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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970830024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897083002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897083002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-30
- Monat1897-08
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichaiß. Tabellarischer und Zissrrnjatz »ach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit d» Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderunzj SO.-, mit Postbefürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Bormsttag« 10 Uhr. Ntorge»-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 441. Montag den 30. August 1897. 91. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. 8« der im Hofe de« städtischen Kaufhauses Tie,,Stag, den 31. Anguft 1837, , „ Mittag» ',.1 Uhr stattfiudrnden ErinuerungSfeier an die Bestätigung der Leipziger Messen durch Kaiser Maximilian I. im Jahre 1497 beehren wir uns die Herren Meßbesucher ergebenst einzuladen. Leipzig, den 80. August 1897. Der Rath der Ltadt Leipzig. ——— Ur. Georgi. Grvßel. Poft-Asfiftent Ii«r1 an» Barten ¬ stein (Vftpr.), früher in Königsberg (Pr.) nnd Breslau, ist nach Unterschlagung von Geldbriefen im Werthe von 55VV Mark fett dem 28 August flüchtig. Auf Ergreifung des Diebes und Wiedererlangung des Geldes setzt die Lber- Pottdtrertion t» Königsberg (Pr.) eine Belohnung von 300 Mark auS. Signalement: 3V Jahre alt, auffallend grotz und schlank, trägt Kopf sehr hoch, dnnkclblonde, kurz geschorene Haare, kräftiger, dunkelblonder, etwas braun schimmernder Schnurrbart, Gesicht schmal, gesund ancschcnd. Besondere Kennzeichen: Rase in Folge Sturzes mit dem Rad abgeschürst, hat blangrünen Fleck nnterhalb eines AngcS, Kleidung (wahrscheinlich) brannesJaquet nnd Weste, dunkelblaue Hosen, gelber Strohhut mit breitem, schwarzem Bande. Lvbrlg, Lber-Postdirector. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. August. Der zu Dresden abgehaltene BereinStag der deutschen landwirthschaftlichen Genossenschaften hat ein Bild glänzen der Entwickelung des auf Grund staatlich geförderter Selbst hilfe sich vollziehenden berussgenossenschaftlichen Zusammen schlusses dargeboten. Al« vor mehreren Jahren namentlich m dem darin weit zurückgebliebenen Nordosten Deutschlands die Begründung landwirthschaftlicher Genossenschaften einen kolossalen Umfang anzunehmen begann, war man nicht überall frei von der Besorgniß, der Eifer könne der Solidität Ab bruch thun. Diese Befürchtung hat sich als unbegründet herauSgestellt. Die vom Freisinn so grimmig befehdete preußische CentralgenossenschaftScasse hat, ohne daß durch sie die Mitwirkung der erfahrenen Leiter von GenossenschastSverbänden das Verdienst geschmälert wurde, einen Boden befruchtet, der gesunde Pflanzen hervor bringt. Die geradezu imposanten Leistungen, welche das Genossenschaftswesen in Sachsen, Bayern, Hessen, am Rhein u. s. w. schon früher aufzuweisen hatte, scheinen allmählich im Osten und Norden ihres Gleichen finden zu sollen. Für die Thätigkeit der Spitzen des genossenschaftlichen Gcsammtbaues dürste das laufende Jahr eine Etappe weiterer großartiger Entwickelung bezeichnen. Wie in Dresden bekannt gegeben worden, ist in der vergangenen Woche in Hamburg als Centralstelle für den Ein- und Verkauf landwirthschaftlicher Bedarfsartikel und Erzeugnisse eine Großhandels-Gesellschaft der Genossen schaften mit den gleichen Aufgaben und in Berlin eine Bezugsvereinigung