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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970623016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-23
- Monat1897-06
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BezugS-PreiS H» b« tzauptexpeditkon oder den km Stadt- dezirk und den Vororten errichteten Av»- aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, vet zweimaliger täglicher Zustellung in« hau« L.VO. Durch di« Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directt täglich» tkreuzbandiendung in« Ausland: monatlich 7.50. Di» Morgen-AuSgabr erscheint um '/,? Uhr, dt« Abend-Ausgabe Wochentag» um ü Uhr. Redaktion und Expedition: IohanneSgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» ? Uhr. Filialen: ttto Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LontS Lösche. Daiharinenstr. i«, pari, und pönlgsdtatz 7- Morgen-Ausgabe. eiWM Tagcdlaü Anzeiger. Ämlsbtatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. 314. Mittwoch den 23. Juni 1897. Anzeigen-PreiS dle 6 gespaltene Petitzeile 20 Ps^ Reklamen unter demRedactionsstrich («ge spalten) LO/iZ, vor den Famtliennachrlchtei (6gespalten) 40/H. Größere Cchristen laut unserem Preit- verzeichnlß. labellartschrr und Ziffernsätz uach höherem Tartf. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderuug 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Ex-edition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. SI. Jahrgang. UnfaUfürsorge in England. ä. Wie in Frankreich so steht auch in England die Um bildung de» Haftpflichtrechts seit vielen Jahren auf der Tagesordnung und im Vordergrund der socialpolitischen Tagesfragen, ohne recht vorwärts kommen zu können, und wie jenseits der Vogesen der politisch bedeutsame Einfluß der organisirten Arbeiter sich nicht stark genug erwiesen bat, um die Gesetzgebung zu einer gerechten Regelung der Haftpflicht frage zu veranlassen, so ist eS auch jenseits des Canals den gewerkvereinlich auftretenden Arbeitern nicht gelungen, auf diesem Gebiete zu einem befriedigenden RechtSzustande zu kommen. Merkwürdig genug; dasselbe England, das den Arbeiterschutz zuerst unter den Staaten Europas in Angriff genommen und folgerichtig ausgebildet hat, daS weibliche Fabrikinspectoren besitzt und eine eigene Schutzgesetzgebung zum Besten der Handlungsgehilfen erlassen hat, stehl inAnsehung dessen, was man die Arbeiterversicherung nennt, ganz außerordentlich hinter Deutschland zurück. Man könnte vielleicht meinen, daß ein Bedürfniß hierfür nicht vorhanden wäre, weil die auf dem Boden der freiwilligen Selbsthilfe stehenden Arbeiter-Associationen dafür in ausreichendem Maße Sorge getragen hätten, allein dies ist keineswegs der Fall. Lediglich auf dem Gebiete der Krankenversicherung leisten die Cassen der Trabes Union« etwas, wenn auch durchaus nicht das Gleiche, wie die deutschen Krankencassen; in Ansehung der Alters- und Invaliditätsfürsorge versagen sie vollständig. An die Einführung einer Versicherung gegen Betriebsunfälle der Arbeiter wird von den maßgebenden Kreisen auch heule noch nicht gedacht; ganz vereinzelt hat man wohl die Nachahmung des Vorbildes der deutschen Gesetzgebung in einer den englischen Sitten und Verhältnissen Rechnung tragenden Weise angeregt, allein einer beifälligen Aufnahme hatte sich dieser Vorschlag nicht zu erfreuen, selbst nicht in solchen Kreisen, welche ihrer An sicht nach sich von dem Banne der Lehre deS Manchesterthums freigemacht haben, die auch in England sich mit lähmender Gewalt auf alle Bestrebungen zur Verbesserung des Arbeiter rechts legt. Bei dieser Sachlage kann es nicht befremden, daß auch der soeben dem Unterhause vorliegende Gesetzentwurf zur Aenderung des Haftpflichtrechts weit davon entfernt ist, den Anspruch zu erheben, eine wirkliche Reform der gänzlich veralteten und zu den Verhältnissen eines so hochentwickelten Industrie staates in keiner Weise mehr passenden Rechts anbahnen zu wollen; es kann nicht befremden, daß der Entwurf nur als Stück arbeit bezeichnet werben kann, welcher den durchaus berechtigten Forderungen der Arbeiter schlechterdings nicht genügt. Die Ver besserung und Umgestaltung des Hastpflichtrechts hatte schon vor vier Jahren das damalige Ministerium Gladstone in die Hand genommen; der von ihm vorgelegte Entwurf passtrte auch das Unterhaus, ohne in wesentlichen Puncten abgeschwächt zu werden, das Oberhaus nahm dagegen eine Anzahl von Abänderungen vor, durch welche die Bedeutung der Reform zum größtenTheile aufgehoben wurde. Unter diesen Umständen war an ein Zustandekommen des Gesetzes nicht zu denken, die Vor lage scheiterte. In dem von dem jetzigen Ministerium vvrgelegten Entwürfe ist dem Standpuncle des Oberhauses in erheblichem Maße Rechnung getragen worden; dadurch hat man allerdings die Aussichten für daS Zustandekommen deS Gesetzes erhöht, aber man hat dies gethan auf Kosten seines Inhaltes und seines Werthes. Zahlreiche Arbeiter sollen von der Unterstellung unter die neuen Vorschriften ausgeschlossen werben, außerdem will man dem Arbeiter jeden Anspruch auf Schadenersatz gegen seinen Arbeitgeber bann versagen, wenn der von ihm erlittene Unfall auf eine Fahr lässigkeit von seiner Seite zurückzuführen ist. Hierdurch werden die Arbeiter in den meisten Fällen, in denen sie von einem Unfall betroffen werden, des Anspruchs aus Entschädigung be raubt, es wird dadurch die Frage, ob der verunglückte Arbeiter etwas erhält oder nicht, zu einer subtilen Rechtsfrage gemacht, bei welcher die Entscheidung von haarscharfen Begriffsspaltereien abhängig ist, die gerade hierbei am wenigsten am Platze sind. Will man den Unterschied würdigen, der zwischen dem in England und in Deutschland bestehenden Arbeiterrechte vor handen ist, so braucht man nur zu erwägen, daß nach Letzterem die Frage, ob ein Unfall durch Fahrlässigkeit verursacht wurde, von gar keiner Erheblichkeit ist, während jenseits des Canals von ihrer Beantwortung der Entschädigungsanspruch des verunglückten Arbeiters bedingt ist. Das deutsche Recht teht eben auf dem höheren Standpunkte der socialen Fürsorge, das englische ist noch nicht über die Kinderschuhe der rrivatrechtlichen Anschauung hinausgekommen, daS nur die directe Verschuldung der Arbeitgeber zum Schadenersatz bei einem Unfälle verpflichtet. Wie die Dinge liegen, wird es noch lange Zeit dauern, bis man sich jenseits des Canals zu der Er- kenntniß emporgeschwungen hat, daß nur auf dem Boden der socialen Fürsorge für die Betriebsunfälle der Arbeiter ge nügend gesorgt werden kann. Trotzdem werden die Herren Bebel und Genossen fortfahren, England auch bezüglich seiner Fürsorge für die von Unfall bedrohten Arbeiter als Muster land zu Preisen, an dem das „rückständige" Deutschland sich ein Beispiel nehmen könnte. Deutsches Reich. * Dresden, 22. Juni. Unter dem Vorsitze deS Königs trat das für Entscheidung der Lippeschen Thronfolge frage gebildete Schiedsgericht heute Vormittag um 9 Uhr nochmals zu einer beralhenden Sitzung ohne Parteivertreter im Nesidenzschlosse zusammen. Der Schluß der Sitzung und die Entlassung deS Schiedsgerichts sollte Nachmittags erfolgen. Leipzig, 22. Juni. Unser Widerspruch gegen den Ver such der „Nordd. Allg. Ztg", an der Hand der „Nheinisch- Westf. Ztg." und der „Düsseldorfer Ztg." die nationallibe ralen Wähler in Sachen des Vereinsgesetzes als im Gegensatz mit den nationalliberalen Abgeordneten befindlich hinzustellen, hat, wie wir nachträglich erfahren, die „Düsseld. Ztg." zu einer ergötzlichen Schimpferei und Wichtigthuerei, die „Rheinisch-Westf. Ztg." zu einer Autorenschnüffelei im Stile deS Herrn von Lützow veranlaßt. Die „Rheinisch- Westf. Ztg." stellt die aus der Luft gegriffene Behauptung auf, unser Eingangs erwähnter, in der Abendausgabe des „Leipz. Tagebl." vom 12. d. M. an eben dieser Stelle erhobene Widerspruch entstamme der Feder des Chefredakteurs der „Nat.-Ztg.", Herrn Köbner, oder der deS Redakteurs der „Nat.-Lib.-Corr.", vr. Mohr. Beide Angaben sind falsch, und wir erwarten, daß die „Nhein.-Westf. Ztg." sich berichtigt. Was die „Düsseld. Ztg." anlangt, so richtet sie, „aus indirekter Quelle" über das, was wir schrieben, informirt, ihre Schimpferei an eine falsche Adresse. Die „Nordd. Allg. Zeitung" hatte gesagt: „Insbesondere ist auch ein zweites rheinisches Blatt, die „Dussel- dorser Zeitung", aus den Plan getreten, um das bisherige Er- gebniß der Beratungen als rin durchaus unzulängliches und unerfreuliches entichieden zu verwerfen." Hieraus mußte jederUnbefangene schließen, daß die „Düsseld. Ztg." der Vorlage des Herrn von der Recke im Gegensätze zu dem Ergebniß der Berathungen das Wort geredet babe. Erstaunlicher Weise aber hat, wie wir jetzt sehen, die „N. A. Z." den Grund verschwiegen, weshalb die „Düsseld. Ztg." das bisherige Ergebniß als „unzulänglich" und „unerfreulich" be zeichnete: deshalb nämlich, so versichert die „Düsseld. Ztg.", „weil der Entwurf sich nicht auf einem Ausnahme-Boden aufbaute, sondern durch die Zuhilfenahme der allgemeinen Landesgesetzgebung nicht allein der in erster Linie zu treffenden Partei, sondern auch jeder bürgerlichen Parteigruppe gefährlich werben konnte." Der Grimm der „Düsseld. Ztg." hätte sich daher billig gegen die weise verschweigende „N. A. Z." richten sollen. Ebenso verfehlt ist eS, wenn die „Düsseld. Ztg." die Schaale ihres Zornes über uns ausleert, weil wir sie Organ der Düsseldorfer Regierung genannt und darauf hingewiesen haben, daß sie in den Nachschlagewerken als „amtlich" und als „regierungsfreundlich" bezeichnet werde. Dafür mag die „Düsseld. Ztg." sich bei ihrem früheren Nedacteur bedanken, von dem sogar die „Rh. Wests. Ztg." in ihrer Nummer vom 17. d. M. einräumt, er habe gesucht, sich den Anschein officiöser Verbindungen zu geben. Ein solches RenommSe verliert sich nicht so rasch. Die redactio- nellen Wandlungen der „Düsseld. Ztg." aber durch die täg liche Lektüre des genannten Blattes zu verfolgen, der Ehrgeiz ist zn grotesk, als daß wir ihn hegten. Und die „Düsseld. Ztg." selbst, so wichtig sie thut, wird einen solchen Anspruch wohl nicht erheben. Der ungezogene Ton, den die „Düsseld. Ztg." bei dieser Gelegenheit gegen uns anschlägt, ist psycho logisch leicht zu erklären. Der Anfang ihrer Polemik zeigt, daß sie die schätzbare Absicht hatte, uns scherzhaft ^u kommen": sie sprach einleitend von der „bekannten Seestadt an der Pleiße". Mit dieser ebenso überraschenden wie er schütternden Wendung war der „Witz" der „Düsseld. Ztg." erschöpft. Und aus Aerger über diesen in der Tbat höchst verdrießlichen Zwischenfall legte sich die „Düsseld. Ztg." ausS Schimpfen. -tr Berlin, 22. Juni. Die Münchener „Allgem. Ztg." bemerkt in einer Betrachtung über die Stellung der Parteien zu einer Ausdehnung des Einflusses des Herrn Or. v. Miquel: „Conservalive und das Centrum halten einstweilen noch im Ganzen zurück, bei den ersteren ist aber daS Leitmotiv: „heiter und gefällig,", bei den letzteren scheint die Zurückhaltung von wenig freundlichen Empfindungen dictirt zu sein. Die Nationalliberalen, aus deren Mitte der preußische Finanzminister heransgewachsen ist, befleißigen sich jener Kühle, die die Partei noch allemal dann an den Tag gelegt hat, wenn ein Mann, der, ohne gerade auf ihr Parteiprogramm eingeschworen zu sein, ibnen doch in manchen Dingen näher steht, zu praktisch politischem Handeln berufen wird. Es wäre merkwürdig, wenn der Erb fehler bei dieser besonders günstigen Gelegenheit nicht wieder zu Tag treten sollte. Diesmal wird er freilich ziemlich bitter gebüßt werden müssen." „Küble" gegen einen neuen Minister zu zeigen, erscheint uns für VolksvertrdM» unter allen Umständen verdienstlich. Daß die nationalliberale Partei ihr näher stehenden Staatsmännern, wenn sie zur Regierung gelangen, besondere Zurückhaltung gezeigt babe, ist uns nicht bekannt. Sollte aber eine solche Regel existiren, so fände sie natürlich keine Anwendung auf Herrn v. Miquel. Denn daß dieser Politiker der nationalliberalen Partei nahe oder näher gestanden, ist schon völlig in Vergessenheit ge- rathen. — Berlin, 22. Juni. Die dem nationalliberalen Abge ordneten, Herrn L. F. S e y f f a r d t, zur Feier seines 70. Geburtstages bei der heutigen ofsiciellen Feier vom Centralvorstande der nationalliberalen Partei und den nationalliberalen Fraktionen des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses überreichte, auf Pergament auSgeführte und künstlerisch ausgestattete Adresse lautet folgendermaßen: Lieber College und werther Freund I Sie haben auf Ihrem Lebenswege den bedeutsamen Abschnitt er reicht, der zu dem Ansehen um persönlichen Verdienstes willen die Würde des Alter» verleiht; in aufrichtigem Freundschaftsgefühl treten wir heute vor Sie hin, um mit unserem herzlichen Glück wunsch den innigen Dank zu verbinden für das, was Sie in der langen, schönen Zeit unseres gemeinsamen politischen Wirkens uns, Ihren Mitarbeitern und Freunden gewesen sind. Gleich Mehreren in unserer Mitte war es Ihnen vergönnt, schon in den Tagen der Reichsbegrllndung sich den nationalen Aufgaben zu widmen. Im Norddeutschen Reichstag und nachher im preußischen Abgeordnetenhause haben Sie an dem fruchtbaren Schaffen einer pflichtgetreuen Volksvertretung und an den ruhm reichen parlamentarischen Kämpfen, aus denen heraus die festen Formen unseres öffentlichen Rechtslebens entsprungen sind, tbätigen Antheil genommen. DaS hohe Bewußtsein der Verantwortlichkeit für alles Thun und Lassen des Volksvertreters und den edlen Geist der inneren Unabhängigkeit des Mannes haben Sie in allen Wand lungen der Zeit und der Menschen als Tradition einer großen Vergangenheit bewahrt; so waren Sie den jüngeren Gefährten tets ein lebendiges Vorbild: in der hingebenden Fürsorge für die Erhebung der Volksgenossen durch Erziehung und Bildung; hilfreich, wo die gewaltigen Fortschritte des gewerblichen Lebens, der Technik und des Verkehrs den Allzuschwachen am Wege hinsinken lassen; gut als Freund den Freunden. Das deutsche Haus und die deutsche Cultur dankt es Ihnen, was Sie zur Förderung und geistigen Befreiung der Schule und des Lehrers mit erreicht haben; und wenn die Armenpflege in deutschen Landen mustergiltig sich entfaltet, so ist der organisatorische Ausbau wesentlich zu Ihren Verdiensten zu zählen. Mit Bewunderung ersehen wir, wie Sie aus der rastlosen Mit arbeit im Dienste Ihrer vaterstädtischen Interessen täglich aufs Neue die Kraft und den Antrieb gewinnen, sich den gleichen Interessen der Allgemeinheit zu widmen, zum erkennbaren Beweis, daß nur die Verbindung mit dem festen Boden einer engeren Heimath den rechten Beruf und die Befähigung gewährt, auf den weiten Gefilden der Staatspolitik mit Rath und That voran zugehen. Wir preisen Ihre Vaterstadt Krefeld, daß sie einen solchen Sohn zu eigen hat; wir sind stolz darauf, daß er in unserer Mitte das edle Thätigkeitsfeld gefunden hat, auf welches die Liebe zum Volke, die Erfahrung im realen Leben und die geschichtliche Er- kenntniß den Menschenfreund immer zuerst verweist; wir sind sicher, daß die Spuren seiner unermüdlichen Arbeit auch künftige Geschlechter zur Nacheiferung anspornen werden und wir wünschen diesem wackeren Freunde, daß es ihm noch lange Jahre beschieden sein möge, die alte Liebe und die alte Kraft an sein vielseitiges, ge segnetes Wirken zu setzen. (D Berlin, 22. Juni. (Telegramm.) Die „Nordd. Allgem. Ztg." bringt folgende Notiz, die als Bestätigung der über den bevorstehenden Rücktritt des StaatSsecretairs v. Marschall aufgefaßt werden wird: „Der kaiserliche Bot schafter in Rom, v. Bülow, wird dem Vernehmen nach heute von dort abreisen, um sich an daS Hoflager des Kaisers zn begeben. Man geht Wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß diese Reise mit dem Gesundheitszustände des StaatSsecretairs von Marschall in Zusammen hang steht. (-) Berlin, 22. Juni. (Telegramm.) Die Mittbeilung der „Nationalztg." von der Am tsmüd igkeit des Staats- secretairs Ntebcr-ing infolge eines hochgradigen Augen leidens kann, wie viele andere, nur auf gründlichen Combinationen beruhen. D Berlin, 22. Juni. (Telegramm.) Mittwoch Abend findet einem Parlaments-Berichterstatter zufolge eine Be sprechung von Reichstagsmitgliedern mit dem Handels Minister bezüglich der Ansführnng dcs Börsen gesetzes statt. ES besteht die Absicht, eine Interpellation hierüber im Reichstage einzubringen. — Die eine der neuen Tabellen deS Kaisers, welche die englische Marine betreffen, trägt die Ueberschrisl „Panzerkreuzer II. — III. Claffe" und am Schluffe die Notiz 114 Kreuzer II. — III. Claffe, 112 Panzerschiffe und Kreuzer ----- 228 Schiffe. Die zweite Tabelle „Schlacht-Schiffe" über schrieben, trägt die Notiz: „73 Panzerschiffe (Schlachtschiffe und Küstenvertheidiger) 39 Kreuzer I. Claffe, davon 18 mit Seitcnpanzer, zusammen 112; dazu 114 Kreuzer II. bis III. Claffe ----- 226 Sckiffe ---- 56 Divisionen st vier Schiffe. Eine Flotte ersten Ranges." Beide Tabellen sind W. I. U., Mai 1897 gezeichnet. — Nach der „Badischen LandeSzta." ist eine Nachricht, daß der Staatssecrelair Freiherr v. Marschall zum Cur- gebrauch in Baden-Baden sei, nicht richtig; Freiherr v. Mar schall war nur vorübergehend dort gewesen. — Eine königliche CabinetSordre ist, der „F. Z." zufolge, für G a st b ö s e, Wirthshäuser und Bergnügungslocale ergangen. Hiernach haben die Polizeibehörden zu verhindern. Feirilletsir. „Vie Genugthnung der Götter. . Ein Capitel aus der neapolitanischen Camorra von Woldemar Kaden. Nachdruck vertaten. Auch in Deutschland ist eS bekannt, daß in dem am meisten bevölkerten Centrum Italiens, am Fuße jenes ge- fürchteten BergeS, dem die wiedererstandene Stadt der Heiden ihren posthumen Ruhm verdankt, seit mehr als zwei Jahr hunderten in düsterer Weise eine unheimliche Pflanze vegetirt, genährt durch die Finsterniß und da- tragischste und inter essanteste Mysterium: die Camorra. Gar viel ist bereits geschrieben worden über diese Genossen schaft von Schandbuben, die bisher noch keine weltliche Macht zu zerstören im Stande war. Eifrige Männer der Wissenschaft, geniale Wißbegierige, Psychiater und Sociologen, Historiker und Journalisten haben nachgeforscht, sind mit List nnd Kühnheit eingedrungen in jene unheimlichen Kellergeschosse Alt-Neapel«, haben die Eisen- tbüren der Gefängnisse erschlossen, haben mit den Galeeren sträflingen die Bohnensuppe gegessen, einen Tag, einen Monat, ein Jahr, um das Leben der unseligen Helden der Gewalt- thätigkeit, deS wohlgeordneten Diebstahls zu leben und die absonderlichen Bräuche zu studieren, um die Geheimnisse und die bestialischen Jnstincie zu durchdringen — und doch kann das Feld in keiner Weise als abgemäbt angesehen werden, denn jeder Tag bringt Ueberraschungen durch neue Tbatsachen, die die Zeitungen erzählen, die die Untersuchungsrichter und den Staatsanwalt unausgesetzt beschäftigen. Wenn ich meinen deutschen Lesern Alle», waS ich während meine- langjährigen AnfenthaltcS in diesem Lande, dessen charakteristische Sitten und Gebräuchen in vielen meiner Schriften niedergelegt sind, beobachtet und notirt habe, er zählen wollte, Dinge, die nicht nur den Italienern, sondern den Neapolitanern selbst unbekannt geblieben, würde ich in hundert Artikeln nur einen kleinen Theil davon erledigen können. So beschränke ich mich hier auf einige Tbatsachen, die mich in der jüngsten Zeit besonder- interessirt haben und die die antike Genußthuung der Götter, die Rache, hier die Rache der Camorristen, zum Inhalt haben. Einer der wesentlichen Artikel deS camorristischen Regle ments, der „b'risno" genannt, ist jener, der dem Mitglied« verbietet, der Polizei irgendwelche Mittheilunz zu machen von Dem, was sich in der „Llalarita" ereignet, auch wo es sich um die schwerste Beleidigung, um tödtliche Verwundung, um einen Mord handeln würde . . . Um Beleidigungen u. dergl. abzuwaschen, giebt eS in der .,8ociotst äoll' Dmirtst", wie sich die Camorra nennt (Ilmirtst, von Omineitst, dem Inbegriff aller männlich starken Tugenden), einen Gerichtshof, der furchtbar strenge und unanfechtbare Urtbrile fällt. Die „della sociotst", ein anderer Name für Camorra, zählt thatsächlich sechs Tribunale, drei große und drei kleine. Die drei großen heißen „grau mamms". Jede der „grau mamms" ist zusammengesetzt auS einem Präsidenten, „capo", mit dem Titel der „Fürst mit dem goldenen Kops", einem öffentlichen Ankläger, einst durch die „Seilerin", eine Art Parze, und zwar Klotho, die Spinnende, repräsentirt, denn sie mußte wahrend der ganzen Dauer der Verhandlung ein Stück Bindfaden zwischen den Zähnen halten und diesen wie spinnend durch die Hände ziehen. Heute sitzt an ihrer Stelle ver Schatzmeister des OuartierS. Den Schluß bilden vier Beisitzer. Die wichtigsten Posten werden durch Camorristen ein- grnömmen, die sich durch Ermordung eines Polizisten aus gezeichnet haben. Der „kieointto", das ist der Camorrist untersten Grade-, darf sich selbst vertheidigen, der „Vtoviuotto onorato", der Lehrling, wird durch die wirklichen Camorristen vertheidigt. Die Zuhörer sind berechtigt, Zwischenfragen zu thun zur Vertheidigung des Angeklagten. Anfangs versammelte sich dieser Gerichtshof im Kloster Carmius, ein gewisser Frater Saccardo batte den be treffenden Kodex verfaßt. Später trat er im Freien zu sammen, meistens am Mreresufer, oder fand statt im Hause eines der Genossen. Die Worte: „Gesetz und Recht sind gleich für Alle" wurden ersetzt durch: „Hier sind gerechte Urtheile, denn man richtet nicht mit der Feder, sondern mit dem Herzen und der Seele." Der Präsident, nachdem er die Zeugen abgehört, fällt daS Urtheil, ein Beisitzer sucht eS zu mildern, aber daS letzte Wort gehört immer dem Vorsitzenden, denn er bat zwei Stimmen. Wo es eine Civilklage betrifft, werden die beiden Parteien betreffs deS Unheils bald einig, bandelt eS sich aber um strafbare Handlung, so wird sofort festgesetzt, wer die Bestrafung zu vollziehen hat. Ist der Beleidigte ein Camorrist und der Beleidiger ein Picciutto, so muß die Partie ausgeglichen werden durch «inen anderen vom Beleidigten erwählten Picciutto. Sind Be leidiger und Beleidigter gleichen Grade-, so erhält ein Freund deS Beleidigten das Mandat. Ist endlich, der Beleidiger gar kein Mitglied der Camorra, so loosen die jüngsten Mit glieder durch FingerauSwerfen um die Ehre der Strafvoll ziehung. Die schwersten Strafen sind der „Ikdegio", daß Auf schlitzen der Wange mit einem Stück Gla» oder mit eenem schartigen Rasirmesser, da- Bestreichen de» Gesichtes mit Menschenkoth, die Tödtung mit blanker Waffe durch Stiche in die Brust oder in den Unterleib . . . Dennoch werden sich nur sehr wenige von Denen, di« persönlich beleidigt wurden, hauptsächlich in ihrem Frauenzimmer, an diese Autorität wenden, sie wollen die Wollust der eigen händigen Rache durch Messer und Revolver nicht verlieren. Und davon nur liest man jeden Tag mehrere Fälle in den Zeitungen: Camorristen, die sich nach dem Hospital zur Be handlung ihrer in einer wilden Rauferei erhaltenen Wunden schaffen lassen. Der wachthabende Polizeiagent empfängt sie, aber nie noch ist der Fall eingetreten, daß ein, auch im Tode Verwundeter, gesagt hätte: „TitiuS hat mich verwundet . . Noch nie! Die sterotype Antwort Aller lautet: „Während ich meinen Geschäften nachging, wurde ich von einem Unbekannten angefallen und verwundet, ohne daß er mir Zeit ließ, mir Rechenschaft darüber zu geben . . ." Oder: „Auf der Straße So und So rauften sich mehrere Unbekannte, ich lief hinzu, sie zu trennen und bekam zum Lohn diesen Stich." Die Polizei lacht, sie kennt diese ständige Ausrede, die verhüten soll, daß daS Gesetz sich des Beleidiger- bemächtige und ihn dergestalt der Privatrache entziehe. Man verrichtet auf Alles, mit Ausnahme dieser Genug- thuung der Götter, die zum Au-bruch kommt nach einer Stunde, nach einem Monate, nach einem Jahre oder, wie ich ein paar Fälle gekannt, nach dreißig und fünfzig Jahren! Blut schreit nach Blut, und wer mit dem Messer ver wundet, muß durchs Messer sterben. In den Annalen der Schwurgericht-Höfe kann man Falle von camorristischer Rache lesen, dir Jahre und Jahre ver steckt unter der Asche glimmte, und dann in wilder Flamme au-brach, al« Alle- vergessen schien. Und jeden Tag liest man in den Zeitungen der Stadt Neapel: „Die Schlägerei nahm ihren Anfang au- lange bestehen dem heimlichen Groll. . . . Und dieser „lange bestehende heimliche Groll" ist nicht andere» als rin hinau-geschobener „Ehrrnbanbrl", au--
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