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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970821025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897082102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897082102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-21
- Monat1897-08
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Wir haben gar nicht« dagegen einzuwenden, daß ge sagt wird, die Nationalliberalen säben sich, wie auchdaS Centrum, von der eifrig betriebenen Verwischung der politischen Partei unterschiede durch wirthschaftliche Interessen stark bedroht. Gewiß ist da« der Fall. Aber es scheint nicht, al« ob der con- servativen, wenigstens der gemäßigt konservativen Sache ge dient würde, wenn es so dargestellt wird, als ob die Conservativen weniger von der Ueberwucherung der wirth- sckaftlichen Forderungen zu fürchten hätten. Diese Be hauptung ist gleichbedeutend mit dem Eingeständniß, daß die Conservativen der politischen Gedanken und Ideale ermangeln. Denn wo solche vorhanden sind, da sind sie auch durch die Verwischung der politischen Parteiunterschiede ge fährdet. Nun ist es ja richtig, daß die konservative Partei teilung den principiellen Ballast fast bis auf den letzten Rest ausgeworfen und sich Herrn von Ploetz unterworfen bat. Aber die sächsische konservative Presse bat darüber ihre Un zufriedenheit geäußert in der richtigen Erkenntniß, daß eine um diesen Preis erhaltene Partei Alles eher als eine kon servative sei. Jene Presse bat also gar keinen Grund, weniger besorgt zu sein, als die nationalliberale Partei. Der Zweck, zu dem sie eine relative Ruhe vorschützt, ist ja leicht erkennbar. Es soll den Nationalliberalen zu Gemülbe geführt werden, daß sie wegen ihres angeblich stärkeren Interesses an einem Zusammen wirken der nationalen Parteien größere Opfer zu bringen hätten. Daß das keine gute Politik ist, braucht man nicht erst abzuwarten, es bat sich schon herausgesiellt. Wenn es zutrifft, was ein sächsisches Blatt bemerkt, daß nämlich dem Centrum nichts willkommener sein konnte, als die „Linksschwenkung der Natioualliberalen bei dem Feld- zug gegen das Vereinsgesetz",, ist damit etwa be wiesen, daß die Nationalliberalen mit ihrem Wider stand gegen das Vereinsgesetz dem Centrum die Position erleichtert haben, oder ist nicht vielmehr dargethän, daß daS Centrum sich bei den preußischen Conservativen zu bedanken bat, die die — vor der Einbringung angekündigte — Be kämpfung einer wie aus der Pistole geschossenen, im besten Falle überflüssigen, von der conservativen Provinzpresse Preußens nur mit unverhohlenem Widerwillen empfangenen Vorlage herausgefordert haben? Wenn man Jetzt so klug ist, um die verhängnißvolle parteipolitische Wirkung dieser gesetzgeberischen Improvisation zu erkennen, warum war man nicht vor drei Monaten so gescheut? An Warnungen bat es nicht gefehlt. Gleich unS hat derjenige Tbeil der nationalliberalen Presse, der sich ihr nicht lediglich Dank einer Vermummung noch zurechnen kann, die Ver schärfung des Gegensatzes zwischen den ehemaligen Cartcll- parteien als die schlimmste Folge der Regierungsaction be zeichnet. Und gerade sächsische konservative Zeitungen sind es gewesen, die wegen dieser Vorlage gegen die Nationalliberalen eine der schärfsten Sprachen geführt haben, schärfer als diejenigen preußischen Parteiorgane, die mit der Unterstützung des Recke'schen Entwurfes Palastpolitik machen wollten. Der