Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971009023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-09
- Monat1897-10
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Di« Morgr»«Au«gabc erscheint «M V»? Uh«, bi« Abend-Au-gab« Wochentags m» b Uhr. Tr-arNo« »nd Lrveditio«: Jatannesgasi« 8. Dielrtzeditio» ist Wochentag« ununterbrochen »Sftnl »o» früh 8 bi« «deud» ? Uhk. Filialen: Vtt» Rlem»'« Dorti«. (Alfred Hatz»), Lniversltät-strahe S (Paulinum), Lani« Lösch«, A»ttz«st»«,str. I< -«1. und Königsplat» 1, BezugS-Preis b« Hauptexpeditio» oder den kn Stadl« «Wir! n»d den Vororten errichtete» N»A- au>«st«llen abgetzalt: »ierteljührlich^4.öH dn tweimaliger täglicher Zustellung in« Han» ^l i».so. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich »Ni a>—. Direcre tägliche Kreuzbaudieodung iwt Ausland: monatlich 7.S9. SIS. Abend-Ausgabe. MpMer TagMalt Anzeiger. ÄmLsökatt des königlichen Land- nnd Äintsgerichles Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadl Leipzig. Auzeigeu^preis Re ögespaUme Petitzeile 20 Pf^ Nrclame» unter demRrdactionsstri'H («ge spalten) ü0^, vor den Familieauachrtchtea (Sgrjpalteu) 40/^. ErSßere Schriften laut unserem Pr«is- verzeichaik. Tabellarischer und Zifferosatz nach höherem Tarif. Ertra-Vetlagen (gesalzt), nur mit b« Morgen«Ausgabe, ohne Postbesörderunz/ ^l SO.—, mit Postbesörderung 7üc—» Ännahmeschluß für Anzeigen: Abeud-Au-gabr: Bormittags 10 Uhr. -siorg»u.Au«gab«: Nachmittags «Uhr. Sei de» Filiale» und Annahmestelle» je ein« halbe Stunde früher. Anzeige« sind stet- an die Srdeditis» zu richte». Druck uud Berlag von L Polz in Leipzig Sonnabend den 9. October 1897. Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. October. Nachdem Centrum, Socialdemokratie und bürgerliche Demokratie ihre Vorarbeiten für di« nächsten NetchstagS- vtttzlet» schon längst in Angriff genommen haben, beginnen in einzelnen Theilen de« Reiche- auch die nationalltberalen Organisationen mit ihren Vorbereitungen, und mit Genug- thuung läßt sich constatiren, daß dabei nicht nur die unge wöhnliche Bedeutung dieser Wahlen und der Ausgabe, für die nächsten fünf Jahre da- deutsche Lolk nicht wieder der jetzigen Reichstagsmehrheit zu überlasten, nach Gebühr ge würdigt, sondern daß auch mit festem Vertrauen auf den Erfolg de- nationalen Gedankens für die kommende Ent scheidung gerüstet wird. Da- ist auch der Grundaccord des Rund schreibens, mit welchem der rührige geschäft-führende Ausschuß der nationailiberalen Partei der Provinz Westfalen die Central organisation der Provinz zum 24. October nach Hamm ein berufen hat, um über den Stand der Organisation und der Candidatenfrage zu berichten und zu berathen und zu weiterer Arbeit Anregungen zu geben. Der Aufruf weist aber auch noch darauf bin, daß nichts damit gethan ist, wenn man die jetzigen Zustände beklagt und den Urgrund der gegen wärtigen Zustände ausschließlich in einem Mangel der früheren kraftvollen, zielbewußten Führung der Regierungs geschäfte sucht. Auch das deutsche Bürgerthum, so fährt der Ausruf fort, kann nicht freigesprochen werden von Schuld. „Seiner Aufgabe in dem Kampfe gegen die jahraus jahrein geschäftige Agitation einer vaterlanbslosen revolutio- nairen Partei, wie in dem Widerstande gegen das schritt weise Vordringen des UltramontanismuS, Hal eS nur in sehr unvollkommenem Maße sich gewachsen gezeigt. TheilS ver- zehrte eS seine Kräfte in wirihschaftlichen Jnteresseukämpsen, theilS stand es völlig unthätig zur Seite oder suchte in doctrinairer Rechthaberei seinen Zeitvertreib". Damit ist wieder in Erinnerung gebracht, was in den letzten Wochen zu sehr in den Hintergrund getreten ist, daß nämlich eine krästige, geschlossene und zielbewußte Regierung allein nichts vermag und daß ihre Erfolge eme geschloffene, zwldewußtc Mehrheit in der Volksvertretung vorauSsetzen; eine Mehrheit, bei der darauf zu rechne» ist, daß sie in ihren Entschließungen, wie es auch bei anderen Nationen von start ausgeprägtem nationalen Empfinden geschieht, im entscheidenden Momente das Gesammtwohl des Reiches allen anderen Rücksichten unbedingt voranstellt. Das zeigt am deutlichsten die Treiberei des Leiters der Freisinnigen Volkspartei und der mit ihm Seite an Seite marschirenden Demokraten und Volks parteiler» die nach nichts Höherem trachten, als nach einer dürftigen Vermehrung der eigenen Mandate und einer um so größeren des CentrumS, obgleich dieses tausendmal bewiesen hat, daß es ohne Bedenken die wichtigsten Volks- interessen preiSgiebt, wenn eS dafür die Erfüllung seiner kirchlichen Gelüste emtauschen kann. Um das antiuationale und reactiouaire Centrum auch im kommenden Reichstage zur ausschlaggebenden Partei zu machen, liefert Herr Richter in seiner »Freisinnigen Zeitung" der klerikalen Presse die Schlagworte, die, zu stimmungmacheuden Artikeln ver arbeitet, allabendlich ins Land dinausgehen, ohne gleich- Ulid rechtzeitige Widerlegung finden zu können. Un besehen werden von den kleinen CentrumSblättern di« Trug bilder nachgemalt, die der gewandte Finanzjongleur nach Bedarf mit denselben Zahlen ü In bausso oder L In dnisse hingaukelt, je nachdem eine Steuer als überflüssig wegen der glänzenden Finanzlage oder eine unabweisbare Forderung der nationalen Wehrkraft als eine vermehrte Bedrückung des Volkes nach dem alten Schema zu behandeln ist. Unbesehen werden die Richter'schen „Mittheilungen" ausgenommen, von der Brausteuer bis zum dreimaligen Entlaffungsgesuche des Reichskanzlers, obwohl Jeder, der nur einigermaßen informirt war, sich sagen mußte, daß sie keine andere Quelle hatten als die Richter'sche Phantasie, und keinen anderen Zweck als den, Verwirrung und Trübungen zu verursachen, in denen bei den Wahlen ein reicher Fischzug zu machen wäre. Um so mehr muß in allen nationalgesinnien Kreisen dahin gewirkt werden, daß dieser Mache die Wege verbaut werden, wo sie scrupellos die Sicherung der nationalen Wehr kraft zur See als neues Zielobject sich genommen hat. Und eS fällt dies nicht schwer, wenn man vier Jahrzehnte zurückgeht. Wenn man auf die politischen Erörterungen zu Anfang der sechziger Jahre zurückgreift, so findet man in demselben Lager dieselben Schlagworte gegen die Organisation der Landarmee, die jetzt gegen den Ausbau der Flotte auSgegeben werden. Auch die Armee hieß damals bei den fortschrittlichen Taktikern eine „Parade armee", wenn eS galt, die Mittel für ihre Organi sation zu verweigern. Preußen mußte der .Groß machtkitzel" ausgetrieben werden, wie dem Reiche jetzt der so genannte „Weltmachtkitzel", weil es sich anschickt, lediglich die Consequenzen daraus zu ziehen, daß nun der deutsche Handel den ganzen Erdball umfaßt, wie eS der der concurrirenden Nationen scbon längst gethan hat. Auch damals spielten sich als Autoritäten in militairischen Dingen dieselben Leute auf, die jetzt dem deutschen Volke auf Grund ihrer parlamentari- scken Actenkenntnisse sich als unfehlbare Sachverständige in Marineangelegenheiten aufdrängen möchten. Zu diesem System gehört schließlich noch die Verschärfung und Ausbeutung der Verstimmungen, die durch kaiser liche Aeußerungen in diesem oder jenem Fall hervorgerufen worden sind. Die Stärkung der Wehr kraft deS deutschen Reiches zur See ist eine viel zu ernste Frage, um von dem Gesichtspunkte behandelt zu werden, ob man einem Landesfürsten oder dem LandeShauple damit einen „Gefallen thut" oder nicht. Nicht für den Kaiser wird die Flotte verstärkt und verbessert, sondern im Interesse der Wehrkraft des Reiches, und daraus ergiebt sich, daß eine Behandlung der Marinefrage, die als eine ernsthafte be trachtet sein will, vor Allem eS ablehnl, in die DiScussion Dinge hinzuzuführen, die mit der Beschaffung der erforder lichen Panzerflotte nichts zu thun haben, und daß sie nur zwei Fragen gelten dürfen: was muß daS deutsche Reich haben und waS kann eS finanziell tragen. Mit welchen Mitteln in Baden die Presse des Cen trums Stimmung zunächst gegen die Regierung und dann für die eignen Lanblagscandidaten zu machen sucht, geht daraus hervor, daß sie eine preußisck-badische Eisen bahngemeinschaft in Aussicht stellt. Demnächst, so heißt es in den badischen ullramontanen Blättern, solle darüber verhandelt werden, die Eisenbahngemeinschaft mit Preußen, welche daS Großderzogthum Hessen eingegangen sei, auf die Reichseisendahnen in Elsaß-Lothringen, die pfäl zischen Eisenbahnen und die badischen Staatseisen bahnen auszuvchnen. Daran werden bewegliche Klagen über die Einbuße an Selbstständigkeit und HoheilSrechten, die Baden erleiden werde, geknüpft und es wird bejammert, daß derartig „im Großen und Ganzen daS Versügungsrecht Badens über sein Eigenthum ausgeschlossen und daß schließlich binnen kurz und lang das badische Mittel- und Kleingewerbe von preußischen Staffeltarifen bedroht würde". Dafi eine solche Eisenbahngemeinschaft für die dazu zugehörigen Staaten auch den Vortheil hat, unwirthschaftliche Maßregeln und Einrich tungen zu beseitigen, an den „Grenzstationen", wo zum Theil vielfach jede Verwaltung noch eigene Stationseinrichtungen bat, einen einheitlichen Betrieb emzuführen, die Anschlüsse den Interessen des Publicums entsprechend zu regeln, zweckmäßige Zugverbindungen herzustellen und kostspielige Concurrenzmaßregeln zu vermeiden, wird ignorirt, weil es mit der offenbaren Absicht in Widerspruch steht, dem badischen Mittelstände das Centrum als warmen Hüter seiner Inter essen vorzusühren. Zu diesem Zwecke ist denn auch, als die „Badische Landes,tg." in Karlsruhe die Nachricht als falsch und die darin geknüpften Mittheilungen als irreführend abwieS, unter HmweiS auf bestimmte, zu diesem Zwecke geführte Verhandlungen „Alles aufrechterhalten" worden. Aber auch diese neuen Mittheilungen über solche Verhand lungen sind der „Nat.-lib. Corr." zufolge unrichtig; an den maßgebenden Stellen in Berlin, die an derartigen Verhand lungen doch betheiligt sein müßten, wird daS ganze Gerücht als aus der Luft gegriffen bezeichnet. Auch das wird nichts fruchten; zur größeren Ehre deS CentrumS und daher auch GotteS wird fortgelogen und im Falle eines durch der artige Mittel herbeigeführlen Wahlsieges Gott gepriesen, der die gute Sache gesegnet habe. In Oesterreich hat der Sprachenantrag des klerikalen Dipauli die Nationalitätenfrage einer neuen Phase zu geführt. Der Antrag des Führers der katholischen Volks partei geht bekanntlich dahin, die ominösen Sprachenverord- uungcn aufzuheben, um die nationale Erregung in Böhmen zu beschwichtigen und an Stelle jener eine gesetzliche Regelung der Sprachensrage herbeizufübren. Damit kommt die katholische Volkspartei dem langjährigen Bestreben der deutschen Parteien entgegen, daß die Verordnungsgewalt der Regierung beschränkt und ihr die Möglichkeit ge nommen werde, durch Geschenke nach der einen und anderen Richtung ihre Position zu festigen, selbst wenn darüber der Sprachenzwist immer mehr verschärft wird. Diese auf fallende Schwenkung der Gruppe Dipauli wird auf Grund der Aeußerung ibreS Obmanns, sie würden von ihren Wählern weggefegt, wenn sie sich anders verhielten, so gedeutet, daß selbst die breiten katholischen Bevölkerungsschichten in den entlegenen Alpenländern von der nationalen Bewegung er griffen und nicht mehr gewillt seien, daS Deutschthum dem Slawenthum auszuliefern und so an ihrer eigenen Ab stammung schlimmsten Verrath zu üben. Die Frage ist nun, ob die klerikalen Abgeordneten ihre Action ernst nehmen oder lediglich der öffentlichen Meinung in den Alpenländern Rechnung tragen, blos zu dem Zwecke, sie zu beschwichtigen. Baron Dipauli verwahrt sich zwar da gegen, daß sein Antrag nur ein Manöver sei, aber immerhin wird man abzuwarten haben, wie die Sache sich weiter ent wickelt. Die Tschechen sind über den Dipauli'schen Antrag natürlich außer Rand und Band, da er mit einem Male einen Keil in die Majorität treibt und eines ihrer vor nehmsten „Postulate" arg gefährdet. Sie hatten gewähnt, Badeni sei ihr Gefangener und könnte ohne sie nichts thun, jetzt fehen sie sich auf dem Wege, isolirt zu werden. Die Polen stehen dem Dipaulischen Antrag einst weilen noch kühl gegenüber. Daß sie ihn mit besonderer Energie unterstützen sollten, ist nicht wahrscheinlich, aber sie haben auch keinen Grund, für die Tschechen die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Das officiöse „Fremden blatt" stellt sich nicht unfreundlich zu dem Anträge. Eine gesetzliche Regelung der Sprachenfrage und die endliche Her stellung des nationalen Friedens könne keinerlei principielle Gegnerschaft weder seitens der Regierung noch irgend einer Partei Hervorrufen. Auch Graf Badeni habe im Herrenhause seinerzeit erklärt, wenn der Wunsch nach gesetzlicher Regelung der Sprachenfrage in den Parteien zu einer concreten Gestaltung ausreife, werde die Regierung bereit sein, an dem Werke mit voller Thalkraft mitzuwirken. Dann heißt es aber weiter: „Voraussetzung dafür wäre freilich die endgiltige Scheidung zwischen den taktischen parlamentarischen und den nationalen Fragen selbst, die LoSlösung deS Problems, das auf die Tagesordnung des Hauses gestellt werben soll, von Partei- Erwägungen und der ganzen parlamentarischen Strategie." „Das heißt (bemerkt hierzu die „N. Fr. Pr."): Die Opposition muß so lange Waffenstillstand halten, bis der Dipauli'sche Ausschuß mit seiner Arbeit fertig ist, was beliebig lange dauern kann. Das scheint die Hauptsache zu sein, und dazu wäre der Regierung der Antrag Dipauli gerade gut genug, obwohl er mit der berühmten Theorie vom „primären" Verordnungsrechte im Widerspruche stebt. Die Opposition ist bekanntlich anderer Ansicht." Hieraus ergiebt sich, baß die Deutschen dem Schritt Dipauli S noch mit der gebotenen Reserve gegenüberstehe». Lange genug hat daß italienische Ministerium Rubini mit der Gefahr gespielt, die dem Staate von der „Freund schaft" des BaticanS droht, nur um auch auf diesem Ge biete den Gegensatz zu dem verhaßten Regime CriSpi'S zu markiren. Jetzt endlich geht auch Herrn Rudini ein Licht darüber auf, daß er die Gefahr erheblich unterschätzt hat und nun um so energischer einsckreiten muß. Wie gemeldet, hat der Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als Minister deS Innern an sämmtliche Prüfe cten des Königreichs drei Circulare gerichtet, um sie für ihre Stellungnahme gegenüber der klerikalen Bewegung mit einheitlichen, bindenden Instructionen zu versehen, deren stricte Befolgung ihnen zur unabweisbaren Pflicht gemacht worden ist. Das erste Rundschreiben bestimmt das Vorgehen gegen die politisch-klerikalen Vereine, das zweite betrifft die Benutzung der Kirchen zur Veranstaltung politischer Versammlungen und das dritte Rundschreiben erinnert an die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, welcher wiederholt ausgesprochen hat, daß auf alle in den Kirchen stattfindenden Zusammen künfte, welche nicht streng religiösen Charakters sind, die allgemein gütigen Gesetze zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und die polizeilichen Ordnungsvorschriften An wendung finden. Bemerkenswerlh ist auch ein äußerst scharf gehaltener Artikel der osficiöien „Opinione", welche, wie der „Münchner Allg. Ztg." aus Rom geschrieben wird, er klärt, die Verfügungen seien nicht gegen die Katholiken ge richtet, sondern gegen die Klerikalen, das beißt gegen diejenigen, welche die Einheit und Freiheit Italiens bekämpften. Die Regierung werde es nicht dulden, daß man die dem religiösen Gefühle geweihten Kirchen in politische Clubs FerrNlstsrr. Götzendienst. 29j Roma« i» zwei Theilen von Wold «mar Urban. «lachduck »ertöten. Aber das hätte Alles noch sein mögen. Im Lügen und Scheinwesen machen die Leute, wenn sie einmal angefangen, erstaunliche Fortschritte. Der innere Kern stirbt sozusagen Ring für Ring ab wie bei einem ternfaulen Baume und dir Rinde wuchert und prahlt noch lustig weiter. In seine fiebernden Träume ragte aber jetzt häufiger als je die rührende flehende Gestalt Camillas und der Gegensatz zwischen Dem, was hätte sein können, und Dem, was war, machte ihn krank, machte ihn rasend und verrückt. In seinem Zimmer hing ein alter, aber sehr schöner Kupferstich, der Vas nackte, rissige FelSplateau von Golgatha bei Jerusalem darstellte, und zwar gerade in dem Augenblick, als der Heiland am Kreuz verschied. DaS Kreuz selbst war auf dem Bild nicht zu sehen, sondern es fiel in künstlerisch fein durchdachter Weise nur der Schatten davon mit dem Heiland daran in das Bild hinein, während im Hintergrund die römischen Soldaten, die die Kreuzigung vollzogen und das Volk, daS ihr zugesehrn, wiedrr nach der Stadt zurück ziehen, über der dunkle, blitzdurchleuchtete Wolken lagern. „Lonsinnutum v»b" stand unter dem Bilde. „Geopfert" oder ^.vorüber" oder wie man das etwa übersetzen mag. Er hatte.eS einmal al» Ostergeschenk von seinem verstorbenen Vaterx bekommen und sich in früheren Jahren an der weihe vollen! durchgeistigten Stimmung, die das Ganze beherrschte, erhöbe»,. Jetzt aber, in seinem fieberischen Halbschlaf nahm der Schatten des Heiland», der deutlich mit gesenktem Haupsi» und gebrochener Gestalt in das Bild hineinragte, die Gestalt» Camillas an. Sie war auch geopfert und ihre falschen» Göttern und Götzen geopferte EngelSgestalt ragte in sein zLeben hinein, wie rin Schatten, griff nach ihm, wie ein Gespenst, zog ihn nach in denselben Abgrund, in den er sie gestossen hatte. Er wälzte sich auf seinem Laaer hin und her, HickZie und stöhnte, große Schweißtropfen standen auf seiner KStirn und seine Brust arbeitete hörbar, so daß seine Mutterr ängstlich zurückkam. „Victor! Victor!" rief sie, „was ist Dir?" Er erwachte und wischte sich müde den Schweiß von der Stirne. „Nichts, nichts, Mutter, das Fieber — Du weißt —" „Soll ich den Arzt rufen?" „Nein, nein. Gieb mir etwas zu trinken. Mich dürstet." Er trank von dem Himbeersaft, den ihm der Arzt ver ordnet hatte und wurde wieder etwas ruhiger. Seine Mutter zog sich nach einer Weile wieder zurück, aber Schlaf und Erholung fand er nicht. Der Morgen fand ihn müder, abgespannter, muthloser al» je. In dieser Stimmung traf ihn am nächsten Morgen der Brief des Malers Hartwig. Erstaunt nahm er das Schreiben in die Hand, unterschrieb die Quittung, die ihm der Briefträger präsentirte und besah das Siegel, mit dem er verschlossen war. Das stellte einen Minervakopf mit der Umschrift: Rss ssvors, vorum Kuuäiuw, zu deutsch: die wahre Freude ist das ernste Streben, dar. Darunter das Initial A. H. Keine Krone, kein Wappen, nichts. Was konnte das sein? fragte sich Graf Victor. Endlich erbrach er es und las es. Sein Gesicht zuckte nervös auf während der Lectüre. Was sollte das sein? Eine Herausforderung? Eine Beleidigung jedenfalls. Was veranlaßte den Mann, solche Briese zu schreiben? Was ging ihn die ganze Sache an? Der Gesichtsausdruck des Grafen Victor wurde finsterer und finsterer. Mußte er nochmals wegen dieser Geschichte zum Revolver greifen? Damals mit dem kleinen Freiherrn von Cardelwitz war ja nur Spaß gewesen. Man batte die Kugeln erfolglos gewechselt. Beide hatten in die Luft geschossen und dann zusammen gefrühstückt. Damals war es dem Grafen Victor nur darum zu thun gewesen, bei Anderen einen bestimmten Eindruck hervorzubringen. DaS wäre in dirsim Falle etwas ganz Anderes. Hier war da» Rencontre persönlich und ernst. Dann aber mußte sich Graf Victor sagen, daß er wohl den Maler todtschießen, dadurch aber doch nicht den Brief Camillas, der angeblich in dessen Besitz sein sollte, au» der Welt schaffen könne. Und wenn dieser Brief wirklich di« Verwendung fand, die der Maler in seinem Schreiben androhte? Wo» dann? Graf Victor ließ den Kopf immer tiefer hängen. Er hatte schon bisher manchmal Momente, in denen er glaubte, daß Alles miteinander auf einmal Zusammenstürzen müsse. Ein solcher Moment trat auch jetzt ein, langsam und all mählich, aber um so nachdrücklicher und ernster. Der Schatten Camillas griff immer deutlicher und immer energischer hervor aus dem Grabe nach ihm und zog ihn nach. Konnte er sich nicht retten? War kein Ausweg mehr? Mußte er einem Gespenst weichen? Wohl konnte er sich den Maler, wenn er ankam, vor die Mündung seines Revolvers fordern, aber er konnte nicht hindern, daß Herr Hartwig vor dem Rencontre mit Herrn de Mclida sprach oder vielmehr den Brief Camillas sprechen ließ und soviel er sich auf das unglückselige Schreiben besann, war damit sein Schicksal be siegelt. Er ging lange nachdenklich in seinem Zimmer auf und ab, noch hatte er ja Zeit zur Ueberlegung, wenn es auch nur noch Tage und Stunden waren. Denn morgen konnte der Maler schon eintreffen. Graf Victor hatte das Gefühl, als ob sich ein Netz über ihm iinmer enger und enger zusammenzog. Nur Tage und Stunden! So knapp war er in seiner Zeit noch nicht bemessen gewesen. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben. Er drückte auf eine Klingel und gleich darauf trat sein Kammer diener bei ihm rin. „Friedrich, gehen Sie zu Frau de Tourcelles und sagen Sie ihr, daß ich sie sofort zu sprechen wünschte", befahl' er dem Diener. „Zu Befehl, Herr Graf", antwortete der junge Mann und zog sich wieder zurück. Urberraschrnd schnell war Frau Courcelle« da und trat hastig bei ihm ein. „Wein lieber Freund," begann sie mit einer gewissen stürmischen Herzlichkeit, „wenn Sie wüßten, wie sehr Sie mit Ihrer Aufforderung, Sie zu besuchen, meinem Wunsche entgegengekommen sind. Ich habe in den letzten Tagen die Stunden und die Minuten gezählt, bi» ich Sie ein mal zu sehen hoffte. Und wie geht eS Ihnen? Wie steht es mit der Gesundheit?" Dem Grafen Victor fiel die mehr al» gewöhnliche Liebenswürdigkeit und Freundschaft der Frau Sourcelles für ihn auf. Er besann sich, daß diese zusammenftel mit einer merkwürdigen Entfremdung, die er zwischen Don Sal vatore und Georgette in letzter Zeit beobachtet hatte. Er sterer ging dieser Dame mit einer gewissen Absichtlichkeit aus dem Wege, hatte offenbar den Kopf voller anderer Ideen, und Georgette lief mit verweinten Augen und blassen Wangen, ein Bild trauriger Verlassenheit, herum. Graf Victor schloß daraus, daß es in der Angelegenheit zwischen Georgette und Salvatore zu einem Rencontre gekommen sein mußte, das für die Hoffnungen der Ersteren sammt ihrer Mutter nicht günstig oder vielleicht gar vernichtend gewesen. Jedenfalls glaubte er annehmen zu müssen, daß, je liebenswürdiger und freundlicher ihm Frau Courcelles entgegentam, um so schlechter ihre Sachen standen, um so mehr sie auf ihn und seine Hilfe angewiesen war. Nun war er unglücklicherweise auch in der verwünschten Lage, auch ihren Rath und ihre Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Es schien, als wenn ihre Wege sich von ganz allein zu einem bestimmten Ziele vereinigt hätten. „Lassen wir das, gnädige Frau. Ich befinde mich wie immer. Ich wollte in einer anderen Angelegenheit mit Ihnen reden", erwiderte Graf Victor. „In welcher?" „Haben Sie mit dem Weizenkönig gesprochen?" „Ja." «In Hinsicht auf Georgette und Salvatore?" „Ja." „Nun, und?" Frau CourcelleS sah ihn einen Moment rang an. Dann zuckte sie leicht mit den Schultern. „In absehbar«! Zeit, da« heißt in für Herrn de Melida absehbarer Zeit hat Georgette und Salvator« nichts zu hoffen", sagte sie endlich in eigenthiimlicher Weise betonend und mit einer gewissen Schärfe. „Und Salvatore?" fragte Graf Victor weiter. Frau Courcelles verzog in verächtlicher Geringschätzig keit den Mund, ließ sich langsam in einen Sessel fällen und spielte mit ihrem Fächer. „Bah", machte sie endlich, „Salvatore lernt deutsch, kauft Handschuhe und Shlipsr bei Moser «L Co. und be dauert ofsenbar, daß er sich von der kleinen blonden Con- fectioneuse seiner Schwestrr nicht auch eine Mantille an messen lassen kann." „Sie meinen also -" „Ach, ist ja nicht der Rede Werth", sagte Frau Courcelles wieder geringschätzig. „Die Hauptsache ist, daß —" l Sie vollendete den Satz nicht, sah den Grafen Victor
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite