Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971009012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-09
- Monat1897-10
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Di« Morg«n-Au»gabe erscheint um '/,7 Uhr. die Abend-Au-gabe Wochentag- um 5 Uhr. Lie-action und Lrpe-itio«: Johannes,affe 8. Die Ervedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filialen: Mto Rlemm'S Tortim. (Alfred Hahn), Universität-straffe 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Aatbarinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Bezugs-Preis in der hauptexpedition oder de» im Stadt- b«»irk und den Vororten errichteten Au-- aavrstellen ab geholt: vierteljährlich ^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 5.50. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrliährlich -ch 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandirndung ins Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. KiMM. TaMM Anzeiger. Amtsblatt des H-mgkiche« Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rashes und Nottzei-Amtes der Ltadt Leipzig. Auzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSslrich (-ge spalten) 50A, vor Len Familiennachrichten (6gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unscrein Prei-- verzeichniff. Tabellarischer und Zissernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./t 60 —, mit Postbesörderung ./ii 70. -. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 515. Sonnabend den 9. October 1897. 91. Jahrgang. Vie Centrumsinterpellation über die Kaiser manöver. * München, 7. Oktober. Um den Particularisten vom Schlage Ehren-Sigl'S den Rang abzulaufen, bat da- bayerische Centrum in der zweiten Kammer folgende, schon früher kurz erwähnte Interpellation eingebracht: „Bei den diesjäbrigen großen Truppenübungen wurden an die Mannschaften Anforderungen gestellt, die alle- bi» jetzt bei solchen Gelegenheiten Geleistete weit übertreffen. Dir Folgen Lieser großen Strapazen sind nach Mittheilungen von Augenzeugen und nach den Berichten der Bresse Selbstmord, rlne größere Anzahl von Todterr und Unalückssällen und zahlreiche Erkrankungen. In den weitesten Kreisen des Volke» besteht hierüber eine tiefe Be unruhigung. Ist die königliche Staatsregierung in der Lage, Ausschlüsse zu geben, welche geeignet sind, diese Beunruhigung zu beheben?" Die Begründung der Interpellation fiel dem Abgeordneten Sch adler zu, der sich seiner Aufgabe in einer Weise ent ledigte, die auch Ehren-Sigl wohl angestanden hätte. Schädler fragte, ob es nothwendig sei, daß die Manöver in solchem Umfang wie Heuer vorgenommen werden. Er meine, man könne den Zweck der Schulung für den Krieg auch auf anderem Wege erreichen. Er fürchte, da» Lecorative Element spiele eine zu große lRolle, man spreche nicht mit Unrecht von Prunkmanövern. Er wolle nicht näher darauf eingehen, baff keine bayerischen Leibgendarmen zur Stelle waren, daß bayerische Truppen vom Kaiser geführt wurden, obwohl sie doch nur im Kriege seinem Befehle unterstellt sein sollten. Er müsse da» berühren, weil man immer von „meinem" Heer, „meiner" Marine, „meinem" Parlament u. s. w. sprechen höre. Angesicht» der großen Wasser schäden im Reiche und in Bayern hätte man so große Manöver unterlassen sollen. Die Geschäftswelt habe durch die Einstellung des Güterverkehrs großen Schaden gehabt. Auch die vielen Eisenbahnunfälle fielen in diese Zeit. Die Ueber- lastung des Verkehrs und die Ueberanstrengung des Per sonal- infolge der Truppenbeförderung kämen dabei viel leicht