginnenden dritten Berathung den sreiconservativen «.Ausnahme-) Bestimmungen beitreten, wenn die Regierung diese Vorschläge zu den ihrigen mache, so entstellt daS conservative Blatt den Sinn der Auslassungen der Abgg. Schmieding und Sattler in hockst willkürlicher Weise. Wenn die preußische Regierung sich heute für das „kleine Socialistcngcsetz" erklären sollte, so würde dies nur als ein abermaliger Beweis ihrer Unsicherheit und Schwäche anzusehen sein. Zu einer so hochpolitischen und so tief einschneidenden Gesetzgebung muß, das haben die nationalliberalen Redner stark betont, die Regierung die Initiative ergreifen. Daö ist nicht geschehen. Vielmehr hat die Regierung, nachdem sie ihre eigenen Vorschläge in der Commission in Abwesenheit deö Ministers des Innern hatte fallen lassen, in zweiter Lesung eine Stellungnahme zu den sreiconservativen Anträgen unterlassen. Wenn sie sich etwa vom Freitag bis Montag besonnen haben sollte, daß man das Ding, da cs einmal offerirt sei, ja mitnehmen könnte, so würde ihr ganzes Verhalten zeigen, daß sie erst nach der Einbringung jener Anträge über die Tragweite derselben nachzudenken begonnen habe. Mit, richtiger: im Beisein einer solchen Re gierung macht man kein Socialistengesetz. 1878 wurde die Sache ein klein wenig anders «»gefaßt. In der „Kreuzzeitung" selbst wird bittere Klage darüber^ geführt, daß bei der zweiten Lesung weder der Ministerpräsident, noch der Justizminister, noch außer Herrn v. d. Recke irgend ein anderer Minister anwesend gewesen sei. Diese „Verödung der Ministerbank", beißt es weiter, gebe den ohnehin schon cursirenden Gerüchten von einer beginnenden Zersetzung im Staatsministerium neue Nahrung. „Beginnende Zersetzung" ist gut. Wir brauchen nicht zu wiederholen, daß ein Gesetz wie das von Montag den den Freiconservativen vorgrschlagene auch unter jeder andern Regierung nur für das Reich, niemals für einen Einzelstaat gemacht werden könne und dürfe. Es ist aber nickt überflüssig, in diesem Betracht auf eine schwere Veruntreuung hinzuweisen, der sich ein Theil der konservativen Presse dadurch schuldig macht, daß er zwar die Billigung deS Inhalts der Zedlitz'schen Vorschläge durch die „Hamb. Nachr." ihren Lesern mittheilt, aber daS, was das Organ des Fürsten Bismarck über eine particulare Gesetzgebung auf diesem Gebiete seinem ersten klrtheile hinzu gefügt hat, unterschlägt. Es nennt sie einfach „unzu lässig" und „unmöglich". Die „National-Zeitung" begeht heute — nachhinkend — die umgekehrte Veruntreuung. Das sollte der „Kreuzzeitung", deren Partei ja selbst vor der Beantragung eines preußischen Ausnahmegesetzes zurück geschreckt ist, genügen. Ebenso könnte daS Blatt an der parlamentarischen und publicistischen Opposition der National liberalen gegen die Regierungsvorlage genug haben und brauchte kein Gewicht daraus zu legen, daß im Lande nicht mehr „loS" ist. Man war eben im Lande von Anfang an des nationalliberalen Widerspruches sicher, und da dieser zum Verwerfen der schlimmen Vorlage ausreicht, was bei der Zedlitz'schen Schulvorlage bekanntlich nicht der Fall war, jo hatte eine gemäßigte Partei, die auS einem Fehler der Regierung kein parteipolitisches Capital schlagen wollte, keinen Anlaß, mehr zu thun, als durch ihre provinzialen und localen Organe der parlamentarischen Vertretung die Zu stimmung zu ihrem Verhalten auszudrücken. Durch Volks versammlungen hätten die preußischen Conservativen für die Vorlage wirken lassen sollen. Sie theilen sich ja, da ihnen die Berliner Leitung deS Bundes der Landwirthe und ibr Stab zur Verfügung