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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970709018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-09
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Börse und Handelsfreiheit haben dabei nichts gewonnen, das Bürger- thum aber hat unendlich viel verloren. Trotzdem ist der so genannte Linksliberalismus unbelehrbar geblieben und liefert den Gegnern der freiheitlichen Entwickelung die besten Waffen. So ist die „Kreuzztg." in die Lage versetzt worden, mit einem Schein von Berechtigung gegen den preußischen Liberalismus die Beschuldigung zu erheben, er leiste durch die wider Preußen erhobene Beschuldigung des Partikularismus dem süddeutschen Partikularismus Vorschub. Die „National- ztg." hatte nämlich daS Folgende geschrieben: „Die Leistungen des Junkerthums in den letzten Jahren haben nicht das Reich und seine Bedürfnisse im Auge gehabt, sie sind einzig auf den Partikularstaat Preußen zugeschnitten. Tas Börsengesetz ist in der Hauptsache gegen die Berliner Börse gerichtet, zu Gunsten der ostelbischen Großgrundbesitzer sollte der Getreidehandel in Berlin, Stettin und Breslau dem Willen der Landwirlhe unterworfen oder vernichtet werden. Mil dem Jnnungsgesetz sollen die zurückgebliebenen, kleinen und neidischen Handwerker der altpreußischen Provinzen nicht gegen das Capital und eine höher entwickelte Industrie geschützt, wohl aber zur Stimmenabgabe im conservativen Interesse gewonnen werden." Und weiter: „Die zwanzig Millionen Deutscher außerhalb Preußens be danken sich vor der „inorallschen Eroberung", mit der sie Ostelbien bedroht. Angeblich zur Abwehr gegen den Umsturz, zur Erhaltung der Landwirlhschaft, zur Reinigung der Industrie und des Handels von der Börjenjobberei und dem unlauteren Wettbetrieb, in Wahrheit, um dem Junkerthum um jeden Preis auf Kosten Aller seine Stellung und seine Lebenshaltung zu sichern." Es hätte der Ungeschicklichkeit, sich durch die Nennung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb — des in ganz Deutschland und bei allen Schichten der Bevölkerung popu lärste Gesetzes, das in den letzten 20 Jahren gemacht worden ist — zu demaskiren, nicht bedurft, um der „Kreuzztg." Gelegen heit zu dem Nachweise zu geben, wozu und für wen das Berliner Blatt auch andere, zutreffende Betrachtungen über die Verschlechterung der Stimmung gegen Preußen zum Besten giebt. Angesichts des Anwachsens der bayerischen Bauernbundbewegung und des Vordringens des Bundes der Landwirlhe in Hannover ist es zum Mindesten unvorsichtig, die jüngste WirlhschaflSgesetzgebung als die Ursache der wachsenden Unzufriedenheit in und außerhalb Altpreußens zu bezeichnen. Die „Kreuzztg." hat aber auch ein Recht zu fragen: „Ist denn das Börsengesetz im Preußischen Abgeordnetenhaus beschlossen worden? Haben nicht im Reichstag fast Las ganze Centrnm und die große Mehrheit der Nationalliberalen und zwar bei beiden auch die süddeutschen Vertreter dafür gestimmt? Ist nicht gerade München ein Hauplsitz weitgehendster JnnungSbestrebungen? Haben nicht süddeutsche Nationalliberale, einschließlich des verdienten Vorsitzenden der betr. Commission, des Abg. Bassermann, für die Handwerkeroorlage gestimmt?" Dies sind vollkommen berechtigte Einwendungen, auch in unfern Augen, die wir — vorzugsweise auS formalen reichspolitischen