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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970625029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-25
- Monat1897-06
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Nerlamrn unter demAedactton»strich (4»«» spalten) bO^H, vor den Familteanachrichtra («gespalten) 40 Erößere Schriften laut unserem Prei»- verzrichntß. Tabellarischer uud Ztffernsas »ach höherem Tarts. Ertra »Betlase« (gefalzt), nur mit b«r Akorge»-Ausgabe, ohne Vostbesörderun(> . SO—, mit sstostbeförderuag 70.-»- Il«»ah«eschl»ß für Anzeigen: Ab rod-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. ffLorg«»-Ausgabe: Nachmittag« «UhL Bet den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde srntzer. Anzeigeu find stet- an die Erprbitian zu richte». Druck und Verlag von E. Pal» in Leipzig. 319. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Juni. Wenn es wirklich noch dazu kommen sollte, daß der jetzige Preußische Finanzminister vi. v. Miquel Vicepräsident des preußischen Staatsministerium» wird und als solcher einen noch größeren Einfluß auf die innere Politik Preußens, die für die innere Politik des Reiches vorbildlich sein muß, erhält, unv wenn es ferner wahr wäre, waö die Münchener „Allgem. Ztg." andeutete, daß zwischen ihm und dem Fürsten Hohenlohe ein „genau umschriebenes Regierungsprogramm" vereinbart worden sei, das mit Zustimmung teS Kaisers demnächst entwickelt werten würde, so wüßte man nach der gestrigen Beralhung des preußischen Herrenhaus«» über die Verein-sesetznovellc nicht nur, wie dieses Programm in einem wichtigen Puncte lauten würde, sondern auch, daß Herr Or. Miquel, um mit dem maßgebendsten Factor sich m Uebereinslimmung zu setzen, abermals eine bedeutende Schwenkung gemacht hätte. Es ist allgemein bekannt, daß der ehemalige Oberbürgermeister von Frankfurt seiner Zeit, als die Frage der Verlängerung des ReichSsocialistengesetzes zum letzten Male die Gemüthrr bewegte, mit dem ganzen Gewichte seine» Ein flusses für das Fallenlassen des Gesetzes cintrat, da« seiner Meinung nach nicht mehr nölhig war und die segensreichen Wirkungen der Arbeiterschutzgesetze nur verzögerte oder gar unmöglich machte. Gestern war er zwar nicht selbst im Herrenhause anwesend, aber sein College v. d. Necke, der sich doch zweifellos an das „genau umschriebene Negierungsprogramm" hätte halten müssen, wenn ein solches vorhanden oder in näherer Aussicht wäre, bestärkte die Mehrheit des HauseS in der unverkennbar hervorgetretenen Ab sicht,die Vorlage nicht in dervomAbgeordnetenhaujebeschlossenen Form anzunehmcn, sondern ihr die von freiconservativer Seite beantragte Form eines preußischen Socialisten- gesetzes zu geben. Geschähe das — was voraussichtlich erfolgt — und ließe sich ein Theil der nationalliberalen Fraktion des Abgeordnetenhauses umstimmen — was nicht erfolgen wird —, so würde Preußen sein Socialistcngesetz erhalten, die übrigen deutschen Staaten müßten, schon um nicht die Zufluchtsstätte gerade der schlimmsten preußischen Social demokraten zu werden, nachfolgen und so erhielte das Reich durch Herrn vr. v. Miquel aus Umwegen ein Ausnahmegesetz gegen die Socialdemokratie, daS von dem unter dem Einflüsse desselben Herrn vr. v. Miquel preisgegebenen nur dadurch sich unterschiede, daß es den socialdemokratischen Agitatoren zwar den Mund, nicht aber die noch wirksamere Feder verböte. Da man jedoch weder weiß, was auS der „Regierungsumbildung" wird, noch ob irgend ein zwischen dem Fürsten Hohenlohe uud Herrn v. Miquel vereinbartes Regierungsprogramm die Zustimmung des Kaisers erhalten hat oder erhalten wird, so kann man aus der gestrigen Ver handlung des Herrenhauses nur schließen, daß Herr v. der Recke von seinem früheren zu dem freiconservaliven Stand- puncte sich bekehrt hat und daß die Erwartung, die Vereins gesetznovelle werde im Herrenhause Ruhe finden, sich nicht er füllt. Das Haus wird die Vorlage völlig im Sinne de« frei- conservativeu Antrags umgestallen. Es liegt darin, daß man im Herrenbause ebenso wie im Abgeordnetenhaus« über die ursprüngliche, vou der Regierung eingebrachte Vorlage ein fach zur Tagesordnung überging, keine Schmeichelei für die Regierung. Sachlich ist es freilich völlig gleichgiltia, ob das Herrenhaus daS Gesetz im Sinne der Regierungsvorlage oder in dem des freiconservaliven Antrags annimmt, denn nach Freitag den den bekannten Erklärungen bis Abg. Hobrecht ist <S völlig ausgeschlossen, daß die Nationallibrralen de« Abgeordneten- bauie« der im Herrenhaus« reconstruirten Vorlag« zustimmeu. Obwohl nunmehr feststeht, daßdurch das Verhalten die nolional- liberale Fraktion bei der Wiederholung der Abstimmung dritter Lesung im Abgeordnetenhaus« nichts weiter erreicht ist, als eine Hinauszögerung de» SessionSscklusseö, so bat Vie Fraktion doch völlig correct gehandelt. Denn der Fraktion kann nunmehr nicht der Vorwurf gemacht werden, daß sie die Verantwortung für den völlig negativen Ausgang der Negierungsaction in Sachen des Vereinsgeseyes trage. Glücklicher als der preußische Landtag, der um eines sicherlich negativen Resultate« willen immer noch zusammen bleiben muß, kann der Reichstag seine Pforten schließen, bevor die drückende Hitze dieser Tage die Gefahr der chronischen Beschlußfähigkeit bringt. Urber die einzelnen Vorlagen, mit denen er sich während dieser Session befaßt hat, ist zu der Zeit ihrer Berathung so viel gesprochen und geschrieben worden, daß man sich jetzt eine eingehende Erörterung sparen darf. Einige Bemerkungen ' mehr allgemeiner Natur genügen für heute. Vergleicht man die zu Ende gehende Session mit denen von 1894/95 und 1895/96, so kann man sagen, daß die diesmalige Tagung fruchtbarer war, als die de« Winters 1894/95, aber nicht annähernd so fruchtbar, wie die des vergangenen Jahres. Mit Aus nahme von Gesetzen, die von politischer Bedeutung nicht sind, wie das Besoldungsverbesserungsgesetz, und Gesetze, die mit dem Bürgerlichen Gesetzbuche in enger Verbindung stehen, hat sich nur für solche Entwürfe, die sich in agrarisch - züuftlerischer Richtung bewegen, eine Mehrheit gefunden. So wurde da» Margarinegesetz, das Be stimmungen enthält, die im vorigen Jahre von der Regierung für unannehmbar erklärt wurden, von einer im Wesent lichen conservativ-klerikalen Mehrheit angenommen, ebenso die Handwerkervorlage, die in einig«« Puncten über den RegirrungSentwurf binautgeht und der vor allen Dingen eine Resolution angebängt wurde, die beweist, baß die gegenwärtige NeichslagSmehrheit da« jetzt zu Stanoe gekommene Gesetz nur al« rin Sprungbrett für weitere Forderungen betrachtet. Gescheitert sind Vorlagen, die eine wesentlich nationale Bedeutung haben oder längst nötbige wichtige Reformen im Rechtsleben zur Durchführung gebracht Kälten. Wir meinen die Marineforderungen und die Justiznovelle. Aus dieser Zusammenfassung der Resultate der Session ergiebt sich, daß die beiden in ihrer Weltanschauung so scharf gegenüberstehenven Parteien, die Nationalliberalen und das Centrum, in dieser Session mit sehr verschiedenem Glück gefochten haben. Den Ersteren schlug da» Meiste fehl, denn für die thatsächlich zu Stande gekommenen Gesetze agrarisch-zünftle- rischer Richtung konnte da« Gro« der nationalliberalen Partei nicht stimmen, und andererseits blieb sie, die sowohl die Marineforderungen unterstützte, wie mich ehrlich bemüht war, da« Zustandekommen der Justiznovelle zu ermöglichen, bei diesen wichtigen Vorlagen in der Minderheit. Umgekehrt kann da« Eentrum mit seinen Erfolgen zufrieden sein. Von den Marineforderungen ist nur bewilligt worden, wa« da« Centrum bewilligen wollte, und die Justiznovelle ist an dem Wider stande dieser Partei gescheitert. Die Margarinevorlage unv die Handwerkervorlage tragen ebenfalls den Stempel der Laune des Centrums, allerdings den der guten Laune dieser Partei, der überdies der Triumph gegönnt worden ist, ihren Antrag auf Aufhebung des Jesuitengesetzes wieder mit 25. Juni 1897. erheblicher Mehrheit durchzubringrn. Wenn trotz aller dieser Erfolge die Stimmung des CentrumS nicht annähernd so freudig ist, wie im vergangenen Jahre, so liegt das zum Theil in den Vorgängen, die in den klerikalen Wählerkreisen sich abspielen, zum anderen Theil«, weil das Ceutrum sich sagen muß, daß eine Regierung, welche die Sicherung unv den nationalen Ausbau deS Reiches ernstlich und unverrückt im Auge hat, im Hinblick auf die bevorstehenden Neu wahlen darauf Bedacht nehmen muß, die Herrschaft de« Centrums im Reichstage zu brechen und durch ein die national gesinnten Elemente vereinigendes Programm eben diesen Elementen wieder eine ausschlaggebende Stellung im Parlamente zu sichern. Es ist daher begreiflich, daß da böse nationale Gewissen der Führer und der Geführten der Centrumsfraction schlug, als die ersten Nachrichten über Personalveränderungen in den hohen Regierungsämtern zum Zwecke einer einheitlicheren und energischeren Führung der Regierungsgeschäfte im Reiche und in Preußen auftauchtrn. Und diese« böse nationale Gewissen wird sich wohl so lange regen, bis sich bestätigt, was von mehreren Seiten gemeldet wird: E» bleibt Alle« beim Alten. I« der letzten Zeit sind über die Belästigungen, welchen deutsche Kaufleute und Handlungsgehilfen in Schweden infolge der dortigen Steuergesetzgebung ausgesetzt sind, wiederholt lebhafte Klagen erhoben worden. Heute darf festgestellt werden, daß diesen Klagen in zwei wichtigen Puncten durch die schwedische Gesetzgebung, wenn auch erst vom Beginn des nächsten Jahres an, die Grund lage entzogen worden ist. Wie der „K. Ztg." nämlich au« Schweden mitgetheilt wird, ist dort jetzt eine königliche Ver ordnung vom 21. Mai d. I. veröffentlicht worden, wonach einerseits die von Ausländern zu zahlende Handlungssteuer nicht mehr für den Kalenrermonat, sondern für einen Zeit raum von je 30 aufeinander folgenden Tagen zu entrichten ist, und wonach anderseits der vor der Einleitung von Handelsgeschäften zu führende Nachweis der Steuerzahlung in einer Stadt sowohl beim Bürgermeister, Stadtsiscal oder Polizeicommissar, wie auch auf ;eder Polizeiwachtstube und auf dem Lande vor dem zuständige» Kronvogt oder Landrath oder dem Vorsitzenden des Gemeindeausschusscs eine- Kirch- sprengels erbracht werden kann; jeder dieser Beamten ist berechtigt, diese Nachweisführung schriftlich zu bestätigen, so daß also die bisher damit verbundenen Laufereien wesentlich erleichtert worden sind. Die Steuer ist unverändert auf dem Satz von 100 Kronen für je dreißig auf einander folgende Tage geblieben. Es ist anznerkeunen, daß die schwedische Regie rung und die schwedische Volksvertretung durch dieseVcrordaung in einigen wichtigen Puncten die Abhilfe berechtigter Be schwerden veranlaßt haben. Sie haben sich allerdings nicht zu dem Beschlüsse aufraffen können, die Axt an die Wurzel zu legen und mit dem Grundsatz dieser für den ganzen Handelsverkehr mit dem Auslande höchst lästigen und den modernen Skeueranschauungen durchaus widerstrebenden Be» steuerungSart, sowie mit dem geradezu entsittlichend wirkenden Grundsatz der Betheiligung der Angeber an den Erträgnissen der Strafen ganz zu brechen. Die Schweden betrachte» diese HandelSsteuer als eine Art Ersatz, der von ausländischen Gewerbe treibenden dafür zu zahlen i>l, daß sie in Schweben keine Einkommensteuer zu entrichten haben. Jndeß ist doch schon au« den bisherigen Verhandlungen zu Tage getreten, daß aus der Uebertreibung dieser Steuermaßregeln sich alsbald die Gefahr von einschneidenden Gegenmaßregeln ergiebt. In Schweden sind jetzt, wenn auch erst vom 1. Januar 1898 91. Jahrgang. an, diese Ueberschreitungen beseitigt; r» ist zu hoffen, daß nunmehr auch Norwegen diesem guten Beispiel folge» wird, um jeder Störung der guten und freundnachbarlichen Beziehungen zu Deutschland vorzubeugeu. Die Haltung der bulgarisch«« Behörden in der An gelegenheit des Morde- der Ungarin Anna Simon durch einen Leibgarderittmeister, einen früheren Hvfcourier und späteren Pvlizeichef vou Philippopel und einen Palast gendarmen ist, gelinde gesagt, recht auffallend. Anstatt das gesunkene Ansehen Bulgariens durch eine alle» Anforderungen einer internationalen Moral entsprechende schnelle und ein- geheuoe Untersuchung und überhaupt eine den Verträgen und dem Anstande entsprechende Aufführung wieder ein wenig zu heben, haben die bulgarischen Behörden nur zögernd und widerstrebend gearbeitet und so dem Mißtrauen gegen das amtliche Bulgarien neue Nahrung zugeführt. Ein Rattenkönig von Jntrigue», Ausflüchten und Vertuschungen liege, io schreibt der „Bester Lloyd", vor. Die bulgarische Regierung habe da» Verlange» des österreichisch-ungarische» Ver- tretrrS nach einer Untersuchung nicht erfüllen wollen und den schweren Verdacht auf sich gewälzt, daß sie die Einzelheiten des Falle- verheimlichen wolle. Da« Philippopeler Bericht habe dem österreichisch-ungarischen Consul alle erdenklichen Schwierigkeiten in den Weg gelegt und sogar den consularischen Beistand bei der Vernehmung der österreichisch-ungarischen Zeugen längere Zeit hindurch verweigert, obgleich dir« in den Lavitulationen begründet ist. Bei der Autopsie der aufgeiuodenro Leiche wollt« der bulgarische Arzt nichts von Verletzungen der Leiche wissen, die aus eine gewaltsame That schließen lassen könnten. Ter Toasul habe nur mit Muhe verhindern können, daß da« Protokoll ge- fälscht wurde. Er ließ auch die Leiche photoaraphiren, doch wurde dem Photographen verboten, die Photographie au-zufolaen. Empörend, bemerkt ferner da« Blatt, ist da« weitere Factum, daß die Localbehörde, obwohl sie dem ltonsnl, welcher dem unglücklichen Opfer nn christliche« Begräbniß bereiten wollte, die Ueberführong der Leiche versprochen hatte, dieselbe doch heimlich ohne weitere« au Ort und Stelle, wo sie der Fluß herausgeschwemmt, verscharren ließ und sich nachträglich damit entschuldigte, daß die Leiche schon stark verwest gewesen sei. Der Toasul hat selbstverständlich die Exhumirung verlangt. Stambulow und Aleko Konstantinow find noch ungerächt, und e« scheint, daß auch der Mord an der Anna Simon keine Sühne finden soll. Je auffallender dir Aussagen der Schuldigen sind, unter denen der Polizeivräfect behauptet, nur deswegen die ihm ganz unbekannte Ungarin ermordet zu haben, weil der Mann von der Leibgarde ihm mitgetheilt habe, der Fürst wünsche di« Beseitigung (und da« habe er — der Polizeipräfect und frühere Hoscurier — geglaubt), um so dringender sollte überall die Pflicht srm, klaren Wein einzuschenken und der durch die Capitulationrn ver bürgten Einmischung der Consuln den allenveitesten Spiel raum zu gewähren. Daß die« nicht geschehen ist, kann nur als ein Beweis aufgefaßt werden, daß manche« Geheimniß über der unglücklichen Anna Simon schwebt. In Folge der den Verträgen nicht entsprechenden Aufführung der bulgarischen Behörden droht ein Conflict mit Oesterreich-Ungarn, dessen Vertreter nach Wien gemeldet hat, daß er mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln in Sofia nichts mehr erreichen könne. Unsere Bermutbung, daß die beim Jubiläum der Königin Victoria in Andtca vorgefallenen bedenklichen Ausschreitungen als blutige Demonstration gegen die Feier desselben aufzusassen seien, ist durch die im heutigen Morgen blatt mitgetbeilte Nachricht bestätigt worden. Au- dieser geht außerdem hervor, daß die Bewegung sich nicht auf eine F-rrilletsm Nanny Trauner. Ls Roman von T. Schroebir. Nachdruck verboten. „In der That?" Sie nickte und entgegnete lächelnd: „Biel lieber als da hin hätte es der Alte in da« Feuer geschickt, doch der Respect vor den achttausend Gulden, die in der Leinwand steckten, hielt ihn davon ab. Nun in festvernagelter Kiste, hinter doppelt verschlossener Mansardenlhür kann r« ja auch weiter keinen Schaden anrichten." „Aus der Kiste ist es nie herausgekommen?" „Niemals." „Dann hast Du eS nur vom Hörensagen, daß die Veilchen verkäuferin blond ist)"' Sie nahm erschrocken die Unterlippe zwischen die Weißen Zähne und hob die Hand mit der Reitgerte vor das Ge sicht, wie um rin Erröthen zu verbergen. „In die Falle gegangen!" seufzte sie. „So ein schlauer Mensch aber auch!" Dann die Hand sinken lastend, mit dem Schelm in den Augen und in drollig zerknirschtem Ton: „Ach! Günther, ich gebe eS ja zu, es war abscheulich — niederträchtig, wenn Du willst, aber die „Schande der Familie" in einer be- stimmten Mansarde zu wissen und sie mir nicht einmal an sehen zu dürfen — e- war mehr, al- ich auf die Dauer ertragen konnte. Eine- schönen Tage« also, wie die Groß- eltern gerade auf Besuch ausgefahren waren, beredete ich den alten Martin, daß er seinen großen Schlüsselbund, eine Kneifzange und allerlei sonstige« TischleraerLth »ahm und mir auf leisen Sohlen die Bodentreppe hinan folgte. DaS Urbrig« kannst Du Dir denken." „Ungefähr", lächelte er, „aber da- Gemälde mußt Du mir noch beschreiben." „Es war herrlich, Günther! Selbst der alte Martin ge- rieth in Exstase. Hinter Paris, stelle Dir vor, geht eben die Sonne unter. Der ganze Himmel flammt und loht —" „Verzeihung!" Wie weißt Du, daß e- gerade Paris ist ?" „Bester Günther! Wenn ich eine Stadt kenne, so wäre eS Paris, sollte ich meinen. Habe ich nicht zwei Jahre meine» Leben« dort zugebracht?" „Das höre ich heut zum ersten Mal!" „Nicht möglich! Ober doch — ja, e« war eine trostlos öde Zeit, ich komme nicht gern darauf zu sprechen. Aber jetzt merk' auf und unterbrich mich nicht wieder! Der Ab glanz des goldenen Himmel- fällt in eine Gruppe von Bettlerinnen im Vordergründe der Brücke, vergilbt noch die verwitterten Mumiengesichter der alten Weiber, beleuchtet grell die häßlichen Lumpen, die Knochenfinger, die sich nach Almosen strecken, bringt aber da« warme Braun in der Wang« der schönen Südländerin, die in einem umgehängten Korb Blumen feil hat, zur prächtigsten Geltung. Eine üppige und doch zierliche Gestalt! Wie coquett ihr unter deut kurzen Kleid der winzige Fuß im rochen Strumpf und kinderkleineu Schuh hervorsieht! Wik viel Mühe der Corallenkamm am Hinterkopf hat^ da» wilde, schwarze Kraushaar zu bändigen, und ob die Rosen in ihrem Korb wohl frischer blühen al- ihre Lippen? Der verkrüppelt« und verschrumpste Neid au ihrer Seite blickt scheel, und wahr lich, eine gefährlichere Concurreutin läßt sich nicht denken. Mit der kleinen goldbraunen Hand hält sie verlockend ein Sträußchen empor, zwischen deu rochen Lippen lachen Perlen- rähnchen und Augen, so schwarz wie die Nacht, werfen in den vorüberwallenden Strom der Touristen, welcher sich au- dem Portal deS Louvre ergossen hat, ihre kecksten, sprühendsten Blitze. Gar kein Zweifel, Ne wird so viele Ab nehmer finden, wie Bewunderer, während die Veilchen verkäuferin leer auSgeht." „Don Allen auf der Brücke übersehen, aber für unS den Mittelpunkt de- Interesses bildend, steht diese letztere eia wenig abseits von der Gruppe der Bettlerinnen. Sie ist ja auch nicht Ihresgleichen, ist — wer weiß? — vielleicht ein in» Unglück gerathenr«, arme» Prinzeßchrn. Die grob« Kleidung hebt noch die feine Vornehmheit der lieblichen Er scheinung. Der scheidenden Sonne kehrt sie den Rücken, so kann da« grelle Licht daS zarte Weiß der Haut nicht beein trächtigen: aber ein letzter Strahl hat sich ia da« blonde Haargelock verirrt uud macht eS aufflimmern wie Gold. Sie bietet ihre Veilchen nicht dar, scheint im Gegentheil «her ge neigt, sie und sich selber mit ihnen der Aufmerksamkeit der Menge zu entziehen. Arme, kleine Seele — si« ist auf da« Mitleid auaewiesen und schämt sich zu Tod«, e« zu erregen. Solch' ein seines Roth in der zarten Wange, solch' ein bange- Zagen um den süßen Mund, solch' schüchterne Hilflosigkeit in den unschuld-vollen, blauen Kinderaugen! Wir können den Blick «icht lo«reißen von dem holden Geschöpf, und wenn e« un- endlich gelingt — waS giebt'« dann auf dem Bild noch zu sehen? — nur einen Zug von -- von —" „Von Narren", half er ihr auS, „denen daS üppige Laster Sand in die Augen streut, daß sie an der Schönheit der Tugend blind vorübergrhen." „Schau, schau, Günther!" rief sie, ihm in lebhafter Ueberraschung da« Gesicht zuwendend, „da« ist ja eine ganz allerliebste Idee!" „Darf ich nicht auch einmal Ideen haben?" lächelt« er geschmeichelt. „Bessere als ich? Nein, das erlaube ick nicht! klebrigen-, „da« üppig« Laster" ist doch wohl ein birchen zu viel gesagt in Bezug auf die hübsche Schwarzäugige." „Ich bin überzeugt, ihm wäre eS au» der Seele ge sprochen." „Wem?" „Nun, Franz. Er hat einen alte« Groll auf diese Manon." Bei Nennung de« Namen- schoß ei« Triumphblitz au« Delila'- Auge«. Simson, der ihn nicht gesehen, bub nach secuudenlanger Pause io aller Arglosigkeit an: „Du sagst mir nicht, wa- e« mit der Schande der Familie für eine Bewandtniß batte." „Ick entdeckte keine Schande, Wohl aber, was dem Groß vater Aergerniß gegeben batte. Die schöne Veilchenver- käuferin trägt nämlich dir Hellborn'schen Familienzüge — unverkennbar, Günther. E« ist ja am Ende kein Wunder, wrun der liebe Gott, der so viele Gesichter zu bilden bat, sich einmal wiederholt, dann kann man doch nicht umhin, r» merk würdig zu finden. Da ist da« Bild der Tante Ludmilla im Banketsaal — die Leute behaupten schon, ich sähe ihr ähnlich, aber di« kleine V«ilch«averkäufrrin, darauf geb« ich Dir mein Wort, ist ibr aus den Augen geschnitten." „Also -leicht fl« Dir auch — dir Brilchenverkäuferin?" stieß er in plötzlichst« Erschrecken hervor. „Martin fand «»" entgegnete si« achselzuckend, „ich nickt." „Und hieß Anna", murmelte er, die Hand an dir Stirn gelegt, „und — wann warst Du in Pari»?" wandte er sich aufgeregt ihr wieder zu. „Mein Gott, Günther!" staunte sie, „wie kommst Du mir sonderbar vorl Ich — in Pari«? Vor neun bi« zehn Jahren, wenn ich mich recht erinnere." „Dann warst Du eS!" schrie er auf, während dunkle Gluth ihm iu« Gesicht schlug. Die Zeit stimmt — der Name. Du hast, nach Deiner eignen Au«sage neulich, während Deiner Eltern Lebzeit Noth und Mangel kennen gelernt — oh! gar kein Zweifel, Du warst es, die ihm die Veilchen verkaufte und worin für Deinen Großvater die Schande der Familie bestand, ich sehe e« jetzt ganz klar!" Eine feine Falt« zwischen den Braue«, hatte sie ihm zu gehört, erst wie e« schien, verstündnißloS, dann, al« ob sie nicht recht wisse, ob si« lachen oder zürnen soll,. Jetzt entschied sie sich für da« Letztere. Mit einem heftigen Peitschenschlag spornte sie ihr Pferd, aber im Nu war er ihr wieder zur Seit«. „Antworte mir!" keuchte er. „Warst Du e«, oder warst Du e« nicht?" Und als sie schwieg, mit Ver zweiflung im Ton: „Anna — Anna, wenn ick wirklich denken müßte, daß Du e« gewesen, die er geküßt, dir er nie vergessen, dir er heute noch sucht wie damals — e« würde mich wahnsinnig machen —" „Al« ob Du eS nickt schon wärest!" unterbrach sie ihn in hartem, spöttischem Ton. „Anna!" „Jst'S nicht der Gipfel de« Wahnsinns", brach ihr Groll hervor, „daß Du mir rutraust, ich — ich hätte auf öffent licher Brücke um Almosen — Pfui! ich mag'« nicht aus sprechen !" Ihr Auge flammte ihm so stolz empört entgegen, daß daS seinige unsicher zur Seite wich. „Geliebte — ^Eine paffende Anrede — ha, ha! — nach solcher Be leidigung!" „Du kannst nicht leugnen, daß alle Umstände in wunder barer Weise stimmen. Das Mädchen hieß Anna —" „Auf diesen auserlesenen Namen hoffte ich allerdings ein Monopol zu haben!" „Dazu die Aehnlichkeit —" „Ich will Dir einen Vorschlag machen! Vom Rauhen stein bis nach Hellbronn ist's nicht weit; wenn Du in nächster Zeit einmal hinüberrittest? Der alte Martin würde keinen Augenblick anstehen, Dich in di» Bodenkammer hinauf- zuführen und —" „Ich bitte Dich, Anna!" „Nun, jedenfalls würde er sich ein Vergnügen daraus mache», Dir Tante Ludmilla'« Bild im Banketsaal zu zeigen. DaS ist die ,Veilchenverkäuferin', wie sie vielleicht noch irgend wo leibt und lebt, aber meine Wenigkeit ist eck' nicht! — WaS stimmt noch weiter?" „Daß Du gerade damals in Pari- sein mußtest!"
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