Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970903016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897090301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897090301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-03
- Monat1897-09
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis G» tz« Ha»pt«rp«ditl»n oder d«l t» Ltabb- b«kk und den Bor orten «rrichteten Lu»« «Lfftellen abgeholt: vittteljühr1lch^l4.L0, «t zwetmallaer täglicher Zustellung in« hau« b.L§. Durch die Post bezogen für Loutschland «ad Oesterreich: vterteliährlich . Direkt« »gliche Ikreuzbundienduag in» Ausland: monatlich X 7.L0. Di« Worgin-Au-gab« erscheint um '/,? Uhr. di« Abend-Ausgab« Wochentag« um L Uhr. Nr-actio« «nL Lkve-itiou: JohauncSgafle 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen ^öffnet von früh » bi« Abend» ? Uhr. Filialen: DU» Klemm'» Gortim. (Alfred -ahn), AntversltSt-straßr 8 (Paulinuin), LoniS Lösche, Kaibarinenstr. ^4, part. »ud K-nla-platz 7. Morgen-AuMabe. I KiWM Tagtblall Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. W. Freitag den 3. September 1897. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzrile Nü P^ß, Reklamen unter d«m R«dactioa»ftrich <4g» spalten) SO-L, vor den FamilieanachrichieB (6 gespalten) 40 Brüßer» Schriften laut unserem V«vl»> verzeichaiß. Tabellarisch«! «ad Zifferasatz »ach höherem Tarif. Extra »Veilagen (gefalzt), an» «« d«4 Morgen. Ausgabe, oha« Postdef-rder»»- SO»—, mit Pohbesörderua, ^ll Ä).—. Ännahmeschluß fiir ^tyrißra: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Marge n-An-gab«: Nachmittag» »ühr. Lei de» Filialen »ud Auaahmeftelleu j« «in» halb« Stund« früher. Anxeige» find stet» ,» di« OhPeditis» ,» richte». Druck uud Verlag von E. PothN -«ttzzkA 91. Jahrgang: Vroit vt ^ustiev. 6. Paris, den l. September. Dir französischen Chauvinisten belieben bekanntlich die Worte „Recht und Gerechtigkeit" des Zarentoastes als eine Anspielung auf „Elsaß - Lothringen" aufzufassen. Herr Cornely hat nun bereit» am Sonntag im „Matin" seine Landsleute in überzeugender Weise darauf aufmerksam ge macht, daß di« Worte sich im Munde eines Monarchen un möglich auf Territorialverbältnisse beziehe» könnten, da sie sonst diesen selbst ja Opfer auferlegen würden. Trotzdem verlohnt e» sich noch einmal, ein wenig auf die Sache einzugehen. Warum fordern die Franzosen eigentlich von uns die Reichs lande zurück? Weil wir sie erobert haben ? Nein. Denn dann können wir ihnen ja stets entgrgenhalten, daß wir nur wiedergenommen haben, was sie uns zuerst entrissen. Sie schließen folgendermaßen: Die Einnahme Straßburgs unter LudwigXIV. und die voraufgehenden und sich anschließenden Er eignisse fallen in eineZeit,woganzEuropa nochunter demZeichen der Eroberungspolitik stand. Unserem modernen Gerechtigkeits sinne aber widerspricht es, ein Land zu anncctiren, dessen Be wohner nichts von der Annexion wissen wollen. Die Elsaß- Lothringer sind unglückselige Mußdeutsche. Laßt sie selbst darüber abstimmen, ob sie lieber zu Frankreich oder zu Deutschland gehören wollen? Dagegen läßt sich zunächst einwenden, daß, wenn wirklich etwa drei Fünftel der Bewohner für Frankreich sich entschieden, eine Einverleibung in Frankreich für Vie übrigen zwei Fünftel immer noch eine Vergewaltigung bedeuten würde. Oder sollte man jede Gemeinde für sich abstimmen lassen? DaS würde dann ein lustiges Muster auf der Landkarte ergeben. Ferner könnte man fragen, wie oft denn die Ab stimmung wiederholt werden solle. Denn diejenigen Elsässer, die sich jetzt trotz ihrer deutschen Abstammung und Sprache zu dem freiheitlichen Frankreich hingezogen fühlen, könnten bei einem Wechsel der NegierungSform doch sehr leicht anderer Meinung werden. Das aber können die Herren Chauvinisten doch un möglich verlangen, daß nur die elsaß-lothringische Frage nach diesem Princip geregelt würde. WaS dem Einen Recht ist, ist dem Andern billig. Sehen wir uns nun unter diesem Gesichtspunkte ein wenig die Verhältnisse in der Welt an. Die Lösung der Cubafrage und der Kreta frage würde sich ja so sehr einfach und ganz dem Wunsche der Herren entsprechend gestalten. Weniger günstig steht es schon mit dem Ländchen im Norden Deutschlands, das mit den Russen auf Du und Du und mit den Franzosen auf sehr freundschaftlichem Fuße stebt. Dänemark! würde nach dem neuen Principe nimmermehr Schleswig-Holstein, ja nicht einmal einen irgendwie beträchtlichen Theil von Schleswig wieder gewinnen. Und nun die armen „Verbündeten" im Osten. Finn land würden sie wahrscheinlich an Schweden, die Ostseeprovinzen an Deutschland herausgeben müssen und vor Allem würde das polnische Reich wieder erstehen. Der Kaiser von Rußland wird sich nicht haben träumen lassen, daß man seinen Worten eine solche Deutung geben könnte. Noch viel s chliminer stehts mit Oesterreich. Um sich au-zunialen, wie sich bei dem jetztigen Hasse der Nationalitäten gegen einander dort die Verhältnisse gestalten würden, dazu gehört «ine ausschweifendere Phantasie al« die des Schreibers dieser Zeilen. Auch Eng land würde wenig Ursache zur Zufriedenheit haben. Zunächst würden die Iren ihr« Selbstständigkeit fordern, dann würden di« Egypter die Räumung ihre» Lande» verlangen, desgleichen die Inder, desgleichen — nun diese desgleichen ließen sich bi« in die Unendlichkeit fortsetzen. Und Frankreich selbst? Haben die Franzosen selbst nicht erst dor einigen Jahren ein großes Volk wider seinen Willen unterworfen? Ja, wendet man ein, das waren doch Barbaren. Nun, ich weiß wirklich nicht, ob dir Minister und Freunde der Königin Ranavalo so viel schlechtere Gesellen waren als die kretischen Hirten und Strauchdiebe, für die man sich jetzt mit solcher Emphase ins Zeug legt. Und die Tonkinesen, sind das auch bloße Barbaren? Wo sängt der Begriff an und wo hört er aus! Man sieht, waö eS mit der „Aufrechterhaltung des Friedens" für eine Bewandtniß haben würde, wenn die Ver hältnisse nach diesen Ideen geregelt werden sollten. Ein un geheurer Weltbrand würde die Folge sein. Aber Scherz bei Seite! Die Deutung des Zarentoastes auf Elsaß-Lotbringen ist ein neuer Beweis für die unglaubliche Lcichlserligkcit ge wisser französischer Politiker. Wenn es sich um ihre eigenen Interessen handelt, dann sind sie mit den Worten „Recht und Gerechtigkeit" stets bei der Hand; daß andere Leute auch Anspruch auf Gerechtigkeit baden, das scheert sie den Teufel. Freuen wir uns, daß nicht Alle so sind wie sie, uud gönnen wir zum Schluß noch einmal Herrn Cornöly bas Wort: „Begnügen wir uns in diesen feenhaften Tagen, die soeben wie ein Traum an uns vorüber gegangen sind, einen Grund des Vertrauens in die europäischen Zustände so wie sie sind zu erblicken, d. h. mit dem Frieden, einem bewaffneten Frieden allerdings, aber doch dem Frieden. Der Krieg würde heute eine so große Katastrophe sein, er würde uns in so viele llebel stürzen, daß man den Frieden segnen, ihn lieben, ihm Alles opfern muß, Alles mit Aus nahme der Ehre. Sehen wir auch in dem franco-russischen Bündnisse, wir haben das Recht dazu, die moralische Wiedergeburt unseres Landes, die Wiederherstellung der Sicherheit, das Wieder erstehen des Gefühls der Kraft, eines Gefühles, ohne welches weder individuelles noch nationales Selbstgefühl möglich ist. Aber gehen wir nickt weiter!""') *) Das mag sich auch Herr Möline merken, der es anscheinend nicht lassen kann, mit dem Feuer zu spielen. D. Red. Eine Unterredung mit dem Fürsten Lismarck. Ein Nedactenr der „Tribuna", der seit einigen Mocken die deutschen Lande bereist, erwirkte sich durch Crispi's Ver mittelung eine Audienz beim Fürsten Bismarck. Einen kurzen telegraphischen Bericht darüber haben wir in Nr. 441 des „Leipz. T." veröffentlicht; wir lasten ihm heute den nach stehenden ausführlichen der „N. Fr. Pr." folgen. Das Frühstück ist kaum beendet, auf dem Tische glänzt noch das weiße Linnen; der Fürst, der zu dessen Häupten sitzt, richtet seine Rcckengestalt hoch empor, und mir freundlich die Hand entgegenstreckend, sagt er: „Seien Sie mir herzlich willkommen; ich danke Ihnen für den Besuch und für die Grüße, die Sie mir von meinem Freunde Crispi überbringen. . . . Wie geht es ihm? Be schäftigt er sich noch immer mit Politik?" „Ich glaube", antwortete der Journalist, „daß er ihr von allen Staatsmännern Italiens die beharrlichste Aufmerksam keit zuwendet. Der parlamentarischen Hexenküche hat er je doch — einerlei, ob er Wohl ober übel daran that — nie die geringste Beachtung geschenkt. „Ja, ja", bemerkte Fürst BiSmarck, „mein Freund ist ein Mann von großer Erfahrung und Autorität. Er schrickt, wo eS noththut, vor keiner Verantwortung zurück. . . . Ich selber kümmere mich nicht mehr um Politik, llo m'on stelle maintenant — allein ich bekenne, daß man sie nicht so leicht vergessen kann, wenn man 40 Jahre mitten d'rinnen ge wesen. Ich habe viel gearbeitet — nun bin ich alt und müde — und die Gesichtsschmerzen gönnen mir keine Ruhe." Der Journalist rühmte sein gutes Aussehen und sprach von der Möglichkeit, ihn wieder an der Spitze der Geschäfte zu sehen. „Nein", entgegnete der Fürst, „damit ist's aus, ich bin nun zum Landmanne geworden und werde meine Scholle nicht mehr verlassen. Der Landbau war stets meine Leiden schaft, auch als ich ein Amt hatte, war es mir ein Genuß, von Zeit zu Zeit in die ländliche Freiheit zu flüchten. Ich könnte mich in Berlin niederlasseu und würbe gewisse Leute damit nicht wenig ärgern; ich will indessen dieses Asyl nicht verlassen. Bin hier besser aufgehoben, als in Pommern; das Wetter ist dort rauher, während es hier zwar unbeständig, aber von der Seeluft wohlthätig gemildert wird. Ich weiß, daß ich mir das Leben, wollte ich in Sicilien oder Egypten überwintern, um manches Jahr verlängern würde; ich liebe jedoch nicht das Schaukeln (Io roulago) und noch weniger bas Gasthoflcben — ich kann nun einmal von meinen Ge wohnheiten nickt lassen." DaS Gespräch wendete sich den politischen Ereignissen ver letzten Tage zu. Der Journalist meinte, daß die Reichs politik trotz allerem und alledem in den alten Cours zurück gekehrt sei, Beweis dessen die Reise des Kaisers nach Petersburg. „Große politische Ideen," erwiderte ausweichend der Alt-Reichskanzler, „wollen reiflich erwogen und mit Maß be- thätigt werden. Und ihre Ausgestaltung und weitere Ent wicklung setzen Wachsamkeit unv künstlerisches Anpassungs vermögen voraus, Leun jeden Augenblick hat man sich neuer Umstände und Hindernisse zu versehen." „Sie kommen aus Hamburg?" fragte der Fürst, dem Gespräche, wieder eine andere Richtung gebend. „Es ist die Stadt des Ueberflusses, und zu gutem Tbeile ist dies mein Verdienst. Die Hamburger wollten ihr Freihafensystem nicht preisgeben; ich habe sie dazu gezwungen, haben ihnen gedroht, näher der Elbemündung auf NeichSkosten einen neuen Hafen zu bauen, und sie gaben »ach und fühlen sich nun wohl dabei. . . . Die nationale Einheit hat eine Fluth ungeahnter Kräfte und Interessen bervorgerufen, neue Horizonte geschaffen; sie wird gewiß den letzten Nest jener kleinen Begehrlichkeiten wegwiscken, bereu Summe ven deutschen Patricularismus ausmacht. Haben Sie etwas Aebnliches in Italien?" „Es leben in Paris noch einige reiche neapolitanische Familien, welche mit beflissener Eitelkeit die Nolle der Ver bannten spielen — uud in Neapel erscheint ein Blatt, das den Grafen von Caserta „unseren erlauchten, von Gottes Gnaden regierenden Herrn" nennt. (Der Fürst lachte laut auf.) Und im Vatikan lebt der Papst, der den Verlust der weltlichen Herrschaft nicht verwinden kann. Ein klein wenig haben auck Euer Durchlaucht dazu beigctragen." „Durch das Schiedsgericht in der Carolinen-Frage wollen Sie sagen? WaS wollen Sic? Es waren Erwägungen innerer Politik, die mich dazu bestimmten. Wie hätte ich mich übrigens aus der Verlegenheit ziehen sollen? Durch die Beschießung spanischer Seefestungen? Wohl drängten mich Viele, es zu rbun — ich dachte jedoch, daß wir viel leicht hundert Millionen ausgeben würden, um neuen Haß unv neue Zwietracht zu säen. Nach ernster Prüfung ent schloß ick mich, den Papst um den Schiedsspruch zu bitten. Leo XIll. ist übrigens ein sehr verständiger Mann (un uowo molto intelligonts)." „Gewiß, er würde jeden Thron ehren, nur glaube ich, daß er auf sein Werk ein allzu großes Vertrauen setzt. Augenscheinlich traut er sich sogar die Kraft zu, die sociale Frage zu lösen." „Ach, die sociale Frage! Sie erfüllt alle Regierungen mit Schauern. Einstmals hätte man sie vielleicht mit Polizeigcwalt zum Stillstände gebracht, nun wird sie durch militairische Machtmittel unterdrückt werden müssen." DaS Gespräch nahm wieder eine andere Wendung. Gräfin Nantzau brachte ein Album herbei, dessen erstes Blatt von Crispi mit einer kurzen Widmung eingeweiht wurde. „Mein Freund," sagte Bismarck, „erwies mir zwei Mal die Ehre seines Besuches. Ich gedenke mit Freuden der Zeit, da ich mit ihm zusammen arbeitete. Ich weiß, daß er nun vielen Anklagen ausgesetzt ist. Es geziemt mir darüber kein Urtheil — ich weiß aber, daß er zahlreiche Feinde hat. Auch ich hatte und habe deren nicht wenige. Sie sind mir völlig — Wurst. Leid thut es mir, daß er sich in Abvssinien so tief eialieß — wa» sich kaum der Mühe verlohnte." „Durchlaucht, in Afrika gebrach e» Italien vornehmlich an Klarheit und Festigkeit der Absichten. Hinsichtlich der Colonie sei mir aber die Bemerkung gestattet, daß sie jetzt, wo man sie preisgeben möchte, vielen Mächten ein begehr licher Bissen zu sein scheint. Afrika ist da» Ziel aller Begehrlichkeiten geworden. Bedenken Durchlaucht, welch großes Reich sich England in Südafrika geschaffen hat." „England handelt da unten mit großer Leichtfertigkeit. Es hat die Lection, welche es von den BoerS empfing, ver gessen, und es vergißt, daß auch am Cap sehr viele Holländer leben. Ich glaube, daß die Zukunft am Cap den Holländern eher als den Engländern gehört." Was den italienischen Journalisten am höchsten verwunderte, war die Fülle von Detaiikenntnifsen, die der Altreichskanzler in Bezug auf Italien entwickelte. Der Fürst erkundigte sich am angelegentlichsten um die Verhältnisse im Süden, um den regionalen Geist einzelner Stämme, um die Erstarkung deS ReichSgedankcnS. Erfragte, ob daö Klima auf die Südilaliener, besonders auf die Soldaten, einen merklichen Einfluß ausübe. „Durchlaucht", antwortete der Journalist, „die neapoli tanischen Soldaten, welche 1821 bei Antrodoco und 1848 bei Velletri wie Bienenschwärme auseinanderftoben, find Eine- Stammes mit Jenen, welche unter Karl V. bei Pavia Franz I. gefangen nahmen und zur Franzosenzeit für eine fremde Sache heldenmüthig in Spanien und Rußland kämpften." „Ja ja", nickte bestätigend der Fürst, „es ist Alle» ein« Frage des sittlichen Gefühles, der Zucht und der Führung." Und-da er von den sicilianischen Artilleristen hörte, die in der Schlacht bei Adua bis zum letzten Schuß und letzten Mann bei ihre» Stücken blieben und starben, urtheilte er: „Es ist immer der Krieg, der den innersten Kern der Gefühle enthüllt, auf denen die Staaten beruhen." Deutsches Reich. K Berlin, 2. September. Die „Köln. Volk-ztg", da» den klerikalen Parteiführern am nächsten stehende Organ, giebt wieder einmal eine Probe de» „auch nationalen" Charakters de» CentrumS, dessen man sich in diesem Lager immer rühmt, wenn man — oben gehört sein will. Da» CentrumSblatt beschäftigt sich mit den Schmerzen der klerikalen Partei in Schlesien. Zunächst mit der Agi tation des Bundes der Landwirthe. In dieser er blickt eS eine nicht unerhebliche Gefahr, der nicht blo» in der Centrumöprcsse mit größerer Entschiedenheit entgegen getreten werden müsse, sondern auch durch Krei-versamm- lunzen der Wähler. Hier also alle Mann an Bord zur Abwebr. Dann kommt eine zweite Veranlassung, mit Len Wählern in nähere Verbindung zu treten. Die sei dort zu finden, wo wie in den oberschlestschen Wahl ¬ kreisen „eine hauptsächlich polnisch" redende Bevölkerung vorhanden (!) ist, und wo Zerwürfnisse bervorgetrrten seien, die daher rührten, daß durch obcrschlesische polnische Zeitungen das Volk auf den Gedanken gebracht wordrn sei, daß polnisch sprechende Abgeordnete zur Vertretung geeigneter seien, als deutsche. „Der Gedanke", sagt die „Köln. Volk-ztg." „ist erörterungsfähig." Das Deulschthum soll also ohne Schwert streich preisgegeben werden, und zwar, obwohl dir „Köln. VolksztH." selbst einräumt, daß c» sich nicht um Bedürfnisse der Bevölkerung handelt, sondern um einen wieder — bekanntlich von Posen und Galizien auS dirigirten — aufgebrachten Gedanken. Soweit wenigstens ist da» rheinische Blatt ehrlich. Wenn eS aber sagt, daß in Oberschlesien eine hauptsächlich „polnisch" redende Bevölkerung vorhanden sei, so behauptet es daS Gegentheil von dem, was der frühere Eentrums- führer Gras Ballestrem, ein Schlesier, und früher die klerikale Presse selbst — damals der Wahrheit gemäß — ost genug Me und neue Lriefe Sismarck's.*) Von vr. L. Schwrtschke. I. In seinen Thatra malt sich der Mensch — aber auch in seinen Worten; denn diese bilden einen ebenso natürlichen Ausfluß seine« Wesen« wie jene. So malt sich auck Bis marck'» Wesen nicht nur in seinen weltgeschichtlichen Thaten, sondern auck in seinen vor der Oeffrntlichkrit gehaltenen Reden und, vielleicht mit noch größerer Vollständigkeit, in seinen ursprünglich nickt für die Orsfentlichkeit geschriebenen Driesen. Daß der Driefsckreiber dennoch die Veröffent lichung solcher Briefe in bedeutender Anzahl, wenn auch natürlich theilweise verkürzt, zugelafsen hat, da ist «in Zeichen der Reinheit und Sauberkeit seines Charakter», der nicht- Wesentliche« zu verbergen hat von seinem persön lichsten Fühlen und Denken und privaten Handeln. Wenn aber sich Schatten in seinem Bilde finden, so läßt er diese ruhig, wie in Kohl'» Ausgabe seiner Reden, au» Achtung vor der Wahrheit und im Bewußtsein menschlicher Unvoll kommenheit bestehen, der auch seine Tadler unterliegen. Zu einem bekannten starken geheimnißvollen Selbstvorwurf in einem Briefe an Andrae (S. 312) hat der Fürst später lächelnd gemeint, e- wäre wohl besser gewesen, wenn diese Worte nicht gedruckt waren. Von wem die erste Veröffentlichung der Briefe, meist an Frau und Schwester, in Hesrkiel - Lebrn-beschreibung des Grafen Bi-marck 1868 au-gcgaugen ist, wer kann e- sagen? Vielleicht war e» ebenso der Wunsch de» al« Krenz- zritnng-rrdacteur politisch einst Bi-marck nahestehenden Schriftstellers, wie derjenige seiner Angehörigen, daß sie den *) BiSmarckbriefe 1836 —187L. Sechste, stark vermehrte Auflage, hrrauSgegeben von Horst Kohl. Mit einem Pastell nach F. v. vonLrnbach und vier Portrait« in Zinkdruck. Bielefeld und Leipzig, Brlhagrn L Klasing. 1887. vielgehaßten oder mit ehrfürchtiger Scheu betrachteten sieg reichen Staatsmann von Eisen und Blut der Mitwelt auch gerechterweise von seiner milderen menschlichen Seite als liebevollen Gatten und Bruder zeigten. Daß darauf die Sonderausgabe der Brief« in Buchform einem Bedürfnisse der deutschen unv ausländischen Leserwelt entsprach, zeigte oa» Erscheinen von fünf starken Auflagen seit 1875 und ihre Uebersetzung in daS Französische, Englische und Holländische. Seit dem Erscheinen der letzten Auflage sind aber so viele neue Briefe anderwärts veröffentlicht, daß eine Neu ausgabe nöthig war. Die Herstellung dieser wurde von der DerlagSbandlung Velhagen L Klasing dem gediegensten und umfassendsten unserer BiSmarckforscher, dem Professor Horst Kohl in Cbemnitz, übertragen, und dieser fügte den an etwa zwölf Empfängerinnen und Empfänger gerichteten, von ihm sehr ergänzten und thunlichst mit den Originalen verglichenen 140 früheren Briefen nicht nur 120 theils von ihm in seinem DiSmarck-Jahrbuche, thrilS von anderen veröffentlichte Briefe hinzu: eS gelang ihm auch, durch die Vertrauensstellung, die er in der fürstlichen Familie genießt, die Erlaubniß zur weiteren Veröffentlichung von 60 bisher ungedruckten Briefen zn erhalten. So enthalt denn der jetzige stattliche Band 320 an 40 Empfänger gerichtete Briefe. Sie rühren au» den Jahren 1836—1872 her; die der früheren Ausgaben auS 1844—1871. Die Briefe sind in dem bald einfachen, bald geistvollen Plaudrrton geschrieben, von dessen mündlicher Anwendung durch den Fürsten auch jetzt noch in den Zeitungen berichtet wird. Ihr Inhalt bespricht in kürzerer oder längerer Darstellung persönliche oder staatliche Verhältnisse oder beide zusammen. Die Menge der Privatbriefe, obgleich nur eine Auswahl auS siebenunddrcißig Jahren, zeigt, von welchem Drange nach gemüthvvllem Verkehr, nach Mit theilung und Aeußerung seines Innern, BiSmarck stets beseelt war. Die Aeußerungen erfolgen mehrfach im Goethischen Sinne der Entlastung seiner Gefühle, um dadurch drückende Stimmungen loS zn werden und sich Klarheit über deren Grund zu verschaffen. E« soll mit diesem Vergleich natürlich nicht behauptet werden, daß BiSmarck in diesen Briefen Kunstwerke habe schaffen wollen. Eben so wenig soll behauptet werden, daß die in zeitlicher Reihenfolge geordnete Sammlung sich zu einem Kunstwerke gestaltet habe. Aber oft erscheint es einem beim Lesen so, als hätte man etwas von der Welt im Kleinen eines Briefe schreibenden Shakespeare vor sich. Die dramatische Einheit der Handlung wird gebildet durch die allgemeine Cbarakterentwickelung und das Sichrecken des politisch reformatorischen BiSmarck'schen Genius nach dem ihm be stimmten Ziele: der Gestaltung der deutschen Verhältnisse nach seinem Geiste, ein Ziel, das er in der Schaffung des Deutschen Reiches trotz eigenen häufigen, in den Briefen her vortretenden Widerstrebens vor der herkulischen Arbeit und trotz der Unmenge äußerer Hemmnisse erreichte. Auf dem bald mehr, bald weniger sich zeigenden Hinter gründe dieser einheitlichen Handlung wickeln sich buntbewegte, wenn auch meist skizzenhafte, doch mit scharser Beobachtung und frischer LebenSwahrheit gezeichnete Scenen ab, reich an Gegensätzen, ans dem inneren und äußeren Groß- und Kleinleben deS Helden. Wir sehen ihn im für spätere Zeit folgenschweren Verkehr mit den Bundestagsgesandten, wie mit den Fürsten und Staatsmännern an den verschiedenen deutschen und außer deutschen Höfen — und wir finden ihn mit sich allein auf ein samen ErholungSritten oder -gängen bis tief in die Nacht hinein; wir beobachten ihn bei seiner alle Nerven überanstrengenden Arbeit — und in ländlicher kräftigender „Faulheit"; im trau lichen Kreise der Familie und ohne sie auf weiten oft unbe quemen Reisen. Da hören wir sprechen, sowohl von einem Paar Stiefel, die der neunundzwanzigjährige Bruder der siebzehn jährigen Schwester dienstwillig besorgt — wie später von Preußen- Bestehen oder Untergang; vom täglichen »nd nächt lichen, sommerlichen und winterlichen Leben im Salon, wie in der Landwirtbschast und in der wilden nnentweihten Natur, wie sie auS deS Schöpfer« Hand hervorging, in schwedischen Jagdgründen; von „fortgesetztem Regime von Trüffeln, Pasteten und Großkreuzen" dieser Welt, wir von der Fortdauer der Seele nach dem Tode. Es wird berichtet von den Gefahren deS Reisens in den sonnendurchglvhten, räuber durchstreiften ungarischen Pußten, wie in den von Schnee und Eis starrenden russischen Wüsteneien; von Abenteuern zu Lande und zur See; von Verlobungen, Hochzeiten, Ge burten und Todesfällen, Gesundheit und leider auch viel Krankheit; von Frieden und Kriegen, von Fürsten und kleinen Leuten, Guten und Bösewichten. Ueber alles dies und noch vieles Andere giebt der Briesschreiber seine Erfahrungen, Ge danken und Gefühle ebenso kund, wie über sich selbst, seine eigene Weisheit und Thorheit. Und wie stellt er Alle- dar! Vor Allem mit völliger Wahrheitsliebe in seinem Stoffe, stets mitten drin lebend und doch ihn mit ruhiger Sachlichkeit beherrschend; mit klarem Urtheil über sich und Andere, diese schonend und an erkennend, aber auck mit gutmüthigem oder, wenn e- sein muß, mit scharfem Spotte treffend. Die meisterhaftesten per sönlichen Charakteristiken sind wohl die mit kurzem Worte zur Kennzeichnung der Gesandten am Frankfurter Bundes tage oder der „schönen Löwinnen" und der Handwerker dort. Ueberhaupt in seinem Stil kein Wort zu wenig, keines zu viel! Und doch eine unerschöpfliche Fülle selbst geschaffener bildlicher Ausdrücke, mehrfach auch An führungen auS Dichtern oder Anspielungen auf sie. Bei Schilderungen von Landschaften und Völkertypen eine klare Anschaulichkeit und ein StimmungSreichthum, die ihres Gleichen suchen. Untrennbar vom brieflichen wie be kanntlich vom mündlichen Bi-marck ist ferner sein nie ver siegender Humor. In der Vereinigung der eben genannten Eigenschaften zeigt sich die wunderbare Schnell - und Schwung kraft seines Geistes. Mitunter kann sein Humor derb werden. Eine- der klassischsten Beispiele dürfte sein, wenn er im Juli 1861, zufrieden mit seiner Gesandtenstellung in Petersburg, bezüglich der ihm drohenden Ueberoahme des preußischen Ministerium- de- Innern an Roon schreibt: „Ich werde mich nicht drücken, denn ich mag mir keiner Feigheit bewußt sein, aber wenn in 14 Tagen diese- Gewitter spurlos an mir vorüber gegangen und ich ruhig bei Muttern wäre, so würde ich mir einen Entenstriß wünschen, um vor Befriedigung damit wackeln zu können." Ein anderes Beispiel ähnlicher Art ist da«, wo er» aber nicht blo» vergleichsweise, von seinem Zustande in der «Karl»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite