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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970921015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-21
- Monat1897-09
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Li» Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. di» Abend-Ausgabe Wochentags um L Uhr. Filialen: ktt* Klemm'« Lortim. (Alfred Hahn), Aniversitätssnaße 3 (Paulinmn), Laut» LSiche, Aatharinenstr. r«, pari, »ad KSoiaSvla- 7- Nr-artion und Lrve-ition: Johanne«,ass» 8. DieTrpedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. BezugS-PreiS h» d« Hauptexpedttion oder den km Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Aut« gaorstellen abgrholt: vierteljährliche4L0, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« vau« e ü.LO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: virrteliährlich e 8.—. Direkte tägliche Kreuzbandienduag in« Autland: monatlich e 7.SO. Morgen-Ausgabe. eipMtr Tag cd lall Anzeiger. ÄmtsAatt des Äömglichen Land- und Ämtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nnd Nolizei-Ämtes der Lladt Leipzig. Anzeigen-PrelS -ie ögespaltme Petitzeile ?O Psg. 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Der künftige Hafenort ist von diesem Gebiet bekanntlich durch einen sandigen, unfruchtbaren Landstrich getrennt. Für den Bau einer Eisenbahn mit Locomotivenbrtrieb hat — leider! — die englische South - Westafrica - Company ein Privileg, daS erst im Jahre 1902 abläuft. Diese Gesellschaft wollte ohne ZinSgaranlie nicht bauen und darüber, daß ihr eine solche nie mals gewährt werden würde,bat dieBudgetcommission desReichs- lagS in der letzten Tagung nicht den mindesten Zweifel gelassen. Die Colonialverwaltung schien denn auch einen Schienen weg mit Mauleselbetrieb, auf dessen Herstellung mit Privat mitteln gute Aussicht vorhanden war, für ausreichend zu halten. Nun traten vor einiger Zeit die Träger dieses Bahn- ProjecteS, die Herren Geh. RegierungSrath a. D. Schwabe und Premierlieutenant a. D. Troost, mit der Mittheilung in die Oeffentlichkeit, die Ausführung ihres Planes wäre, nachdem eine Vereinbarung mit der Colonial- abtheilung erzielt worden sei, gesichert gewesen, plötzlich aber habe diese Behörde den Beschluß gefaßt, die Bahn aus Reichs niitteln zu bauen. Letztere Behauptung ist richtig. Es ist eine Million Mark für den Zweck ausgeworfen und seit August sind rasch nach Afrika entsandte Mannschaften der Eisenbahntruppe mit der Herstellung eines Schienenweges von zunächst 80 icm Länge in der Richtung von Swakopmund nach Windhoek be schäftigt. Diese Thatsachen sind aber die einzigen festgestellten. In allem Uebrigen widersprechen sich die in der Presse ge machten Angaben. Während Herr Schwabe von einer auf Locom otiven-Betrieb eingerichteten Anlage spricht, deren In angriffnahme also eine Verständigung des Reiches mit der South-Westafrica-Company vorangegangen sein müßte, ver- muthen wenigstens Andere, daß auch die Rezierungsbahn nur für lt> ierische Fortbewegungskraft eingerichtet werde und eine nach Afrika geschaffte Lokomotive nur Zwecken des Bahnbaues diene. Ferner werden die Unterlagen der Kostenvergleichung, die Herr Schwabe anstellt, bestritten. Die Privatunternehmer wollen in der Lage und gewillt gewesen sein, eine Feldbahn in der Länge von 184 Kilometer (von Swakopmund bis Oljimbingwe) für 1,2 Millionen Mark, also 6522 für den Kilometer, herzustellen, und sic rechneten eine Dividende von 7>/r Procent heraus; daS Reich aber braucht eine Million für nur 80 Kilometer. Wichtiger noch, als