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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970723017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-23
- Monat1897-07
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Nachdem die französischen Deputaten Anfang der vorigen Woche trotz der Hitze und dem allgemeinen Bedürfnisse nach Erholung in heroischer Selbstüberwindung oder, wie Andere meinen, auS Versehen den Beschluß gefaßt hatten, noch eine Weile weiter zu tagen, ist nun endlich gestern der ersehnte Schluß wirklich vollzogen worden, und Jeder eilt froh von dannen, um am MeereSstraude oder in gesunder Waldluft sich neue Kraft für den Herbst zu holen. So recht innerlich befriedigt werden allerdings nur wenige sein; dafür ist daS Ergebniß der Tagung zu kläglich. Besonders d»e Opposition hat gar keine Ursache zum Frohlocken. Sie hat zwar durch ihr ewiges Chicaniren und Jnterpelliren jede gedeihliche Arbeit so ziem lich zu verhindern gewußt; allein das verhaßte Ministerium ist nicht nur nicht gestürzt, sondern steht merklich gefestigt da. Ueber der ganzen Kammer aber schwebt noch immer das Damoklesschwert der bösen, bösen Panamageschichte. Drei größere Sachen hat man in letzter Stunde noch — glücklich oder ««glücklich — zu Ende geführt. Das Erste war die Interpellation Jaurö'S über den Noth- stand der ländlichen Bevölkerung. ES ist Merkwürdig: bei unS gehen die Klagen über die land- Wirthschaflliche Nvth stets von der äußersten Rechten auö, hier machte sich ein Socialdemokrat zu ihrem Wortführer. In drei langen Sonnabend-Sitzungen entrollte er ein unend lich düsteres Bild, um natürlich mit dem Hinweise zu schließen, daß der Socialismus daS einzige Rettungsmittel sei. Er hatte mit seinen Ausführungen kein Gluck; die große Mehrheit der Kammer gab ihm durch den Beschluß, die Gegenrede DeSchanel'S, der seinerseits in Optimismus schwelgte, öffentlich anschlagen zu lasten, eine unzwei deutige Antwort. DaS war entschieden ungerecht. Ueber- zeugt haben die Reden Keinen, der nicht schon überzeugt war. Vom rein ästhetischen Standpuncte des Redeturniers aus aber waren beide Reden gleich schön, hätten also beide die Prämie des Anschlags verdient. Sie beide anzuschlagen, wäre auch schon nach dem Grundsätze dcS ^uckiatur et altera pars richtiger gewesen. Im Uebrigen ist die Affichage ein ziem lich harmloser Scherz; ich habe noch nie Jemanden einen der riesigen Bogen wirklich studiren sehen. Und wenn Wirklich ein bäuerlicher Dickschädel die vierstündige Rede zu lesen unternähme, so würde er entweder nicht bis zu dem erhebenden, mit dreimaliger BeifallSsalve belohnten Schluffe kommen: „Bauer Frankreichs, der du von jeher der Retter des Vaterlandes gewesen bist, du wirst von einem barbarischen Realismus die idealistische Seele Frankreichs retten", oder er würde ihn nicht verstehen. DaS Zweite war die Interpellation über die Politi der Regierung im Orient. Hier hat die Opposition ganz besonders Pech gehabt. Eine Majorität von 223 Stimmen — einen so unerhörten Triumph hatte das Ministerium sich Wohl selbst nicht träumen lassen. Viel mag zu diesem Erfolge die Persönlichkeit fdcS Interpellanten, des Herrn Antide Boyer beigetragen haben, jenes wunderlichen Heiligen, der, um dem Panamascandal zu entgehen, in die zriechischr Fremdenlegion eingetreten war. Er schien sich über den Ort, an dem er stand, nicht recht im Klaren zu sein; was