auch in Betracht. Dem Volke sei durch Leistung von Vorspann, Einquartierung, gewährte Verpflegung eine große Last aufgebürdet, die Felder verwüstet worden, und La» in Gegenden mit ohnedem armer Bevölkerung. Redner erörterte die An strengungen, Strapazen und Beschwerden, welche die Soldaten bei der Ungunst de» Wetter» — kein Kaiserwetter —, bei Len grundlosen W-aen und morasttschen Biwakfeldern, bei den überaus forcirten Märschen und der in Folge dessen unzu reichenden Magazinverpflegung ertragen mußten. Wie viele Kraukheitskeime mögen da gelegt worden seinl Redner tadelte ferner, daß die Zeituugsmittheilungen über vielfache Erkrankungen rc. nicht sofort amtlich richtiggestellt wurden. lieber die Verluste bei der berühmten Reiterattacke hätten die Zeitungen allerlei Nachrichten gebracht, eine amtliche Mittheilung sei aber nicht erfolgt. Die un glückseligen Lauzen hätten auch wieder eine große Rolle bei Len Unfällen gespielt. Redner schloß: Wir sind keine Doctrinaire, aber wir haben eine Verantwortung, für uns ist die suxrema lex die salus publÜL. Der bayerische Kriegsministcr Freiherr von Asch beant wortete die Interpellation sofort. Er führte au»: Die Anstrengungen hätten sich völlig im Rahmen solcher Uebungen gehalten. Bon außergewöhnlichen Anstrengungen könne keine Rede sein. Eine sehr große Marschleistung habe nur an einem Tage da» eine Armeecorps gehabt. Daß Truppen infolge Ueberanstrengung liegen geblieben wären, sei nicht vorgekommen. Der allgemeine Gesundheitszustand sei während der großen Manöver ei» durchaus guter gewesen. Die anhaltend regnerische Witterung sei viel weniger nachthrilig gewesen als Staub und Hitze. Der Kranken- stand sei verhältnißmäßig geringer al» im gleichen Zeitraum deS Vorjahres gewesen. Von den 60000 Mann seien 2050 erkrankt; davon seien 627 im Lazareth, die übrigen im Revier behandelt worden. Während der Manöver seien 1116 der Erkrankten wieder gesund geworden. Gestorben seien zwei Mann. Der Krankenstand am Schluß der Manöver sei 752 gewesen, wovon 497 im Lazareth waren. Verletzungen seien 17 vorgekommen, wovon 4 in keiner Be ziehung zu den Uebungen standen. Von den 13 anderen Ver letzungen waren 7 Knochenbrüche, 2 Lanzenstiche, wovon einer von unvorsichtigem Vorbeireiten an einem mit Lanzen beladenen Wagen herrührte, 3 Schußverletzuugrn mit Platzpatronen, eine Quetschung de» Oberschenkel- (der von einem Geschütze über fahrene angeblich getödtete Lhevauxleger). Außerordentlich gering seien die Hitzschläge gewesen, nur 11. Gestorben sei an Hitzschlag keiner. Zwei Selbstmorde und ein Selbstmord versuch seien vorgekommen. Die Untersuchung hätte nicht den leisesten Anhalt dafür gegeben, daß sie mit den Uebungen zusammerhingrn. Nach alle dem fei zu Beunruhigungen nach keiner Seite hin rin Anlaß gegeben. Die Verantwortung für die allenfalls entstandenen Beunruhigungen sei Denen zuzuschrriben, welch, dir beunruhigrndrn Nachrichten, sei es in gutem Glauben, sei r» in böser Absicht, verbreiteten. Redner spricht von der Nothwendigkeit solcher Manöver, die auch in Rußland, Oesterreich, Frankreich abgehalten würden. Sie gäben dem Obercommandirenden Gelegenheit, mit großen Truppenmassen zu operiren und zu prüfen, welche Aufgaben sie im Kriege zu erfüllen hätten. Di« Soldaten ober sollen einen Vorgeschmack davon er halten, wa» im Ernstfälle von ihnen verlangt werde, große Cavallrrieattacken hätten wohl noch einen Zweck. Jederzeit könne noch mit vollem Erfolg auf erschütterte Truppen, welche die Munition vergeudeten, mit Cavallerie attackirt werden. Der oberste Kriegsherr (Prinzregent) könne jedem da» Lommando über tragen, wem er wolle. Da er das im vorliegenden Falle (Unter stellung der bayrischen Truppen unter da» Lommando des Kaisers) grthau habe, könne Niemand etwas dagegen sagen. Unter stellungen unter nichtbayrischcs Lommando seien auch bei früheren Manüvern vorgekommen. Auch preußische Truppen seien dem Prinzen Leopold von Bayern unterstellt worden, die Bahn verwaltung habe sich ihrer Aufgabe vollständig gewachsen gezeigt- Der Rücktransport sei ohne jegliche Störung vor sich gegangen. Die Flurentschädigungen würden so reichlich gewährt, daß Mancher noch Gewinn davon habe. Nach dieser Erklärung deS bayerischen Kriegsminisiers mußte sogar der Abg. v. Vollmar „zugeben, daß durch die Mittbeilungen des KriegSministerS die Befürchtungen über Erkrankungen und Verletzungen von Soldaten nicht un wesentlich (!) reducirt" worden seien. Der Krankenstand und die Zahl der Todten entspreche nicht Dem, was durch die Blätter gegangen, und der Krankenstand könne nickt als schlimm bezeichnet werden. AnS dem Verlaufe der Debatte ist sonst nur noch folgende Aeußerung de» Kriegsministers her- vorzuheben: „Leider ist die Person Sr. Majestät de- Kaisers in die Debatte gezogen worver.. Den Trost kann ich dem Abg. v. Vollmar geben, daß Alle», waS vor und während der Manöver geschehen ist, mit voller Zustimmung Bayerns geschah und daß irgend ein Druck von Berlin nicht stattgefunden hat." Lismarck-Änekdote». —?— Hamburg, 8. Oktober. Der „Rheinische Kurier" verbreitet in einer längeren Plauderei Anekdoten über den Fürsten Bismarck, die mit geradezu unglaublicher Kühn beit frei erfunden sind*). Es girbt am Ende doch auS dem Leben des eisernen Kanzlers so viel interessantes Wahres zu erzählen, daß eS Jedem überflüssig erscheinen sollte, ihm noch allerlei anzubichlen. Jever, der das Glück hatte, in die Häuslichkeit des Fürsten Bismarck hineinschauen zu dürfen, weiß, daß Fürst Bismarck niemals Karten spielt. Er kennzeichnete seinen Standpunkt zu dem Zeitvertreib des Kartenspiels, fpeciell deS Scatspiels, noch unlängst einem Friedrichsruber Besucher gegenüber durck die Bemerkung: am Kartenspielen, ob Scat, ob Whist, finde er durchaus nichts PlaisirlicheS. Das einzige Kartenspiel, das ihm viel leicht Spaß machen würde, sei Hazardiren, aber dann auch gleich recht hoch, und da daS seine VermögenSverbältnisse nicht erlaubten, so unterließe er das Kartenspielen überhaupt. *) Wir haben die Mittheilung des „Rhein. Kur." bisher uner wähnt gelassen, weil wir wissen, wie vorsichtig man ben von journalistischen Speculanten in Massen verbreiteten „Berichten" über den Fürsten und seine gelegentlichen Aeußerungen gegenüber jein muß. Wir geben jetzt die vorstehende, aus zuverlässiger Quelle stammend« Zuschrift wieder, um auch unsere Leser die Nothwendig- leit der von u»S geübten Vorsicht erkennen zu lassen. D. Red. d. „Leipz. Tagebl." Die im „Rhein. Kur." gegebene Schilderung deS burschikosen Verkehrs zwischen dem Fürsten und seinem Oberförster kann auch nur Jemand erdacht haben, der keinen von beiden kennt, oder der keine Ahnung von dem ehrerbietigen und bescheidenen Tone hat, mit dem Jedermann im Bismarck'schen Hause, mag er dem Haus herrn verwandtschaftlich oder durch langjährige Freund schaft auch noch so nahe stehen, dem alten Fürsten entaegentritt. Der Fürst selbst fällt auch niemals im Gespräch mit irgend Jemand — sei eS wer es wolle und möge die Unterhaltung auch noch so an geregt und heiter werden — aus seiner überaus höflichen, jedes Wort mit Bedacht vorbringenden Redeweise heraus. Er ist immer, auch „im Schlafrock", der durch und durch vornehme Herr, und wie gütig er auch gegen seine Angestellten ist, so wird durck deS Fürsten Art, sich zu geben, doch niemals einer von ihnen sich zu einem form- und taktlosen Betragen er- muthigt fühlen können. Auch waS über deS Fürsten angebliche Vorliebe für das Radfahren in dem Aufsätze des „Rheinischen Kuriers" gesagt wird, widerspricht direkt der Wahrheit. Der Fürst, ein großer Pferdcfreund und früher ein passionirter Reiter, hat vielmehr eine instinktive Abneigung gegen das Radlerwesen, aber seine Höflichkeit und Toleranz läßt eS nicht zu, diese Abneigung gegen den neumodischen Sport an sich auch auf die Personen auszudehnen, die ihn be treiben. Hat er doch nichts dagegen gehabt, daß selbst seine Enkel, die jungen Rantzaus, draußen in Friedrichs- ruh munter umberradelten, ehe sie die Ritterakavemie in Brandenburg bezogen, und einer radelnden Dame gegenüber wird der Fürst in seiner Ritterlichkeit niemals seiner Ab neigung gegen die Radlerei Ausdruck geben. Bestehen bleibt sie darum aber doch, und wenn, durch den Artikel deö rheinischen Blattes angeregt, etwa schon Radfahrer - Vereine planen, den Fürsten als einen Protektor des Velocipedsportes zu ihrem Ebrenmitgliede zu ernennen, so würden sie gut thun, sich das noch einmal zu überlegen und erst in Friedrichsruh zuverlässige Erkundigungen einzuziehen. Deutsches Reich. t ? Leipzig, 8. Oktober Wie unS mitgetheilt wird, be findet sich gegenwärtig in Flen-burg ein Individuum in Untersuchungshaft, dessen Name noch nicht genau feslgestellt werden konnte und dem unter Anderem auch das Verbrechen des Lan desverrathS zur Last gelegt wird. Der Mann nennt sich Bülow, Schulze u. s. f. Ob er vor dem Reichs gericht abgeurtheill wird, hängt natürlich von dem Er- gebniß der Voruntersuchung ab, die, wie verlautet, noch nicht abgeschlossen ist. L2 Berlin, 8. Oktober. Herr Eugen Richter scheint sich nicht mehr allein vor dem der Freisinnigen Ver einigung zur Verfügung stehenden Wahlfonds zu fürchten, sondern auch vor einer verständigeren Auffassung der Marine frage im Laube, der auch der rechte Flügel des Freisinns vorzuarbeiten bemüht ist. Nach unserer wiederholt bekundeten Ansicht sind die Befürchtungen des volkspartcilichen Führers nicht unbegründet. Die Freisinnige Vereinigung selbst wird ihm ja kaum sehr gefährlich werden, wohl aber die wachsende Einsicht in der Bevölkerung, daß sie wieder einmal von der Demokratie unnölhig verhetzt werden soll. Noch haben die Gegner einer genügenden Flottenverstärkunz daS Ueber- gewicht bei der öffentlichen Meinung, aber auch dies weniger vermöge der Festigkeit ihrer Position in der Marine- Angelegenheit selbst, als vielmehr weil sie noch in der Lage sind, einen Zusammenhang zwischen der Flottenfrage und unab weisbaren konstitutionellen Bedürfnissen der Zeit zu construiren. Der Abgeordnete I)r. Barth hat den anerkennenswerlhen Muth gehabt, in einer Versammlung zu Neumünster auch diesem Punkte fest ins Auge zu sckauen und ihn un befangen zu behandeln. Kern Wunder, daß Herr Richter sehr erbost und, wie gesagt, sehr besorgt ist. Er veröffentlicht in der „Freis. Ztg." gegen diesen nun mehrigen Gegner eine lange Anklageschrift, deren Aeußerlich- keiten schon — sie zerfällt in I., II. und III. — darauf hin weist, daß sie zur Verbreitung als Flugschrift bestimmt ist. Erst kommt ein politisches currieulum vitae, das aber natürlich erst mit dem Zeitpunkte beginnt, wo Barth auf gehört hat, ein Fractionsgeuosse Nichter's zu sein. Aus ihm tönt der schwere Vorwurf hervor, daß Barth nickt immer dasselbe Sprüchlein hersagt, um es mit einem drein zu endigen. Dann wird zwar der Satz Barth's anerkannt, daß die Frage, wie viel Mittel man glaube auf die Landesvertheidizung verwenden zu müssen, mit den Parteigrundsätzen des Liberalismus gar nichts zu tbnn habe, aber dann erfolgt die Einschränkung, daß ein Ab geordneter „unter Umständen" solche Fragen nicht sachlich beantworten dürfe. „Umstände", welcke dies verbieten, sind nach Herrn Richter immer vorhanden, wenn eine Heeres- oder Flottenverstärkung nölhig ist. Barth hat erklärt, das Ziel, Deutschland eine kleine, über aus der Höbe der Leistungsfähigkeit stehende Flotte zu ver schaffen, scheine ihm „durchaus vernünftig". Deswegen wird ihm die Aneignung eines „Schlagwortes" zum Vorwurf ge macht. Wenn Richter von „uferlosen" Flottenplänen spricht, so ist daS natürlich kein Schlagwort, sondern ein aus vollster Kenntniß der Pläne der Negierung und auS deren unbefangenster Beurtheilunz geschöpftes Unheil. Barth hat aber noch Schlimmeres verbrochen, indem er einräumte, die vfsiciöse Versicherung, daß die Marincforderung neue Steuern nicht nach sich ziehen werde, brauche angesichts der ohne Steuererhöhung bewirkten Durchführung der HeereS- vermehrung von 1893 noch nicht gleich als falsche Vor spiegelung angesehen zu werden. Auch das ist in den Augen Richter's unverzeihlich, daß der ehemalige Parteigenosse für den etwaigen Fall seiner Zustimmung zu ben Tirpitz'schen Vorschlägen nicht einen Nevers von der Regierung verlangt, in dem sie sich verpflichtet, in den nächsten hundert Jahren kein weiteres Schiff zu verlangen. DaS Allerärgste ist aber die schon erwähnte Beurtheiluug der konstitutionellen Frage. Herr Barth sagte: „Der Umstand, daß der Kaiser an der Durchführung solcher Pläne ein lebhafte- Interesse nimmt, darf keinen freisinnigen Mann dazu verführen, dem Plane von vornherein ablehnend gegen überzutreten. Es ist gewiß verächtlich, aus Liebedienerei gegen die Wünsche des Monarchen das Staatsinteresse aus den Augen zu lassen; aber es ist schließlich nicht minder schwächlich, auS Liebe- dienerei gegen eine wirkliche oder scheinbare Volks strömung einer Vorlage nur deshalb Opposition zu machen, weil man glaubt, der Kaiser stehe mit seinen persönlichen Wünschen dahinter." Daß Herr Richter in diesem Satze beurtheilt wird und richtig beurtheilt, verräth er selbst, indem er sich in seiner Abwehr die Worte entschlüpfen läßt, Barth täusche sich gründlich über die Volksströmung. Das mag sein. Aber darauf kommt eS hier nicht an, sondern auf die Berechtigung des Borwurfs, daß Richter den Lakaien einer Volksströmung abzugeben keine Scheu trage. Und diesen bestätigt er durch seinen Hinweis auf eben diese Volksströmung. Nur taktisch genommen wird wahrscheinlich Herr Richter — vorerst noch — Recht behalten. Und er wird es gewiß, wenn daS Interesse des Kaisers an der Marine sich künftig in einer Weise be- thätigen sollte, wie sie bisher ganz ohne Frage weite, sonst in Verlheidigungssragen opferwillige Kreise den Marine forderungen entfremdet hat. (D Berlin, 8. Oktober. (Telegramm.) DaS Kaiser paar wird am Sonntag in Liebenthal, das zwei Meilen von HubertuSstock am Rande der Schorfhaide idyllisch ge legen ist, der Einweihung einer neuen Kirche beiwohnen. Nach der Feier bezieht sich der Kaiser zur Jagd nach Lieben berg als Gast deö Botschafters Grafen Eulenburg. (-) Berlin, 8. Oktober. (Telegramm.) Wie der „Neichsanzeiger" mitthcilt, hat der Kaiser der Kroiiprin- zcssi» von Griechenland den Luisen-Orden mit der Jahres zahl 1813—14 und dem rothen Kreuze verliehen. (-) Berlin, 8. Oktober. (Telegramm.) Dem „Reichs anzeiger" zufolge ist über Costa Rica nut Rücksicht auf die bevorstehende Präsidentenwahl für 2 Monate der Be la ge rn na S zustand verhängt. (-) Berlin, 8. Oktober. (Telegramm.) Ter „Reichs anzeiger" veröffentlicht eine Bekanntmachung des Finanz- m in ist er s,wonach versuchsweise und unter VorbehaltdesWider- rufs die Zahlung der (iivilpcnsioncn und Wartcgeldcr inner- Feuillaton. Der Dichter Les Don Ouijote. Zu Cervantes' 350. Geburtstage, 9. Oktober. Bon vr. Wilhelm Franziu». Nachdruck verboten. Alcala de Henares ist heute eine verfallene öde spanische Provinzstadt, in deren Straßen das Gras wächst und selten nur der Schritt eines Fremden hallt. Nicht also vor 350 Jahren. Damals stand die vom Cardinal Limenes be gründete Universität in voller Blüthe, 7000 Studenten füll^n-ckie Stadt mit geschäftigem Leben und der Ruf der jüngeren Hochschule durfte dreist mit dem des alten Sala- manäa und der großen ausländischen Universitäten wett eifern. In diesem Sitze der Musen wurde Miguel de Cer- vanteH Saavedra als der Sprößling einer sehr alten Familie geborckn. Seine Ahnentafel wies den Nunno Alfonso auf, dessen (Heldenthaten an Berühmtheit nur von denen des Cid Campckador selbst übertroffen wurden, und mehrere seiner Vorfahren haben als Erzbischöfe, Großprioren und Corre- gidoreiffsich Ansehen und Namen erworben. Aber seinem Vater Rodrigo war'S nicht so gut geworden, dürftig genug ging es ^m Hause zu und Miguel sah sich darauf angewiesen, wie marvhe: mittellose Adelige seiner Zeit, sein Glück zu suchen —X im Kriege oder im Frieden, daheim oder in der Fremde. kam es, daß sein Leben ein bunter bewegter Roman wvvde und er selbst — ein Dichter. Sein LfbenSroman beginnt echt spanisch und hidalgo mäßig mit einem Duelle. Er verwundete seinen Gegner lebensgefährlich und mußte, von einem Steckbriefe verfolgt, außer Landes fliehen. Damals war er 22 Jahre alt, die Studien, denen er bisher obgelegen und die ihn sogar schon zum Gelegenheitsdichter gemacht hatte, erlitten eine jähe Unterbrechung und das Leben nahm ihn in eine schwere Schule. Zuerst wird er bei einem Cardinale in Rom Kämmerling. Aber da geht durch die Christenheit der laute Ruf zu den Waffen gegen die Ungläubigen, Spanien und Venedig verbünden sich gegen die Türken und Philipp's II. Halbbruder, der ritterliche Don Juan d'Austria, übernimmt das Commando der stattlichen Flotte. Auch der Nachkomme des Nunno Alfonso folgte, von Abenteuerlust und frommer Begeisterung zugleich erfüllt, diesem Rufe. Am 7. Oktober des Jahres 1571 gleich nach Mittag war es, als vor der Stadt Lepanto ein Kanonenschuß vom Flaggschiffe „Real" das Signal zur Schlacht gab. Als Cervantes diesen Schuß hörte, lag er fieberkrank in der Cajüte des Genuesen „La Marquesa"; aber dem Fieber und dem Widerspruche seiner Kameraden zum Trotze sprang er auf und betheiligte sich am Kampfe. Mit welcher Tapferkeit, zeigt das Ergebniß: als der Abend sank und der glorreichste Sieg erfochten war, den die Christenheit bis dahin in ihrem Kampfe gegen die Os- manen aufzuweisen hatte, lag Don Miguel an Deck der „Marquesa" mit zwei schweren Wunden m der Brust und mit zerschmetterter Linken. Lange hatte er unter seinen Wunden zu leiden und die Hand blieb fortab verkrüppelt. Dennoch war der Tag von Lepanto Zeit seines Lebens eine 1 seiner stolzesten Erinnerungen; oft in seinen Schriften I spricht er von dieser RuhmeSthat, und in der Vorrede zu den „Novellen" gesteht er, daß er die Wunde, die Anderen häß lich erscheinen könne, für sehr schön halte. So war Cervantes ein Kriegsmann geworden. Unter dem von ihm hochverehrten Don Juan machte er 1573 den Feldzug nach Tunis mit und mannigfache Geschäfte führten ihn hierhin und dorthin. In dieser Zeit war es, wo sein offener Geist reiche Kenntniß von Welt und Menschen sammelte, und wenn wir in seinen Dichtungen „Anconas Stille und Bolognas Universität, Florenz' Paläste und Venedigs Glanz" anschaulich geschildert antreffen, so sind das Erinnerungen aus dieser bewegten Zeit. Aber es zog ihn doch nach der Heimath, aus der er verstoßen war, und endlich nach mehr als sechsjähriger Verbannung, schien sie sich ihm wieder zu öffnen. Im Besitze von Schreiben Don Juan's selbst und des Bicekönias von Neapel, die ihn dem grollenden Könige empfahlen, segelte er 1575 mit seinem älteren Bruder Rodrigo auf der Galeere „El Sol" (Die Sonne) fröhlich dem Vaterlande zu. Aber seine Odyssee sollte noch nicht ihr Ende finden. Die gefürchteten algerischen Piraten fielen über die „Sonne" her, überwältigten nach hartem Kampfe die Mannschaft und die beiden Cervantes mußten einem Renegaten, Dali-Mami, als Sklaven nach Algier folgen. Fünf Jahre schmachtete er in der Gefangenschaft. „Dort hat er Geduld im Unglück gelernt", hat er später kurz aber bedeutungsvoll von sich gesagt. Freilich war er weit ent fernt, sich mit fatalistischer Gelassenheit in sein Loos zu fügen. Er versuchte es einmal übers andere zu entkommen; aber alle Anschläge mißlangen. Ja, er faßte sogar den Plan, die Laufende von Christensclaven, die in der alten Maurenstadt gefangen gehalten wurden, zu einem Aufstande zu organisiren und so Algier den Ungläubigen zu entreißen; aber auch dieser Plan wurde entdeckt. Wenn der Dey und sein Herr den gefährlichen Mann dennoch schonten, so war es, weil die bei ihm gefundenen Schreiben ein hohes Lösegeld erhoffen ließen und weil die männliche Haltung, die Würde und der Gleichmuth des Spaniers ihnen imponirten. Fünf lange Jahre eines engen und doch bewegten Lebens gingen so hin. Endlich — endlich nahte der Tag der Freiheit; gegen den Schluß des Jahres 1580 kamen 6770 Realer, als Lösegeld für Don Miguel an und wenige Monate später betrat er die heißersehnte Küste der Heimath. Cervantes war nun ein Mann, den Jahren, wie den Er lebnissen nach, und noch hatte er keine feste Stelle im Leben, keine gesicherte Existenz gewonnen. Das aber war sein Schicksal, und eben die Bedürftigkeit hat wohl erst den dich terischen Funken in seiner Seele angefacht. Der König be willigte ihm eine Ehrengabe von 100 Ducaten, aber weiter that er — es scheint, in echt Philipp'scher dauernder Nach träglichkeit — für den Vielgeprüften nichts; unstät und un sicher blieb sein Leben und so war es wohl zunächst um des Geldes willen, daß er 1584 sein erstes Werk, die „Galatea", schrieb. Und es scheint ihm doch immerhin so viel einge tragen zu haben, daß ihm die Eheschließung erleichtert wurde. Seine Erkorene, Donna Catalina Vozmediano, war von guter Familie, aber von geringem Reichthume. Ihre Verwandten wollten von Cervantes, dem unbemittelten und aussichtslosen Kriegsmarine nichts wissen, und besonders war es ein Onkel der Dame, der sich dem Bündnisse wider setzte. Cervantes hat an diesem Alfonso de Quijada später
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite