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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971007026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-07
- Monat1897-10
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Dort ist zunächst aufs Neue die Parole ausgegeben worden, möglichst in allen ReichStagS- wahlkreisen Candidaten aufzusteüen, um eine recht große Anzahl von Stimmen auf die Partei zu vereinigen; um aber Ersatz für einen Ausfall von Stimmen zu erlangen, bat man mit dem früheren Grundsätze der Wahlenthaltung bei Stichwahlen gebrochen. Allerdings haben sich, wie Herr Bebel betonte, die socialdemokratischen Wählerschaften vielfach um diesen Grundsatz früher nicht gekümmert; in Zukunft aber soll diese Unbolmäßigkeit zur Tugend werden, um Bundesgenossen zu erlangen. Zu diesem Zwecke hat Herr Bebel eine Anzahl von Forderungen aufgestellt, zu denen die zu unterstützenden Parteien sich bekennen sollen. Sie sind fast ausschließlich politischer Art und so aus gewählt, daß sie ausnahmslos auch Forderungen der radi kal en bürgerlichen Parteien sein könnten. Es ist also vor- auszusehcn, daß die Eanbidaten dieser Parteien bei Stich wahlen überall von den Socialdemokraten werden unterstützt werden. Aber auch ein großer Theil der Centrums candidaten wird sich diese Unterstützung sichern können; nur derjenige Theil, der eine Erhöhung besonders der agrarischen Zölle beim Abschluß neuer Handelsverträge verlangt, wird sich den Socialdemokraien gegenüber nicht verpflichten tonnen, gegen jede Erhöhung bestehender Zölle und Steuern zu stimmen, und somit auf socialdemokratifche Unterstützung verzichten müssen. Im Großen und Ganzen wird die im jetzigen Reichs tage ziemlich oft hervorgetretene Uebereinstimmung zwischen dem Centrum und den radikalen bürgerlichen Parteien einerseits und den Socialdemvkraten andererseits auch bei den ReichstagSwahlen in ähnlicher Weise in die Erscheinung treten, wie sie bei den Vorbereitungen zu den badischen Landtagswablen zu Tage tritt. Es war also ein schlauer Schackzug Bebel s, als er bei der Aufstellung der Forderungen, welche die zu unterstützenden bürgerlichen Bewerber sich zu eigen machen sollen, die wirdhschaftlichen Fragen mög lichst zurückstellte, um den freisinnigen und den ultra montanen Candidaten die Zustimmung nicht zu erschweren. Die übrigen Parteien werden aus der auf diese Weise vorbereiteten Bildung eines Socialdemokraten, Fortschrittler und einen Theil der Ultramontanen umfassenden Ringes ersehen, daß sie die Mahnung, bei den ReichstagSwahlen das von Len sächsischen Ordnungsparteien bei den Landtags wahlen gegebene Beispiel nachzuahmen, nicht in den Wind schlagen dürfen, wenn sie schwere Mißerfolge vermeiden wollen. Aber auch einer anderen Stelle predigt diese Ringbildnug eine eindringliche Lehre. Sollte wirklich dem jetzigen Reichstage die Militairstrafproceß- reform nicht mehr vorgelegt und dadurch Fürst Hohenlohe zum Rücktritte gezwungen werden, so würde dadurch nicht nur die Bildung jenes Ringes für die Stich wahlen eine bedeutende Förderung erfahren, sondern auch die Zahl der „Mitläufer", die schon bei den Hauptwahlen für socialdemokratisch: Candidaten stimmen, eine ungeahnte Höhe erreichen. Seit dem 30. März 1870, wo der Antrag angenommen wurde, „spätestens gleichzeitig mit der neuen Strafproceßordnung eine Reform der Militär gerichtsbarkeit vorzubereiten auf der Grundlage, daß das Militairstrafverfahren mit den wesentlichen Formen des ordentlichen Strafprocesses umgeben und die Zuständigkeit der Militairgerichte im Frieden auf Dienstvergehen der Militair- personen beschränkt wird", hat sich im stehenden Heer allein die Zahl der Mannschaften, die der veralteten und unhalt baren Proceßordnung unterworfen sind und sie an sich oder an Kameraden kennen gelernt haben, fast verdoppelt. ES ist also jetzt eine Wählermasse vorhanden, für welche die Militair- strafproceßreform und die Thalsache, daß alle preußischen Kriegsminister seit 27 Jahren diese Reform als nothwendig erkannt haben und der oberste Leiter der Reichs- und preußischen Staatsregierung sie im Namen der verbündeten Regierung ausdrücklich, ja feierlich versprochen hat, einen sehr wirksamen Agitationsstoff bildet. Wenn das bayerische Ccntrum keine anderen Sorgen hätte, als die, welche die Einigung der verschiedenen bayerischen „Bünde" in einen „Bayerischen Bauernbund" verursacht, so könnten die Herren Dal ler, Orterer und Pichler ruhig schlafen. Diese Einigung existirt nur auf dem Papier und nicht einmal auf allem bauernbündlerischen Zeitungs papier. DaS Organ des Niederbayerischen Bundes, die in dem durch einen politischen Coup Sigl's neuerdings bekannt gewordenen Pfarrkirchen erscheinende „BundeS-Zeitung", hat von Anfang an von dem gemeinsamen Bunde nichts wissen wollen und setzt seine Opposition be harrlich fort. Das Blatt wiederholt unausgesetzt, daß der Bauer Wieland den Großstädtern, b. h. Sigl und Kleitner, „auf den Leim gegangen sei". Die beiden Herren hätten die Kriegserklärung deS Centrums gegen die Bündler, die auf dem Katholikentage zu Landshut erfolgte, als Wauwau benutzt, um die Einigung herbeizufübren. Richtig ist auch, daß die Gründung deS einen Bundes erst nach homerischem Gezänke zu Stande gekommen und lediglich dem von Or. Sigl in einem kritischen Augenblicke geschickt geschürten Haffe gegen die „Patrioten" sein Dasein verdankt. DaS Centrum, meint die „BundeS- Zeitung", werde sich darob ins Fäustchen lachen, und es hat auch Grund dazu, denn die Zusammenfassung der Bünde wird keine andere Folge haben, als die per sönlichen Gegensätze der vielen Führer und die sach lichen Meinungsverschiedenheiten noch stärker als bisher hervortreten zu lassen. Die Hetze gegen die „Städter" steht schon jetzt, nach wenigen Tagen, in herrlicherer Blüthe, als jemals vor der „Einigung". Der Keim zu sachlichen Differenzen steckt in dem neuen Programm, von dem gesagt wird, es schlösse das frühere Programm des Bayerischen Bauernbundes theilweise aus, z. B. den Antrag Kanitz, der dadurch geradezu verpönt werde. Indessen, wie gesagt, die Einigung ist nichts Ernsthaftes, geschweige denn etwas Dauerhaftes. Und Niemand anders als l)r. Sigl, einer der beiden „Haruspices der Großstadt", die den neuen Bund begründet haben, ist es, der das Gebilde zuerst ver leugnet. Er ist namentlich der LandtagSfraction des Bauernbundes nicht beigetreten, sondern als „Wilder" verzeichnet worden. Der Edle schimpft in seinem I Blatte etwas über die Mittheilung dieser Thatsache in I der Presse, stellt sie aber nickt in Abrede. Ein parlamen- I tarischer Parteigründer, der außerhalb seiner Partei bleibt, das ist neu. Uebrigens bat auch der Niederbayer vr. Gäch die „Einigungs"-Abmachunzen für nicht bindend erklärt. Der Einheilsbund ist also eine Fiction, die das Centrum nicht schrecken kann. Aber wird der Böse ihm nicht gefährlich, die Bösen sind geblieben und haben die alte Partei neuerdings in gesteigerte Angst versetzt. Sie besaß Verstellungskunst genug, um über die Wahl eines der „Ihren" in Kehlheim, dem Reichstagswahlkreise Sigl's, zu jubeln. Aber der Gewählte war früher enragirter Bauernbündler gewesen und ist nur von seinen ehemaligen Genossen, nicht aber von deren Forderungen und Velleiläten abgefallen. „DaS Centrum muß immer mehr nach der Bauernbundseite hin rücken", sagt die mehrfach erwäbnte „Bundes-Zeitung", und es ist schon auf dem besten Wege dazu. Was etwa die Orterer, Pichler u. s. w. nickt thun wollen, dazu werden sie von vr. Heine, dem neugewählten Abgeordneten, und dem eben zurWicderwahl stehendenLandgerichtsrath Söldner gezwungen werden. Heine hat eS ziemlich unverblümt herausgesagt, daß er innerhalb des Centcums eine Zuchtruthe desselben zu bilden gedenke. Und Söldner, schon bisher vielfach als ein „Einspänner" erkannt, wird, nachdem ihn der Geistliche Pichler mit mehr Schlauheit als Redlichkeit aus dem Kreiöwahlcomit6 der Centrumpartei im heimischen Niederbayern hinaus intriguirt, nun erst recht auf die Stärkung des bäuerlichen Gegengewichts gegen die in der Macht befindlichen Kleriker hinarbeiten. Es ist beinahe komisch, daß das Centrum die Wahl dieser Männer betreiben und, wenn sie erfolgt sein wird, darüber „jubeln" muß. Söldner und Heine werden ohne Zweifel den Bauern- bündlern der Kammer in Wirthsckaftsfragcn die Hand reichen, und da müssen die Andern nachhelfen, dieweil die gegenwärtige LaudtagSsession voraussichtlich die letzte vor den Landtagswahlen, jedenfalls aber die letzte vor den ReichstagSwahlen ist. In der Frage der Beseitigung der Bodenzinsrn, in der ja auch die Regierung ein gewisses Entgegenkommen bekundet hat, werden die Centrumsleute ihren früheren Standpunkt verlassen, um sich den Bauerbündlern zu nähern und mit diesen unerfüll bare, darum aber eben agitatorisch ergiebige Forderungen zu stellen. Im Reiche und in Preußen hat das Centrum der gleichen immer ohne Scrupel und mit Geschick gelhan. Aber im Lande Bayern, wo es mitregicrt, ist der Zwang ein fataler, zumal da die Bauernbündler eine drohende Sprache in Sachen der Bvdenzinse gegen die Regierenden führen und durch die Agitation in dieser Angelegenheit ein kräf tiger antiklerikaler Zug geht. In der Generalver sammlung des Landwirtschaftlichen Vereins vom 27. v. M., wo es in Gegenwart des Prinzen Luitpold be kanntlich recht lebhaft herging, hat vr. Kleitner über die Entstehung der Bodenzinse Angaben gemacht, bei denen die Geistlichkeit noch schleckter wegkommt, als der Adel. Die Entstehung adeliger Ansprüche auf Bodenzinse z. B. als Gegenleistung für die Ertheilung ausschließlicher Gewerbe befugnisse erkannte Kleitner als berechtigt an, nur die Fort dauer nach Wegfall der Rechte bezeichnete er als Unrecht. Von „Raub und Betrug" aber sprach er nur in Bezug auf bestimmte Zehnten, also auf Abgaben an kirchliche Anstalten. Die Zehnten, so machte er gellend, sollten nach Kirchenreckt nur zu Seelsorgerzwecken dienen. Trotzdem hätten auch nickt pastorirende Klöster, selbst Frauenklöster» Zehnten an sich gebracht. Aus diesem „Raub und Betrug" erst sei der „räuberische" Uebergang von Ansprüchen auf Zehnten auf weltlicke Adelige entsprungen. Die Biscköfe und Aebte nämlich, meist Adelige, batten ihren weltlichen Verwandten wider kanonisches Recht Zehnten zugewenbet. In kleineren, von Bauern gehaltenen Blättern sind solche Reniiniscenzen für die geistlichen Centrumsherren nichts weniger als ergötzlich zu lesen. Schon wieder siebt Belgien vor einem drohenden Generalausstande, dem der Bergarbeiter. DaS Land bat vier große Kohlenbecken: Lüttich, Charleroi, Centre und Mons. Seitdem der Kohlenmarkt einen neuen Aufschwung genommen und die Kohlenpreise beträcktlich gestiegen sind, hat sich im Hennegau der Ruf nach Lohnerhöhung der Berg arbeiter erhoben. Ter nationale Bergarbeiterbund forderte alle Zechen Belgiens auf, die Bergarbeiterlöhne zu erhöhen, fand aber damit kein Gehör. Darüber erbost, ver anstalteten die 25 000 Bergarbeiter deS Kohlenbeckens Mons einen wochenlangen Ausstand, erreichten aber nichts, da die Zechenbesitzer fest zusammenbielten. Dadurch wuchs die Miß stimmung in bedenklichem Maße, zumal da die Kohlenpreise ihre steigende Tendenz behaupteten. So beschlossen denn die Socialistensührer und Bergarbeiterfübrer die Einberufung eines belgischen Bergarbeitercongresses nach Lüttich zur Ent scheidung der Lohnfrage, was im Hennegau mit dem Ruse „Lohnerhöhung oder Generalausstand" begrüßt wurde. Dieser Congreß ist im Lütticher socialistischen Volksbause unter dem Vorsitze des socialistischen Tepulirten nnd Bergarbeilerfübrers Callewaert und unter Theilnahme socialistiscker Deputirten zusammengetreten. ES waren Delegirte erschienen 20 aus dem Becken Lüttich, 23 aus dem Becken Cbarleroi, 5 aus dem Becken Centre und 14 aus dem Becken Mons. Der Congreß beschloß, die Frage der Lohnerhöhung und Kürzung der Arbeitszeit in geheimer Sitzung zu beralhen. Ein Vertreter jedes Beckens erstattete Bericht über die Lage; alle stimmten darin überein, daß die Kohlcnindustrie blühe, aber die Löhne mit dieser blühenden Lage in keiner Weise im Einklänge ständen. Einstimmig wurde in geheimer Abendsitzunz be schlossen: „Der Bergarbeitercongreß erachtet, daß die Arbeits löhne nicht im Einklänge mit den ungeheuren von den Zechen erzielten Gewinnen stehen und bei der Hausse der Kohlen preise eine sofortige Lohnerhöhung um 15 Proc. zu fordern ist. Ist am 15. d. M. nicht Genugtbuung gegeben, so wird der Generalausstand in allen vier Kohlenbecken vom 1. No vember ab verkündet. Dieser Beschluß ist allen Arbeiter gruppen durch Rundschreiben mitzutheilen und in allen Werkstätten anzuschlaaen." Dieser folgenschwere Beschluß, der in einer öffentlichen Arbeiterversammlung sogleich nach kräftigen socialistischen Reden bejubelt wurde, fordert durch schnittlich 50—60 Cent. Lohnerhöhung pro Taz und Arbeiter. Mit Spannung erwartet man den Gegenbeschluß der Zechen. In Norwegen bereitet sich ein vollkommener Scenenwechsel vor. Den Wahlsiegen der Linken, zu denen jetzt der un erwartetste, die Eroberung von Stavanger, getreten ist, muß aller Wahrscheinlichkeit nach das CoalitionSministerium weichen. Man muß ibm nachsagen, baß es seine Hauptaufgabe, die Lösung der unionellen Schwierigkeiten, wenig gefördert hat und gerade dieVerzögerunz jedesEntschlussesdeS Unions-Comitös scheint im Lande tiefe Mißstimmung hervorgerufen zu haben. Auf die bedenkliche Vergangenheit kann jetzt eine höchst gefähr liche Zukunft solsten. Kommt die Linke wieder ans Ruder, so wird sie, gedrängt durch ihre Versprechungen, selbst wider I Willen die Lockerung des Unionsverhältnisses betreiben müssen. I Und es ist nickt allein die Einführung eines gesonderten I norwegischen Ministeriums des Aeußeren und die eines FerrNl-tsir» Götzendienst. 27j Roman in zwei Theilen von Woldemar Urban. Nachdruck »erboten. Ein Lächeln, ein dankbarer Blick aus den sprechenden und funkelnden Augen der Frau Courcelles, dann rauschte sie vorüber und in das Zimmer des Herrn de Melida hinein. Dieser saß an einem Schreibtisch und hatte eine Anzahl Schriftstücke vor sich, die er ordnete, mit Notizen und Rand bemerkungen versah, nach denen dann seine Secretaire zu arbeiten hatten. „Excellenz", lispelte Frau Courcelles in ihrer sanftesten Tonart und machte einen tiefen tadellosen Knix. Leider drehte sich Herr de Melida nicht um und sah das Kunstwerk einer modernen Gesellschaftsform, das einem Tanzmeister von Profession Ehre gemacht hätte, nicht. „Was giebt's, gnädige Frau? Bitte, nehmen Sie Platz", erwiderte ihr Don Gracias, indem er fortfuhr, seine Schriftstücke durchzusehen. „Excellenz", fuhr Frau Courcelles elegisch fort, „ich komme heute in einer ernsten, sehr ernsten Angelegenheit zu Ihnen und möchte in doppelter Hinsicht wünschen, damit eine glückliche Stunde getroffen zu haben, denn einmal handelt es sich um Beruhigung meiner mütterlichen Besorg nisse, dann aber hängt das Glück von Personen an dem Resultate unserer heutigen Unterredung, die Ihnen und mir nahesstehen." Mtzt drehte sich Don Gracias langsam auf seinem Stuhl herun) und sah Frau Courcelles in seiner gewöhnlichen Weise mit halb zugekniffenen Augen an. „Äffe? Sie machen mich neugierig mit einer so ernst haften I Einleitung. Kommen Sie zur Sache. Um was handelä es sich?" „Et^ handelt sich in kurzen, dürren Worten darum, Herr de Melstda, daß ich in letzter Zeit in wiederholten Fällen con- statirt haf.be, daß Don Salvatore Georgette den Kopf ver dreht hatl Nun macht sich das arme Kind allerhand Gedanken,! giebt sich süßen Träumereien hin, spricht im Schlaf und ist wie ausgewechselt. Ich kenne sie nicht mehr. Sie, die früher das einfachste, gehorsamste, pflichttreueste. Kind, das wohlerzogenste Mädchen war, schwärmt jetzt von allerhand Sachen, von Bestimmung und Schicksal, von Treue in Trübsal und Beständigkeit in Gefahren, von dem Beruf des Weibes und dergleichen, so daß ich nicht mehr weiß, was ich mit ihr anfangen und wie ich Unheil ver hüten soll." „Hm, hm!" machte Don Gracias. „Und was ich mit Staunen und Befremden an meinem eigenen Kinde constatiren mußte, das habe ich auch bei Don Salvatore wahrgenommen. Er will schlechterdings nicht von ihr lassen, verfolgt sie auf Schritt und Tritt und sie, die sich nur zu gerne von ihm verfolgen läßt, sie ist wehrlos gegen seinen Ansturm. Noch am letzten Montag kam ich dazu, wie sie sich umarmten und sich gegenseitig aufs Stürmischste Treue schwuren. Ich redete natürlich zum Guten, machte darauf aufmerksam, welche Kluft zwischen Beiden gähnte — Alles umsonst. Ich konnte Don Sal vatore nicht eher beruhigen, als bis ich ihm sagte, Ihnen, Excellenz, die Sache vorzutragen. Ich habe ihm natürlich vorgehalten, daß cs doch eigentlich seine Sache sei, in einer solchen Angelegenheit die nöthigen Schritte zu thun, aber er bestand darauf, daß ich die Sache bei Ihnen befürworten sollte!" „Hm, hm!" machte Don Gracias nochmals. „Niemals, Excellenz, würde ich mich darauf eingelassen haben, in einer derartigen Weise die ersten Schritte Ihnen gegenüber zu unternehmen, denn ich habe mir immer ver gegenwärtigt, wie sehr ich gewissen Mißdeutungen, die ja in der Verschiedenheit der Verhältnisse dieser Beiden nur zu sehr ihre Erklärung finden würden, dadurch ausgesetzt sein würde; aber den inständigen Bitten und Flehen Ihres Sohnes gegenüber glaubte ich mich der ebenso zweideutigen, wie heiklen Anregung und Vertretung dieser Affaire bei Ihnen nicht entziehen zu dürfen. Ich habe mich von meinem Standpuncte aus natürlich mit großer Zufriedenheit davon überzeugen müssen, daß das Glück unserer Kinder durch diese Ehe sicher und fest begründet werden würde, denn ich kenne die unterwürfige Hingabe und Aufopferungsfähigkeit meiner Georgette ebenso, wie die Anhänglichkeit und Treue Don Salvatores, und bin au» diesem Grunde im Innersten davon überzeugt, daß diese Verbindung zum Glück der Kinder ausschlagen muß." „Ich nicht, gnädige Frau", erwiderte Don Gracias kurz. Frau Courcelles war durch diesen nüchternen und trockenen Einwurf etwas gestört in ihrer beredten Be geisterung, aber sie fuhr gleichwohl schlagfertig fort: „Weil Sie das Verhältnis; wohl weniger kennen und weniger Gelegenheit genommen haben, es zu beobachten, Excellenz, allein dazu ist jeden Augenblick noch Zeit und ich möchte mir, zum Theil, weil Sie dadurch sehen würden, wie aufrichtig und ehrlich ich in dieser Hinsicht gehandelt, zum Theil, weil es für Sie erwünscht sein muß, die Ansicht Ihres Sohnes zu kennen, den Vorschlag erlauben, ihn selbst darüber zu befragen, wenn Sie wollen, jetzt, in diesem Augenblick." „Das ist nicht nöthig, gnädige Frau", erwiderte Don Gracias mit einer eisigen Ruhe. „Wie, Excellenz?" fragte Frau Courcelles nunmehr doch betreten und verlegen. „Ich meine, das ist deshalb nicht nöthig, weil ich über die Sache besser orientirt bin, als Sie meinen, und weil ich weiß, daß Ihre Ansicht der Sache nicht ganz richtig ist." „Aber " „Ich bedauere, gnädige Frau, Ihnen mitthcilen zu müssen, daß von einer solchen Verbindung keine Rede sein kann und daß ich bezüglich meines Sohnes bereits bestimmte Absichten in dieser Hinsicht habe, die eine solche Verbindung zur Unmöglichkeit machen." Das war nun freilich eine Absage, wie sie kürzer und bündiger gar nicht denkbar war. Don Gracias verschmähte sogar jede Ausrede, um seine Ansicht zu sagen. Frau Cour celles wollte aber doch diePartie noch nicht aufgeben. Es hing zu viel, es hing Alles daran. Sie durfte sie nicht aufgeben. „Aber, Excellenz, bedenken Sie das Elend der jungen Herzen, die Sie mit diesem Ausspruch zur Verzweiflung treiben werden. Wenn Don Salvatore sich in erster Auf wallung seines Schmerzes über die getäuschten Hoffnungen ein Leid zufügen sollte " „Das lassen Sie meine Sorge sein, gnädige Frau." „Hm, mein Gott, Excellenz, die Sache wäre aber doch gar zu traurig. Und die arme Georgette! Ich weiß in der That nicht, was das werden soll, wenn " „Sie wird sich trösten lassen, gnädige Frau." „Excellenz, ich fürchte " „Ich stelle Ihnen anheim, gnädige Frau, Ihr Fräulein Tochter in die Heimath zurückzusenden oder, wenn Ihnen das nicht passend erscheint, sie selbst dahin zurückzubringen." Die Sache wurde immer schlimmer. Frau Courcelles wollte sie doch nicht auf die Spitze treiben. Sie wollte nicht aus der Haushaltung des Herrn de Melida entfernt werden. Gleichwohl verlor sie in diesem Moment doch ihre ruhige Be sinnung und in ihren dunklen, glitzernden Augen funkelte es blitzähnlich, drohend und unheimlich auf. Was? mochte sie bei sich denken, dieser dicke Tropf, dieser unbeholfene Fleischkoloß, der über jedes Trittbrett stolpert, wagte es, sich so eisigkalt, so fest und bestimmt in ihren Weg zu stellen? Fürchtete er nicht, daß auch sie ihm in verhängnißvoller Weise gefährlich werden, daß sie ihn unsterblich lächerlich machen, bis zur Unmöglichkeit blamiren konnte in seinem dünkelhaften Strcberthum nach oben? Wußte er nicht, was sie leisten konnte, wenn sie wollte? Kannte er sie so wenig? Das war's. Frau Courcelles setzte voraus, daß Don Gracias sie gar nicht kenne, und deshalb beruhigte sie sich auch bald wieder. Es war nur ein halb verstecktes Auf leuchten ihrer Innerlichkeit, das sofort wieder verschwand, wie wenn ein Blitz über einen Abgrund dahiniährt. Mit einer fragenden Demuth und bescheidenen Zurückhaltung fuhr sie nach einer kaum merklichen Pause fort: „Soll das heißen, Excellenz, daß Sie meiner nicht mehr bedürfen?" „Ich sagte ausdrücklich, gnädige Frau: ich stelle Ihnen das anheim! Es soll weder mehr noch weniger heißen." „Sie stellen es in mein Ermessen, Excellenz?" „Allerdings." „Nun, so danke ich Ihnen auch dafür, Excellenz. WaS auch das Geschick der armen Kinder sein möge, ich werde meine Pflicht als Mutter thun. Zweifeln Sie daran nicht, Excellenz." „Durchaus nicht, gnädige Frau.. Ich drücke nochmals mein Bedauern aus über Das, was ich gezwungen war, Ihnen zu erklären, möchte aber gleichzeitig auch betonen, daß sich in absehbarer Zeit daran nichts, absolut nichts ändern läßt." Nun kam wieder die Lomplimentirbuch-Verbeugung und
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