er vorbrachte, klang mehr wie eine Interpellation an Tewfik Pascha oder den Sultan selbst. Endlich hat man in letzter Stunde noch die direkten Steuern bewilligt, um wenigstens einen Anfang mit dem Budget zu machen, daS diesmal natürlich wieder nicht vor Ablauf des Jahres zu Stande kommen wird. Die einzige Reform, die daS Ministerium bei diesen allgemein als drückend und ungerecht empfundenen Steuern eingebracht und durchgesetzt hat, ist die Herab setzung der ländlichen Grundsteuern um 25 Millionen, die hauptsächlich dem Kleinbesitz zu Gute kommen wird. Wichtig waren die Verhandlungen insofern, als dabei wieder über die Einführung der Einkommensteuer abgestimmt worden ist. Nachdem diese Steuer vom französischen Parla mente schon dreimal im Principe angenommen worden war, find ihre Anhänger diesmal mit 259 gegen 282 Stimmen in der Minderheit geblieben. Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle einen kurzen Ueberblick über die Härten des gegenwärtigen französischen Steuersystemes zu geben versucht. DaS Eigenthümliche ist, daß die Franzosen in der Theorie fast alle für die Einkommensteuer sind, in der Praxis aber dagegen. Wie erklärt sich daS? Ein Franzose, den ich einmal darüber fragte, sagte mir: U z? nursit trox ck'adus! Da ist der Haken. Der Franzose, der im Privatleben sicher nicht weniger redlich ist als andere Völker, betrachtet eS durchaus nicht als ein Verbrechen, den Staat zu betrügen. Gerade wie auch der wahrheitsliebendste Schuljunge cS für erlaubt hält, seinen Lehrer nach allen Regeln der Kunst zu hintergehen. Dann aber, und das ist daS Schlimmste, ist das Vertrauen zu den Beamten völlig verloren gegangen. Allerdings hält man nicht jeden für so schlecht, wie jenen vor ein paar Tagen verhafteten Richter, der mit einem Winkeladvocaten unter einer Decke steckte, um von den Parteien Geld zu erpressen. Aber was man keinem Beamten hier zutraut, daS ist, daß er seine» Mund halten kann. So nur läßt sich der Ausdruck der „Dsbats" erklären, daß das Einkommensteuergesetz ein Gesetz „der Eifersucht, der Begehrlichkeit und de- localen Hasses" bedeute. Dir Ver handlungen der Panama-Commission haben in den letzten Tage« wieder manches hübsche Beispiel dafür geliefert, waS viele Leute in Frankreich unter „DiScretion" verstehen. Aber man ist hier so an derlei Sachen gewöhnt, daß man sich nicht mehr darüber aufregt. Im Uebrigen wird die Panama-Asfaire, über die doch nun endlich volles Licht verbreitet werden sollte, mit jedem Tage dunkler und verzwickter. Nächstens wird sich der Vorsitzende der Commission, Balle, der noch am meisten davon versteht, da er bereits der Commission von 1892 an gehörte, selbst nicht mehr in dem Labyrinthe auskennen. Für daS Ausland sind die Verhandlungen recht wenig wichtig. Den Deutschen kann eS gleichgiltig sein, ob der frühere Justizminister Ricard, an dem gestern sogar seine Freunde zu zweifeln begannen, heute sein freundliches Lächeln wicdergewonnen hat — die schöne Fatma ist sein Spitz name — und triumphirend vor der Commission dasteht, und ob heute ein Parlamentarier öffentlich als Ehrenmann erklärt wirb, den man morgen bereits den schlimmste» der Hallunken schimpfen wird. Wie eS mit dem „Lichtverbreiten" steht, weiß man ja. Der Linken kommt eS darauf an, recht viele Schandthaten der Rechten anS Licht der Sonne zu bringen, und umgekehrt. Das nennt man dann uninteresstrte Wahr heitsliebe. Eine ergötzliche Note hat in die langweilige Geschichte der Fall Cornelius Herz gebracht. Daß man mit diesem Manne, über dessen Auslieferung die Verhandlungen immer noch schweben, den man mit Schimpf und Schande aus der Ehrenlegion ausgestoßen und in contumaciam bestraft hat, wie mit einer gleichstehenden Macht verhandelt hat, ist an und für sich köstlich. Nun, der Kranke von Bornemouth hat sich über die wohlweise Commission nicht schlecht lustig gemacht. Erst verlangt er, daß die Hälfte der Com mission zu ihm komme. Diese beschließt sogar, vollzählig zu erscheinen, und setzt die Abreise auf Montag Abend fest. Einige Mitglieder aber wollen die Gelegenheit benutzen, sich London ein wenig anzusehen und versammeln sich bereits früh am Nordbahnhofe. Schon schließen die Schaffner die Thüren, da kauft sich einer zufällig den „Matin", liest die ersten Zeilen und hat gerade noch Zeit, wieder auszusteigen und seine Genosten zu benachrichtigen. „Es war angebracht, mich über den Tag, der mir paßte, zu befragen. Aus wichtigen Gründen kann die Vereinigung nicht vordrei Wochen stattfinden." In diesem diktatorischen Tone geht der Brief von Herz an die Commission weiter. Als die Londonfahrer mit ihren Koffern eine halbe Stunde später im Palais Bourbon ankamen, soll ein ungeheurer HeiterkeitSauSbruch stattgefunden haben. Man hat dann eine höchst indignirte Tagesordnung angenommen, allein Cornelius Herz hat die Lacher von ganz Europa auf seiner Seite. Die Commission wird allerdings, wie sie be hauptet, auch ohne ihn fertig werden, und zwar in den aller nächsten Tagen. Nun wir werden ja sehen, WaS daS Er gebniß sein wird; wahrscheinlich ein ricliculus mus. Deutsches Reich. tztz Berlin, 22. Juli. Es war nur eine kurze Sitzung, zu,welcher die Mitglieder de- preußischen Herren hauses sich heute zahlreich eingefunden hatten. AuS den Bädern und Sommerfrischen, von der See und auS den Bergen waren sie eingetroffen, so mancher auch hatte die vom Arzt verordnete Cur unterbrochen, denn eS galt die durch die Verfassung vorgeschriebene zweite Abstimmung über die Novelle zum Vereinsgesetz. Schnell waren die geschäftlichen Mittheilungen erledigt, daS Andenken zweier Mitglieder, die seit der letzten Sitzung verstorben, wurde in üblicher Weise durch Erheben von den Sitzen geehrt, und eS konnte zur Abstimmung geschritten werden. Auf Antrag des Freiherrn von Manteuffel war es eine namentliche. DaS Ergebniß war die Bestätigung des „kleinen SocialistengesetzeS" mit 112 gegen >9 Stimmen. Also waren 131 Stimmende zur Stelle, für das Herrenhaus eine sehr bedeutende Präsenz. Die Polen stimmten mit „Nein", unter ihnen Herr von KoSzielSki, waS von den feudalen Herren vielfach mit Zeichen des Erstaunens begleitet wurde. Als der Präsident Fürst zu Wied das Resultat mit den Worten verkündete: „Das Gesetz ist also angenommen", wurde aus den Reihen der Bürgermeister der Gegenruf laut: „Noch nicht!" Nun hat daS Abgeordnetenhaus das Wort, und am Sonnabend wird die Sache endgiltig entschieden sei«. Den zahlreichen Hörern auf den Tribünen war die Bestimmung der Geschäftsordnung des Herrenhauses, wonach bei der wiederholten Abstimmung jede DiScussion ausgeschlossen is^ unbekannt, sie gingen also nach der nur viertelstündigen Sitzung ziemlich enttäuscht von dannen. Die nächste Sitzung ist „unbestimmt", wie Fürst zu Wied am Schluffe bemerkte. Wahrscheinlich ist die heutige Sitzung deS Herrenhauses die letzte dieser Session gewesen, welche am Sonnabend durch Minister v. Miquel geschlossen werden dürfte. Berlin, 22. Juli. Während die Leitung des Bunde» der Landwirthe gegenüber conservativen Vorhaltungen über ihr Verhalten nn Wahlkreise Westpriegnitz mit viel deutigen Ausreden Zeit zu gewinnen sucht, wird in Han nover bereits offen der Versuch gemacht, für die anti- semitisch-bündlerische Zukunftspartei Candidaturen zu schaffe». Der Director deS Bundes Abgeordneter vr. Hahn, der alle nationalliberalen Candidaturen in Hannover, einschließlich der zahlreichen Landwirthe darunter, durch eigene bei den nächsten Wahlen bekämpfen will, hat bereits in Hildesheim, wie die „Deutsche Tagesztg." berichtet, eine Versammlung von Ver trauensmännern der Conservativen, der Antisemiten und de» Bundes berufen und einen zu seiner Fahne schwörenden Hof besitzer aufgestellt. Nach dem Ausweis der letzten Wahlen gab e» hier weder Conservative, noch Antisemiten; dagegen brachte» die Socialdemokraten 5500 Stimmen auf, die Nationallibe- ralen nahezu 9000 und der Welfe v. Hodenberg 6985. Der Welfe siegte dann mit Hilfe der Socialdemokraten in der Stichwahl. Damit ist klar, wofür Herr Hahn arbeitet: für den Socialdemokraten und den Welfen! Denn gelingt e», die nationalliberalen Wähler zu trennen, dann ist von vorn herein jede Möglichkeit ausgeschlossen, einen nationalgesinute« Kandidaten in die Stichwahl zu bringen. Daß aber die nationalliberale Partei dieses Wahlkreises Herrn Hahn »u Liebe auf eine eigene Vertretung verzichte, hält er wohl selbst für ausgeschlossen. In Harburg-Hottendorf ist auch schon eine Hahnsche Candidatur nominirt. Hier siegle 1893 ein Reichsparteiker mit nationalliberaler Hilfe, weil er in die Stichwahl kam. Damit wäre es vorbei, wenn hier die nationalgesinnten Wähler sich spalteten; dann kämen sofort der Welf« und der Socialdemokrat in die Stichwahl und könnten Herrn Hahn ihre Dankbarkeit bekunden. Weiter wird angekündigt, daß „im 19. Wahlkreis bei der nächsten Wahl die Freunde deS Mittelstandes und der Land- wirthschaft sich um die gemeinsame Fahne schaaren würden". Der Ausdruck ist seltsam gewählt: der Wahlkreis wird nämlich zur Zeit durch Herrn Hahn selbst vertrete«. Dann soll noch der Wahlkreis State in Arbeit genommen werden, de» jetzt Herr v. Bennigsen vertritt. Ebenso wenig wie in den anderen Wahlkreisen ist hier etwas von Antisemiten und Conservativen jemals zu merken gewesen. Dagegen kommt auch hier wieder jede Zersplitterung der nationalen Wähler nur Welfen und Socialdemokraten zugute nach Ausweis der letzten Wahlziffern. DaS genügt wohl, um die Absichten deS HauptbundeSagitatorS zu kennzeichnen und die Aufgabe der nat.-lib. Partei in Hannover, diesen Umtrieben mit aller Entschiedenheit entgegenzuwirken und Frau ganz unbefangen zu deS alten Heim nicht geringer Belustigung. So war denn auch in der That der alte Heim ebenso geachtet und geschätzt im KöniaSschloffe, wie in der Hütte de» Arbeiters. Ueber ein halbes Jahrhundert lang war er einer der beliebtesten Aerzte deS alten Berlins in den letzten Jahr zehnten des vorigen und ersten Jahrzehnten dieses Jahr hunderts. Ernst Ludwig Heim war ein Thüringer und hat sich da ganze Leben hindurch die dem Thüringer Volksstamm eiaen- thümliche Gemüthlichkeit bewahrt. Er wurde am 22. Juli 1747 zu Solz im Meiningischen geboren. Mit neunzehn Jahren bezog er die Universität Halle und machte dann verschiedene Studienreisen. Zuerst besuchte er, wie eS in damaligen medicini- schen Kreisen Sitte war, die hervorragendsten Heilquellen Deutsch lands, um deren Wirkungen an der Quelle eingehend zu studiren. Dann hielt er sich noch einige Zeit in Leyden auf, wo damals einige hervorragende Vertreter der Heilwiffenschaft al» Universitätslehrer wirkten. Dann machte er eine wissen schaftliche Reise durch England und Frankreich und erst dann, also nach sehr eingehenden Vorstudien, wie sie nur selten gemacht zu werden pflegen, ließ er sich im Jahre 1775 al» Arzt in Spandau nieder, wo er bald darauf zum KreiS- physikuS des ganzen HavellandeS ernannt wurde. Im Jahre 1783 siedelte er nach Berlin über, wo er sich in wenigen Jahren eine Praxis erwarb, die sich über ganz Berlin, und »war über alle Stände und Kreise ausbreitete. Er war damals der bekannteste und beliebteste Arzt Berlin». Schon der Eindruck seiner Persönlichkeit, so heißt eS in einem Nachruf von Heim, war am Krankenbette von unbeschreib licher Wirkung; er war einer der edelsten Charaktere, liebens würdig und heiter, mit vortrefflichen Anlagen de» Geiste» und Herzen». Seine wissenschaftliche Bedeutung für die Nachwelt war eine hervorragende nicht; seine Bedeutung lag hauptsächlich in der praktischen Bethätigung seiner Wissenschaft. Um die Einführung der Schutzpockenimpfung in Deutschland machte er sich insofern verdient, als er in den neunziger Jahren de» vorigen Jahrhundert» die erste Schutzpockenimpfung in Berlin ausführte. Seine zahlreichen wissenschaftlichen Schriften be treffen die Diagnose der hitzigen Hautkrankheiten, die Er kennung und Behandluna der Herzentzündung, desgleichen der Hirnentzündung der Kinder, die Anwendung de- Arsenik» zum innern Gebrauch. Heim, dessen Name durch eine angesehene ärztliche Gesell schaft, „Die Heimia", in Berlin dauernd erhalten bleibt, starb nach einem reichgesegneten Wirken im hohen Alter am 15. September 18)4. leidend", und wollte nun gleich eine lange Aufzählung ihrer Krankheiten folgen lasten. Heim aber unterbrach sie sofort: „Kopf hintenüber und Zunge heraus — weiter heraus — noch weiter heraus!" Dann wurde eS still und als die Dame endlich den weit hintenüber gebogenen Kopf wieder nach vorn wandte, sah sie zu ihrem Entsetzen, daß Heim sich längst auS dem Staube gemacht hatte, während sie zum Ergötzen der Vorübergehenden mit auSgestreckter Zunge dastand. Während gerade eine Blatternepidemie wüthete und Heim ehr in Anspruch genommen war, ließ ihn eine vornehme Dame rufe», der er eS auf den ersten Blick ausah, daß ihr Nichts fehle. „O Gott, Herr Doctor", klagte sie jedoch auf seine Frage, „ich habe vorhin drei Mal hintereinander geniest! Was sagen Sie dazu?" „Drei Mal: Gott Helf'." Mit diesen Worten war er zur Thür hinaus. Durch einen Freund war Heim bei der Feier seines fünfzigjährigen DoctorjubiläumS, am 15. April 1822, mit einem Gedicht überrascht worden. Da leerte er ein GlaS auf deS Dichter- Gesundheit und sprach: „Schöne Verse! Müssen aber 'mal ein recht tüchtiges Nervenfieber kriegen, damit ich mich revanchiren kann." Während Heim seinen vornehmen Patienten gegenüber ost recht barsch war und die ganze Würde deS Gelehrten für sich in Anspruch zu nehmen wußte, war er zu minder bemittelten und armen Leuten ungemein gutherzig. So wollte ihn zum Beispiel einst eine Prinzessin eines kleinen deutschen Fürsten hauses, die sich in Berlin aufhielt, consultiren. Der Hof marschall der Hoheit erschien bei dem Gelehrten und wollte ihm allerlei Vorschriften machen, welchen Ceremonien sich Heim beim Besuche im prinzlichen Hotel zu unterwerfen habe. Heim unterbrach aber kurzweg den Hofmann und sagte: „Ich bin bereit, Ihr« Hoheit zu behandeln, aber nur unter drei Bedingungen. Erstens wünsche ich niemals genöthigt zu sein, im Vorzimmer Ihrer Hoheit warten zu müssen, denn ,ch will und muß auch noch anderen Menschen helfen. Zweiten» wünsche ich in Stiefeln erscheinen zu dürfen, denn an Ga maschen bin ich nicht gewöhnt, will mich auch gar nicht daran gewöhnen, endlich will ich nicht Er genannt werden, wie da» manche Prinzessinnen zu thun beliebe». DaS kann ich aber nicht vertragen." Der Hofcavalier war entsetzt über diese „Unverschämtheit", die Prinzessin willigte aber schließlich doch gern in diese „harten Bedingungen". Und wie benahm Heim sich nm dagegen Armen gegen über? Er hals, wo er helfen konnte. Einmal wurde er zu einem armen Weber gerufen. Er fährt hin, klettert drei enge Treppen hinauf und findet eine gefährlich kranke Frau inmitten der bitterste» Annuth. Er verschreibt Mrdicin und _ „ schaut » au»?' i giebt de« Manne sogar etwa» Geld. dieselbe »«fertigen zu Herr Doctor, ich bi« sehr s lasse«. Die» wiederholt sich eimge Male. Di« Frau bessert sich, und in sechs Woche» ist sie ganz hergestelll. Kurz darauf ommt der Mann eines Morgens zu Heim und fragt ihn, WaS er schuldig sei. Heim zankt ihn au», er möchte nur seine paar Groschen behalten, die er habe. „Nein," sagt der Weber, „ich habe jetzt ein paar Thaler verdient, und da komme ich zu Ihnen, Herr Doctor, zuerst." Da ruft Heim auS: „Wenn Sie jetzt nicht machen, daß Sie rauSkommen, so rufe ich meinen Diener und laste Sie vor die Thür setzen, Sie un verschämter Kerl!" Ganz bestürzt verläßt der arme Weber das Ordinationszimmer und klagt draußen dem Diener sein Leid. Er habe den guten Herrn Doctor doch nicht beleidigen wollen und Wiste gar nicht, wodurch er ihn so erzürnt habe. Natürlich erklärte ihm der Diener, der seinen Herrn bester kannte, daß eS eben nur Heim'S Gutmüthigkeit war, die ihn so zürnen ließ. Einstmals passirte eS Heim, daß er in den Hof eines stark bewohnten großen Hauses, einer sogenannten Berliner MiethScaserne trat, und erst jetzt sich dessen bewußt wurde, daß er den Namen deS Patienten, den er besuchen sollte, vergessen hatte. Aber er wußte sich zu Helsen. Er stellte sich in die Mitte deS HofeS, pochte mit dem Stock auf die Schwelle und rief mit seiner durchdringenden, aber doch eigcnthümlich gutmüthiaen Stimme: „He da! He! Der alte Heim ist da! Wer hat nach dem alten Heim geschickt?" Natürlich meldete sich nun sofort der Patient, der nach ihm geschickt hatte. Für die Leiden und Freuden dieser kleinen Leute hatte Heim ein großes, mitfühlende» Verständniß. So kamen denn auch zahlreiche arme Leute zu ihm, um ihn nicht nur in ärztlichen Dingen allein um Rath zu fragen und ihm allerlei Bitte» vorzutragen. Er selbst pflegte mit Vorliebe die folgende Geschichte, die in dieser Beziehung charakteristisch ist, gern zu erzählen. Heim befand sich erst einige Tage in einer neuen Woh nung, als ihn eines Abend» eine hübsche junge Frau auS dem Bürgerstande besuchte und mit etwa» linkischer und naiver Umständlichkeit um die Erlaubniß bat, ihm eine be scheidene Bitte vortragen zu dürfen. „Man immer zu, Frauchen! Womit kann ich dienen?" fragte Heim; „Wer sind Sie denn?" — „Ihre Nachbari«, Herr Doctor", war die Antwort, „mein Mann und ich wohnen im Hinterhaus, sind erst gestern ringezogen und seit achtTagen verheirathet. Fritz ist nämlich Meister geworden und hat noch nicht viel zu thun, und da der Herr Doctor so 'ne große Kundschaft und Bekanntschaft haben, so wäre Fritzen und mir sehr geholfen, wenn der Herr Doctor un» wollte seine Rrcommandation zukommen lasten. Wir sind fleißige, solide Leute." „Na, beste« Frauchen, wenn ich etwa» für Sie thun kann, soll e» gern geschehen", sagte Heim gutmüthia; „aber worin soll ich denn Ihrem Manne helfe«? Wa« für «ine Profession Hai er denn?" — „Mei« Fritz ist Tischler und macht im Lor- rath Särge mit de» Herr« Doctor» Verlaub", versetzte di« FaiiiHatoir. - o - , - Der „alte Heim". Von Eugen Jsolani. Nicht nur dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze; auch bei anderen Berufen ist dies oftmals genug der Fall. ES giebt bedeutende Aerzte, die vielen tausenden Menschen das Lebe» retteten und die doch selbst bald nach ihrem Tode zu den Vergessenen gehörten. Freilich giebt eS wiederum viele Mediciner, die dadurch, daß sie ihre Wissenschaft durch Entdeckungen förderten, ein Anrecht auf Unsterblichkeit er rangen und auch diese wirklich erreichten. Ein Hufeland Wird noch nach Hunderten Jahren zu Denjenigen zählen, die als Wohlthäter der Menschheit gerühmt und gefeiert werden. Und — um hier Männer der Gegenwart zu erwähnen — Robert Koch, Pasteur, Virchow sind Wohl davor sicher, allzu bald der Vergessenheit anheimzufallen. Ein einfacher praktischer Arzt aber, der nicht al» medi- cinischer Forscher auftritt, kann, wie gesagt, ganz hervor ragende Verdienste um die Menschheit haben und wird doch meist bald vergesten, wenn eS ihm nicht gelang durch andere Eigenschaften daS Anrecht zu erlangen, in die Zahl der Unsterblichen eingereiht zu werden. Die- aber war bei Ernst Ludwig Heim der Fall, der nicht nur ein tüchtiger Arzt war, sondern auch durch seinen bumauen Charakter, durch seinen unverwüstlichen Humor eine seltene Popularität erreichte. Wer hätte nicht schon einige Charakterzüge aus dem Leben deS „alten Heim" gehört oder gelesen, jene drolligen Geschichten, welche die urwüchsige Gutmüthigkeit, die mit einer gemüthlichen Derbheit gepaart gewesen, jene herrlichen Blüthen eine» köstlichen Humor-, der sicherlich nicht selten den Heilkünstler in der Ausübung seines Berufs wirksam unterstützten, denn Lachen ist gesund, und Fröhlichkeit und Freudigkeit zu erregen sollte kein Arzt zu thun unterlassen. Zahlreiche Geschichtchen und Witze, die von Aerzten im Allgemeinen erzählt werden, rühren vom alten Heim her. Biele seiner köstlichen Einfälle sind, oft in veränderter Fassung in Witzblatter übergegangcn. Wer kennt nicht den Witz von jenem Arzte, der eine schwatzhafte Dame, die ihn bei de« wichtigsten Fragen und Rathschlägen stet» unterbrach, -«fahl: „Zeigen Sie mir einmal Ihre Zunge." Die Dame gehorchte. „So, jetzt behalten Sie sie so lange draußen, bi» ich auSgeredet habe." Genau ebenso nun half sich der „alte Heim" in Berlin einer Frau gegenüber, die ewig klagte, ohne daß ihr etwa» Ernstliche» fehlte. Sie beaegnete ihm auf der Straße «Md antwortete aas feme Frag«: „Die schaut'» aus?" s-f-tt wieder. „Ach, Herr Doctor,
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