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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.12.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971201016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897120101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897120101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-12
- Tag1897-12-01
- Monat1897-12
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (»ge spalten) 50^1, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^- Größere Schriften laut uuserem Preis- verzeichntß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Poftbeförderung 70.—. Aunahmeschtllß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Druck uud Verlag von E. Polz ia Leipzig. 612. Mittwoch den 1. December 1897. Sl. Jahrgang. Vie Thronrede, mit welcher der Kaiser die letzte Tagung der 9. Legislatur periode deS Reichstags eröffnet hat, betont mit Recht die Wichtigkeit dieser Tagung und geht dann sofort aus die Vor lage ein, die dem Kaiser und den verbündeten Regierungen al» die bedeutsamste der dem Hause zugevacbten Aufgaben erscheinen muß: die Marine-Borlage. WaS über sie in der Thronrede auSaeführt wirb, gebt von neuen GesichtS- puncten nicht au». Än knapper Form wird Alles zusammen gefaßt, WaS im Laufe deS letzten JabreS über die Nolb- wendiakeit einer Verstärkung unserer Wehrmacht zur See in zahllosen Bro ^üren, Reden und Zeitungsartikeln gesagt worden ist, und zum Schluffe wird kurz und schlicht betont, daß die verbündeten Regierungen, um für diese „dringenden und nicht länger hinauszuscdiebenden Maß nahmen" einen festen Boden zu gewinnen, eS für „geboten" erachten, die Stärke der Marine und dr" Zeitraum, in welchem diese Stärke erreicht werden soll, „gesetzlich fest zulegen". An diese einfache Constatirung einer Tbatsache schließt sich keine Mahnung an den Reichstag, kein Ausdruck der Hoffnung auf Annahme deS Entwurfes; wer aber daraus schließen wollte, daß die verbündeten Regierungen geneigt seien, nöthigenfallS auf die gesetzliche Festlegung der Stärke der Marine und de» Zeitraumes, in dem diese Stärke erreicht werden soll, ru verzichten, der dürfte in einem schweren Jrrtbume sich befinden. Gerade aus der Wahl der Worte „nicht länger hinauszuschiebende Maß nahmen" und „geboten" schließen wir, daß die verbündeten Regierungen an dem, was sie vorschlagen, mit unbeugsamer Festigkeit festzubalten und nölbigenfalls an die deutsche Wäbler- schaft zu appelliren entschlossen sind, sofern der jetzige Reichstag auf eine gesetzliche Festlegung der Flottenorganisation sich nicht einlassen mag. Am wirksamsten würde eS gewesen sein, wenn die Thron rede an ihre Auslastungen über die Marine-Borlage sogleich daS geknüpft hätte, was sie über die allgemeine Finanzlage zu sagen hatte, denn daS Bild, das sie hier entwirft, ist ein so günstiges, daß eS dieBesorgniß zerstreut.es würde befopdererAn strengungen bedürfen, um die dem Reichstage angesonnenen Mehr aufwendungen für die Flotte zu bestreiten. Die Matricular- beiträge sind für daS laufende Iabr nur in solcher Höbe vorgesehen, baß den Bundesstaaten eine materielle Belastung nicht erwächst. Trotzdem bat die Verbesserung der Man li sch ast s ko st für das Heer und die Kriegsmarine gur Durch- siibrung gebracht, hat der erbebliche Aufwand für die Um gestaltung des Artillerie-Materials auf die regel mäßigen Einnahmen übernommen werden können und werden Ueberschüsse erhofft, die zum Theil zur Verminderung der Reichsschuld Verwendung finden sollen. Bei solcher Lage ist das, was die verbündeten Regierungen zur Ver stärkung unserer Wehrkraft zur See für „unaufschiebbar" und „geboten" erachten, auch durchführbar ohne neue Be lastung der Steuerzahler. Immerhin wird, da Ausfälle in den Einnahmen in jenem Zeiträume, in dem unsere Flotte auf dir vorgescblagene Stärke gebracht werden soll, nicht zu den Unmöglichkeiten gebören, darauf Bedacht zu nehmen sein, daß die von den Einzelstaaten so bringend gewünschte gesetzliche Regelung der finanziellen Beziehungen der Bundesstaaten zum Reiche möglichst halb erfolge. Wenn der jetzige Reichstag mit dieser Aufgabe nicht mehr befaßt wird, so liegt daS daran, daß er sich unfähig erwiesen hat, sie zu jösen. Statt der Finanzlage erörtert die Thronrede im An schlüsse an die Marine-Vorlage die Notbwendigkeit einer Ver besserung der Post-Dampfschiff»-Verbindung mit Ostasien und kündigt einen revidirten Entwurf an, dem wir eine günstige Aufnahme wünschen. Weiter werden die surdie Einheitlichkeit de- bürgerlichen Rechts noch erforderlichen Vorlagen und der Entwurf über die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen angekündigt und befürwortet. WaS dann von der zweiten großen gesetzgeberischen Aufgabe der Session, von dem Entwürfe einer Militairstrafgericktsordnung, gesagt wird, ist wenig geeignet, eine Vorstellung von diesem Ent würfe zu ermöglichen. ES beschränkt sich ans die Versiche rung, daß die Vorlage „unter möglichster Anlehnung an den bürgerlichen Strafprozeß den für die Erhaltung der Manneszucht unbedingt notbwenbigen Forderungen Genüge leiste". Inzwischen ist über den Inhalt der Vorlage einiges bekannt geworden. Es macht den Eindruck, als ob die Thronrede nicht ohne Grund „mit Zuversicht" auf die verständnißvoll: Mitwirkung deS Reichs tags an dem Zustandekommen vieler Reform rechne. Hoffent lich ergiebt sich bei eingehender Prüfung der Vorlage, daß das so mühselig entstandene Werk den berechtigten Ar^ forderungen der Zeit Rechnung trägt. Cs wird dadurch wenigstens zur Milderung der in weiten Kreisen ver breiteten Mißstimmung beitragen, die von den Gegnern der Marine-Vorlage für ihre Zwecke sicherlich nach Kräften ge schürt werben würde, wenn der Entwurf einer Militairstraf- gerichtsordnung hinter den gehegten Erwartungen wesentlich znrückbliebe. WaS weiter die Thronrede über die Einsetzung des wirth- schaftlicben Ausschusses zur Vorberathung und Begut achtung handelspolitischer Maßnahmen sagt, hat, streng ge nommen, mit den Aufgaben deS jetzigen Reichstags nichts zu tbun. Es ist aber am Platze, weil es die Fürsorge beweist, mit der die Regierung für die künftige Gestaltung des Zoll tarifs und der Handelsbeziehungen zum Auslande eine den Bedürfnissen der Gegenwart entbrechende Richtschnur zu ge winnen sucht, und weil eSGelegenheit bot, auf die Nothwendigkeit eineS„gerechten Ausgleichs" zwischen den verschiedenartigen Ansprüchen unsere» Erwerbslebens binzuweisen. Dieser Hin weis ist eine eindringliche Mahnung an die Vertreter der wirtb- schaftlichen Gruppen im Reichstage, die obnebin scharfen Gegensätze nicht noch mehr zu verschärfen. Hoffentlich aber beweist dieser Hinweis auch, baß die Regierung fest ent schlossen ist, allen einseitigen, den 'gerechten Ausgleich er schwerenden Forderungen mit Nachdruck und Consequenz entgegenzutreten. Der daun folgende Passus der Rede über die Entwickelung unserer Schutzgebiete ist dürftig. WaS die Besserung der Transportverhältnisse in Südwestafrika durch Legung von Schienengleisen betrifft, so wird man darüber nähere An gaben erwarten müssen; daß e» gelingen werde, den Reichstag mit dem Vertrage über die Abgrenzung des Togo gebiete» zu versöhnen, ist nicht wahrscheinlich, Kurz, aber nicht bestimmt ist da», wa» über die Besetzung der Kiao-Tschau- Bucht gesagt wird: Die Truppen, so beißt e», seien dort gelandet worden, „um volle Sübne und Sicherheit gegen eine Wiederkehr ähnlicher beklagenSwerther Ereignisse zu erlangen". Ob da- durch einen bleibenden Stützpunkt dauernder Machtentfaltung an der chinesischen Küste geschehen soll, bleibt in Zweifel. Erfreulich ist die Zusicherung, baß volle Sühne gefordert und Sicherung gegen die Wiederkehr ähnlicher Ereignisse erlangt werden soll, immerhin. Auch scheint r», als ob anzedeutet Verden solle, daß für alle Fälle eine Differenz mit anderen Mächten nicht zu be sorgen sei. Zu allen, so wird erklärt, seien die Beziehungen „durchaus erfreulich." Der Dreibund wird diesmal nicht besonder» erwähnt; vielleicht gerade de-halb, weil die übrigen Beziehungen eine besondere Berufung auf dieses Bollwerk deS europäischen Friedens unnötbig erscheinen lassen. Im Ganzen ist die Thronrede von einem nüchternen Ernste durchwebt, der mit der Wichtigkeit und Tragweite der von ihr aufgezählten Vorlagen nickt reckt im Einklänge stebt. Das bat jedenfalls der Kaiser gefühlt und deshalb dem officiellen Texte noch eine persönliche Ansprache an die Versammlung hinzugefügt, die nach dem „Reichsanzeiger" folgendermaßen lautete: „Meine Herren I Ich knüpfe hieran die folgenden Worte. Vor fast zwei Jahren habe Ich an dieser Stelle auf das ruhmreiche Feldzeichen Meines ersten Garde-Regiments den Eid geleistet, das, was der in Gott ruhende Kaiser Wilhelm der Große geschaffen, zu erhalten und das Ansehen und die Ehre des Reiches überall zu schirmen. Sie haben bewegten Herzens und feuchten Auges diesen Eid entgegengenommen und sind da durch Meine Eidcshclfer geworden. Angesichts des allmächtigen Gottes und im Andenken an den großen Kaiser bitte Ich Sie, Mich durch Ihre Mithilfe auch fernerhin in den Stand zu setzen, diesen Meinen Eid zu halten und Mir beizustehen, des Reiches Ehre nach Außen, für deren Erhaltung Ich nicht gezögert habe, Meinen einzigen Bruder einzusetzen, kräftig zu wahren." Ob diese Ansprache den gewünschten Eindruck gemacht habe, läßt sick auS der Ferne nicht seststellen. Der Telegraph meldet, die Worte seien schweigend angebört worden. Aber auch daraus läßt sich nichts schließen. Jedenfalls wird es an Stimmen nicht fehlen, die darauf Hinweisen, daß das Schicksal der Marine-Vorlage, deren Befürwortung doch zweifellos die kaiserlichen Worte zum Zwecke haben, auf die Erfüllung der Mission des Prinzen Heinrich nicht von Einfluß sei, da jetzt die Ehre des Reiches mit dem vorhandenen Sckiffsmateri/l gewahrt werden müsse. Im Volke aber wird man hofsekit- lich die Worte deS Kaisers so aufsassen, wie sie gemeint sind. Sie sollen daran erinnern, welche persönlichen Opfer der Kaiser sowohl, wie alle seine hohen Verbündeten jederzeit der Ehre und der Sickerbeit des Reiches zu bringen bereit sind, daß aber alle diese Opfer umsonst gebracht sein werden, wenn die Vertreter der Nation ans fatscker.,HMGHst^»t^ bissenem Doktrinarismus oder engberzigenp»qriM»teresse Reiche die Mittel versagen, die notbwendi/Md A SchäiM» unserer Sickerheitswaffen. Eine solche Erinnerung und MaHDA wäre vielleicht in der Thronrede selbst, gerade weil sierin Namen der verbündeten Regierungen gehalten wurde, noch besser am Platze und wirkungsvoller gewesen, als nach dem Schlüsse in Form einer persönlichen kaiserlichen Ansprache. Andererseits aber beweist sie gerade durch diese Form, daß der Kaiser von Couflictsneigungen fick frei weiß und daß er eine Verständigung mit dem Reichstage ersehnt. Ob dieses Sehnen sich erfüllen wird? E i glückliches Omen war cs nicht, daß der Reichstag in seiner ersten Sitzung, die fast unmittelbar an die Thronrede sich anschloß, beschußunfähi g war. Er scheint sterben zu wollen, wie er gelebt, belastet mit dem Vorwurfe, das Ansehen der deutschen Volksvertretung und die Ehre uud Würde deS Reiches vor dem AuSlande schwer geschädigt zu haben. Die MiUtairstrafprozeß-keform. (-) Berlin, 30. November. (Telegramm.) Die ministeneUe „Berliner Correspondenz" schreibt: „Die Thronrede bat die Vorlage deS Entwurfs einer Militairstrafgerichtsordnung angekündigt und dieser ist dem Reichstage rugegangen. Damit hat die vielbesprochene Frage eine vorläufige Lösung gefunden. Ein heute zur Ausgabe gelangendes Beiheft deS „MilitairwochenblatteS" (Verlas von Mittler ck Sohn) bringt eine Darstellung deS InbaltS der gejammten Reform deS Militair- strafverfakrenS, die mit einer Vergieicbung des heutigen Reckrsznstandes mit dem künftigen abschließt. In kurzer, klarer Weise bietet sie einen zuverlässigen Ucberblick über den Aufbau des Entwurfs und dessen Begründung, so daß sie Allen, welche sich rasch mit dem Gesetzentwürfe vertraut machen wollen, empfohlen werden kann. Die Schlußanführungen dieser Darstellung diuften von allgemeinem Interesse sein, sie lauten wie folgt: „Wenden wir unS nach dieser Darlegung de» Systems des Entwurfes der Militairstrafgerichtsordnung und der Hauptgrundsätze desselben zu der Frage, welche wesentliche Verbesserungen gegenüber dem heutigen RechtSzustaude seine Vorschläge enthalten, so wird eine Gegenüberstellung der Hauptgruntsätze des gegenwärtigen preußischen Militair- strafverfahrens und des Entwurfs die Beantwortung klarlegen: Es gelten im preußischen Militairstrafverfahren: 1) Schriftlicher, geheimer Untersuchungsproceß. Es wird dagegen vorgeschlagen im Entwurf: I) Weitestgehende Durchführung des mündlichen, unmittelbaren Verfahrens, unter Zulassung der Oefsentlichkeit der Hauptverhandlung nach bayerischem Vorbilde. Es gelten: 2) Jnquisitionsmaxime. Verbindung des Unter suchungsführers, Les Anklägers und des BertheidigerS in einer Person. Es wird vorgeschlagen: 2) Anklageform. Scharfe Trennung der Aufgaben Les Richters, Anklägers und Vertheidigers. Es gilt: 3) Commandirung der Richter von Fall zu Fall. Es wird vorgeschlagcn: 3) Ständigkeit der Gerichte in allen Instanzen in erheblichem Umfange. Es gilt: 4) Beschränkung der Vertbeidigung durch Dritte. Es wird vorgejchlagen: 4) Unbeschränkte Vertheidigung in Füllen der höheren Gerichtsbarkeit bei bürgerlichen Vergehungen auch durch zugelassene Rechtsanwälte. Es gilt: 5) formale gesetzliche BeweiStheorie der alten Eriminal» -yrdnung. , ; Es wird vorgeschlagen: 5) freie Beweiswürdignng auf Grund der in mündlicher Verhandlung von dem Richter gemachten Wahrnehmungen. Es gilt: 6) Abstimmung der Richter nach dem nicht einwandSsreien Classensystem. Es wird vorgeschlagen: 6) Gleicher Werth für jede Richterstimmc. Es gilt: 7) Verjagung ausreichender ordentlicher Rechtsmittel an den Angeklagten. Es wird vorgeschlagen: 7) Gewährung der Rechtsmittel nach dem Vorbilde der bürgerlichen Strafproceßordnung. Zu lassung der Beschwerde, der Berufung, der Revision; der Berufung in weiterem Umfange alS im bürgerlichen Verfahren. Einrichtung eines vollständigen Jnstanzenzuges. Es gilt: 8) Abhängigkeit der Rechtskraft des richterlichen Spruchs von der Bestätigung. Es wird vorgeschlagen: 8) Sntgiltige Entscheidung des Richter» über Thatfrage und Straf«. Uneingeschränkte Selbstständigkeit der erkennenden Gerichte. Bestätigungs ordre im Frieden kein die Rechtskraft de» Urtheils berührender Rechtsact, vielmehr eine auf dem Gnadenrechte beruhende Weisung zur Strafvollstreckung. Es gilt: 9) Vielgestaltecheit der Militairgerichte und des Ver fahrens bei den verschiedenen Eontingrnten, mit den daraus sich für FersrHstsir Am die Erde. Reisrbriefe von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. VI. Das neue und daSalte Kairo. — Im Bazar.— Die Geschichte von den Mummis. — In den alten Stadttheilen. — Das Deutschthum in Egypten. — Die Engländer. — Khedtve Abbas II. Jsmailia. — Auf derUachtdesKönigs von Siam. — Wieder auf deutschem Boden. — Durch den Suez-Canal. — Im Rothen Meer. An Bord der „ B r e m e n ", 11. November 1897. Oft genug kann man hören, daß man sich beeilen müsse, um Kairo zu besuchen, man würde es sonst kaum noch finden, jenes Kairo, welches voll farbenprächtig-orientalischen Zauber- ist und jedem für buntes und wechselvolles Volksleben empfänglichen Sinn so viel Neues und Fesselndes bietet. Nun, die obige An sicht ist übertrieben, es ist noch genug echtes, unverfälschtes, ma lerisches Kairo vorhanden und wird noch auf lange Zeit hinaus vorhanden bleiben, was nicht hindert, daß die neue elegante, moderne Stadt sich mehr und mehr ausbreitet und mit jedem Jahr von dem obigen Kairo manch Stück abbröckelt. Eines hebt ja nicht da» Andere auf, und nach meiner Meinung sind gerade die Gegensätze voll anziehenden Reize»: hier prächtige Boulevards nach Pariser Vorbild mit den lockendsten Läden, mit großen Caf5s, luxuriösen Restaurants, vornehmen Hotels, hübsche Dillenstraßen von ihnen abzweigend mit den co- qurttrn palastartigen Bauten der fremden Gesandtschaften und Konsulate, dann der schön gepflegte Ezbetiye-Garten mit herrlichen Palmen, mit tropischen Gewächsen, mit das Auge erfrischenden, von allerhand fremdartigem Gethier bevölkerten Teichen, ferner elektrische Bahn, die in der Wintrr-Saison bis zu den Pyramiden hinausgeht, eine vorzüglich eingerichtete Hauptpost, überall Sau berkeit und Ordnung, o, man kann sich dieses neue Kairo schon ar- fallen lassen! Und nur fünf Minuten weiter, so ist man in mitten deS echtesten orientalischen Gewirr» und Geschwirr» und umwogt von dem wechselvollen Getriebe deS Bazarlebens; stunden lang kann man durch diese seltsame Stadt wandern, durch diese merkwürdige Stadt mit ihren unzähligen schmalen Gassen und Gäßchen, mit ihren Winkeln und Ecken, und jeder Blick umfaßt rin Gemälde orientalischen Lebens von packendster Darstellung und fesselndster Anziehung. Uralte, von der Zeit schon geschwärzte Häuser mit reichen Verzierungen über dem Sandsteinportal und schönem Schnitz werk an den hölzernen Fensterbekleidungen, daneben halb zu sammengefallene Hütten und stallähnliche Gebäude, dann wieder Magazine mit von Maaren aller Art vollgepfropften Höfen, Jahr hunderte alte Moscheen mit hohen thorartigen Ausbuchtungen, in denen sich Kaufleute niedergelassen haben, und über die ganz schmalen Wege von Dach zu Dach gespannt einst bunt gewesene nun längst verblichene Stoffe, die, gegen die Sonnenstrahlen bestimmt, durch ihr zermürbtes Gewebe doch flimmernde Lichter hindurchlaffen, welche mit goldigem Schein hin und her huschen über all den unzähligen Krimskrams, der die Industrien einiger Jahrtausende — von den den Todten der zwölften Dynastie mit gegebenen Geräthschaften bi» zu den Erzeugnissen Birmingham» de» letzten MonatS — umfaßt. Kein größeres Vergnügen, als hier umherzuschlendern, hin uud wieder stehen bleibend, in den einen oder anderen dämmerigen Laden eintretend und schließlich, natürlich erst nach endlosem Handeln diese oder jene Kleinigkeit kaufend, oder einem der Teppichlager einen kurzen Besuch abstattend und sich an den in schier unerschöpflicher Fülle aufgespeichertrn herrlichen Teppichen erfreuend, die da geschäftige Hände vor uns ausbreiten. „Aber wir wollen nichts kaufen!" — „DaS thut nichts, Anschauen ist umsonst, eS macht mir Freude, und — vielleicht kommst Du doch wieder. Hier meine Adresse." „So folge mir doch, nur wenige Schritte, ich will Dir sehr wa» Merkwürdige» zeigen, Du wirst mich ja nicht verrathen", flüstert mir ein weißbärtiger Araber zu, und deutet auf ein Seitengäh- chen, in das er schlürfenden Schrittes einbiegt. Und durch einen mit hundertfachen Raritäten angesüllten Laden geht? über einen winzigen Hof und von ihm in ein durch schwere Thüren ver schlossene», völlig dunkles Gewölbe. Ein Streichholz zischt auf, und beim flackernden Schein einer Kerze steht man eine ganze Mumien-Versammlung vor sich, zwölf bi» fünfzehn der vereheli chen Unterthemen und Unterthaninnen einstiger Pharaonen, hübsch in Reih und Glied an die Wände gelehnt, zum Theil noch in ihren Särgen, zum Theil ohne dieselben höchst manierlich aufgestellt. Die sarglosen Herren und Damen waren billig zu haben, schon für hundert Mark, während sich der Preis der noch in ihrem letzten Heim Befindlichen auf das Dreifache stellte: sie stammten, wie ich später hörte, jedenfalls aus Heliopolis, wo Fellachen neue Grab stätten entdeckt haben und weidlich auSplündern sollen, ohne daß die egyptische Regierung, die streng jede private „Buddelei" ahndet, ihnen daS Handwerk legen konnte. Mir wurden aber die „Mummis" unheimlich, denn ich sollte nun schon einen von ihnen für fünfzig Mark erhalten; immer zudringlicher pries mir der Arabier seine Mumien an und welchen Werth sie hätten und daß ich nie wieder so billig zu einer „Mummi" kommen würde, aber ich dachte noch rechtzeitig der Bitte einer lieben DreSdenerin: ich möchte ihr alles Andere aus Egypten mitbringen, nur keine Mumie, jedoch erst nachdem ich die Zauberformel, die sich schon in manch' anderen Fällen be währt, gebraucht: „Ich werde zuvor mit Dr. Reinhardt (den wissenschaftlich hervorragenden, liebenswürdigen, den Arabern sehr bekannten Dragoman unseres General-ConsulatS) Rücksprache nehmen", erst dann konnte ich mummiledig das dunkle Gewölbe endlich wieder verlassen. Nun aber zur Belohnung schnell in jenes kleine arabische CafH hinein, in welchem beturbante Männer auS winzigen Täßchen ihren Mocca schlürfen, den Tschibuk rauchen und in ihrer behäbig nachdenklichen Weise Domino spielen, auch der Eine dem An deren wohl auS einer arabischen Zeitung vorliest, und ein Dritter, unbekümmert um seine Umgebung, seine Gebete verrichtet, sich immer wieder in der Richtung nach Mekka hin verneigend und mit dem Kopf den Erdboden berührend. In stetem Wechsel ziehen die Verkäufer vorüber, Wasser, Limonade, Melonen, allerhand andere Früchte, Gemüse, Süßigkeiten, Fletsch — all' da» wird in eintöniger Weise auSgerufen, und verschleierte Frauen stellen sich ein und erhandeln die n'öthigen Dinge für den Haushalt, während die emsigen Kaufleute und Handwerker sich aus einer nahen Garküche Ihr kärgliche» Mahl holen. Im Bazar wird ja nicht nur gehandelt, sondern auch gearbeitet, recht fleißig sogar, die verschiedenen Gewerbe sind in besonderen Vierteln unterge- bracht, hier Gold- und Kupferschmiede, dort Lederzubereiter, da Weber, neben ihnen Seidenwirker, in diesen Gaffen Schneider, in jenen Schuhmacher, dann in anderen Klempner, Drech»ler, Uhr macher, und emsig, mit Zuhilfenahme oft sehr veralteter In strumente, rühren sich die Hände, von Sonnenauf« bi» Unter gang, und es mag nicht diel des Lohnes sein, welchen der Einzelne verdient hat, wenn er Abends matt und müde nach Haufe wandelt, hin zu jenen Quartieren, die einen so großen Gegensatz zu dem Kairo der Fremden, zu dem glänzenden und vornehmen Kairo bilden! Oede und verlassen erscheinen uns jene Stadttheile am Lage, die engen Straßen dumpf und schmudelig, di« Plätze ohne einen Halm oder Strauch und im ihrem Sand sich Esel umherwühlend; zahllose Häuser und Hütten, die dereinst durch Erdbeben oder Feuer zerstört wurden, sind nie wieder aufgebaut worden, in ihren Ruinen nisten Krähen und Sperber, ungehindert fällt überall der Blick in die Wohnstätten, die nach unserer Meinung unglaublich dürftig sind, und deren Bewohner sich doch so wohl in ihnen zu fühlen scheint, denn nirgends tritt irgendwelche Unzufriedenheit oder gar Gehässigkeit gegen die bevorzugten Ständ« zu Tage. Inmitten der Armuth plötzlich das stattliche Haus eine» Neichen, das Portal von ebenholzschwarzen Sudan-Negern bewacht, hinter dem Thorweg und dem sich anschließenden kleinen Hofe rin schöner Garten mit Palmen und Bananen, mit Lorbeer- und Oleander Bäumen, zum Lustwandeln der Damen bestimmt, oder eine Moschee mit hochragendem Minarrh oder eine Schule, die kleinen braunen und schwarzen Zöglinge mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen auf den Strohmatten hockend und dem Lehrer die Koran verse nachplärrend, sich rhythmisch hin und her bewegend und dabei Muße findend, neugierig zu uns hinauSzuschielen und ihre Mätz chen zu machen. Auch hier in den Straßen kleinere Züge von Kameelen, die hoch mit Maaren bepackt sind, büffelbespannte schwere Lastwagen, von Eseln gezogene leichtere Karren, auf denen dunkelverschleierte Frauen sitzen mit großen, schmelzenden Augen; hter über eine Gaffe an Schnüren roth« Fahnen und Wimpel, mit goldenen Sternen und Halbmonden besetzt, gespannt, «in Hochzeittfrst an deutend, und dort un» Fahnen entgegenwallend, rin Leichenzug ist'» und auf einer hohen Bahre wird der mit Teppichen bedeckte Tobte getragen. Bettler, vielfach mit verstümmelten Glied maßen, auf Schritt und Tritt, und ebenso zahlreich Blinde, die sich inmitten des Menschentrubels mit ihrem Stock entlang tasten und denen Jeder respektvoll ausweicht oder ihnen auch behilflich ist beim Ueberschrriten der Fahrwege. Hat man genug des Orients, so kann man mittel» eines schnellen Eselritt» rasch den Occideni wieder gewinnen. Be haglich sitzt es sich bei einem kühlend«» Getränke vor einem der
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