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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971026026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897102602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-26
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, di» Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Nedaction and Expedition: Johannes,afie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen gröffuet voa früh 8 bis «lbeud- 7 Uhr. Filialen: ktt« Klemm's Tortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstratze 3 tPaulinum), Lauts Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und Aönig-pla» 7. BezugS-PreiS In der Hauptexpedition oder den <m Stadt bezirk und den Bororten errichteten AuS- aabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins hau- ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich 6.—. Direcre tägliche Kreuzbandienduug int Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. WpMer TagMaü Anzeiger. NmtsvkM des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Auzeigen-Preis die 6gespaltme Petitzeile 20 Pfg, Reklamen unter dem Rrdaction-strich (4 g* spalten) 50 vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40-ij. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz uach hüherem Tarif. kxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderun^ 60.—, mit Postbesörderung 70.—^ Auuahmeschlaß für Anzeigen: Lbend-Au-gabe: BormittagS 10 Uhr. tzSorge n-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen uud Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen find stet- an die Expedttts» z» richten. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig 91. Jahrgang. 517 Dienstag den 26. October 1897. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. October. Der Reichskanzler Fürst Hohenlohe ist gestern Nach mittag in Baden-Baden eingetroffen, wohin sich bekannt lich der fisrotzherzag und die fitrahherzogi» von Bade» alsbald nach Empfang der Antwort begeben batten, die auf die Ankündigung ihre- Besuches am Darmstädter Hofe und beim Zaren von diesem eingetroffen war. Er kam von Darmstadt, wo er vorgestern eine Unterredung mit dem hessischen Staatsminister Finger gehabt hatte und an der großherzoglichen Tafel mit dem Zaren zu sammengetroffen war. Da sein Besuch in Darmstadt schon mehrere Tage vorber angekündigt gewesen sein soll, so ist es sehr fraglich, ob dieser Besuch durch den von dem Hof berichterstatter der „Karlsruher Zeitung" mitgctheilten pein lichen Zwischenfall hcrbeigeführt worden sei, daß aber seine Winterreise nach Baden-Baden durch diesen Zwischenfall veranlaßt worden sei, ist sehr wahrscheinlich. Zn diesem Falle ist auch aiirunehmen, daß der Zar, den begreiflicherweise die öffentliche Meinung als den Veranlasser der schroffen Antwort anzusehen geneigt ist, einen Ausgleich wünscht, und wünscht er einen solchen, so wird Fürst Hohenlohe bei dem milden und versöhnlichen Großherzog Friedrich von Baden freundliches Entgegenkommen finden. Die Sache läßt sich ja auch bei gegenseitigem guten Willen leicht aus der Welt schaffen; der russische Cabinetssecretair und der Karlsruher Hofberichterstatterwerden schwerlich Protest erheben, wenn dem Ersteren die Schuld an der schroffen Form der ablehnenden Antwort des Zaren, dem Zweiten die schleunige Veröffent lichung dieser Antwort zur Last gelegt wird. Was dann etwa noch dunkel bleibt, wird die Welt bald genug vergessen. Vorläufig ist natürlich den gewagtesten Vermuthungen Thür und Thor geöffnet. Völlig unhaltbar ist die, daß der Groß- berzog von Baden nach Darmstadt habe kommen wollen, um Differenzen auszugleichen, die zwischen dem Zaren und Kaiser Wilhelm H. hervorgetreten seien. Mit Recht schreibt die „Franks. Ztg." über dieses Gerücht: „Eine solche Rolle wurde ganz dem milden und wohlwollenden Herzen des Äroßherzogs entsprechen und man glaubt in Karlsruhe, sie mit einem lebhaften Depcschenwechscl mit Berlin und Lein späten Erscheinen des preußischen Gesandten im großhrrzoglichen Palais in Verbindung bringen zu können. Wir glauben jedoch nicht, daß der Anlaß aus dem Gebiete der hoheu Politik in dieser Richtung zu suchen wäre, der Annahme eines solchen Vermittelungsvcrjnches wird auch durch die Thatsachcn widersprochen. Ter deutsche Kaiser war am Donnerstag in Karlsruhe, er begab sich von dort aus nach Darmstadt, wo er nach 5 Uhr Abends eintraf. Um 6 llhr waren beide Kaiser in der Oper, nahmen dort das Souper ein und Kaiser Wilhelm verabschiedete sich etwa um 9 Uhr vom Zaren, Freitag früh 8 Uhr traf er in Wildparkstation ein. An diesem Tage erfolgte auch schon die Ablehnung des Besuches der Karls ruher Herrschaften; es ist nicht gut anzunehme», daß inzwischen ein Verkehr zwischen Kaiser und Großherzog erfolgt ist, wie auch das Gerücht von Differenzen durch nichts bestätigt wird." UeberdieS wird dieses Gerücht durch den Besuch des Reichskanzlers in Darmstadt widerlegt. Ein solcher Besuch wäre sicherlich unterblieben, wenn der Großherzog von Baden seinen Besuch in Darmstadt als Beauftragter des deutschen Kaisers angekündigt oder auch angedeutet hätte, daß er eine Unterredung mit dem Zaren über politische Angelegenheiten wünsche. Die schroffe Antwort hätte dann indirect dem Kaiser gegolten. Ebenso unhaltbar ist die Annahme, daß Damenhände im Spiele gewesen seien. Die Kaiserin von Rußland, vormalige Prin zessin Alix von Hessen (geb. am 6. Juni 1872) und die Großherzogin von Hessen, vormalige Prinzessin Victoria von Sachsen-Coburg und Gotha (geb. am )5. November 1878) sind junge Frauen und am badischen Hose ist außer der Erbgroßherzogin, vormaligen Prinzessin Hilda von Nassau (geb. am 5. November 1864) keine junge Frau; die Erbgroß herzogin Hilda hat aber wohl niemals intimere Beziehungen mit den ehemaligen Prinzessinnen Victoria und Alix unter halten und kommt auch, da sie in Coblenz wohnt, wo der Erbgroßherzog als commandirender General seinen Wohnsitz bat, mit der russischen Kaiserin und der Großherzogin von Hessen wohl kaum in Berührung. Die Großherzogin von Baden, die einzige Tochter Kaiser Wilhclm'S I., hat sicherlich keinen An laß zu Differenzen zwischen den anderen fürstlichen Frauen gegeben, die in Betracht kommen könnten. Eine geradezu unerhörte Annahme aber ist cS, der wir in der „Köln. Ztg." begegnen, in der, wie bereits der Telegraph gemeldet hat, zu lesen ist: „Wir können uns den Vorfall nicht anders erklären, als daß er auf einer Verstimmung beruht, die zwischen den beiden be nachbarten Höfen von Hessen und Baden besteht. Ter Kaiser von Rußland hatte Rücksicht zu nehmen auf die Wünsche des Hofes, dessen Gastfreundschaft er zur Zeit genießt und der dem badischen Besuche abgeneigt gewesen sein wird." Das heißt dem Darmstädter Hofe verwerfen, er habe die schroffe Antwort des Zaren an den Großherzog von Baden direct veranlaßt und einen fremden Herrscher zur Kränkung eines deutschen Bundesfürsten geradezu genöthigt. Eine gröblichere Beleidigung eines deutschen Fürstenhofes ist kaum denkbar. Die Antwort wird hoffentlich nicht auf sich warten lassen. Jedenfalls beweist diese Leistung des rheinischen Weltblattes allen Betheiligten, daß eine schleunige Erklärung dringend nöthig ist, wenn nicht daS Ausland Schlüsse ziehen soll, die für Deutschland ebenso beschämend wie nachtheilig sind. Zn der bürgerlichen wie in der socialdemokratischen Presse herrscht Meinungsverschiedenheit über die Aufnahme, welche der Beschluß des Hamburger socialdemokratischen Parteitages, der Tocialdemokratie die Bctheilignng an den preussischen Landtagswahlen zu gestatten, bei den „Genossen" gesunden hat. Wir haben verschiedenen Ansichten Raum gegeben, möchten uns selbst aber Denjenigen anschließen, die mehr Ver druß über die Beschränkung jener Erlaubnis; — Verbot von Compromissen mit anderen Parteien — als über die Erlaubniß selbst bemerkt haben wollen. Es scheint mit einer starkenBetheili- gnng der Socialdemokratie an den nächsten Landtagswahlen und mit demUebergang zu der bei den Reichstagswahlen beobachteten Taktik deö Pactirens spätestens für die Wahlen im Zahre 1903 gerechnet werden zu müssen. Vielleicht aber ist schon bei den nächsten Wahlen die Bahn für Compromisse frei ge macht. Eine Auslassung dcS Herrn Auer läßt dies sogar höchst wahrscheinlich erscheinen. Aber auch ohne diese Mög lichkeit wird die Betheiligung der Socialdemokratie daS Wablbild, wenn auch noch nicht nothwendig das Wahlergebniß, stark beeinflussen. Jetzt ist in Preußen die Wahlthätigkeit beinahe vollständig eingeschlummert. Der amtlichen Statistik zufolge sind im Zahre 1893 von nicht ganz sechs Millionen Wahlberechtigten nahezu fünf Millionen dem Wahlact ferngeblieben. Zm Durchschnitt betrug die Betheiligung 18,40 Procent, und zwar war die Abstimmung in den Städten fast ebenso schwach wie auf dem Lande; der Unterschied betrug 0,39 Procent zu Gunsten der Städte. Zn der dritten Wähler- classe ist der Procenlsatz gar nur 15,21, während er in der ersten auf über 48 und in der zweiten auf 32 Procent sich beziffert. Nun darf man die ausgebliebencn 84 Procent der dritten Claffe nicht etwa derSocialdemokratie zuerkennen. Bei den letztenNeichS- tagswahlen wurde in Preußen noch nicht eine Million social demokratischer Stimmen abgegeben; von den den Landtags wahlen fern gebliebenen fünf Millionen gehört aber die große Mehrzahl in die dritte Claffe. Zst es auch möglich, daß in Reichstagswahlkreisen mit völlig aus sichtslosen socialdemokratischen Candidaturen die äußerste Grenze der Leistungsfähigkeit der Socialdemokratie nicht erreicht worden ist, so ist doch als gewiß anzunehmen, daß die- in allen Reichstagswahlkreisen geschehen ist, die aus Landtagswahlkreisen zusammengesetzt sind, in denen die revo lutionäre Partei auf irgend welche, seien es auch nur moralische, Landtagöwahlerfolge rechnen darf. Die kolossale Fehlsumme fällt also überwiegend den bürgerlichen Wählern zur Last. Und daß diese zum großen Tbeil dem puren JndifferentiSmus auheimgefallen waren, zeigen die Wablziffcrn in Posen und Westpreußen, in welchen Landestheilen die Bedrängniß deS Deutschthums eine größere, aber freilich auch weit hinter dem WünschenSwerthen zurückbleibende Lebhaftigkeit verur sacht. Zn Posen betheiligten sich immerhin über 16, in Westpreußeu über 37 Proc. der Berechtigten. Ohne diese von einem besonderen Stimulus getriebenen Wählerschaft betrüge Vie Wahlbetheiligung im ganzen Lande statt 18 noch nicht 14 Proc. Denn das auf Westpreußen folgende Ostpreußen weist schon kaum 23 Procent auf und von da steigt die Quote herab, bis sie in der Provinz Hannover mit wenig über 9h'r Proc. den Tiefstand erreicht. Die Rheinprovinz hat 17^/z, Hessen- Nassau noch 15, mehr als Berlin mit ll^/i Procent, im klebrigen aber ist die Betheiligung des Westens noch viel ge ringer als die des OstenS; nur Pommern mit 11 Vs Proc. reiht sich in die Westprovinzen ein. Welche Parteien am meisten Nachtheil von dieser umfassenden Wahlenthaltung haben, steht dahin. Die Freisinnigen erkennen ihn sich zu. Sie sind aller dings im Abgeordnetenhause so gut wie gar nicht vertreten (19 Mann unter 433), aber sie stehen an Rührigkeit der Landtagswahl-Agitation außer den Polen und etwa dem Centrum wohl keiner Partei nach. Wie eine auch nur um 25 Procent aller Wahlberechtigten gesteigerte Wahlbetheiligung wirken wird, vermag Niemand zu sagen, zumal da bei den nächsten Wahlen daS 1893 beschlossene, aber erst im Zahre 1895 mit einem neuen Steuergesetze in Kraft getretene, von dem früheren allerdings nicht sehr wesentlich - abweichende Wahlgesetz zum ersten Male zur Anwendung gelangt. Größere kleberraschungen sind nicht ausgeschlossen, namentlich wenn die socialdemokratischen Wähler ihre volle Ent schließungsfreiheit erhalten. Die Betheiligung der Social demokratie und zwar schon in der Form, in der sie jetzt bereits freigegeben ist, kann auch die Wirksamkeit einer im Zahre 1891 von Centrum und Conservativen in das Wahl gesetz gebrachten empörend unsinnigen und ungerechten Be stimmung weiter verschärfen. Früher wurde die Gesammtleistung aller Steuerzahler innerhalb einer Gemeinde summirt und danach durch die ganze Gemeinde die Theilung in drei Wählerclassen bewerkstelligt. Jetzt muß jeder Urwahl- bezirk die Drittelung für sich allein vornehmen. Die Con sequenzen sind bekannt und zum Gespött der ganzen Welt geworden. Zn einer Berliner Vorstadt hat 1893 ein Gast- Wirth, der 200 Steuer zahlte, die noch dazu zum guten Theil Schanksleuer war, allein die Wahlmänncr der ersten Claffe gewählt. Der Reichskanzler aber und ein halbes Dutzend Minister, die in dem die großen Banken beherbergenden ersten Berliner Wahlkreis ihre Dienstwohnungen haben, wählten mit Hunderten von anderen Urwählern, die Wahlmänner in der dritten Claffe, trotz eines JahreSgehalteS von 36 000-E AehnlichcS hat sich in anderen Städten, namentlich des Westens, zugetragen, und für den Westen hatte daS Centrum diese brutale Art der Drittelung auch ersonnen. Sie kann nun ziemlich häufig die Wahl von socialdemokratischen Wahlmännern auch in der zweiten und sogar in der ersten Wählerclasse zur Folge haben. Ein Grund mehr, sich durch den Hamburger Beschluß aufrütteln zu lassen. Die französischen Socialdemokraten unternahmen in der Sonnabendsitzung der Deputirtenkammer einen heftigen Vorstoß gegen daS ihnen tief verhaßte Ministerium Möline/ welchem sie daS schmückende Beiwort das „Ministerium der Hunzersnoth" beilegten. Nach ihrer Theorie soll nämlich die Regierung dadurch, daß sie eS unterließ, die Getreidezölle herabzusetzen und gegen die Getreideterminspeculanten ein zuschreiten, sich zum Mitschuldigen an der auf den arbeitenden Classen lastenden Vertheuernng der Brodpreise gemacht haben. Wenn man die Herren ZauröS und Genossen eine Reihe der abgedroschensten Gemeinplätze von der Redner tribüne der Kammer herab in ihr Parteipvblicum draußen im Lande schleudern sieht, so sollte man meinen, ganz Frank reich nage am Hungertuche und gehe mit Riesenschritten Zu ständen entgegen, wie sie etwa in Indien während der letzten Hungersnoth zu constatiren waren. Ganz so tragisch müssen indessen wohl selbst die socialdemokratischen Lärmmachcc den Stand der Dinge noch nicht cmffassen, da sie in dem selben Augenblick, wo sie in der französischen Deputirteu- kammer zu verstehen geben, der Arbeiter müsse seine blutsauer verdienten paar Sous den „Brod- und Kornwucherern" an den Hals werfen, um seine darbenden Angehörigen noth- dürftiz zu sättigen, daS französische Proletariat in stammenden Worten zu ausgiebiger Unterstützung der streikenden eng lischen Maschinenbauarbeiter auffordern. Diese Aufforderung hätte keinen Sinn, wenn unter der französischen Arbeiter bevölkerung selbst ein solcher Nothstand in Folge der au geblichen Brodtheuerung herrschte, als die Interpellanten des Ministeriums der öffentlichen Meinung einreden möchten. Ministerpräsident Msline setzte den socialdemokratischen Lärmmachern sowie der Gesammtheit der Kammer die wahre Sachlage mit Ruhe und Objectivität auseinander und reducirte die Alarmrufe der Unisturzhetzer auf die Thatsachc eines in ganz Europa zu beobachtenden mäßigen Anziehens der Getreidepreise, das aber keine einzige der daran ge knüpften tendenziösen Schwarzmalereien rechtfertigt. Bei den Interessenten der Landwirtschaft und des legitimen Handels machten die Erklärungen des Herrn Meline den besten Eindruck, der sich auch in der Annahme einer regie rungsseitig gebilligten Tagesordnung manifestirte.auf welche sich wie gemeldet, 398 gegen nur 76 socialdemokratische und radicale Stimmen vereinigten. Der Vorstoß der Umsturzpartei ist also glänzend abgeschlagen worden und man darf annehmen, daß dieser Verlauf der Sonnabendsitzung von dauerndem Einflüsse auf die Grnppirung der Kammerparteien bleiben werde, so lange wenigstens, als die Kammermehrheit bei dem Beschlüsse beharrt, alle solche Anträge und Interpellationen niederzustimmen, welche das Gepräge der Obstrnctivität hand greiflich an sich tragen. Zn Florenz beschäftigt man sich ernsthaft mit dem Ge danken, eine Bibliothek zu gründen, die alle vom römischen Inckex lidrorum prokidltornm aufgenommenen Werke enthalten soll. Den Anlaß dazu gab die bevorstehende Hundertjahr feier des Geburtstages des größten italienischen Lyrikers unseres Jahrhunderts, Giacomo Leopardi, dessen Werke von der römischen Inquisition natürlich auch auf den Index gesetzt worden sind, wie die hervorragendsten GeisteSwerke aller Jahr hunderte. Von der angesehensten italienischen Monatsschrift, der „Nuova Antologia", ist der Gedanke dieser Bibliotheks gründung mit Begeisterung aufgegriffen worden. „Welch große, erhabene Bibliothek", heißt eö in der jüngsten Nummer der „Antologia", „welch ein Denkmal für die gegen geistliche Reaction und Vergewaltigung ankämpfenden Künste und Wissenschaften ließe sich nicht an der Hand des Index errichten, in dem sich die gesammte Geschichte der Ver folgungen des Menschengeistes zusammengedrängt findet. Keine große Kühnheit, kein genialer Forschungsblick in die Geheimnisse der moralischen Welt und der Natur, keine ehrliche Rebellion des Geistes gegen geistlichen Zwang ist der römischen Inquisition entgangen. Man kann sagen, daß sich der Geist der Reaction Jahrhunderte hin durch abgemüht hat, den Katalog der schönsten Bibliothek zu bilden, die das freie Italien als eine Huldigung für das Genie gründen kann." Hierzu möge bemerkt sein, daß ein Anfang zu der geplanten Bibliothek in Florenz bereits vor- I banden ist. Zn der Mitte dieses Jahrhunderts beschäftigte sich Graf Pietro Guicciardini, ein Nachkomme des be rühmten Florentiner Geschichtsschreibers und Oheim deS gegen wärtigen Handelsministers, aus innerem Herzensdrange mit der Geschichte der Reformation. Er brachte im Laufe der Jahrzehnte fast alle auf die Reformation bezüglichen Werke zusammen, so weit sie auf dem Index stehen. Es sind ihrer 9000 an der Zahl. Nachdem er durch gründliches Studium zur Erkenntniß der Wahrheit der evangelischen Lehre gelangt war, trat er zur evangelischen Kirche über. Er ver- Faiiilletsn. Onkel Fridolin's unglückliche Liebe. Lf Novellette von Anna Klie. Nachdruck verböte». Am Abend, als Tante Helmine Arm in Arm in der Mitte ihrer lustig plaudernden Nichten im Garten lust wandelte, tauchte Onkel Fridolin'S lange Gestalt jenseits vom Zaune auf. Wie angewurzelt blieb der Heimkehrende stehen. „Alle guten Geister!" begann er mit unsicherer Stimme. Dann langte er mit der Rechten in die Brusttasche seines RockeS, untersuchte vergeblich noch einige andere Taschen, und zog schließlich zwischen Oberzeug und Untersutter seines RockeS einen Brief hervor. „Sagte ichs nicht, Aendel?" triumpbirte Amalie Caroline. „Aber Fridolin! Du bist doch völlig unverbesserlich!" tadelte Tante Helmine vorwurfsvoll. Onkel Fridolin hatte seinen Hut abgenommen und fuhr sich mit schuldbewußter Miene durch den semmelblonden Haarschopf, der sein gutes, freundliches Angesicht krönte. Dann schüttelte er seinen beiden lachenden Nichten die Hande, und als er sich versichert batte, daß Beide ungefährdet und wohlbehalten die Reise überstanden hatten, stimmte er in ihre Heiterkeit rin. Während des gemeinsamen Abend essens im Freien schilderte Aendel unter Gelächter und Neckereien ihr Kofferabenteuer. „Jngeborg hieß die Fremde und sie war ein entzückendes Wesen!" so schloß sie enthusiastisch ihren Bericht. In der zunehmenden Dämmerung deS späten Abends ent ging eS ihr, daß ihres ZudörerS Antlitz sich bei diesem Namen mit einer flüchtigen Rothe bedeckte. Lustig plauderten die Mädchen weiter. Weder ihnen noch Tante Hclmine fiel eS auf, daß Onkel Fridolin plötzlich schweigsam geworden war. Spät erst trennte man sich und suchte die Schlafzimmer aus. Am offenen Fenster des seinen stand der Professor noch eine ganze Weile und starrte regungslos in die sternhelle Nacht hinaus. „Jngeborg!" flüsterte er einmal vor sich hin, und ein tiefer Seufzer folgte dem Worte. Fridolin Kürenberg'S Gedanken weilten in vergangener Zeit. Ein festlich erleuchteter Saal umfing ibn. Dem Hoch- zeitSmahle war der Tanz gefolgt. In der Franchise stand sie neben ihm, die es ihm angethan hatte von einem Tage zum andern. Zn ausflammender Leidenschaft folgte sein Blick jeder ihrer lieblichen Bewegungen. Seine Besonnenheit verließ ihn, und jenes unselige verfrühte Geständniß seiner Gefühle entfloh seinen Lippen und erschreckte daS geliebte, heißbegehrte Mädchen bis in die Tiefe ihrer scheuen, noch allzu unbefangenen Seele. Eine herbe, erschrockene Ablehnung ward ihm zur Antwort. Schmerz und Muthlosigkeit be mächtigte sich deS Abgewiesenen. Ohne Abschied reiste er in der Morgenfrühe des nächsten TageS von dannen und zerriß aus diese Weise jäh und auf immer das zarte Glücksgcspinnft seines kurzen LiebeStraumeS. Fünf Jahre waren seit jener Hockzeit verflossen; die schöne Jngeborg hatte er niemals wiedergeseben. — AuS dem Dunkel deS VorgärtchcnS am goldenen Hirsch schlug Stimmengeflüster an daS Ohr des einsam träumenden ManneS. Er beugte sich über daS Fensterbrett hinab. Auf den HauSthürstufen stand der junge Forstgehilfe aus der naben Oberförsterei mit der hübschen jungen WirtbscbaftS- gehilfin deS Gasthauses. Die Leutchen hatten sich im Schulen berger Wiesenthale zusammengefunden und waren verlobt. „Ueberall Liebesgeschichten!" dachte Onkel Fridolin weh- müthig. Er trat zurück und sucht«, nach den Streichhölzern, um Licht anzuzünden. ) Mit der ihm eigenen Ungeschicklichkeit seiner langen Glied maßen rannte er dabei einen Stuhl über den Hausen, schleuderte seinen Stiefelknecht eine Strecke aus dem Fußboden entlang und veranlaßte im anstoßenden Gemach Amalie Caroline zu der Bemerkung: „Du, Aendel, nebenan bolzt eS so — da wohnt sicherlich Onkel Fridolin!" Drunten erschien indessen die Hirschwirthin im Hausflur, um daS Brautpaar auseinander zu stöckeln, nachdem sie zuvor ein wenig mißlaunig ihrem Mann die unausbleiblichen Nach theile einer hübschen verliebten Stütze für die WirthschaftS- geschäfte auseinander gesetzt hatte. Der JägerSmann pfiff seinem Hunde und trollte ins Dorf zurück. In den WirthschaflSräumen scharwerkten noch ein Weilchen die Mägde und klapperten mit dem Geschirr. Dann trat auch dort Stille ein und die schweigende Sommer nacht träufelte ihren Thau hernieder auf die lieblichen Wiesen gelände von Sckulenberg. „Kinder", sprach am andern Morgen am Kaffeetische Tante Helmine zu den Nichten, „mein Motiv muß ich erst fertig malen, nachher bi» ich bereit zu allen Ausflügen mit Euch!" Onkel Fridolin fuhr sich verlegen über seinen strohblonden Haarschopf. „Höre einmal, Minchen, daS ist aber fatal! Wir sind sa ein paar nette Gastgeber für die Mädchen! Nämlich — ich muß nach Harzburg, College Schmidt erwartet mich dort, wie Du weißt, und bei der Besprechung über wissenschaft liche Dinge, die wir Vorhaben, kann ich die Mädchen nicht gebrauchen. Und allein verlauft Ihr Euch vermuthlich!" „Aber Fridolin, so nimm sie doch wenigstens bis zum ArenSberger Forsthause mit! DaS ist ja ein wunderhübscher Spaziergang, und den Rückweg finden sie allein. Ich bin bis Mittag fertig, und heute Nachmittag unternehmen wir bann gemeinschaftlich etwas NetteS!" Der Vorschlag ward gebilligt und seelenvergnügt machten die jungen Nichten sich mit dem langen Onkel auf den Weg. — Der Morgen war thaufrisch und wundervoll. Die Sonne spiegelte sich in den glitzernden Wellen deS WässerleinS, daS lustig über MooS und Steine, zwischen Farren und Finger hut von der Höhe heruntergehüpft kam. Goldene Lichter huschten im Tann über den Boden und allenthalben war die Luft be- lebt von schwirrenden und gaukelnden Käfern und Schmetter lingen. Aus dem Forsthause ward ein Imbiß eingenommen. Als dann verabschiedete sich der Onkel von den Mädchen, die nun ihrerseits die ArenSberger Klippen bestiegen und dort eine der schönsten Aussichten in daS Okerthal genossen. Dicht neben der Schutzhütte droben führt ein steiler Pfad in schmaler Zickzacklinie den schroffen Abhang ins Okerthal hinab. „Weg nach Romkerball" besagt die Inschrift auf dem Wegweiser an seinem Anfangspunkte. Kaum hatte Amalie Caroline, welche die beneidenSwerthe Eigenschaft völliger Schwindelfreiheit besaß, die Inschrift ent deckt, als sie vorsichtig ihr Kleid aufschürzte und mit einem liebäugelnden Blick in die Tiefe auSrief: „Ei, welch ein netter Rückweg! Sieh nur, Aendel, er führt über Romkerhall, wo es immer so hübsch belebt ist und man doch einmal nett gekleidete Leute zu sehen bekommt! Da geben wir hinunter!" Amalie Caroline rechnete nämlich eine Landschaft nur insofern zu den SebenSwürdiqkeiten, je nachdem sich mehr oder minder zahlreiche Menschen in ihr vorfanden. Ein Concertgarten voller Gäste in bellen Kleidern und modernen Hüten erschien ihr als der Gipfel deS Wünschen-wertben. Aendel Kürenberg zog ihr runde- fröhliches Antlitz bei dem Vorschläge ihrer Cousine sehr in die Länge. Eins gab es nämlich, waS ihrer Unternehmungslust Zügel anlegte, — steile Abgründe konnte sie nickt leiden, dort überfiel sie ein unbesiegbarer Schwindel. „Da hinunter willst Du?" Sie fragte eS schaudernd. „Nein, Amalie Caroline, das kriege ich nicht fertig!" Amalie Caroline brach einen starken Ast von einer dürren Tanne und reichte ihn der Widerstrebenden. „Da hast Du einen Stecken, nun sei vernünftig und stelle Dich nicht so an! Schwindel ist Einbildung und muß überwunden werden. Sieh nur den hübschen, glatten Weg! Noch nicht einmal
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