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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.09.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-09-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970930025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897093002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897093002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe beschädigt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-09
- Tag1897-09-30
- Monat1897-09
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Di« Morgen-AllSgabe erscheint nm Uhr, di« Abrnd-AnSgabe Wochentag- nm b Uhr. z Ne-action und Expedition: Johannes,affe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen ^öffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. - , Filialen: ktt» klemm s Lortim. (Alfred Hahn), UuiversitätSstrabe 3 (Pauliumn), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und -Suig-Pla» 7. VezugS'PreiS kt der Hauptexpedition oder deu i« Stadt« bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^l4.bO, bei zweimaliger täglicher Anstellung in- Hau- K.LO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vterteliährlich «ck S.—. Direcre tägliche Kreuzbandsenduug .. ins Ausland: monatlich 7chO. , Abend-Ausgabe. MMerIagMü Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nn- Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes nn- Polizei-Amtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfj^ Nrelame» uuter dem spalten) üO^j, vor de« FamtÜ (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Prei-S verztichuiß. 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Sind die Zahlen, die über die künftigen Marincforderungen mit- getheilt worden sind, zutreffend, so wird in der Tbat der große Apparat, der kürzlich auf den Parteitagen in Nürnberg und Mannheim probeweise in Betrieb gesetzt wurde, um die Massen gegen neue Marincforderungen auszureizen, wirkungs los. Gehen die jährlichen Mehrfordcrungen für die Marine nur um wenig mehr als zehn Millionen über den Durch schnitt der letzten Jahre hinaus, so muß eben ein solches Agitationsmittel versagen. Selbst wer seine politische Auf klärung lediglich auS der „Freis. Ztg." bezieht, kann sich an den Fingern abrechnen, daß das, was der Abg. Richter noch kürzlich in Nürnberg mit so tönenden Worten als zu befürchtende Zukuuftspolitik angekündigt bat, nicht bloS einige wenige Millionen mehr beanspruchen würde, als in den letzten Jahren für den Flottenausbau unbedingt verausgabt werden mußten. Wir gehen noch weiter; vom Standpuncte der Bekämpfung der sogenannten „uferlosen Flottcnpolitik" heraus müßte gerade der Abgeordnete Richter damit einverstanden sein, daß eine diese Politik auf jeden Fall anSschließende Mehrforderung für Marinezwecke offen von der Ne gierung aus sieben Jahre verlangt wird. Den» darin liegt doch auch ein für eben so lange Zeit gemachtes Zugeständnis, daß die ReichSregicrung selbst von der politischen „Zukunftsmusik" nichts wissen will, die den freisinnig-demo kratischen Parteitagen so unsympathisch war. Wie nun die Negierung sich vom Reichstag eine Sicherheit darüber aus stellen zu lassen beabsichtigt, daß sie auf sieben Jahre mit aus reichenden Mitteln zum geplanten Ausbau der Flotte rechnen kann, muß abgewartet werden. Zwei Möglichkeiten sind vor handen, eine formelle Bindung und eine sozusagen „mora lische". Die erste bat zur Borauösetzung ein Gesetz, das die Bewegung^»-- ' "'...^..,g°-ntschlttßnngen für die angeführte Zeit beschränkt; die zweite, daß dieser Reichstag in einer Resolution oder sonst einer Form sich über die Nothwcndigkcit und tecbnische und finanzielle Durch führbarkeit der Absichten der Marineverwaltung äußert, so daß der künftige Reichstag dadurch, wenn auch nicht formell, so doch thatsächlich, aus der ihm obliegenden Mitsorge für die Wehrkraft des Reiches sich gebunden fühlt. So lange hierüber noch keine Klarheit vorliegt, muß das abschließende Urtheil über die Recht- und Zweckmäßigkeit der Absichten der Marineverwallung Vorbehalten bleiben. Erfreulich ist es, daß räs von der „Boss. Ztg." verbreitete Gerücht, zur Deckung des Mehraufwandes für die Marine sei eine wesentliche Erhöhung oder gar Verdreifachung der Brausteuer geplant, sofort auf daS Bündigste mit der Bereicherung dementirt worden ist, es sei schlechterdings keine Erhöhung dieser Steuer beabsichtigt. Denn eö ist zweifellos, daß eine so unpopuläre Finanzmaßregel den Gegnern jeder Flottenverstärkung ein wirksames neues Agitationsmittel in die Hand geben würde. Freilich besteht ein wenigstens scheinbarer Gegensatz zwischen diesem Dementi und einem Passus der an anderer Stelle mitgetheilten, am 19. August d. I. an sämmtliche Hauptzvllämter des Königreichs Sachsen gerichteten Verfügung der könig- Donnerstag den lichen Zoll- und Steuerdirection in Dresden, die, wie auö unserer heutigen Morgennummer ersichtlich ist, bereits am 21. dss. Mts. Gegenstand der Berathungen der hiesigen Gewerbekammer gebildet hat. Sie ist veranlaßt durch eine Petition kleinerer Brauereien, die eine Staffelung der Brausteuer ohne deren Erhöhung wünschen, sie fordert Gut achten über die Wirkung einer etwaigen Erhöhung aus die bayerische n Sätze und erklärt, daß die sächsische Regierung „voranösetzlich" nur unter der Bedingung in die Einführung von Stasselsätzcn willigen würde, wenn diese wesentliche Mehreinnahmen aus der Brausteuer zur Folge haben müßten. Damit ist allerdings nur gesagt, daß die sächsische Negierung im BundeSrathe nur dann auf eine Staffelung der Braüsteuer eingehen würde, wenn dadurch die Erträge der Steuer wesentlich erhöht würden, eS ist aber nicht gesagt, die sächsische Negierung verlange in Uebereinstiinmung mit anderen Regierungen überhaupt eine solche Er höhung. Immerhin läßt sich ein Gegensatz zwischen dem officiösen Berliner Dementi und der Dresdner Verfügung construiren und cs ist daher wünschenSwerth, daß von beiden Seiten Erklärungen abgegeben werden, die jedes Miß verständnis; auöschließcn. In Bade» spielt sich nicht nur unter den Parteien, die um die Mehrheit in der Kammer ringen, sondern auch zwischen der Negierung und dem KlcrikaliSmuS ein Kampf ab, der zwar weniger geräuschvoll ist als jener, aber im Grunde dasselbe Ziel verfolgt, daö die gegen die National liberalen unter ultramontaner Führung kämpfenden Demo kraten und »socialdemokraten verfolgen, und deshalb ein interessantes und bedeutsames Zeichen der Zeit ist. Die badische Regierung hat in der letzten Zeit wiederholt sich bemüht, soweit eS möglich war, selbst auf die Gefahr arger Verstimmung-in der evangelischen Bevölkerung hin, sich dem römischen KatholiciSmuS gegenüber „conciliant" zu erweisen. Es bandelt sichumdieBesetzung deöFreiburge r erzb ischöf- lichen Stuhles, eine Angelegenheit, in deren Interesse im verflossenen Jahre sogar der badische Gesandte in Berlin, Herr v. Jagemann, auf einen ergebnißloS gebliebenen Römerzng geschickt wurde. Schon zu Zeiten des letzten Erzbischo^ RooS führte die Geschäfte des Stuhles der Weihbischof I)r. Knecht, der zum Weihbischof befördert worden war, ohne daß man den LaudeSherrn vorher davon verständigt hatte. Eine formelle Verpflichtung dazu lag freilich nicht vor; es war aber eine Form, die beobachtet werden konnte, ohne die in solchem Falle bestehende kirchliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Auch in der Sache selbst hätte dieser Weg angemessen erscheinen müssen, da es sich um die Geschäftsführung der höchsten kirchlichen Stelle im ganzen Staate handelte. Herr Knecht führte nun sein Amt nach dem Zengniß der klerikalen Presse mit „ebensoviel apostolischem Eifer als Klugheit und Tact", und dasselbe tbat er auch, als er nach dem baldigen Tode des Erzbischofs Roos ErzbiSthumsverweser wurde. Das heißt, aus dem Klerikalen ins Deutsche übersetzt, er ließ den seiner Disciplin unterstehenden Pfarrer Wacker schalten und walten, wie es ihm just gefiel, mochte er auch, wie kürzlich, für die Socialdemokraten bei der Wahl eintreten und sie als minderes Nebel behandeln gegenüber so und so viel Katholiken, welche liberal stimmen. Da diese „apostolische" Methode des Herrn Knecht nicht erst von heute und gestern ist, so ist eS selbstverständlich, daß die maßgebenden Stellen in Baden sich von einer Thätigkeit deS genannten Herrn als wirk lichen Erzbischofs auch nicht allzuviel Gutes in Sachen der religiösen Verträglichkeit versprachen. Nun hatte 30. September 1897. überdies daS Domcapitel, als eS die Nachfolgerliste cinreichte, nicht nur Herrn vr. Knecht auf dieser einen bevorzugten Platz angewiesen, sondern auch die Liste nicht, wie eS vorgeschneben ist, dem Großherzog selbst überreicht, sondern sie einfach ans Staatsministerium geschickt, daS aber der Ansicht war, daß es keine „Briefträgerfu'nction" für daS Domcapitel zu üben habe. Darob anfangs im klerikalen Lager, wo man auf Formfragen, wenn eS sich um Bischöfe uud Fürstenzimmer in Bahnböfen bandelt, sehr großes Gewicht legt, große Entrüstung. Bald aber brachte die klerikale Presse den Trost, der heilige Stuhl „könne warten" und werde einfach den Herrn ErzbiSthumsverweser mit Vollmachten auörüsten, „welche auch bei längerer SediSvacanz gestatten, allen wichtigen Bedürfnissen der Diöcese zu genügen". Und also geschah eS. Der Papst gab Herrn vr. Knecht die Vollmachten, die dieser noch brauchte, und so fungirt er, unter ihm fungirt Herr Wacker, und die badische Regierung, welche lediglich das Be- dürfniß hatte, auf dem erzbischöflichen Stuhl eine versöhnende, den niederen Klerus in Ordnung haltende, unabhängige Persönlichkeit zu haben, sieht jetzt als Dank für ihre kirchen freundliche Politik gegen ihren Willen mit der ganzen hirtenamtlichen Vollmacht einen Mann auSgestattet, den sie als Erzbischof sich nicht gefallen zu lasten braucht und der den Klerus ungenirt Vorarbeit für die Socaldemokratie machen läßt. In Belgien soll am 1. Januar ein neues Militair- gesetz in Kraft treten, durch daS die in Belgien wohnenden Frem den in empfindlicher Weise berührt werden. Nach dem Artikel VIII des Gesetzes sollen nämlich auch die Fremden bei der Bürger gard, garcko oiviquc, eintreten. Damit ist die Verpflichtung verbunden, vom 21. bis zum 31. Lebensjahre sich jährlich 10 Mal, allerdings auf nur je 2 Stunden, einzieben zu lassen, vom 31. bis zum 41. Lebensjahre jährlich 3 Mal. Außer dieser ja nicht sehr umfassenden FriedenS- thätigkeit ist die Bnrgergarde nach H 1 des Gesetze» aber auch verpflichtet, im Kriegsfälle vaS Land zu ver- tbeidigcn. Nun ist ja schon die für den Frieden verlangte Thätigkeit unter Umständen sehr störend, vollend» nngerecht- fsrtigt qber ist e», daß etwa ein Deutscher oder ei» Franzose im Kriegsfälle an der Vertheidigung eines Landes theil- nehmen sollen, besten Staatsangehörige sie nicht sind. Ja, sie können unter Umständen in einen höchst fatalen Conflict kommen. Gesetzt zum Beispiel, daß im Jahre 1870 ein Theil der bei Sedan fechtenden französischen Armee über die belgische Grenze gedrängt worden wäre, so hätte unter Umständen nach der neuen Bestimmung über die Dienstpflicht bei der Miliz ein Franzose mit der Waffe seinen Landeleuten gegenübertreten müssen. ES ist zu wünschen, daß die Belgier selber die Bestimmungen aus dem Gesetze herausbringen, damit es der Diplomatie erspart bleibt, Schritte gegen dieselben zu thun. Wenn die Belgier, wie eS eines modernen Staates würdig ist, das ab scheuliche Loskaufsystem aufstecken und statt besten die all gemeine Wehrpflicht einführen wollten, so könnten sie sehr leicht auf daS Soldatenspirlen mit der garcko civiquo — denn etwas Anderes ist diese Einrichtung nicht — und die Belästigung der Fremden verzichten. Die Bestrebungen der französische» Geschäftswelt, auf dem russischen Markte mit Erfolg gegen die Ueberlegenheit Deutschlands zu concurriren, sind bis jetzt hinter den Erwartungen der Pariser Regierungskreise, sowie der In dustrie- und Handelszweige erheblich zurückgeblieben. Es ist A. Jahrgang- * auch nicht abzusehen, wie eS anders sein sollte, so lange de französische Geschäftsmann sich nicht entschließen mag, sei» Sache au Ort und Stelle persönlich, statt durch Eorrespondei oder consularische Vermittelung, zu führen. Der russische G' schäftSmann ist von Hause aus mit starkem Mißtrauen begab und will erst sehen, bevor er ein Handelsgeschäft abschließi Dazu kommt, daß, abgesehen von Petersburg und andere. Großstädten, die russische Geschäftswelt im Ganzen de theoretischen Ausbildung in den handelswissenschaftliche- Fächern ermangelt und nur die wenigsten Kaufleute in de Lage sind, die Wechselcourse, Transportgebühren, Persicherungs Prämien, Zollspesen rc. rc. mit Sicherheit zu berechnen. S ziehen eS daher vor, mit denjenigen Firmen zu handeln welche die Waare zu einem in Rubeln auSgedrllckten Preist direct ins Haus liefern. Hiernach ist es klar, daß die Entsendung zahlreicher Geschäftsreisender mit möglich! reichhaltigen Musterkollektionen unerläßlich ist. Diese Reisenden besuchen alle Geschäfte ihrer Branche in den Ortschaften welche sie auf ihrer Tour berühren. Bei der ebenfalls uner läßlichen Kenntniß der Landessprache werden diese Geschäfts reisenden nach und nach mit Land und Leuten so vertraut daß sie sich einen fast untrüglichen Instinkt für die Conjunctm erwerben. In allen diesen Dingen marschirt nun de Deutsche an der Spitze des ausländischen Geschäfts m Rußland; ihm folgen die Oestcrreicher, Engländer und neuer dingS die Belgier, alle diese Eoncurrenten unterhalten hoch besoldete und außerdem mit Tantiemen bedachte Vertreter, deren einzige Aufgabe in der Wahrnehmung der Interessen ihrer heimischen Firmen besteht und welche das unbedingte Vertrauen ihrer Auftraggeber genießen. Seit einigen Jahren sind auch, wie den „Hamb. Nachr." geschrieben wird, in zahlreichen russischen Städten neue Einrichtungen getroffen worden, die sogenannten „technischen Bnreanx". Die Leiter dieser Bnreanx führen Contrvle über alle vom Staate, von Gesellschaften oder von Privaten ausgehenden Großbestellungen, für welche der Mitbewerb der aus ländischen Industrie in Frage kommen kann. Sie halten sich au courant verliehener Concessioncn und befassen sich mit Bereithalluug aller Vorstudien, Zeichnungen- Pläne, Entwürfe, deS technischen Personals, des Materials, von Maschinen und Werkzeugen und eventuell sLibst der Rohstoffe. Diese „technischen Bnreanx" sind theils durch einzelne Industrielle, theils durch Industrievereinigungen des Auslandes ins Leben gerufen und vermitteln die Aufträge größeren Umfanges an ihre heimischen Committenten. Frank reich verfügt bis zur Stunde noch nicht über ein einziges solches technisches Buregu, wenigstens nicht in St. Peters ; bürg. Der französische Industrielle ist von Natur nicht reiselustig, da ist es denn kein Wunder, wenn die französische , Geschäftswelt mit ihren Bewerbungen und Offerten in der Regel einen Posttag zu spät kommt. In Tpanie» ist eS nun doch noch zur Demission des gesam mten EabinrtS Eanovas gekommen. Es liegen uns darüber folgende Meldungen vor: * Madrid, 29. September. Der Ministerrath beschloß nach halbstündiger Berathung, an die Königin-Regentin die Vertrauens frage zu stellen. Der Ministerpräsident General Azcarrcga begab sich hierauf in das königliche Palais, nm der Regentin die Demission des Cabinets anzubieten. - Madrid, 29. September. Azcarraga überreichte derKönigin- Regentin die Demission des Cabinets, welche angenommen wurde. Es wird geglaubt, Sa g asta werde mit der Neubildung des Cabinets beauftragt werden. Uebcr die Gründe, welche das Eabiuct zur Abdankung Fruillrton. Götzendienst. 21j Roman in zwei Theilen von Waldemar Urban. Nachdruck verboten. „Ei, ei! Und warum nicht? Fürchten Sie sich, sich mir zu verpflichten? Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich durch aus keine Gegenleistungen von Ihnen beanspruche. Thun Sie, was Ihnen beliebt. Wahrscheinlich reisen wir nächste Woche schon nach Deutschland. Ich hatte allerdings die Hoffnung, daß Sie meinen Salonwagen mit benutzen würden, um nach Hause zurückzukehren, aber ich mag Sie durchaus nicht binden. Nur helfen wollte ich Ihnen, weil ich mir vorstellte, daß Sie in Ihrer Stellung nicht ohne Geld sein können. Einen anderen Hintergedanken habe ich nicht. Wenn Sie also wollen, so wenden Sie sich nur an Herrn Delorme. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und der Dienst, den ich Ihnen vielleicht erweisen darf, ist für mich eine so geringe Leistung, daß ich dafür durchaus keinen Gegendienst beanspruchen mag." Damit winkte ihm Don Gracias wohlwollend und freundlich mit der Hand und nickte ihm wie zum Abschiede etwas schwerfällig zu — die Unterredung war also zu Ende. Graf Victor verbeugte sich und verließ dann das Zimmer. Etwa eine Viertelstunde später — Graf Victor hatte natürlich der neugierig harrenden Felicia erst Rapport er statten müssen — ging er durch die Promenaden nach seinem Hotel zurück. Er schritt langsam und in tiefes Nachdenken versunken dahin. Was war das nun? Ein dumpfes un- heimliches Gefühl beschlich ihn bei dem Gedanken, daß er ein ganzes Jahr warten, ein ganzes Jahr zwischen Furcht und Hoffnung hängen und ein ganzes Jahr die Unbequemlich keiten des Verkehrs mit der Familie des Herrn de Melida auf sich nehmen sollte! Dazu kam noch das Gefühl einer gewissen Beklemmung, einer Bangigkeit und einer Unsicher- heit gegenüber Herrn de Melida. War er wirklich auf richtig? Meinte er wirklich Alles so, wie er sagte? Er wurde dabei den Gedanken nicht kos, daß Don Gracias ihn vielleicht nur Hinhalten, seine gesellschaftliche Stellung nur ausnlltzen wolle, um ihn dann, wenn das geschehen und er nicht mehr gebraucht wurde, achtlos wieder bei Seite zu schieben. Das mochte sich indessen nun verhalten, wie es wollte, momentan konnte Graf Victor an der Sachlage nichts ändern. Zweiter Theil. I. In Deutschland ist man in Bezug auf das Wetter weniger verwöhnt als die Leute an der glücklichen Riviera, wo das Grün der Bäume das ganze Jahr hindurch leuchtet und auch im Winter oft das herrlichste Frühlingswetter herrscht. Wenn der Kalender in Deutschland Frühlings anfang angiebt, so machen die Kohlenhändler gewöhnlich noch gute Geschäfte und die Leute Heizen die Zimmer, daß es im Ofen nur so prasselt und glüht. Aehnlich war eS auch in diesem Jahre und besonders im Mai, der gewöhnlich der Wonnemonat genannt wird, der aber in diesem Jahre nach einem verlockend warmen April einen plötzlichen Um schwung der Witterung mit sich brachte, so daß statt der blauen und rothen Frühlingsblumen nur blaue Nasen und rothe Hände zu sehen waren. Die Frühlingspoesien blieben im Pulte der Dichter und die Hellen Toiletten in den Schränken der Damen liegen und in den Straßen der kleinen Residenz *** liefen die Leute verschnupft und fest in die Winterkleider gehüllt umher und schauten verdutzt und trübselig auf die hügelige Umgebung der Stadt, die sich schon im April in das zarte, flaumartige erste Grün ge kleidet hatte und nun in der letzten Nacht mit einer dicken Schneedecke überworfen worden war. Schnee im Mai! Es war der zweite Mai. In den Straßen der Stadt war freilich der Schnee schon längst wieder zergangen, aber die Wege und Stege waren dadurch keineswegs angenehmer ge worden. In großen und kleinen Pfützen und Tümpeln bedeckte eine schmutzig-graue, schlllpferige Nässe allerorts die Straßen und ein naßkalter Wind fuhr obendrein hindurch, der Jeden in das Haus bannte, wenn er nicht durch das eiserne Muß gezwungen war, auszugehen. Zu diesen Letzteren gehörte offenbar ein junges Mädchen, das in einem dünnen Kleidchen und in dünnen, nicht mehr ganz neuen Schühchen vorsichtig und flink dicht an den Häuserreihen hinhuschte, wo das Trottoir noch verhältniß- mäßig trocken und gangbar war. Es war eine zarte, oder auch zärtliche Gestalt: das Gesicht zierlich geschnitten, der Teint hell, etwas blaß, die Augen dunkelblau, mit einem schüchternen, gutmllthigen Ausdruck, die Haare aschblond, merkwürdig dünn und fein, aber reichlich in leicht gewellten Strähnen rechts und links vom Scheitel herabfallend und sich hinten zu zwei dichten Zöpfen vereinigend, die Toilette etwas verschlissen, aber dabei doch sauber und ordentlich. Die Billigkeit schien in der Wahl derselben die Haupttrieb feder gewesen zu sein. Das ganze Wesen des jungen, etwa achtzehn- bis neunzehnjährigen Mädchens machte einen etwas überanstrengten, abgearbeiteten und müden Eindruck. Man sah auf den ersten Blick, daß hier die Last des eisernen Muß auf schwachen Schultern ruhte, die früher oder später darunter zusammenbrechen mußten. Am Arm trug das Mädchen eine umfangreiche Papp schachtel mit Lederdeckel, deren sich gewöhnlich die Modistinnen bedienen, um angefertigte Toiletten zu den Kundinnen zu tragen. Zuweilen schaute sie sich furchtsam um, ob nicht etwa ein Schutzmann sich näherte, der ihr ver- muthlich wegen des umfangreichen Gegenstandes, den sie am Arm trug, das Trottoir verbieten würde. Und sie hatte doch, allein schon der dünnen Schühchen wegen, wahrhaftig mehr Grund als irgend Jemand, die Nässe des Straßen dammes zu fürchten und zu meiden. Endlich trat sie in das Confectionsgeschäft von Moser L Co. „Fräulein Lieschen", rief ihr sofort ein Laden-Commis entgegen, „um Gotteswillen, wo bleiben Sie denn so lange! Sie müssen sofort zum Tischlermeister Mühldorf, damit er schleunigst die Stellage für das neue Schaufenster abliefert, es ist die höchste Zeit!" „Jawohl, Herr Bauer", antwortete das Mädchen be scheiden. „Fräulein Lieschen", rief sofort ein Anderer, „Baronin Luders hat das Jacket zurückgeschickt, die Aermel sitzen zu hoch. Die Reparatur kostet 3 Mk. 50 Pfg. Das ist eine rechte Liederlichkeit! Wenn solche Kunden nicht besser be dient werden, was soll dann aus dem Geschäfte werden? Wir müssen Ihnen die 3 Mk. 50 Pfg. vom Arbeitslohn ab ziehen." Dem Mädchen traten die Thränen in die Augen. Seit drei Wochen hatte sie nun den Lohn stehen lassen, u di demnächst fällige Miethe bezahlen zu können; denn mi. < Hausherrn war nicht zu spaßen. Sie hatte wohl 30 Mk. zu bekommen und die Miethe, die sie monat entrichten hatte, betrug 35 Mk. Augenwasser f Mutter war in der Apotheke auch noch zu holen und i Großvater aus Heblingen war sie wohl seit sechs nicht zusammengekommen; der würde sicher auch ekm§^ Mark nöthig haben. Wenn man ihr nun die 3 Mark 50 Pfg. abzog, so langte der Rest gar nicht einmal zu. „Aber die Frau Baronin hat ausdrücklich befohlen —", begann sie weinerlich. „Fräulein Lieschen!" rief in diesem Augenblick Herr Moser aus dem Seitenzimmer, der als Probirraum für die elegante Kundschaft diente, „kommen Sie sofort hierher, ich habe mit Ihnen zu reden." Die Stimme des Herrn Moser klang scharf und schnei dend und das junge Mädchen seufzte still vor sich hin: „Was wird wohl nun noch kommen?" Beklagen konnte sie sich über Herrn Moser nicht; er war ein guter alter Herr, ein rechter Vater seiner Angestellten. Sie hatte schon oft in ihrer Noth eine Stütze in ihm gefunden; aber in Geld sachen war er durch und durch Geschäftsmann und knauserig im höchsten Grade. Auch im klebrigen war er oft von einer rücksichtslosen Geschäftsroutine. Sie besann sich genau auf die Scene, welche ihrem Antritt im Moser'schen Geschäfte voraufgegangen war. „Wie heißen Sie?" hatte er damals gefragt. „Josephine Hartwig." „Was — Josephine? Wie kommen Sie als einfaches Mädchen aus dem Volke dazu, einen aristokratischen Namen zu führen?" „Meine Mutter heißt so, Herr Moser." „Ach was, das will nichts heißen; die Baronin Lüders heißt auch Josephine mit ihrem Vornamen, und wenn es diese erfährt, daß ich eine Probirmamsell dieses Namens habe, kauft sie keinen Meter Band mehr bei mir. Wir nennen Sie darum einfach Lieschen und damit gut. Sind Sie zufrieden?" Wie hätte sie anders sein können? Sie mußte ja Geld verdienen. Der Vater hatte den ganzen Winter durch keine Arbeit bekommen, die Mutter war augenkrank, dazu waren
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