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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970717021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-17
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Corr." hervor: „Bekannt ist, daß am L8. Mai bei der namentlichen Abstim mung über den freiconservativen Antrag, den das Herrenhaus mit unwesentlichen Veränderungen sich zu eigen gemacht hat, unter den 206 ablehnenden Stimmen sich auch die des Herrn Abgeord neten Schoos befand, und daß er mit einbegriffen war, als am 22. Juni in der Schlußabstimmung, von der Fraktion autorisirt, der Abgeordnete Hobrecht die bekannte Erklärung abgab, wonach die nationalliberale Fraction an ihrer Fassung des Gesetzes seslhält und einstimmig jede Zu- muthung einer weiteren Aenderung des Vereins« und Versamm- lungsrechts ablehnt — sei cs im Sinne der ursprünglichen Re- gierungsvorlage, sei es im Sinne der im Abgeordnetenhaus« ge stellten Anträge, — was aus die Herrenhausfassung zutrifft — und daß auch nicht ein Theil der Fraction dafür zu haben sei." Die „Nordseeztg", die den Bericht über die Versamm lung veröffentlicht, erklärt: „Wir sind gespannt darauf, ob Herr Schoos nach dieser Fixirung seines Standpunctes noch länger Mitglied der nationalliberalen Partei bleiben kann und wird." Wir haben unsere Ansicht über diese Frage schon gestern ausgesprochen und erwarten, daß Herr Schoos feinen Anschluß künftig da sucht, wo er ähnliche Windfahnen findet. Wo sie gerade in Bezug auf das Socialisteugesetz zu finden sind, ergiebt sich aus einem Artikel, den die „Kreuzztg." am l. October 1890 über das Erlöschen dieses Gesetzes ver öffentlichte und in dem es, wie die „Zeit" in Erinnerung bringt, hieß: „Einmal gewährte das neue Gesetz den Königen keinen Schutz gegen verbrecherische Anschläge, denen man sich von einer iu das Dunkel gedrängten Bewegung um so mehr versehen mußte: nicht das Socialisteugesetz des Fürsten Bismarck, sondern der vom Himmel fließende Regen hat das Niederwald-Attcntat vereitelt. Zugleich aber ward der Anschein erweckt, als ob die Monarchie sich grundsätzlich mit der gegenwärtigen Gesellschafts-Ordnung einschließlich aller ihrer Mißbräuche identi- ficire und dieselbe mit allen ihr zu Gebote stehenden Macht mitteln aufrecht zug erhalten entschlossen sei. Man wollte eine revolutionäre Partei treffen, aber, indem diese die einzige ausdrück liche Vertreterin eines ganzen Standes war, traf man den ganzen Stand; jeder Arbeiter, der für die Interessen seines Standes ein trat, war durch das Gesetz gebrandmarkt. Das Socialisteugesetz hat den Eindruck eines Classengesetzes, geschaffen zur Wahrung des Uebergewichts einer Classe über die andere, nicht nur auf die Arbeiter gemacht, sondern ebenso aus die Bourgeoisie. Nunmehr ist die Aera der einseitigen Politiker definitiv ab geschlossen; für politische Experimente und Schach, spielereien ist kein Raum mehr. Das Socialisteugesetz ist todt! Es leben die socialen Gesetze!" Kaum zwei Wochen sind verflossen, seitdem die Führer deS CentrumS bei der Einweihung der Schöneberger Windtborst- kirche sich an dem Traume berauschten, daß die Entschei dungsschlacht gegen den Protestantismus auf dem märkischen Sande siegreich geschlagen sei. Inzwischen ist in Bayern das Schicksal schnell geritten; die Geister der Rebellion im Cen- trumslager, die man mit dieser Siegesfanfare beschwören wollte, erheben drohend ihr Haupt. Im Landtagswablkreise Regen bat, wie bereits gemeldet, eine Ersatzwahl für Len bayeri schen Landtag stattgefunden mit dem Ergebniß, daß, statt eines Centrumsmannes, der erbitterte Gegner der Partei, Or. Sigl, der Herausgeber des berüchtigten „Bayer. Vater lands", in den bayerischen Landtag einzieht. Wie bart dieser Schlag für die gesummte Centrumspolitik ist, läßt sich erst ermessen, wenn man die Ereignisse der letzten Wochen in Betracht zieht. Zuerst kam der Aufruf des bayerischen Landtagsabgeordnelen Söldner, die CentrumS- bayern im Reichstag sollten vom norddeutschen Centrum sich trennen, als „bayerische katholische Volkspartei" eine selbst ständige Gruppe bilden und mit dem Centrnm zwar gemeinsam marschiren, aber dafür sorgen, daß mit seiner Hilfe ein kräftiger bayerischer ParticulariSmns Ausdruck finde. Die bayerischen Centrumsabgeordneten gaben darauf noch vor Schluß der Neichstagssession die Erklärung ab, sie seien überzeugt, daß eine solche Trennung und die Gründung einer besonderen bayerischen Volkspartei „auf das Leb hafteste zu beklagen" sei, und stellten dem damit schnell getrösteten „norddeutschen Centrum" sogar in Aussicht, eine entsprechende Erklärung an daS „bayerische katho lische Volk" zu erlassen. Diese ist indeß ausgehlieben und das bat sich die bauernbündlerische Bewegung, die außer Or. Sigl im Reichstag noch drei Vertreter hat, zu Nutze gemacht. Im Wahlkreis Regen war nun die Kraftprobe zu machen, da hier gerade Or. Sigl ausgestellt war, der unausgesetzt das bayerische Centrum und seine Führer in der schärfsten Weise bergenommen hatte. Trotzdem ist er nun gewählt worden und zwar, was besonders bemerkenSwertb ist, mit Unterstützung eines großen Theiles des niederen Klerus, der mit dem gebildeten Centrumsanhange die Fühlung verloren hat und sich nun notbgedrungen an die Massen halten muß, wenn er nicht auf den letzten Rest von Autorität verzichten will. Es ist unausbleiblich, daß der Erfolg des Abg. Or. Sigl in Regen auch auf die gegen das ReichstagScentrum gerichtete Bewegung einen verhängnißvollen Einfluß ansüben wird. Namentlich wird der Gedanke der „bayerischen katholischen BolkSpartei" einen großen Vorschub erhalten. Wie das Centrum auf dem in vier Wochen in Landshut eingesetzten Katholikentag diesen rollenden Stein anfzuhalten versuchen wird, muß abgewartet werden. Die südlich vom Main ge rufenen Geister sind nicht so leicht zu bannen, wie die am Rhein und in Schlesien. Die 8l6 ordentlichen Professoren der 21 deutsch en Universitäten, welche die gestern mitgetheilte Kundgebung an die Prager Universität erlassen haben, haben eö sich gewiß nicht träumen lassen, daß ein deutsches Blatt sich finden werde, das in dem dem ganzen deutschen Volksthum in Oesterreich aufgezwungenen Kampfe Partei für die Bedrücker dieses VolkSthums nehmen werde. Und doch findet sich ein solches Blatt. Die „ K r e u z z e i t u n g " scheut sich nicht, die Bewegung in Oesterreich auf jüdisch-liberale Machenschaft zurückznführen und die ' Sprachenverordnungen als ziemlich harmlose Maßregeln hin zustellen. Aber die Unterzeichner der deutschen Professoren kundgebung werden sich darüber ebenso zn trösten wissen, wie darüber, daß die „Leipz. Ztg." in diesem Falle dem preußischen Jnnkerblatte beistimmt. Es ist frivol, in einen Nationalitätenkainpf den confessionellen und den partei politischen Standpunkt hineinzulragen, wenn nicht der mindeste Anlaß vorliegt. Daß in Deutschland keines wegs allein die jüdische oder die liberale Presse für die Deutschen in Oesterreich eintritt, zeigt --- von jener Kund gebung, welche die „Kreuzztg." bei der Abfassung ihres Artikels noch nicht kannte, abgesehen — schon ein flüchtiger Blick in die Zeitungen. Die antisemitisch und konservativ gesinnte „Tagt. Rundschau" steht z. B. mit an der Spitze der für die Interessen der Deutschen in Oesterreich kämpfenden Blätter. Das ofsicielle Organ der sächsischen Con- servativen, das „Vaterland", sagt am Schlüsse einer Schilderung der unter den Deutschösterreichern herrschenden Stimmung wörtlich: „Bis jetzt richtet sich die Erbitterung nur gegen die Regie rung; beharrt letztere aber iu ihrer seit Jahrzehnten gegen das Deutjchthum gerichteten Haltung, so wird sie sich bald auch gegen die Dynastie wenden, dann ist ein „unerlöstes Deutsch land" in Oesterreich fertig, und das Deutsche Reich wird, wie in Schleswig-Holstein, gezwungen sein, sich seiner Stainmesgenosjen anzunehmeu." Dem Ncichstagsabgeordneten Zimmermann, der sich bekanntlich wiederholt in den Kampf gedrängt hat, kann der Vorwurf der Hinneigung zum Judenthum und zum Liberalismus gewiß nicht gemacht werden. Nicht anders liegt die Sache in Oesterreich. Der Abgeordnete Schoenerer und seine Freunde haben von ihrem Hasse gegen das Judenthum nicht das Mindeste ein gebüßt, und wenn sie trotzdem in dieser Frage auch mit Liberalen und Juden Zusammengehen, so beweist dies, daß es sich hier um eine eminent nationale Angelegenheit handelt. Ebenso wird man den steyerischen und tiroler Ge meinden, die, obwohl sie selbst von den Sprachen verordnungen nicht betroffen sind, mannhaft für die Sache ihrer StammeSgenossen in Böhmen eintreten, nicht vorwersen dürfen, daß sie aus anderen als nationalen Gründen sich aus einen Kampf mit der Regierung einließen. Und wie steht es mit der „Harmlosigkeit" der Sprachenverordnungen? Die Verordnungen greifen vor allen Dingen tief in die Thätigkeit der Gerichte ein. Die Behörde soll auf Eingaben in der Sprache antworten, in der die Eingaben abgcfaßt sind, sie soll in Strafsachen in der Sprache des Angeklagten die Hauptverhandlung führen, sie soll auch in civilproccssualen Verhandlungen das Protokoll in der Sprache der Klage abfassen. Damit müssen ganze Landestheile, wo nur ein geringer Bruebtheil von Slawen wohnt, slawisirt werden. Denn deutsche Zeugen oder deutsche Geschworene werden geradezu einer Tortur ausgesetzt. Man denke z. B. daran, daß in einem Schwurgericktsprocesse in einer deutsch-böhmischen Gegend der Angeklagte ein Tscheche ist, während der Gerichtshof, Geschworene, der Staatsanwalt, der Gerichlsschreiber und die Zeugen Deutsche sind. Dann wird die Dauer der Verhandlung wenigstens verdoppelt, und zugleich wird eS den Deutschen fast unmöglich gemacht, der Verhandlung genau zu folgen. Es ist eine leere Ausflucht, wenn betont wird, daß erst von den im Jahre 190 l eintretenden Beamten die Kenntnis; beider Sprachen verlangt werde, denn eS liegt auf der Hand, daß den gegenwärtig im Amte befind lichen und den dis dahin in daS Amt eintretenden Beamten ihre Thätigkeit durch die Sprachenverordnungen unendlich erschwert wird. Es gehört kein übergroßes Maß von Scharf sinn dazu, um zu erkennen, daß dadurch der weiteren Aus breitung des TschechenthumS Vorschub geleistet wird. Diesen Bemühungen die Hand zu bieten, kann nicht Sache eines deutschen Blattes sein, und noch weniger ist eS seine Ausgabe den Verrath Lneger'S und seiner Genossen an der deutjchen Sache als einen Act politischer Klugheit zu beloben. Daß sich die „Kreuzzeitung" auf die Seite Lueger's und des Renegaten Fürsten Schwarzenberg stellt, ist ihrer Haltung in den 50er Jahren würdig, wo sie ebenfalls aus purer Be geisterung für das absolutistische Regiment in Rußland aufs Eifrigste die Partei des Kaisers Nikolaus nahm, der Preußen auf daS Empfindlichste gedemüthigt hatte. In der französische» Kammer hat man sich gestern über Steuerfragen erhitzt, das Cabinet hat die Vertrauensfrage gestellt und ist mit 282 gegen 249 Stimmen Sieger geblieben. Das ist eine geringe Majorität, allein sie genügt, um das Ministerium vorläufig über Wasser zu halten; waS dann im Herbst kommt, das weiß man nicht, Meline hofft jedoch, daß er und sein Cabinet daS Frühjahr und somit eine zweijährige Dauer erleben. Im Frühjahr finden die allgemeinen Wahlen statt, die dann Möline leitet, und er kann sich auf ein drittes Ministerjahr freuen. Das ist der politische Punkt, um den eS sich bei der Steuer debatte bandelt, und über Steuern spricht man, über Steuern stimmt man ab, das Leben des Ministeriums Msline meint man. Zum Derständniß der Steuerfrage an sich wollen wir nur »och Folgendes mittheilen: Die Regierung brachte vor einiger Zeit eine Vorlage ein, die das bestehende System der vier unmittelbaren Steuern (Grund- und Gebäude-, Thür- und Fenster-, persönliche und Mieth-, endlich Erwerbsteuer) durch greifend umgestaltet. Daß diese Vorlage jemals Gesetz werde, ist höchst unwahrscheinlich, denn die französische Kammer ist gänzlich unfähig, alte bestehende Einrichtungen zu ändern. Das hinderte nicht, daß die Kammer an der Regierungsvorlage wochenlang herumknabberte. Die Re gierung sah schließlich ein, daß eine Verabschiedung deS Gesetzes gegenwärtig undenkbar ist, und verlangte, daß die begonnene Erörterung unterbrochen und auf den Herbst verschoben werde. DaS erforderte aber eine ergänzende Maß regel. Die unmittelbaren Steuern werden nämlich in Frank reich in einem bestimmten Betrage bewilligt. Es heißt: das ganze Land muß so und so viel aufbringen; davon entfällt aus dieses Departement so viel, auf daS andere so viel, je nach der Einwohnerzahl und den Katasterverhältnissen. Der Vertretung jedes Departements, dem „Generalrath", bleibt eö überlassen, den Steuerbetrug, den daS Departement zu liefern hat, auf die einzelnen Gemeinden umzulegen. Diese Arbeit wird in einer Tagung getban, die nach dem Gesetze im August staltfindet. Soll sie aber zu einer andern Zeit abgehalten werden, so ist dazu ein besonderes Gesetz nothwenvig. Die Regierung wünschte also, daß die General- räthe zu einer Herbsttagung einberufen werden, um die Steuern umzulegcn, die dann nach dem neuen System aus geschrieben werden sollten. Damit drang die Regierung jedoch nicht durch. Die Kammer willigte zwar bereitwillig ein, die ufer lose Erörterung der Steuervorlage zu unterbrechen, aber sie wollte von einer außerordentlichen Herbsttagung der General- räthe nichts wissen. Da blieb denn nichts übrig, als zu ver langen, daß die vier unmittelbaren Steuern für 1898 noch nach dem alten System bewilligt werden, damit die General- rätbe in ihrer ordentlichen Augusttagung ihre Schuldigkeit thun können. Die Negierung will aber nicht vor dem Lande Frurlletois Nanny Trauner. 22j Roman von C. Schroeder. Nachdruck verboten. So schien es in der That. Nanny hatte eine Bewegung gemacht, als gelte eS vor etwas Furchtbarem die Flucht zu ergreifen. Hilflos um sich blickend, stand sie jetzt, und wie flehend rang es sich von ihren zuckenden Lippen: „Ich muß fort — nach Haus!" „I bewahre! Sollte es denn schon Essenszeit sein?" verwunderte sich Anna von Hellbronn, consultirte die Ubr an ihrem Gürtel und verkündete heiter auflachend: „Liebstes Fräulein, es ist ja erst Elf!" Damit hatte sie ihr Opfer wieder an die Stelle gebannt, und hier hielt siejeS mit ihren schillernden Augen, während sie, graciös auf den Ellbogen gestützt, lustig weiter plauderte: „Dies also war die Bettlerin meiner — Bekanntschaft, nnd nun malen Sie sich mein Erstaunen, theuereS Fräulein, als ich sie in unserem Hauff hier —" sie tupfte auf daS Buch — „so ziemlich, wie sie leibt und lebt, wiederfinde! Jawohl, der Standort auf der Brücke, die verhüllte Gestalt, daS lieblich hervorgeflötbete Deutsch, die leichtgelösten Thränen, die Geschichte von der kranken Mutter — Alles stimmt, und wenn die Veilchensträußchen fehlen, mit denen sie den jungen Landsmann ködert, die Küsse, die sie ihm beim Abschied noch mit in den Kauf giebt — die sind vollzählig da — vollzählig — ha, ha, ha! Ich kann Ihnen sagen, ich habe mich köstlich, ganz köstlich amusirt bei der Lecture, und jetzt, sobald ich nach Hause komme — wissen Sie, WaS ich thue? Ich schlage daS Büchelchen sauber in Papier und schicke eS mit dem Motto: „Es ist nichts Neues unter der Sonne", an den Herrn Pro fessor Flemming in Spanien — ha, ha, ha? — der wird Augen machen!" Abgewendeten Antlitzes hatte Nanny dagestanden. Wie zn Stein erstarrt schien sie unter den Worten der Sprecherin. Nun aber plötzlich kam Leben in die zarte Gestalt. Mit sprühenden Blicken fuhr sie herum, und mit einer Stimme, die vor innerer Bewegung heiser klang, stieß sie hervor: „DaS werden Sie nicht thun!" Anna von Hellbronn schaute ein bischen verdutzt drein, beeilte sich dann aber, mit liebenswürdigem Lächeln zu ver sichern: „Nun, wenn Ihnen ein besonderer Gefallen damit geschieht, liebstes Fräulein, so lasse ich eö auch wohl bleiben, obgleich ich dem Herrn Professor — aus allerlei Gründen — den Aerger Wohl gönnen möchte. Mit nichts auf der Welt kann man ihn nämlich so empfindlich ärgern, als mit An spielungen auf jenes kleine Jugenderlebniß." Nanny prallte förmlich zurück. „Jugenderlebniß?" wieder holte sie stockend, stammelnd. „Ja, sagte ich's nicht schon?" staunte Anna von Hell bronn. „Die Bettlerin vom Pont des ArtS Nr. 1 — die mit den VeilchenbouquetS meine ich — spielt eine nicht ge rade beneidenSwerthe Rolle in den Erinnerungen des Pro fessors Flemming." „Mein Gott", murmelte Nanny, die Hand gegen die Stirn gepreßt, „mein Gott, wie ist es denn möglich?" „Warum sollte eS nicht möglich sein?" entgegnete die Andere lächelnd. „Unsere Herren Maler holen sich ja mit Vorliebe ihre ersten Erfahrungen — was die Kunst und auch waS die Frauen betrifft, aus Paris, und wenn sie dann von den Letzteren eine erbärmlich schlechte Meinung mit nach Hause bringen, so müssen wir armen deutschen Frauen eS eben ent gelten." Sie batte mit e'igenthümlicher Betonung gesprochen. Nanny'S Hand sank herab, ein angstvoller Ausdruck kam in ihre Züge. „Was — wollen Sie damit sagen?" preßte sie hervor. „Nun, daß z. B. in deS Herrn Professors Achtung da ganze weibliche Geschlecht nicht viel höher steht, als in der deS seligen — oder unseligen Schopenhauer. Warum? Weil ihm in früher Jugendzeit die Donna auf dem „Pont deS ArtS" den Geschmack daran verdorben hat." „Wie so?" fiel es matt und tonlos von Nanny'S Lippen. „Ja, liebstes Fräulein", lachte Anna von Hellbronn auf, „das ist doch nicht schwer zu erklären! Da kommt ein junger Mann gegangen, der siebt eine Bettlerin. Sie ist hübsch — daS zieht ihn an. Sie redet deutsch in einem fremden Lande — daS erregt sein Mitleid. Nun aber stellt sich heraus, daß sie keine Proletarierin ist, sondern eine junge Dame — daS choquirt ihn wieder. Eine junge Dame, die an einem öffentlichen Orte in der verderbtesten Stadt der Welt die Stirn hat, zu betteln, denkt er, die muß schon eine Vergangenheit haben. Doch da sie bei näherer Betrachtung noch nicht viel mehr scheint als ein Kind und auch so reizend unschuldig thut, weist er den bösen Gedanken vorerst zurück. „Ich kann sie ja auf die Probe stellen", meint er, nimmt die erhandelten Veilchen, zahlt sein Geld und offerirt noch ein paar Küsse obendrein. Da sie diese nicht mit Abscheu zurückweist, sondern lächelnd und als ganz selbstverständlich hinnimmt — nun, da weiß er eben, WaS er wissen will, und — hat seinen Ekel vor den Frauen fürs Leben weg!" Sie hatte in leichtem, scherzhaftem Ton gesprochen und wollte jetzt mit einem Achselzucken und einem kleinen drolligen Seufzer schließen, besann sich aber, noch rasch hinzuzusetzen: „Besonders vor den blonden Frauen — sie war nämlich blond, die schöne Sünderin, so blond ungefähr wie ich, habe ich mir sagen lassen, und so blauäugig auch. Deshalb, ha, ha! — ist ihm meine Wenigkeit auch ganz sprciell ein Dorn im Auge. Er schlägt sich seitwärts ins Gebüsch, wenn er mich von Weitem kommen siebt, wird finster — so scheint's —, wortkarg im Gespräch, sobald man meinen Namen nennt, und — was das Allerlächerlichste ist — hegt im Stillen die Idee, nur ich könne jene Bettlerin gewesen sein und keine Andere! Ha, ha, ha! Ein Fräulein von Hellbronn auf dem „Pont des ArtS" in Paris um Almosen winselnd — daS kommt ihm gar nicht ein bischen unwahrscheinlich vor! Dem Großpapa aber dürste es weniger einleuchtend sein, deshalb wollen wir ihm lieber nichts davon verrathen. Er ist nämlich für sein Alter noch ein ganz gefährlicher Haudegen, und wenn er eines unbedeutenden Frauenzimmers wegen einen hochbedeutenden Maler auS der Welt räumte, das wäre doch Schade — meinen Sie nicht?" Damit schwang sie sich graciös auf ihre zierlichen Füße und wollte nun den Kopf ein wenig seitwärts beugen, um die Wirkung ihrer Worte Nanny vom Gesicht zu lesen. DaS aber war nicht mehr nöthig — das kleine Gesicht war ihr plötzlich voll zugewandt. Eben noch hatte es Scham, Schmerz und Verzweiflung gemalt, jetzt schien eS wie in eiskalter Ver achtung erstarrt. „Schade?", fiel eS in schneidendem Ton von den blassen Lippen. „Ueberflüssig, wollen Sie sagen, mein Fräulein! Denn daß Sie sich an Ihrer Rache schon genügen lassen dürfen — daS wissen Sie!" So ! Nun war eS heraus! Nun ging Nanny, aber sie ging nicht weit, denn — die kurze Genugthuung über das rechtzeitig gesprochene Wort einmal verflogen — senkte sich die ganze Schwere ihres Unglückes auf sie herab, und wie es ihr unter der furchtbaren Last zum Aufschreien war, da — lachte eS hinter ihr so recht hell und spöttisch. Im Nu war der Stolz in ihr wieder lebendig, mit ein paar Schritten stand sie vor Anna von Hellbronn. „Pfui!" warf sie ihr mit stammenden Augen entgegen, „Sie sind klein. — Sie sind erbärmlich — Sie —" Hier versagte ihr in der heftigen inneren Bewegung momentan die Stimme, und Anna von Hellbronn nahm die Gelegenheit wahr, sie mit einem tiefen Mcnuettknix auf- zusordern: „Nur weiter — nur immer weiter, wenn ich bitten darf!" „Sie sind falsch — grundfalsch, und ich hasse Sie!" „Ha, ha! — ha, ha, da, ha! In einer sanften Veilchenseele den Haß geweckt zu haben — das ist ein Erfolg, auf den ich nur etwas einbilden kann! Halten Sie ihn sist, hübsch fest, Ihren Haß, mein liebes Fräulein, und seien Sie überzeugt, daß Ihre gehorsame Dienerin ihn rechtschaffen erwidert." Noch ein Knix bis auf den Erdboden, dann drebte sich Anna von Helbronn aus dem Absatz um. „Ha, ha! Ha da, ha, ha!" entschlüpfte es ihr in Zwischenpausen immer wieder, indem sie ging, und von diesem höhnischen Lachen verfolgt, stürzte Nanny dem Hause zu. XVIO. Capitel. Aus Nanny'S Tagebuch. Hellbronn, den 5. October. Nun ist Alles auS. Ich habe ihm gesagt, daß eS niemals sein kann — heute Nachmittag habe ich mir das Herz dazu gefaßt. Der Weg in das Wohnzimmer war wie der Weg aufs Sckaffott. Die Füße wollten mich nicht tragen. Die innere Stimme hörte nicht auf zu flüstern: „Bedenke, wie schön daS Leben ist — wirf'ö nicht so thöricht von dir! Nickt erlügen — »schweigen brauchst du dir ja nur dein Glück!" Fast hatte sie mich endlich auch schon überzeugt, daß das unge sprochene Wort keine Schranke bilden würde zwisckcn seinem und meinem Herzen, da — lachte eS in meiner Erinnerung genau so hämisch wie neulich im Walde, und ich wußte es — wenn ich auch schwieg, sie würde reden. Im nächsten Moment war ich zu ihm eingetreten. Am Fenster stand er — eine UnmuthSwolke auf der Stirn. Mein Liebster! Zwei Tage hintereinander war er vergcblick gekommen, jetzt mochte er wieder auf eine Abweisung gefaßt sein. Als er mich sah — Gott! wie sich sein Gesicht da ver klärte! In einem Jubelruf entfuhr ihm mein Name. Und ich? Ich hätte seine Knie umklammern, ihn wegen
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