stehen, mit der Sccialdemokratie in die gewandtesten und ungenirtesten Agi tatoren, die Deutschland besitzt, und sie sind auch nicht grund sätzliche Gegner einer „Bewegung". Bei der Berathung des Bürgerlichen Gesetzbuchs war in ihren Reihen eine solche gegen die Civilehe in Erwägung gezogen worden. Man nahm aber Abstand, vermutblich ans denselben Gründen, die der conservativen Partei in Preußen auch jetzt wieder die Beschränkung auf die parlamentarische Action — die Partei- publicistik versagt diesmal vieler Orlen — hat räthlich erscheinen lassen. Wir haben schon wiederholt die Ansicht ausgesprochen, daö vordringliche und dünkelhafte Wesen des Herrn von Ttumm bilde eine die Sache der bestehenden Staats und Gesellschaftsordnung compromittirende Erscheinung. Wir brauchen deshalb auf eine im preußischen Herrenhause in voriger Woche von ihm gehaltene Rede, in der sich die Natur dieses vermeintlichen Politikers wieder einmal offenbarte, trotz deS Umstandes, daß bei dieser Gelegenheit die Leipziger Uni versität mit erwähnt wurde, nicht näher einzugeben. Hier in Leipzig sollen nach einer von Herrn von Stumm ent worfenen Schilderung in Bezug auf die nationalökonomischen Lehrstühle geradezu himmelschreiende Zustände herrschen. Zum Neunkirchener Himmel mögen diese Zustände schreien, der Leipziger und, wie wir binzusetzen dürfen, der Dresdner sind durch sie noch nicht belästigt worden. In wissenschaft lichen Dingen ist Herr v. Stumm nicht ernst zu nehmen, da er den Gebrauch von Gründen gemeiniglich verschmäht und sich mit Behauptungen begnügt, die nickt selten in daS Gewand der persönlichen Beleidigung sich kleiden. Das 31. Mai 1897. schließt nickt aus, daß seine unausgesetzten Angriffe gegen Andersdenkende — und er denkt anders als alle Anderen — im politischen Kampfe den bewußt und unbewußt auf das Bestehende anstürmenden Parteien und Personen zu Statten kommen. Auck die „Nationalztg." findet jetzt, Herr v. Stumm sei ein „gefährlicher Vorkämpfer" lieber den socialdcmokralischcn kooperativ - Unterneh mungen schwebt ein Unstern. Dem belgiscken Vooruit ist, wie gemeldet, sein umfangreiches Waarenhaus sammt Inhalt niedergebrannt und der Mißwirtschaft, welche daS Unter nehmen ckarakterisirt, wird dadurch zu Gunsten der schmählich ausgebeuteten Arbeiter deS „Musterbetriebes" schwerlich ge steuert werden; im Gegentheil, sie dürften es noch schlechter bekommen, als sie es gerichtsnotorisch schon haben. Nicht besser geht es in der bekannten Arbeiterglashütte von Albi zn, die gründlich Fiasko gemacht hat. Am 30. December vorigen Jahres eröffnet, gerieth das in pomphaftester Weise als der Beginn einer neuen Aera des genossenschaftlichen Fabrikbetriebes ausposaunte Unternehmen schon sehr bald in derartige finanzielle Bedrängnisse, daß es für mehrere Monate mit den Arbeitslöhnen rückständig wurde und zuletzt den Genossen eine derart monströse Fabrikordnung auferlegte, daß, wer es nur irgend konnte, dem vermeintlichen Arbeiter-Eldorado, das sich im Handumdrehen in ein Arbeiter- Bagno umgewandelt batte, den Rücken kehrte, wobei die AuS- scheidenden in einem öffentlichen Anscklag erklärten, sie müßten so handeln, wenn sie nicht mit Weib und Kind vor Hunger „krepiren" (!) wollen. Die Schuld an dem Zusammenbruch deö Unternehmens wird von den Leuten ganz und gar den „Genossen" zur Last gelegt, die sich von vornherein der Leitung bemächtigten und Jeden, der nickt blindlings ihrer Tyrannei gehorsamte, als „verdächtig" denun- cirten und ihm den Stuhl vor die Thür setzten. Wie die Herren Directions- und VerwaltungsratbSmitglieder wirth- schasteten, erhellt auS der Thatsache, daß das Erösfnungs- capital von 5tX OOO Frcs. gänzl.ck ausgegeben ist, Schulden auf Schulden gehäuft sind, die Fabrik noch nicht fertig gestellt ist und die Arbeiterfrauen zum Betteln genöthigt sind, indeß die geschäftsführenden Genossen diese ganzen Monate hindurch wie die großen Herren lebten und sich nichts abgcbcn ließen. Das verlegene Schweigen der gesammten social demokratischen Hetzpresse gegenüber den in vollster Oeffentlick- keit erhobenen schweren Beschuldigungen legt, wie die „Post" bemerkt, in seiner Art vollwichtiges Zeugniß für die Wahr heit der laut gewordenen Anklagen ab. „Darf" der deutsche Kaiser nach Paris kommen? lieber diese heikle Frage hat bekanntlich der „Gaulois" eine so genannte Enguete veranstaltet. Sie ist ausgefallen, wie man vorauSsehen konnte, und wir haben bereits einige despectirliche Aeußerungen chauvinistischer Blätter gegen unseren Kaiser erwähnt. Es ist nicht ohne Belang, die Liste der ablehnenden Voten zu ergänzen. Ter jocialistische Teputirte Gsrault-Richard erklärt, er werde in der ersten Reihe stehen, um den Enkel des Besiegers von Frankreich auszupsrisen. Ter jocialistische TeputirteBiviani sagt, die französischen Soeialisten müßten schon deshalb gegen den deutschen Kaiser manisrstiren,weil er fortwährend dic deutschenSociallsten bedrohe und verfolge. Abbb Lemire fordert die Vermeidung des 91. Jahrgang. kaiserlichen Besuches, weil derselbe vielleicht einen Krieg entfesseln würde. Leveills, Professor der Pariser Universität und bekannter Rechtsgelehrter, versichert, als Franzose könne er nicht» vergessen; der Bestich sei nach der einstimmigen Ansicht aller UrtheilSfähigen unmöglich. Der Akademiker Meziöres verlangt, Deutschland solle vorher den Elsaß-Lothringcrn das Recht zugestehen, ihre Nationalität frei zu wählen. Ter Anarchist Malato meint, wenn die Polizei auch iu der Straße die Ordnung aufrecht hielte, könnte sie die Pariser doch nicht verhindern, von den Fenstern aus dem Besucher einen üblen Empfang zu bereiten. Rochefort ver spricht, er würde durch den „Intransigeant" dreimalhundert- tausend Arbeiter zum Zorn entflammen. Millevoye erkennt dem deutschen Kaiser ausgezeichnete Eigenschaften zu und wünscht sogar, die französische Politik möchte nach so hohen Gesichts- puncten geleitet werden wie die deutsche, erklärt aber den Besuch des Kaisers für möglich nur nach der Rückgabe Elsaß. Lothringens. Selbst die maßvollsten Persönlichkeiten antworteten in diesem Sinne. Francis Charmes, der im Auswärtigen Amte arbeitet und Redacteur des „Journal desDöbats" ist, spricht die Neber- zeugung auS, daß die Gründe, auS denen Wilhelm 11. bis jetzt nicht nach Paris gekommen sei, auch über drei Jahre bei der Welt» ausstelluug fortbesleheu werden, da sie in französischen Erinnerungen bestehen, deren Lebhaftigkeit nicht abnehme. Nichts wäre so unpassend, wie ein solcher Besuch. Der frühere Justiz» Minister DemSle trägt sich mit schweren Befürchtungen: „Das wäre schlimm! Ich würde es beklagen! Man müßte Vorkehrungen treffen, die vielleicht fruchtlos blieben. Unsere Niederlagen sind noch zu frisch. Aergerliche Geschichte. Am Ende könnte aber vielleicht unsere Diplomatie Vorbeugen." Ter confer- vative Teputirte Denis Cochin, der „die ganze Exal tation des Kriegsjahres bewahrt hat, sieht, trotz der seit jener Zeit eingetretenen allgemeinen Beschwichtigung der Gemüther, eine riesige Bolkserregung voraus, falls vor der Kaiserreise die Elsaß.Lothringer Frage nicht geregelt wäre". General du Barail denkt sofort an den Krieg, der aus dem Kaiserbesuche entstehen würde. Er wünscht daher, daß die sranzösische Diplomatie Einspruch erhebe. Bezeichnender Weise bemerkt er, daß die fran zösische Armee gegenwärtig nicht zur kühnen Offensive eingerichtet sei und daß man günstigere Zeitläufte abwarten müsse. Die einzige vernünftige Stimme kommt im „Eclaire" zu Gehör. Alphonse Humbert bespricht die Enguete und drückt sein Erstaunen darüber ans, daß man dis Frage erörtere, ob der Kaiser kommen könne und dürfe, während man dock gar nickt wisse, ob er überhaupt kommen wolle. Humbert glaubt nicht, daß der Kaiser eine Reise nack Paris beabsichtige; wollte man diese Absicht annehnien, so müßte man entweder glauben, der Kaiser sei zur Rückgabe Elsaß-Lothringens entschlossen, woran er offenbar nickt im Entferntesten denke, oder man müßte vermutben, daß er den Krieg wolle, obwohl doch alle seine bisherigen Acte beweisen, daß er den Krieg nicht wolle. Jedenfalls ist eS, dieses Gefühl bat man in vernünftigen französischen Kreisen ebenso wie in Deutschland, der Liebenswürdigkeiten von unserer Seite nun genug und übergenug. Sie erzielen stets das Gegentheil von dem, was sie bezwecken. Küble Zurückhaltung deutscherseits ist jedenfalls geigneter, erzieherisch auf die Franzosen zu wirken, als fortgesetzte Liebenswürdig keiten, die sie nur stets brutaler machen. Als Antwort aus die dreiste Aeußerung des griechischen Ministerpräsidenten Nalli, es falle Griechenland nickt ein, zur Erleichterung der Durchführung des Ausgleichs programms der Großmächte beizutragen, kann es angesehen werden, daß die Türkei sich entschlossen zeigt, die kriegerischen ! Actionen sofort wieder zu beginnen, wenn zweifellos fest» I gestellt ist, daß es den Athener Politikern nur um eine Ver- FeiriHetsn» Zwei Frauen. 16j Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck verboten. Greif's Augen blitzten und daS heiße Blut stieg ihm ins Gesicht. Die Mittheilung war überraschend genug, und sein Haß gegen den Onkel konnte zn Unannehmlichkeiten führen. „Wie konnten Sie eS wagen, mich in solcher Weise zu hintergehen?" rief er erregt. „Zu mir spricht nie jemand von wagen", antwortete Rex scheinbar ganz unbewegt. „Ich wage die meisten Dinge, weil ick nichts zu verlieren habe, als ein wenig Geld, meinen guten Namen Rex und mein Leben. Ich habe weder Sie noch einen Anderen dadurch hintergangen, daß ich mich , nicht Rieseneck nannte. Mein Vater nennt sich Rex und kein Mensch kennt mich unter einem anderen Namen." » „Aber Sie hätten mir sagen müssen —" „Zweifellos, und da« habe ich gethan. ES ist wahr, ich wählte meine eigene Zeit dafür und gestattete mir das Ver gnügen, Sie kennen zu lernen, ehe ich Ihnen meine Identität offenbarte. Sie würden sich geweigert haben, mit mir in Verkehr zu treten, wenn Sie gewußt hätten, wer ick bin. Sie sind der einzige Verwandte, den ich in der Welt habe, und ich verlangte nichts von Ihnen, noch werde ich eS jemals thun. Ich erfuhr, daß Sie hier studirten und kam nur nach Schwarzburg, um Ihnen zu begegnen, ließ mir in dem Hör- faal, in dem wir zusammentrafen, Ihren gewöhnlichen Platz bezeichnen und setzte mich neben Sie, um ihre Bekanntschaft zu machen. Jetzt habe ich Ihnen alles gesagt. Es steht Ihnen frei, mich hinfort zn kennen oder nicht zu kennen. Ich habe Ihnen keinerlei Kränkung zugefügt. Leben Sie wohl. Ich wünsche Ihnen viel Glück." Bei diesen Worten nahm Rex seinen Hut und, sich leicht verneigend, schritt er der Thür zu. Seine steinernen Augen waren nickt auf Greif gerichtet, der in ihnen einen seltsam schmerzlichen Ausdruck entteckt haben würde. Greif schwankte zwischen seiner aufrichtigen Freundschaft für Rex und seinen, Grauen vor Dem, der so nahe mit Rieseneck ver wandt war. Es war schwer, so unvorbereitet daS Rechte zu wählen, und die plötzliche Enthüllung hatte ihn au« dem Gleichgewicht gebracht, aber seine natürliche Großmuth in Verbindung mit der unerklärlichen Anziehung, die Rex auf ihn übte, überwand alle anderen Bedenken. „Rex!" rief er, als der Freund schon zur Thür hinaus geschritten war. Rex blieb auf der Schwelle stehen und wendete den Kopf so, daß er Greif sehen konnte. „Bleiben Sie!" sagte er fast unwillkürlich. „Wir können uns nicht in dieser Weise von einander trennen." „Wenn es überhaupt geschehen muß, ist eS besser, daß eS gleich geschehe", antwortete Rex, den Thürgriff in der Hand haltend. „Es muß nicht geschehen", erwiderte Greif in ent schiedenem Ton. „Ueberlegen Sie sich die Sache reiflich", entgegnete Rex, „ich will gern warten. Ich täuschte Sie einmal, es ist deshalb nur billig, daß ich mich jetzt Ihrer Entscheidung unterwerfe." Er schloß die Thür, ging zum Fenster und Greif den Rücken kehrend, sah er in die Dämmerung hinaus. Noch unter dem Druck derselben großmüthigen Regung, die Greif bewogen hatte, den Freund zurückzuhalten, näherte er sich ihm und legte ihm die Hand aus die Schulter. „Rex, eS hängt von Ihnen ab", sagte er. „Wenn Sie wollen, wirden wir für immer Freunde sein." „Ich?" rief Rex, sich umwendend. „Ob ich will? Von ganzem Herzen. Ick wünsche nichts lebhafter." „Gut, so sei eS denn!" antwortete Greif, seines Vetters Hand nehmend. „So sei eS!" wiederholte Rex. „Und jetzt sage mir, weshalb Du diesen Augenblick wähltest, mir Dein Geheimniß mitzutheilen?" „Auch dafür habe ich einen Grund, und keinen angenehmen. Möchtest Du ibn wissen?" „Ich kann ihn hören." „Diese Nacht wird mein Vater unter Deines Vaters Dache schlafen. Noch vor Morgen wirst Du die Nachricht hören. Sobald der Tag anbricht, verlasse ich die Stadt, um mit ihm in der Schweiz zusammenzutreffen. Die Amnestie ist ihm verweigert worden, aber man wird ihm gestatten, sich nngebindert wieder zu entfernen. Ich darf ihn nicht länger allein lassen." „So ist daS die Gefahr, die Du mir voraussagtest?" ffagte Greif. „Ja." „Was wird beute Nacht in Greifenstein geschehen?" „Wie kann ich das sagen! Es mag eine zornige Be gegnung werden, es mag noch Schlimmeres geben, oder Deines Vaters Herz mag sich zur Milde geneigt fühlen —" „Du kennst ihn nicht. So hat der Onkel Dir ge schrieben ?" „Sein Brief wurde mir übergeben, ehe ick hierher kam. Du siebst, eS war besser, daß wir diese Erklärung jetzt hatten, als damit bis morgen zu warten." „Ja, es war besser. Gehen wir, eS ist die höchste Zeit. Ich bin für Festlichkeiten heute nicht recht aufgelegt, und wünschte, ich wäre zu Hause." „Wünsche daS nicht, Dn könntest an den Dingen nicht« ändern." Greif löschte die Lampe aus und die beiden Männer tasteten sich schweigend die Treppe hinunter. Beide sühlten, daß eine außerordentlich schwierige Lage leicht und schnell überwunden, Beide erkannten, daß die erforderliche Erklärung in einer Weise überbastet worden, die nur darauf zurück» zuführen war, daß Einer deS Anderen Freundschaft nicht zu verlieren wünschte. Und dennoch wußten Beide, Greif wie Rex, daß ihre Entscheidung eine endgiltige gewesen war. Der Eine hatte nicht» mehr zu verbergen, dem Andern blieb nichts mehr zu verzeihen. Rex glaubte wie Rieseneck selbst, daß seine Mutter längst gestorben war, Greif hatte wie alle Uebrigen keine Kenntniß von seiner eigenen Mutter Identität. Söhne einer Mutter, gingen sie Seite an Seite zum Hause hinaus, ohne sick träumen zn lassen, daß sie einander mehr waren als Vettern, deren Väter Halbbrüder waren. Sie erreichten nach wenigen Minuten die dunkle Ge- bäudemasse der Universität und befanden sich in einer dickten Menge Studenten aller Farben, umgeben von einer Sckaar anderer, die keiner Verbindung ««gehörten. Hier trennten sie sich von einander, denn Rex konnte sich nicht in das CorpS der Schwaben einreihen, sondern mußte mit den Schwarzmützen geben. „Wir treffen im Saale wieder zusammen", sagte Greif hastig. „Dein Platz ist an unserem Tisch wie gewöhnlich." Greif trat zu seinen Gefährten, die um ihre hohe Fahne versammelt waren, auf deren Farben einige Strahlen der Straßenlaternen unruhig auf- und niedertanzten. Alle plauderten, rauchten, stampften mit den Füßen, um sich gegen die Kälte zu wehren, und tauschten gute und schlechte Witze aus Die Münsteruhr schlug die siebente Stunde. Dir klaren scharfen Stimmen der Senioren, die das Ausstellen des ZugeS ordneten, übertönten das Summen der Menge. Plötzlich flackerte ein Licht an einem Puncte der dunklen Masse aus, dem scknell noch eines und noch eines folgte, bis viele hundert Fackeln ausflammten, Funken umhersprübten und Lichtzungen und qualmender Rauch in die schwarze Lust aufstiegen. Wieder ein Wort des Befehls und der gleich mäßige Ton sich vorwärts bewegender Schritte wurde hörbar, anfangs nur wie daS Niederrasfeln schwerer Regen tropfen auf Steine, aber nach und nach anschwellend, bis das Getöse das Ecko der in rothe Gluth getauchten Ge bäude erweckte, während die zischenden Peckfackeln Heller und Heller ausloderten und sich in ein breites Feuermeer er gossen, das sich zu einem schmalen Strom zusammendrängle, als die Schaar den Platz verließ, um in die nächüe Straße einzubiegrn. Ein eisiger Windhauch fegte über den jetzt verödeten Raum, verspätete Nachzügler liefen, die Vor ausschreitenden einzuholen. In der Ferne, an der Spitze des sich langsam und feierlich fortbewegenden Zuges, stimmte die Musik einen Marsch an. Die letzten Fackeln tauckten in der engen Straße unter und der weite Platz, der vor Kurzen, noch so belebt war, blieb ganz vereinsamt zurück, nur von einem Dutzend matter Gasflammen erleuchtet, statt der düsteren Gluth, die wenige Augenblicke zuvor jedes HauS vom Eckstein bi» zu dem spitzen Giebel erbeut batte. Allen voran marschirten die Schwaben, umflattert von ihrer prächtigen Fahne, der zweite Chargirte mit gezogenem Rapier und rasselnder Scheide zur Linken, zur Reckten Greif als Senior, eine höbe, gebieterische Gestalt, von dem Fackellickt hinter ihm grell beleucktet. Sein Gesicht war bleich und seine Zäbnc fest auseinandcrgepreßt, denn währenc er den Zug anfübrte, hatte er Zeit, über daS, was in der letzten Stunde geschehen war, nachzudenken. Gern würde er alles im Stick gelassen haben und nach Hause geeilt sein, uni sick zur Abreise mit dem Nachtzuge zn rüsten. Wenige Stunden würden ibn in die Heimath gekrackt haben, um die Wabr beit zu erfahren, sei sie gut oder böse. Aber da« war eine Unmöglichkeit. Auf ihn waren an diesem Abend die Blicke Aller gerichtet, er war der am meisten Bewunderte, der am meisten Beneidete. Es war der letzte Fackelzua, an dem er sick betbeiligte, daS letzte Mal, daß er einen CommerS prä- fitiren sollte, der letzte Tropfen deS glänzenden studentischen Leben-, daS er so sehr liebte. Morgen würde an seiner Stelle ein anderer Senior gewählt werden und er in die Reihe der Philister eintrelen. Der Gedanke entzündete
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