Gründen — die Stellungnahme der Mehrheit der national liberalen NeichStagSfraction zur Handwerkervorlage nicht zu billigen vermocht haben. Die Zulassung der facultativen Innungen durchbricht die deutsche Rechtseinheit tbatsächlich, aber sie kann, und zwar gerade eben deswegen, in Württem berg und Baden keine Verstimmung gegen Preußen Hervorrufen. Im Gegentheil weckt sie bei einer Minderbeit der Handwerker Unmuth darüber, daß man dort das Beispiel, welches Preußen mit der Begünstigung der Zwangsinnungen geben wird, nicht befolgt. Nein! Die Einschränkung des Annoncenschwindels, die Handwerkskammern und das Verbot des börsenmäßigen GetreideterminhandelS sind ganz unschuldig an den Klagen über „Preußen." Diese Klagen sind politisch und die Ab neigung gegen die Ostelbier hat ihren Grund in der Erkennt- niß, daß deren Bestrebungen vor allen Dingen politischer Natur sind. Es zeigt sich immer deutlicher, daß der ostclbische Adel systematisch die abnormen Regierungsverhältnisse sich zu Nutze macht, ja die Abnormität zu vermehren und zu steigern sucht, um den Monarchen, der zwar glaubt, allein regieren zu können, es aber nicht kann, in ihre Hände zu bringen, wie sie Friedrich Wilhelm IV. in den Händen gehabt haben. Davon spricht die „Kreuzzeitung" nicht, sie bemüht sich viel mehr — ebenso irreführend wie die „Nationalzeitung" —, die Mißstimmung gegen Preußen, d. h. gegen das Berliner Regiment, mit der traditionellen Abneigung der deutschen Demokratie gegen den Hohenzollernstaat zu erklären: „Bon jeher ist dem deutschen Liberalismus die ge schichtlich gewordene Eigenart Preußens besonders verhaßt gewesen. ...Die deutsche Demokratie wie der französische Chauvinismus sahen und sehen in Preußen den einzigen Gegner, den sie ernsthaft zu fürchten haben. Preußen mit seinem selbstständigen König- thum, feinem lebensfähigen, geschichtlich erprobten Grund besitz, seiner starken, zuverlässigen Armee war von jeher allen demokratischen Gelüsten wie dem feindlich gesinnten Auslande ein Dorn im Auge. Das ist ebenso begreiflich vom Standpunkte der Interessenten wie ehrenvoll für Preußen j" In diesen Sätzen ist — von dem altgewohnten unehrlichen Spiel der Gleichstellung von deutschem Liberalismus und partikularistischer und klerikaler Demokratie sehen wir ab — Vieles richtig. Aber sie passen, gerade so wie einige Bemerkungen des Blattes über die sogenannte Beliebtheit der Norddeutschen in Bayern, auf die heutige Situation wie die Faust aufs Auge. Ueber die Unbeliebtheit der „Preußen", der „Berliner" zu schreiben» ist nicht die Tinte Werth. Es handelt sich hier um Dinge ohne politischen Untergrund, eigentlich nur Neckereien, wie sie zwischen den deutschen Stämmen von jeher üblich waren. Die heutige Be wegung ist keiner früheren zu vergleichen. Nicht die Demokraten, nicht die Partikujaristen — die freuen sich innerlich über den Gang der Dinge — sind die Erbitterten, sondern die National gesinnten, diejenigen Elemente, die die Einigung unter Preußen willkommen geheißen halten und für dieses bestehende deut,che Reich begeistert sind. Und die Erbitterung rührt daher, daß die Schilderung, die die „Kreuzzeitung" von Preußen entwirft, gar nicht mehr zutrifft. Ist das starke Preußen, daS uns führen soll, noch vorhanden? Ist ein Königthum „selbst ständig", weil der König heute so und morgen anders be schließt? Wohin wagen sich die Blicke der Patrioten in Preußen noch erwartungsvoll zu richten? Etwa auf die Stelle, an welche die „Conservat. Corr.", ohne ein Anstoßen befürchten zu müssen, das Verlangen stellen darf, zur Stärkung deS KönigSthumS dahin zu wirken, daß jede an einer der wechselnden Regierungsmaßregeln oder an einem Minister geübte Kritik als Maj«stätsbeleidigung aufgefaßt und be straft werde? Und außerhalb Preußens sollte ein Vertrauen vor handen sei, das dort zerstört ist? Wir nehmen nicht in An spruch, daß die nichtpreußischen Deutschen, soweit sie überhaupt reichstreu sind, das Gesammtvaterland höher halten und mehr lieben als die Preußen. Aber bei Jenen, die viele Jahrhunderte zurückgehen müssen, um auf erhebende ge schichtliche Erinnerungen zu stoßen, ist die BewerthunH des in den Jahren 1870 und 1871 Geschaffenen doch eine höhere als bei den Altpreußen, deren Vorfahren von einem großen Kurfürsten, einem Friedrich II. singen und sagen dursten und die wenigstens nicht von dem ganzen Jammer der Kleinstaaterei anzefaßt waren. Dementsprechend ist auch die Empfindlichkeit gegen Störungen der natio nalen Entwickelung, wie sie seit Jahren das Alltägliche geworden sind, im „Reiche" noch größer als in Preußen. Namentlich dort, wo man die demokratisch - partikula- ristische Gefahr stündlich vor Augen hat und in ihrer Bekämpfung von Berlin aus gehemmt ist. Die Social demokratie aber, ebenfalls antinational, sieht sich im ganzen Reiche gleichmäßig von der Stelle gefördert, wo die „Kreuz zeitung" das „selbstständige Königthum" erblickt. Solche Wahrheiten nicht öffentlich auszufprechen oder gar sie aus elendem Parteiegoismus zu entstelle», ist nachgerade Ver brechen geworden. Deutsches Reich. U Berlin, 8. Juli. Die kurze Sommerrubepause in den Fahrten desPanzergeschwavers nach der Jnspicirung und während der Kieler Woche endete diesmal bereits am 1. Juli mit der Regatta der Kriegsschiffsboote. Schon am 2. Juli verließen die Schiffe des Geschwaders den Kieler Hafen und hielten bis zur Rückkehr am Sonnabend in See Einzelübungen und Schießübungen bei Tage und bei Nacht, sowie Abwehrübungen gegen Torpedobootsangriffe ab. Nachts wurde gegen elektrisch beleuchtete Scheiben geschossen. Am Sonnabend, den 3. Juli, trat die aus der und L- Division bestehende Torpedobootsflottille in den Geschwader verband. Am Montag wurde in See von den Panzerschiffen das gefechtsmäßige Torpedoschießen abgehalten, Nackts wurden von der Flottille Torpedobootsangriffe ausgefübrt. Am 6. Juli wurde die Torpedoschießübung beendet, Nach mittags nach Kiel zurückgekebrt und der Kohlenvorrath auf- gesüllt. Am 7. Juli Morgens verließ das Panzergeschwader nebst zugehöriger Torpedobootsflottille Kiel. Die Zeit in See bis zu der am 10. beabsichtigten Ankunft vor Helgo land soll mit Manövriren im Geschwader im Verein mit der Flottille ausgefüllt werden. Während der dann fol genden zwei Wochen werden die in der Ostsee bei ruhiger «:ee begonnenen Schießübungen in der Nordsee bei bewegtem Meer schiffsweise, im Divisions- und im Geschwaderverband fortgesetzt. Der hohen Kosten der Munition halber und zur Schonung der schweren Geschütze werden diese Uebungen mit Ersatzrohren kleineren Calibers er ledigt, welche in die Rohre der großen Kanonen fest ein gefügt werden, so daß nur die Schußwirkung verringert wird, die Bedienung des Geschützes aber dieselbe bleibt. Später im Herbstmanöver wird bei dem gefechtsmäßigen Schießen gegen die Schiffsscheibe mit der richtigen Kriegsmunition ge schossen. Während der nächsten Wochen finden anck Uebungen der Torpedobootsflottille und Nachtangriffe auf daS Geschwader oder Tbeile desselben statt. Am 24. Juli wird das Geschwader Wilhelmshaven anlausen und dann wahrscheinlich nach der Ostsee dampfen. * Berlin, 8. Juli. Gegenüber dem von der „Kreuz - Ztg." entworfenen Postprogramm ist es von Interesse, vie Ansicht des UnterstaalSsecrelairs I)r. Fischer über einen der Hauptpuncte dieses Programms zu hören. Ist-. Fischer hat sich in einer Abhandlung über das Postwesen im Hand wörterbuch für Staatswissenjchaften über die wirthschaflliche Bedeutung des 50-Pfen n i gportos nach der „Voss. Ztg " wie folgt ausgelassen: Begünstigt durch den Einheitstarif von 50 für Packete bis 5 kg ohne Unterschied der Entfernung Hal sich durch den Päckereidienst der Reichspost für viele Gewerbs- und Productionszweige ein unmittelbarer Verkehr zwischen Pro ducenten und Consumenten entwickelt, der früher durch Zwischenhändler in unnölhiger Weise erschwert und ver- tbeuert wurde; viele Gegenstände, die am Ort ihres Ent stehens gar nicht oder nur zu geringem Preise verwendbar waren, können jetzt gegen billige Gebühren an Orte gelangen, wo sie einen weitaus höheren Werth haben, und bilden seitdem einen lohnenden Erwerbszweig für die Heimath, so zum Beispiel die in den Wäldern von Masuren in großen Mengen wachsenden Morcheln, die dort ganz unverwertb- bar sind, in Postpacketen aber an Orte gelangen, wo sie einem kulinarischen Bedürfniß entsprechen. In ähnlicher Weise erhöhen die in den Gewässern Westpreußens vor kommenden großen Krebse ihren Werth durch Postversandt nach Paris, die Rücken der lüneburgischen Heidschnucken werden von den Feinschmeckern am Rhein und in den Niederlanden hoch bezahlt. Der Kleinpäckereiverkehr der Post greift aber auch in die Production anregend ein, indem er den Versandt von Rohstoffen für Hausindustrien der Stickerei und Weberei, von Muster- und Probesendungen an Fabriken und dergleichen zu billigen Sätzen und unter Ein haltung der erforderlichen Beförderungsfristen ermöglicht. (D Berlin, 8. Juli. HTelegramm.) Nach überein stimmenden Meldungen verschiedener Abendblätter soll die Ernennung des Botschafters von Thielmann zum TtaatS- secrctair VeS Reichsschatzamts bereits erfolgt sein oder doch mit Sicherheit bevorstehen. D Berlin, 8. Juli. (Telegramm.) Die „N. A. Z." theilt mit (was sie längst hätte thun sollen), daß gegen v. Tausch, der wegen schwerer Erkrankung auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses beurlaubt sei, nach feiner Entlassung ans der Untersuchungshaft die Tisetplinar-Untersuchnng ein geleitet werde. L. Berlin, 8. Juli. (Pri v alte le gram m.) Zur Ent scheidung des lippischcn (-rbfolgestreiteS meint die„Nat.-Ztg": Da eS nach deutschem Fürstenrechl keinem Zweifel unterliegt, daß für einen regierungsunfähigen Herrscher der Thron folger als Regent zu fungiren hat, so wird die nächste Folge der Anerkennung des Erbrechts der Grafen zur Lippe- Biesterfeld Wohl sein, daß daS Haupt dieser Linie an Stelle des Prinzen Adolf von Schaumburg-Lippe die Regentschaft in Detmold übernimmt. — Die „Berl. Pol. Nachr." theilen mit, daß die preußische Regierung in naher Zeit die endgiltige Regelung des Wahlrechts für Staat und Gemeinden in die Hand nehmen wolle. Der geeignete Zeitpunkt hierfür sei gekommen, wenn die Erhebungen über die Wirkungen der Steuer reform auf das Wahlrecht abgeschlossen seien. Diese Er hebungen seien dem Abschluß nahe. Schon jetzt lasse sich übersehen, daß es namentlich auf dem Gebiete des Ge- meinbewahlrechts weiterer Cautelen gegen eine Ver schiebung zu Gunsten der reicheren Minderheit und zu Un gunsten des Mittelstandes bedürfen werde. Es sei sehr wahrscheinlich, daß der Landtag schon in seiner nächsten Feuilletsn. Ferien-Arbeiten. Eine Plauderei zum Beginne der Schulferien. Von Franz Lichtenberg. Nachdruck verboten. Der Beginn der großen Ferien — gewiß erinnerst Du, lieber Leser, Dich noch auS der Zeit, da Du selbst im Flügel kleide in die Mädchen- oder Knabenschule gingst, was dieser Tag bedeutete. Wie wurde er besprochen und Herbeigesehnt! Wie wurden die Wochen, die Tage bis dabin gezählt! Und endlich war er mit einem Male wirklich da und brachte fünf lange Wochen der Ruhe, deS Genusses, der Reise, der Freiheit von allen Arbeiten außer — Dies „Außer" gehört zu der weitverbreiteten Familie der „Aber", die sich an jedes menschliche Glück hängen, ist aber zum Glück kein besonders schlimmes Glied dieser Familie. ES beißt „Ferien-Arbeiten". Die Ferien-Arbeiten sind die Wolke auf der sonst ungetrübten ferialen Aussicht. Und ach! sie macht sich so breit! Wenn der würdige Vater, in dem idylliscvcn Harzdorfe oder am Strande der rauschenden Salz, fluth angelangt und installirt, sich pflichtgemäß ihr Ver zeichnis zeigen läßt, da winkt ihm eine lange Liste und darauf zuletzt, aber hier wirklich nicht als das Geringste, der ominöse Vermerk: „Alles repetiren." Nun, ich darf wohl annebmen, daß Klein-Fritzchen und Klein - Lottchen dieser bescheidenen Skizze keinen Bruchtbeil ihrer Ferienmuße opfern werden; und so will ich, ganz eutre nous, offen sprechen: diese Generalrepetition ist nur ein lieb liche« Ornament deS Ausgabenbuches, eine pslichtmäßige Mahnung deS biederen PräceptorS, bei der ihm ähnlich, wie den schlimmen altrömisebrn Auguren, zu Muthe ist. ES wird nichts daraus; drei Tage lang wird mit stets sinkendem Eifer diese Aufgabe in Angriff genommen, am vierten ist sie verschwunden „und ward nicht mehr gcsebn." Als Mensch billige ich dies Verfahren vollkommen und bedanre nur daS fruchtlose Bemühen der ersten Tage. Als Pädagoge kann ich mich (wie Lessing sagen würde) nicht „entbrechen," ein Bedenken zu Protocoll zu geben. Goethes trefflicher Vater, dessen Vorzüge überhaupt, wie mir scheint, über der freilich begreiflichen Vorliebe für Frau Aja allgemein unter schätzt werden, hielt streng darauf, daß jede einmal an-1 gefangene Arbeit auch durcbgesübrt werde, und ich halte I diesen Grundsatz im Interesse der Erzielung eine« ernsten I und stetigen Wollens für ganz berechtigt und segensreich und rathe darum, den unglücklichen chimärischen Versuch der Generalrepetition von vorherein ganz zu unterlassen. Besser, der Vater erkundet, in welchen Punkten es mit dem Wissen des Schulkindes (wie der schreckliche amtliche Ausdruck lautet) schwach bestellt ist, und setzt gleich diese Concreta anstatt jenes AbstractumS auf die Liste der Ferienarbeiten. Sollte aber unser Musterknabe an solchen schwachen Punkten einen embarras clo ricksksv besitzen, — nun, dann beißt eS eben, nach näherer Einsicht oder auch auf gut Glück Einzelnes herausgreifen und daS Uebrige dem Schicksal überlassen. „Aber dann bleibt mir der Junge am Ende! . . Besorgte Mutter, die Du diesen bedeutenden Ausruf tbust, ist es Dir lieber, wenn Dein Kind an Leib und Seele gesund ins Leben tritt, oder wenn eS als ein bebrilltes, schwachbrüstiges nervöse« Opfer seines Fleißes ein Jahr früher die Schule verläßt? Wenn die Antwort nicht zweifel haft ist, so kann nur dringend empfohlen werden, den Charakter und Zweck der Ferien, zur geistigen und körper lichen Erfrischung des Schüler« zu dienen, in keiner Weise zu beeinträchtigen. Dies bleibt immer 8upromrr lex, und die Ferienarbeiten haben darum nur die Bestimmung zu verbüten, daß die Verbindung zwischen den Schulperioden abgeschnitten wird, oder noch besser: daß der Geist außer Zucht und Schulung geräth. Da- ist die ethische Seite der Ferien arbeiten; denn selbst Ferienarbeiten können sich dieser ge fährlichen Seite nicht entziehen. Wir Alle führen ja gegen den geheimen Barbaren und Faulpelz in uns einen stillen Kulturkampf, um nicht einer gelegentlichen Verführung zu erliegen und uns der Zucht zu entziehen. Siegt der bejagte Barbar und Faulpelz, dann kommen wir in die üble Lage der Soldaten Hannibal'S, die bekanntlich ihr Capna fanden — weil sie keine Ferienarbeiten hatten. So sollen die Ferien- arbeiten dazu dienen, daß die Ferienzeit weder zu einem trägen Genußleben, noch zn einem angstvollen Nackbüffeln werde, und schon da« Kind soll an ihnen lernen, seine Ruhe human (im Sinne unserer Klassiker) zu genießen. Die großen Ferien sind die Zeil im Jahre, in der im Allgemeinen die Ellern von ihren Kindern am meisten haben. Jetzt haben sie mit ihnen lange Wochen in einer völligen Gemeinschaft und theilen mit ihnen alle Genüsse und Erlebnisse. Das clulco mit dem utile zu vereinen, ist überall im Leben eine der wichtigsten Künste; und so sollte auch eben diese Lebensgemeinschaft selbst in den Dienst der Ferienarbeiten gestellt werden. Keller'S Martin Salander führt seine Kleinen auf einen Berg, und von dort herab weist er ihnen das Umland, erzählt ihnen die Schicksale und Denkwürdigkeiten des GaueS, macht ihnen daS Land und die Leute lebendig. Zu solch einem Anschauungs-Unterricht bietet ja ein jeder Ausflug eine so bequeme wie glückliche Gelegenheit: und wird so das Interesse und Beiständniß des Kindes für die Gegenstände der Geschichte, der Erd- und Naturkunde aus dem Leben selbst genährt und gestärkt, so ist das vielmals wichtiger, als die Frage, ob die Ferien-Rechenaufgaben richtig waren und der Ferienaufsatz eine bessere oder schlechtere Note erhielt. Die verletzungsängstliche Mutter aber wird nicht verkennen, daß die vorn binauSbeförderle Generalrepitition hier durch ein Hinterpförtchen eigentlich wieder eingesübrt wird. Freilich, eine methodische Wiederholung alles Buch wissen« wird auf diese Weise nickt erreicht; aber aus der anderen Seite wird etwas Wichtigere« gewonnen: die Stärkung der Wurzel aller Fassungsgabe, des Verständ nisses überhaupt. Ich muß nun allerdings zugeben, daß die« eigentlich mehr eine Ferienaufgabe für die Erwachsenen, wie für die Kleinen ist. Aber e« ist ja nur ein weit verbreiteter Jrrtbum, daß wir Großen über das Stadium der Ferienarbeiten hinaus seien. Nur die Form bat sich geändert. Wohl ein jeder nimmt sich für seine Ferien etwas Bestimmtes vor. Der will versäumte Lectüre nachholen, jener sich in einer Sprache vervollkommnen, ein anderer in der Waldeinsamkeit gar den, schwierigen Geschäfte de« Dichtens obliegen. Wir haben Alle unser geheime« Ausgabenbuch, und meist begeben wir auch noch die kindlichen Fehler, zn Großes anzufangen, darum bald nachzulassen und schließlich die unaufgcschiiittcnen Bücher oder das unbedichtete weiße Papier als stillen Vorwurf im Koffer wieder mit heimzunebmen. Und dock liegt ein natür liches Gefühl und ein gesunder Drang dem Verlangen zu Grunde, sich mit einer Ferienarbeit zu beschäftigen, — jener Drang, den Geist in der Schulung zu erkalten. Macaulay, der ein sehr gewissenhafter Mann war, befolgte den Grund-1 satz, in jedem Lande, daS er bereiste, nm Werke auS derI Literatur eben diese« Volke« zu lesen; und Goethe, der ein! Poet war, wandte diesen so an, daß er an den Gestaden Siciliens und Unteritaliens das schönste aller Neisemärcken, die Odyssee, las, die er sich dort spielend dachte. Ich weiß nicht, welche eigenartige Auffassung bei uns dakin geführt hat, daß als „Reiselileratur" gerade die seichtesten und dürftigsten Erzeugnisse angesehen und verwandt werden. Freilich, wer am Strand von Borkum die ./Abstammung des Menschen" studirt, oder sich auf der Noßtrappe in die „Welt als Wille und Vorstellung" vertieft, — ter ist ein eigenartiges Menschengebilde, für das ich reckt wenig Verständniß übrig habe. Aber darum erscheint mir der, den unter den rauschenden Kronen des Bergwalds oder Angesichts der heiligen Tbalatta Hausen's und Greten's Schicksale in der allerfadestrn Form inleressiren, um nichts verständlicher oder verständiger. Gerade auf der Reise ist unsere literarische Genußfähigkeit, wenn wir unsere Lectüre richtig wählen, sehr erhöbtj und darum bleibt für die Ferien arbeiten der Erwachsenen die richtige Wahl das erste und letzte. Ich erinnere mich, mit wie viel erhöhter Freude ick die ersten Tbeile von Frcytag'S „Ahnen" in Thüringens Bergen las. Wie mir nicht allein da- Werk wertber und vertrauter wurde, sondern eine Well eigener Vorstellungen von ver gangenen Zeiten in mir sich bildete! Das wilde Tbal der Schwarza entlang verfolgte ich den Zug der flüchtenden Gefangenen der Sorben („Jngraban"), und die Geheimnisse und Gefahren des alten deutschen Urwalds wurden mir deutlich, wie nie zuvor. Ich gedachte am Wasser der Jtz, wie hier auf der Stamme«- und Grenzscheide Ingo zuerst er schien; und das bunte Völkergemisch deS Thüringer Landes schien klar wie eine Reliefkarte vor mir zu liegen. Auch für uns Erwachsene bleibt eben der Anschauungs unterricht das beste Bildungsmittel und auch bei uns kommt Alles darauf an, die Ferienarbeiten uns ein wenig angenehm zu macken. Wir übersetzen das Lateinerwort korirw mit „Feiertage". Manche lassen dann auch wirklich den Geist völlig feiern; sie dürfen sich nicht wundern, wenn er, scklaff und träge geworden, ungern und widerwillig in den Dienst der geordneten Arbeit zurückkehrt. Besser ist eS, ihm eine solche Nakrung zu geben, daß seine Stimmung mit dem Zauber der Natur sich ver einigt und dazu beiträgt, die „Ferien" zu „Tagen der Feier" zn gestalten.
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