Fehler ist nun einmal begangen. Aber wenn man seine üble Wirkung erkannt hat und sie, wie jetzt in Sachsen, zugiebt, so sollte man doch vor Allem dafür sorgen, daß er nicht immer wieder erneuert wird, wie es durch den Ausdruck der Erwartung, daß das Vereinsgesetz dem nächst wiederkommen würde, noch jetzt vielfach geschieht. Die -kutsche Tiplamatic hat sich bekanntlich die Aufgabe ge stellt, in den Verhandlungen über einen Friedensvertrag zwischen Türkei und Griccheulanv auf alle Fälle die künftige sinanz- wirthschaftliche Gebahrung Griechenlands dabin sicherznstellen, daß sie den Anforderungen der Moral entspricht. Mit Be friedigung stellen wir fest, daß die öffentliche Meinung in Deutschland so einmülhig, wie es kaum je erlebt wordeu, hierin der deutschen Bemühung beipflich'et und unterstützend zu Statte» kommt. In der Thal durfte die deutsche Macht sich als Vertretung dieser Interessen der allgemeinen Moral berufen erachten, denn sie ist sonst im Orient nicht interessirt, weder als Land-, noch als Seemacht, und sie genießt von den Tagen des Berliner Congresses her den guten Ruf, ehrliche Makler arbeit als uninterrssirte Macht in Orientfragen zu leisten. Andererseits sind deutsche Ersparnisse durch den betrügerischen Bankerott Griechenlands vorzugsweise in Mitleidenschaft ge zogen worden, so daß unsere Diplomatie auch eine unmittel bare Veranlassung haben durfte, sich zum speciellen Sach walter der finanzwirtbschaftlichen Interessen zu macken. Wenn dieses ernste, in den verrotteten Zuständen nur allzu begründete Verlangen Deutschlands von Griechenland als ein völkerrechtswidriges Eingreifen in die Selbstständigkeit dritter Staaten und namentlich als eine Gefahr für die Monarchie verschrien wird, so bezweifeln wir vor Allein, daß die griechischen Auguren selbst von dieser Auffassung durchdrungen sind. Für alle Fälle möchten wir aber, und wiederum als einmüthige Auffassung der deutschen öffent lichen Kreise, festgestelll haben, daß die zweifelhaften Staatenscköpfnngen der Balkanhalbinsel als „selbstständig" im völkerrechtlichen Sinne überhaupt nicht gelten können. Sie sind nichts weiter alö Werkzeuge der Orientpolitik einer oder der andern europäischen Großmacht, und das Maß ihrer Selbstständigkeit darf gar nicht so weil reichen, daß sie durch den Unfug, den sie als solche Werk zeuge immer nur treibe», dem europäischen Frieden eine Gefahr werden. Stellt sich heraus, daß ihre Selbstständigkeit dennoch weiter reicht, so versteht sich von selbst, daß die Ge sammtbeit der europäischen Großmächte oder doch deren Mehrheit, die den Frieden will, sich ins Mittel legt und die nöthigen Schranke» zieht. Was dann dem Balkanstaat an „Selbstständigkeit" wieder verloren geht, wird die Welt der prak tischen, materiellen Interessen so wenig kümmern, wie irgend einen Bekenner der völkerrechtlichen Grundsätze. Nnn gar die „Monarchie" und deren Interesse auf der Balkanbalbinfel. Bildet man sich in Alben wirklich ein, mit derartigen Sen timentalitäten auf irgendwen in Europa Eindruck zu machen? Am Ende kommt dann der Abenteurer von Sofia, dem cs zur Zeit beliebt, in Herausforderungen gegenüber der öster reichisch-ungarischen Monarchie seine Existenz als türkischer Provinzverweser zu gefährden, — und nimmt auch für sich das Gottesgnadentbnm in Anspruch! Wohl erkennen wir für den alten Welttheil eine monarchische Idee willig an und schreiben ihr ohne Weiteres den Charakter einer tief begründeten autoritativen Einrichtung zu. Der historische Beruf dieser Monarchie deckt sich aber so vollkommen mit den Aufgaben der Friedensbewahrung, der Cnlturentwickclung und der Förderung sittlich-wirtkschastlicher Zwecke, daß von einer monarchischen Idee dort überall nicht die Rede sein kann, wo bei Volk und Staat zur Erfüllung eines solchen Berufes die Voraussetzungen fehlen. Wir würden unS wabrlich dafür bedanken, wenn etwa demnächst der Emir von Afghanistan unter Berufung auf sein Gottesgnadenthum bei Europa Schutz gegen den englischen Nachbar in Indien beanspruchen wollte, so sehr er vielleicht dieses Schutzes auS anderen Rücksichten bedürftig und — werth sein möchte. Also der Name Monarchie allein thut's in keiner Weise; es kommt auf den Inhalt an, daS soll hauptsächlich auch an die Adresse ter dänisch-englischen Wortführer des Königs Georgios gesagt sein. WaS speciell England betrifft, wo die griechischen Interessen mit steigender Lebhaftigkeit wabrgenommen werden, so begreift man in deutschen Kreisen wohl, warum das ge- fchieht, aber man läßt sich die Freiheit nicht nehmen, den Engländern zu erwidern, daß ihre Moral einen doppelten Boden haben mnß, wenn sie auf rem bezogenen Standpunkte beharren. Im handelswirtkschaftlichen Verkehr kann Niemand so unerbittlich gegen den betrügerischen Bankerotteur sein wie der Engländer, wenigstens wenn er selbst durch jenen zu Schaden gebracht ist. Aber auch im Völkerverkehr schien England gelegentlich als der strengste Hüter der sinanzwirth- schaftlicken Moralität gelten zu wollen. Wurde doch am kl. Juli 1882 Alexandria ohne voraufgegangene Kriegs erklärung von der britischen Flotte in Trümmer geschossen, lediglich damit die von Eghpien geschädigten Gläubiger zu ihrem Rechte kämen; allerdings waren es wiederum in erster Linie — englische Capitalisten, die den Schaben getragen batten und zu deren Gunsten eine Finanzcontrole eingerichtet wurde. Will England den Vorwurf entkräften, daß seine Moral im Völkerverkebr je nach dem schnöden Geldintcresse ter Engländer selbst so und so sich zurechtlegen läßt, so kann es den Widerstand gegen den deutschen Vorschlag einer Finanz controle nicht forlsetzen, auch nicht im Geheimen. Es sind keine freundlichen Vorzeichen, unter denen sich die Abreise des Herrn Jaurc nach Rußland vollzogen bat. Zn die Hymnen der Pariser Regierungsblätter auf das immer noch nicht offenkundige Bündniß bringen die zahlreichen Unkenrufe radikaler und socialistischer Zeitungen peinliche Mißtöne; der „alte Pole", wie der unbekannte Dynamit mischer getauft worden ist, wirft dem Präsidenten vor der Abfahrt seine Gcwohnhcilsbombe nach; die „Bruix", die als Renommirkrcuzer das Staatsoberhaupt geleiten sollte, muß alsbald nach dem Auslaufen mit gebrochener Walze in den Hafen znrücktehren der als Ersatz nachgeschickte „Dupuy de Lome" kann wegen zu großen Tiefgangs den Sund nicht passiren und einem Journalisten, der zu den Habituss der Präsidentenreisen gehört, verweigerte die russische Botschaft, seinen Paß zu visiren, weil er — Jude sei. Es mußte zuerst der mit einigen Schwierigkeiten verbundene Gegenbeweis geführt werden, ehe die Zulassung bewilligt wurde. Der unliebsame Zwischenfall mit dem Kreuzer „Bruix" soll im Mmisterralh zu heftigen Vorwürfen gegen den Marineminister Besnard Anlaß gegeben haben, und man behauptet bereits, der Admiral zögere mit seinem Rücktritt nur, weil er das peinliche Aufsehen nicht noch vermehren wolle. „Jour" gratulirt ironisch der Flottcnverwaltung zu der glücklichen Wahl der „Bruix", von der es geheißen hatte, sie sei einer der besten Kreuzer neuesten Modells. Was werden da wohl die andern taugen, fragt das radikale Blatt. Selbst der „Tempö" übt eine reckt scharfe Kritik, indem er nachweist, daß schon die Probefahrten dieses Kreuzers mit ähnlichen Schwierigkeiten verbunden waren. Damals, gerade vor Jahresfrist, seien die gleichen Mängel gerügt wordeu, die jetzt den „Bruix" zur Rückkehr zwangen. „Figaro", der gewöhnlich für den Marineminister großes Wohlwollen be weist, sagt, die Nachricht von dem Unfälle der „Bruix" werde in Frankreich peinliche Erregung, in Europa ein Lächeln Hervorrufen, und Jedermann werdeZsch fragen, wie die Befehlshaber der französischen Marine ihre Wahl auf ein Schiff hätten lenken können, dessen schlechte Beschaffenheit man gekannt habe. Jetzt, da der Unfall eingetreten sei, könne man hinzufügen, baß schon auf dem Wege von Cherbourg nach Dünkirchen die „Bruix" eine Havarie erlitten habe, die das Geschwader genötbigt hätte, langsamer zu fahren, um nicht die „Bruix" zurückzulassen. Zur Anlnchistcnfrage in Spanien wird unS aus Madrid, 17.August, geschrieben: Der Oberstaatsanwalt am Obersten Gerichtshof zu Madrid richtete an alle Staats anwaltschaften des Königreichs einen längeren Runderlaß, welcher gegen die anarchistische Propaganda die denkbar schärfsten gerichtlichen Maßnahmen anordnet. Der Erlaß legt die Bestimmungen der in den Jahren 1893, 1894 und 1896 erlassenen Ausnahmegesetze gegen die Anarchisten dahin auS, daß mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren Derjenige zu bestrafen sei, welcher über anarchistische Umtriebe derart berichte, daß der Leser darin die Aufmunterung zu ähnlichen Handlungen entnehmen könne. Der gleichen Strafe verfalle Derjenige, der sich bemühe, eine anarchistische Unthat ihres Charakters als eines gemeinen Verbrechens zu entkleiden oder die Person eines anarchistischen Verbrechers als eine menschlich sympathische zu schildern. Die Staats anwälte sollten daher in ihren Amtsbezirken die Presse aller Parteien persönlich aufs Schärfste überwachen und das sofortige Einschreiten in jedem Falle veranlassen. DaS gericht liche Verfahren dürfe dabei keinerlei Verzögerung erleiden, und die Processe gegen Anarchisten und die ihre Propaganda unterstützende Presse seien allen übrigen Processen voran zustellen. Durch königlichen Erlaß wurden sodann die nach dem Anarchistengesetz zulässigen Ausnabmebefug nisse der Polizeibehörden auf alle Provinzen des Staates ausgedehnt. Dieselben besagen, „daß ohne jede richterliche Entscheidung alle anarchistischen Druckschriften beschlagnahmt, »tue anarchistischen Vereine und Gesellschaften aufgelöst und die Verbreiter anarchistischer Lehren des Landes verwiesen werden können, ohne daß gegen solche Polizeimaßnahmen eine Berufung zulässig ist. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 20. August. Die WohlthätigkeitS- pflege in Berlin bedarf schon seit längerer Zeit dringend einer Aenderung; es giebt eine Anzahl schäbiger Existenzen, welche durch eine raffinirte Ausnutzung der Wohlfahrtspflege herrlich und in Freuden leben. Der Fehler der Wohlfahrts pflege ist der, daß sie nickt centralisirt ist. Da giebt eS zu nächst die städ tisch en Arm encom m ission en, die ganz vorzüglich funckioniren, die vielleicht den einen Fehler haben, daß sie ihre Mitglieder zu sehr von dem Standpunkt der Parteischabione aussuchen. Dann kommt die kirchliche Armenpflege in Betracht, die in Berlin sehr weit ver zweigt ist und Hunderttausende aufbringt; da ist ferner ter Verein für Verarmung, der mit einem großen Capital arbeiten kann, sodann sind die zahlreichen Vereine für Haus und Kinderpflege vorhanden, endlich kommen die einzelnen Wohlthäter. Bei dem großen Reichthum, der in nicht wenigen Familien herrscht, kann man annebmen, daß Hundert tausende in die Taschen von Bittstellern gerathen. Diese sind zum Theil professionirte Bettler, welche die Brandschatzung FeniHetsn» Eine Lommermondnacht. 8j Novelle von Wilhelm Jensen. NaSdruck verboten. Liebenswürdig aber fiel seine neue Platznachbarin ihm inS Wort: „Ich bitte, bemühen Sie sich ja nicht, wir machen Beide nicht auf übermäßigen Raum An spruch und werden schon gut miteinander auskommen. Außerdem ist der junge Herr mir in so überaus artiger Weise behilflich gewesen, daß für meine Unterkunft aufs Prächtigste gesorgt worden." Der Schaffner schlug die Thür zu, der Zugführer pfiff, die Lokomotive schnaubte wie ein mißmuthiges Pferd, da», im Glauben, schon an der Nachtrast angekommen zu sein, die Beine nochmals in Be wegung setzen mußte, und mit knarrenden Achsen fingen die Räder wieder an, sich zu drehen. Ganz unverkennbar aber hatte der Aufenthalt im Freien der Frau Cäcilie von Eisenhut ausnehmend wohl gethan. Sie bot nicht nur körperlich einen erfrischten Anblick, sondern machte noch mehr geistig und gemüthlich einen völlig ver wandelten Eindruck. AuS ihrer vorherigen Niedergeschlagen heit schien sie sich zu einer, vermuthlich ihrer Natur ur sprünglich angehörigen heiteren Stimmung aufgerungen zu haben, in der sie nicht mehr wie zuvor eine Gesprächs anknüpfung ablehnte, sondern jetzt selbst suchte. Für diese neurrwachte Neigung standen ihr vier Persönlichkeiten zur Auswahl, da der Doctor Viereck durch die Sitzverhältmsie außer Betracht gerietb, doch fand sie merklich nicht an allen gleichmäßige« Gefallen, sondern leistete auf einen Unterhaltung-Versuch sowohl mit Frau Adelgunde Vesrn- meier wie mit dem Baron von Wolfsieel Verzicht. Herrn Vesenmeier dagegen schloß sie offenbar nicht grund sätzlich au«; bei den Worten, d,e sie an ihn gerichtet, hatte e« ihr in einer Art leicht um di« Lippen gespielt, dir einen Verdacht Wecken konnten, daß sie von der Natur nicht nur mit Anlage zur Heiterkeit, sondern zur Schalkhaftigkeit ausgerüstet sei. Aber jener hatte sich auf die Ermahnung seiner Ehehälfte bin unt einer gewlffen Hastigkeit, an die flüchtende Bewegung eines dünnleibigen und langbeinigen Kanker- oder WeberknechlS erinnernd, in seine Ecke ver krochen, und der jungen Frau blieb so zur Befriedigung ihrer gegenwärtigen Redelust eigentlich Niemand als der zukünftige Beflissene der beiden Rechte Hans Bachstelz. Der schien ihr auch für ihren neuen Wunsch und Zweck, sich die Fahrzeit zu verkürzen, vollständig zu genügen und gerade diejenige Persönlichkeit zu sein, die sie selbst sich zur Verannebmlichung der nächtlichen Reise ausgesucht haben würde. Und nicht nur die Frau Räthin Vesenmeier, auch der Doctor Viereck ward von ihrem Platzwechsel und veränderten Benehmen ein bischen überraschend berührt. Ain eigentbümlichsten aber, ließ sich wahrnebmen, wurde es dabei Hans Bachstelz selbst zu Muth. Er hatte sich in seinem bisherigen Leben noch niemals in einer derartigen unmittelbaren Nachbarschaft befunden, und so umfassende Kenntnisse er sonst vermuthlich eingesammelt batte, ließ in dieser Situation sein WissenSsckatz ibn doch völlig im Stich. Ohne Frage war die für ihn namenlose und auch nicht recht mäßig sich Frau von Eisenhut benennende junge Dame ein bezauberndes Geschöpf, wie es nicht allzu häufig auf Erden bei einer Eisenbabnsahrt einem jungen Manne zur Seite gerieth. Aber in ihrer Schönheit lag eigentlich nicht da- Besonderste, oder wenigstens, was noch hinzukam, vereinigte sich mit ihr zu einer wunderbaren und wie jedes Wunder etwas athemlähmend beängstigenden Zusammenwirkung. DaS eisenhutblaue Seidenkleid umgab die schlanke Gestalt ganz ander- al« irgend eine sonstige Angehörige des weiblichen Geschlecht«; man konnte nicht sagen, ob der Grund darin liege, weil e« so äußerst elegant oder weil e« so einfach natürlich sei, und bei jeder Bewegung knisterte die Seide mit einem leisen, doch die Gehörnerven sonderbar in Schwingung versetzenden Ton. Auch anderen Nerven, denen de« GernchsinnS, geschah Aehnlickes, ein zarter Dust rührte sie an, aber nicht wie der eines Parfüm«, sondern wie au« wirklichen Blumenkelchen herüberkommend. Man — da« heißt Hanz Bachstelz — suchte unwillkürlich mit halbem Blick nach Rosen oder Re seden an dem blauen Kleide und mußte, da sich keine Spur von diesen zeigte, zu einer Einbildung-Vorstellung geratben, al- ob die junge Frau selbst eine Blume sei, die solchen Duft au-alhme. Und mit solcher Hingabe einer schöpferischen Phantasie stimmten auch die immer noch nnbehandschuhten Finger nach Form und Farbe wohl zusammen. Wie au- rosig angrflogenem Elfenbein gebildet, hoben sie sich von dem Gewandstoff ad, hier in regungsloser Ruhe, dort leicht nervös-beweglich hin und der spielend. Es gehört« kein über mäßiges Aufgebot jugendlicher Einbildungskraft dazu, auch sie bei dem zitternden Lampenlicht al» Blüthensttele anzusrhen, die in märchenhafter Weise goldreifartige, wie Edelstein funkelnde Blumenkelche trugen. Was aber alles dies noch gewissermaßen zu einer höheren Potenz erhob, war, daß die fremde Wagengesährtin sich gegen ihren jungen Nachbar nickt nur liebenswürdig zeigte, sondern sich unverkennbar auch bemühte, es zu sein nnd zu thun. Sie interessirte sich für seine Reise, seine nächsten Absichten und weiteren Ziele, ertheilte ihm nützliche Rathschläge, wunderte sich, daß er bis an den Endpunkt der Bahn fahren wollte, um morgen auf das Jochborn zu steigen, und war überzeugt, er habe von der Station GraSeck aus näheren und besseren Weg. Eine Bestätigung eiiirnholen, wandte sie sich fragend a» Herrn Vesenmeier: „Nickt wahr? Ich glaube, wir sind Nachbarn, was auf dem Lande noch zur Nachbarschaft zählt, jedenfalls habe ich schon mehrmals da- Vergnügen gehabt. Sie zu sehen, und mir schien. Sie sind gebirgskundig und gleichfalls ein Freund schwieriger Berg- louren. Würden Sie dem jungen Herrn nicht auch em pfehlen, Herr Nachbar, da« Iockborn von GraSeck an« zu ersteigen? Die Nachtunlerkunft im Gasthaus, denke ich, ist reckt gut." Die Mutbmaßung, daß der Angeredete ein waghalsiger Bergkletterer sei, begründete sich freilich weniger auf vor liegenden Thatsachen als auf einer von der «Sprecherin be liebten Voraussetzung. Aber sie batte eS mit einem leisen Ton der Bewunderung derartiger kühner Unternehmungen so überzeugt hervorgebrackt, daß Herr Vesenmeier von ihrer Ueberzeugung halb miterfaßt zu werken schien. Wenigstens protrstirte er nicht gegen die ihm zngemuthete halsbrecherische Neigung, sondern erwiderte ein bischen stockend abgesctzt: „Allerdings, c« wird wohl — so weit meine Erfahrung reicht — von GraSeck naher sein. So viel ich weiß, läßt auch die Unterkunft in unserem Gasthause nichts zu wünschen — ja, ich erfreute mich schon von Weitem der Vergünstigung ihrer Bekanntschaft, Frau Nach . . ." Eine ungewöhnliche Beredsamkeit wars, die über den Sprecher gekommen, doch ward sie in der Mitte de« von ihm beabsichtigten letzten Wortes durch einen Ausruf unter- oder mehr durchbrochen, der auS dem schon seit einer halben Minute sprachbereit geöffneten Munde Frau Adelgunde« ent flog. Sie stieß auS: „Gottlieb! ich Kosse nicht — ich hoffe nicht, daß Du Dich zu — zu gefährlichen Unternebmungen verleiten läßt ..." „Nein — daS hättest Du nicht — das Krauchst Du nicht zu besorgen, Adelgunde", versetzte der Ermahnte erschreckt, etwas mit der Zunge anstoßend und durch dies letztere vielleicht kundaebend, daß er in der Thal in eine nicht ganz ungefährliche Lage gerathen sei. Frau von Eisenbut aber wandte sich gegen ihren anderen Nachbar zurück: „Sie hören, daß auch ein so erfahrener und unerschrockener Bergsteiger Ihnen anräth, den Weg von Graseck auS zu wählen, und ich hoffe, Sie werden mich morgen nicht in die Aufregung versetzen, daß Ihnen auf dem anderen ein Unglück zustoßen könnte." Der hübsche Primaner-Student antwortete „Ja und Nein", machte dann und wann noch einen Versuch, noch etwas mehr herauSzubringen, verschluckte sich dabei, wurde bi« an den blonden Haarrand roth, nahm einen Anlauf zu einem gleichfalls unterwegs mißglückenden Lachen und bot den Ausdruck eines an der Richtigkeit seiner Sinne oder des ihm von diesen Vermittelten zweifelhaft Gewordenen. Die übrigen Wageninsassen verhielten sich dazu in ver schiedener Weise schweigsam, auch Frau Adelgunde Vesen meier, insofern ibr kein Laut über die Lippen kam. Doch fübrten ihre Züge eine tonlose Sprache tiefer innerer Empörung, während sie wachsam die Breite deS Zwischen raumes zwischen dem schwarzen Rock ihres Ehemannes und dem eisenbutblauen Kleide im Ange hielt. Herr Vesenmeier betheiligte sich mit dem Munde ebenfalls nicht mehr an der Unterhaltung und ließ nur bin und wieder unter den Lidern den Blick unbemerkt auf die reizvolle spielende Hand dicht an seiner Seite beruntergehen. Darin traf er mit dem Frei herrn von WolfSkeel überein, der sonst in aristokratischer Nonchalance dreinsah, während der Doctor Gerlach Viereck ab und zu einmal eine leichte Veränderung seiner Kopf haltung vornabm. Er schien dies zufällia zu thun, versetzte sich jedoch dadurch jedeSmal in die Lage, für einen Augenblick de- Antlitzes der jungen Frau ansichtig zu werden. Aus seinen gleichmäßig ruhigen Zügen war nicht« abzulesen, aber durch seine zeitweilig ermöglichten Einblicke erregte er trotz dem ein Gefühl, kein völlig gleichziltiger Zuschauer und Zu hörer zu sein, sondern sich mit dem Nachdenken über ein ihm vorderhand nicht lösbare« Räthsel zu beschäftigen. Draußen fuhr der Himmel dann und wann mit seinen elektrischen Beleuchtungsversuchen fort, überzeugte jedoch nicht von einer wirklich ernsthaften Anstrengung seiner Kräfte. Dagegen empfand man, daß die Lokomotive sich zu solcher genötbigt sab, vermuthlich nahm die Ansteigerung de« Thal- grunde« stärker zu und versetzte sie in immer größere Athem- noth. An ähnlicher hatte geraume Zeit auch Han« Bachstelz
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