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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970621012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-21
- Monat1897-06
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Die Morgen-Ausgabe erscheint »m '/«? Uhr. die Abend-AuSgabe Wochentag» um b Uhr. Ne-aclion und Erve-itio«: -ohanneSgafse 8. Di« Expedition ist Wochentag» uuuuterbroche» grössnrt von früh 8 di» Abend» 7 Uhr. Filialen: ktto -lemm'S Lortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis LSfche. Aatharlnrnstr. r-1, pari, und VSnigSplatz 7 Bezugs-Preis Al der HauPt«xpeLitioa odir den üu Et«dU be»irk und den Bororten errichteten AuS- oabestellen ab geholt: vierteljährlich 4^0. dri zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» L.S0. Durch di« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestShrlich 6,—. Directe tägliche Kreujbaadirudung in» Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. MpMcr TagMM Anzeiger. MtsviaLt des Äönigkichen Land- und Ämtsgenchtes Leipzig, des Nalhes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 31«. —-W«—n-sss————SS- Montag den 21. Juni 1897. Anzeigerr-PreiS die 6 gespaltene Petitzril» SO Pfg. Reclamen unter dem Rrdaction-strich (4am spalten) bO/ij, vor den Familtrnnachrichk* (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzetchniß. Tabellarischer und tztffernsatz nach höherem Laris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrderuag >l SO—, mit Postbesürderuug ^ll 70.—. ^nnahmeschluß für ^«zeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je et« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von <k. Pol» f» Leipzig. 91. Jahrgang. Städtebilder aus Sachsen. Nachdruck verboten. Aretberg. k Die Entwickelung der Bergstadt Freiberg, der „alten, getreuen", ist mit der Entwickelung unseres engeren Vater landes auf das Innigste verknüpft. Daher ist die Geschichte dieser Stadt reich an Erinnerungen, die zur Nachahmung auffordern und die Zeugniß geben von echter und rechter Unterthanentreue, aber auch von selbstbewußtem Bürgersinn, emsiger Thatkraft, weitblickender Umsicht, regem geistigen Leben und Streben und einem gesunden geschäftlichen Fort schritte, der im Wechsel der Tage die Bürgschaft bietet, daß Freiberg ein hellglänzender Edelstein unter den Städten unsere« theuren Vaterlandes in alle Zukunft bleiben wird. Die Gründung der Stadt war eine Folge der Ent deckung der reichen Silberadern, die in der nächsten Um gebung Freibergs noch heute anzutreffen sind. Die Sage erzäblt, daß Fuhrleute aus Goslar am Harz, als sie Salz von Halle nach Böhmen brachten, zuerst die zu Tage liegenden Silbererze gefunden haben. Die Sage gewinnt an Wahr scheinlichkeit, wenn man ins Auge faßt, daß bereits in einer Urkunde des Markgrafen Heinrich des Erlauchten vom Jahre 124 l die Stadt als „Sächsstadt" (das ist Sachsenstadt) be zeichnet wird. In welchem Jahre die Stadt gegründet ward, läßt sich heute nicht mehr feststellen; urkundlich wird Freiberg, die Stadt auf dem „freien Berg" (daS heißt, wo Schürfen und Abbau der Mineralien vom Landesherrn gegen Regal- und Grundabgabe freigestellt war), deren neu erstandenen Bau Markgraf Otto der Reiche 1175 am Tage Jacobi feierlich geweiht haben soll, zum ersten Male im Jahre 1218 genannt; 1221 erscheint die Stadt bereits als Sitz eines landesherrlichen Vogtes. Auch der Beginn des SilberbaueS ist bis heute nicht mit Sicherheit ermittelt; ver- muthlich fällt er in die Zeit zwischen 1162 und 1170; urkundlich wirb er um 1185 erwähnt. Zur raschen und mächtigen Entwickelung der jungen Stadt, die in sächsischen Landen zum Ausgangspunct des mittelalterlichen Städtewcsens überhaupt wurde, trug ihre günstige Lage wesentlich bei. Um Freiberg her bildet das Land eine weite, flache, kesselartige Vertiefung und zwar in einer Ausdehnung, wie sie nicht allzuhäufig im sächsischen Berglande angetroffen wird. Auch in klimatischer Beziehung ist die Lage Freibergs eine günstige, da ziemlich hohe Wellen kämme, von Norden nach Süden sich erstreckend, die rauhen Ostwinde abhalten; in gesundheitlicher Beziehung ist es für Freiberg ein Vortheil, daß es auf gesundem festen Erdreiche und nicht auf Sumpf- oder Moorboden steht. Bei allen diesen Vorzügen der Lage der jungen Stadt blieb es für sie unbestritten von größter Bedeutung, daß die allernächste Umgebung reiche Silberschätze barg, die noch dazu anfänglich mit geringer Mühe zu gewinnen waren; der Berg mann brauchte weder tiefe Schächte abzuteufen, noch durch mühevolle Stollnanlagen für Abzug der Grubenwässer be sorgt zu sein. Alle diese glücklichen Umstände trugen dazu bei, Freiberg zu einer rasch aufblühenden Stadt zu gestalten, die schon im ersten Jahrhundert ihres Bestehens sicherlich die volkreichste und stattlichste der Mark Meißen war; bereits um 1225 bestanden in Freiberg fünf prächtige Pfarrkirchen und ein Hospital. Von dem reichen Gewinne, den der Bergbau brachte, gehörte dem Landesfürsten ein gewisser Theil, der Zehnte, in älterer Zeit auch „des Herrn (das ist des Fürsten) Recht" genannt; von in Privalbesitz befindlichen Hüttenwerken ward der Hüttenzins erhoben. Das wichtigste Recht des LandeS- sürsten bestand in der alleinigen Ausübung des Silberankauss und des Münzrechts, in der alleinigen Berechtigung, das Silber in umlaufsfähigen Zustand (Münzen) zu versetzen. Das alte Bergrecht fast diesen Rechtszustand kurz in dem Satze zusammen: „<1u8 Silber gehört zu murrens cru küibsrg". Daß die silber- und volkreiche, immer mehr aufblühende Stadt die Begehrlichkeit benachbarter Fürsten wachnef, darf nicht verwundern. Wiederholt kam Freiberg in unmittelbar kaiserlichen Besitz; das erste Mal 1195 durch Heinrich VI. Drei Jahre später gewann Markgraf Dietrich der Bedrängte mit Hilfe der ihm treu gebliebenen Freiberger die Stadt zurück. Die sächsischen Fürsten bedachten ihre getreue Stadt mit mancherlei Vorrechten und Freiheiten. Besonders war eS Heinrich der Erlauchte (1221—1288), dem Freiberg manches Vorrecht verdankte. Das Urkundenbuch der Stadt Freiberg (von Archivrath Or. Hubert Ermifck in Dresden edirl) giebt hiervon vielfach Kunde. Dazu gehören die käufliche Ueber- lassung der Weinpfennige an die Stadt, Befreiung aller ab- unb eingehenden Maaren Freiberger Sladtbürger von jeder Abgabe im ganzen Lande, Ucbertragung der gejammten Gerichtsbarkeit m der Stadt und auf dem Gebirge an den Vogt, an die Vierundzwanzig und die Bürger zu Freiberg, Gestattung eines vierzehntägigen Jahr marktes, Bestätigung des Bierzwanges, nach welchem daS ganze fündige (bergbautreibende) Gebirge das Bier und alle anderen Lebensmittel nur allein von Freiberg entnehmen durfte, und andere Privilegien. Auch in den Zeiten der Noth standen die Fürsten den Freibergern treulich bei. Als 1375 und 1386 große Feuersbrünste die Stadt verheerten, verzichteten die Landesherren auf ihre eigenen Vorrechte und gewährten den Bedrängten überdies reichliche Unterstützung. Während der 67 jährigen väterlichen Regierung des Mark grafen Heinrich des Erlauchten entwickelte sich die Stadl ungemein rasch und gelangte in allen Landen zu großem Ruhme. 1297 bemächtigte sich Kaiser Adolf von Nassau Freibergs. Nach dessen Tode belehnte Kaiser Albrecht von Oesterreich seinen Parteigänger Wenzel von Böhmen mit der Markgraf- schafl Meißen. Dieser verpfändete Freiberg an Brandenburg und erst 1307 gelangte Markgraf Friedrich der Freidige mit Hilfe seiner treuen Freiberger wieder in Besitz der Stabt; seine drei Söhne nahmen sie 1343 in gemeinsamen Besitz. In den Hussitenkriegen ergriffen die Freiberger Partei gegen die empörten Böhmen, was der Umgebung der Stadt schwere Drangsale einlrug. Bei den mehrfachen Landestbeilungcn der Wettiner Lande blieb Freiberg mit seinen Bergwerken angesichts seiner ganz besonderen Bedeutung stets Gemeingut des Hauses Wettin. Selbst im Bruderkriege von 1445—1450 zwischen Kurfürst Friedrich und Herzog Wilhelm wußte die Stadt 1446 ihre beiden Brüdern gemeinschaftlich geschworene Treue mit Ehren zu behaupten. Als Kurfürst Friedrich an der Spitze feiner Truppen alleinige Anerkennung forderte, da er klärte der ehrenfeste greise Bürgermeister Weller von Molsborf, der nebst den übrigen Ralbsherren mit Sterbeklcidern an- getban vom Rathhause herabkam, dem drohenden Kurfürsten feierlich auf offenem Markte, „sich lieber den alten grauen Kopf abhauen lassen zu wollen, als dem Fürsten, dem er gehuldigt, untreu zu werden." Durch solche Haltung erweicht und überwunden, ritt der Kurfürst an den ehrwürdigen Bürgermeister heran, klopfte ihm auf die Schulter und er öffnete ibm freundlich: „Nickt Kops weg, Aller! nicht Kopf weg! Wir bedürfen solcher ehrlicher Leute noch länger, die ihren Eid und Pflicht so in Acht nehmen!" Am 14 Juli 1455 wurde vor dem Rathhause der Prinzen räuber Kunz von Kausungen enthauptet. Ein Stein von dunkler Färbung auf dem Obermarkte bezeichnet noch jetzt die Stelle, wo das TodeSurtheil vollstreckt wurde. Neben Kriegsdrangsalen ist Freiberg durch die Pest (1427, 1463, 1471, 1492, 1521, 1632, 1639), durch Tbeuerung (1271, 1434—38, 1632, 1813—14) und Feuersbrünste wieder holt schwer heimgesucht worden. Während die ersten beiden Stadtbrände (1375 und 1386) fast die ganze Stadt ein äscherten, blieb beim dritten Brande 1471 die Marienkirche, die Meißnergasse und ein Tbcil der Sächsstadt unversehrt. Der letzte große Stadtbrand brach am 19. Juni 1484 aus; in drei Nachmittagsstunden sank fast die ganze Stadt mit Einschluß des Domes in Asche. Von nun an mußten in der inneren Stadl alle neuen Häuser mit steinernen Giebeln ver sehen und zur Deckung hoher Häuser statt der Schindeln Ziegel verwendet werden. Durch die Leipziger Theilung der Wettin'schen Lande vom 26. August 1485 gelangten Stadt und Bergwerke in den dauernden Besitz der Albertinifchen Linie. Heinrich der Fromme erhob Freiberg zur Residenz seines Landes. So bilden die Jahre 1505 bis 1539 eine schöne und hervor ragende Periode der Geschichte Freibergs. Herzog Heinrich zeigte sich in seinem Fürstenthume überall leutselig und war Bürgern und Bergleuten von Herzen zugetban; er ward Vasür auch wiebergeliebt und erhielt den Beinamen „der Fromme", weil er in Freiberg im albertinifchen Sachien die Reformation zuerst einführle. Reiche Ausbeute gewährte damals der Bergbau, vielseitiges Leben herrschte in den Mauern der Stadt und das Sprichwort kam auf: „Wenn Leipzig mein wäre, wollte ich es in Freiberg verzehren." Die Geburtsstätte der Kurfürsten Moritz und August von Sachsen steht in Freiberg, hier erhielten Beide ihre erste Erziehung. Unter den Drangsalen des dreißigjährigen Krieges hatte Freiberg schwer zu leiden. 1632 verheerte General Holck mit seinen Kroaten die Umgebung. Später traten die Schweden als erbitterte Feinde auf. Bauer belagerte Freiberg vom 2. bis 20. März 1639, verübte, da er es nicht erobern konnte, in der Umgebung Greuelthaten und zerstörte die Sckmelzhütten, Pochwerke und Grubengebäude. Schon am 10. April 1639 kehrte er mit 20 000 Mann zurück, beschoß die Stadt mit glühenden Kugeln, auch dies mal in erfolgloser Belagerung. Beispiellos war die helvenmüthige Vertheikigung Freibergs in der dritten Be lagerung des 30 jährigen Krieges gegen de» schwedische« General Torstenson vom 27. December 1642 bl» 17. Februar 1643 unter der tapferen Führung de- Bürgermeisters Ionas Schönlebe, des Berghauptmann- Frriilletsn. Der erotische Julius. Skizze von Luise Blaß. Nachdruck verboten. „Bitte, Bitte! ich möchte so brennend gern einen Dichter kennen lernen!" Blaue schmachtende Augen, flehende Stimme unterstützten diese Bitte, aber der junge Mann, an den sie gerichtet ward, versuchte beiden zu widerstehen. Er zupfte an seinem Bärtchen, als habe daS UebleS gethan und sah so grämlich auS wie eS sein frisches junges Gesicht überhaupt fertig bringen konnte. „Ich habe noch nie einen lebendigen Dichter gesehen", klang es noch einmal um ein gut Theil klagender in das Schweigen hinein. „Weil man keinem den Dichter von außen ansieht, Anne marie." Annemarie lachte. „Ich ganz gewiß! Ich unter allen Umständen, dem echten seh ichs unter Tausenden an! Warum soll ich Deinen Julius Heider nicht kennen lernen, Du sagtest doch, er sei so nett —" „Leider." „Und bringst uns sonst all Deine netten Menschen." „Weil ich zu gutmüthig bin." „Joachim!" Jetzt waren sie Beide ärgerlich, das blonde schlanke, auf dem Grund ihres jungen Herzens ein ganz klein Bischen sentimentale Büschen und der breitschultrige Vetter über sieben Ecken, der um die weitläufige Verwandtschaft Bogen geschlagen haben würde, wenn diese rosige Annemarie nickt zwischen den etwas dornigen Onkels und Tanten erblüht wäre. Zwei Minuten lang waren sie böse aus einander, dann trafen sich ihre Augen und Beide lächelten. „Bitte, bitte!" sagte sie wieder. Er hob dir Hände anklagcnd zum Himmel: „Richtig auf dem alten Fleck! O Weiber, Weiber, zäh und beständig!" „AlS ob Beständigkeit keine Tugend wäre!" „Er würde deiner Mama schlecht gefallen!" lautete Joachim's letzter Trumpf. „Wenn er nur mir gefällt!" stach sie eigensinnig sein Coeuraß. „So?" — Der Mann erwachte wieder in Joachim. „Nun gar nicht, und überhaupt nicht. Das fehlte noch! Solch ein Mensch! Für unser einen ist er ganz nett; man lernt von ihm — aber für Euer «in- — Golt behüte! Al» ob man da- Lamm den Wolf in den Rachen würfe. Sir nennen ihn den erotischen Juliu-. Nun weißt du'», guten Morgen." Joachim stürmte nach dem Gymnasium, besten Quarta er heute mit einem sehr reichlichen akademischen Viertel und ungewöhnlich strengen Erziehungsversuchen beglückte. — Anne marie setzte sich in die Geisbtatttaube und sah nachdenklichen Gesicht» in die feinen Fedrrwölkchen am Himmel. „Der erotische Juliu»? Wa» meinten st« denn damit? DaS war ja merkwürdig, er mußte wohl besonders viel von Liebe verstehen? Natürlich! Ein deutscher Dichter! — da gehört doch dazu wir lange« Haar und schwärmerisch« Auge . Er mußte noch etwas Besoiideir» sein — vielleicht daß er sich sehr schnell verliebe und daß ihn jede wiederlieben müsse? — Ja! da- war«! Un» Joachim fürchtete — aber da« wäre ja himmlisch! Ein Dichter! Wenn sich ein wirklicher Dichter in Annemarie KoblhaaS verlieben würde! Einer, der sie auf die Nachwelt brächte, wie Goethe seine Lili und Friederike — himmlisch! himmlisch! Und daS wollte ihr Joachim nicht gönnen?" Annemarie fand den lieben Vetter, den sie sonst so gern kommen sah, plötzlich von zweifelhaftem Charakter. Als er am Abend noch einmal erschien, „lediglich um Onkel das neueste Buch zu bringen", hatte sie nur einen würdevollen Gruß für ibn, und als er dessen obngeachtet mit ihr zu plaudern begann, sagte sie nichts als: „Den erotitschen Julius! Mit oder ohne deine Hilfe! Nur Dichter sind Menschen." „Lou" antwortete Joachim, dem Französisch nur im Zorn über die Lippen kam, und ging nach Haufe. — Zwei Tage darauf war Casino-Concert. Annemarie saß voll prickelnder Unruhe inmitten der Honoratiorentöchter am „Jungfernstand", Joackim bei Löwenbräu an der „Löwenecke" im lebhaftesten Gespräche mit dem neuen Manne des Städtchens. „Mensch! Wenn Du den Rattenfänger spieltest!" klang's jäh in eine Pianissimostelle des Waldbornsolos hinein. Der „Mensch" anwortete übermülbig: „Nanana! ich kann mich doch nicht meiner Reize entkleiden!" Was aber dann im Forte verklang, mußte doch eine beruhigende Zu sage gewesen sein, denn fünf Minuten später schritten die beiden Männer dem Jungsernstano zu. Aller Augen folgten ihnen. Der neue Redacteur, der Dichter sein sollte, der Familienbeziebungen batte, der gleich beim ersten Mal inS Casino kam, das war etwas! — Und sie nannten ihn den erotischen Julius — alle wußten das schon und eS ging vor ihnen her wie erbeutete Fahnen vor dem siegreichen Feldherrn. Annemarie fühlte ein Zittern bis in die Fußspitzen, als plötzlich hinter ihr Joachim's Stimme sagte: „Liebe Base, hier bring' ich Dir unfern neuesten Menschen: Docior Julius Heider, meine für Poesie stark empfängliche Base Annemarie Kohlhaas." Annemarie war roth bis zu den Scheitellöckchen, ehe sie nur die Augen aufschlug zu dem Mann ihrer Sehnsucht. Dann kam zunächst eine kleine Enttäuschung — keine Locken, sondern daS Haar glatt rasirt, als sei die Rasenscheere darüber gerollt, keine schwärmerischen Blicke, sondern braune Augen, die entschieden etwas keck in die Welt guckten. Und dann saß er neben ihr. Redeten also die deutschen Dichter? — Von Wohnungssuche und Visitentour, von gutem Bier im Löwenbräu und schlechtem Pflaster auf den, Markt? — Ganz genau wie die anderen gewöhnlichen jungen Herren? Annemarie fand ihn beinah» fad. Wenn Joachim ibn nur nicht den erotischen Julius genannt hätte, sie wäre nach den ersten fünf Minuten befriedigt gewesen von diesem deutschen Dichter. Di« Bedeutung de» schmückenden Beiworts mußt« sie aber unbedingt irgendwie herausfinden. Ob sie von seinen Gedichten reden niußte? Ob er das erwartet«? --- Aber da stand er schon auf, machte eine Ver beugung wie andere junge Männer auch und ging zurück zu dem Tisch mit dem guten Löwenbräu. — „Nun hast Du einen deutschen Dichter kennen gelernt, B8«chen", sagte Joachim am folgenden Sonntag Morgen. „Was Aparte»? nicht wahr?" Hält« Joachim nickt solch spitzbübische» Gefickt dabei gemacht sie würde ehrlich geantwortet haben: „Ich bin ent täuscht." So aber sagte si«: „Ihr werdet ibn nicht ohne Grund den «rotiscken Juliu» nennen." Nachdenklich ging Joachim heim. Mein Feund, du hast eine Dummheit gemacht! Mit Kuchen schreckt man die Mäuse nicht von der Falle! Jetzt mußt du handeln, wenn er dir nicht trotz aller Versprechungen ins Gehege kommen soll.' Und während er dies beschloß, traf Annemarie den Ge fährlichen bei Nachbars Käthckeu, die sich vorgenommen batte, im Laufe der nächsten vier Wochen von dem deutschen Dichter angesungen zu werden. Heute merkte man auch, daß er ein Dichter war, heute sprach er von Mondschein und Geisblattdüften, heule reimte er Nacht und Pracht und wonniges Auge lacht — und sah dabei sehr geschickt in vier Mädchenaugen zugleich. Annemarie's Herz Hämmerle die ganze Nackt; sie meinte, es sei noch nie so hell gewesen, selbst zur Jobanniszeit, die Nachtigall habe nock nie so wonnig geschluchzt — und wann jemals hätten die Büsche des Gartens so stark geduftet, daß eS ihr den Schlaf verscheuchte? Sie niußte das Fenster schließen, und auch dann noch träumte sie buntes unbegreifliches Tausenderlei und wachte beim ersten Pfiff der geschäftigen Staare zu einem traum seligen Zustand auf. „Ein deutscher Dichter. — Ob er sie besingen würde? — Ob er sie auf die Nachwelt krackte, wie —" Da raschelte es unten im Garten. Sie lief ans Fenster; — eS war zu ebener Erde, — nichts zu sehen. Es raschelte wieder, sie öffnete und bog sich spähend hinaus. Hinter der richten, verwilderten Hecke wars, jetzt hob sich ein Arm, eine Hand wurde sichtbar und etwas Weißes flog herüber, mitten hinein in abgeblühte Maiblumen und Vergißmein nicht. Dann verklang ein vorsichtiger Männerschritt in der Morgenferne. Annemarie lief rin Schauer über den Rücken — „was war das gewesen?" Sie schlüpfte hinaus, sie lief nach der Hecke; da lag es weiß, rosaumbunden mit einem blinkenden Kiesel beschwert: Ein Briefchen. „Annemarie der holden, Mit Haaren sonnengolden. Mit Augen Veilchenblau; Der wonniglichen Frau." Flammend stieg ihr das Blut ins Gesicht: da war daS Ersehnte — schon! beute schon! angesungen von ihm, von Juliu« Heider, dem deutschen Dichter. Wie schön war die Welt, wie unfaßbar schön — alle Farben, die in dem jungen Sonnenlicht leuchteten, alle Töne, die zu einem noch nie vernommenen Morgenconccrt zusammen klangen, alle Empfindungen, die in ihrem Herzen zu einem großen, warmen Gefühl wurden, noch nie waren sie so über schwänglich köstlich gewesen. Nur ein ganz, ganz leises Gelühl deS Bedauerns lag im Grund ihrer Seele und zog einen feinen Flor über daS glänzende Glücksdild. Warum war Joachim nickt der deutsche Dichter! Aber sie lächelte den Bries an, sie drückte ihn an die Lippen, öffuete mit zärtlichen Härzden da» Band und la': „Ich wollt «S dir verschweigen, ' Doch sürber kann ich'» nicht, Ich muß wich zu dir neigen Und meine Lipp« spricht. Ich fühl» im tiefsten Grunde: Mir dräut des Totes Nacht, Dein Mund an meinem Mund« Hätl' Heilung mir gebracht. Ich sübls in Sturm und Wonnen: Dein Lächeln mild und lind Ist meines Glücke» Bronnen, Lu lichtgeboren Kind. Will deinem Dienst mich schwören Durch aller Tage Lauf, Willst du mir zugehören, Blüht unsre Sonne auf. Doch kannst du mich verschmähen, Fahr ich in Nacht und Grau», Es bläst ein wildes Wehen Mein flackernd Lichtlein aus. Annemarie weinte. Stolz, Entzücken, Glück, Mitleid, Bangen — alles strömte in diesen Thränen zusammen. Nun war also ihr Leben entschieden, nun mußte sie des erotischen Julius Frau werden, sonst blieS ein wildes Weben sein flackernd Lichtlein aus Wie schön das klang und wie herz brechend traurig — und — überhaupt eigentlich war daS Alles sehr, sehr traurig. Sie wußte gar nickt recht, was für ein Gesicht sie machen sollte, wenn er nun käme. Einstweilen steckte sie daS Gedicht in die Tasche und sagte keinem Menschen davon. Mit dem Glockenscklag zwölf eilte Joachim durch die Gartenthür; eS gab Annemarie einen Stich ins Herz. Wie pünctlich mußte er geschloffen haben und was für große Schritte machte er, als er sie hinter den Bohnenstangen entdeckte. „Guten Tag, Annemarie. Nun?" Erstaunt sab sie ibn an. „War es recht so?" „Recht so?" — „Nahm ichs so allenfalls mit dem Erotischen auf?" „M,t? —" „Vielleicht macht er bessere Verse — vielleicht. Aber inniger empfunden sind sie gewiß nicht. Die Bohnen fielen auf die Erde, Annemarie zog das Gedicht aus der Tasche und fragte zitternd: „Du?" „Aber Mie! kennst Du denn meine Handschrift nicht mehr?" Richtig, es war seine Handschrift; nur weil sie an keinen andern gedacht batte als an den Julius Heider, war ihr das gar nickt zum Bewußtsein gekommen. „Bist Du denn ein Dichter?" stammelte sie. „Ja, Herzenskind, wenn es zur Liebe oöthig ist — un bedingt." „Warum hast Du mir denn das nicht früher gesagt? " Er lächelte etwas verlegen. „Ich wußte ja nicht, daß eS nöthig war; ich dachte, der SchulamtScanbidat genüge dazu, und so richtig bis zum Reimen eingebrizt bat mir erst die Angst um den — Julius und dabei bad ich mir denn gleich Alles vom Herzen geredet, was schon wochenlang nickt zu Worte kommen tonnte. Ja Mir — so'n richtiger LiebeS- jammer, da« ist wie ungewohnte Flügel — man denkt, man flattert sich ab und auf einmal trägt's Einen und man schwebt —" „Bis in den Himmel", flüsterte Annemarie, sich an ihn schweigend. „Ach Golt! wie froh bin ich; ich dachte, ich müsse dem anderen da» Leben retten und hatt« gar nicht viel Lust dazu. „Ich wollt es dir verschweigen, Do» fürder kann ich'» nicht. ' „Ich gab mich dir z« eigen, Halt gnädig«» Gericht." Die Eltern batten nichts gegen das Derlöbniß einzuweaden und der deutsche Dichter Julius Heider dichtete dem Braut- paar ein schwungvolles Hochzeitscarmen — Annemarie aber fand ihren „HauSpoeten" Über alle deutschen Dichter. Mochten sie andere Frauen auf di« Nachwelt bringen.
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