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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970909029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897090902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897090902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
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Srä-er» Schriften laut unserem Preis« mrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjotz nach höherem Laris. vrtra-Beilage» (gefalzt), nur mit dn Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrunj -ck 60.—, mit Postbefördrrung 70.— Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Korgrn-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzistz Donnerstag den 9. September 1897. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. September. Die Erörterung der Eisenbahnunfällc, die sich in jüngster Zeit gekauft haben, hat zu einer eigenartigen Auslassung in der ministeriellen „Berliner Correspondenz" über die Wirk samkeit und Befugnisse des ReichSeisenbahnamtes geführt. ES war daraus zu entnehmen, daß daS Reichseisenbahnamt durchaus nicht in dem wünschenswerthen Maße mit den im Interesse der Sicherheit des Verkehrs getroffenen Vorkehrungen der Eisenbahnverwaltungen zufrieden ist und daß seine Con- trole, die ihm nach der Verfassung und auf Grund von Bundesratbsverordnungen insbesondere über den Oberbau und das Betriebsmaterial der Eisenbahnen zustebt, nicht so geübt werden kann, wie es selbst dies für nöthig erachtet. Und dies letztere, weil daS Personal des ReichseisenbabnamteS zu sehr beansprucht ist und weil den staatlichen Eisenbahnen die Oberaufsicht des ReichSeisenbahnamtes nicht immer be- Hazt, theils in Folge eines gewissen „Ressortparticu- larismuS", thcilS aber aus finanziellen Rücksichten, denn alle Maßnahmen zur Sicherung des Verkehrs beein trächtigen die Einnahmen. Die Zustäude, deren Kritik dem NeichSeisenbahnamte diesen Seufzer abgcnöthigt hat, bestehen nun nicht erst seit heute und gestern. Im Gegentheil. Hält man die parlamentarischen Verhandlungen im preußischen Abgeordnetenhause aus den letzten Jahren da neben, so drängt sich die Ueberzeugung auf, daß gewisse Mißstimmungen, die von Zeit zu Zeit im preußischen Eisenbahnmiuisterium bemerkbar wurden, denselben Ursprung hatten und in derselben Linie sich bewegen. Um so mehr hätte im Reichstage bei der Berathung des Etats des ReichSeisenbahnamtes in diesem Winter, wo gerade auf Eisenbahnunglücksfälle Bezug genommen und eine intensivere Beaufsichtigung der Betriebssicherheit gewünscht wurde, die Vertretung des Reichseisenbahnamtes wenigstens ein vernehmliches Wort einflechten können, wenn sie vor einer directen Auseinandersetzung aus naheliegenden Gründen sich scheute. Aber auch nicht eine An deutung ist in dieser Richtung gefallen. Im Gegen theil; der Präsident des ReichSeisenbahnamtes zahlte die Millionen auf, die für Vermehrung und Verbesserung der Betriebsmittel auSgegeben wurden. Er bestritt, daß die deutschen Eisenbahn-Verwaltungen „nicht genug thäten", und rechnete dann vor, daß auf 1000 Millionen Achskilometer noch 188l bis 1880 jährlich durchschnittlich 80 Entgleisungen und Zusammenstöße, im letzten Jahrfünft aber nur noch 55 stattgefundcn hätten, und verglich schließlich daS Ausland, wo von 100 Millionen Reisenden in England 2,7, in Frankreich 3,5, in Deutschland hingegen nur 1,6 Reisende getödtet würden. Und jetzt wird bemängelt die Zahl des Personals, die Versäumnisse in Bahnhofsbauten und schließlich die Langsamkeit, mit der erst vor wenigen Monate» die Verstärkung des Oberbaues der Eisenbahnen in Rück sicht auf die Vermehrung der Fahrgeschwindigkeit in dem Maße dnrckgeführt worden sei, welches das Reichs- eisenbahnaml für nothwendig erachtet habe. Nun kann ja das Reichseisenbahuaml in gewisser Hinsicht für sich geltend machen, daß der damals gegebene Bescheid so zurückhaltend habe sein müssen, weil eine in starken Uebertreibungen sich ergehende socialdemokratische Rede vorangegangen sei. Das wäre aber auch nur eine formale Rechtfertigung, denn die Mahnungen, die NeichSeisenbahiiaussicht so nachdrücklich als möglich zu üben, ist schon früher gegeben worden, ehe die Social Für die bevorstehenden Reick StagSwablen ist die Freisinnige Bolkspartet bereits mit einem Programm hcrvorgelreten, das dem Nürnberger Parteitage zur Ge nehmigung vorgelegt werden soll. ES zeichnet sich mehr durch Umfang, als durch Inhalt aus, denn eS stellt in sieben Rubriken nicht weniger als vierzig Forderungen auf, von denen jedoch kaum eine einzige geeignet ist, die Wähler schaft zu erwärmen. Viele von ihnen sind aus demokratie daran dachte, auch d.e Eisenbahnen in den Dienst Hrer Agitation zu stellen. So hat bei gegebener Gelegenheit der Abg vr. Ham macher immer wieder gemahnt, Ne in Deutschland und namentlich die freien Entschließungen der verbündeten Regierungen mochten dahin wirken, daß das Reichöeisenbahnamt in eine Tbätigke.t eintreten könne, welche dem Geiste des Gesetzes entspreche, auf Grund dessen eS am 27. Juni 1873 ins Leben gerufen worden ist, um dafür zu sorgen, baß die Bahnen zederzeit in einem „die nvtbige Sicherheit gewährenden, baulichen Zustande' erhalten und mit Betriebsmaterial so ausgerüstet werden, wie das VerkehrSbedürfniß es erheischt. Die Maßregeln, welche zur Abstellung der hier zu Tage getretenen Unzuträglichkeiten ergriffen werden müssen, sind so augen fällig, daß mit der Abhilfe nicht weiter g-Zogert werden darf In der Thai ist die Besetzung deS ReichSeisenbahn amtes nicht ausreichend, um eine ordnungsmäßige Eontrole der Bahnlinien und Brückenbauten zu ermöglichen. Außer dem Präsidenten zählt daS Amt nur sieben vortragende Räche; die drei richterlichen und die drei stellvertretenden richterlichen Mitglieder konimen für die Aufsicht nicht in Betracht. Und das ist zu wenig; die Besetzung dieses Reichsamtes ist nicht entfernt im Verbaltniß nut der Zunahme des Eisenbahnbaues geblieben und dies kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß inzwischen besonders in Preußen die meisten Bahnen in staatlichen Händen sind. Da jetzt die Etatsausstellung für das kommende Rechnungsjahr erfolgt, läßt sich ja hier unmittelbar Abhilfe schaffen. Sodann aber ist im nächsten Winter nothwendig, daß diese Angelegenheit parlamentarisch gründlich behandelt wird, daß im Reichstage die Autorität des ReichSeisenbahn- amts moralisch gestärkt und in den Einzellandtagen die Ab sichten der Eisenbahnverwaltungen unterstützt werden, die hockst wahrscheinlich die Empfindungen im Reichseifenbahnamt bezüglich der Anforderungen der Finanzverwaltung auf der einen und der Ausstattung der Betriebsmittel auf der an deren Seite theilten. Wie schon früher im preußischen Ab geordnetenhaufe, so hat auch in dem letzten Winter der Abgeordnete von Eynern darauf hingewiesen, daß bezüg lich der „ungenügenden Zustände der Bahnhase, der Rangirbahnhöfe und der Gleisanlagen eine grund legende Veränderung" hrrbeigeführt werden müsse, und die nationalliberalen Abgeordneten vr. Böttinger, Möller und Schmieding haben ihre Autorität immer wieder in derselben Richtung geltend gemacht und aus das Uebcrgewicht der Finanzverwaltung hingewiesen. Im kommenden Winter wird Gelegenheit genommen werden, diese Vorstellungen eindringlich zu erneuern. Auf diese Weise wird, da unter den heutigen Umständen eine erfolgreiche Initiative von der Reichsverwal tung aus in der vorliegenden Frage vor der Hand schwerlich zu erwarten ist, am ehesten die Besserung herbeigesührt, die bas Reichseisenbahnamt selbst für unerläßlich erachtet, wenn die Bestimmungen der Verfassung ihrem vollen Sinn ent sprechend zur Ausführung gelangen sollen. alten Programmen herübergenommen, andere sind noth- gedrungene Eoncessionen an Strömungen, denen Herr Richter und seine Getreuen sich lange genug widersetzt hatten. Zu diesen Eoncessionen möchten wir z. B. die Forderung nach einem Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung rechnen. Gerade die Fortschrittspartei bat für den Arbeiter schutz in früherer Zeit herzlich wenig Verständniß bewiesen. WaS ihre jetzige Haltung anbetrifft, so möchten wir daran erinnern, daß Wohl nicht zufällig auf dem jüngst abgehal tenen Arbeiterschutzcongresse in Zürich sich Männer aller Parteien befunden haben, nur keine Fortschrittler. Erwähnens werth ist, daß der Programmentwurf es nicht wagt, die Wiederherstellung einer absoluten Frei Handelspolitik zu fordern und nur eine Entlastung nothwenviger Lebensmittel und Verbrauchsgegenstände von Steuern und Zöllen nach Maß gabe derUcberschüsse im ReickShauShalte verlangt. Dies ist des halb beachtenswerlh, weil noch kürzlich die „Freifinnige Zeitung" des Herrn Richter sich darüber lustig gemacht hat, daß ein hervorragendes Organ der Freisinnigen Vereinigung zu sagen wagte, man könne nicht daran denken, die bestehenden Zölle etwa kurzerhand aufzuhebcn. Einige der Forderungen beweisen, wie schematisch die Freisinnige Volks partei verfährt, z. B. die Forderung, daß die Wahlkreise nach der Einwohnerzahl neu abgegrenzt werden sollen. Die Erfüllung dieser Forderung würde nichts Anderes zur Folge haben, als daß die Interessen deS platten Landes zu kurz kämen, da die Zunahme der Bevölkerung lediglich den größeren Städten zu Gute gekommen ist, und daß die Social demokratie einen ganz enormen Zuwachs erhielte, denn die Hoffnung der freisinnigen Volkspartei aus einen Zuwachs an Mandaten, wenn etwa Berlin, Leipzig, München und andere große Städte eine erheblich größere Zahl von Reichstagssitzen zugebilligt erhielten, würde sich als sehr trügerisch Herausstellen. Beachtenswerlh ist schließlich noch, daß, während Herr Richter großartig verkündet hatte, die Marinefrage müsse zur Wahlparole gemacht werden, das Wahlprogramm nur einen kurzen und ziemlich farblosen Passus über diese Frage enthält. Der Ausdruck, daß die Flotte nicht zu Paradezwccken erweitert werden dürfe, scheint in aller Eile noch den bekannten, letzthin in der „Zukunft" veröffentlichen Aeußerungen des Fürsten BiSmarck entnommen worden zu fein. Da der freisinnige Wahlaufruf zugiebt, daß dir Flotte sowohl die heimischen Küsten, wie die Reichsangehörigen im AuSlande zu schützen geeignet sein müsse, so widerlegt er nickt die Berechtigung der Marincforderungen, sondern rechtfertigt sie, da nach dem Zeugniß aller Sachverständigen die gegenwärtige Flotte für diesen Zweck nicht ausreichl. Wir zweifeln nicht daran, daß der Programmentwurf in Nürnberg fast unverändert angenommen werden wird, denn er ist viel zu umfassend, um einzeln diScutirt zu werden; wir bezweifeln aber sehr, daß die Annahme dcö Entwurfes die Aussichten der freisinnigen Volkspartei für die Wahlcampagne verbessern werde. Zu der Verhaftung deS Redakteurs Hofer aus Eger nimmt jetzt die Wiener „Neue Freie Presse" in einem längeren Artikel daS Wort, auS dem wir folgende Stelle hervorheben: Ob die Beschuldigung (Les Hochverrats gegen den Egerer Redakteur) begründet ist, entzieht fick, da die Untersuchung bei dem zuständigen Gerichte schwebt, der Besprechung, und über den Geschmack einzelner Hitzköpfe, den Kampf der Deutsch- Oesterreicher gegen die Sprachenverordnungen vor einem reichsdeutschen Publicum zu führen, mögen wir ebensowenig streiten. Aber ein Urtheil über den Fall läßt sich aus dem Umstande abziehen, daß die Rathskammer Les Egerer Kreis- gerichres sich für die Aufhebung der Untersuchungshaft entschieden hat, und daß der Beschuldigte nur deshalb nicht frei gegeben wurde, weil der Staatsanwalt gegen die Entscheidung der Rathskammer an das Prager Ober-Landesgericht appellirle. Ganz abgesehen von dem Inhalt der Rede, die den Gegenstand der Be schuldigung bildet und der aus den Mitthesiungen Leipziger Blätter bekannt ist, darf wohl aus der Entscheidung der Raths kammer geschlossen werden, daß eine absolute Notkwendig- keit, aus dem Beschuldigten in den Augen der Be völkerung einen Märtyrer zu machen, schwerlich vorliegt, und daß es vermuthlich ohne Schädigung eines wesent- lichen Staatsinteresses hätte vermieden werden können, der Auf regung der Bevölkerung neue Nahrung zu geben. Aus diesen Aeußerungen geht hervor, daß die deutsch liberale Partei in Oesterreick, soweit sie durch das führende Wiener Blatt vertreten ist, nicht damit einverstanden ist, daß die Deutschböhmen durch ihre geharnischten Proteste jenseits der böhmischen Grenze dem Grafen Badeni nur neue Hand haben bieten, in seiner BergewaltigungSpolitik sortzufabren. Allerdings erscheint das Vorgehen der Iro, Tins und Hofer auch der „N. Fr. Pr." nur zu begreiflich und entschuldbar. Sie fügt nämlich ihrer obigen Auslassung hinzu: „Wenn man gegen jene exaltirten Radikalen unter den Deutschen, zu denen der verhaftete Egerer Redacteur gehört, unaufhörlich den Vorwurf erbebt, daß es nicht patriotisch sei, den Kampf, der -wischen den Parteien in Oesterreich auszu fechten ist, über die Reichsgrenze zu tragen, so sollte man nickt vergessen, daß ihnen die Aussprache über ihre Beschwerden im Lande verwehrt wurde. Für die Deutschen gilt ein anderes Versammlungsrecht als für die Tschechen, jenen ist verboten, was diesen gestattet ist." Dasselbe haben wir wiederholt betont. Aber wenn auch die Brutalitäten deS Regiments Badeni die Unbesonnenheiten einzelner Hitzköpfe entschuldbar machen, so sollte gerade die jenige deutsche Presse, die sich den Anschein ziebt, es besonders wohl mit den Deutschen in Böhmen zu meinen, sich die Mahnungen der „N. Fr. Pr." zum Vorbilde nehmen, statt jene Hitzköpfe zu wetteren Unbesonnenheiten anzureizen. Das kann wohl einen kleinen Zuwachs an Abonnenten unter den Aufgeregtesten der Aufgeregten in Böhmen bringen, der guten Sache aber nur schaden. Hatten schon, wie wir mittheilten, in Petersburg die Haltung der französischen Negierung während der letzten Tage und die thörichtcn deutsch-feindlichen Demonstrationen eines Theils deS französischen Publikums bis in die höchsten Regierungs kreise hinein entschiedene Mißbilligung gefunden, so hört man nach einer anscheinend inspirirten Petersburger Meldung der Münchner „Allgem. Ztg." in noch schärferen Ausdrücken über die Handlungsweise deS Conseilpräsidenten MSline urtheilen. Vielfach will man noch an eine Mystisicirung des „TempS" glauben, der die tactlose Antwort deS Minister präsidenten veröffentlichte. Man erwartet, daß Herr Meline das Telegramm, durch welche» er deutsche Reichs angehörige zur Bekundung hochverrätheriscker Gesinnung be glückwünscht, für apogryph erklären werde. Diese Er wartung hat sich inzwischen schon al- illusorisch erwiesen; die Echtheit des Telegramms ist ausdrücklich bestätigt und sein Inhalt von der „Rspublique Frantzaise", dem speciellen Organ deS Herrn MSline, als „correct und legitim" bezeichnet worden. Um so peinlicher wird man in Petersburg von der „Taktlosigkeit" Melines berührt sein. Dort empfindet man eS offenbar höchst unan genehm, daß die französische Regierung, statt der von Feirrlletsn» Götzendienst. 4j Roman in zwei Theilen von Waldemar Urban. Nachdruck »erboten. Es waren doch die ersten und rechten Grundtöne seiner Seele, wenn sie auch jetzt noch wie eingerostet, wie halbvergessen über die Lippen kamen, und der junge Graf zu Kreuz, welcher den Amerikaner mit wachsendem Erstaunen angebört, sagte sich innerlich: „Ja, der dicke, fette Mann, welcher aus einer fremden Welt in die europäische Hypercultur nur so hercinschneite, dieser ehemalige Gaucho« mit den rohen, ungeschlachten, ja lächer lichen Manieren — er hat doch auch eine Seele, wenn sie auch nicht Jedem sichtbar und wie sein Deutsch halb ein gerostet und halb vergessen ist. In der unbegrenzten Freiheit der Pampas, in der freien Betätigung und dem Erfolg der Arbeit des freien Mannes mußte sich nicht minder in Don GraciaS ein gewisser Gegensatz zur europäischen Gesittung und Gesellschaftsordnung herausbilden, ein Gegensatz, welcher grollend und rollend durch seine Worte hindurchkiang. Di« in Europa gescheiterte Existenz seines Vaters war ihm, dem nachherigen allmächtigen Nabob, allmählich zu einem Martyrium, zum Opfer einer erbärmlichen Cliquenwirthschaft geworden, welch letztere ihm aus der Ferne, ohne daß er sie aus eigner, unmittelbarer Anschauung kannte, in ungeheuerlichen, grau samen Formen erschien. „Sie werden nun schon klarer sehen, Herr Grast' fuhr Don GraciaS endlich mit gesteigerter Energie unv Scharfe fort, „wer dieser „arme Teufel" war, was er unS Beide an- g«ht und warum ich gerade Ihnen diese längst vrrgangene und vergessene Geschichte erzähle." „Ick wüßte nicht, Herr de Melida " „Wirklich nicht?" unterbrach ihn Vieser kaut und dröhnend, „Ihr Baler und niemand anders jagte meinen Vater mit nichts als einem jämmerlichen papierenen Wisch inS Elend, in die ruh- und heimathlose Fremde." „Er that seine Pflicht als Beamter; er mußte der all gemeinen Stimme Gehör geben!" „Sehr gut, Herr Gras! Also als Beamter stürzte er meinen Vater ins Elend, war es denn deshalb milder und erträglicher? Wurde deshalb etwa seiner Familie, die er zurückließ — Brüder und Schwestern, Neffen und Nichten, die er als Angehörige eines „Mörders" znrückließ, ihre Lebensbahn leichter? Sah man dieses KainS-Zeicken, daS ihnen widerrechtlich und unschuldiger Weise ausgedruckt wurde, deshalb etwa weniger im Erwerbsleben, auf daS sie doch als arme Leute rin für allemal angewiesen waren?" „Herr de Melida, mein Wort darauf: ich beklage die entsetzlichen Folgen jene- Verfahrens vielleicht ebenso wie Sie selbst; aber ich kann auf keinen Fall meinen Vater dafür verantwortlich machen." „DaS thne ich ebensowenig und will e» auch nicht, aber WaS ich will und WaS ich zu verlangen ein Recht habe, daS ist Gerechtigkeit! Ich will und muß wissen, wer der Mörder jenes Haßlinger war, wer meinem Vater den niederträchtigen Liebesdienst einer Denunciation erwies, die ihn ins Ver derben stürzte, und welcher Elende seiner und meiner Familie da« Kainszeichen aufvrückte! Ich will, daß der Name Hart wig nicht der eines elenden, vaterlandslosen Vagabunden, sondern der eine« zwar unglücklichen, aber durchaus ehrlichen Mannes ist. DaS ist meine Pflicht und meine heiligste Auf gabe, und deshalb nur bin ich herübergekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, wa« au« meinen armen Ver wandten unter dem Drucke deS furchtbaren Verdachts ge worden und um persönlich handelnd einzugreifen. Weh« Demjenigen, den ich auf diesem Wege als den Intriguanten und Anstifter der Schurkerei entdecke, Herr Gras! Und ich werde den Elenden zu finden wissen, sollte eS mich auch Millionen um Millionen kosten!" DaS klang ganz wie eine offene und furchtbare Drohung; aber wa« gingen schließlich den jungen Edelmann die alten Geschickten an? Daß sie dem „Wcizcnkönig" Herzenssacke und Lebensaufgabe waren, daS sah er und fühlte er nach, auch wenn sich Melida'« Aufregung, seine tiefste Innerlichkeit unv sein wuchtiges Naturell nicht in so auffallenver und befremdender Weise geoffenbart hätte. Ader Graf Victor batte damit daS Allerwenigste zu schaffen, eS ließ in völlig kühl und nur an« Höflichkeit entgegnete er: „Wenn ick Ihnen dienlich fein kann, in welcher Hinsicht es auch sei, Herr v. Melida, und daS dürfte wohl der Fall sein, wenn Sie sich in meine engere Heimath begeben, so stehe ich Ihnen selbstverständlich ganz und gar zur Ver fügung." Mit diesem Anerbieten hatte er wirklich nichts Anderes al« seiner Höflichkeit Genüge getban, und er nahm zugleich stillschweigend an, daß eS nicht angenommen, oder doch keinerlei Verpflichtungen für ihn nach sich ziehen werde. Don GraciaS aber schien eS anders aufzufassen; er trat gemessen auf ihn zu, reichte ihm mit einiger Feierlichkeit und Umständlichkeit die Hand und fuhr in ruhigeren, Tone fort: „Ich danke Ihnen ehrlich und ich glaube, die Gelegenheit, Ihre zugesicherte Bereitwilligkeit in Anspruch zu nehmen, wird nicht auf sich warten lassen. Und sehen Sie, Herr Graf, eS geht auf Erden doch immer noch gerechter zu, als wie Mancher glaubt, der nur den Lauf der Welt mit oberflächlichen Blicken betrachtet. Wenn auch mein unglück- licher Vater im Elend, in der Fremde, arm und entblößt selbst vom Nölhigsten, sterben mußte, ohne seinen guten Ruf nnd seine Ebre in der Heimath wieder hergestellt zu sehen, ohne seinen Verwandten, seinen Brüdern und Schwestern und deren Kindern, seinen Eltern, die nun wohl längst im Grabe ruhen, sagen zu können: „Seht, ich bin doch ein ehr licher und guter Mensch, ick bin nicht der verlorene, auS- gestoßene Vagabund, als den Ihr mich einzig kennt" — wenn daS Alles auch nicht sein kann, so soll doch sein Andenken in der alten Heimath wieder bergestellt werden, so wahr und wahrhaftig als ich GraciaS de Melida heiße." Darauf machte er eS sich in einem Sessel bequem und lud auch seinen Gast mit einer nachlässigen Handbewegung zum Sitzen ein. Nach einer Pause begann er wieder, diesmal in einem leichteren, plaudernden Ton: „Sie können sich wohl nun denken, wie ich meine Reise in der alten Welt fortsetzen werde, und weshalb es mir so überaus angenehm ist, gleich zu Beginn meiner Sendung einen Grasen zu Kreuz zu treffen. Aber Sie werden ohne Zweifel auch neugierig darüber sein, wie ich zu meinem Reich- thum gekommen, was ich habe, und wie ich da« geworden, was ich bin? Nun — ich habe nicht nach Gold gegraben wie mein Vater und dock wuchs e« mir. In den langen, schweren Jahren, die ich mit meinen Eitern in den ungeheuren Salzsteppen der PampaS als Knbjungr, als cvv-dozc, zu- krackte, unstet und nomadenhaft, gleich den Zigeunern, das luftige von Sturm und Gewittern zerraufte Zelt al« einzigen Schutz zu Haupte», oder in den Sumpfgegenden wochenlang aus dem Rücken eine- Pferde-, wo un« der Vater Tag für Tag das lockende Sirenenlied von der alten Heimath, dem schönen unvergeßlichen und ,hm ewig unerreichbaren Vater lande vortrug, wo er mir Hunderte von Malen im Jahre da» Versprechen abnahm, reich zu werden, nach Deutsch land zu gehen zu seiner Familie und freudig zu be kennen, daß er ein ehrlicher Mann war und geblieben ist, sein Andenken in Ehren herzustellen, seinen armen Geschwistern nach allen Kräften zu Helsen — bei Alledem, Herr Graf, wurde ich ein kräftiger junger Mann, der die Pampas kannte wie vielleicht kein Zweiter, dem die fetten Weiden und der gute Boden auf Hunderte von Meilen im Umkreise geläufig waren wie seine Taschen und der auch jene Gegenden wußte, wo Salz, Sand nnd Sumpf den Boden unfruchtbar und werthloS machen. Damals gedieh in ganz Südargrntinien nicht ein einziges Weizenkorn, gab es keine Eisenbahn; aber als die Zeit kam und die Regierung diese Territorien zum Anbau freigab, vermochte ick einige Capitalisten in T . . . ., gegen Hobe Zinsen große Distrikte auf meinen Namen eintragen zu lassen. Dann fing ich an, Herr Graf, mit diesen Armen hier, sehen Sie? mit diesen Händen, die jetzt freilich auch in keinen europäischen Glace handschuh mehr hineinpasse», in einem glühenden Sonnen brand, von dem man auf Schloß Heblingen nicht die leiseste Ahnung bat, sing ich an, den Voten umzugraben, Schrill für Schritt, Acker für Acker, mit meinem Schweiße zn düngen, und zwanzig lange Jahre, Herr Graf, arbeitete ich wie ein Zuchthäusler und wenn dann einmal die begrenzten Kräfte versagten, wenn ich kalb ermattet umsank in ver Gluibbitze der Pampa«, dann rief ich, meinen Eifer stachelnd, mir selbst zu: Vorwärts! Es gilt die Ebre Deine« Vater«! Gracias vorwärts! Und ick ging vorwärt«." Er machte abermals eine Pause, nach welcher er beruhigter und den Grafen rigenrbUmlick fixirend fortsuhr: „Ick mag nickt wissen, Herr Graf, waS Sie in dieser Zeit für Jbren Vater oder für sich selbst gethan hätten; ich hoffe aber, daß Sie wenigstens Das anerkennen, was ich ge leistet habe. Und so steht e« vor Ihnen da« Resultat meiner eisernen Bemühungen: Ich komme nach Europa auf meiner eigenen Aacht, deren Bau mich mehr al« zwei Millionen Franc« kostet«, ich bab« meine eigenen Salonwagen auf der üisenbabn, ich befrachte alljährlich eine ganze Flotte mit meinem Weizen, der nach Brasilien, nach Nordamerika, nach Europa, ja feit einigen Iabren auch nack Deutschland gebt, unv virlleickt zehren dieselben Leute, die meinen Vater Mitleids- los verstießen, von meinem eigenen Weizen. Auf meinen Farmen sind medr Arbeiter und Beamte beschäftig», al« ihr ganze« Herzogtdum Soldaten hat, obgleich Sie sich in dieser Beziehung Viele« leisten. Mein« Besitzungen repräsentiren Keule einen Werth, den kein König in Europa aufzubrinaen im Stande ist — Alles, Herr Gras — Alles für meinen Vater! Und nun, Herr Graf, verstehen Sie wohl auch der
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