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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970619019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-19
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M Dir Morgra-Aasgabr »rschrlnt um Uhr. dir Abrnd-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. Filialen: Otto Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), Universität-straßr 3 (Paultnum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14. pari, und Königsplatz 7. Ur-action und Erve-Mo«: Johannes,afi« 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Bezugs-Preis ha dor Hauptexpedition odrr den im Gtadt. hetztrk und den Vororten errichteten Ao», gaoestrllra abgeholt: vt«rt»ljtlhrltch^4.S<^ bei »»eimaligrr täglicher Zustellung in» Lau» ^tz bchO. Durch di» Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^ti . Directe tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich 7.LO. Morgen-Ausgabe. MpMer TagMalt Anzeiger. Ämtsktatt des Königkichen Land- und Änrtsgenchles Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Stadl Leipzig. Tonnabend den 19. Juni 1897. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter demRedactionSstrich t-ga» spalten) bO^, vor den Fau.ili»nnachricht»» (L gespalten) 40^. Größere Tchriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz »ach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gesalzt), nar mit d«, ZNvrgea-Ausgabe, ohne Postbefördernng ^l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmelchluk für Anzeigen: Abend'AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expellition zu richten. o—c».— Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Das Jubiläum -er Königin Victoria. Mit berechtigtem Hochgefühl schicken sich die Engländer in allen fünf Welttheilen an, das 60jährige Regierungsjubiläum ihrer Königin zu feiern. Hat schon die Halbjahrhundertseier im Jahre 1887 die Loyalität und Begeisterungssähigkeil des britischen Volkes zu großartigen Kundgebungen anqefeuert, zu denen auch daS Ausland seine Vertreter sandte, so erneuern sich jetzt diese Kundgebungen in gesteigertem Matze. In der Tbat sind die letzten 60 Jahre ein außerordentlich glücklicher Abschnitt der britischen Geschichte, im Innern und nach außen, im Krieg und im Frieden; Erfolge und Fortschritte aus allen Ge bieten. Dies gilt vor Allem von der gesummten Entwicklung des wirthschaftlichen Lebens, das ja überall in unserem Zeit alter einen ungeheuren Aufschwung genommen hat, der sich aber Wohl nirgends in solchen Riesenziffern aussprechen wird, als im Vereinigten Königreich. In Handel und Gewerben aller Art steht das mit seinen Flotten die Meere beherrschende und über einen unerschöpflichen Vor rath von Koblen verfügende England noch immer an der Spitze der Nationen, in der Entwickelung deS Eisenbahn wesen- ist es blos von den Vereinigten Staaten Amerikas übertroffen. Um einen Begriff von de» socialen Fortschritten während der Regierungszeit der Königin, der Victoria» cra, zu geben, hat unlängst der Sckatzkanzler Hicks-Beach im Unter haus einige Ziffern mitgetheilt, die an und für sich die beredtste Sprache reden. Im Lauf dieser 60 Jahre bat sich das Staats einkommen von 52>/z auf 1l2 Mill. Psd. Sterl., der Handel mit dem Auslande von 125 auf 738 Millionen erböbr. Die Einlagen in Sparkassen sind von 18^ ans 115 Millionen Psd. Sterl., die Zabl der Spareinleger von 590 000 auf 8 396 000 gestiegen. Die wirthschastliche Lage der arbeitenden Classen hat sich in dieser Zeit unvergleichlich gebessert, der PauperiSmuS vermindert, die Zahl ter Verbrecher ist zurück gegangen. „Ich darf sagen", so schloß der Minister, „unser Volk ist heute besser regiert, besser geschützt, besser unter richtet, als jemals früher. Die Löhne sind höher, die Häuser gesunder, Nahrung und Kleider billiger geworden. Es giebt in der ganzen englischen Geschichte keine Periode, in der in einem gleichen Zeitraum gleich große und woblthätige Fort schritte gemacht worden sind, und ich bin sicher, keine Periode kann eine segensreichere Regierung anfweisen." Dock daS sind Fortschritte, wie sie mehr oder weniger bei allen gesitteten Völkern in diesem Zeitraum wabrzuiiehmen und festzustellen sind. Was aber dem England der gegen wärtigen Aera sein besonderes Gepräge giebt und waS dieser Aera in den Augen der Engländer selbst den höchsten Glanz verleiht, daS ist, so führt der „Schw. Merc." aus, der un geheure Machtzuwachs, den das Reich in diesem Zeitraum nach außen erfahren hat. Während der Regierung der Königin Victoria ist der englische Ianustempcl kaum jemals geschlossen worden. Diese Regierung ist eine fast ununter brochene Kette von Kriegen, größeren und kleineren, in allen Welttbeilen, von Kriegen, die nicht zur Selbstvertheivigung nötbig waren, sondern die den Zweck batten, den Einfluß deS Reiches außerhalb der Grenzen aufrecht zu halten, sein Handelsgebiet zu erweitern, gvld- und diamanlenreiche Länder zu erwerben, die Grenzen des Reiches immer weiter hinaus- zurücken. Diese Kette von glänzenden Eroberungen ist cs vor Allem, die beim Rückblick auf die letzten 60 Jahre daS Herz aller patriotischen Engländer höher schlagen macht. Voll von diesem Hochgefühl ist z. B. die Jubiläums betrachtung, die Richard Temple für die mehrsprachige Zeit schrift Cosmopolis geschrieben bat. Nicht blos in der englischen Geschichte, sondern in der Geschichte d.ller Völker und Zeiten ist eine so stetige, weltweite Ausdehnung der Herrschaft während eines 60jährigen Zeitraums unerhört. Mehr al- 3'/, Millionen Quadratmeilen und mehr als 150 Millionen Bewohner bat diese Regierung dem britischen Reiche hinzu gefügt. Australien, Canada, Indien, ein Theil Südafrikas gehörten schon vor dem Jahre 1837 zu Großbritannien, aber diese Colonien waren noch unentwickelt, wenig bevölkert. Sie galten als Anhängsel, und nicht bloS radikale Politiker, wie John Brigbt, waren der Ansicht, daß diese Colonien bestimmt seien, sich eine- Tages vom Mutterlande abzutrennen. Erst der Aera Victoria gehört der „Imperialismus" an, der Gedanke eines weltumspannenden Reichs aller Raffen und aller RelizionSformen, waS seinen Ausdruck in der Annahme des Titels Kaiserin von Indien im Jahre 1877 gefunden bat und nun bei dem großen Festzug am 22. d. M. seinen malerischen Ausdruck sinken wird in der Anwesenheit von Ver tretern der britischen Kriegsvölker ans allen Himmelsstrichen: aus Canada und vom Cap, auS Ost- und aus Westindien, von Cypern, Borneo, Sierra Leone, Rhodesia und Australien. Man hat das Zeitalter der Königin Victoria dem Zeit alter des Sonnenkönigs Ludwig XIV. verglichen. Aber der Vergleich will nicht recht passen. Die Unternehmungen der Engländer in den letzten 60 Jahren sind weit an dauernder vom Glück begünstigt, mit weit greifbareren Er folgen gekrönt, und was die Hauptsache ist, weit Größeres isl mit weil geringeren Opfern gewonnen wo,den. Das Mutter land hat diese beständigen Kriegszüge kaum gespürt, Dank seiner beneidenswerihen insularen Lage, seiner unbe strittenen Herrschaft zur See, seinem unerschöpflichen N:ick- thum, und bei HeereSverhältniffen, wie sie eben nur bei der Jnsellage des nirgends bedrohten Mutterlandes möglich sind. Ein glänzendes Bild birgt auch tiefe Schalten. Der Jamesoneinfall und was damit zusammenhängt, bat eii, grelles Licht auf die Mittel geworfen, mit denen daS uner sättliche Weltreich seine immer größere Ausdehnung betreibt — der Flecken ist nicht wegmwaschen, und erst vor wenigen Tagen hat der unerwünschte Ueberfall an der afghanischen Grenze daran erinnert, daß, was mit den Waffen gewonnen ist, immer wieder mit den Waffen vcrtbeidigt und fest gehalten werden muß. Gegen Deutschland hat die eng lische Politik in den letzten Jahrzehnten eine Haltung angenommen, die zu schärfster Zurückweisung nötbigte, und eS darf nicht unausgesprochen bleiben, daß auch Königin Victoria den Einfluß, den sie auf die äußere Politik Englands immer noch besitzt, ost zu Ungunsten Deutschland benutzt bat. Beweis dafür sind u. A. die bitteren Briefe des gewiß gerechten und milden Kaisers Wilbelm I. an Bismarck über die „Husen". WaS die innere Politik Eng lands betrifft, so ist die irische Wunde nicht geschlossen, und daß auch das glänzende Wirthschaftsbild seine Schattenseiten bat, braucht nicht erst gesagt zu werken. Daß in jeder Blüthe der Keim deS Verfalles liegt, ist ein geschichtliches Gesetz. Doch an Festtagen hat man ein Recht, die Lichtseiten her vorzukehren, und in vollem Licht stebt heute die Gestalt der Fürstin, die den Mittelpunkt dieser seltenen Feier bildet. In der Verehrung für ihre Person begegnen sich beute alle patrio tischen Engländer, und auch darin ist Alles einig, daß ihre Persönlichkeit es war, die im englischen Volk die mon archischen Gefühle wieder neu belebte. Nach ihren schlimmen Vorgängern war cs zuerst wieder die zum Throne steigende 18 jährige Unschuld und Anmutb, die den Glauben an die Monarchie wackrief, und durch ihre musterbaste Ehe mit dem Prinzen Albert, durch ihre bäu-lichcn Tugenden hat die Königin nicht weniger als durch ihren Tact in den RegierungSgeschäflen sich eine Beliebtheit er worben, die ihr von dem Tage an, da sie als blühendes Mädchen mit rem Diamantreife geschmückt zum ersten Male vor das Parlament trat, bis in die Tage des GreisenalterS treu geblieben ist. Stets war sie, schreibt der „Schw.Merc"im Einklang mit den patriotischen Empfindungen ihresVolkes, sie ver- l stand es, die Würde der Krone zu wahren, indem sie jeder Ein mischung in Streitigkeiten derPolitik oder der Religion streng sich enthielt; man rübmt ihr nach, daß sie das Muster einer konstitutionellen Fürstin sei. Ja sie ist der erste britische Souverain, der diesen Cbarakter in voller Strenge durchführt. Denn bis zum Jahre 1837 war der persönliche Wille LeS Monarchen immer noch, wenn auch unbestimmt und mittelbar, ein Factor im politischen Leben England». Mit dem Tode Wilbelm'S IV. erst verschwand jede Spur eines persönlichen Regiments. Seitdem ist der Mann, der daS Vertrauen deS Parlaments besitzt, von selbst auch der erste Rathgeber der Krone. Die Mehrheit des Parlaments bat die politische Gewalt in den Händen, daS ist jetzt ein unver brüchlicher Grundsatz, an dem die zarten Hände von Ucr xraeious Lla 68tzc niemals zu rütteln versuchten. Ob diese passive Rolle der Krone dazu dient, dem Königthum Schutz und Garantie für die Zukunft zu sein, oder ob damit, einem berühmten Worte zufolge, die „friedliche Ablösung der Monarchie" eingeleitel wird, das mutz die Zukunft lehren. Deutsches Reich. K Berlin, 18. Juni. Nach dem Proceß Tausch ist in der Prcsse vielfach auf die Existenz zweier ganz ver schied e u er Ka tego ri en von Zeit ungen, der sensations lüsternen und der ihrer Verantwortlichkeit sich bewußten, hin- glwiesen worden. Der Unterschied bestehl Goll sei Dank wirklich, aber leider kommt es vor, daß ein Blatt durch die Ausnahme von politischen Pikanterien seinem soliden Cbaratter unircu wird. Es geschieht dies wobt zumeist aus Connivenz gegen Correspontenlen und nameullich gegen sachkundige oder für besonders „vornehm" gehaltene „gelegentliche" Correspondcnten, die ofl die politische Trag weite ihrer Mitiheilungen oder Darlegungen nicht zu ermessen wissen, ofl auch sich nickt um sie kümmern. Diese Rücksicht auf die Erhaltung „guter Beziehungen" entschuldigt jedoch die Redaclioncn nickt, wenn sie die Hand zum Stiften von Verwirrung bieten. Eben hat em norddeutsches Blatt die ganze flottenfeindliche Presse in Helles Entzücken versetzt, indem es daS Programm des Staatesecretairs Tirpitz als ein im Gegensätze zu dem des zurücktretenken Herrn Hollmann befiudlickcs bezeichnete. Habe dieser das Hauptgewicht aus die Vermehrung ter Kreuzer gelegt, so werde jener daS Princip einer Panzerschlachtflonc vertreten. Natürlich hätte Herrn Lieber, Verjüngst zweiKrcuzer lediglich deshalb verweigerte, um das Reich seine Macht fühlen zu lassen, und desgleichen Herrn Richter nichtsAngcnehmeres geboten werden können, als dieGelegenheit zu verzeichnen, daß in einem nationalliberalen Blatte „diesem Reichstag nachgerühnit werde, er habe ganz im Sinne deS Conlre- Admirals Tirpitz und seines Programmes gehandelt, als er die Panzerschiffe bewilligte, die Kreuzer aber ablebnte." So schreibt die „Germania" und fährt dann fort: „Wie mag nun wohl den Marine-Enthusiasten zu Muthe sein, die sich so kräflig für die Kreuzer ins Zeug gelegt haben? Nun müssen sie doch wieder die Segel ummerfen und für Panzer schwärmen." Diese Auslastung übernehmen Hunderte von Zeitungen, natürlich nicht, um für die künftige Bewilligung von Panzer schiffen, sondern für die fernere Ablehnung von Kreuzern Stimmung zu machen. Die grobe politilche Tacilosigkeil, die eine Rechtfertigung der ReickstagSmehrheit construiren läßt, wird den Flottenfreunren noch ofl unangenehm aufstotzen. Ihr Urbeber, der jetzt sieht, was er angerichiet, sucht ein zulenken, und versichert, nie bezweifelt zu haben, daß auch Herr Tirpitz die Zahl unserer Kreuzer nickt für ausreichend hält. Dann hätte er aber die schädliche Lücke in seiner Aus führung gar nicht entstehen lassen dürfen, wenn er es schon nicht über sich gewinnen konnte, mit seinem Wissen oder Halbwissen in diesem Augenblicke überhaupt hinter dem Berge zu halten. * Berlin, 18. Juni. Herr Pfarrer Naumann fühlt das Dedürfniß, seine auf dem evangelisch-socialen Congreß über das Gebot „Tu sollst nicht stehlen" gethane Aeußerung zu erläutern; er schreibt zu diesem Zwecke in der „Zeit": „In der religiösen Belehrung nimmt das alttestamentliche Wort: „Du tollst nicht stehlen!" einen breiten Raum ein, einen breiteren, als die Eigenihumsvorschriften der Bergpredigt. In jeder Weise lmrd mit HmweiS aui das Gebot Gottes das vorhandene Eigen- thumßrrcht zur GewlsjenSpflicht gemacht. Nun aber wird im Lause der Jahrhunderte die Eigenthumsgejetzgebung immer umfassender und in ihrer Gejawmtnnrkung drückender. Das Eigenthumsrecht dient an zahlreichen Stellen dazu, die Vortheile der begünsligteren Elasten ihnen zu sichern und das Loos des Armen zu erschweren. Kann nun die christliche Kirche ihren ganzen moralischen Einfluß für dities Eigenthumsrecht einjepen? Sie muß ihn e>nsetzcn für die Conlinuität des Rechtes, das heißt für strenge und gewissenhafte Erfüllung der Vorschriften, die einmal Rechtskraft erlangt haben. Aber indem sie das Recht schützen Hilst, muß sie sich auch Garantien zu schaffen suchen, daß das von thr mit getragene Recht nicht rin Recht der Unteidrückung ist. Enliprechend ihrem ursprünglichen volks freundlichen Eharakter muß die Kirche sprechen: ich gebe dem staat lichen Rechte meine moralische Beihilfe nur unter der Voraussetzung, daß eine Uebervortheiluug der Schwachen verhindert wird. Die Kirche muß und will weiterhin in aller Schärfe lehren: „Du sollst nicht stehlen I", aber sie muß dann auch ihrerseits verlangen, daß keine einseitige Clasjengesetzgebung der Bevorrechteten vorliegt. Gerade weil sie die Strenge der Rechtsausfassung vertritt, muß sie die Gerechtigkeit der Gesetze an sich fordern. Das etwa ist der Gc- dankengang der angefochtenen Stelle." Herr Naumann hat durch diese Erläuterung nur be stätigt, wie notbwendig und berechtigt die Zurückweisung seiner Aeußerungen war. Die „Eigenthumsgesetzgcbung" soll im Laufe der Jahrhunderte „immer umfassender und in ihrer Gcsammtwirkung drückender" geworden sein! Ist sie heute drückender, als zu der Zeit, da Menschen als Sclaveu Eigentbum waren, oder als zur Zeit der seudalen Eigen- thiiiiieorrnung, oder als zur Zeit der Gebundenheit eines großen Tbeils der ländlichen Bevölkerung an die Scholls? Man kann nickt leickt eine haltlosere geschichtliche Be hauptung ausstellen, als die deS Herrn Naumann. Und von dieser Geschichtsauffassung aus nimmt er für die „Kirche" das Recht in Au'pruck, die Voraussetzungen zu be stimmen, unter denen sie „dem staatlichen Reckte ihre mora lische Beihilfe geben", d. h. auch fernerhin lehren will, daß man nickt stehlen darf. Wer ist denn die „Kirche", welche so als höhere Instanz über die staatliche Gesetzgebung gestellt wird? Eine äußerlich gar nicht existirende, mindestens keine gemeinsamen Organe besitzende christliche Kirche? Oder im KatboliciSmuS ter Papst und im ProtestanliSmuS jede der verschiedenen Richtungen desselben? Oder gar jeder einzelne Theologe im und außer Amt? Die „angefochtene Stelle" kann als klassisches Beispiel jener Verbindung von volks- wirthschasliichcr Verworrenheit und geistlicher Ueberhebung gelten, welche die Tbäligkeit der Herren Naumann und Genossen kennzeichnet. (Nal.-Ztg.) V Berlin, 18. Juni. (Telegramm.) Prinz Albrecht von Preußen, Regent von Braunschweig, reist beute Abend zur Tbeilnahme an den Jubiläums-Feierlichkeiten nach London ab. (-) Berlin, 18. Juni. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" veröffentlicht daS ttesetz über bas AuSwandernngS- wefen, datirt vom 9. Juni 1897. (-) Berlin, 18. Juni. (Telegramm.) Wie der „Neicksanz." meldet, hat der Kaiser die von dem Präsidenten des ReichsversicherungS-Amles, I)r. Büvikcr, nachgesuchte Entlassung unter Bezeigung besonderer Zufriedenheit mit der Amtsführung des Zurücktretenken unter Verleihung des Wilhelms-Ordens genehmigt. 0. Berlin, 18. Juni. (Privattelegramm.) Die „Nordd. Allgem. Ztg." erklärt, die Meldungen ver schiedener Blätter betreffs angeblich gefaßter Entschließungen über Brränbcrungkn in den höchsten Stellen des Reichs- nnb Staatsdienstes beruhten lediglich auf C o m b i n a t ion e n. Derartige Entscheidungen seien bisher nicht erfolgt. Das Letztere nimmt auch die „Nat.-Ztg." an; sie glaubt aber, daß die Entscheidung vor deni für Anfang Juli in Aussicht genommenen An tritt der NordlandSreise des Kaisers erfolgen werde. „Sollte", so fährt die „Nat.-Ztg." fort, „sich bestätigen, daß, wie uns heute auS parlamentarischen Kreisen mitgetheilt wird, Herr v. Miquel die Rückkehr nach Wiesbaden aufgegeben bat, so würde dies wohl die Nichtigkeit unserer Annahme bestätigen. Fest steht daS AuS sch eiben des Herrn v. Bo etl icher, der zunächst in den Ruhestand treten, später aber ein Oberpräsieium übernehmen dürfte; daß eS nicht daS jetzt vacanie von SckleSwig- Holstein sein wird, liegt auf der Hand, da zu dem Bereich desselben Friedricbsrub gehört. Fest stebt ferner, daß Herr v. Miquel Vicepräslbent des preußischen Staats ministeriums wird. Die Verzögerung in dem Abschluß der Krisis erklärt sich offenbar durch die Schwierigkeiten, welche der Ucbernabme auch der Stellvertretung des Reichskanzlers durch Herrn v. Miquel entacgensteben und auf die es zurückzuführeu ist, daß andererseits die Ernennung des jetzigen Schaysecrelairs Grasen Posadowsky zum Staats- secretair des Innern, der in diesem Falle so, wie Herr von Boetticher bisher, Stellvertreter des Reichskanzlers werden würde, in Frage ist. UnS scheint indeß, daß die Waage sich zu Gunsten der Uebernahme auch der Stell vertretung des Reichskanzlers durch Herrn von Miquel, Im Mardzimmer. ' Bon Josef Ettlinger (Berlin). Nachdruck verboten. Nach dem gemeinsamen Frühstück hatte die Gesellschaft sich zerstreut. Die älteren Herrschaften ließen sich auf der vorderen Veranda zum Plaudern nieder; das junge Volk schwärmte in den parkartigen Garten zum Tennis- und Polospiel aus. Nur Maud Rambell und Doctor Herbert Stieler waren im Billardzimmer zurückgeblieben. „Wenn Sie wirklich morgen abreisen wollen, Herr Doctor", batte Maud vorher bei Tische zu ihm berüber- gerufen, „dann müssen Sie mir unbedingt erst noch Revanche geben ... Denk Dir an, Lisabeth, Dein ungalanter Cousin hat mir in den zwei Wochen, seit er hier ist, kaltläckelnd eine Partie Billard nach der anderen abgenommen, — mir, der besten Spielerin von ganz Detroit! Mein Renommse steht auf dem Spiel, wenn daS drüben ruchbar wird!" — Und nun standen sie neben einander in dem dämmrig- küblen Raum, der nichts weiter enthielt, als da» große Billard und rin paar BambuSstühle, und suchten sich jede- ein paffende» Queue au» dem reichlich vorhandenen Borrath aus. „Miß Rambell", sagte Herbert halblaut, aber seinem Tone war die verhaltene Erregung anzumerken, „ich danke Ihnen herzlich, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, Sie noch ein Mal allein zu sprechen. Wa» ich Ihnen zu sagen babe " „Wieviel geben Sie mir vor?' fragte da» junge Mädchen und rieb die Lederkappe ihres Stockes eifrig mit der knirschenden Kreide ein. „So viel Sie wollen! WaS liegt mir überhaupt heute an dem ganzen. . ." „Also, sagen wir zehn auf dreißig, nicht wahr? Dann dauert daS Spiel auch nicht so lange." „Oh, es kauert schon lange genug, — seit vollen zwei Wochen", erwiderte Herbert etwas bitter, „da- Spiel meine ich, da» Sie mit mir, wie mit Ihren anderen Verehrern hier im Hause treiben . . ." „Dreizehn hab' ich schon. Nun sind Sie dran, Herr Doctor". > Herbert stieß loS, aber sein Queue glitt an der Kugel ab; er halte vergessen, eS anrukreidrn. „In allem Ernst, Miß Maud, — ich muß endlich wissen, wa» ick zu hoffen Habel Morgen sind meine Pfingstferien zu Ende, am Montag schon muß ich wieder Colleg lesen, und wenn mich dann der Weg das nächste Mal hierher auf das Gut meines Onkels führt, dann sind Sie schon längst wieder drüben überm großen Wasser und denken . . ." „Fünfzehn, sechzehn," markirte seine Partnerin. „Nicht doch, — dort der weiße ist Ihr Ball." „. . . . Und denken gar nicht mehr daran, wie viel Ver heerungen Sie hier angerichtet haben. — Sie wissen genau, wie eS um mich steht, seit ich Sie hier kennen gelernt habe, — Sie wissen, daß ich . . ." „Illeass, nehmen Sie die Hand dort von der Bande, ja? Ich kann sonst nicht gut deikommen." „.... daß ich vollkommen unabbängig und Herr meiner Existenz bin", fuhr Herbert mit steigender Lebhaftigkeit fort und folgte ibr dabei um den kalben Tisch herum; „und Sie werden mir sicher nicht zutrauen ..." „Oh, nun hab' ich Sie gestoßen! Aber da» war Ihre Schuld allein, Herr Doctor, Sie gingen etwas zu weit vor. Zwanzig zu sechs — zu sieben jetzt! War das Alles?" fragte sie dann, als er schon den nächsten Ball wieder aus Unacht samkeit verfehlte. „Nein, noch lange nicht Alles, waS ich auf dem Herzen habe. Aber die Zeit drängt, Miß Maud, und Sie haben —" „Einundzwanzig jetzt", zäblte das junge Mädchen und ging ihrem Ball anS andere Ende des Tisches nach. „Passen Lie auf, den will ich mit Vorbande machen." „Sie haben doch gewiß nicht erwartet, daß ich abreisen würde, ohne Ihnen wenigstens zu sagen, wie stark meine..." „Ob web! viel zu stark!" rief Miß Rambell, von deren letztem Stoß die Kugel au» dem Billard herauSgeflogen und ins Zimmer gerollt war. Herbert fing den Flüchtling ein und machte dann selbst den nächsten Ball. „Ich glaubte ja zuerst einen Rivalen aus dem Felde schlagen zu müssen", fuhr er aufgeregt und durch die neue Unterbrechung aus dem Text gebracht fort, „so lange der Baron au» Königsberg, diese- mit Äiondbeit geschlagene Patentgigerl, hier seine täglichen Besuche machte..." „DaS war rin richtiger Nachläufer", bemerkte Maud und folgte dem langsamen Auslaufen ihres Balle» mit prüfenden Blicken. „Natürlich war daS nur eine ganz tbörichte Einbildung, und ich schäme mich jetzt ehrlich, daß ich Ibre Klugheit und Menschenkenmniß auch nur einen Augenblick derart habe unterschätzen können. Aber was wollen Sie? Wenn der Mensch erst einmal so grenzenlos verliebt ist . . ." „Jetzt wird eS gefährlich", unterbrach ihn Maud, wäbrend sie den biegsamen Oberkörper weit über die grüne Tafel reckte, um ihren Ball zu erreichen; „eS fehlen mir nur noch zwei!" „Und mir fehlt nur Eine," fuhr der junge Mann immer dringender werdend fort. „Nur Sie sind e», Maud, dir mir fehlt, um mich so reckt unmenschlich, unwahrscheinlich, unausdenkbar glücklich zu machen . . ." „Nun noch der Indirekte!" rief daS junge Mädchen auS und streifte rasch das Armband höher herauf, daS ihr über daS Handgelenk gefallen war. „Maud, ich bitte Sie um Alles", bat Herbert nun fast gekränkt, „lassen Sie jetzt endlich daS Spiel Spiel sein und sagen Sie mir offen und ehrlich inS Gesicht: Wollen Sie mich zum Mann haben, — ja oder nein?!" „Gewonnen!" rief Maud Rambell übermütbig laut auS, warf ibr Queue über den Tisch und schlang im nächsten Moment beide Arme um den Hals des jungen Mannes, der nicht wußte, ob er träumte, oder ob es wirklich ihre Lippen waren, die seinen Mund so fest und heiß verschlossen. „Du großes, großes Baby" , sagte daS junge Mädchen zärtlich und ihre großen grauen Augen blitzten ausgelassen zu ibm auf. „Erst mußte ich Dich doch einmal auf die Probe stellen, ehe ich an Deine Liebe glauben konnte I — Denn, weißt Du — eS hatte mich zu sehr geärgert, daß Du bisher all die Zeit immer gewonnen hattest, trotzdem ich mit Dir spielte! . . . Und ich dachte mir, wenn Du bei jedem tsto-ä-tvto mit mir so ruhig bleiben kannst, wie bei unseren Billardpartien, so — so kann eS am End« mit Deiner großen Leidenschaft nicht so weit her sein . . . Und deöbalb — siebst Du — wollte ich beute so eine Art Orakel abhalten, weil eS doch unser letzte- Spiel sein sollte . . . und — und wenn Du heute nicht so klug gewesen wärest, zu verlieren, dann — dann —" „Hätte ich Dich verloren!" ergänzte Herbert, der gleich dem ,Reiter über'» Bodensee' jetzt erst eiusab, in welcher Gefahr er geschwebt hatte, und riß die schlanke Gestalt stürmisch an sich, um ihr Mund und Stirn und Haar mit unzähligen Küffeu zu bet ecken.
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