Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.08.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970807013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897080701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897080701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-07
- Monat1897-08
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-Preis in der Hauptes»,ditioll oder den i« Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Au»- aabrsttllen abgeholt: vierteljährlich ^l4LH bei zweimaliger täglicher Zustellung int bau-ö.SO. Durch die Post bezogen für Te»tschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Directe täglich« kreuzbandiendun- int Ausland: monatlich ^l 7.öO. Die Morgen.Ausgab« erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-AuSgabe Wochentag- um 5 Uhr. Ne-action »n- Erveditio«: JohauncS-nffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr, Filialen: ktto Klemm'« Sortim. (Alfre» HahnX AnivrrsitätSsrratze 8 (Paulinum), Lonit Lösche. Nntharlnenstr. ^1, part. und Sönig-pktz V Morgen-Ausgabe. aWM.TaMM Anzeiger. KmLsbM des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Natizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeige«.Pr»rr öle -gespaltene Petitzeile rv Pfg, Reklamen unter dem Rrdactiontstrich (4 g- spalten) 50-H, vor den Famtlienaachricht«» (6 gespalten) 40^. Tröhere Schriften laut unserem Prrit- verzrichniß. Tabellarischer und Zisserasatz »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Au-gabe, ohne Postbesörderung >4 SV.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-An-gabr: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreisen sind stet- an die Expedition zu richten. Drück und Verlag von E. Pol« in äeivzlg. 398 91. Jahrgang. Sonnabend den 7. August 1897. Der Besuch -es Kaiserpaares in Rußland. K ImSeptemLer deS vergangenen Jähret hatZar Nikolaus II. mit seiner Gemahlin in Deutschland, wie vorher in Wien und nachher in Paris und in England, einen Besuch ab gestattet. Der junge Monarch war am 1. November 1894 zur Herrschaft gelangt, seine durch die Krönung verzögerte Reise bezweckte die nach der Thronbesteigung unter den Monarchen allmählich üblich gewordene Vorstellung bei den fremden Staatsoberhäuptern. Heute nun landet dat deutsche Kaiserpaar in Kronstadt, um den Besuch zu erwidern. Die Gegenseitigkeit wird dabei nicht peinlich ab gewogen. Unser Kaiserpaar sucht daS russische in dessen Hauptstadt auf, während der Zar und die Zarin, Berlin ver meidend, ihrem Besuch mehr den Charakter der Thrilnahme an einem Manöver in Schlesien verlieben hatten. Im Uebrigen werden die Petersburger Tage äußerlich wie politisch im Großen und Ganzen voraussichtlich der Zusammenkunft in Breslau und Görlitz gleichen. Dem mit glänzendem Gefolge anlangenden deutschen Kaiserpaare steht ein an Pomp und Hoffestlichkeiten reicher Empfang bevor, wie ibn auch daS Zarenpaar in Deutschland gefunden. Kaiser Wilhelm ist von dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe und dem Leiter des Auswärtigen Amtes Herrn v. Bülow begleitet, wie Zar Nikolaus in Wien den Fürsten Lobanoff und in Schlesien nach dieses Staatsmannes plötzlich erfolgtem Tode den Minister Schischkin um sich hatte. Hat die Anwesenheit des Leiters der auswärtigen An gelegenheiten Rußlands dem Zarenbesuch kein eigentlich politisches Gepräge gegeben, so wird man auch der Theil- uahme deutscher Staatsmänner an der Petersburger Reise unseres Kaisers billig keine sonderliche