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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970804017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897080401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897080401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-04
- Monat1897-08
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Größere Schristen laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ztssernsatz nach höherem Tarif. ikrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mlt Postbeförderung ^l> 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabr: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Hrpedtttan zu richten. . Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig 392. Mittwoch den 4. August 1897. 91. Jahrgang. Entstellungen. ^7 Die „Deutsche Tageszeitung" deS Herrn von Ploetz hat der jüngsten Rede deS preußischen LandwirthschaftsminislerS unter ausweichenden Bemerkungen über die Selbsthilfe im All gemeinen den Satz entgegengehalten: „Sie (die Selbsthilfe) ist erschöpft, erschöpft bis auf den letzten Rest".*) Der Kampf der Berliner Leiter desBundeS der Landwirthe gegen die Selbsthilfe in der Landwirthschaft ist Wohl zu verstehen; Helsen sie sich doch reichlich damit. Aber wenn die BundeS- leitung am Sonntag behaupten wollte, die Selbsthilfe sei „bis auf den letzten Nest erschöpft", hätte sie am Freitag in die „Deutsche Tageszeitung" nicht das Folgende aufnehmen lassen dürfen: „Selbsthilfe für die Landwirthschaft. Unsere Libe ralen werden nicht müde, der Landwirthschaft als Allheilmittel die Selbsthilfe zu empfehlen. Jubelnd schrieb kürzlich die „Köln. Ztg-": Der Landrath des Kreises Soest, Frhr. v. Bockum-Dolffs, giebt sich große Mühe, den Landwirthe» seines Bezirks durch feste Organisationen aus dem Gebiete der Selbsthilfe eine Besserung ihrer Lage zu verschaffen. Einen schönen Erfolg erzielte er in voriger Woche bei den Landwirthen aus den auf dem Haarstrange gelegenen Dörfern, die in bedeutendem Umfange Schweinezucht treiben. In dem Dorfe Niederbergheim wurde auf die Anregung des Landraths von mehr als 50 Landwirthen eine Schweincverwerthungsgenossen- schaft nach dem Muster der ersten derartigen Genossenschaft in *) Die Hohlheit dieser Phrase wird in den letzten Heften der agrarischen Halbmonatschrift „Das Land" (Herausgeg. von Heinrich Sohnrey, Verlag von Trowitzsch L Sohn in Berlin, Preis vierteljährlich 1,50 .«) besonders drastisch dargethan. Das „Land" bringt in der Nummer vom 1. Juli die Notiz, daß die Obsteinfuhr im Jahre 1897 in den ersten vier Monaten auf 62 199 Doppel-Centner gegen 1041 Doppel-Centner im Jahre 1896 gestiegen sei, und citirt dann u. A. aus dem „Schweizer Landw. Centralbl." folgende Stelle: „Es ist erklärlich, Laß man in Deutschland bestrebt ist, das Abhängigkeitsverhältniß gegenüber den anderen Obstcultürländern weniger drückend zu gestalten. Daran dürfte sich nun wohl für lange Zeit nichts ändern, denn mit Ausnahme von Württemberg kann Deutschland keine Obstländer aufweifen, welche große Mengen einheitlichen Obstes liefern könnten." Das „Land" bemerkt hierzu: „DaS ist eS! Der deutsche Obstbau überbietet sich in Sorten, Unterarten und Varietäten; aber das ist nichts für den Massenvertrieb. Die Veredelung des Obstes soll nebenher gehen, aber die wirthschaftliche Grundlage müßte doch die Leistungsfähigkeit für Massengebrauch sein. Dem „Können" stehen da auch keine unüberwindlichen Schwierigkeiten entgegen, wenn sich die Obstbauer organisiren wollten." Und in der nächsten Nummer theilt das „Land" mit: „Die Centralstelle für Obstverwerthung in Frank- furt a/M. (nicht zu verwechsel» mit der „Ges. für deutsches Obst" an gleichem Orte) versendet ihren Geschäftsbericht für 1896, aus welchem hervorgeht, daß trotz geringer Ernte ein Angebot von über 6 Millionen Kilo und eine Nachfrage nach über 12'/, Millionen Kilo Obst bei ihr einging." So sieht es mit der „Erschöpfung der Selbsthilfe bis auf den letzten Rest" in diesem einen Puncte aus. Die Redaction deS „Leipz. Tagebl." Deutschland zu Elspe gegründet. Es handelt sich um die Errichtung einer Wurstfabrik und Schinkenräucherei auf streng genossenschaft- sicher Grundlage. Nach der Anzahl der Schweine berechnet sich die Höhe der Geschäftsantheile und der Haftsumme." Wir hören aus diesen trockenen, in Nr. 383 des „Leipz. Tagebl." ebenfalls wiedergegebenen Mittheilungen der „Köln. Ztg." weder „Jubel" heraus, noch vermögen wir in ihnen eine Empfehlung der Selbsthilfe als Allheilmittel zu entdecken. Aber zweierlei geht aus dem Bericht der „Köln. Ztg." und aus dessen Wiedergabe in der „D. T." mit Sicherheit hervor. Erstens, daß die Selbsthilfe nicht erschöpft ist und zweitens, daß das Organ des Herrn v. Ploetz das weiß. Dem Haß gegen die „gewerbsstörende" Selbsthilfe hatte die Bundesleitung im Anschluß an die obige Mittheilung wie folgt Worte verliehen: „So wird auf der einen Seite die Genossenschaftsgründung gelobt und empfohlen. Wenns aber anders paßt, da kann man in den selben Blättern lesen: „Seht nur die begehrlichen Agrarier, sie gönnen nicht einmal dem Fleischer und dem Bäcker ihren kargen Verdienst, sondern gründen Back- undSchlachtgenossenschaften, nur damit sie auch den Verdienst der Handwerker in ihre tiefe Tasche stecken I" Unsere Leser wissen, daß wir im Allgemeinen Gegner solcher Ge nossenschaftsgründungen sind, die das Handwerk ausschalten müssen. Wir halten es für eine der bedenklichsten Folgen der Nothlage, daß hier und da die Landwirthe zu diesem letzten Strohhalm greifen. Es verdient aber, damit die Sachlage nicht verschoben werde, aus drücklich hervorgehoben zu werden, daß es liberale Blätter sind, die solche Genossenschaftsgründungen empfehlen und bejubeln, während die agrarischen Blätter sie bedauern." Die „Köln. Zeitung" hat, wie gesagt, nichts gelobt und nichts empfohlen. Aber die Gründung deS Herrn von Bockum-Dolffs empfiehlt sich selbst, und da die „D. T." das empfindet, macht sie ihrem Ingrimm durch einen Ausfall auf den Erzähler Luft, ein Ausfall, dessen monumentale Unwahrhaftigkeit nur noch unter früheren Leistungen der Presse deS Bundes der Landwirthe ihresgleichen zu finden hoffen darf. Auf liberaler Seite ist die Begrün dung landwirthschaftlicher Absatzgcnossenschaften nicht ge tadelt, aber oft schmerzlich vermißt worden. Das ist daS Eine. Die andere, noch viel gröbere Unehrlichkeit, steckt in der Berleugnung deS Genoffenschaftsgedankcns durch die Bundesleitung. Wenn dieser vorgerechnet wird, was sie alljährlich aus der Tasche der Landwirthe für Gehalte, Pardon Tagegelder und Reiseentschädigung, überhaupt zu Agitationszwecken ausgiebt, so beeilt sie sich regelmäßig mit einem Hinweise auf die durch sie bewirkte Förderung deS — Genossenschaftswesens. „WennS aber anders paßt", so ist der — beiläufig bemerkt, jetzt auch von conservativen und orthodoxen Pastoren eifrigst betriebene — genossenschaft liche Zusammenschluß der Landwirthe ein Teufelswerk der „Liberalen". Und jetzt paßt es anders von wegen der von den Landwirthen und Kleinkaufleuten erhofften Beiträge und Wahlstimmen. Die „D. T.", auch das wollen wir noch citiren, hat dieser Tage von dem neuen Handwerkergesetz gesagt: „Es wird dem Handwerke nicht im Mindesten einfallen, sich mit dieser ungeheuer kleinen, ja unseres Erachtens eigentlich fast werlh- losen Abschlagszahlung zu begnügen." DaSHandwerk wird also wieder auf Verheißungen vertröstet. Aber wie die Bundesleitung gelegentlich mit ihrerWerthschätzung desGenossen- schaflSwesens renommirt, so haben auck die Mei,ter des Bundes, die mit Herrn v. Ploetz in einer Fraction sitzen, für das Handwerkergesetz gestimmt. Wir haben auf den ungeheueren Mißbrauch, den die „D. T." mit der Buchdruckerkunst treibt, wieder einmal näher eingehen zu müssen geglaubt und werden gänzlich unberührt bleiben, wenn das Blatt, wie es erst dieser Tage gethan, über ihr vom „Leipz. Tagebl." verur sachtes Unbehagen durch eine schlechte Eensur unserer „Fähig keit" quittirt. ÜnS thun solche Albernheiten nicht weh und den Kameraden, denen man damit erbetene Liebesdienste erweisen möchte, nützen sie nichts. Deutsches Reich. X. Berlin, 3. August. Die „Post" hat mit ihren vom „Leipz. Tagebl." letzthin gewürdigten Angriffen auf die Freiheit der Wissenschaft im Allgemeinen und den Eultusminister vr. Bosse im Besonderen kein Glück. Selbst die „Kreuzztg." sieht sich veranlaßt, den Minister gegen die wegen der Ernennung vr. Reinhold'S zum Professor wider ihn gerichteten Angriffe zu vertheidigen. Sie hebt hervor, daß dem Eultusminister schon darum keineVorwürfe daraus gemacht werden dürften, weil vr. Reinhold seine ihm von vielen Seiten zum Vorwurf gemachte Rede nach seiner Ernennung gehalten habe. Auch von anderer Seite wird der von der „Post" und ihren Hintermännern unternommene Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft entschieden zurückgewiesen. Dieser Angriff wurde bekanntlich gemacht, weil man angeblich in der Freiheit der Wissenschaft eine Förderung der socialistischen Gefahr erblickte. Nun wird man von dem Eurator der Universität Bonn, dem vr. von Rott en bürg, gewiß nicht annehmen, daß er die socialdemokratische Gefahr fördern wolle. Dieser Mann fertigt aber die Angriffe gegen die Universitätsprofessoren gründlich ab. Er spricht seine Meinung dahin aus, daß diese Angriffe ihm wie eine Sonntagsjägerei vorkämen, und daß das gejagte Wild ihm dabei weniger gefährdet erscheine, als die Schützen. Dieses Bild ist zu treffend, denn durch die unberechtigten Angriffe auf die Frei heit der Wissenschaft wird der Unmuth solcher Kreise erregt, deren man beim Kampfe gegen die Socialdemokratie gar nicht entrathen kann, wenn dieser Kampf überhaupt mit Aussicht auf Erfolg geführt werden soll. Den Vortheil von den Angriffen gegen die Freiheit der Wissenschaft hat also nur die Socialdemokratie. U Berlin, 3. August. Wie das NeichS-Versicherungs- amt den Vorständen der Jnvaliditäts-und Alterversicherungs- anstaltcn mitgetheilt hat, sind im Jahre 1896 an Renten auf Grund des Jnvaliditäts- und Altersver sicherungsgesetzes 48,5 Millionen Mark gezahlt worden, wovon 27,4 Millionen auf die Alters- und 2l,1 Millionen auf die Invalidenrenten entfielen. Man ersieht daraus, daß es nicht mehr lange währen wird, bis auch in dem Ver hältnisse zwischen den Summen der gezahlten Renten zum Ausdrucke kommen wird, daß die eigentliche Bedeutung des Gesetzes in der Jnvaliditätsversicherung liegt. Auf Preußen entfielen 18,2 Millionen Alters- und 13,5 Millionen Invalidenrenten, auf Bayern 2,1 und 2,2, auf das König reich Sachsen 2 und 0,9 Millionen, auf Württemberg 0,7 und 0,6 Millionen. Die einzige Versicherungsanstalt, in welcher die Summe der Invalidenrenten die der Altersrenten bereits überstiegen hat, ist Baden. Hier stehen 564 000 Invalidenrenten 543 000 Altersrenten gegenüber. An Beiträgen sind insgesammt rund 1 975000 erstattet worden, und zwar in Heirathsfällen 1 458 000 und in Todesfällen 517 000 Auf Preußen entfallen von den Er stattungen 1 171 000 .L, auf Bayern 137 000 .//, auf Sachsen 234 000 und ausWürttemberg 56 000 Das Reich ist bei den Erstattungen der Beiträge, die bekanntlich an weibliche Versicherte, die eine Ehe eingehen, sowie an Hinterbliebene solcher Versicherten erfolgen, die nicht in den Genuß einer Rente getreten sind, nur soweit interessirt, als bei den betreffenden Versicherungen Doppelmarken zur Verwendung gekommen sind. Für diese muß das Reich die Erstattung übernehmen, während die übrigen Beiträge von den Versicherungsanstalten herausgezahlt werden. Wie wenig aber das Reich dadurch jetzt und in Zukunft belastet wirb, geht Wohl zur Genüge daraus hervor, daß im Jahre 1896 die gesammte Belastung aus diesem Posten 330 betrug. L. Berlin, 3. August. (Privattelegramm.) Als Zeit punkt der Abfahrt des Kaisers von Kiel ist dem Vernehmen der „Nat.-Ztg." nach der Abend des 4. August in Aussicht genommen. Fürst Hohenlohe, dessen Ankunft in Berlin in Folge der Ueberschwemmungen eine Verzögerung erfuhr, und der den Umweg über Wien machte, begiebt sich nach seinem Eintreffen Hierselbst zunächst zum Kaiser nach Kiel. (D Berlin, 3. August. (Telegramm.) Ein (Keneral- Comitö für ganz Deutschland für die durch Unwetter Ge schädigten, an dessen Spitze die hiesigen städtischen Behörden stehen, ist in der Bildung begriffen. L. Berlin, 3. August. (Privattelegramm.) Zur Wahl Professor Lchmoller'S zum Rector der Berliner Universität schreibt die „Nat.-Ztg.": Wenn es auch nicht angängig ist, politische Anschauungen den Entschließungen deS Lehrkörpers der Hochschule unterzulegcn, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß die Wahl als eine Bethatiguug des Freiheits und Unabhängigkeitsgefühls der Facultäten gegenüber neueren Angriffen von unberufener Seite aufgefaßt werben kann und sicher allgemein aufgefaßt werden wird. Diese Angriffe richteten sich, Wie erinnerlich, ausdrücklich gegen die „Kathedersocialisten"; auf sie ist die Wahl Schmoller's zum Rector der ersten deutschen Hochschule die ausdrückliche Antwort, wenn auch für sie selbstverständlich dieser gegensätzliche Beweggrund nicht der ausschlaggebende gewesen ist. Wir begrüßen die Wahl als Beweis für das Vorhandensein eines neuen CurscS, den das gebildete Bürgerthum gesammelter als bisher im Widerstande gegen starke reactionaire Strömungen einzuschlagen gewillt ist. — Der Kaiser sandte, laut der „Franks. Ztg.", dem Centralausschuß für die Hagelgeschädigten weitere 15,000 aus dem Dispositionsfonds zu. FeniHet-n. Mar Ring. Ein Blatt zum 4. August, dem 80. Geburtstage des Dichters, von Ludwig Salomon. Nachdruck verbot««. In der Mitte der dreißiger Jahre stieg eines TageS ein junger Mann beklommenen Herzens im Palais RaczinSki in Berlin die Treppe empor, um Frau Bettina von Arnim einen Brief von seinem in Italien weilenden Freunde Moritz Carriöre zu überreichen und zugleich noch eine mündliche Bestellung von diesem zu machen. Dieser schüchterne junge Mann war der StudioseS der Medicin Max Ring. Er sollte auch nicht lange zu antichambriren brauchen; bald ward er in das Arbeitszimmer der berühmten Verfasserin von „Goethe'S Briefwechsel mit einem Kinde" geführt und sah sich dort einem niedrigen Divan gegenüber, auf dem in halb sitzender, halb liegender Stellung eine kleine Frau von ungefähr fünfzig Jahren in einem bequemen alten Morgen rocke kauerte, um den Kopf ein schwarzes Spitzentuch ge schlungen, unter dem die dunkeln, mit einzelnen grauen Haaren vermischten Locken wirr hervorquollen und die feurigen, fast stechenden Augen dem Eintretenden entgegenblitzten. Nur mit Mühe vermochte er sich in seiner Befangenheit seines Auftrages zu entlevigen; schließlich hatte er aber doch Alles herausgcbracht, was zu sagen gewesen war, und als er nun schwieg, blickte ihn Bettina aufs Neue an. „So", sagte sie darauf in ihrem Frankfurter Dialect, „dann schreibe Sie dem Carriöre, daß er mir nicht mehr so viele Studenten auf den Hals schicke soll, ich hab jetzt gerade genug von der Sorte!" Dem armen Studiosus war, als würde ihm ein Kübel kaltes Wasser über den Kopf gegossen. „Verzeihen Sie, gnädige Frau", versetzte er, „ich wollte mich nur meines Auftrages entledigen und Sie allerdings auch gern einmal kennen lernen — doch nun bin ich vollständig befriedigt." Dabei verneigte er sich und ging; bevor er jedoch die Thür erreicht hatte, rief sie ihn zurück. „Bleibe Sie nur ruhig bei mir!" sagte sie. „Sie scheine mir ein ganz vernünftiger Mensch zu fein. Setze Sie sich und erzähle Sie mir, wer Sie sind und was Sie vielleicht noch von mir wolle!" Dieser Aufforderung vermochte er natürlich nicht zu wider stehen; er nahm neben ihr Platz und blieb gleich zwei Stunden bei ihr. „Alles, was sie mit mir sprach", berichtet er in seinen Lebenserinnerungen, „klang mir damals wie eine höhere Offenbarung, und sie selbst erschien mir in diesem Augen blicke wie eine gottbegeisterte Pythia. Ein Gedanke jagte bei ihr den anderen; die wunderbarsten Ansichten und Ideen über Leben, Wissen und Kunst flössen wie ein mächtiger Strom von ihren feinen Lippen. Es lag etwas Dämonisches, Prophetisches in ihrem ganzen Wesen, und sie erinnerte mich bald an die geheimnißvollen Sibyllen des AlterthumS, bald an eine von feurigem Moste trunkene Bacchantin." Beim Abfchied schenkte sie ihm ein Exemplar von ihrem „Briefwechsel" und forderte ihn auf, sie bald wieder zu be suchen. Dieser Aufforderung kam er natürlich sehr gern nach, und dadurch wurde ihm in den Arnim'schen Abendgesellschaften ein Kreis feingeistiger, hochgebildeter Menschen erschlossen, der in ihm noch weit mehr, als eS der literarische „Sonntags verein", der sogenannte „Tunnel über der Spree", hatte thun können, daS Interesse für Literatur und Dichtkunst weckte. Urfprünglich hatte er dem literarischen Leben und Streben sehr fern gestanden. In seinem Heimathsörtchen Zauditz bei Ratibor, wo er am 4. August 18l7 geboren worden, wußte man gar nichts von Schriftstellerei, und auch auf den Gymnasien zu Ratibor und Oppeln, wo der Knabe für die Universität vorgebildet wurde, wehte ein nüchterner Geist, der mit Poesie nichts zu schaffen haben wollte. Aber auch auf den Universitäten zu BreSlau und Berlin, die Max Ring sodann nacheinander bezog, drängte er noch jede Ver suchung, sich einmal poetischen Träumen hinzugeben, energisch zurück. Er sollte Medicin studircn, und darum widmete er sich auch mit feinem Freunde Ludwig Traube, dem später so berühmt gewordenen Pathologen und klinischen Lehrer, dieser Wissenschaft mit allem Eifer. Allerdings sproß hier und da doch manch kleines Lied neben den ernsten Studien empor, und als 1840 das Staatsexamen überstanden war, erschien auch bei Hartknoch in Leipzig ein kleines Heftchen Gedichte, von denen jedoch nur die Hälfte von Max Ring herrührte; die andere Hälfte stammle von seinem Freunde Moritz Fränkel. Trotz seiner Schmalheit wurde es aber doch in der literarischen Welt bemerkt und von dem damals hoch angesehenen Ludolf Winnbara lobend besprochen. Gern wäre nun Max Ring in Berlin geblieben, theils um sich als Arzt eine Praxis zu schaffen, theils um in den literarischen Kreisen weitere Anregung zu empfangen; aber der plötzliche Tod seines Vaters zwang ihn, in die Heimath zurückzukehren, um zunächst die mißlichen VermögenSverhält- nisse zu ordnen und sich dann da als Arzt niederzulassen, wo er durch seine Familie eine größere Bekanntschaft besaß und darum auch von vornherein auf eine gewisse Praxis rechnen konnte. Er nahm daher seinen Wohnsitz zunächst in Pleß, später in Gleiwitz und wurde hier bald ein viel beschäftigter Arzt, der gar keine Zeit hatte, an etwas Anderes als an jeinr Kranken zu denken. Eine große Typhusepidemie im Jahre 1847 stellte sogar die höchsten Anforderungen an seine Kräfte. Das Jahr 1848 sollte jedoch, wie bei so manchem, auch bei ihm eine Wendung in seinem Geschick herbeiführen und ihm zugleich die Laufbahn eröffnen, für die er präde- stinirt war. Auch er hatte sich der freiheitlichen Bewegung mit Enthusiasmus angeschlossen, mußte aber bald erkennen, welche falschen Wege man einschlug. Er verließ daher Glei witz, angeekelt von dem wüsten Treiben, und ging zunächst nach Breslau, wo er, da sich eine ärztliche Praxis sobald nicht erlangen ließ, zunäckst eine Reihe von Feuilleton- Artikeln über oberschlesische Zustände für die „Oder-Zeitung" schrieb und dann die Theater-Referate für dieses Blatt übernahm. Der Besuch des Theaters brachte ihm eine Fülle von neuen Anregungen, er sah geniale Gäste, wie Emil Dev- rient, Karl Grunert, Theodor Döring und selbst die berühmte Rachel. Seine Artikel sowohl als seine Referate fanden bald Beachtung; eS leuchtete in ihnen etwas von dem Esprit und der Anmuth deS Salons der Bettina wiever. Ein un ternehmender junger Verlagsbuchhändler, Urban Kern, for derte ihn daher eines Tages auf, ihm einmal einen Roman zu schreiben; bei der flotten Darstellung, die sich in den Schilderungen Oberschlesiens gezeigt, müsse auch eine größere und breiter angelegte Arbeit gelingen. Ring zögerte anfangs, doch fiel ihm bald eine höchst eigenartige Erbschaftsgeschichte ein, die sich kürzlich in Breslau und Berlin abgespielt hatte und interessante Gegensätze von Arm und Reich aufwics. Resolut legte er sich also den Stoff zurecht, und selbst neu gierig, was er wohl zu Stande bringen werde, begann er zu schreiben. Und so entstand sein erstes größeres Werk, der zweibändige Roman „Berlin und BreSlau", der 1849 erschien. DaS Lcsepublicum nahm den Roman freundlich aus und der Verfasser erwarb sich durch ihn sofort eine gewisse litterarische Stellung, außerdem die Freundschaft Berthold Auerbach s, der sich damals in BreSlau aufhielt, und Theoder Mundt's, der eine Professur an der Universität inne hatte. Auf die Dauer mochte es ihm aber in Breslau doch nicht behage». Die Reaction trat hier besonders unleidlich auf, dabei machte sich ein engherziger Kastengeist geltend, und im geistigen Leben trat eine gewisse Oede ein. Da ent schloß er sich denn, wieder nach Berlin zurückzukehren, wo er sich einst so wohlgefühlt und so vielseitige Anregung ge- funden hatte. In den ersten Tagen des October 1850 siedelte er nach dorthin über. Aber freilich, das alte Vormärz- liehe Berlin fand er nicht wieder, dagegen daS gewaltthätige Polizeiregiment des Herrn von Hinkeldey; doch erschloß sich ihm sehr bald da« interessante Varnhagen'sche Haus, wo er nun neben dem geistreichen Hausherrn den alten originellen General Ernst von Pfuel, den genialen Gartenkünstler und liebenswürdigen Plauderer Fürsten Pückler-MuSkau, den „Nococodichter" Alexander von Ungern-Sternberg und den jungen Gottfried Keller kennen lernte, dessen „Grüner Heinrich" soeben erschienen war. Die unvergeßliche Rahel war leider schon aus dem Leben geschieden; dafür machte die zierliche Ludmilla, die Nichte Varnhagen's, die Honneurs des Hauses. Und noch ein zweiter sehr angeregter Kreis öffnete sich ihm alsbald, der der Künstler und Künstlerinnen der Theater Berlins, denn er wurde Theater-Referent der „Vossischen Heilung". Es seien nur Auguste Eresinger, Wilhelmine L-chröder-Devrient, Dessoir und Helmerding genannt, denen er schon nach Kurzem näher trat. Zu alledem regte sich auch neues Leben im „Tunnel", eine ganze Anzahl junger Talente erschien dort auf dem Plan zu literarischem Turnier, Paul Heyse, Franz Kugler, Theodor Fontane, Rudolf Löwen stein, Georg Hesekiel und noch mancher Andere. Da war er denn, ehe er sichs versah, mitten im großen Strom des geistigen Lebens der Hauptstadt und hatte Mühe, sich nicht in seine Strudel reißen zu lasten. Aber er sah sich wohl vor, seine Zeit und seine Kräfte zu zersplittern. Schon im Jahre 1851 konnte er seinen zweiten großen historischen Roman „Die Kinder Gottes", in welchem er die schlichten Herrenhuter der verlotterten Hofgesellschaft August's des Starken gegenüberstellte, und 1852 das dreibändige Werk „Der große Kurfürst und der Schöppenmeister", mit dem er in die Fuß stapfen von Willibald Alexis trat, erscheinen lassen. Darauf zahlte er noch dem damaligen Zeitgeschmäcke seinen Tribut mit dem biographischen Romane „John Milton und seine Zeit", wandte sich dann aber fast ausschließlich dem zeit geschichtlichen Romane und der Sittengeschichte auS dem Leben der Gegenwart zu und sand auf diesem Gebiete sein eigenstes Feld. Hervorgehoben seien besonders „Verirrt und erlöst", „Ein verlorenes Geschlecht", „Götter und Götzen" und „Der große Krach", außerdem die „Berliner Stadt geschichten" und die Culturstudien „Berliner Leben". Am großartigsten entfaltete sich sein Talent in dem sechsbändigen Romane „Ein verlorenes Geschlecht", wo er in seine ober schlesische Heimath führt und die dortigen Aristokraten und reichen Bergwerksbesitzcr mit wahrhaft genialem Griffel zeichnet. Doch stieg er auch einmal in die ferne Vorzeit hinab und schrieb den Roman „Das Haus Hillel", in welchem er in prächtigen FreScobildern die Zerstörung Jerusalems durch TituS schildert, llnd auch im Schauspiel und Lustspiel — eS seien nur die Stücke „Stein und Blücher", „In Charlottenburg" und „Unsere Freunde" erwähnt — versuchte er sich nicht ohne Erfolg. So blickt er bei seinem achtzigsten Geburtstage auf ein reiches Ergebniß seiner literarischen Thätigkeit zurück, auf eine Fülle von Schöpfungen, in denen so ziemlich Alles, waS uns in den 50er, 60er und 70er Jahren bewegte, künstlerisch ersaßt und dargestellt worden ist. Als Angebinde mag er darum die Versicherung nehmen, daß ihm heute an seinem Ehrentage überall, wo man die deutsche Literatur kennt, alle die Herzen dankbar entgegenschlagen, die er einmal mit seinen Romanen und Novellen erfrischt und erquickt, erheitert und erhoben hat. Und wer könnte sie zählen?
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