für Thomasmehl und andere Düngemittel begründet worden. Es ist auf dem Dresdner Vereinstage zutreffend bemerkt worden, man müsse den Syndikaten auf dem Dünger- und Futtermarkte mit Gegenbildungen ähnlicher Art enrgegentreten. Mit dieser Forderung, deren Erfüllung jene Gründungen anstreben, wird zugleich anerkannt, baß nicht die agitatorische Bekämpfung kausmännischer Syndikate zum Ziele führt, daß man vielmehr einen rein wirthschaft- lichen Concurrenzkampf auszufeckten habe, dessen Ausgang eine Machtfrage ist. Unseres Erachtens liegt die größere Macht und damit die bessere Chance auf der Seile der Laubwirthschaft. Der rein kaufmännische Wettbewerb ist noch auf einem andern Gebiete als der geeig nete Weg zur Hebung der Lage der Laudwirthschast bezeichnet worden. Der Vereinstag empfahl der Landwirth- schaft, durch die Errichtung von Müllerei- und Bäckerei genossenschaften die Mehl- und Broderzeuguug in ihre Hand zu bringen. Diese Gewerke, so wurde gesagt, hingen auss Engste mit der Landwirthsckast zusammen, sie seien immer lucrativ gewesen, maschinenmäßig hergeslellteS Brod schmecke besser, als daS mit der Hand geknetete, Brod sei endlich ein guter Absatz- und Vcrsandartikel auf kleinere Entfernungen. Tie Resolution über den Gegenstand wurde fast einstimmig angenommen, der Gedanke des BrodmonopolS, der von meh reren Seiten, einem Ausländer, einem Berliner Rechtsanwalt und allerdings auch einem Landwirthe, in die Erörterung geworfen wurde, hat demnach gar keinen Anklang gefunden. Der Dresdner Beschluß, dessen Vollzug, wenn dieser über haupt in gedachtem weiten Rahmen sich ermöglicht, noch in Weiter Ferne steht, ist unverkennbar ein sehr ernster und wird im Handwerk ein unfreundliches Echo wecken. Wir vermuthen, daß — in den größeren und großen Städten wenigstens — das Bäckereigewerbe, wenn es sich, nötbigen- falls auch mit Hilfe des genossenschaftlichen Zusammen schlusses, der technischen Betriebsverbesserung im vollen Um fange bemächtigt, dauernde Ueberlegenheit über die landwirth- schastliche Brodfabrikation behalten wird. Jedenfalls aber zeigt die Resolution des landwirthschaftlichen Genossen« schaftStageS wieder einmal das Schwindelhafte jener Agitation, die sich durch die Begründung einer „Mittel standspartei" politisch und auch sonst eine Existenz bereiten möchte. Es kommen — in diesem Falle wird den Antisemiten und Bündlern die Thatsache sehr fatal sein — ganz über wiegend kleine und mittlere Landwirthe in Betracht, und die auf daS Ansichsiehen der Broderzeuguug gerichteten Be strebungen dieser stärksten — daS ist sie doch auch nach „mittel- standsparteilichem" Zeugniß — Erwerbsgruppe desMittelstandeS Widerstreiten auf das Entschiedenste den Interessen einer anderen Mittelstandsgruppe, des Handwerks. Wollte man die wirthschaftlichen Interessen zur alleinigen Grundlage der politischen Parteien machen, so würden Handwerk und Land« wirthschaft zu ihrem beiderseitigen Schaden grimmige Gegner bei den Wahlen werden müssen. Der Gegensatz zwischen ge wissen landwirthschaftlichen Genossenschaflsbeslrebungen und Handwerksinteressen ist ja nicht neu, und er tritt neuerdings auch da scharf hervor, wo genossenschaftliches Wirken aus geschlossen ist. So lesen wir gerade jetzt, wie sich ein zünftlerisches Fachorgan, „Die Dachdecker-Zeitung", maßlos darüber erbost, daß ein landwirthschastliches Fachblatt den Bauern Rathschläge ertheilt, wie sie ihre schadhaften Dächer selbst, ohne Zuhilfenahme des Dachdeckers, ausbessern könnten. Mit dieser kleinlichen Auf fassung wird daS Handwerk nicht durchdringen. Es ist nicht eine neu aufgestellte, sondern eine uralte Wirthschaftsregel für den Bauer, daß er in seinem Betriebe macht, was er nur machen kann: „Die Axt im HauS erspart den Zimmer mann", heißt eS in Schillers „Test". Auch in Jmmermann's „Oberbos", der gleichfalls beträchllich älter ist, als jene Winke eines landwirthschaftlichen Blattes, steht Einiges, woraus die „Dachdecker-Zeitung" entnehmen kann, daß sie den Landwirlhen einen gewaltigen Rückschritt zumuthet. Um aus den Dresdner Vereinstag zurückzukommen, so ist beachtenswerth, daß dort das in Deutschland noch so junge Absatzgeuossensckafts- und Lagerhaussystem fast ungetbeilter Zustimmung sich zu erfreuen gehabt hat. Wenn bei der Eröriernug dieses Gegenstandes daß, noch dazu von einem adligen Großgrundbesitzer des Ostens, dem hochverdienten Herrn v. Graß-Kianin, gemachte Zugeständuiß, vaß die Regierung die Getreidepreise nicht heben könne, keine Einwendung hervorgerufen hat, so weiß man schon, daß die Rufer im wirthschaftSpolitischen Streite, die Herren vom Vorstande deS Bundes der Landwirthe, an dieser agita torisch wenig ergiebigen, aber um so förderlicheren Verhand lung sich nicht belhciligt haben. Neckt scklimm bekommen ist dem Harfenisten deS Freisinns, Herrn Albert Tracgcr, der Versuch der ihm befreundeten Presse, die dieser Tage ausgegrabene Zeitungsmeldung von anno 1851, nach welcher bei dem der Theilnahme an poli tischen Verbindungen verdächtigen Rechtscaudidaten Miquel in Göttingen eine Haussuchung stattgefunden hat, gegen diesen Staatsmann auSzubeute». Die „Kreuzztg." wartet mit einem vom 9. September 1850 aus Naumburg datirten Briefe Träger's auf. Das Schreiben ist — Nachbarin, euer Fläschchen! — an den damaligen „Kreuz;eitungs"-Redacteur Wagener gerichtet und enthält die folgenden, nach der Logik der Socialdemokraten und der Freisinnigen ihren Schreiber schwer compromittirenden Sätze: „Schreiben Sie mein Stillschweigen während meines Aufent haltes in Leipzig nicht dem Erlahmen meiner Gesinnung, sondern einzig und allein Umständen, unter welchen mein Studium den ersten Platz einnimmt, zu, welche mich an jeder Nebenthätigkeit hinderten. Seit einigen Wochen befinde ich mich jetzt wieder hier in den Ferien, aber die Trägheit des hiesigen politischen Lebens lieferte mir bisher keine einzige Nachricht, welche des Papiers und der Tinte werth gewesen wäre. Desto erwünschter kam mir nach stehendes Ereigniß, da es mir die langersehnte Gelegenheit dar- bietet, wieder mit E. H. anzuknüpfen u. s. w. Zugleich erlaube ich mir die ergebene Anfrage, ob ich vielleicht in Berlin . . . . Beschäftigung bei Ihrem Organ finden kann u. s. w." Dieser Brief des Zwanzigjährigen kann natürlich dem heutigen FortschrittSmanne bei keinem Verständigen zum Vor wurf gereichen. Da aber wenigstens die Socialdemokraten fortfahren werden, den den Siebzigern zusteuernden Herrn v. Miquel als „Abgefallenen" zu brandmarken, so sei ihnen folgende Erinnerung vorgesetzt. Herr v. Vollmar bat als junger Mensch in der päpstlichen Armee gedient. Wenn er nicht als gemeiner Reislaufer „Handgeld" genommen hat, sondern auS religiöser Ueberzeugung den päpstlichen Stuhl beschützen wollte, so ist er, der atheistische Socialdemokrat, mindestens ebenso weit von seinem politischen Jugendideaj abgerückt, wie der Bicepräsident deS preußischen StaatS- ministeriumS. Paris und Frankreich rüsten sich, dem heimkehrenden Präsidenten, dem Verkündiger der französisch-russischen Alliance, einen Triumpbzug zu bereiten, wie einem siegreichen Imperator. Felix Faure wird morgen am Pariser Nord- bahnbofe mit großem Truppenaufgebot, Triumphpforte, Glück wunschansprache und Dankadresse empfangen werden, ganz im Einklang mit seiner Verherrlichung in Rußland, wo sein Bild überall auf Anschlagzetteln, Medaillen und Büsten mit der Unterschrift: „Es lebe Faure!" in zwanzig verschiedenen Sprachen deS russischen Reiches prangte. Schon taucht der Vorschlag auf, ein Alliancefest des 26. August mit Volksbelustigungen und dem anderen drum und dran zu stiften, das sicherlich populärer würde, als das Nationalsest im Juli. Bisher war der Jubel in Paris noch kein allgemeiner, denn die offenkundig friedliche Tendenz des Zweibuudes befriedigt durchaus nicht die Wünsche und Hoffnungen aller Franzosen. Das bindert aber nicht, daß man das Unangenehme für einen Augenblick vergißt und der Freude des Augenblickes sich hin- giebt. Nur die Organe der Aeußersten Linken verlangen mißmuthig auch heute, und zwar in noch energischerem Tone als bisher, die Veröffentlichung deS Alliancevertrages. Henri Rochefort erklärt im „Jntransigeant", er werde so lange mißtrauisch bleiben, als er nicht den vollen Wortlaut kenne. Schon der Umstand, daß nicht das Substantiv „Alliance", sondern das vage Adjectiv „Alliirte" gebraucht wurde, habe ihn stutzig gemacht, und er sei geneigt, an eine neue Escamotage Hanvtaux' zu glauben. Rochefort fügt hinzu: „Damit wir die franco-russische Verbindung für eine Ehe und nicht für ein Concubinat hallen, muß man uns den Trauschein und die Unterschriften der Zeugen vorweisen." Der „Gaulouis" glaubt, diese Neugierde mindestens theil- weise befriedigen zu können. Er erzählt, der Alliancevertrag sei fckon seit Längerem unterzeichnet gewesen, aber am 25. August sei eine neue Clausel tsinzugefügt worden, welche Felix Faure am Schreibtisch des Kaisers und nach dessen Dictat eigenhändig niederschrieb. Unter diese Clausel setzten die beiden Staatschefs, sowie Murawjew und Hanvtaux ihre Unter- schristen. Im Augenblick, als Faure sich erhob, bot ihm der Zar Feder und Tintenfaß als Andenken an. Die neue Clausel, welche den Weltfrieden noch mehr und in unbestreit barer Weise befestige, vervollständige die schon 1894 ab geschlossene defensive Militairconvention, sowie den 1895 von Lobanow und Hanvtaux ausgearbeiteten formelleren Vertrag dahin, daß gewisse Eventualitäten vorausgeschen werden, durch welche Rußland und Frankreich gezwungen werden könnten, die Waffen zu ergreifen, um dem Recht und der Billigkeit zum Triumph zu verhelfen. Es handle sich demnach nicht mehr um einen einfachen Defensiv vertrag, sondern um einen regelrechten Schutz- und Trutz vertrag. Auch der „Soir" glaubt zu wissen, daß bisher schon eine provisorische Militairconvention bestanden habe. Am 25. August, dem Vorabend der Toaste, habe MSline eine Depesche erhalten, daß nunmehr ein Offensiv- und Defensivvertrag abgeschlossen sei, welcher unzweideutig und an keine Einschränkung geknüpft sei. — „Wenn jetzt", so wird dem „B. T." über die Alliance, welche auch die „Hamb. Nachr." nunmebr eine „neue oder vielmehr nicht mehr ganz neue" nennen, auS Petersburg aus „guter" Quelle ge schrieben, in der französischen Presse nut großem Auf gebot von Lungenkraft darauf hingewiesen wird, vaß die franco-russische Alliance eine deutliche Spitze habe, so muß man ihr Recht geben. Doch richtet sich diese Spitze nicht gegen Deutschland, sondern gegen eine andere e u r o p ä i sch e Gr o ß m a ch t, die mit Rußland, Deutschland und Frankreich zur Zeit auf nichts weniger als gutem Fuße steht. In dieser Beziehung ist es nicht ganz unzutreffend, wenn in einem Theil der französischen Presse auch die Behauptung arfftaucht, daß den Zweibundspunctationen, die bereits unter Carnot aufgestellt worden sind, jetzt eine neue Zusatzbestimmung bcigefüat sei, wonach unter Umständen Rußland und Frankreich die Waffen gleichzeitig ergreifen würden, um Recht und Billigkeit zu schützen. ES muß sogar als wahrscheinlich zugegeben werden, daßdiefranco- Eine Sommermondnacht. 10) ^Novelle von Wilhelm Jensen. Nachdruck verdaten. Das kam Fräulein von Wachenbeim so gleickgiltig vom Munde wie sie die Botschaft vom Aufenthalt Cäcilieus von der Hallen ausgenommen, doch trotzdem mußte sich den Worten etwas bisher nie in ihnen enthalten Gewesenes wie ein kleine« Tröpflein Gift auf der Zunge beigemengt haben. Denn unverkennbar übten sie die toxische Wirkung auf Gcrlach Viereck, sein Gesicht sich ein wenig mit Röthe überziehen und seine Augen etwas betroffen mit den Wimpern schlagend, der wegen ihres Scharfblickes belobten, davongehenden jungen Dame nachschauen zu lassen. Somit war eigentlich kein Grund für Fräulein Käthe vorhanden, ihren beabsichtigten und eigentlich mißglückten Gratulationsbesuch in Graseck noch länger auSzudebnen. Er hatte ihr mannigfaltige Erfahrungen über eheliche Vorkomm nisse, männliche und weibliche Eigenschaften, den Vorzug un verpflichteter Lebensselbstständigkeit und wa« sonst noch nebenbei Hinzugerathen, eingebracht, so daß sie kein Bedürfniß, ihre neuen Kenntnisse noch weiter zu bereichern, mehr empfand. Demgemäß ging sie mit dem zweckdienlichen Ge danken um, den MittagSzug, der auch in ihrer Fahrplan ordnung sparsamst bedachten Bahn zur Rückkehr zu benutzen, orientirte sich über den nächsten Weg zum Stationsgebäude, hielt dabei indeß au« vormittägiger Gewöhnung die Augen noch immer weit offen und ward dadurch noch einmal zu einem Abbringen von ihrer einaeschlagenen Richtung ver führt. Mebrere Leute, besonder«Frauen und Kinder, standen, ohne daß sich ein erläuternder Grund dafür wahrnehmen ließ, vor einem, sich durch ein farbige- Thürschild von den sonstigen Torfhäusern auSzeichnenden Gebäude angesammelt, und weckten unwillkürlich die eingeschlummerte Wißbegierde der zur Abreise Entschlossenen nochmals wieder auf. Sie trat zu den gaffenden Dörflern hinan und erkundigte sich, waS für eine Sehenswürdigkeit von ibnen in Augenschein genommen wurde. Auf diese Frage erhielt sie merkwürdig, doch bei ähnlichen Anlässen nicht gerade unüblich verschieden- artige Erwiderungen. Man batte einen lange seine- nächt lichen Gewerbe« verdächtigen Schmuggler abgefaßt — einen berüchtigten Wilddieb — einen Brandstifter, der vor einigen Monaten drei Bauernhöfe im Tbal angezündet — einen mehrfältigen Raubmörder, auf dessen Festnahme ein Preis von tausend Mark ausgesetzt stand. Ueber daS letzte hinaus vermochte die Phantasie der Auskunftertheilenden sich nickt weiter aufzuschwingen, und außerdem Niemand seiner Be hauptung auf Kosten der Uebrigen zu siegreicher Anerkennung zu verhelfen, da Keiner daS Glück genossen hatte, den all seitig Beredeten mit eigenen Augen zu sehen. Nur so viel ging ex oonsensu omnium als thatfächlich hervor, daß ein Jnculpat durch zwei Landjäger eingedrückt und in daö amt lich geschilderte Gebäude geführt sein mußte, und nach der gleichfalls übereinstimmenden Wiederholung einer Aeußerung eines jener Beiden schien auch daS der Wirklichkeit nicht zu entbehren, daß ihnen unter Eröffnung einer Aussicht auf Belohnung von amtlicher Seite eine Nachricht über den muthmaßlichen Aufenthalt deS UcbelthäterS in der Grenz gegend, wahrscheinlich zugleich mit seiner Personalbeschreibung, zugeaangen sei. Die Vorstellung, einen Schmuggler, Wilddieb, Brand stifter und Raubmörder, der sich obendrein vermutblich nur al« ein ordinairer Landstreicher entpuppte, in der Nähe be trachten zu können, übte auf Fräulein Käthe keinen über wältigenden Reiz au«, und sie verließ die auf seinen beglückenden Anblick Hoffenden wieder, um ihren Weg zum Bahnhof fortzusetze». Aber nach einem Dutzend von Schritten stand sie einmal still, sah sich um und bot in ihren Zügen ungefähr den Ausdruck von Jemand, den ein Gefühl anrührt, etwa« verloren zu haben, ohne daß er noch darauf gerathcn kann, WaS eS sein möge. Doch suchte ihr Umblick diesen Gegenstand nicht auf dem Wege, sondern im Sonnenglanz drüben, und dazu setzte sie augenblicklich noch andern Sinn in Mitthätigkeit, zog wenigstens die Luft in ihre Nase in einer Weise ein, al« ob sie sich über eine Witterung ver gewissere, so daß momentan eine ungalante Zunge daraus hätte verfallen können, den Jagdhundvergleich Gerlach Viereck « auf sie zur Anwendung zu bringen. Derartig stand sie ein Weilchen, machte den Eindruck, dabei gleichfalls mit ihren Ohren gespannt aufzuhorchen, schüttelte dann den Kopf und war sichtlich zu dem Ergebniß gelangt, daß ihre eigenen Hilfsmittel zum Auffinden de« Gesuchten nicht auSreickten. Darnach aber nickte sie einmal mit dem Kopf, und darin mußte sich eine Fortsetzung ihre« Gedankengange« auSvrücken, möglicherweise könnten Andere ihr zu jenem verhelfen, denn sie wandte sich zurück und wieder dem inzwischen noch um einige wißbegierige Gesichter bereicherten, angestauten Dörfler häuflein zu. Doch in weiter vorgeschrittener Erkenntniß machte sie sich bei diesem auf die erwünschte Unterstützung keine Hoffnung, sondern hatte eine solche nur mit den nach ihrem Beruf auf vielerlei Wegen herumgekommenen Land jägern verknüpft und trat deshalb in die schön mit den Landesfarben beschilderte Thür hinein. Dadurch aber ward im weiteren Verlauf Fräulein Käthe wider ihre ursprüngliche Absicht zu einem Aufenthalt im selben Raum mit dem eingefangenen Jnculpaten genöthigt, und es ergab sich, daß bei wirklicher Ansicht ein der Schmugglerei, Wilddieberei, Brandstiftung und des Raub mordes Verdächtiger dennoch auf die Augen junger Mädchen einen unwiderstehlichen Reiz auSüben mußte. Denn cs ver ging fast eine Viertelstunde, bis die Eingetretene wieder aus der Thür hervorkam, und zwar mit einer Miene, die vollste Befriedigung durch den Genuß der Sehenswürdigkeit drinnen an den Tag legte. Merklich hatte diese auch einen ungemein günstigen Einfluß auf ihre Gemüthsstimmung mit sich ge- bracht: der eindringlichste Beobachter hätte in ihrem Gesicht keinen Schatlenstrich von Mißlaune mehr zu entdecken ver mocht, und aus der Hörweite der wißbegierigen Dorsleute gelangt, ließ sie sogar ihrer angeborenen Vorliebe zum Auf- lachen einmal freien Lauf. DaS mochte in Anbetracht der moralischen Empörung, in die ein rechtschaffener Sinn durch den Anblick solches MissethäterS hätte versetzt sein müssen, ihrem Charakter kein vortheilhafteS Zeugniß ausstellen, doch Fräulein Käthe war gewöhnt, immer ihrer augenblicklichen Stimmung Ausdruck zu verleihen, und so that sie'S gegen wärtig auch, indem sie, allen sittlichen Einwand unbeachtet lassend, sich dem heiteren Lachen hingab. Dagegen schien die Erkundigung bei den Landjägern ihr nicht alle« Erforderliche eingebracht zu haben, denn sie stand, wie vor ihrem Besuch im AmtSgebäude, nochmals nachsinnend still und ward un verkennbar wieder von umsuchenden Gedanken überkommen. Doch schritt sie diesmal rascher zum Auffinden de« Zweck dienlichen vor und mußte dasürbalten, es in dem unweit be- lcgenen, noch weißbebannerten Häuschen anzutreffen, an dem sie heute bereit- einnial erfolgreich vorgesprochen. Wenigsten« wiederholte sie jetzt ihre Einkebr dort, nicht nur figürlich vor der Tbür, sondern durch diese in« Zimmer tretend, hatte jedoch drinnen rasch, wa« sie hineingrfübrt, zur Erledigung gebracht, da sie schon nach einigen Minuten, von Gottlieb Vesenmeier begleitet, wieder draußen erschien. Hier reichte sie ihm zur Verabschiedung die Hand und fügte bei: „Ich will mit dem Zuge fort und habe große Eile. Das bekundete sie auch durch ihr hurtiges Davongehen, aber offenbar beeinträchtigten noch immer in ihrem Kopf umherflatterndc Gedanken die sonstige klare Sicherheit, mit der sie ihre Ziele im Auge hielt. Denn an der Wegkreuzung verfehlte sie die zum Bahnhof führende Richtung und schlug die gerade entgegengesetzte ein. Gott lieb Vesenmeier konnte ihren Jrrtbum nicht m-br durch Nachruf verbessern, da er, eilig ins Häuschen zurückgetrelen, nichts davon wahrnahm. Er unterzog vor einem Spiegel seine schwarze Kleidung einer raschen, doch achtsamen Be handlung mit der Bürste, setzte einen auS einer Hutschachtel hervorgeholten tadellosen schwarzen Cylinder aus und tauchte so, wenn auch Lurch seine Statur daran unliebsam behin dert, nicht gerade stattlich, doch stadträthlich wieder aus der Hausthür hervor. Nicht nur seine äußere Erscheinung, über einstimmend auch seine Mienen, ließen darauf schließen, daß er etwas nicht Gewöhnliches auszuführen im Begriff stehe. Und dies bestätigte sich nach wenigen Minuten, denn, dem Dorfgasthaus zugeschritten, gab er durch eine an den Wirth gerichtete Frage seine Absicht kund, dem Freiherrn Erhard von der Hallen einen Nachbarbesuch abzustatten. Dieser indeß drehte, noch an der Fensterscheibe forttrommelnd, beim Anklvpfen an seiner Tbür mit sinnverlorenem Augenausdruck den Kopf um und legte nur eine fast stumpfsinnie Gleich giltigkeit gegen den HöflicbkeitSerweiS peS Eintretenden au den Tag. Und nach nur wenigen Worten wohlgesetzter An sprache von Seiten Gottlieb Vesenmeier'« steigerte der Frei herr seine Rücksichtslosigkeit so hock, daß er in hoch- müthigster, aristokratischer Mißachtung seines bürgerlichen Besuchers diesen allein im Zimmer zurücklieb, indem er plötzlich nach der Thür griff und ohne an eine Mitnahme seines Hutes zu denken, die Treppe hinunterspringend, bar häuptig auf die Straße hinauSlief. Ein wahrhaft bewundernSwerth schöner Augusttaz war«, einer Auslese von Edrlguttrauben au« der Ernte eines vor züglichen Jahrganges vergleichbar, nnd e« konnte ihm nickt wohl verübelt werden, daß er mit seinen liebenswürdigen Eigenschaften nach dem Ueberschreiten der Mittagsstunde mebr und mehr die Entwickelung beträchtlicher Wärmegrade verband. Wenigstens unten im GraSecker Tbalgrund und bauptsächlick auf frei besonnten Wegen und Plätzen; gnt- schattende Laubbäume trugen wohl angenehm zu einer Milderung der Hitze bei, obne indeß der umher in brodeln dem Zustand befindliche» Luft rin zeitweilige- Herzuströmen
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