Bedeutung beilegen wollen. Eine solche würde vielmehr nur einer anderenZusammen- sctzung der Begleitung, als sie der Zar für sich auserwählt, zu- erkanut werden müssen. Selbst wo man sich in der Presse einen gewissen Ueberschwang in der Besprechung der Kaiser reise nicht versagen kann, unterläßt man nicht, hervorzuheben, daß Fürstenbegegnungen, die von der Etiquette geboten sind, an Len Beziehungen der Staaten zu einander nichts zu ändern vermögen. Auch persönliche Sympathien der Herrscher und ihrer Familien nicht soviel wie ehedem. Alexander IH. ist niemals ein Freund Deutschlands und der Deutschen gewesen. DaS hat nicht gehindert, daß unter seiner Regierung zwischen Rußland und Deutschland ein für ein gutes politisches Berhältniß beider Staaten werthvolleS Abkommen zu Stande gekommen ist. Umgekehrt hat eine gewisse Spannung in Folge der Nicht erneuerung dieses Verhältnisses auch während der Regie- rungSzeit Nikolaus' II. noch eine Weile fortgedauert, obwohl man diesem Herrscher freundlichere persönliche Gesinnungen für Deutschland als sie seinen Vater beseelten, zuzuschreiben ein Recht zu haben glaubt. Es sind eben die Interessen der Länder, die ihre Beziehungen zu einander bestimmen, nicht die Neigung der Staatsoberhäupter. Die Petersburger Reise des Kaiserpaares wird deshalb Alles beim Alten lassen. Da aber daS „Alte" zufrieden stellend ist, so erscheint auch jene Voraussicht als eine durch aus beruhigende. Wir brauchen nicht ängstlich auf Trink sprüche zu horchen, um gewiß zu sein, daß die beiden Herrscher, die sich in diesen Tagen begrüßen, den Willen und die Kraft besitzen, durch ein freundschaftliches Berhältniß zwischen ihren Staaten und auf Grund desselben dem Welttheil den Frieden zu erhalten. Kaiser Wilhelm und Zar Nikolaus dürfen sich als eifrige Mitarbeiter an dem schwierigen, nun der Vollendung nahen Werke der Pacificirung des Ostens begrüßen. Deutschland, an der Orientpolitik weniger interessirt als Rußland und Oesterreich, hat eine sehr hervor ragende Rolle bei den Verhandlungen der Großmächte ge spielt und ist dabei mit jedem dieser beiden Nachbarstaaten in gleich enger Fühlung geblieben. Die Hoffnungen, welche die Feinde Deutschlands an den ohne Zweifel zu höherer Be deutung als der einer Höflichkeitsbezeugung gelangten Petersburger Besuch deS Kaisers Franz Josef knüpften, haben sich als eitel erwiesen. Die seit jenem Ereigniß verflossene Zeit hat vielmehr wiederum dargethan, daß Deutschland unter Aufrechterhaltung wärmster Beziehungen zu Oesterreich mit Rußland im besten Einvernehmen nicht nur leben und politisch wirken kann, sondern daß dieser politische Zustand den Kaisermächten wie Europa der zu träglichste ist. Der Grund ist, daß zwischen wohlverstandener deutscher und einer wohlverstandenen russischen Jnterefsenpolitik tiefere Gegen sätze nicht bestehen, daß dagegen beiden Staaten in einer großen Reibe von wichtigenFragen ein gemeinsamer Weg gewiesen ist. Diese Erkenntniß ist in Deutschland Gemeingut aller Politiker, in der russischen Bevölkerung, wo Sympathie und Anti pathie daS große Wort führen, allerdings nicht. Wenn Kaiser Wilhelm und seiner Gemahlin in Petersburg die schuldige Ehrerbietung nicht versagt werden wird, so bleibt doch alle Begeisterung, der daS slawische VolkSzemüth fähig ist, für den ihn als Gast deS Zaren ablösenden Präsidenten der französischen Republik anfgespart. Wir Deutschen werden dem Petersburger Franzosenjubel mit derselben Ruhe ent gegensetzen, die uns während deS vorjährigen Pariser Zaren- enthusiasmuS keinen Augenblick verlassen hat. Was in der Zeiten Hintergründe schlummert, wer will eS wissen? Aber Herr Faure wird jetzt die „Revanche" ebenso wenig nach Paris milbringen, als sie Zar Nikolaus II. im vorigen Jahre dort hinterlassen hat. DaS Friedensbedürfniß der mittel- und osteuropäischen Mächte ist, wie auch die Geschickte der jüngsten Orientkrisis zeigt, zur Zeit der alle Leiden schaften niederhaltende Herr deS Welttheils. Daß es durch den Besuch deS deutschen Kaisers in Petersburg eher an Kraft gewinnen als durch die russische Reise des französischen Präsidenten verlieren kann, beruht auf der Natur der Dinge, die stärker sind als die Wünsche einer Minderzahl der europäischen Menschheit. Deutsche- Reich. * Leipzig, 6. August. Man schreibt unS: Während einer mehrwöchigen Alpenreise verfolgte Schreiber Dieses den auch in den Tiroler Alpen entbrannten Kampf über die Ver gewaltigung der Deutsch-Böhmen. An diesem Kampfe nimmt die Caplanpresse lebhaft Theil. Sie bezeichnet die Bewegung „als ei» wüstes, staatsgefährliches Treiben", dem die Kirche entgegentreten muffe, „weil die Interessen der Nationalitäten den Interessen der katholischen Kirche untergeordnet seien, durch den Nationalitätenkampf aber das Glaubensleben geschwächt und unklar werde, oder durch andere Ideale, wie es die nationale Begeisterung sei, nicht ersetzt werden dürfe." Mit anderen Worten, das deutsche Nationalbewußtsein in Oesterreich muß geknebelt werden, wie eö der internationale Klerus verlangt. Die Theil- nehmer der unlängst in Wiener Neustadt abgehaltenen deutsch-österreichischen Lehrer-Versammlung wurden von einem Caplansblatt in der gut deutschen Stadt Meran als „Prenßenseuchler" und als solche Menschen geschildert, die einig seien im Kampfe gegen die Religion, «n Kampfe gegen die Kirche und im Kampfe gegen das Priesterthum. Und was haben diese Lehrer verbrochen? Als aufgeklärte deutsche Männer kämpfen sie offen und ebrlich gegen die Unter drückung des deutschen NationalgesüblS, gegen die fick die gesammte deutsch-österreichische Bevölkerung erhebt! Auf der anderen Seite aber kämpft man mit den bekannten Waffen: Lüge, Entstellung und Verdächtigung! Möge dem überschäumenden Treibe» der augenblicklich in Oesterreich die Oberhand führenden Tschechen und Priester gegen die Deutschen durch ein gemeinsames Zusammengehen aller deutsch fühlenden und denkenden Männer recht bald ein starker Damm entgegengesetzt werd. n. * Berlin, 6. August. Ueber den Besuch deS engern Vorstandes des Bundes der Landwirtbe bei dem Fürsten BiSmarck macht jetzt die „D. Tgs.-Ztg." nähere Mit- theilungcn, denen wir Folgendes entnehmen: Fürst Bismarck zeigte dieselbe stramme und aufrechte Hal tung die seine Besucher in den letzten Jahren so ost zu bewundern Gelegenheit hatten. In alter Frische blickte fei» Ange; mit ge- winnender Liebenswürdigkeit unterhielt er sich mit seinen Gästen. Auf dem Platze des Fürsten lagen die letzte» Nummern verschiedener Tageszeitungen, darunter auch die des „Kladderadatsch". Bergnügt wies der Fürst aus die Bilder des „Kladderadatsch" hin, auf denen die Mitglieder des engern Vorstandes deS Bundes der Landwirthe dargestellt sind, und meinte lächelnd zu den Herren: „Sie sind ja bereits bei mir angemeldet; Ihre Visiten karten sind hier schon abgegeben, wie Sie sehen". Das Gespräch drehte sich um die wichtigsten politischen Tagessragen und zwischen durch erzählte der Fürst manche interessante Geschichte ans seiner Amtsführung. Die Gäste des Fürsten waren nicht wenig über sein Gedächtnis erstaunt. So kannte der Fürst noch genau die Namen verschiedener Coinmilitonen aus seiner Göttinger Studien- zeit, aus die die Rede kam, erinnerte sich seiner Missionen an den hannoverschen Hof und der Einzelheiten dessen, was er dort erlebt hatte, und sprach von verschiedenen activen und inactiven Ministern, über die er seine Meinung seinen Besuchern nicht vorenthielt. Ganz besonders interessant waren die Aeußerungen des Fürsten über die politischen Parteien. Er meinte, die Parteiführer seien zugleich „Erfinder und Grundlage" ihrer Parteien, in denen die große Menge der Mitglieder nur dazu diene, ihnen den nöthigen Rückhalt zu geben. Der „Bund der Landwirthe" habe augenscheinlich in seinem Verhalten zu den Parteien das Richtige getroffen: die Parteien müßten nicht dem Bunde Sorgen machen, sondern umgekehrt müßte es dahin kommen, daß der Bund den Parteien Sorge mache. Der Bund der Landwirthe thüte gut, alle diejenigen Elemente, die bereit seien, die deutsche Landwirlhschaft zu schützen, um sich zu sammeln, ohne Rücksicht aus ihre Zugehörigkeit zu den politischen Parteien. Es sei ganz richtig, daß der Bund sich dabei um die politische Partei-Zugehörigkeit seiner Mitglieder nicht kümmere! Ja, es müßten bei der Vertretung der landwirthschastlichen Interessen die Partei unterschiede möglichst hintan gestellt werden und eS sei geradezu FeiirHetsn. Im Lande -es Zprachenkampfes. Von Erhard Stubrl. NaLdruck »erboten. Wahrhaft verschwenderisch hat die Natur das Döbmer- land beschenkt. Mächtigen Urwald und lachende Gebreite, gewaltige Berge unv freundliche Hügel hat sie ihm bescheert. Willig und reichlich spendet die Erde die nährende Frucht. Rcichthum birgt ihr Schooß und heilsame Quellen entspringen ilnn. Wer vom Gipfel deS Osser über die Berge deS Böbmerwalds weit hinein in das Land schaut, oder vom Hradschin herab auf daS Herz Böhmens blickt, oder in der heiligen Einsamkeit der Wälder wandelt, die Karlsbad um kränzen, der wird es voll empfinden, daß dies Böhmerland ein herrliches Stück Erde ist. Aber, wie im Neide auf die gebefrvhe Natur, hat ihm die Geschichte harte Schicksale bereitet und e- von früh auf zu einer Stätte des Unfriedens gemacht. Der Haß, der die Völker heute entzweit, gebt in alte Tage zurück. Schon 1055, als der deutsche Bürger und Bauer in emsiger Arbeit eben die ersten Keime der Gesittung hier eingepflanzt hatte, erließ der Herzog Spitignev II. eine Verfügung, daß alle Deutschen binnen drei Tagen daS Land zu verlassen hätten, und im folgenden Jahrhundert bot Herzog SobeSlaw II. 100 Mark Silber für einen Schild voll deutscher Nasen. So meldet uns jedes Säculum Ausbrüche des tschechischen Fanatismus; die Männer deS Ziska und seiner Banden priesen Gott: Er hat uns Hilt« und Ruhm vrrliehn, Die Deutsch«», die Drutschen z» schlagen Und aus dem Land« zu jagrn; und ein Adliger de« 17. Jahrhunderts sprach den Wunsch aus, sein Sohn möge lieber bellen wie ein Hund, statt in deutscher Sprache zu reden. In all' diesen Ausbrüchen — und ihre Zahl ließe sich leicht ins Massenhafte vermehren — äußert sich ein Charakter, der dem Deutschen überaus fremd ist. Es ist der blinde Fanatismus, der sie, der da» tschechische Wesen überhaupt kennzeichnet. Wer in ein Tschechendorf kommt, der findet eine fast kriechend freund liche Bevölkerung. Der Handkuß ist eine — von den Deutschen in Böhmen leider