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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971122010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897112201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897112201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-22
- Monat1897-11
- Jahr1897
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In einer einzigen Beziehung war er den Freuden der Jugend zugethan: er tanzte gern, hatte Tanzstunden genommen und wurde als flotter Tänzer gerühmt. Aber auch hier war es hauptsächlich die rhythmische Bewegung, welche ihn anzog, und welcher sein Streben, componirend und dichtend, zu neigte. Aus seiner Studentenzeit hat Siegel nur wenige Belege für seine literarische Thätigkeit aufbewahrt. Das Gedicht: „Ermun terung" kennzeichnet schon ganz den künftigen Kämpen für Frei heit und Recht, denn er singt u. A.: „Freiheit kann nicht untergehn, Ewig must das Recht bestehn, Wenn e i n Band »ns All" umflicht." Auch das Constitutionsfest regte Siegel damals zu poetischen Ergüssen an. In einem Festhymnus vom Jahre 1835 läßt er den Knabenchor singen: „Auch wir, wir alle ja gehören Zu einem eugvcrbundncu Staat, Drum laßt uns die Gesche ehreu, Befolgen treuer Lehrer Rath. So werden wir uns jetzt schon üben, Dem Wohl des Ganzen uns zu wcihu, Wir werden Recht und Ordnung lieben Und einstens wahre Bürger sein." Wahrlich, eine Gesinnung, die unserer heutigen Jugend nicht ernstlich genug eingeprägt werden könnte, und welche schon im Jüngling Siegel den Mann zeigt, dessen edler Gemeinsinn einst mit Aufopferung von Gesundheit und Lebensfreude nur für das Wohl des Ganzen zu wirken bemüht war und wirkte. Das letzte von Siegel'» Hand aufbewahrte Erinnerungsblatt aus jener ersten Schriftstellerperaode ist ein „Leipziger Tageblatt" vom 16. April 1837 und enthält eine ernste Mahnung an den 16. April des Jahres 1521, da Luther auf dem Reichstage zu Worms erscheinen und seine Thatcn und Schriften Vertheidigen mußte. Die Worte Luther's: „so kann und will ich nicht widerrufen. Hier sich' ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!" wurden Siegel's Devise für sein ganzes künftiges, an Kämpfen und Aufforderungen zum Widerruf so reiches Leben. Im Jahre 1836 ging er mit der ersten Censur von der Uni versität ab und wurde Leipziger Notar. Bald fand er lohnende Beschäftigung, nachdem er einige Zeit auf dem Leipziger Stadt gericht als Äccessist und später als Actuar bei I)r. Haubor in Leipzig fleißig gearbeitet hatte. Daß ihm seine Mitbürger mit Vertrauen entgcgenkamen, bewies u. A. der Umstand, daß sie ihn bereits 1837 in den Communalgarden-Ausschuß wählten. Im Jahre 1838 folgte Siegel einem Rufe als Rathsactuar nach Oschatz, machte jedoch die Bedingung, daß er an gewöhnlichen Zahltagen, nämlich -lociio et Ultimo jeden Monats, auf einen Nachmittag nach Leipzig reisen, und dort, wie bisher, für das Handlungshaus „Hammer und Schmidt" die Wechselproteste besorgen dürfe, was ihm vom Oschatzer Stadtrathe auch bereit willigst gestattet wurde. Dadurch blieb er zugleich mit Leipzig in erwünschter fortdauernder Verbindung. In Oschatz ergriff er begierig die ihm sich darbietende Gelegenheit, durch Uebernahme der Redaction des Wochenblattes: „Die Wart am Collin", seiner früherwachten Neigung und entschiedenen Begabung für Jour nalistik und Politik Genüge zu thun. Im Jahre 1840 wurde Siegel zum zweiten rechts kundigen Rathsmitgliede und Stellvertreter des Bürgermeisters in Oschatz gewählt, wo er sowohl während des großen Brandes im Jahre 1845, als auch durch Gründung eine Sparkasse, einer Sonntagsschule und anderer gemeinnütziger Anstalten sich große Verdienste erwarb. Dieselben wurden auch allgemein anerkannt und hatten zur Folge, daß man ihn mit dem damaligen Bürger meister Tzschucke in Meißen zur Vertretung des städtischen Wahl- bcziris: Dahlen-Oschatz-Strehla-Lommcitzsch-Meihen-Wilsdruff berief, während bei anderer Gelegenheit Dahlen ihn zum Ehrenbürger ernannte. Nicht minder wurde er den land- wirthschaftlichen Kreisen dadurch bekannt, daß er bei den damaligen Thier- und Producten-Ausstel- lungen, aus denen sich später die landwirthschaftlichen Ver eine entwickelten, das Sekretariat übernahm. Siegel's außerordentlicher Thätigkeitstrieb und seine bewun- dernswerthe Arbeitskraft verlangten aber auch noch für die Frei stunden Beschäftigung und er fand sie in der Journalistik und Politik. Nachdem er schon als Gymnasiast und Student, wie bereits erwähnt, an den Zeitschriften: Leipziger Tageblatt, Planet, Abendzeitung (von Theodor Hell) und später an Robert Blum's Vaterlandsblättern mitgearbeitet hatte, erhob er jetzt das von ihm redigirte Oschatzer Wochenblatt zu einem der wenigen liberalen Localblätter, die damals existirten. Selbstverständlich machte er darin scharfe Opposition, als 1845 die Reaction in Deutschland, und namentlich auch in Sachsen, immer mächtiger auftrat, und die Censur unter dem Minister des Innern, von Falkenstein, immer schärfer gehandhabt wurde. Das hatte zur Folge, daß ihm 1846 vom Leipziger Kreisdirector mündlicher Vorhalt geschah, wie wenig es sich zieme, daß Siegel als Chef des Polizeiwesens zugleich das oppositionelle Wochenblatt redigire. Um seiner politischen Ueberzeugung keinen Eintrag thun zu lassen, legte dieser hierauf sein Amt nieder und begann (1847) als Advocat zu practiciren. Er wurde namentlich als Vertheidiger gar sehr gesucht und ihm zugleich ein Kom missariat als juristischer Specialablösungscommissar übertragen. Da kam das Jahr 1848 und mit ihm die erste Genugthuung für ihn als Politiker. Man wählte ihn in den Märztagen ein stimmig zum Präsidenten des damals gegründeten Volksvereins und bald darauf wurde er (18. Mai) zum sächsischen Landtage einberufen. Man wählte ihn zum Secretair der zweiten Kammer und in deren vierte Deputation. Gleichzeitig ernannte ihn aber auch das damalige Märzmini sterium zum Mitglied der Hauptcommission für die Einkommen steuer, als deren gewählter Vicepräsident er die betreffenden Ver handlungen im Finanzministerium oft zu leiten hatte. In der Kammer selbst entwarf er das Programm für das linke Cen trum, das damals die meisten Anhänger zählte und häufig den Ausschlag gab. Das von ihm befürwortete Einkammersystem konnte jedoch nicht durchgesetzt werden. Nachdem die Stände das neue Verfasiungs- und Wahlgesetz zu Stande gebracht hatten und definitiv verabschiedet worden waren, wurde Siegel zum königlichen Commissar für den 18. Wahlbezirk (Oschatz und Um gegend) ernannt und hatte in vier Wochen die neue Organisation (Stadt und Land wählten zum ersten Male vereint) vollendet, wobei er selbst mit absoluter Majorität zum Abgeordneten ge wählt wurde. So trat er auch in den zu Anfang des Jahres 184) beginnen den Landtag ein, stimmte für Grundrecht und Reichsverfassung, ovponir.e aber sehr scharf der bis zum Extrem fortschreitenden äußersten Linken, und seine diesbezüglichen geharnischten Artikel im „Dresdener Iourna l", die Entschiedenheit, m : t vererben Umsturz — als Wenige es wagten — bekämpfte und für unsere constitutionelle MonarchiekühnundcnergischdasWortführte, wurden Veranlassung, daß ihm 1. März 1849 die Redaction des Journals vom Märzmini- steriumllbertragen wurde. Siegel, der sich inzwischen in Oschatz eine höchst ansehnliche Praxis und ein schönes Haus er worben hatte, gab dies Alles auf, fest entschlossen, sich von jetzt an derPolitik ganz zu widmen, und siedelte nach Dresden über. Es kamen nun die Maitage. Die Kammern wurden auf gelöst. Der König weigerte sich, dem Volkswillen nachzugeben und die deutsche Reichsverfassung anzuerkennen, weil Deutsch lands größte Staaten, Preußen und Bayern, dies noch nicht ge- than. Die Aufregung in der Stadt, im ganzen Lande wuchs. Siegel schrieb am 2. Mai im „Dresdener Journal": „Die Kammern sind aufgelöst, aber aus Gründen, denen wir unsere Billigung nicht versagen können. Der Hauptgrund lag nämlich in der Steuerfrage. Die Kammern hatten die wiederholt bean tragte provisorische Steuerbewilligung factisch abgelehnt. Hier zu kam das bekannte Mißtrauensvotum und das sonstige Ver halten der Kammern. Ein Fortregieren mit denselben war also nicht möglich. Aber in einem Puncte stimmten fast alle Per- teien dieser Kammern überein, in einem Puncte gingen auch wir Hand in Hand mit denselben: in der deutschen Verfasiungsfrage. Die sofortige Anerkennung der Reichsverfassung ist geboten, um die Gemllther zu beruhigen und die Gefahr eines Aufruhrs zu beschwören. Die Reichsvcrfassung ist das einzige Banner, unter dem die Partei des wahrhaft konstitutionellen Königthums noch siegen kann und siegen w i r d." Dieser Partei gehörte Siegel an. Darum lehnte er jede Annäherung ab, die, nachdem der König und die Minister ent flohen waren, das Land also ohne Regierung und sich selbst über lassen war, den Zweck hatte, ihn in die Reihen Derjenigen überzu führen, aus denen die „provisorische Regierung" sich zusammen gesetzt hatte. Siegel bezeichnete das Vorgehen derselben als eigenmächtig und ungesetzlich und entfernte sich aus Dresden, da in dem nun entfesselten Sturme der Leidenschaften und in dem bald darauf ausbrechenden Barrikadenkämpfe seine Stimme und die Stimme des Rechts überhaupt, sowie jede Ermahnung und Warnung ohnmächtig verhallte. Auch war es unmöglich, die zur Fortführung einer Zeitschrift nöthigen Arbeitskräfte zu sammenzuhalten. Die Druckerei stand verödet, und erst am 11. Mai konnte, nach mehrtägigem Schluß, das Local wieder geöffnet werden und eine Nummer des „Dresdener Journal" erscheinen. De. 31. Mai 1849 brachte hierauf die Verkündigung der so genannten Dreikönigsvcrsassung mit Preußen an der Spitze, die von der sächsischen Regierung selbst (Zschinsky, v. Beust, v. Friesen, Rabenhorst) „als der einzige Weg" empfohlen wurde, „der noch zum erstrebten hohen Ziele führen könne." Bald darauf wurden Neuwahlen ausgeschrieben und Siegel entwarf zu diesem Behufe ein Programm, dem die obenerwähnte „Dreikönigsver fassung" als Basis diente. Dasselbe wurde in einer von ihm nach Riesa berufenen Landcsversammlung einstimmig gebilligt und angenommen, und es lag also in der Natur der Sache, daß später die auf Grund destelben Gewählten Herrn von Beust oppo- nirten, als dieser selbst jenem Bündniß den Rücken wendete. Siegel bezeichnete das im „Dresdener Journal" als eine Tergi- versation, und die nothwendige Folge seines Auftretens gegen diese Treulosigkeit war ein Conflict mit Herrn von Beust und Siegel's Rücktritt vom „Dresdener Journal". Der tapfere Vorkämpfer für die Einheit Deutschlands, für Freiheit und Recht, gründete hierauf zu Ostern 1850 ein eigenes, unabhängiges Blatt, das, wie er schreibt: „fort fahren werde, ein Organ aller Derer zu sein, denen es mit der Durchführung konstitutioneller Grundsätze und der Herstellung eines deutschen Bundesstaates Ernst ist." Es er hielt den Titel „Neues Dresdener Journal" und trat der Beust'schen Politik, der abermaligen Auflösung der Kammern und besonders der am 3. Juni erfolgen den Reactivirung der alten Stände so scharf und energisch entgegen, daß es zu unzähligen Malen confiscirt und schließlich im Decembcr 1850 ganz unterdrückt wurde. Aber Siegel wac nicht der Mann, der sich das Banner entwinden ließ, dem er unter zahllosen Opfern, Kämpfen und Anstrengungen Treue gelobt hatte. Er setzte an die Stelle des unterdrückten „Neuen Dresdener Journals" die „C o n st i t u t i o n e l l e Z e i t u n g", die dann lange Jahre hindurch das einzige sächsische Blatt war, welches unter der geist und charaktervollen Leitung seines Grün ders niemals den Muth verlor. Trotz endloser Bedrängnisse und aufreibender Processe der immer stärker einbrechenden Reaction in Staat und Kirche trat es derselben unerschrocken und mann haft entgegen und hielt die deutsche Idee unentwegt hoch, obgleich die Wogen des Particularismus den kurzen Begeisterungsauk schwung der letzten vierziger Jahre längst verschlungen hatten. Doch wenn auch die Aengstlichen, die Feigen und Vortheilsüch tigen oder die Zweifler von dem nationalen Ideale abgefallen waren, dem sie einst enthusiastisch gehuldigt, es gab noch eine höchst ansehnliche Gemeinde in der Stadt und im ganzen Lande, die sich um Siegel schaarte, und zu ihr gehörte vor Allem die Elite der Geister. Eine Abendgesellschaft trat ins Leben, die, weil sie von Siegel ausgegangen war und im Gasthof zum Ring zusammenkam, auf Vorschlag eines der Mitglieder den Namen „Siegelring" erhielt. Gutzkow, Hettner, Auerbach, Julius Hammer betheiligten sich außer anderen hervorragenden Männern der Literatur, Wissenschaft und Politik an den ur sprünglich für Besprechungen und Austausch über Fragen politischen und gemeinnützigen Inhalts bestimmten Zusammenkünften. Gutz kow schloß sich vorzugsweise freundschaftlich an Siegel an, mik dem ihn nationale Gesinnung und gleiches politisches Streben verband. Ein Briefwechsel mit Albert von Carlowitz, dem deutschen Staatsmann und ehemaligen sächsischen Minister, der gleich Siegel ein einiges Deutschland nur mit P r e u ß e n an der Spitze als möglich voraussah, gewährte dem von der täglichen Arbeitslast oft fast erdrückten Manne geistige Befreiung und Er Hebung. Noch in späten Jahren bestand zwischen beiden Männern ein schönes Freundschaftsverhältniß, das nur mit dem Tode endete. Große Verdienste erwarb sich Siegel auch um das Entstehen und Fortbestehen der S ch i l l e r st i f t u n g. Prof. Hettner sprach ein Wahrwort, indem er die Constitutionelle Zeitung als die Mutter derselben rühmte. Die Schillerstiftung nahm ihren Ausgang von der in Loschwitz bei Dresden veranstalteten Feier des 50jährigen Todestages Schiller's am 9. Mai 1855. Der Feuilletonist der Constitutionellen Zeitung, Dn. Julius Hammer, hatte in derselben darauf hingewiesen, daß gelegentlich dieses Gedenktages der Plan angergt werden möchte, das Schiller Häuschen in Loschwitz mit einer Erinnerungstafel zu schmücken. Die ersten Beiträge, die eingingen, kamen vom Prof. Julius Hübner und vom Adv. Siegel, welcher letztere sich der Sache mit größtem Eifer hingab und, wie .Hammer selbst es ausspricht, „ein Fest von so großartiger Gestaltung in Scene setzte, als es vom ersten Anreger nicht geplant und vorausgesehen worden war". Aus den Beiträgen, die nun von allen Seiten zur Herstellung eines Schillerdenkmals zusammenflossen, und welche reichliche lieber schiisse ergaben, sollte sich im weiteren Verlauf „ein Fonds zur lln terstützung der Hinterbliebenen armer Schriftsteller" bilden. Und dieser Fonds wurde nach und nach der Grundstein der Schiller stiftung, für welche Adv. Siegel und Or. Hammer fortan uner müdlich in der Constitut. Zeitung und in allen ihnen zustehenden Kreisen in und außerhalb des Landes wirkten. — Unterdessen war Adv. Siegel von der Stadt Glauchau, in welcher er viele Anhänger und Verehrer besaß, deren Einverständ niß mit der Haltung der Constitutionellen Zeitung sich wiederholt zu erkennen gegeben hatte, mit großer Majorität zum Bürger meister berufen worden. Aber die Fürsten und Grafen zu FririHaton» Der Niesenhut. Humoreske von Richard O'Monroy (Paris). Nachdruck verboten. I. Vor dem Diner war ich im Mirliton-Club dem Vicomte von Chastelune begegnet, der mir gesagt hatte: „Was fangen Sie denn heute Abend an?" „Nichts, bei der Kälte! Ich werde zu Hause bleiben und mir hübsch die Füße wärmen." „Da kann ich Ihnen etwas Besseres Vorschlägen; einen Fau teuil zur Premitzre von Gandillots neuem Stück. Ich hatte zwei Plätze bestellt für mich und meinen Schwager; der ist aber ge schäftlich verhindert. Wollen Sie mitkommen?" „Abgemacht!" Und so fuhren wir zusammen nach dem Boulevard du Temple. Eine Hundekälte, brr! Wir kamen ins Theater und ich setzte mich neben meinen Freund in einen Fauteuil. Eben wollte ich mit dem Opernglas das Publikum Revue passiren lassen, als ich in die Reihe vor mir eine große, schlanke, blonde Dame treten sah, die sich gerade in dem Fauteuil vor mir niederlieb. Und dabei bemerkte ich zu meinem Entsetzen, daß sie auf dem Kopfe eine Art Rembrandthut trug, der vorn nieder geklappt und hinten wie ein Gendarmen-Dreispitz aufgekrempt war, nur mit dem Unterschied, daß diese Hintere Hälfte mit allerhand Blumen, Gemüsen, ich glaube sogar mit einigen kleinen Sträuchern sehr splendid gar- nirt war. Da sie den Hut nach der neuen Mode tief in der Stirn trug, kam natürlich dieser ganze Obstgarten hinten vollends in die Höhe, so daß ich von der Bühne auch nicht mehr das Geringste sehen konnte. Das Zeichen zum Anfang wird gegeben; der Vorhang geht in die Höhe, und es beginnen die „Beiden Associßs", gespielt von Hurteaux und Matrat, aber — wohlverstanden — sehen kann ich sie nicht, nur hören. Auf die Gefahr hin, mir eine Genickstarre zuzuziehen, beuge ich mich bald nach rechts, bald nach links. Doch ich hatte ohne die Ballonärmel meiner Blondine gerechnet, zwei richtige Balloncaptifs aus aufgeblähter Seide, die die beiden Ecken rechts und links, meine letzte Hoffnung, vollständig ausfüllten. „Teufel!" sage ich mit halblauter Stimme zu Chastelune, „der Hut da vorn ist recht störend!" Die Dame hört das, dreht sich halb um, betrachtet mich mit äußerster Verachtung, zuckt die Achseln, wobei die beiden Ballons majestätisch in die Höhe stiegen und lächelt spöttisch. Gleichzeitig richtet sie sich in ihrem Fauteuil auf, reckt sich, und es gelingt ihr, durch dieses gymnastische Manöver den Obstgarten noch um einige Centimeter höher zu heben. Zu meinem Freunde gewendet, fahre ich fort: „Na! Ich hätte doch wohl besser gethan, mir zu Hause die Füße zu wärmen, was? Von dem Stück hätte ich dabei genau ebenso viel gesehen, wie hier!" Abermals dreht sich die Dame um und schickt mir das iro nischeste Lächeln von der Welt zu. Das ist die Herausforderung in optima tormn und verlangt eine Lection. Ich füge mich also zunächst mit Geduld in mein Schicksal... Es kommt mir vor, als säße ich vor einem Theatro- phon. Ich höre, aber ich sehe nichts. Ich komme mir vor, wie ein Blinder, den man ins Theater geführt hat. Mit einem Wort — ein ziemlich gemischter Genuß. Endlich ging der erste Act unter lautem Beifall zu Ende. Alle Welt schien sich famos zu amusiren, alle Welt, nur ich nicht! — Und die Dame hatte mich inzwischen von Neuem mit ihrem perfiden Lächeln angestarrt. Um so höhnischer war dieses Lachen, als sie vor sich einen kleinen Menschen mit verwachsenen Schultern zu sitzen hatte, Uber den sie bequem hinweg sah. Ich betrachte diesen kleinen Menschen: zerdrücktes Jacket, zweifelhafte Wäsche; der geborene Freiberger. Ich ziehe ihn in einen Winkel und sage zu ihm mit leiser Stimme: „Mein Herr, ich hätte ein ganz besonderes Interesse, Ihren Fauteuil Nr. 48 einzunehmen; wollen Sie mir gestatten. Ihnen den Platz für 20 Francs abzukaufen? Ich werde Ihnen dafür den meinigen, Nr. 92, überlassen, der allerdings etwas weniger gut ist!" Das Gesicht des kleinen Mannes verklärt sich. Er steckt meinen Louis glückselig in die Tasche und sagt: „Mein Herr, Sie sind außerordentlich liebenswürdig und ich nehme Ihren Vorschlag mit dem größten Vergnügen an!" II. Nun war ich also glücklicher Besitzer des Fauteuils Nr. 48! Mein erster Gedanke war, mich dort niederzulasien und meinen Hut auf dem Kopfe zu behalten; aber ich überlegte, daß diese Kundgebung vom Publikum mißverstanden und als Mißachtung für die Künstler gedeutet werden könnte. Plötzlich kam mir eine tolle, aber ruppige Idee — wie gesagt, genial, aber ruppig! Ich verlieh das Theater und ging den Boulevard ein Stück hinunter, bis ich eine Modistin gefunden habe. Es war gerade an der Ecke der Rue BSranger noch ein Laden auf. Ich trat ein und bat die Verkäuferin, mir das riesigste, auffallendste, pyrami dalste Exemplar eines Hutes, das sie auf Lager habe, vorzulegen. Sic öffnete einen Schrank und holte ein wahres Monument aus schwarzem Filz mit einer riesigen Sammetschleife hervor; auf diesem Band prangte zum Neberfluß noch ein Puff von drei sehr hohen Federn! Ich erstand den Hut; nur sechzig Francs — rein geschenkt! Dann ließ ich ihn einpacken und kehrte ins Theater zurück. Zur Bestürzung Chastelunes, der über mein Verschwinden ganz außer sich war, setzte ich mich auf Nr. 48 vor die Dame, die sich etwas unruhig hin und her bewegte. Dann holte ich meinen Revanche hut aus seiner Hülle hervor und setzte ihn mir auf den Kopf. Ich weiß nicht, wie ich mich mit meinem langen Schnurrbart unter diesem Kopfschmuck ausgenommen habe; aber gewiß hätte eine Bombe, wäre sie ins Parket eingeschlagen, keine größere Wirkung erzielt. Man schrie, man lachte, man tobte, man trampelte, man stieg auf die Bänke, um mich besser sehen zu können. Die meisten Herren verstanden sofort den symbolischenSinn meines Protestes und schrieen: „Bravo!" „Er hat Recht!" „Bravo!" während Chastelune, der correcte Chastelune, mir sehr ärgerlich zurief: „Mensch, Sie sind ja verrückt!" Ich aber blieb inmitten des Sturmes, den ich entfesselt hatte, unbeweglich und begnügte mich damit, von Zeit zu Zeit die Dame hinter mir verächtlich über die Schulter anzusehcn. Unglücklicherweise war die Fortsetzung der Vorstellung unter solchen Umständen unmöglich. Was zu fürchten war, blieb nicht aus. Zwei Polizisten drangen in den Zuschauerraum und baten mich sehr höflich, diesem geist reichen Scherz ein Ende zu machen. „Sagen Sie Madame", erwiderte ich mit der Würde eines Mirabeau, „daß ich meinen Hut abnehmen werde, sobald sie den ihren abgenommen hat!" Diese Antwort weckte den Enthusiasmus von Seiten der Männer, heftige Schmähungen von Seiten der Frauen, und in mitten dieses Tohubohu wurde ich mit meinem Riesenhut hochge hoben und von den beiden Polizisten ins Foyer getragen, wo man mir gegen das ausdrückliche Versprechen, meine Maskerade nickt zu wiederholen, meine Freiheit wiedergab. III. Die Dame mit dem Obstgarten sollte also triumphiren! Tas war unerhört! Trostlos! Was thun? Wüthend stand ich im Foyer, da fiel plötzlich mein Blick auf eine kleine Arbeiterin, die sich eben auf die obere Galerie bc geben wollte. Sie trug nur einen einfachen kleinen Strohhut auf dem Kopfe, war aber mit ihrem Stumpfnäschen, ihren lachen den Augen und ihrer blonden Clowntolle über der Stirn sebr niedlick. Ich rief sie an, bat sie höflich um Gehör und sagte: „Mein Fräulein, wollen Sie mir gestatten, Ihnen einen ganz neuen Hut anzubieten, den ich für drei Louis vor eine. Viertelstunde erst gekauft habe?" Dabei enthüllte ich mein Monument, bei dessen Anblick die Kleine in Ekstase gerieth. „Und was muß ich dafür thun?" fragte sie. „Weniger als nichts! Zuerst sollen Sie ihn sich auf den Kops und dann sich selbst in den Fauteuil Nr. 48 setzen!" Die Verhandlung dauerte gar nicht lange. In zwei Minuten war der einfache Strohwisch durch meinen Riesenhut, der übrigen.» brillant saß, ersetzt, und die Kleine huschte behend ins Parket, nachdem sie sich ihre Löckchen vor dem Foyerspiegel zurecht gemacht hatte. DieFreude des Publikums, als es meinen Hut auf einem weib lichcnKopfwiederauftauchen sah, war einfach unbeschreiblich. Man hielt sich die Seiten vor Lachen. Und diesmal hatte die Polizei nichts zu sagen! Ich war auf die Galerie gestiegen, um mich des Anblicks zu erfreuen, und war wirklich gerächt! Die Dame sah g a r nicktS mehr und diente allen Operngläsern des Theaters als Zielscheibe. Sie wollte sich nun auch wie ich nach rechts oder links beugen, aber sie mußte schließlich auf den Kampf verzichten und unter donnerndem Applaus das Theater verlassen. Endlich war ich Herr des Schlachtfeldes!
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