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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960214024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896021402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896021402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-14
- Monat1896-02
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Größere Schriften laut unserem Prei-- verzeichnib. Tabellarischer und Zissernsah nach höherem Tarif. Vrtra-Vella,en (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeiörderunz 00.—, mit Pvstbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Für die Montag-Morgen-Ausgabr: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expebitiou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SV. Jahrgang. Freitag den 14. Februar 1896. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. Februar. In der gestrigen Sitzung des Reichstags bat das deutsche Auswärtige Amt die hohe Genugtbuuug erlebt, wegen seines Verhaltens in der Transvaal-Angelegenheit von den Rednern aller Parteien Kundgebungen der Zustimmung und des Ver trauens entgegennebmen zu können. Mischten sich auch in die demokratischen und socialdemokratischen Erklärungen die üblichen Vorbehalte in Bezug auf Dinge, die mit der Transvaal- Angelegenheit entweder in gar keinem oder doch nur in lockerem Zusammenhänge stehen, so wird dadurch der Ein druck der Tbalsache nicht abgeschwächt, daß die gesammte deutsche Volksvertretung die von dem Auswärtigen Amte in jener Angelegenheit beobachtete Haltung als eine ebenso umsichtige und entschlossene, wie streng auf die Rechte Deutschlands sich beschränkende anerkennt und billigt. In der überaus fein pointirten und sorgfältig erwogenen Rede, in welcher der Staatssecretair das schon vorher dem Reichstage übermittelte Weißbuch commentirte und unsere Beziehungen zu England charak- terisirte, fehlt anscheinend ein Hinweis, auf das englische Blaubuch, das fast gleichzeitig mit jenem Weißbuch erschienen ist und nichts weniger als vortheilhaft von diesem sich unter scheidet. Es läßt, indem es mit der Thatsache des Jameson'schen Einbruches beginnt, vollständig im Unklaren über die Stellung, welche die englische Regierung gegenüber der Agitation der „Uitlanders", die offenbar im Geheimbunde mit der „Chartared Company" und ihrem streitbaren Helden Iameson eingenommen hat, und sucht den Eindruck hervorzurufen, als drohe immer noch die Einmischung einer anderen Macht (Deutschlands) in die Angelegen heit der Transvaal-Republik, um daran in decidirtester Weise die Erklärung zu knüpfen, „daß England keine Aenderung in seinen Beziehungen zur Transvaal-Republik dulden werde." Mit diesem Blaubuche tritt, wenigstens anscheinend, die englische Re gierung aus ihrer bisher beobachteten formell correcten Haltung heraus und macht sich einer Schüruug des englischen Chauvi nismus schuldig. Man hatte daher im Lande erwartet, daß Herr v. Marschall wenigstens mit einigen Worten direct auf das englische Blaubuch Hinweisen werde. Warum das nicht geschehen ist, läßt sich indeß aus einem Passus der Rede er kennen, der eine indirecte Kritik des Blaubuches enthält und der nach dem Berichte der „Köln. Ztg." folgendermaßen lautet: „Aus dem Weißbuch haben Sie entnommen, was wir ver handelt haben. Man pflegt solchen Publikationen den Borwurf zu machen, daß sie sich über das, was bereits bekannt ist, in größter Breite ergehen, dagegen die eigentlich interessanten Dinge verschweigen. Ich will nicht sagen, daß dieser Vor wurf iin Allgemeinen unbegründet sei (Heiterkeit), ich kann Sie nur amtlich versichern, daß er in diesem Falle nicht zutrifft, und daß das Weißbuch, das Ihnen vorliegt, vollständig die Verhandlungen enthält, die wir insbesondere mit der englischen Regierung gehabt haben. (Hört, hört!) Es mag ja Manchem wunderbar erscheinen, daß eine Angelegenheit, die zu so lebhafter Erregung und zu so lebhaftem Streite, man kann sagen, in der ganzen Welt geführt hat, einen so geringen Niederschlag von amtlichen Documenten geschaffen hat (Heiter keit), und trotzdem ist es richtig. Wir haben mit der englischen Regie rung nichts Anderes verhandelt; wir haben es wohlweislich unter las j e n, a k a d e m i s ch e F r a g e n mit dem Londoner Eabinet zu erörtern. (Sehr gut!) Wir haben insbesondere die Frage nicht discutirt, die ja sür Juristen außerordentlich interessant sein mag, wie eine Beschränkung der Souzeränität der Südafrikanischen Republik, die ja zweifellos der Artikel 4 der erwähnten Convention enthalte, im Einzelnen wirke und wie sie juristisch zu subsummiren sei. Akademische Fragen unter Regierungen zu erörtern, ist nicht üblich und nicht nützlich. Somit kann ich die Anfrage des Vorredners, fowelt sie sich um das Verhältniß von Regierung zu Regierung handelt, Lahm beantworten, daß unsere Beziehungen mit der eng- lischen Negierung keinen Augenblick aufgehort haben, gute, normale und freundliche zu lein. (Hört, hört!) Ich weiß freilich, daß heutzutage die Beziehungen der Regierungen nicht durchaus maßgebend sind für diejenigen der Völker, und Niemand wird in Abrede stellen können, Latz m England aus Anlaß der jüngsten Vorgänge eine hochgradige Er regung gegen Deutschland Platz gegriffen hat, die in Wort, Schn» und Bild einen sehr scharfen Ausdruck findet. Ich unterlasse Len aussichtslosen Versuch, gegen Stimmungen mit Argumenden zu kämpfen: ich will mich auch hüten, ein Wort zu sprechen, das Oel inS Feuer gießen könnte." Der Reichstag hat jedenfalls den Eindruck gehabt, daß dieser Passus eine indirecte Kritik des lückenhaften und tendenziösen englischen Blaubuches enthalte, und zugleich die Gründe bezeichne, aus denen eine directe Kritik unterlassen wird. Der Staatssecretair nimmt offenbar an, daß dieses Actenstück lediglich eine Concession an die im englischen Volke herrschende Stimmung bedeuten könne, ohne zugleich ein absichtliches Heraustreten aus der bisher beobachteten correcten Haltung bedeuten zu müssen. Um nicht „Oel ins Feuer zu gießen", erörtert er die Frage nicht weiter, beschränkt sich auf die Feststellung der Thatsache, „daß unsere Beziehungen mit der englischen Ne gierung keinen Augenblick ausgehörl haben, gute, normale und freundliche zu sein", und erklärt endlich, wir würden auch weiter die Freiheit für uns beanspruchen, „daß wir offenkundiges Unrecht, weiches unser Interesse bedroht, als solches bezeichnen, und Laß wir unserer Genugthuung darüber, daß das Unrecht unterlegen und Recht doch Recht geblieben ist, in der Form Ausdruck geben, wie es dem Empfinden der ganzen Nation entspricht." Damit ist auch das englische Blaubuch abgethan. Mag englischer Chauvinismus reden, was er will, und mag die englische Negierung diesem Chauvinismus papierene Zugeständ nisse machen, so viel sie für nöthig hält: das deutsche Auswärtige Amt wird reden und handeln, wie sein Recht und seine Pflicht es von ihm erheischen. Wir haben am Mittwoch auf die Umtriebe der „braun schweigischen Rechtspartei" hingewiesen und insbesondere dargethan, daß sie sich von der ausgesprochenen reichsfeind lichen „deutschen Rechtspartei" durch nichts als den Namen unterscheidet. Wie berechtigt dieses an den Bericht über einen in Braunschweig abgehaltenen Parteitag der „Rechts partei" geknüpfte Unheil gewesen, geht aus dem jetzt vor liegenden Wortlaut der dort gefaßten Beschlüße mit be sonderer Klarheit hervor. Sie lauten im Wesentlichen: „Wir streben dahin, daß: 1) der Herzog Ernst August von Cum berland und zu Braunschweig-Lüneburg mcht länger an der Aus übung der Regierung im Herzoglhum behindert werde, da diese Behinderung das Rechtsgefühl des braunschweigischen wie des deut schen Volkes verletzt und dem monarchischen Gedanken tiefe Wunden schlägt; 2) dem Rechte im Allgemeinen wieder mehr Gel tung verschafft werde und deshalb nicht nur im privaten, sondern auch im ganze» öffentlichen Leben und vor Allem in der Politik als oberste Richtschnur diene; 3) die aus dem Volke heraus entstandene braunschweigische Rechtspartei ist eine politische Partei auf Grund der Reichs- und Landesverfassung; sie erkennt in der Vertheidigung des aus Gottes Gesetz und Ordnung begründeten Rechts einen wichtigen Theil ihres Princips und verwirft alle Revo lution von unten wie von oben." Das ist ganz die Sprache der sogenannten deutschen Rechtspartei, die den Deutschen Bund und in ihm den Ein fluß Oesterreichs wiederherstellen und um des „Rechts" willen auck einen nach dem Fürstenrecht nicht regierungsfähigen Abkömmling des letzten Kurfürsten von Hessen auf den Thron setzen möchte, nur um Preußen zu verkleinern. Wer die „Versöhnung" mit dieser Richtung anräth, begeht Verrath an Deutschland, Preußen und Braunschweig. Dem französischen Senat ist sein Streich gegen das Ministerium Bourgeois mißglückt. Wie wir schon mit- theilten, ist die Angelegenheit des Justizministers Ricard gestern in der Kammer zu einer von diesem selbst bestellten Interpellation von radikaler Seite gemacht worden, welche deni Ministerium ein Vertrauensvotum mit erdrückender Majorität einbrachte. Wir lheilen den Schluß der Kammer verhandlung im Folgenden in ausführlicherer Fassung mit. Darlon wirst dem Justizminister vor, er habe den ersten Unter- suchungsrichter ersetzt, weil derselbe sich nicht als Werkzeug für politische Ränke hergeben wollte. (Läim auf der äußersten Linken.) Der Justizminister widerspricht lebhaft und fügt hinzu, er habe gemäß der vom Cabinet übernommenen Verpflichtung eine weitere Untersuchung eingeleitet. (Beifall.) Hierauf wird die Debatte geschlossen. Das Centrum verlangt die einfache Tagesordnung. Ministerpräsident Bourgeois verlangt da- gegen eine Tagesordnung, in welcher dem Ministerium das Ver trauen der Kammer ausgesprochen wird. Bourgeois erklärt, die Regierung wolle Klarheit, und legt Verwahrung ein gegen die Beschuldigungen, welche im Senate g gen den Ches der Justiz mit einiger Leichtfertigkeit erhoben worden seien. Bourgeois fügt hinzu, die Regierung sei nicht fähig, das Recht zu Gunsten der Politik zu beugen. Wenn Sie glauben, daß die Regie rung den ihr von Ihnen gegebenen Auftrag gelreulich erfüllt, so werden Sie derselben Ihr Vertrauen auch weiter erhalten; die Gerichte werden sortfahren, ihre Thätigkeit unabhängig auszuüben, und die Regierung wird die Untersuchung beschleunigen, ohne ihr Reformprogramm zu vergessen. (Beifall) Hieraus wird, wie gemeldet, die einfache Tagesordnung mit 34l gegen 222 Stimmen abgelehnt, die Minister werden lebhaft beglückwünscht, und es ertönen Rufe, die sich gegen den Senat richten. Dann wird eine von der Regierung genehmigte Tagesordnung Sarien mit 326 gegen 43 Stimmen angenommen. In dieser Tages ordnung wird das Vertrauen zu dem festen Wollen der Regierung ausgedrückt, volles Licht in der Südbahn-Angelegenheit zu schaffen, alle Verantwortlichkeiten festzuslellen und die versprochenen Reformen durchzusühren. Die Annahme dieser Tagesordnung wurde von lang anhaltendem Beifalle begrüßt. Die Sitzung wurde hierauf aufgihoben. Das ravicale Ministerium bat also gesiegt, glänzend ge siegt, aber es fragt sich doch, ob es dieses Sieges sich lange freuen wird. Der Angriff des Senats war schwach und un geschickt, denn die Herren hätten sich sagen müssen, daß die Deputirtcnkammer eS sich sehr überlegen würde, den Justiz minister odpr gar das ganze Cabinet über eine juristische Formver letzung fallen zu lassen, von der nicht nachgewiesen war, daß sie aus egoistischen Beweggründen begangen worden sei, um das Prestige des „ReinigungS"-Ministerinms zu heben, zumal da diese Formverletzung eben dem im Interesse des Staates und der Gesellschaft liegenden Reinigungsverfahren zugute kam, das sie ja nur beschleunigen sollte. Setzte die Deputirtenkammer an diesem Puncte gegen das Ministerium ein, so mußte sie dem Land gegenüber in den Verdacht kommen, daß sie dem Reinigungs- proceß Hemmnisse in den Weg legen wollte, um compromittirte Politiker vor dem Untersuchungsrichter zu retten. Das konnte wohl der Senat, nicht aber die Deputirlenkammer den Wählern gegenüber riskiren. Ganz anders freilich würden die Dinge liegen, wenn die Gemäßigten den Erpressungs brief des jetzigen Uuterrichtsministers Combes zum Aus gangspunkt ihres Sturmlaufes gegen das Ministerium nähmen, in dem Herr Combes bekanntlich noch, bevor er Minister wurde, von dem Director der Staatsbahnen für sich und einige Parteigenossen Verwaltungsstellen verlangt bat. Die Echtheit des Briefes ist bisher nicht bestritten worden. Vorläufig aber ist eine Interpellation über den selben nicht angekündigt und die Radikalen suchen so rasch wie möglich Capital anS der Niederlage des Senats zu schlagen, um diese ihnen so verhaßte Institution endlich ein mal los zu werden. Wir erhalten darüber folgende Meldung: * Paris, 14. Februar. (Telegramm.) Die Blätter stellen einstiniinig fest, daß das gestrige Votum der Deputirten kammer den Ernst des Conflicts mit dem Senat merklich betone. Die Radikalen und Socialisten verlangen vom Cabinet, es solle von der Kammer eine Reform der Verfassung fordern, unter dem Gesichtspunkte, denSenat abzuschaffen. Die Conservativen sind der Ansicht, das Cabinet könne nicht mit der Kammer allein regieren, und sehen keinen anderen Ausweg, als die Auslösung derselben. So stünde denn, wenn die erhitzten Geister sich nicht wieder beruhigen, Frankreich am Vorabend von Berfassnngs- conflicten ernstester Art. In ihrer Transvaal-Politik bat die englische Regierung abermals einen schweren Mißerfolg zu verzeichnen. Wir hatten, seil die Bankeltreden der englischen Minister den Schleier, welchen die officiellen Kundgebungen deS Cabinels über die wahren Absichten desselben gebreitet, in Lankenswcrtber Weise gelüftet, keinen Augenblick gezweifelt und es auch wiederholt ausgesprochen, daß auch das officielle England den Versuch, in Transvaal alleinbestimmenden Einfluß zu erlangen, nicht ausgegeben habe und denselben in allen Formen wiederholen werde, nur eben geschickter, als Iameson und die Charteret: Company es gemacht. In letzterer Annahme haben wir uns allerdings getäuscht, wie wir gern cingestehen. Man erinnert sich, daß vor acht Tagen die amtliche „London Gazette" eine Depesche des Staatssecretairs für die Colonien, Chamberlain, an den Gouverneur der Capcolonie, Robin son, veröffentlicht hat, in welcher gesagt war, England halte sich, wenn cs auch nur die Controle über die auswärtigen Beziehungen der Südafrikanischen Republik habe, doch für berechtigt, auch in den inneren Angelegenheiten der selben frenndschaftlichd Rathschläge zu ertbeilen. Chamberlain spricht dann in verächtlicher Weise über die in der Abnahme begriffene, nur Ackerbau treibende Beeren minorität, welcher die „gänzlich rechtlose" Majorität der fast allein die Gewerbtbäligkeit in Händen habenden Uitlanders gegenüberstehe, beklagt sich über die Wortbrüchig leit „hoher Personen" (gemeint ist natürlich Präsident Krüger), welche oft das Versprechen gegeben, den Beschwerden der Uitlanders abzuhelsen, dieses Versprechen aber nie gehalten hätten, und präcisirt schließlich, von anderen — Dreistigkeiten gegen Krüger und die Transvaalregierung abgesehen, seine „freundschaftlichen Natbschläge" dahin, Krüger solle nicht nur die Uitlanders in die Polizeitruppe einsteUen, also den Bock zum Gärtner machen, sondern auch dem Rand lokale Selbstverwaltung, das Recht der Steuererhebung und der eigenen Gerichtsbarkeit verleihen, also einen Staat im Staate grünten lassen. Zur besseren Verständigung möge Krüger so bald als möglich nach London kommen. Die Ver öffentlichung dieser Depesche noch vor der amtlichen Bekannt gabe ihres Inhalts an Präsident Krüger hat natürlich in Transvaal, selbst bis weit in die Kreise der Uitlanders hinein, böses Blut gemacht, und die letzteren, die wir schon einmal gegen den Verdacht der Con- Feuilleton. Verlassen und verkannt. Erzählung von Wladimir Korolenko. Uebers. v. Ad. Garbell. Nachdruck verboten. D. S. G. „Mister Niemann, werden Sie nicht glücklicher sein?" fragte wieder der Richter. Ein Deutscher einer nahe gelegenen Farm, von beinahe eben solch hohem Wuchs und riesenhafter Constitution wie der Losischzaner, trat aus der Menge, stellte sich vor denselben nnd klopfte ihm, in Folge einer unwider stehlichen Sympathie für den Mann, zutraulich auf die Schulter . . . „Sprechen Sie deutsch?" Matwei nickte ihm nur mit dem Kopf zu, ohne daß das Gespräch seinen Anfang nahm. „Möchte nicht noch Jemand der Justiz helfen?" fragte darauf Dickenson, aus der Fassung gerathend. Da trat eine Frau von ungefähr vierzig Jahren, mittleren Wuchses, mit blauen, glanzlosen Augen, aus der Menge. Neben Matwei stehen bleibend, begann sie sich an etwas zu erinnern. In der Gerichtsstube herrschte tiefes Schweigen. Die Frau sah auf den Losischzaner, der seinerseits in die trüben, glanzlosen Augen gespannt blickte, indem etwas wie eine Erinnerung in ihm aufstieg. Sie war die Tochter eines polnischen Emigranten. Ihre Mutter war früh gestorben, ihr Vater irgendwo in Californien verkommen und sie selbst von Amerikanern auferzogen worden. Jetzt regten sich auch in ihrem Kopfe dunkle Erinnerungen. Sie hatte ihre Mnttersprache schon längst vergessen, aber in ihrem Gedächtnisse tauchten noch hier und da Worte eines LiedeS auf, mit dem ihre Mutter sie in früher Kindheit erfreut. Plötzlich erglänzten ihre Augen, sie hob die Hände über den Kopf, schnalzte mit den Fingern und begann so eigenthümlich, wie eine sprechende Maschine, auf Polnisch zu singen . . . „Unsere Mut—ter . . » ist wie ein Rebhuhn . . . Sie liebt die Kind—er zu schla—gen . . ." Matwei zuckte zusammen, stürzte zu ihr und begann schnell und erregt zu sprechen. Die Laute der slawischen Sprache erweckten plötzlich die Hoffnung auf Rettung in ihm, daß man ihn endlich begreifen und sich endlich rin Ausweg finden würde. Aber der Glanz in den Augen der Frau war schon wieder erloschen, sie hörte Matwei an, ohne ein Wort zu verstehen. Darauf machte sie vor dem Richter eine Verbeugung, sprach etwas auf Englisch und verließ das Zimmer. Sic hatte gesagt, daß ihrer Meinung nach der Mann ein Pole oder Russe sei und daß sie einen solchen in der Säge mühle wisse und herschicken wolle. Matwei aber hatte sie nicht verstanden. Er rannte ihr nach, ihr etwas zurufend, wobei Wuth nnd Verzweiflung in ihm kämpften, aber der Farmer und Kally vertraten ibm den Weg. Vielleicht fürchteten sie, daß er diese Frau beißen könne, so wie er versucht hatte, den Policeman zu beißen . . . Da griff Matwei nach der Seitenlehne der Bank und wankte. Seine Augen waren weit geöffnet, wie die eines Mannes, der eine furchtbare Erscheinung vor sich siebt. Und wirklich batte er, hungrig, gequält und erschüttert, im Wachen eine Vision. Ihm erschien es ganz deutlich, daß er sich auf dem Schiffe befinde, an der Spitze des HintertbeileS stehe nnd ins Wasser falle. Anstatt des Richters Dickenson, des Poli zisten Kally und all' der Menschen in der Gerichtsstube, sah er deutlich, wie die Wellen, große, kalte, schäumende Wellen, endlos dahin wogten. Sie erheben sich, zertheilen sich und drücken ihn nach unten .. . Vergeblich sucht er emporrutaucben, zu rufen, etwas zu ergreifen, sich daran an der Oberfläche festzuhalten; aber ein Etwas zieht ihn nach unten. In seinen Ohren klingt's und vor seinen Angen breitet sich der unendliche, schreckliche und geheimnißvolle Abgrund aus. Sein Untergang ist da . . . Und plötzlich neigt sich ein menschliches Gesicht mit blauen, erloschenen Augen zu ihm ... Er schöpft neuen LebenSmuth, Hoffnung zieht in sein Herz und er wartet auf die rettende Hand . . . Aber die Augen sind trübe und das Gesicht ist bleich . . . Es ist das Gesicht eines Todten, der schon vorher ertrunken . . . Dieses ganze Bild stand nur einen Augenblick vor seinen Augen, aber so deutlich, daß sein Herz von Entsetzen ergriffen wurde und er tief aufseufzenb nach seinem Kopse griff . . . „O Herr, Du mein Gott, heilige Jungfrau, helft einem unglücklichen Menschen, mir scheint, daß eS in meinem Kopfe nicht ganz richtig ist . . ." Matwei rieb sich mit der geballten Faust die Augen und begann wieder, Rettung suchend, sich umzuseben. Um diese Zeit erklärte der Policeman John dem Richter Dickenson, unter welchen Umständen sich die Absichten des Un bekannten offenbarten. Er erzählte, daß er, als er an ihn hcrantrat, seine Hand so nahm (John nahm die Hand des Richters) und sich dabei so beugte . . . Und John zeigte seine weißen Zähne, um es anschaulich zu machen . . . Diese Erklärung brachte einen großen Ein druck auf das Publicum, auf den großen Mann aber einen noch größeren hervor. Diese Sprache war ibm verständlich. Als er Kally's Gebabren sah, begriff er auf einmal Vieles. So z. B., weshalb ihm Kally seine Hand so jäb entzogen und er im Centralpark einen Schlag erhalten hatte . . . Und ein so bitteres, gekränktes Gefühl stieg in ihm auf, daß er Alles um sich her vergaß. „Es ist nicht wahr", rief er mit Riesenstimme, „glauben Sie ibm nicht, diesem elenden Menschen . . ." Und empört bis in die Tiefe seiner Seele über diese Ver leumdung, stürzte er an den Tisch, um dem Richter zu zeigen, was er mit Kally's Hand machen mollte. Richter Dickenson sprang entsetzt von seinem Platz und trat dabei auf seinen Hut. Der Farmer, Kally und noch einige Andere warfen sich von hinten auf den Losischzaner, damit er den Richter, den die Stadt Daybletown gewählt hatte, nicht beiße. In der Gerichts stube entstand eine Erregung, die in den städtischen Annalen einzig war. Die der Thür Nächststehenden stürzten zum Ausgang, drängten sich und fielen hin, nährend im Innern der Stube etwas Unbegreifliches, Fürchterliches vorging. Der gequälte, hungrige, gekränkte, bis zum Wahnsinn ge brachte Losischzaner schleuderte die Amerikaner, die ihn packten, weit von sich und nur der kräftige Deutsche hielt ihn noch von hinten am Arm fest, sich mit den Beinen stemmend . . . Matwei aber riß sich nach vorn mit blutig unterlaufenen Augen und fühlte, daß er in der Thal seinen Verstand verliere, daß er in der That sich auf diese Leute werfen, sie beißen und schlagen könnte . . . Es läßt sich nicht Voraussagen, waS noch weiter geschehen wäre, wenn nicht in diesem Augenblick der brünette Mann aus der Sägemühle, der gestern mit im Zuge gefahren, in die Gerichtsstube getreten wäre. Er drängte sich zu Matwei, stellte sich vor ihn bin und fragte ihn mit Tbeilnahme auf Russisch: „Eh, eh LandSmann, WaS haben Sie da loSgelassen?" Bei den ersten Lauten dieser Stimme machte der Louich zaner eine Anstrengung und kam sofort frei. Wic ein Er trinkender haschte er nach der Hand des Neuangekommenen und begann sie zu küssen, zu küssen und zu weinen wie ein Kind . , , Nack einer Viertelstunde begann sich die Gerichtsstube des Mister Dickenson wieder mit den Einwohnern ter Stadt Daybletown zu füllen. Man erfuhr, daß sich die Absicht des Unbekannten auf die zufriedenstellendste Weise aufgeklärt hätte. In der Person des russischen Gentleman, der in der Säge mühle arbeitete, hatte er einen Landsmann und Anwalt ge funden, dem es nicht besondere Mühe kostete, die Anklage niederzuschlagen. Mister Dickenson erhielt vollständig zufriedenstellende Ant worten auf die Frage: „Vour uams, vour nation" und auf alle anderen, die sich aus den Umständen der Angelegenheit ergaben. Stolz über den vollen Erfolg, mit dem er seine administrative Taktik gekrönt sah, vergaß er großmütbig die Beschädigung seines neuen Hutes. Und nachdem er seine officiellen Be ziehungen zu dem Losischzaner beendet, streckte er dem Ange klagten seine Hand entgegen und sprach ihm dabei die Ueber- zeugung ans, daß das seinem Verstände die größte Ehre mache, daß seine Wahl von allen Städten des Bundes gerade auf Daybletown fiel . . - Zum Schluß stellte er an Matwei noch eine Frage privater Natur: „Uov cko zou lilce tkiz couutrv, 8ir'?"*) „Er will wissen, wic Ihnen Amerika gefällt", übersetzte Matwei's Landsmann. „Vor drei Tagen noch habe ich gewünscht, daß dieses Land die Erde verschlinge." „WaS bat dieser Gentleman über unser Land gesagt?" frug mit Interesse der Richter Dickenson, auch bei den klebrigen eben ein solches wackrufend. „Er sagt, daß er noch Zeit baben muß, um all' die guten Eigenschaften des Landes kennen und schätzen zu lernen, Sir", übersetzte ziemlich frei der Rusie-Amerikaner. ..Vorv rvoll". war die Antwort, eines Richters Dickenson vollständig würdig. XXXVI. Am anderen Morgen erschien die Zeitung der Stadt Day bletown in einem größeren Formate. Auf der ersten Seite befand» sich das Portrait des Mister Mathern, deS neuen Bewohners der prächtigen Stadt, und im 4.ext, der mit einer genügenden Anzahl reclamehafter Latel versehen war, wandte sich der Redakteur an das übrige Amerika im Allgemeinen und die Stadt New-Bork im Besonderen. „Von nun ab", schrieb er, „kann die «tadt Daybletown Wie gefällt Ihnen diese» Land, mein Herr?
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