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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970928012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897092801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897092801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-28
- Monat1897-09
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Als dieser Beschluß 1889 im norddeutschen Reichstage durchging, waren die Regierungen und Staatsminister Delbrück davon vollkommen überrascht, in ihren Vorlagen war von der Freigabe de« CurirenS kein Wort enthalten. Ein Mißgriff der „Berliner Mevicinischen Gesellschaft" hatte den verhängnißvollen Be schluß veranlaßt; um den vorgeschriebenen Zwang zur Hilfe- leistung loS zu werden, der den Aerzten manchmal lästig wurde, batte sie die Freigabe deS CurireaS beantragt, und ihr Ansehen erwies sich als durchschlagend. Seitdem ist fast ein Menschenalter in- Land gegangen und hat die schlimmen Folgen dieser Bestimmung für daS Gemeinwohl und den ärztlichen Stand grell gezeigt. Die Curpfuscherei ist mehr und mehr in die Halme geschossen und tritt mit der größten Dreistigkeit und Anmaßung auf; sie schädigt den Einzelnen durch den Mangel an ärztlichem Wissen und Können, die Allgemeinheit, indem sie, unfähig zur Erkennung ansteckender Krankheiten, ihre Verschleppung begünstigt, rechtzeitige, sachgemäße Behandlung aufhält oder verhindert. Auch die Krankencaffen, die sich mit Curpfuschern in Verbindung gesetzt haben, werden schwer geschädigt, nicht zuletzt materiell, wie erst jüngst auS den Klagen sächsischer Krankencaffen über die enormen Kosten der Behandlung seitens sogen. „Naturheilkünstler" hervorging. Schwer geschädigt wurde auch durch diesen „unlauteren Wettbewerb" der ärztliche Stand in Deutschland, dem ohne hin zur Durchführung der socialen Gesetzgebung große Opfer auferlegt wurden. Da« Ansehen der Aerzte litt, weil da« Publicum vielfach wähnte, der Curpfuscher stehe dem Arzte gesetzlich gleich, seine Thätigkeit wurde eingeengt und die Ge fahr eines ärztlichen Proletariats nahcgelcgt. Vielleicht wären diese Schäden längst beseitigt, wenn die Aerzte fester organisirt und im Reichstage stärker vertreten wären, wo daS juristische Element allzu stark überwiegt. Es spricht für die innere sittliche und geistige Kraft de« deutschen Aerzte- standeS, daß er trotz aller Bedrängnisse sich mit verschwin denden Ausnahmen makellos erhalten hat. Die deutschen Aerzte stehen wissenschaftlich an der Spitze ihrer Collegen in allen Culturvölkero, sie sind zugleich an Zahl genug und übergenug, um einen Mangel an Aerzten nirgends in Deutsch land aufkommen zu lassen. Es ist charakteristisch für den Umschlag der Stimmung, daß dieselbe Berliner „Medicinische Gesellschaft", die den Anlaß zur Curirsreiheit gab, vor einigen Jahren trotz der Autorität ihres Vorsitzenden Rudolf Virchow einen Antrag ans Verbot der Curpfuscherei aunabm, und daß kürzlich der 25. Deutsche Aerztetag in Eisenach sich mit ganz überwältigender Mehrheit (die Zustimmenden vertraten mehr al« 12 VOV deutsche Aerzte, die Gegner einige Hundert) für das Ausscheiden aus der Gewerbeordnung und für das Verbot der Curpfuscherei au-sprach. Die angenommenen Beschlüsse besagen: „Die Freigabe der Ausübung der Heilkunde bat da« öffentliche Wohl direct und indirect und das Ansehen der Aerzte schwer geschädigt. Die Voraussetzungen, unter denen die Ausübung der Heil kunde durch die Reichsgewerbeordnung freigegeben wurde, haben sich nicht erfüllt, weil die Unterscheidung zwischen Arzt und Curpfuscher vom Volke nicht verstanden wird, weil die Curpfuscherei an Umfang erheblich zugenommen hat, weil di« Bestrafung der Curpfuscherei für angestisteten Schaden nur selten erfolgt. Die Curpfuscherei, die im Umherziehen vom Reichstage (Gesetz vom 1. Juli 1883) schon wieder verboten wurde, ist wieder unter Strafe zu stellen. Die Ausübung der Heilkunde ist den Bestimmungen der Reichs gewerbeordnung zu entziehen und durch eine deutsche Aerzte- ordnung zu regeln." Mit Recht wurde bei den Verhandlungen des Aerztetages, über die in unserm Blatte berichtet worden ist, hervorgehoben, daß gegenwärtig vor Gericht der Arzt dem Curpfuscher gegen über im Nachtheil ist, weil diesem vielfach seine Unkenntniß der Krankheiten als Milderungsgrund zu Gute gehalten wird, während der Arzt wegen Kunstfehlcrs streng bestraft wird. Aber eine Seite der Curirsreiheit, die unseres Er achtens auch stark ins Gewicht fällt, ist bisher kaum gestreift worden: die Lage in den Nachbarstaaten. Kein einziger Culturstaat unseres ContinenkS, weder Frankreich, noch Oester reich-Ungarn, noch Rußland, noch Italien, noch Holland, noch Belgien rc. hat die Ausübung der Heilkunde jedem Cur pfuscher freigegeben; in Frankreich z. B. sind die Bestimmungen gegen Curpfuscherei noch neuerdings verschärft worden. Nicht einmal ein ausländischer Arzt bat das Recht, in Frankreich oder Oesterreich, ja selbst in Südamerika zu prakticiren, ohne sich den dortigen Prüfungen unterzogen zu haben. Dagegen ist bei unserer Curirsreiheit jeder ausländische Arzt zur Aus übung der Heilkunde berechtigt, also die deutschen Aerzte sind auch in internationaler Hinsicht schwer benachtheiligt. Aber wird nicht unter Umständen auch ein selbstloser Idealist, ein „geborenes ärztliches Genie" unter dem Verbot der Curpfuscherei zu leiden haben? Einmal sind solche Ge stalten verschwindende Ausnahmen, denn die Curpfuscherei ist zumeist ein unredliches Gewerbe, weil der Curpfuscher Kennt nisse vorspiegelt, an die er selbst nicht glauben kann; dann aber giebt es sicherlich auch hin und wieder Personen, die vielleicht „geborene" theologische oder militairische oder Lebr oder VerwaltungS-GenieS sind, und dennoch denkt Niemand an die Freigabe der Pfarr-, Osficier-, Richter-, NechtSn anwalts-, Lehrer- oder Beamten-Stellunqen ohne NrchweiS der erforderlichen Vorbildung und der abgelegten Prüfungen. Der Staat kann eben nur das Durchschnittliche, Normale in Betracht ziehen. Hat aber solch ein „Genie" sich die nöthigen Kenntnisse erworben und durch die vorgeschriebenen Prüfungen nachgewiesen, so steht ja seiner Wirksamkeit nichts im Wege; wir erinnern uns z. B. mit großem Vergnügen eines grau haarigen Missionars auS Südafrika, der trotz seines ÄlterS in Berlin noch Medicin studirte und mit Ehre die Prüfungen bestand. Um begabteren Elementen, die sich technische Fertig keiten anzeeignet baden, die Existenz zu sichern, genügt die Prüfung als Heilgehilfe. Auch eine UebergangSzeit zur Aus gleichung der mannigfachen materiellen Veränderungen, welche mit dem Verbot der Curpfuscherei verknüpft wären, würde Wohl angebracht sein. Die gegenwärtigen Mißstände haben auch die Aufmerk samkeit der deutschen Regierungen auf sich gezogen. Vor Kurzem hat die preußische Regierung der wissenschaftlichen Deputation für daS Medicinalwesen und den Aerzlekammern die Frage vorgrlegt, ob daS Ausscheiden der Aerzte auS der Gewerbeordnung wünschenSivertb sei, und die Antworten i lauteten nahezu einstimmig bejahend. Auch die neuen Aerzte- I Ordnungen, mit denen Sachsen vorangegangen ist, während! Preußen und Bayern sie vorbereiten, müssen diese wichtige Frage in Fluß bringen. In Eisenach selber versicherte der Vertreter der weimariscken Regierung dem Aerztetag deren Zustimmung zu den gefaßten Beschlüßen. An der Geneigt heit der ausschlaggebenden deutschen Regierungen und des Bnndesraths, die Aerzte aus der Gewerbeordnung herauszunehmen, ist kaum zu zweifeln; im Reichstage, wo unter den Abgeordneten nicht wenige medicinische Sectirer sind, sind eher Schwierigkeiten zu erwarten, doch auch hier ist wohl auf eine Mehrheit für diese Abänderung der Gewerbeordnung zu rechnen, namentlich bei der starken Vor liebe für ständische Gliederung bei den Conservativen und dem Centrum. Jedenfalls werden diese Fragen in abseh barer Zeit vor das Forum der deutschen Gesetzgebung kommen Im Interesse des Volkswohls, der Aufklärung und Humanität, der Kräftigung des hochwichtigen, ehrenhaften und pflichttreuen deutschen AerrtestandeS wäre dann eine Entscheidung im Sinne der Eisenacher Beschlüsse aufs Dringendste zu wünschen. Freilich, ganz verschwinden wird die Curpfuscherei nie, so lange eS unheilbare Krankheiten und eingebildete Kranke, menschliche Einfalt rind Leicht gläubigkeit, Unbildung und Halbbildung auf der einen, Dünkel und Charlatanerie auf der andern Seite giebt, aber eingedämmt und in dunkle Schlupfwinkel mit ihrem licht scheuen Treiben verwiesen kann sie werden, und auch das muß gegenüber den heutigen Zuständen als ein erheblicher Fortschritt gelten. National-socialer Parteitag. Unberechtigter Nachdruck »erboten. ?. Erfurt, 27. September. Der national-sociale Parteitag wurde beute Bormittag im „Kaiserjaal" in Anwesenheit von etwa 150 Delegirten von dem Pastor a. D. Göhrc-Leipziq mit einem Hoch auf den Kaiser eröffnet. Aus Vorschlag des Pastors Göhre wurden darnach Professor I)r. Gregory-Leipzig zum ersten, Litho graph Tischendörsrr - Berlin zum zweiten und Fabrikant Bindewald-Friedberg (Hessen) zum dritten Vorsitzenden gewählt. Pfarrer Naumann ist krankheitshalber vorläufig noch nicht erschienen. Ten ersten Gegenstand der Tagesordnung bildete: Da« all gemeine Wahlrecht. Der Referent, Geh. Hosrath Professor vr. Sohm-Leipzig, äußerte sich ungefähr folgendermaßen: Das allgemeine Wahlrecht oder besser das gleiche allgemeine Wahlrecht ist in Gefahr (?), das dürfen wir uns nicht verhehlen. Die große Mehrzahl der gebildeten und maßgebenden Kreise sind Gegner Les all- gemeinen Wahlrechts. Wir sind daher genöthigt, soweit es in unseren Kräften steht, die ideelle Berechtigung des allgemeinen Wahlrechts nachzuweisen. Das allgemeine Wahlrecht wurde das erste Mal von dem sogenannten Frankfurter Runipfparlament gefordert. Damals war die Rechte dagegen. Im Norddeutschen Reichstage 1867 war es in erster Reihe Miquel, damals Oberbürgermeister von Osnabrück, heute Bicepräsident des preußischen Staatsministeriums und Finanzminister, der mit großer Entschiedenheit für das allgemeine Wahlrecht eintrat. (Heiterkeit.) Neben diesem trat mit eben solch großer Entschiedenheit der Geh. Regierungsrath Hermann Wagner für das allgemeine Wahlrecht ein. Der entschie denste Befürworter des allgemeinen Wahlrechts war aber Fürst Bismarck. Darum Heil ihm. (Lebhafter Beifall.) Tie besitzenden Classen waren damals aus Anlaß der Heeresorganisativnssrage anti monarchisch. Fürst BiSmarck, der zweifellos von Ferdinand Lassalle auf die Nothwendigkeit des allgemeinen Wahlrechts aufmerksam gemacht wurde, ging von der Ansicht aus, daß die Masse monarchisch, gesund und königstreu gesinnt ist. Von diesem Gedanken ist der Schöpfer des deutschen Reiches und des allgemeinen Wahl rechts jedensalls ausgegangen. Tas Ergebniß des allgemeinen Wahlrechts ist aber das Centmin aus der einen Sette und die Socia ldemokralir auf der anderen Seite, zwei Parteien, die man doch nicht gerade als monarchisch bezeichnen kann. Die Social demokraten sind demokratisch und da- Eentrum hat gewissermaßen einen auswärtigen Sonverain. Es wird außerdem eingewendet, Laß die Pflichten und die geistige Befähigung verschieden seien. Allein trotzdem kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das allgemeine Wahlrecht die einzig mögliche, die einzig gerechte Grundlage für das deutsche Staatswesen bildet. Ich halte das allgemeine Wahl recht keineswegs für ein Naturrecht, das für alle Zeiten und für alle Völker gefordert werden müsse. Ich halte es aber für un erläßlich für das deutsche Volk. Tie bürgerliche Gesellschaft ist in diesem Jahrhundert an Stelle des Adels getreten, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist es aber mit der alleinigen Herrschaft der bürgerlichen Gesellschaft vorüber. Seit dieser Zeit nimmt der Arbeiterstand hervorragenden Antbeil am öffentlichen Leben. Tie bürgerliche Gesellschaft muß dem Arbeiterstande ihr Ohr öffnen, sonst wehe ihr. (Zustimmung.) Ter Arbeiterstond tritt allerdings der bürgerlichen Gesellschaft unter dem Feldzeichen der Socialdemokratie gegenüber. Allein so viel man auch gegen die Socialdemokratie einzuwenden haben mag — ich habe sehr viel gegen die Social demokratie einznwenden —, das Auftreten der Socialdemokratie bedeutet zweifellos die politische Macht des Arbeiterstander. Diese Thatiache beweist, daß die Gesellschaft demokratisch geworden ist. Die Grundlage hierfür hat die allgemeine Schulpflicht und die allgemein« Wehrpflicht geschaffen. Durch die allgemeine Schulpflicht ist ausgesprochen, daß die Bildung nicht blos sür die Besitzenden da ist, sondern Laß dem ganzen Volke dtejBildung zugänglich sein soll. Deshalb ist das ganze Volk zur Antheilnahme an der Herrschaft berufen. Ich befürworte damit nicht die Herr schaft des Parlaments, weil dadurch eine Parteiregierung geschaffen weiden würde. Das Volk soll nur Antheil an der Herrschaft nehmen, die Herrschaft selbst hat der Monarch auszuüben. Tas allgemeine Wahlrecht bildrt daher das stärkste Fundament für das Königthum. Wer das Königthum stärken will, muß für Erhaltung deS allgemeinen Wahlrechts eintreten. Bis zum Jahre 1850 genügte das Dreiclassenwahlsystem. BiS dahin stand die Maste hinter dem bürgerlichen Liberalismus. Damals fühlten sich die Massen von dem bürgerlichen Liberalismus vertreten. Seit dieser Zeit ist das vollständig anders geworden. Tie Arbeiter fühlen stch durch die besitzenden Elasten nicht mehr vertreten. Ter Staat ist aber genöthigt, die Inter,ssen aller Stände wahrzu- nehmen. Trr Staat, der sich aus einen Stand stützte, hätte die Wurzel seiner Kraft verloren. Wenn wir den Staat dauernd «rhalten wollen, so Lars derselbe kein Classenstaat, sondern muß ein BolkSstaat sein. Man sagt, di, Maste ist dumm, sie ist nicht regierungsfähig. Nun, ich bin der Mrnung: die Männer, die regierungsfähig sind, sind an den Fingern abzuzählen. Die Ge- bildeten und Begabten werden stets über di« Ungebildeten und Minderbegabten herrschen. Die Massen müssen zum allgemeinen Wahlrecht erzogen werden, in derselben Weise, wie man das Volk zu der Geschworenenvflicht erzogen habe. Das allgemeine Wahl recht ist Las Fundament Les socialen Friedens und der socialen Gerechtigkeit. Wer sür Erhaltung des allgemeinen Wahlrechts arbeitet, dient dem Interesse des Gemeinwohls. (Stürmischer Beifall.) Redakteur v. Gerlach-Berlin: Es sei vom Referrnten die Be merkung gemacht worden: die Masse ist dumm; er behaupte, auch die regierungsfähigen Leute seien in mancher Beziehung dumm. Wenn z. B. Fürst Bismarck sage: der Arbeiter könne in 7 Tagen mehr verdienen als in 6 Tagen, und deshalb mufft d«m Arbeiter gestattet sein, 7 Tage in drr Woche zu arbeiten, so sei das ein sehr großer Mangel an dem nöthigen Versländniß; der einfachste Arbeiter wäre im Stande, die vollständige Falschheit dieser Ansicht nachzu weisen. (Beifall.) Ta das allgemeine Wahlrecht die erste Forde rung der Nanonal-Socialen sei, hinter der alle anderen For derungen zurücktreten, so entstehe die Frage: wie haben sich die National-Socialen bei einer engeren Wahl zu verhalten, wenn ein Conseroativer einem Socialdemokraten gegenüber stände. Er Feuilleton. Die Wurst als Jubilarin. Eulturgeschichtliche Plauderei von Hermann Pilz. Nachdruck »erboten. Elisabeth Charlotte von Orleans, geborene Prinzessin von der Pfalz, genannt die „Lieselotte", sehnte sich am üppigen Versailler Hofe nach ihrer heimischen Küche. „Ich habe mir da« französische Essen gar nicht angewöhnen können", klagt sie einmal in ihren Briefen. „Ich kann weder Thee, noch Kaffee, noch Cbocvlade vertragen, kann nicht begreifen, wie man «S gern trinkt. The« kommt mir vor, wie Heu und Mist, Kaffee wie Nuß und Feigbohnen, und Cbocvlade ist mir zu süß. WaS ich aber wohl essen möchte, wären Knack würste und ein guter Krautsalat!" Diese „Wurst-Sebnsucbt", von der die Epistel der ehrlichen „Lieselotte" zeugt, darf nickt Wunder nehmen, denn die Lieselotte war eine deutsche Prinzessin von echtem Schrot und Korn und „deutsch sein" und „Wurst essen" sind unzertrennliche Begriffe. Die Franzosen nennen unS Deutsche mangours cke clivucrout«, Sauerkranleffer, aber in Rußland wird mehr Sauerkraut gegessen als bei unS, und auch die Belgier und Ungarn, ja neuerdings selbst die Franzosen geben unS in der Sauerkraut- Leidenschast nicktS nach. Da treffen eS die Russen besser, wenn sie uns SoSziSta, d. h. „Würstler" nennen. Denn in der Tbat, Deutschland ist das Hauptwursilaud der ganzen civilisirten Welt. Wohl liefern auch Lyon und Arles, Bologna und Mailand eine hochgeschätzte Wurst, aber mit den Wurststädtea Braunschweig, Frankfurt a. M., Golha, Göttingen, Jena, Eisenberg, Jauer, Nürnberg, Regensburg und Wien vermögen sie nicht zu concurriren. Wollte man «ine Statistik der vorn und hinten zugebun- denen Delikatessen geben, sie würde zu Tage fördern, daß dem Deutschen nicht nur Diele« „Wurst ist", sondern daß er auch in unheimlichen Quantitäten „Wurst ißt". Der größte deutsche Staatsmann in FriedrichSruh ist darin mit gutem Beispiel vorangegangen. Nicht nur, daß ihn nach seinen eigenen Worten oft da« „Gefühl drr Wurschtigkeit", der „»enrus sarclminitutis", beseelt bat, nein, er ist auch seit seinem Studium in der Wurststadt Göttingen ein treuer Freund der schon von Heinrich Heine besungenen Göttinger Würste geblieben. Wa« ein Deutscher in der Wurstvertilgung leisten kann, davon legten noch kürzlich die wackeren Wiener Handwerksmeister eine glänzend« Probe ab, di« r« bei einem Weitesten durchschnittlich auf 15 Paar Würstel brachten, daneben aber die Kleinigkeit von 8 Rostbraten pro Mann verzehrten. Man braucht nur dem deutschen VolkSmund sein Ohr zu leihen, um zu merken, daß selbst unsere Sprache „verwurstelt" ist. Wir werfen, wenn wir recht klug sein wollen, „die Wurst nach der Speckseite", und den alttesta- mentlichen Spruch: „Auge um Auge, Zahn um Zabn" über setzen wir in da- Appetitlichere: „Wurst wider Wurst", ja wir fügen Wohl großmütbig daran „und einen Zipfel zu". Da« lateinische ,,WLNN8 mrmum lavat" hat beim Deutschen sich in das Sprichwort: „Brätst du mir die Wurst, lösch' ich dir den Durst" verwandelt. Bon einer zwecklosen Be mühung sagen wir Wohl: „Das giebt keinen Speck in die Blutwurst", und wenn der Franzose elegant spricht: „laut comwe cüer nous", sagen wir etwas derber: „Gerade wie bei uns zu Land Hängt die Wurst man an die Wand." Kleine Ursachen haben große Wirkungen, — „von einer Wurst kommt da« ganze HauS voll Rauck". Von einem glückseligen Deutschen aber gilt das Wort: „ES giebt Leute, die nur zu sagen brauchen: „Häslein, so ist auch schon eine Wurst drin." Daß die lustigen Personen gewöhnlich sich nach Nationaldelicateffcn benennen, Weitz man vom niederländischen Pickelbering, vom französischen Jean Potage, vom englischen Jack Pudding, vom italienischen Signor Maccaroni und wir Deutschen haben deshalb unseren — Hanswurst, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert- durck Peter Probst in seinem Fastnachtsspiel „Vom kranken Bauern" zum ersten Mal ausgetreten sein soll, und dem der allgewaltige Gottsched doch nicht den GarauS machen konnte. Es werden heute so viel Jubiläen gefeiert, warum soll man also nicht auch der Jubilarin in Ehren gedenken, die eine so große Rolle in der Culturgeschicdte unsere« Volke« spielt. Die Wurst, wenigsten« die Blutwurst, feiert ihr tausendjährige« Jubiläum, denn sie soll zuerst im Jahre 897 fabricirt worden sein. Man eiferte aber gegen den Genuß der Würste, da man zunächst nur Blutwurst in den Handel brachte, und die hohe Geistlichkeit das Füllen von Blut in Därme für gottlos erklärte. Drr oströmische Kaiser Leo IV. gab noch im selben Jahre eine Verordnung, in der e« heißt: „Wir haben in Erfahrung gebrach», daß dir Menschen so toll geworden sind, tbeil« des Gewinne-, tbril« der Leckerei willen, Blut in eßbar« Speisen umzuwandeln. E« ist un« zu Ohren gekommen, daß man Blut in Eingeweide wie in Röcke einpackt, und so al« Gericht dem Magen zuschickt. Wir können die« nicht länger dulden und zugeben, daß die Ehre unseres Staates durch eine so frevelhafte Erfindung blos aus Schlemmerei frcßlustiger Menschen geschändet werde. Wer Blut zur Speise umschafft, er mag nun dergleichen kaufen oder ver kaufen, der werde hart gegeißelt und zum Zeichen der Ehr losigkeit bis auf die Haut geschoren. Auch die Obrigkeiten der Städte sind wir nicht gesonnen, frei ausgehen zu lassen; denn hätten sie ihr Amt mit mehr Wachsamkeit geführt, so wäre eine solche Untbat nicht begangen worden. Sie sollen ihre Nachlässigkeit mit 10 Pfund GoldeS bützen." So ent brannte denn gleich in dem Jahre, wo die ersten Würste im Morgen- und Abendland das Licht der Welt erblickten, ein Kampf gegen die Wurst, der freilich den Triumpbzuz deS zweizipfligen Ungeheuers nicht aufhalten konnte. Namentlich in Deutschland acktrte man die ergangenen Verbote nicht und stopfte fleißig, jedem obrigkeitlichen UkaS zum Hohne in die Därme. Man würde übrigens irre gehen, wenn man glauben wollte, daß daS Mittelalter überhaupt sich die Erfindung der Wurst zuschreiben könnte. Auch das Alterthum hatte seine Wurst. Ja, bei einzelnen minder cultivirten Völkern, wie den Kirghisen, ist seit Alters die Wurstbereitung bekannt. Freilich ist eS die bei unS weniger beliebte „Pferdewursl", die des Kirghisen „Wurst-Ideal" bildet. Daß die Wurst im alten Griechenland ein beliebtes Fleischgericht war, wissen wir aus Homer. Im 18. Gesang der „Odyssee" läßt der Dichter den Freier Antinoos, de» Sohn de« EupeilheS, zu den andern Freiern sagen: „Höret, was ich Euch sage, ihr edelmüthigen Freier! Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet, Tie wir zum Abendichmauje aus glühende Kohlen geleget, Wer nun am tapfersten kämpft und seinen Gegner besieget, Dieser wähl« sich selbst die beste der bratenden Würste." Die erste Magenwurst! Die erste Bratwurst! Tie Wurst al« Ehrenpreis! Im 20. Gesang der „Odyssee" wird der heroischen Blutwurst, paräou, der Blutwurst de« heroischen Zeitalters, nochmals gedacht: „Also wendet drr Pflüger am großen brennenden Feuer Einen Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet. Hin und her, und erwartet e» kaum, ihn gebraten zu sehen." In späterer Zeit füllten die Hellenen die Därme mit Blut, Speck, gehacktem Fleisch und Mehl oder Grütze. Waren die Würste in der ersten Zeit kurz und dick, so traten sie bald unter der Devise: „Je länger, je lieber" auf, und Aristopbane« sagt in drr Komödie „Die Ritter": „Länglich ist der Dracke, lang ist auch die Wurst; Blut verschluckt der Drache, Blut säuft auch die Wurst". Lei den Spartanern gab r« nur bei großen Festen, bei Opferschmäusen ein Stück Bratwurst. Sie war daS Festgericht der Lacedämonier. Für die Wursthändler wurden auf den hellenischen Markt plätzen besondere Stände eingerichtet. Dort kaufte inan die gute Waare bei den Stadtfleischern. Die Landfleischer setzten ihre billigere Waare vor den Stadtthoren ab. Aristophanes sagt ihnen aber auch nach, daß sie ihre Würste mit Hunde fleisch stopften. Die Wurst hieß bei den Griechen cdvrcku, doch gab eS für besondere Arten außerdem noch besondere Namen. Die Erfindung der Blutwurst schrieb man dem AphtonetuS zu. Wenn der Satyriker CrobyluS sich zur Abendmahlzeit einen „gefüllten Fettdarm" wünscht, so haben wir auch darin ein Zeugniß für die Existenz der Wurst aus der Speisekarte der alten Hellenen zu erblicken. Die Römer waren nicht minder Verehrer der Wurst Martial erwähnt in seinen Epigrammen die Würstchen auf dem „schneeigen Dinkelbrei". In der Zeit der Schlemmerei, wo das junge, halb gebratene, halb gekochte Schwein auf der Tafel der Römer eine große Rolle spielte, wurden alle Arten Würste als Füllung der LeibeShöble deS TbiereS be nutzt. ApiciuS, der berübmte römiscke Koch, hat ein Necept seiner WurstfUlle hinterlassen, welches lautet: „Stoße gehacktes Fleisch, Mark und in Wein geweickreS Weizenbrod und Pfeffer, Fiscklake, Piniolen und geschälte Myrtenbeeren. Schlage kiese Fülle in ein Darmnetz und brate sie in abgekochtem Moste." Ein anderes Wurstfüllsel bestand aus jungem Hühner fleisch mit Lauch, Dill, Salz, Pfeffer und Eppichsamen ver setzt. Dazu kam gequollener Reis, Fischlakc und Rosinen wein. Berühmt waren die Lukanischen Würstchen, welche eine nicht minder complicirte Fülle aufwirsen. Horaz räth, dem Trinker nicht mit Salat den Magen aufzufchwemmen, viel mehr durch „Knackwurst wünscht er gebeizt, wie er ist, sich zu kräftigen". Bei den Gelagen spielt darum daS „Würstlein" eine hervorragende Nolle. Auch unter den Vexirgerichlen, die an der Tafel der Römer so beliebt waren, finden wir die Wurst. Martial spricht von Würsten, die, auS einem Kürbis hcrgestellt, die Tischgäste äfften. Bei dem berüchtigten Gastmahl deS Trimalchio kommt ein Schwein auf die Tafel, daS unauSgeweidet scheint. Aber beim ersten Schnitt in die Weiche» fallen die schmackhaftesten Würste heraus. Später verlor die Wurst ihre Herrschaft. Bei den Völkern, welche Rom« schimmernde Macht brachen, war sie unbekannt, und die allen Deutschen zerlegten Hirsche und Eber, befaßten sich aber nickt mit den Geheimnissen der Wurstfüllung. Selbst die Angelsachsen, welche das Schweinefleisch bevorzugten und Speck al« ihr« «rst« Drlicatiff«
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