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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971025025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-25
- Monat1897-10
- Jahr1897
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Poslbeförderuaz' ^ll 60.—, mlt Postbesörderung 70.—. Annahmtschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Viorge n-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditio» zu richten. s «I—S > Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig 545. Montag den 25. October 1897. Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. October. Bekanntlich war es ein Berliner „Hofberichterstatter", der über eine in BreSlau gehaltene Rede de- Zaren dem „Wolfs'schen Telegraphen-Bureau" einen Berich lieferte, der überall, wo er vor der ibm auf dem Fuße ,olgenden Be richtigung bekannt wurde, nicht geringe Aufregung hervorrief, peinliche in den Staaten des Dreibünde-, freudige in Frank reich. Heute ist es wieder ein Hofberichterstalter, der über eine Kundgebung deS Zaren in einer Weise berichtet, die überall Aufsehen erregen muß. ES ist der Hofberichterstatter der „Karlsruher Zeitung", die nach einem bereits mit- getheilten Telegramm reSWolff'schcnBureauS am23.d. meldete: „Die grobherzoglichen Herrschaften hatten die Absicht, heute früh nach Darmstadt zu reisen, um Ihren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin von Rußland und Ihren königlichen Hoheiten dem Großherzog und der Großherzogin einen Besuch abzustatten. Se. königl. Hoheit der Großherzog erhielt aus seine Anfrage gestern Abend die Antwort, der Kaiser habe schon über die Tage bis zu seiner Abreise vonDarmstadt ver fügt und könne die großherzoglichen Herrschaften daher nicht mehr empfangen." Da das Wolff'sche Bureau schon in dem oben erwähnten Falle unangenehme Erfahrungen mit der Meldung eines Hosberichterstatters über eine Auslassung des Zaren gemacht und da außerdem der Karlsruher Hofberichterstatter erst kürzlich bei der Wiedergabe einer von Kaiser Wilhelm II. an die Großherzogin von Baden gerichteten telegraphischen GeburtStagsgratulation einen Lapsus gemacht hatte, so ist wohl anzunehmen, daß das Bureau, bevor es das vorstehende Telegramm verbreitete, sich vergewissert habe, daß nicht nur . dieses Telegramm genau der Meldung der „Karlsruher Zeitung" entspreche, sondern daß auch die Meldung richtig fei und ihre Verbreitung dem Wunsche der maßgebenden Karls ruher Kreise nicht zuwider lause. Diese Annahme wird be stärkt durch folgendes Telegramm der „Frkf. Ztg." vom 23. d.: „In den hiesigen Kreisen wird eine heute Abend erschienene Hosnachricht lebhaft besprochen, nach der aus eine Anfrage der großherzoglichen Familie bei dem russischen Kaiserpaar in Darmstadt die Antwort hierher gelangt ist, „der Kaiser habe schon über die Tage bis zu seiner Abreise von Darmstadt verfügt und könne daher die großherzoglichen Herrschaften nicht mehr besuchen". Die schroffe Form der Hosnachricht läßt auf eine tiefe Verstimmung des hiesigen Hofes schließen, der sich heute Abend nach Baden begeben hat." Hiernach ist wohl als feststehend zu erachten, daß erstens der Karlsruher Hofberichterstatter in der „Karlsruher Zeitung" über die dem Großherzog von Baden auf seine an den Zaren gerichtete Anfrage ertheilte Antwort correct berichtet habe, daß zweitens diese Antwort eine in schroffer Form zurückweisende sei und daß gegen ihre Weiter verbreitung von Karlsruhe aus wenigstens kein Einspruch er hoben worden sei. Nun ist es ja Jedem, der mit höfischen Gebräuchen nur einigermaßen vertraut ist, bekannt, daß bei fürstlichen Besuchen die Ausfüllung jeder Stunde festgelegt zu werden pflegt und daß mithin die Einschiebung jedes neuen Programmpunctes großen Schwierigkeiten begegnet. Es ist ferner bekannt, daß die Abfassung von Telegrammen nur selten von Len fürstlichen Personen selbst vorgenommen wird. Aber das weiß man auch in Karlsruhe. Fühlt man sich dort trotz dem von der Fassung der Antwort de« Zaren so unangenehm berührt, daß man die Weiterverbreitung dieser Antwort wenigsten« nicht verhüten mag, so läßt da- in der Thal auf eine sehr tiefe Verstimmung schließen, die um so pein licher ist, je genauer dem Zaren daS verwandtschaft liche Verhältniß Kaiser Wilhelm'« II. zu dem Groß herzog und der Großherzogin von Baden bekannt sein muß. Andererseits ist freilich nicht einzusehen, wa- den Zaren zu einer schroffen Haltung gegen die badische Regenten familie bewogen haben sollte. Man kann also die Möglich keit nicht ganz für ausgeschlossen halten, daß der Verfasser deS Antwort - Telegramms deS Zaren sich eine Taktlosigkeit habe zu schulden kommen lassen, die dem Zaren entgangen sei, und daß in Karlsruhe ein Mißverslandniß über die Person diese« Verfassers untergrlaufen sei und der Karls ruher Hofberichterstatter in der ersten Erregung eine Weisung empfangen habe, die er obendrein willkürlich ausaeführt. Jedenfalls wird man zunächst einer Aufklärung aus Darm stadt entgegensehen müssen, wo man sich nicht darüber täuschen kann, daß in Frankreich die Karlsruher Depesche Anlaß zu Vermulhungen und Hoffnungen geben muß, die nicht im Interesse der Erhaltung freundlicher Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland liegen. Die „Deutsche Wacht" bestätigt mit einer Fluth von Schimpfworten, daß unsere Bemerkungen über die unwahr hastige, auf Irreführung angelegte Behandlung der Ar beiter- und der MittelstandSfrage, die auf dem letzten anti semitischen Parteitage den Neid eines Chamäleons hätte er regen können, eine kranke Stelle am Leibe der „deutschsocialen" Partei berührt und richtig beschrieben baden. Unsere Ge wöhnung und die Rücksicht auf unsere Leser verbieten die Wiedergabe dieses im niedrigsten Tone gehaltenen Angriffes. Eine Wiederlegung ist zudem unmöglich, da das Dresdener Blatt jede sachliche Erwiderung wohlweislich vermieden hat. Erst dort, wo es das Zeuzniß anderer, gewissenhafter und einer gebildeten Sprache sich befleißigender Zeitungen für sich anruft, beginnt für uns die Möglichkeit der DiScussion. Die „Deutsche Wacht" weist unserem abweichenden Urtheile gegenüber darauf hin, daß die „unparteiische" „Tägl. Rund schau" die Haltung de-Nordhausener Parteitage« in natio nalen Fragen als eine sehr erfreuliche bezeichnet hat. Nun, die „Tägl. Rundschau" ist ein antisemitisches Blatt, wenn auch nicht nur antisemitisch, und das Einzige, worin die „deutsch-sociale" Partei einig und was an ihren Führern glaub würdig ist, das ist die antisemitische Gesinnung. Gerade in diesem Falle will also die Bezugnahme auf den un parteiischen Charakter der „Tägl. Rundschau" nicht viel be sagen. Aber selbst dieses Blatt hat, um zur Anerkennung der nationalen Haltung des Parteitages gelangen zu können, im Hauptpunkt einen Wechsel auf die antisemitische Partei gezogen, über dessen HonorirunS diese sich nicht erklärt. Die „Tägl. Rundschau" rühmt, wie selbstverständlich, den Anti semitismus der Partei, sodann — unseres Ermessens mit Un recht — deren unbedingte Zuverlässigkeit in der Polenfrage und ferner den Muth, sich der bedrängten Brüder in Oester reich anzunehmen. Wa« nun dieses Eintreten für die Deutsch österreicher betrifft, so ist e-, vorausgesetzt natürlich, daß eS mit voller Selbstlosigkeit erfolgt, so lange zweckdienlich, als es vor der Forderung einer officiellen Einmischung in die inneren Angelegenheiten Oesterreichs Halt macht. Im klebrigen gebührt da« Lob der „Täglichen Rundschau" auch der „Deutschen Volkspartei in Bayern", die auf ihrem vor einigen Monaten zu Neustadt a. d. Saale veranstalteten Parteitage gleichfalls eine Kundgebung für die Deutschösterreicker aus gehen ließ. Die Partei ist im Kern antinational, ihre Grund lage beruht aus einem Gegensätze zum Reich-gedanken und ihr Führer heißt Ouidde. ES liegt unS ein Vergleich zwischen den Anhängern beider Parteien fern; der hier gezeigte demo kratische Muth hat mit dem antisemitischen aber jedenfalls das gemein, daß er wohlfeil ist. In der einzigen natio nalen Frage, die z. Zt. von den Parteiführern Opfer er fordert — da- allerdings nicht leichte Opfer, im Reich-tage so zu stimmen, wie die Wäblermassen vielleicht nicht gestimmt zu sehen wünschen — in der Flottenfrage, hat die antisemitische Partei gänzlich versagt. Die „Tägl. Rundschau" hat ihr Lob auch nur gespendet, weil sie „zuversichtlich glaubt", daß die antisemitische Partei „in der Flotirnfrage die Interessen deS Vaterlandes sich höchste- Gebot sein läßt". Auf den Parteitag kann sich diese Zuversicht nicht gründen. Man weiß — und auch das ist charakteristisch für daS in der antisemitischen Parteileitung herrschende System der Vieldeutigkeit — man weiß nicht einmal, ob die Flottenfrage in Nordbausen verhandelt worden ist oder nicht. Die „Deutsche Wacht" schreibt: „Die Verhand lungen über die Floltenfrage sind in Nordhausen nicht der Oeffentlichkeit entzogen worden, unser Programm, sowie die Etatsreden des Abgeordneten Zimmermann geben klare Aus kunft über die Stellung unserer Partei, so daß der Parteitag von einer weiteren (!) Besprechung der Angelegenheit Abstand nahm." Hat hiernach nun eine Besprechung stattgefunden? DaS Wort „weiteren" bezieht sich in seinem unmittelbaren Anschluß an die Erwähnung von Reichstagsreden aus „Auskünfte", die lange vor dem Parteitage gegeben worden sind. Wurde aber die Frage nicht erörtert, so liegt der Wendung, die Verhandlungen seien nicht der Oeffentlichkeit entzogen worden, die Absicht der Täuschung unter. Denn Verhandlungen, die nicht geführt worden sind, können auch nicht der Oeffentlichkeit entzogen werden. Mit ihrer letzterwähnten Behauptung straft das Dresdner anti semitische BlattdasBerlinerHauptorgan derAntisemitrn geradezu Lügen. Die „Staatsbürger-Ztg.", in deren unserer Be treibung des Parteitage« zu Grunde gelegtem ausführlichen Berichte von einer Erörterung der Flotteusrage nichiS zu finden war, hat nachträglich und offenbar nur, um die,Iägl. Rund schau" zu beschwichtigen, „verratben", wie sie sich auSdrücktt, daß auch die Floltenfrage zur Erörterung gekommen sei. Die „Tägl. Rundschau", die Gideshelferin der „Deutschen Warte", ist eS dann gewesen, die den Schluß zog, eS müßte in Nord bausen über die Marine-Angelegenheit im Geheimen ver handelt worden sein. Zur Krankenpflegerinnen-Bewegung in Eng land schreibt die „Allgemeine Frauen - Correspondenz": Die Krankenpflegerinnen Londons streben seit Längerem nach einer weitgehenden Verbesserung ihrer Lebens- und Berufsstellung, indem sie eine wesentliche Verkürzung ihrer täglichen Dienst zeit und eine durchschnittliche Erhöhung ihrer Tagegelder be anspruchen. Sie gehen hierbei von dem Grundgedanken aus, daß die Ausübung der Krankenpflege eine verhältnißmäßig hohe Vorbildung erfordere und eS im Interesse der Allgemeinheit dringend wünschenswerth sei, wenn sich mehr die Frauen der gebildeten Stände dem Berufe der Krankenpflege rinnen zuwenden würden. DaS Letztere aber sei unmöglich, so lange noch den Pflegerinnen ein täglicher Dienst bis zu 14 Stunden bei einer Bezahlung von 2 zugemuthet werbe. Die Führerin dieser Bewegung ist Frau Fenwick, welche vor 18 Jahren die große Krankenpslegerinnen-Genossenschaft in London begründete und seither an der Förderung dieses Berufes unermüdlich tbätig war. Vor acht Jahren erhielt die Vereinigung durch Parlamentsbeschluß die Corporationsrechte und von der Königin Len Titel „Königlich Britische Krankenpflegerinnen-Genossenschaft", deren Ehrenvorsitzende zur Zeit die Prinzessin Christian von Schleswig- Holstein ist. Die Mehrzahl der Pflegerinnen fühlt sich edoch trotz dieser äußerlichen Auszeichnung ihrer Genossen- chaft unter deren Leitung sehr unbehaglich, besonders da in dem Vorstande die Vertreterinnen der Schwestern gegenüber den Aerzten und AufsichtSdamen nur wenig zur Geltung kommen. So hat sich jetzt die Mehrheit unter der Führung der Frau Fenwick offen gegen den Vorstand aufgelehnt und in öffent- lichenVersamnilungcn die Unterstützung des Publicums anzerusen. Die ärztlichen Vorstandsmitglieder haben daraufhin dieser Tage eine lange Rechtfertigung veröffentlicht, in welcher sie die Lockerung der ärztlichen Aufsicht über die Kranken pflegerinnen als eine Gefährdung der Krankenpflege über haupt erklären; indessen tritt die Mehrzahl der englischen Zeitungen ziemlich warm für die Forderungen der Schwestern ein. Für da- Ausland hat diese Bewegung insofern eine Bedeutung, als deren Leiterinnen beabsichtigen, sich mit den Frauenvereinigungen anderer Länder in VerbindunH zu setzen, damit auch dort für die Krankenpflegerinnen die gleichen Forderungen aufgestellt werden. In dem luxemburgischen Obersten Schaeffer hat Kreta nun endlich seinen Gouverneur erhalten. Ihm wird, sojeru der Sultan die Ernennung bestätigt, es obliegen, mit der Errichtung der autonomen Verwaltung zu beginnen. E« wird sich dann bald zeigen müssen, ob die kretischen Aufständischen mit dieser RegierungSform einver standen sind oder nicht. Setzen sie, was nicht unwahrscheinlich ist, ihren Widerstand und die Vergewaltigung der Mobamedaner fort und halten sie an dem Verlangen fest, daß erst die türki schen Truppen die Insel verlassen haben müßten, ehe an eine Acceptirung der Autonomie zu denken sei, so bleibt nichts Andere- übrig, als zurEntwaffnung der kretischen Christen zu schreiten. Wer aber soll diese« Geschäft besorgen? Falls eine solche Maßregel der Türkei überlassen würde, müßte die türkische Besatzung der Insel, die jetzt nur noch 10 000 Mann stark ist, auf wenigstens 25 000 Mann gebracht werden. Dies würde jedoch die türkische Herrschaft auf der Insel verewigen und die Schaffung einer geordneten Verwaltung auf unabseh bare Zeit hinausschieben. Sollte dieEnlwaffnung dagegen Lurch Truppen der Mächte durchgeführt werken, somüßten hierzuI5biS ÜOOOOMann zur Verfügung gestellt werden,da man in diesem Falle nicht nur mit dem Widerstande der Aufständischen, sondern auch mit dem der Mobamedaner und der türkischen Besatzung zu rechnen hätte. Andererseits wäre es notbwendig, Laß sich an einem solchen Unternehmen sämmtliche Mächte betheiligten, um nicht Sonderbestrebungen einzelner Mächte Raum zu geben. In diesem Falle müßten den Mächten ihre dabei zu machenden Ausgaben zurückerstattet werden, aber es ist doch kaum angängig, das gegenwärtig schon völlig erschöpfte Insel land von vornherein mit einer solchen Schuldenlast zu belegen. Die dritte Möglichkeit dagegen, daß ein freiwilliges internatio nales CorpS angeworben wird, welches unter dem Befehle des neuen Gouverneurs die Entwaffnung durchzuführen hätte, würde die allgemeine Verwirrung auf der Insel nur verstärken. I Man sieht, eine definitive Regelung der kretischen Frage liegt I auch heute noch in weitem Felde. Ja, selbst dann, wenn es I endlich zur Annahme und Einführung der Autonomie ge- I kommen wäre, bestände die Gefahr, daß die sich selbst über- Fenilletsii. Onkel Fridolin'S unglückliche Liebe. Il Novellrtte von Anna Klie. Nachdruck vrrboitn. Als Professor vr. Fridolin Kürenberg zum Ordinarius der Secunda deS Gymnasium- aufrückte, sprach sein Nach folger in der Tertia daheim zu seiner Ehehälfte: „Küren- berg'S Claffenpult muß ich mir auSscheuern lassen, darin sieht'« unbeschreiblich auS! Ein Augia-stall von Tintenflecken." Die Gattin deS Sprechers lächelte und verlieb ihrer Billigung deS beabsichtigten Reinigungsverfahrens ent sprechenden Ausdruck durch einen schräg gen Himmel ge richteten Augenaufschlag. „Ein Jammer um den netten, prächtigen Menschen", setzte sie der Geberde Hinz«, „hätte er doch bei Zeiten ge- heirathet! Eine tüchtige, praktische Fran wäre daS Richtige für ihn gewesen. Nun ist er ein eingefleischter Junggeselle. Jammerschade um ihn! " Jammerschade! DaS Nämliche äußerte auch die gesammte Familie Kürenberg, sobald Onkel Fridolin'- hartnäckige Ehe losigkeit aufs Tapet gelangte. Nebenbei pflegte man im An schluß an daS Thema noch allerlei zu tuscheln, worin von unglücklicher Liebe die Rede war, und Onkel Fridolin - jüngste Schwägerin, die Frau Assessor Kürenberg, verfehlte alsdann niemals, mit einem Seufzer und wissender Miene hinzu zufügen: „Ja, daß eS so kommen mußte! Es war ein Ver- hänaniß! Er bat r« falsch angesangen, und Alle» ging dann so schnell! Am anderen Morgen mußte er ja abrrisen, La seine Ferien zu Ende waren!" Die ganze Kürrnberg'sche Verwandtschaft verließ sich in diesem Falle auf den Scharfblick der Frau Assessor. Hatte doch diese in jener UnglückSfrantzaise, wo besagte« verhängniß waltete, dem Paare gegenübergestandrn, welches nachher leider kein solches für daS Leben geblieben war. Die Frau Assessor besaß ein sehr scharfe- Gehör und hatte Dinge erlauscht, die keineswegs für ihre Ohren berechnet gewesen. Sie mußte eS also wissen! — UebrigenS hatte die Sache zwei Seiten für die Verwandt schaft de« Philologen. Fridolin Kürenberg war wohlhabend und freigebig, der geboren« Gchrnkronkel bezw. Erbonkel. Kein Wunder, daß er zu hohem Aiffehen in der gesammten Familie gelangte und daß seinen Wünschen stets besonder- rücksichtsvoll be gegnet ward. „Onkel Fridolin hat gesagt, Du hättest eine Gesichtsfarbe wie Buttermilch, und eS müsse etwas für Deine Gesundheit geschehen, Aendel!" Die so sprach, war Onkel Fridolin'- Schwägerin, die Frau Hofapotheker Kürenberg, und ihre Worte galten ihrem Töchterchen Anna, Onkel Fridolin'- siebzehnjährigem Pathenkinde. „Der Onkel beabsichtigt, für die großen Ferien in den Harz nach Schulenberg zu gehen. Tante Helmine begleitet ihn dorthin, und Du sollst Beide besuchen. Waö sagst Du dazu?" Tante Helmine, Onkel Fridolin'S einzige Schwester, war Malerin und führte einen eigenen Haushalt, obgleich die Familie r« als zweckmäßiger erachtet bätte, wenn sie den selben mit deS Bruder« Junggesellenwirthschaft vereinigt hätte und beiden dadurch ein häuslicher Anhalt aneinander zu Theil geworden wäre. Aber Tante Helmine zog e« vor, ungebunden durch ausgedehntere Haushalt-pflichten, al- die Sorge für ihre eigene Person ihr auferlegte, ihren Kunst bestrebungen zu leben. Al« Aendel Kürenberg von dem bevorstehenden Ferien vergnügen hörte, vergaß sie die Würde, welche lange Kleider und hochgesteckte Zöpfe den Erwachsenen auferleaen, und that einen Luffsprung, daß auf dem Tische da- Kaffeegeschirr klirrte. Bevor sie jedoch einen zweiten unternahm, rief sie: „Aber Mutier, ich denke Amalie Caroline soll mit?" „Ja Kind, dir auch! Ihr sollt mit einander reisen!" Aendel Kürenberg stieß einen unartikulirten Schrei wortlosen Entzückens au«, fiel der Mutter um den Hals, tanzte durch die Stube und erklärte dann, sogleich nach Tondrrn« geben zu müssen, zu welchem Zwecke sie hinauSstürzte, um sich zunächst mit einem etwa« abgenutzten Gartenhute zu ver sehen. Auf Handschuhe verzichtete sie, da Tondera« in der Nachbarschaft wohnten. Di« zur Reisegefährtin Aendel Kürenberg« auserlesene, gleichalterige Cousine Tondrrn führte zu ihrem eigenen Leid wesen den Vornamen Caroline. Um ihr die« herbe Schicksal zu versüßen, pflegte Aendel sie mit Hinzunahme ihre« zweiten Taufnamens Amalie Caroline zu nennen. „DaS giebt Dir einen extra vornehmen Anstrich", begründete sie die- Ver fahren, „Du hast ohnehin etwa« von einer entthronten Prin zessin an Dir!" Diese Bemerkung traf den Nagel «uf den Kopf. Ein Theil von Amalie Carolinens unleugbarem Prinzessinnen- thum beruhte in ihrer auSgewählten modernen und eleganten Art, sich zu leiden. Niemand im TrnniSkränzchen, dem sie »«gehörte, übertraf sie an Geschmack und Farbensinn, Nie mand besaß so sorgfältig gekräuselte und angeordnete Stirn löckchen und so zierliche Lackschuhe mit netten Schleifen. Als der erste Freudensturm über Onkel Fridolin'S Güte und die gemeinschaftlichen Reiseaussichten sich gelegt hatte, besprachen die beiden Cousinen ihre Reisezurüstungen. Für Aendel Kürenberg, die, frei von jeder Eitelkeit, eine übermäßige Neigung besaß, ihre Garderobe zu schonen, er schien die bevorstehende Harzreise als eine verlockende Gelegen heit, alte Kleider, vorjährige Hüte und geflickte Schuhe auf zutragen, namentlich aber Handschuhe gänzlich zu sparen. „Warum sollte ich mich für die Eingeborenen in dem weltabgeschiedenen Schulenberger Wiesenthale herau-putzen?" rerthridigte sie sich, als Amalie Caroline etwas bedenklich drein sckaute bei der Aufzählung Dessen, waS Aendel als ReiseauSrüstung mitzunehmen beabsichtigte. „Mama und Papa sind dann schon in Karlsbad, ich kann also einpacken, waS ich will", fuhr Aendel fort. „Onkel Fridolin, weißt Du, achtet nicht auf unser» Anzug, für ihn könnten wir dreist einen alten Sack anbaben, und Tante Helmine steigt bekanntlich immer in demselben alten verblichenen Lodencostum in den Bergen umher. Wa« un« aber gegenseitig betrifft, so schätzen wir doch wohl andere Vorzüge aneinander al- unsere Anzüge!" Amalie Caroline lächelte, aber etwas sauersüß. Sie rechnete sich ihre hübschen Kleider al- bedeutenden Vorzug an und schenkte Aendel nur deshalb rin ganz besonderes Wohlwollen, weil dieselbe sie auf dem Gebiete der Toilette nie in Schatten zu stellen suchte. — Der Morgen der Abreise kam heran, wie alle welt erschütternden Ereignisse einzutreffen pflegen, wenn e« an der Zeit ist. Am Vorabend war ein Bries folgenden Inhalt« an Tante Lelmine abgcgangen: „Liebste Tante! Morgen früh um 10 Uhr treffen wir iu Oker rin und würden Euch dankbar sein, wenn wir alsdann den versprochenen Wagen an der Bahn vorfänden. Wir freuen un« schrecklich (da- Wort war dreimal unterstrichen) auf Schulenberg und grüßen Onkel und Dich tausend Mal! Eure dankbaren Nichten Anna Kürenberg und Caroline von Tondrrn." Reichlich verproviantirt mit Ehocolade, Obst, Pfesirr- minzkuchrn und Reiselektüre, wie auch wohl versehen mit guten Lehren aus dem engeren und weiteren Familienkreise, gelangten Onkel Fridolin'S Nichten in den Zug, der sie nach Oker führen sollte. „Hoffentlich erleben wir viele Abenteuer, Amalie Caroline! Ich denke mir Abenteuer himmlisch! Du nicht auch?" „O ja, vorausgesetzt, daß man nicht Labei voni Regen ausgewaschen wird oder sonstwie zu Schaden kommt!" Nachdem der Zug weder entgleist, noch etwa durch einen Locomotivenzusammenstoß in seinem gewöhnlichen Verlauf gehindert worden war, hielt er zur bestimmten Zeit auf dem Bahnhöfe von Oker still. „Siehst Du Jemand?" fragte Aendel hinter Amalie Carolinen'- Rücken, welche das Wagenfenster in Beschlag zu nehmen pflegte. „Nein — Niemand! Merkwürdig!" lautete die gedehnte Antwort. „Vielleicht jenseits vom Stationsgebäude!" muthmaßte Aendel. Beladen mit ihrem Handgepäck, durcheilten die beiden Ankömmlinge da- Bahnhofsgebäude und erkundigten sich aus der anderen Seite nach einem Fuhrwerk an- Schulenberg. Es war keinS vorhanden. Verdutzt blickten die Mädchen einander an. Eine fast dreistündige Fußwanderung auf einer unbekannten Chaussee — da- war keine Kleinigkeit. Und was wurde auS den Koffern? „WaS mag dies zu bedeuten haben?" stammelte Aendel mit entgeisterter Miene. Ihre allzeit geschäftige Phantasie malte ihr schon die erschütternde Möglichkeit, Laß Tante Helmine als Opfer ihrer LandschaftSmalerci von einer Klippe abgestürzt oder Onkel Fridolin auf einem Streifzuge von einem Fel-block erschlagen sein könne! Amalie Caroline ward weniger durch den Ballast einer beweglichen Einbildungskraft belästigt al- ihre Reisegefährtin, der sie hinwiederum an nüchterner Leben-auffassung und Mensckenkenntniß um ein Erkleckliche« überlegen war. „DaS will ich Dir sagen", entgegnete sie langsam, „Onkel Fridolin hat unfern Brief mit der Anmeldung verbummelt! Du kennst ihn doch? Ordnungsliebe Nummer drei bis vier! Wir können nun sehen, wie wir nach Schuleuberg kommen! Wollen wir wetten, daß ich recht habe und eS sich genau so verhält?" Aendel Kürenberg bezeigte keine Lust, auf die Wette ein zugeben. Sie stand rath- und trostlos da, während Amalie Caroline schnell und umsichtig einen Omnibus ausfindig machte, der zur Fahrt nach Altenau bestimmt war.
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