nicht selten angenommene — Tschechensitte; da- Kind küßt Vater und Mutter, der Greis einem vornehmen Flaumbart demüthig die Hand; der Bauer spricht mit abgezogener Mütze und fließt vor Er gebenheit gegen den „gnädigen Herrn" über. Doch „vor dem Herrn zu klagen und hinter dem Thore zu lachen" räth schon ein slavisckeS Sprüchwort, und in diesem Sinne brickt der Bauer, wenn der „gnädige Herr" außer Sicht ist» in Schimpfwörtern auS, deren Leidenschaftlichkeit alle- Maß übersteigt. Darin lieg» die Gefahr, daß dir» Volk, einmal erregt, «in Maß kennt. So durckbrach es in der furchtbaren Hussitrnzeit alle Schranken der Gesittung, so zeigt seine Re ligiosität den Zug wilden Eifer». Da» hat schon 1505 BohuS- low von Hassenstein bemerkt und kann noch heute Jeder be merken, wer sieht, wie die Missionspredigten der Jesuiten ganze Dörfer aus ihrer Ruhe reißen, eine leidenschaftliche Bewegung Hervorrufen und — nach Andree'S Zeugnrß — be sonders die Weiber geradezu toll machen. Und neben der Religion ist eS eben vor Allem die nationale Frage, in der sich der zügellose Fanatismus de- tschechischen Charakters hauptsächlich documentirt. Aus jener Verbindung von slawischer Unterwürfigkeit und blinder Wulh erklärt eS sich, daß das Tschrsckenvolk Jahrhunderte lang in Ruhe verharrte, nm dann plötzlich mit einem Schlage in entfesselter Gewalt loszubrechen. Als in unserem Jahrhundert die tschechisch nationale Bewegung sich entwickelte, da war jede kleine tschechische Stadt, in der sonst von geistigem Leben kaum eine Spur zu bemerken war, mit eins ein Herd kochenden Nationalhasses. Da» Tschechenvolk ist sicherlich an Gaben reich. In seiner Poesie und Musik finden wir jene sinnende Melancholie, die einen Hauptreiz deS slawischen Geistes bildet, vereint mit heißem Temperament. Ist der Tscheche erst einmal in den KrriS der Cultur getreten, so zeigt er ein un ermüdliche» Streben, eine schnelle Entwickelung, einen hohen Eifer für alles Geistige. Davon legen die großen Fortschritte, die die tschechische Cultur in den letzten Jahrzehnten gemacht bat, Zeugniß ab. Und wer wollte die Liebe, mit der der Tscheche an seiner Nationalität hängt, an sich anders als im günstigen Sinne beurtheilen? Aber unter so vielen Gaben ist dem Stamme eine versagt geblieben, die allein eine volle geistige Harmonie Herstellen kann: die Gerechtigkeit gegen Andere, da» schöne Erbe de» germanischen Blutes scheint ihm nicht gegeben, und darum gehen alle seine Empfindungen und Handlungen ir.S Extreme. Wenn bei der Beobachtung der VolkSnatur im Leben leicht Jrrthümer unterlaufen können, zumal wir dir Feinde deS böhmischen Deutschthum» begreiflicherweise nicht mit be sonderem Wohlwollen zu behandeln im Stande sind, so zeigen un» doch die Arußerungen de« tschechischen Geiste-, wie sie in der Wissenschaft vörliegen, mit voller Sicherheit diesen Zug fanatischer Maßlosigkeit. Die tschechische Wissenschaft hat nicht allein die Erfindung der Buchdruckerkuost für die Tschechen reclamirt, sie hat auch gefunden, „daß der Baum deS italienischen Leden- seine Wurzel im slawischen Boven hat", daß die Hansa dem Namen und der Sache nach slawischen Ursprung» ist, daß Anakreon, Gluck und Lessing Männer de» SlawenvolkeS sind und unser Karl Maria von Weber wenigstens „dem Wesen seiner Musik nach" als Tscheche an- Zusehen sei. Da« ist derselbe Geist, der in dem deutschen LandSgenossen Nur den Hund sieht und daS gegenseitige Ver- hältniß von Geben und Empfangen nicht objectiv zu würdigen vermag. Ueber dies Berhältniß giebt uns der treueste Zeuge, die Sprache, lehrreiche Aufschlüffe. Wohl finden wir tschechische Bestandtheile im böhmischen Deutsch. Die deutsche HauSfra» besonder« hat den Namen manche» Gerichte» und Gerärhe» v«n den Tschechen entlehnt; sie nennt ihre Kuchen Kolatschen, da« Pflaumenmu« ist ihr zu Powillen geworden, und die Filzschuhe, die sie trägt, heißen ihr Batschkoren. Da ist eben da» Herüber und Hinüber, der natürliche Au-tausck, den da- dauernde Nebeoeinaoderleden zweier Nationen mit sich bringt. Blicken wir aber in dir tschechische Sprach« hinein, so finden wir überall die Spuren der deutschen Arbeit. Der Tischler gebraucht Hobli und macht Kisti, der Schlosser bat einen Schraubstock und der Häuer (davir) grüßt mit dem deutschen „Glück aus!", wofür man freilich in neuester Zeit ein slawisches Ersatzwort einzubürgern sich bemüht. Auch die Stätte und Gelegenheit deS Güteraustausches, die zugleich die Wiege deS Handels darstellt, den ..Mrnmrlr"-, bat der Tscheche von dem Deutschen entlehnt. Und diese Erscheinung entspricht der historischen Wahrheit, daß die Deutschen fast alle kunstvolle Arbeit, ven Handel und die Industrie im Lande begründet und entwickelt baden. Sie baben den Berg bau zur Blüthe gebracht; die deutschen Arbeiter NordböhmenS haben von den Venetiancrn die schöne Kunst der GlaS- erzeugung gelernt, und aus Deutschland wurde wahrsckeinlicv auch die Kunst der Bierbrauerei eingeführt, die heute ihre berühmten Producte über die ganze Erde versendet und von den Tschechen je nach Bedürfniß den Deutschen a'ogesprochcn oder zum Vorwurse gemacht wird. Ja selbst im Landbau, für den sich die Tschechen ganz besonderer Befähigung rühmen, sind doch die Deutschen vielfach ihre Lehrer gewesen. Denn erst der Deutsche brachte dem Tschechen, der bis dahin mit einem leichten Haken die Erde nur flach aufgewühlt batte, die tiefer greifende schwere Pflugschar, und die deutschen Bauerncolonien blühten inmitten der tschechischen Marken überall al» eine Art von Musterwirthschaften. Gerade auf dem Dorfe macht sich der Unterschied, ja Gegensatz der Nationalitäten besonders scharf bemerkbar. DaS deutsche Dorf ist lang und geräumig gebaut. Der Fachwerk bau ist meist hier üblich geworden und hat vielfach eigen artige Ausbildung gefunden. Wie schmuck präsentirt sich daS Egerländer Bauernhaus mit seinem nicht selten verzierten Giebeldach?, seiner durch Holzfäulen geschmackvoll belebten Front, den kleinen, mit Blumenstöcken versehenen Fenstern, dem wohlbesteüten Vorgärtchen und den stattlichen Obstbäumcn! Da« Tschechendorf ist nach slawischer Art ringförmig an gelegt, daher oft beengt; selten sind Bäume zu sehen — den den Tschechen heiligen Holzbirnbaum ausgenommen —, seltener noch sind Gärten und die Blumenstöcke am Fenster, die daS deutsche Hau» überall charaklerisiren, ob eS nun zwischen polnischen Kathen in Oberschlesien oder im Urwalde von Arizona liege, fehlen ganz. DaS gewöhnliche Tschechenbaus ist niedrig unv schmucklo», und selbst da, wo behäbigere Verbältnissc obwalten, macht e» nicht jenen Eindruck des Festgcgrüiideten, Gesunden und Erdwüchsigen, den da« deutsche Bauernhaus hrrvorruft, sondern den de« Winkligen, Engen, Gedrückten. Vollend» auf die „Chaluppen" findet noch heute im Ganzen eine Be- schrribuna von 18V0 Anwendung: „Auf schmale Streifchen und Winkel de» OrtSraume» verbannt, haben sie keinen Raum für di« Dunghaufin, der sammt Schweinestall und Abort zur Zierde de» Ganzen seinen Platz vor den Fenstern findet, die Luft unausgesetzt verpestend." Die deutsch-böhmischen Bauer»» sind ein Schlag, auf den unser Volk allen Grund hat, stolz zu sein: kraftvoll, mannhaft, gesittet. Ein Zug von GemlltbStiife geht durch ihr Leben. Im Egerlande Haven zahlreiche uralte Züge deutschen VolkSthume» bei ihnen sich erhalten und kommen an Lichtmeß und Fastnacht, zur Kirch» w,ih und zu Weibnachten zum li«ben»würvigrn Ausdruck. Im Böbmcrwalde sprechen jene „Todtenhölzer", die am Wege stehen und von den Geschiedenen Kunde geben, vom Gemüthsleben deS Volkes; in Höritz führen die Bauern eine» der ergreifenden und doch so schlichten deutschen PassionS- spiele auf; und wen müßte nicht jener Zug rühren, den Rank aus dieser Gegend erzählt: „Wenn ein ärmerer Haus besitzer wegen zu wenig Zugvieh und Mangel an Arbeitern zur Erntezeit mit seinen Geschäften zurückbleibt, so unter stützt man ihn allseitig und hilft ihm. Nicht selten nehmen erwachsene Burschen Nachts einen Wagen, spannen sich selbst an die Deichsel oder schieben an Rad und Leitern; wenn dann der Hofbesitzer am Morgen seufzend aufsteht, um sein Getreide mühsam einzufahren, liegt ein Theil schon in der Scheune und ein befrachteter Wagen steht noch vor dem Thor." Aehnlich ist der Unterschied zwischen den tschechischen und den deutschen Städten. Schon im Jahre 1590 hat der Freiherr von Zerotin die Dürftigkeit der Tscheckenstädte, die keine Industrie hätten und an Gebäuden nichts Sehens- werthes zeigten, beobachtet. In unserer Zeit hat der Tscheche Palacky wiederum ihre Armseligkeit und ihren dauernden Verfall beklagt, und der Deutsche Andree hat beredt den beengenden, „schlafmützigen" Eindruck geschildert, den sie Hervor rufen. UeberauS selten sind in ihnen bedeutsame Baudenk mäler und ihr Bürgerthum ist kaum mehr als ein städtisch angestrichenes Banernthum mit engem Horizonte und ohne Initiative. Der Tscheche ist kein Städtebauer und -Erhalter. Denn zähe, unermüdlich und fleißig, erlahmt er meist da, wo der Erfolg erst in fernerer Zeit winkt und besitzt nicht die markige Kraft, die zur Bildung eines gesunden Bürger- thums erforderlich ist. Darum ist im Böhmerland der Deutsche der Gründer der Städte geworden, deren Blüthe erst auf dem Fleiße von Generationen erwuchs und gewerbliche Betriebsamkeit voraussetzle. Und seine geduldige Arbeit hat schöne Früchte getragen. Die deutschen Städte Böhmens sind voll blühenden Lebens und reich an Zeugnissen des KunstfleißeS; und welch' malerische und gemütbliche Bilver sie bieten, weiß Jeder, der auch nur einmal auf dem Marktplatze von Eger gestanden hat. In ihnen wohnt «in mannhaftes Bürgerthum, das sich in jahr hundertelangem Fleiße Dasein unv Recht erkämpft bat und ein sicheres Gefühl seines Werthe« in sich trägt. Auf dieser Mannhaftigkeit deS deutschen Stammes in Böhmen ruht seine Hoffnung in dem gegenwärtigen schweren Kampfe — und auf der Gerechtigkeit seiner Sache. Denn nie in all' diesen Jahrzehnten nationalen Kampfes haben die Deutschen die tschechischen Landesgenosscn zu unterdrücken versucht. Regierungen haben die deutsche Sprache und Sitte gefördert oder gehemmt, der Deutsche hat nur seine Arbeit zu thun und ihre Früchte zu ernten beansprucht und dem tschechischen Stamme sein Recht nie zu verkümmern, ihm seine Art unv Sprache nie aufzuzwingen versucht. Und diese Be- scheidenheit wird und muß schließlich dem Fanati-w.u- gegenüber siegen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite