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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971026017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-26
- Monat1897-10
- Jahr1897
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Daß aber ein CentrumSmann, und noch dazu ein bayerischer, um die Gründe, die nach seiner Ueberzeugung für eine solche Ver stärkung sprechen, öffentlich darlegen zu können, mit der Bitte um Aufnabme seiner Darlegung an die „culturkämpferische" Münchener „Allgemeine Zeitung* sich wendet, da- ist eine Ueberraschung erfreulicher Art. Die Thatsache beweist nicht nur, daß eS auch in Centrumskreisen Männer giebt, die Herz und Berständniß für nationale Fragen haben, sondern auch, daß in diesen Kreisen der Unmuth über die antinationale Haltung und dem Terrorismus der ultramontanen Presse die Bedenken und die Antipathie gegen da- Hervortreten in nationalen und liberalen Blättern zu überwiegen beginnt. Zweifellos hat der Verfasser der Zuschrift an die „Allgem. Ztg." Gesinnungsgenossen, die seinen Wunsch nach einer Verstärkung unserer Flotte ebenso tbeilen, wie seinen Unmuth gegen die ultramontane Presse. Um so mehr ist eS Pflicht nationaler Blätter, dem Artikel des bayerischen CentrumsmanneS auch dann Verbreitung zu geben, wenn sie, wie wir, gegen seine Beweisführung manchen Einwand zu erheben haben. Seiner Tendenz halber verdient er in die weitesten Kreise zu dringen; besonders in solche katholische Kreise, in denen zwar im Stillen der Wunsch deS Versassers nach einer Stärkung unserer Wehrkraft zur See getheilt wird, denen aber sein Muth zum Handeln nach der inneren Ueber zeugung bisher noch fehlte. Der Artikel lautet: „Der Kampf um die nächste Marinevorlage ist bereits hell entbrannt, obwohl noch Niemand sicher weiß, was die selbe fordern wird. Das Signal zum Losschlagen scheint die „Deutsche Colonialgesellschaft", Ablheilung Berlin, gegeben zu haben; wenigstens ist seit ihrer bekannten letzten Reso lution das Thema der Marinevorlage aus einem Lückenbüßer der „stofflosen, der schrecklichen Zeit" zu einem sehr acluellen Thema geworren. Gestatten Sie zu demselben nun auch einmal einem ent schiedenen „Ultra montanen" das Wort, einem Bayern, der, offen gesagt, sich gewiß nicht an die „All gemeine Zeitung" wenden würde — da ihre politische Haltung seinen Ideen ja zumeist fernab liegt —, wenn auch nur einige Aussicht dafür bestünde, daß er mit seinen Ausführungen in der Centrumspresse „Unterkunft" fände. Ich bin überzeugt, daß ich den meisten meiner Parteigenossen, wie die Stimmung gegenwärtig und wohl auf lange Zeit hinaus nun einmal ist, ganz und gar nicht au» dem Herzen rede, aber schließlich — tewpora wutantur! . . . Die Flottengegner wie die „Flottenschwärmer" haben — so erscheint eS wenigstens meinem Landrattenverstand — sich bisher in der ganzen DiScussion in ziemlich einseitigen Ideen bewegt und dies m. E. wichtigste Moment der ganzen Frage bei Seite gelassen. Die „Flotte nschw ärmer" sagten: „Milliarden deutscher Aussuhrwerthe schwimmen täglich auf allen Meeren; — be- nöthigen sie keinen Schutz?!" TaS war, czuoaä uuwoio», bedeutend übertrieben. Wenn man indessen die Gesammt- ziffer des deutschen Iahresexportes mit der durchschnittlichen Zahl der „Schwimmtagr" unserer überseeischen Exportwaaren dividirt, so wird man diese „rhetorische Uebertreibnng" in dessen doch nicht gar so ungeheuerlich finden, daß sie (wie geschehen) geradezu al» „Blödsinn" bezeichnet werden müßte. Die Flottengegner hätten meines Erachtens den Flotten schwärmern viel einfacher erwidern können: „Der deutsche andel hat seinen bohen Rang erreicht trotz de- iangelS einer schützenden Kriegsflotte, lediglich auS eigener Kraft; — und er wird diese Kraft auch ferner hin bewähren!" Die Flottenschwärmer sagen ferner: „Auch wenn wir die bereits gewonnenen Absatzgebiete behalten sollten, so könnte das doch nicht genügen, vielmehr müßte unsere Kraft all mählich erlahmen, wenn wir uns immer auf die allen Gebiete beschränken wollten, während unsere „Feinde", i. e. unsere Concurrenten, von Jahr zu Jahr neue Absatzgebiete er ringen". Die Antwort hieraus — die aber, meines Wissens, nicht gegeben wurde — wäre ebenfalls ziemlich einfach ge wesen: Pulver und Blei, Schnaps und allenfalls einige Baumwollwaaren an die „Wilden" in Afrika und Polynesien abzusetzen, seien es nun einige Stämme mehr oder weniger, braucht doch wahrhaftig unser Ehrgeiz nicht zu sein. Andere Absatzgebiete aber werden wir, wie die Handelspolitik der europäischen Mächte gegenwärtig sich verhält, durch eine Kriegsflotte nicht erringen können. Was zu erreichen war, das hat die deutsche Industrie und der deutsche Handel aus eigener Kraft errungen unter dem Schutz, der ihm bisher zu theil wurde, und in dieser Hinsicht könnten wir ihm auch für die Zukunft vertrauen. ES bleibt sonach schließlich nur noch daS letzte Argument, das zudem nur ein Theil der „Flotlenschwärmer" sich zu eigen gemacht bat: Ein Krieg nut Frankreich, Rußland und England zugleich, der uns (durch Abschluß aller Zufuhren von Lebensmitteln) der Gefahr deS AuSgehungerlwerdenS nahebriugen würde. Das ist allerdings eme Gefahr, die der ernstesten Erwägung Werth ist. Aber auch da gibt e» denn doch drei sehr wesentliche Fragen: 1) Wofür haben wir unser Landheer, wenn nicht dazu, daß eS uns die continentalen Gegner, auch wenn sie nebenbei Seemächte sind, vom Halse schafft? 2) Sollen wir etwa, um der erwähnten Gefahr zu be gegnen, unsere Flotte so stark machen, daß sie, wie unser Lanbheer, den Flotten der drei genannten Großmächte zu sammen gewachsen ist? Und — können wir das? 3) Wann wird wobl der Fall eintretcn, daß Frankreich und Rußland, deren „Interessen" in Afrika und Asien denen Englands direct rntgegensteben, sich mit England verbünden, nur um Deutschland „niederzukriegen"?! Damit könnte, so wird man sagen, die Sache Wohl ab- getban sein, und so könnte, wie die letzte, so auch jede kommende Marinevorlage von vornherein als abgelehnt betrachtet werden. Wir sind dieser Ansicht nicht. Die Sache hat denn doch auch noch ihre anderen Seiten, die allerdings durchaus dem Begriffe „Weltpolitik" an- gehören. Jene guten Leute, die da glauben, daß die Schick sale der Völker sich auch fernerbin ausschließlich in der alten Welt, und zwar in Europa entscheiden würden, werden dock mit der Zeit zur Zinsickt kommen müssen, daß die Zukunft dem Leben der Völker weitere Bahnen vor schreibt, Bahnen, welche allerdings dem Gros jener In dividuen, die die „öffentliche Meinung" bei unS produciren, vorläufig weit weniger geläufig sein mögen, als die stets „dankbaren" Themata der internen Politik und von jenen der auswärtigen etwa die vielgeschunbene „orientaliscke Frage" oder der „Dreibund und der Zweibund in ihrem gegenseitigen Vcrbältniß unter sich und in ihrem beider seitigen Verbältniß zu England" und etliche- Andere». Für „Sehende" ist es ziemlich klar, daß eS in nicht allzu ferner Zeit zu einem entscheidenden Kampfe zwischen den beiden mächtigsten Rivalen auf dem Gebiete des Welthandels, zwischen Deutschland und England, wird kommen müssen. Daß wir Deutsche zu einem solchen Kampfe zur Zeit in keiner Weise gerüstet wären, ist ebenso klar. Auch wenn es uns gelänge, nach England selbst eine genügende Truppen macht zu werfen, um das ganze Inselreich zu erobern, so würden wir dock bald erfahren, daß damit nur „halbe Arbeit" geleistet wäre: in Canada, in Australien, in Indien, kurz in allen größeren englischen Colonien würde ein neues Eng land zum Kampfe ausersteben — zu einem jahrelangen Kampfe, den wir unmöglich siegreich bestehen könnten. Der „Kernpunkt" liegt eben nicht ausschließlich in der kriegerischen Macht! Daß England für uns zur Zeil unüber windlich ist, hat seinen Grund darin, daß es große Colo nien bat, deren Einwohner sich als Engländer fühlen und die dabei kräftig genug sind, um nickt lediglich auf den Schutz durch daS Mutterland angewiesen zu sein, sondern diesem eventuell sogar helfend beizuspringen. So lange wir Deutsche nicht gleichfalls solche Colonien zur Seite haben, können wir auf einen Er folg in dem schließlich unausbleiblichen Kampfe mit England nicht hoffen. Weder unsre afrikanischen noch unsre australischen Colonien bieten diese Möglichkeit; sie mögen in späteren Zeiten deutschen Unternehmern lohnende Arbeitsgelegenheit in reichem Maße bieten; nie aber werden sie das werden, was England in vielen seiner Colonien als unschätzbares Gut be sitzt: neue Stätten für die Entfaltung unsres Volksthums in allen seinen Kräften, in seinen besten Eigenthümlichkeiten — eine „Sparkasse", in der Deutschland seinen Ueberschuß an Kraft, der,Gott sei Dank, keiner Nation in gleichem Maße zu Gebote steht, nicht zum Besten einzelner Unternehmer, sondern zum Besten des ganzen Volks aulegen kann! Es giebt aber »och solche Länder auf unserem Planeten, Länder, die nach Boden und Klima durchaus geeignet sind, deutsche Länder zu werden, d. h. deutsche Bauern und Kleingewerbetreibende auszunebmen. Die überzeugendsten Be weise hierfür liegen vor. Trotz aller ossiciellen Abmahnungen und trotz aller sonstigen widrigen Umstände ist in Süv- brasilien und in den Laplata-Staaten ein Stamm deutscher Ansiedelungen herangewachsen, der mächtig genug ist, um uns zu zeigen, wvbin wir unsere Kraft hauptsächlich zu wenden haben. Die amtlichen Erlasse der deutschen Regie rungen, die seit nahezu 50 Jahren vor der Auswanderung nach Südamerika warnten, mögen ja immerhin eine gewisse Berechtigung gehabt haben — aber dock eben nur eine gewisse. Sie warnten ab im Hinblick auf die traurigen politischen Verhältnisse der betreffenden südamerikanischen Staaten: es bliebe dabei aber immerhin noch zu erörtern, ob es nicht einer ausgedehnteren deutschen Einwanderung Loch gelungen wäre, diese Verhältnisse etwas weniger traurig zu gestalten! Es mag übrigens sein, daß wir uns in dieser Hinsicht täuschen: die Nordamerikanische Union, deren Be streben ja darauf gerichtet ist, die romanischen Staaten Amerikas so lange nicht zur Ruhe kommen zu lassen, biü sie ihr, wie es Mexiko bereits nahe bevorsteht, als „reife Birnen" in den Schoß fallen — sie hätte vielleicht auch gegenüber einem viel stärkeren Auftreten des deutschen Volks geistes Mittel genug gehabt, ihn zu unterdrücken! Um so mehr, als Deutschland, wie alle europäischen Mächte vor der I^crx kaiurmerioLua, vor der „Monroe-Doktrin", einen Etwas über unsere Hausschwalbe. Eine Studie bei Gelegenheit ihres Abschieds. (Nachdruck verbottN.) Als ich Quartaner war, batte ich einen Mitschüler, mit dem mochte Keiner auS unserer Claffe umgehn. Grund? — er stand in sehr dringendem Verdacht einmal ein Schwalbennest ausgenommen zu haben. Wir waren sonst im All gemeinen im Punkte deS AuSnebmens von Vogelnestern, — in Thüringen ist „Scbnillen" der Kunstausdruck dafür — leider nichts weniger als gefühlvoll und ge wissenhaft, aber ein Schwalbennest — da- ging uns dock über die Hutschnur. Es ist ein eizentbümlickes Ding um daS Gewissen und das Ebrgefübl so eine- Zungen, in anderer Leute Gärten einzubrechen und Obst zu stehlen — zu „strafen" mit dem terminu8 teekuicus — dem Alten die Cigarren auSzuführen (alias zu „schießen"), den Classenlehrer anzulügen, daß dem guten Manne blau und gelb vor den Augen wird, — ih! waS ist weiter dabei, aber ein Schwalbennest auSnebmen, daS ist gerade so niederträchtig, wie Mitschüler, von denen man, und sei e» ganz ungerecht fertigter Weise windelweich gedroschen ist, anzeigen zu wollen. Kann eS irgend etwa- geben, da- so deutlich beweist, wie sehr die Schwalbt mit der Seele und dem Gemütbsleben des deutschen Volkes verwachsen ist, als die Tdatsache, daß dreizehnjährige, zu Allem, nur nickt zu guten Werken auf gelegte Schlingel sich ernstlich und auS sich selbst heraus, ohne von außen wirkendem Zwang zu folgen, scheuen, dem Vöglein etwas zu Leide zu thun? Ich wüßte nicht! Kein Vogel ist und war vordem noch mehr als jetzt von einer solchen allgemeinen VolkSthümlickkeit, wie die Hau-- schwalbe, da sich keiner, abgesehen vom Spatz, der aber ein bekannter Nicht-nutz ist, so sehr an den Menschen ange schlossen bat wie sie. Freilich, der Storch gilt auch als ge heiligt (mit sehr wenig Recht, beiläufig bemerkt), aber er ist in leinem Vorkommen in unserem Vaterland viel be schränkter, und in Mittel- und Südbeutfchland laufen Hunderte und tausende von Leuten herum, die noch nie einen im freien Zustande lebenden Storch gesehen haben, aber von Kindesbeinen an mit der HauSschwalbe so zusagen auf du und du sind. Sie nennt der Schwabe sogut wie der Westfale, jeder in seinem Dialekte, „HerrgottS- vögelchen" und der Scklcsier, Böhme und Tiroler „Muttrr- gotteSvögelein". In Westfalen ging sonst der Hau-Herr mit der ganzen Familie, mit Weib, Kind und Gesinde den beimkebrenden Schwalben entgegen, bewillkommte sie vor der Schwelle und öffnete ihnen weit Thore und Tbüren zu Scheuern und Ställen. In vielen mitteldeutschen Städten war dem Stadtthürmer angewiesen, die erste Schwalbe, die er von seiner Warte auS sah, „anzublasen", d. h. sie mit einer eignen Weise zu begrüßen, und anderwärts ließ die Ort-bebörde ihre An kunst atutlick bekannt machen. Nur die Hallenser Salz sieder, die Halloren, und die Helgoländer frugcn (und fragen vielleicht noch) nickt den Kuckuck nach der Meinung de- übrigen deutschen Volke-, sie fingen die Schwälbchen, so viele sie ihrer nur habbaft werden konnten, brieten sie und stopften sich mit dem ärmlichen Braten die gefräßigen Mäuler. Mancherlei Aberglauben knüpft der Germane an die HauSschwalbe, und daß sie in gewissem Sinne ein biblischer Vogel ist (man denke an Tobias!), läßt sie noch bedeutungs voller erscheinen. Sie steht zum HauS in der allerinnigsten Beziehung: in da- Dach, unter dem sie nistet, schlägt kein Blitzstrahl und meidet sie ein HanS, dann ist d>S ein Zeichen, daß böse Menschen darin wohnen. Kehrt sie im Frühling zum Nestchen nicht zurück, so wird das Anwesen im Laufe des kommenden IabreS sicher abbrennen undfällt da-Nest herab, somüssen dieBcwohner daS HauS bald verlassen. Gern fliegen die Schwalben um und über eine Braut, eine künftige Hausfrau, und ein Mädchen, daS zuerst im Frühling gleich ihrer zwei auf einmal erblicke, wird in dem Jahre nock heirathen und seinen eigenen Hausstand mit begründen. In den meisten Punkten tbeilt die Cousine der Hausschwalbe, dir Mehlschwalbe, ihr Ansehen und ihre Bedeutung, denn Vas Volk unterscheidet nicht so genau, waS auch gar nicht» schadet und in diesem Falle erst recht nicht, denn beide Arten sind liebe, zutrauliche Geschöpf- chen und verdienen gar sehr der Menschen Gunst. Und ist so ein Haussckwälbchen nicht ein entzückende-, poetisches Wesen? Ist nicht Alles Grazie und Anmuth an ihr? Sind nickt Stoff und Schnitt ihres Kleidchens gleich schön, sind nickt die Eleganz und Schnelligkeit ihrer Be wegungen gleich bewunverSwerth? Wer das nickt bemerkt und berau-füblt, der kann mir von Herzen leid tbun. Der geschmeidige Körper trägt ein abgerundete- Köpfchen mit einem breiten, kurzen, tiefgespaltenem Schnabel, durch den die Mundösinung zu einem für den Insectenfaug wobl geeigneten Netze wird. Die Flügel sind durch die beträcht liche Längenentwickelung der ächten Schwungfedern herrliche, sichelförmige LuftruderE und der zwölsfederige Schwanz ist tief gabelig ausgeschnitten, d. h. seine Federn nehmen nach beiden Seiten an Länge so bedeutend zu, daß die äußerste mehr al- drei Mal so lang al- die innerste ist. Der Bau der Flügel und deS Schwanzes verrätb sofort, daß wir es bei der HauSschwalbe mit einem vollendeten Flieger zu tbun haben: die Schnelligkeit gewährleisten die langen, schlanken Flügel und die große Gewandtheit und un übertreffliche Fähigkeit, Schwenkungen zu machen, verbürget der wundervoll organisirte Schwanz. Wir haben unter unseren vaterländischen Vöaeln Formen, die wobl ebenso rasch wie die HauSschwalbe fliegen, z. B. Möven, See-, Brachsckwalden und Segler oder Tburmsckwaldcn. aber ihr Flug ist stürmischer, unregelmäßiger, und keine von ihnen kann, wenn sie einmal im Zuge ist, mit gleicher Sicherheit und bei aller Schnellig keit mit gleicher Ruhe und Ungezwungenheit nack oben und nach unten, nach reckt» und links abschwenken und etwa sich entgegenstellenden Hindernissen au-weichen, wie die Schwalbe. ES ist richtig, der Flug ist die poetischste Art der OrtS- bewegung, aber bei keinem einheimischen Vogel kann er poetischer sein als bei den Hausschwalben. Wie oft habe ich den Thiercken bei ihren F u.zküosten zugeschaut, und eS war rin Schauspiel wie für Götter. Da ist nichts Gezwungene-, nicht-, was Anstrengung verrätb, man bat da- Gefühl, daß es den Vögelchen selber Freude macht, sich so tändelnd auf und ab durch bi« Luft gleitend zu bewegen. Herrlich, wenn sie Abends, angestrablt vom goldigen Roth der scheidenden Sonne über die weite Fläche eines See- zu 20 oder 30 dahinschirßen, dir Kreuz und die Quer, jetzt tief zum Wasser geneigt, bald den rechten bald den linken Fittig einsenkend, oder gar für einen kurzen Augenblick mit dem ganzen Körper eintauchend in den glänzenden Spiegel, auf den silbernen Perlchen zurückträufeln, wenn sie sich wieder erheben. „Witt! witt'" rufen sie dabei einander munter zu. Die Hausschwalbe ist der Flieger schlechthin, und das Volk setzt die Namen der anderen besten einheimischen Flieger daher auch mit dem Worte Sckwalbe zusammen und nennt Vögel, die mit ihr so wenig näher verwandt sind, wie etwa eine Henne oder eine Ente: Tburm-, Brach- und Seeschwalben. Bisweilen bat mau auch Schwalben nach Art der Brief tauben benutzt, um Nachrichten schnell zu befördern. Schon PliniuS erzählt, der Ritter Cancina auS Bvllalerran habe, bevor er mit seinem Viergespann nach Rom zur Wettfahrt fuhr, an seinem Hause einige Schwalben fangen lassen, die er, fall- er siegte, mit der Nachricht davon heimwärts fliegen ließ. Und wie prächtig ist die Färbung deS ThierchenS! Oben stahlblau, unten weiß mit rölhlicb gelblichem Hauck, die Kehle rothbraun, nach unten von einem stahlblauen Qurrband begrenzt. Jede Schwanzfeder trägt auf der Innenhälfte der Fabne einen ovalen, weißen Fleck. Es sicht wunderhübsch auS, wenn während des Flug- die Reihe dieser Fleckchen bald erscheint, bald verschwindet, je nachdem da- Schwälbchen seinen Schwanzfächer auf- oder zuklappt. Lieblich, wie alle- an dem Vögelchen, ist auch sein Ge sang. Es ist keine hervorragende Leistung, nickt daS buhlerische Lied der Nachtigall, nicht der himmelstürmende Sang der Lerche, nicht die frühlingSvolle Weise der Drossel, eS ist nichts als ein behagliches Plaudern, aber wie gemüth- lich für einen Jeden, der Ohren hat zu hören. Er höre mit den vogelsprechkuodigen Kindern: Da ich sortzog, da ich fortzog, Waren Kisten und Kasten lchwerrr, Da ich wiederkam, da ich wiederkam, War Alles teerrr! (Thüringen, lange vor Rückert s Gedicht), oder (etwa- weniger poetisch): Ich wollt' mei' Kittel flicke, Und hatte keenen Zwern, Als nur r kleenes En'chen, Da mußt' ich lange zerrrnk (Thüringen). Besonder- habe ich auch meine Freude daran, daß die lieben Tbierchen singen, so lange sie bei uns sind: am ersten Tag, an dem sie kommen, begrüßen sie die alten Nestchen mit einem munteren Liedchen, und jetzt, während ich das schreibe (20. September), sitzt eine auf der Esse gegenüber und singt lustig in den jungen Morgen hinaus. In der Baukunst ist die Hausschwalbe weniger begabt als die Mehlsckwalbe. Während diese ihr auS feuchten Cbaussee- sckmuy, Lebm u. dergl. vermischt mit etwa», aber nur sehr, sehr wenig Stroh oder Heu außen unter Dachkasten, Simsen, Rinnen und Balkenköpfe an die flachen Wände anbringt und e» ringsherum bi- «ine runde Oeffnung, groß genug, Laß sie ein- und au-scklüpfen kann, zumauert, baut die HauSschwalbe mehr in geschlossene Räume, in Rüstlöcker derMauern, in Ställe, Kammern, Corridore, Scheunen, Böden, wenn diese nur einen, ost nur kleinen, immeer offenbleibcnden Zugang von außen haben, und der Vogel nickt durch Menschen und Katzen ge stört und belästigt wird. Der Stoff, aus dem das Nestchen verfertigt wird, ist derselbe wie bei den Mehlschwalben, nur sind mehr pflanzliche Tbeile dabei. Es bleibt oben offen, oder der Gegenstand, unter dem es sich befindet, bildet gleich die Decke und das Flugloch ist halbrund. In Ställen und in geschlossenen Räumen stehen die Nester bisweilen frei auf einem Balken kopf oder dergl. Nur junge Schwalben und solche alle, deren vorjähriges Nestchen während ihrer Abwesenheit zerstört wurde, bauen von Grund aus ein neues, die anderen flicken das früher bewohnte aus und reinigen es innen, wenn etwa Sperlinge, wie sie eS gern thun, darin überwintert haben sollten. Alte Schwalben brüten in der Regel zwei Mal im Jahre, junge meist nur einmal. Die Zahl der länglich ovalen, an den Polen stumpfen, weißen, mit rötblichbraun und violett zart punctirten Eier ist 4—6. Das Weibchen brütet allein, wird auch nickt vom Männchen gefüttert und fliegt in der Regel in den Mittagstunden aus, um sich Nahrung zu suchen. Nack 12 Tagen entschlüpfen die Jungen den Eiern. Sehr gern fundirt sie die Wiege ihrer Kinder auf irgend einen in der Wand durch Zufall vorhandenen alten großen Nagel, Haken, Pflock rc. Ein englischer Edelmann, Sir Ashton Lever, batte eine Eule an sein Scheunentbor nageln lassen. Ein Schwalbenparchcn machte sich den Umstand zu Nutze und baute sein Nestchen unter den Flügel deS eingedvrrten CadaverS. Als eS weggerogen war, nalnu man Eule und Nest herab, um sie einem Museum einzuver leiben und befestigte an ihrer Stelle die eine Schalenklappe einer großen Muschel. Als die Schwälbchen im nächsten Jahre wiederkehrten, nahmen sie das Dargebotene dankbar an und nisteten in der Muschel. Die Weibchen lassen sich die Erfüllung ihrer Mutter pflichten sauer genug werden. Es läßt sich denken, daß durch aubaltenden Truck seitens harter Gegenstände, denn das sind die Eier, wenn sie dabei auch immerhin eine zerbrechliche Waare sind, auf die Haut der Unterbrust und des Bauches ein Reiz auSgeübt wird, der schließlich zu einer Entzündung der gedrückten Stellen führen muß. Bei dieser Entzündung wird die Blutzufuhr nach den betreffenden Haulstellen ge steigert, die Federn werden dadurch zum Tbeil von selbst ausfallen, zum Theil wird der Bogel, veranlaßt durch das die Entzündung begleitende, juckende Gefühl sie sich aber auch selbst auSreißen. Zum doppelten Vortheil für die in den Eiern sich entwickelnden Jungen: die au-gerupften und ausgefallenen Federn helfen das Nest mit auspolstern, und die gesteigerte Temperatur in den entzündeten Haut stellen, „Brutflccken" ist ihr wissenschaftlicher Name, kann beim Brüten nur günstig auf den Eimhalt, den Embryo, einwirken. Solche Brutflecke finden fick bei einer ganzen Reibe von Vcgelarten, aber bei in Einzelhaft gehaltenen Individuen treten sie nicht auf, da» beweist znr Genüge, daß ihre Ursache eine rein mechanische, eben der Druck der Eier ist. Bei gefangenen Vogelweibchen stellt sich hingegen zur Nistzeit wohl der Trieb zum Nestbau rin.
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