dieser Punkt, ist der Widerspruch, der gegen die Angaben der Unternehmer hinsichtlich des Beginnes und der Vollendung des Baues erhoben wird. Während die Reichsbahn erst im Jahre 1900 fertig werden soll, war nach Herrn Schwabe dessen Unternehmen finanziell vollständig ge sichert, der Bau sollte alsbald begonnen und die Bahn im Jahre 1899 dem Betriebe übergeben werden können. Beides wird IbeilS bezweifelt, theils geradezu bestritten, und auf diesen Widerspruch baut sich die officiöse Vertheidigung des Vergehens der Regierung auf. Die Rinderpest, so wird ge sagt, drohte daS einzige bisher vorhandene Transportmittel I und damit die regelmäßige Verbindung deS Schutzgebietes I mit der Küste zu beseitigen. Es habe gegolten, Schwierig- I leiten in der Verproviantirung der Schutztruppe wie der Ansiedler, sowie Unruhen unter den HereroS so rasch als möglich vorzubeugen. WaS für eine Bahn gebaut werden wird, ob eine für Locomotiv- oder eine solche mit Mauleselbetrieb, verrathen die Osficiösen nicht. Ebenso schweigen sie darüber, ob die 80 Kilometer der Negierung früher hergestellt sein werden als die 184 der Privaten. Auf letzteren Punkt kommt aber Alles an, wenn man daS Eingreifen der Regierung als ein durch einen Nothstand verursachtes entschuldigen will. Einer Entschuldigung bedarf dasselbe, La im Etatsgesetz nicht nur Mittel für de» afrikanischen Bahnbau nicht auSgeworfen sind, sondern auch die Abneigung des Reichstages, während der Dauer deS Privilegs der englischen Gesellschaft irgend welche Lasten für dieses Unternehmen auf das Reich zu übernehmen, der Regierung deutlich zu erkennen gegeben worden war. Die Absicht, die Herr Richter verfolgt, wenn er über den „Bruch des Etatsrechts" einen gewaltigen Lärm erhebt, ist zu durchsichtig, als daß Colonialfreunde, die Bedenken gegen den Schritt der Regierung geltend machen, in den Vercacht gerathen könnten, unter dem Banne der freisinnigen Nur oppositionellen zu stehen. Der Bedenken aber kann man sich nicht erwehren, auch dann nicht, wenn man keinen Augen blick bezweifelt, daß die Negierung in der nächsten Tagung mit einem Indemnitäts-Gesuch an den Reichstag herantreten werde. Daß der außerhalb des Gesetzes vor sich gehende Bahnbau das einzige sich darbietende Mittel gewesen sei, den Einwirkungen der Rinderpest auf die Verkehrsverhältnisse zu begegnen, wird vorerst nur behauptet, nicht bewiesen. Ein Umstand spricht sogar gegen das Vorhandensein eines Nothstandes, dem nur so, w:e die Regierung es gethan, entgegengetreten werden konnte. Wenn man sich materiell vollkommen befugt zu einer formalen Rechtsverletzung gefühlt hätte, so würde man Wohl keinen Anstand nehmen zu müssen geglaubt haben,im „Reichsanzeiger"zuverkünden: „So und so haben sich die Dinge in Deutsch-Südwestafri'a gestaltet. Wir müssen sofort bauen, wenn anders wir die Gefahr deS Unterganges der Colonie nicht heraufbeschwören wollen." Statt dieses glatten Verfahrens ist ein heimliches Vorgehen beliebt worden, so daß die Oeffentlichkeit durch Private von der Verwendung nicht bewilligter Gelder Kenntniß erlangen mußte. Angesichts dieses Verlaufes sehen wir uns außer Stande, die Bemängelung der Verletzung des EtatSgesetzeö gleich mancher andern Zeitung mit Witzen abzuthun. Von einer bloßen Etatsüberschreitung, wie ein Officiöscrglauben machen möchte, kann keine Rede sein. Der Ausdruck ist nur statt haft, wo über die für ein Object genehmigten Ausgaben hinaus gegangen worden ist. Für westafrikanische Bahnbauten ist aber überhaupt nichts bewilligt worden. Im Gegentbeil richtet sich das Unternehmen direkt gegen eine Willenskund gebung des wichtigsten Reichstags-Ausschusses. Die Annahme, daß dies eine „Vorübung" sein solle, wollen wir vorerst ab lehnen, jedenfalls aber ist daSZuwiderhandeln der Negierung gegen das Gesetz eine ernste Sache und um so mehr zu bedauern, wenn cs, wie im vorliegenden Falle, den Gegnern der Colonial politik zu ihrem sonstigen oppositionellen Material noch kon stitutionelle Handhaben liefert. In dieser Erwägung sehen wir mit Genugthuung, daß die „Nationalliberale Corre- spondenz", die anfänglich die Verausgabung nickt bewilligter Gelder für die afrikanische Bahn unbedenklich billigen zu wollen schien, nunmehr kritisch zu werden beginnt. Sie kleidet den Ausdruck ihres Befremdens in die Form eines Vergleiches der Haltung der Regierung zu dem Ueberschwemmungsnothstand in der Heimath und zu der Rinderpest in Afrika. DaS ist eine sehr glücklich gewählte Gegenüberstellung, denn sie ist der in diesen Dingen zunächst verantwortlichen Persönlichkeit, dem Finanzminister und Vicepräsidenten des preußischen Staatsministeriums, aus den Leib zugeschnitten. Selbstverständlich sind die Gelder für die Colonialeisenbabn nicht ohne die Zustimmung des Herrn v. Miguel ausgeworfen worden. Daß diesem Minister daS schlesische Hemd näher liegen sollte als der südwestafrika- niscke Rock, wird jeder Colonialfreund und selbst jeder „Colonialschwärmer" ohne Besinnen einräumen. Wenn Herr v. Miquel, der zum Mindesten kein Colo nialschwärmer ist, die außeretatSmäßigen Ausgaben für Afrika billigt, während er gegenüber dem durch die Wassersnoth verursachten heimischen Nolbstande eine ärgernißerregende Zu rückhaltung beobachtet, so nährt er die Vermuthung, daß ter Bahnbau von Swakopmund mehr dem eigenen Triebe als der Noth gehorchend befohlen worden ist. Deutsches Reich. 52 Berlin, 20. September. Der „Reichsbote" ist un zufrieden mit der Wahl Dresdens zum Versammlungs orte für den angekündigten konservativen Parteitag. Sein Grund ist nicht uninteressant: „Der Schwerpunkt der konservativen Partei liegt doch in Preußen, und deshalb dürften wohl Viele der Meinung sein, daß auch der Parteitag in einer preußischen Stadt hätte abgehaltcn werden sollen, um gerate hier die so nöthige (soll heißen: die gerade hier so nölhige) neue Anregung zur Stärkung der konservativen Partei zu geben." Eine gute Seite findet der „Reichsbote" übrigens an der Zusammenkunft auf sächsischem Boden: „Die Bethciligung der bürgerlichen Kreise (an den konservativen Be strebungen) ist gerade die Stärke der konservativen Partei ini Königreich Sachsen, und auch in den anderen Ländern, ins besondere auch in Preußen, muß die konservative Partei darauf aus sein, die bürgerlichen Elemente immer mehr heranzuziehen." Schön. Und wenn es mit Worten ginge, würde die konservative Partei in Preußen nach dem Wunsche des „Reicksboten" als eine „die Interessen aller VolkSclassen pflegende" und nicht als „eine einseitige Jnteressen- und Adelspartei" mit nur auf „absolutistische Reaktion" gerichteten Gedanken angesehen werden. Jener Tugend und des Freiseins von diesen Mängeln berühmt sich das Gros der konservativen Parteipresse in Preußen unaufhörlich Aber von anderen gleichfalls konservativen Zeugnissen abgesehen, der „Reichsbote" selbst hat in den letzten Jahren, ja letzten Wochen und Tagen die Berliner Parteileitung so oft wegen ihrer einseitigen Interessen- und Standespolitik vermahnt, daß man ihm zwar glauben darf, er zeichne eine konservative preußische Partei, wie er sie wünscht, nicht aber, wie sie auch nach seiner Erfahrung ist. 6. H. Berlin, 20. September. In zwei großen Versamm lungen der Metallarbeiter wird heute die Entscheidung darüber fallen, ob eS zu einem Streik kommt, in den die ganze Metallindustrie Berlins hineingezogen wird. Die Tagesordnung beider Versammlungen lautet: „Der Streik der Former der Firma A. Borsig, die hierdurch veranlaßte Aussperrung der gesammlen Eisenformer durch die Industriellen und die Stellung der gesammten Metallarbeiter hierzu". Es würde wohl der frivolste Streik sein, den socialdemokratischer Hochmuth jemals vom Zaune gebrochen bat; die Erklärung der Firma A. Borsig zeigt, von welcher Ueberhebung ge ¬ wisse socialdemokratische gewerkschaftliche Organisationen erfüllt sind. Ein Tagesverdienst von 7 Mark bei zehnstündiger Arbeitszeit ist den Formern noch nicht genug gewesen; sic >aben sich angemaßt, zu bestimmen, welche Löhne für gewisse Akkordarbeiten bezahlt werden sollen. Das Unerhörte aber ist, daß die Former der Firma A. Borsig verlangen, cS dürsten in keiner Fabrik Arbeiten für die genannte Firma an gefertigt werden. Wollten sich die Arbeitgeber in dieser Beziehung Len Streikenden einer fremden Fabrik gegenüber nachsichtig zeigen, so hätten sie ihre Rolle für immer auS gespielt. Die Berliner Metallindustriellen werden denn auch geschlossener als je zusammenstehen. Es mögen im ganzen deutschen Reiche 45 000 Metallarbeiter socialdemokratisch organisirt sein; jeder von ihnen soll die Woche mindestens 50 zum Streikfonds zahlen; das ergiebt eine ganz nette Summe. Wenn aber die Berliner Metallindustriellen zum äußersten Mittel greifen und ihre Fabriken schließen, o sind viele Tausende von Arbeitern auf die Straße ;esetzt. Die Beiträge zum Streikfonds bilden dann nur einen Tropfen auf einen heißen Stein. Die gesammte Social demokratie hat die 12 000 Hamburger Hafenarbeiter nicht aber Wasser halten können und wird mithin auch nicht annähernd in der Lage sein, die durch die Schließung der Fabriken der Berliner Metallindustriellen brodloS gewordenen Arbeiter vor dem Elend zu bewahren. Es ist ja bekannt, daß die meisten gewerkschaftlichen Cassen leer sind nnd daß vom AuSlande nur geringe Hilfe zu erwarten ist. In dem langen und hartnäckigen Kampfe haben sich die dänischen Metall arbeiter, welche die beste Organisation und im Vergleich zur Mitglicderzahl die gefülltesten Cassen batten, finanziell voll- tändig verblutet. Die englischen sind nahe daran, und in Berlin würde eS ganz ebenso geschehen. * Berlin, 20. September. Dem national socialen Delegirten tage wird, wie die „Zeit" mittheilt, folgender Antrag unterbreitet werden: „Die Endesunterzeichneten beantragen, baß der nationalsociale Vertretertag die nachfolgende Resolut io n beschließe: Resolution. Nachdem der nationatiociale Verein seit seinem Bestehen und be sonders durch die einmüthige ideelle und materielle Unterstützung der Hamburger Streikenden keinen Zweifel darüber gelassen hat, daß er für die Emporentwickelung der arbeitenden Bevölkerung rücksichtslos eintritt, erklären die zum nationaljocialen Vertretertag versammelten Delegirten ausdrücklich, daß aus unserem Eintreten für die Arbeiterbewegung keine Billigung socialdemokratischer Tendenzen zu folgern ist. Unter allen Um ständen lehnen wir daS wirthschastliche Ziel der Socialdcmo- kratie, die „Vergesellschaftung der Produktionsmittel", als Gegen stand politischer Aufgabe und Verhandlung ab, und ebenso wenig hat unsere monarchische und nationale Gesinnung mit dem Republikanismus und Internationalismus der Socialdemokratie etwas gemein. Wir erstreben die Emporentwickelung der arbeiten- den Bevölkerung auf dem Boden der bestehenden Gesellschastsord- nung und zum Heil des deutschen Reiches. In diesem Streben treten wir allen reaktionären, auf Minderung der Volksrechte ge- richteten Bestrebungen der konservativen und einer andern Partei mit Entschiedenheit entgegen. Wir erklären aber, daß wir das Eigentümliche und Richtunggebende unserer Bewegung nicht in der Bekämpfung der konservativen oder sonst einer national gesinnten Partei, sondern in der Be kämpfung der Socialdemokratie erblicken. Und zwar darum, weil wir in der socialdemokratischen Partei heutzutage das größte Hinderniß für die Arbeiterbewegung sehen. Die Bekämpfung der Socialdeinokrati« ist Pflicht im Interesse des Arbeiterslandes — nur auf dem Boden und unter dem Feld zeichen eines mächtig ausblühenden Nationalstaates wird die Arbeiterbewegung zu ihrem Ziele gelangen — und ebenso im Der Haushalt der Nerven. Nachdruck verboten. Nun sind in allen Berufszweigen die Ferien am Ende. In Kanzlei und Comptoir, in Schulstube und Fabrik beginnt nun wieder die unerbittliche, nagende Tagesarbeit, die, wie das Meer an gewissen Küsten mit jeder Flulbwellc ein Stück Land wegschwemmt, so mit jedem Tage von unserer Kraft etwa« hinwegspült. Und bis zu den nächsten Ferien ist eS so lange! Da beißt eS dann von Anfang an seine Kräfte richtig organisiren und verständig über sie Rechnung kalten. Ist unser Zeitalter überhaupt so kaufmännisch ge worden, so mag eS denn auch über die Angelegenheiten deS Körpers recht praktisch-kaufmännisch Buch führen. Schlagen wir einmal die Geschäftsbücher unserer großen Lebensspender und Quälgeister, der Nerven, nach. * * * Jeder Mensch bringt eine gewisse Summe von Nerven kraft mit sich zur Welt, ein Capital, das er von Eltern und Borvätern ererbt hat, und mit diesem Capital muß er sein ganzes Leben lang Haus halten. Durch verständige Spar samkeit kann eS vermehrt werden, aber cS kann auch ver ringert oder ganz vergeudet werden. Wer von seiner Nerven kraft mehr auSgiebt, als er einnimmt, der befindet sich bereits auf schiefer Bahn, und wer damit fortfährt, wird zuletzt bankerott, und wenn er selbst ursprünglich vielfacher Mil lionair war. Der wichtigste Einnahmeposten im Haushalte der Nerven ist der Schlaf. Haben wir gut geschlafen, so können wir einen Posten im „Haben" des Nervencontos eintragen: die Nerven haben die Elasticität wiedergewonnen, die sie eingebüßt hatten, als wir ermüdet zu Bttt gingen. So lange wir gut zu schlafen im Stande sind, stehen unsere Nervrn- actien hoch. Unglücklicherweise wird der Schlaf von vielen Menschen als eine Unannehmlichkeit betrachtet, die man am liebsten so lange als möglich von sich fern hält. Wenigstens gewinnt eS diesen Anschein, da die Meisten ihre Arbeiten, Mahlzeiten und Vergnügungen so spät hinauSziehen, daß sie der Schlaf zeit großen Abbruch thun, und so entsteht das große Deficit im Hauptbuche der Nerven. In dem fieberhaften modernen Streben, Geld zu verdienen, und in der maßlosen Genuß sucht unserer Zeit werken alle möglichen Mittel ergriffen, um die Wechsel zu „prolongiren", die man auf Arbeit und Genuß ziehen will. Zum Glück ist der Schlaf nicht das einzige — wenn auch daS beste — Mittel, die Elasticität der Nerven zu er hallen. Da giebt es nämlich noch etwas, das sich Erholung nennt, — ein Stadium zwischen Arbeit und Schlaf. Aber diese Sache verdient eine nähere Betrachtung. Warum findet z. B. der, der das ganze Jahr lang an gestrengt gearbeitet hat, in seinen drei- oder vierwöckentlicheu Ferien nickt die erwartete Erholung? Weil der Ucbergang von der Arbeit zur Ruhe und wieder umgekehrt zu schroff ist. Gerade bevor man seine Ferien antrete» soll, häuft man ost eine ganze Masse Arbeit zusammen, die man erst „herunter" haben will, und so tritt man dann todtmüde in die Ruhe «in. DaS ist niemals gut. Eben so wenig ist es für die Nerven gut, daß man zu jäh vom vollständigen Müßiggang zu angestrengter Arbeit übergeht. ES mag ja sein, daß die Verhältnisse es oft unmöglich machen, diesen jähen Uebergang zu vermeiden; kann er aber vermieden werden und man unterläßt eS, so bekommt man ein böses Conto auf der Debetseite. Zeigt sich die moderne Erbolungsmetbode mit längeren jährlichen Ferien für den Bedarf als unzureichend, so muß man seine Zuflucht immer wieder zu dem alten: „Sech- Tage sollst Du arbeiten, aber am siebenten ruhen" nehmen. Eben diese oft wiederkehrende Ruhe und Erquickung ist eS, waS die Menschen gebrauchen, um ihr Nervensystem zu stärken und den Kräfteverbrauch zu ersetzen. 3 bis 4 Wochen un unterbrochener Erholung kommen gegen die Ruhe von 52 Sonntagen nicht auf. In den sechs Tagen einer Woche braucht man sich bei verständiger Arbeit nicht mehr anzu strengen, als man auszuhalten vermag, und während des einen Ruhetages kommt man nicht aus dem Geleise der täglichen Arbeit heraus, WaS von großer Bedeutung ist. Denn oft erfordert eS nach längeren Ruhepausen ebenso große An strengungen, von Neuem in die Arbeit hineinznkommen, wie sie ohne Unterbrechung fortzusctzen. Soll aber der Ruhetag im Haushalte der Nerven einen Einnahmeposten bedeuten, so muß man darauf achten, womit man ihn auSfüllt. Unzweifelbast besteht im Haushalte der Nerven ein Bedürfniß nach Belebung und Zerstreuung; aber das Belebende darf nicht erregend und die Zerstreuung nicht angrrisrnd sein; sonst geräth der »erhoffte Einnahmeposten unversehens aus die Debetseite. Wie wir also gesehen haben, sind Schlaf und Erholung die wirksamsten Mittel, um unser Nervensystem in seiner vollen Kraft zu erhalten. Aber e« giebt noch »in dritte« Mittel, um es zu stärken, und das heißt Uebung. „Hebung macht den Meister", wissen wir ja Alle, und die Einübungs fähigkeit ist eine wunderbare Einrichtung der Natur. Mit jeder Wiederholung wird die Arbeit leichter, und schließlich gewinnen wir eine Fertigkeit, die wir uns vielleicht selbst nicht haben vorslellen können. Durch Arbeit werden nicht nur die Muskeln gekräftigt, sondern auch die feineren Nerven ungemein gestärkt. Sogar die seelischen Kräfte können durch Uebung in erheblichem Grade vermehrt werden. Aber hier, wie überall, giebt es gewisse Gesetze, die respectirt werden müssen, soll das Mittel nach seiner Be stimmung wirken. Man darf das Ermüdungsgefühl nicht unbeachtet lassen, das die Natur uns als ein Zeichen dafür gegeben hat, daß innegehalten werden muß. -I« Woher kommt es, daß in unseren Tagen so viel mehr Nervenleiden auftreten, als vordem? Unsere Vorväter durch wachten ja auch so manche Nacht und arbeiteten gerade genug. Sind die Menschen heut anders beschaffen? Ist das ganze Geschlecht leiblich und geistig schwächer? Auf diese Fragen muß die Antwort ein bestimmtes N e i n sein. Aber die Verhältnisse liegen heute ganz anders wie früher. Die außerordentliche Anhäufung von Menschen in den großen Städten, die erleichterten Verbindungen, durch die sich die brausenden Wogen des Großstadtlebens weit umher verbreiten, der riesige Verkehr, der nokhwendig ist, damit all diese Massen und Menschen überhaupt existiren können, — kurz: Alles, WaS die Zeit eben mit sich bringt, überführt große Summen in den Geschäftsbüchern der Nerven auf die Debetseite; die Ausgaben übersteigen die Einnahmen und die Bilanz ergiebt ost einen vollständigen Ruin. Die Verbindungen unter den Menschen sind in der neueren Zeit vervielfacht worden. DaS Geistesleben deS Einzelnen hat sich völlig verändert. In Allem herrscht jetzt Viel fältigkeit: in der Lcctüre, im Vergnügen, in der Arbeit, in den Interessen. Und diese Vielfältigkeit zersplittert zum Theil unsere Kräfte, zum Tbeil überanstrengt oder erschlafft sie sie. Früher konnte man sich eine Sache vornehmen und ihr sein ganzes Leben widmen. Nun muß man bei Allem mit dabei sein» ober man bleibt schließlich sozusagen draußen im Dunkeln steben, während die Anderen sich in den glänzend erleuchteten Sälen im Schlosse vergnügen. Giebt cs da keinen Rath ? Muß die Menschheit an purer Nervenschwäche untergeben? Wir können die Zeit nicht zurückschrauben, nicht die Menschenmenge vermindern, nicht unser« Städte nirderreißen und unsere Verbindungen zerstören. Aber wir können unsere Aufmerksamkeit darauf gerichtet halten, unsere Nerven zu schonen und unseren inneren Menschen zu stärken. Wir können unS darüber belehren, was ein Mensch an Arbeit, Vergnügen, Speise und Trank verträgt, und wir können ver suchen, uns in diesen Grenzen zu halten. Gewiß können die Verhältnisse derartig sein, daß diese Grenzen bisweilen überschritten werden müssen; aber eben da müssen wir uns erinnern, daß es auch im Hausbalte der Nerven Debet und Credit giebt, und daß, wenn man eine Summe auf das eine Conto schreibt, die entsprechende Summe auf dem anderen nicht fehlen darf. Hat angestrengte Arbeit einen starken Griff in die Casse veranlaßt, so muß man nach Ruhe suchen, die Len Verbrauch ersetzen kann. Aber dabei muß man verstehen lernen, WaS wnkllches Soll und was wirkliches Haben ist. DaS ist keine Ruhe, nach anstrengender Arbeit die ganze Nacht auf dem Balle, am Spieltische oder beim Biere zuzubringen. Auch darf man im Gesckäftsbuche der Nerven keine Einnahme eintragen, wenn man bei einer späten Mahlzeit so viel Speise und Trank zu sich nimmt, wie sonst für einen ganzen Tag genügen würde. Es kommt vor, daß bas Vergnügen größere Posten auf der Debetseite giebt, als die vorausgegangene Arbeit. Gestatten cS die Verhältnisse nicht immer, daß man mit dem Capitale seiner Nervenkraft so gut HanS hält, als wünschenswerth wäre, so kann man doch mit Sicherheit sagen, daß der größte Theil der Menschen ohne Notbwendig- keit zu schlecht mit ihnen umgeht. Jeder sollte mindestens daraus achten, daß er tbut, waS in seiner Macht steht, um sein Nervencapital zu erhalten. Es haben ja Reformatoren und Utopisten weitauSgchende Vorschläge zur Umgestaltung aller unserer LebenSbcdingungen gemacht, und Björnstjerne Björnson z. B. bat vorgeschlagen, daß unser ganzes activcS Leben sich in Zukunft nur, während die Sonne scheint, voll ziehen solle. DaS würde denn freilich in der kaufmännischen Buchführung der Nerven eine völlige Umwälzung bedeuten; aber der allgemeine Geschäftsbetrieb schließt diese Umwälzung aus —, und fügen wir hinzu, sie ist auch gar nicht nölbig, wenn nur ein Jeder dafür sorgt, daß das heute besonders belastete Conto der Nerven verständig geführt wird. Ein solches böses Conto hat nämlich jede Zeit: im Mittelalter war «S daS KriegSconto, hent ist es der Haushalt der Nerven. Darin liegt also an sich nichts Gefährliches, wenn nur die Menschen in einem Jahrtausend besser Buch führen gelernt haben. vr. LI. k.
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