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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980104010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898010401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898010401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-04
- Monat1898-01
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Größer» Schriften laut unserem Preiö- verzeichnih. Tabellarischer und Ziffer "satz nach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgab«, ohne Postbrsörderung ^l SO —, mtl Postbrsörderung ^tl 70.—. Iinnahmeschluß für Avzeige«: Abrnd-Au»gabr: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeigen sind stet» au di« Hrtzeditton zu richte». Druck oud Verlag von E. Pelz in Leipzig. .1° 4. Dienstag dm 4. Januar 1898. 92. Jahrgang. Lein Bestechen und keine Bestochenen. 6. Pari», l. Januar. Ein auSverkaufteS Hau» und nicht endenwolleuder Jubel unter den Zuschauern. Die Freigesprochenen wissen nicht, ob sie vor Freude lachen oder weinen sollen, sie haben ihre Jugend und ihren LebenSmuth wiedergewonnen. Tausend Hände strecken sich nach ihnen au», die seit Langem vorsichtig in der Tasche geblieben waren oder sich scheu vor der Berührung mit den ihrigen zurückgezogen batten. Frauen stürzen sich weinend in die Arme, ergraute Männer ziehen heimlich ihr Taschentuch hervor. Auch di« Ge schworenen scheinen sich aufrichtig zu freuen und stolz auf ihren Spruch zu sein. In dem Stuhle de» Staatsanwaltes aber sitzt „etwas Kraftlose», Klägliche», Bemitleiden»- werthe», WelkcS in einem rothen Talar. Noch eben war e» ein Mann mit breiten Schultern und stolzer Miene, ein Meister der verführerischen Worte und de» einschmeichelnden Lächeln», sicher seiner selbst und sicher seiner Jury Jetzt ist er bleich, mehr als bleich: kreide weiß. Er hat keine Stimme, kein Lächeln mehr, und osten tativ kehrt er diesen Geschworenen, die ihn verratben haben, den Rücken zu . . . ." So ungefähr lauten die Berichte der Pariser Zeitungen über die Schlußsitzung deS Panama- ProcefseS. Schade, daß man diesem rührenden Schauspiele nicht beiwohnen konnte I Aber im Ernste gesprochen: So sehr dieser Proceß einer Komövie oder sogar einer Posse glich, so bat sein AuSgang doch eine weittragende Bedeutung. Die sieben Herren, um die e» sich bandelte, können unSziemlick gleichgiltigsein. Ihre Freisprechung beweist auch nicht ihre Unschuld. Aber sie beweist, auf wie kläglichem Untergründe der ganze Panamascandal, soweit er das Parlament betraf, sich aufbaute. Seit acht Jahren ist vaS französische Parlament der Spott ganz Europa». Eine Zeit lang sind die Ministerien wie die Kartenhäuser wegen dieser Sache zusammengestürzt. Seit acht Jahren denuncirt, schmäht, verleumdet man sich. Keine hohe Persönlichkeit wird aus dem Spiele gelassen, kein Senator und kein Deputirter ist vor Verdächtigungen sicher, keinen Tobten läßt man ruhig in seinem Grabe. Und das Alles, weil man weiß oder viel- mebr weil mau gewisse Anzeichen dafür hat, daß der Agent der Panama-Gesellschaft Arton . . . geheimnißvolle Oeffnungen in seinen mit Gold gefüllten Taschen gehabt bat. In den Wandelgängen der Kammer beginnt man sich zunächst ein paar Namen zuzuflüstern, und daraus entsteht dieser Riesenklatsch, der seines Gleichen in der Geschichte sucht. Zuerst sollen eS 104 Parlamentarier sein, die Geld empfangen haben. Aber welche! Ein vorlautes Blatt, das vor dem Bankerott stebt, veröffentlicht — eS ist jetzt gerade zwei Jahre her — ihre Namen, seiue Redacteure werden wegen Verleumdung zu Gefänzniß verurtheilt. „Ja, wenn Arton sprechen wollte!" Und Arton wird endlich von England auSgelieferl und läßt sich nach langem Zureden auch herbei, zu sprechen. Aber da sind es auf einmal nicht mehr 104 Parlamentarier, die angeschulbigt werden, auch nicht fünfzig, auch nicht zwanzig, sondern ganze sieben, und von diesen sitzt die größere Hälfte über haupt nicht mehr in der Kammer. Sieden statt hundert- undvier! Und selbst diese sieden werden schließlich wegen mangelnder Beweise freigesprochen. Ein großartiges Er- gebniß, wahrhaftig! Der Sündenbock, auf dem jetzt einige Wochen lang herum getrampelt werden wird, ist der Untersuchungsrichter Le PoiNevin. Wir wollen ihn nicht in Schutz nehmen, aber e» beißt ihm wirklich zu viel Ehre aothun, ihm die gauze Schuld aufzubürden. Man muß bedenken, daß er deshalb mit der -Untersuchung betraut worden ist, um unter allen Umständen etwas herauszukriegen. ES wäre ihm noch viel, viel schlimmer Vierzig Jahre voy Karl von Holley. Der auch in Leipzig noch in freundlichster Erinnerung stehende jetzige Oberregisseur des Berliner Hoftheaters Herr Max Grube giebt bei E. Trewendt in Breslau Holtey's „Vierzig Jahre" heraus. Wir entnehmen dem uns zur Bei fügung gestellten Correcturabzug folgendes Capitel: Anfang August (im Jahre 1833) traf ich in Leipzig ein. Auch dort begann ich, wie in Hamburg, mit dem nun schon seiner Sache sicheren „Hans Jürge" und dem „alten Feldherrn, der für Leipzig, zwar gern und oft daselbst gesehen, doch in der späteren Umarbeitung neu war. Mit dieser Wahl hatte ich eS glücklich getroffen. Sie gewann mir ein günstiges Borurtheil, welches mächtig genug blieb, mir über einen sehr gefährlichen Abend, dessen wir sogleich Erwähnung thun wollen, fortzuhelfen. Man wird sich des Stückes erinnern, welches in Berlin bereits einstudirt war, und welches eben zur Aufführung gelangen sollte, als zwischen mir und Herrn Cerf der Bruch eintrat, welchem zufolge ich es dann ungespielt zurücknahm: „Der wandernde Sänger". Es war, — es war, muß ich sagen, denn es ist nicht mehr; ich habe es, nachdem es mehrfach umgearbeitet, ver kürzt, erweitert, immer nicht gut thun wollte, vernichtet' — ein wunderliches Durcheinander von Lyrik, Sentimentalität, Humor, Romantik, Sängen, Klängen, Scherzen, Klagen, Lauten schlägern und Räubern, sauber und fleißig ausgeführt, von ar tigen Einzelheiten durchweht, im inneren Kern und der eigent lichen Anlage noch erkünstelt, unnatürlich, mühsam gemacht und deshalb undramatisch, ja sogar untheatralisch. E» mißfiel denn auch in Leipzig, wo ich es mit großen Erwartungen auf die Biibne brachte, völlig, einigen Auftritten und Liedern ward Aufmerksamkeit und Beifall gespendet; als aber da» tragische Element plötzlich einsetzen wollte, schlug der Brei um, und wo die Zuschauer schaudern oder gerührt werden sollten, konnten sie nicht umhin, zu lachen. Ich lag sterbend am Boden, hörte da» Gelächter, wa» schlimmer ist al» Pfeifen, und war der sicherer. Meinung, letztere» werde nachfolgen. Der Vorhang PU. ergangen, wenn er nicht» gefunden hätte. Man braucht nur die Zeitungen wieder vorzunebmen und nachzulesen, mir welchen Liebenswürdigkeiten der Oberstaatsanwalt überschüttet wurde, der eS gewagt hatte, ein non ligust auszusprechen und wie ihm gegenüber der tapfere Ritter Le Poittevin in den Himmel gehoben wurde Le Poittevin scheint gar kein so übler Mann zu sein Aber er gehört zu jener Classe von Juristen, die ihre Paragraphen ganz genau kennen, die über eine Fülle von Scharfsinn verfügen, und denen nur Eins fehlt: ein wenig ganz gewöhnlicher Menschenverstand. Daß er, während er den schlauen Arton zu dupiren vermeint, von diesem selbst dupirt worden ist, nun, das wäre vielleicht auch manchem Anderen passirt. Nein, di« Schuldigen sind ganz wo ander- zu suchen, da ist z. B. der Justizminister Ricard, der, um das in allen Fugen krachende Schifflein des Ministeriums Bourgeois über Wasser zu halten, die beinahe eingeschlafene Sacke wieder auf» Tapet zu bringen unternahm und die ruhmvolle Thal be ging, Arton in London festnehmen zu lassen. An ihn müßte sich vor Allen der soeben freigesprochene Maret halten, der sich durch rin wüthendeS Buch wegen der erlittenen Unbilden rächen will. Aber da» wird er als gesinnungstüchtiger Ravicaler natürlich nicht thun. Die Hauptschuld aber trägt VaS ganze parlamentarische Regime, wie «S in Frankreich herrscht. Re gierung und Beamt« müssrn übrr den Parteien stehen. So lange sie selbst in einfachen Sachen deS Rechtes Gefahr laufen, gestürzt zu werden, wenn sie Maßregeln treffen, die ihren Gegnern unbequem sind, so lange ist man vor der Wieder kehr ähnlicher Scandalaffairen nicht sicher. In der Panama angelegenheit hat e» sich von vornherein nicht um vaS Aussuchen der reinen Wahrheit, nicht um die Aufklärung ge- wisfer höchst bedauerlicher Vorkommnisse gebandelt, sondern lediglich darum, den politischen Gegnern alle Schuld in die Schuhe zu schieben, dem jeweiligen Ministerium Verlegen heiten zu bereiten. Ob die Panamasache in der einen oder andern Form je mals wieder auftauchen wird, wer vermöchte das zu sagen? Aber als Schreckgespenst, al» „schwarzer Mann", der ein ganze- Volk sich fürchten machte, hat sie aufgehört zu existireu. Der Vniverfitatsunterricht und die Erfordernisse der Gegenwart. Unter dem vorstehenden Titel hat der ordentliche Professor der Geschichte au der Universität Greifswald vr. Ernst Bernheim soeben eine lesenSwerthe kleine Schrift im Ver lage von S. Calvary L Co. in Berlin erscheinen lasten. Der Verfasser gehört zu denen, welche an unserer ftudirenden Jugend und an den Ergebnissen ihre» Universitätsstudiums ernste Kritik zu üben für Pflicht halten. Unter den Universitäts lehrern, sagt er, sei „die Klafle allgemein geworden, daß e« der ftudirenden Jugend an mnerer Frische und Freudigkeit fehle: die jugendliche Lust an der allseitigen Ausbildung zum erwählten Berufe ist vielfach einem lauen und flauen Wesen gewichen, da» sich in verschiedenster Weise übel geltend macht, und die Resultate de» Unterrichts schwer beeinträchtigt": Maa hat tu verschiedener Weise daS Mindestmaß der Studien frist verlängert oder verlängern wollen — aber hierbei ist die grund wichtige Vorfrage meist außer Acht gelassen, ob die bisher gegebene Frist im Durchschnitt gehörig autgenützt worden sei und die ver längerte rntivrechend au-genützt werden wird, und diese Frage muß der Kenner de» akademischen Leben» eatschieden ver- ueiaea. Die akademische Freiheit ist eia hohe» Gut, aber sie schließt die verhäugmßvolle Freiheit eia, Zeit uod Energie maßlo» zu vergeuden, und dagegen giebt es kein Gegengewicht al» da» persönlich» Pflichtgefühl und den echten Bildung»- — Liefe» Schweigen herrschte. Nach einer kurzen Pause wurde ich und zwar recht lebhaft und vollstimmig hervorgerufen. Aus diesem Rufe, dem doch der belebende Nerv freudigen Beifalls fehlte, klang die Ansicht heraus: Der Mann hat sich geirrt, sein Stück ist nicht gerathen, aber er verdient doch nicht, daß man ihn deshalb schlecht behandle! Wir wollen ihn trösten! — Natürlich sagte ich bei meinem Erscheinen, daß die mir gewordene Nachsicht, für die ich beschämt danken müßte, mich nicht über daS Schicksal des Stücke» verblenden könnte, und entschuldigte mich damit, daß man bei einem noch nicht aufgeführten Schau spiel nie im Stande sei, zu beurtheilen, wie es sich auf der Bühne ausnehmen würde. Ich kann gar nicht beschreiben, welche Achtung mir das Be nehmen deS Leipziger Theaterpublicums durch dieses Verfahren eingeflößt. Wahrhaftig! nicht, weil es m i r geschah, sondern wirklich nur au» dem ganz allgemeinen Staudpuncte vergleichen der Betrachtung gewürdigt. Welch ein bedeutender Vorschritt in Allem, wa» öffentliches Leben, gemeinsamer Ausdruck des UrtheilS, Handhabung geistiger Gewalt heißt, muß in einer Stadt gethan sein, wo dir zufällig im Theater sich zusammen findende Menge fo übereinstimmend und ohne durch spöttische Gegenwirkung behindert zu werden, einen Act entschiedener Groß- muth auSzuführen vermag! Welch ein Grad durchgreifender und alle Staude durchdringender Bildung muß da herrschen, wo Logen, Parterre und Galerie, die jetzt eben noch den Schluß eine» traurig auSsehenden Dramas zu belachen sich geneigt finden, eine Minute nachher in der Ansicht einig werden, wir wollen den Mann, der uns schon lieb geworden ist, doch nicht kränken! und diese Ansicht augenblicklich mit herzlichem Wohlwollen kund geben! Jcy wiederhole e», nicht weil es mir galt, nein, weil Ich überzeugt bin, daß b«i ähnlich«» Fällen das Leipziger Publicum nie ander» al» verständig, wohlwollend und gerecht handeln wird, deshalb achte ich seine Stimme so hoch. Ein anderer Theaterabend ließ mich diesen Tact für öffent liche Schicklichkeit, verbunden mit besonnener und doch milder Consequenz, noch deutlicher kennen und noch mehr bewundern lernen. S» war nach der ersten Aufführung von „Lorbeer baum", die sich lebhaften, einige Male stürmischen Beifall» er freute. Ich wurde am Schluffe hervorgerufen und beging, al» ich hinauStrat, den Fehler, in meiner Sil« keinen der Mit trieb. Man kann schwerlich mit Recht sagen, es sei das äußere Liudentenleben, das sich in Corporation«! und Vereinen, in Kneipen, Conventen, Mensuren, Stiftungsfesten und dergleichen bewegt, ausgelassener, umfangreicher, zeitraubender geworden als früher; eher ist vielleicht da» Gegentheil der Fall; aber der Lildungstrieb ist schwächer geworden, das Gefühl der Verpflichtung, den inneren Menschen über dem äußeren Leben nicht zu versäumen, und darauf kommt Alle- an. Der Verfasser stellt die Frage, ob der Universität«- unterricht selbst verbesserungsbedürftig sei, und er bejaht sie. In längerer Darlegung begründet er Vor schläge, welche er am Schluß wie folgt zusammenfaßt: „Unser Universitätsuuterricht leidet daran, daß die systematisch darstellenden Vorlesungen vom Katheder herunter einen unverhältnißmäßig großen Raum im Lehrplan ein nehmen; sie beschränken bei der passiven Receptivität, die sie be dingen, die wesentliche Aufgabe des Unterrichtes, selbstthätig be obachten, denken, arbeiten zu lehren. Diese Aufgabe muß in den Vordergrund treten. Demgemäß sollen di» drei bis sechs und mehr Stunden in der Woche üblichen sogen. Privatvorlesungrn mit ge ringen Ausnahmen unterbleiben; an ihre Stelle sollen treten: 1) kurze Orienlirungsvorlesungen, ein- bis zweistündig, bei sehr großem Stoffgebiet allenfalls auch mehrstündig, in der Woche, worin ein« gedrungene Uebersickt über d-e Hauptmomente des Stoffes unter wesentlichem Hervorheben der Auffassung gegeben wird und dieHürer durch Nachweis der klassischen Haupt- werke und Handbücher angeleitet werden, sich die Detailkenntnisse selbstthätig anzutignen. — Dir jo- genanmen öffentlichen Vorlesungen decken sich zum Theil mit diesen Orientirungscollegieil und werden somit in ihrer Zahl reducirt. 2) Praktische Uebungen von den ersten Semestern an, je nach Bedarf zwei-, vier- und mehrstündig in der Woche, welche die Studenten zu allgemein wissenschaftlichem und zu fachmäßig differenzirlem Beobachten und Denken heranbilden und sie mündlich wie schriftlich zu klarer Formulirung ihrer Gedanken und zu selbst ständig productiver Tdätigkeit anleiten, zuerst durch kleine und kleinste Uebungsarbeiten (Interpretationen, Referate, Vorunter, juchungen, Präparate u. s. w.), in den späteren Semester» durch größere Vorträge, yntersuchungen, Dissertationen. Bei den Staats und Universität-Prüfungen soll die Vorlage solcher Uebungsarbeiten aus jedem der oificiell erforderlichen Semester vom ersten an mit datirter Bescheinigung des betreffenden Docenten verlangt werden; für die letzten Semester genügt beim Doktorexamen eventuell die Vorlage einer größeren Arbeit, »und zwar je noch deren Werth gemäß dem Urtbeil der be treffenden Faculiät bezw. der Fachverrretcr, zum Dispens von Uebungsarbeiten au» den letzten zwei oder drei Se mestern, bei nachfolgendem Staatsexamen kann dieselbe ent- sprechend in Anrechnung gebracht werden. Die jetzt üblichen Seminare und denen ähnlichen Einrichtungen werden also in ihrem Wesen an sich nicht verändert, nur gewinnen sie ein fester organisirtes Verhältniß zu einander und zum ganzen Unterricht, indem sie überall stufenweis für Anfänger und Vor gerücktere einzurichteu sind und mit vermehrter Stunden zahl, mit erweiterter Bedeutung in den Vordergrund des Lehrplan treten. 3) Combination systematischer Darstellung mit praktischen Uebungen, ähnlich wie es bei den Archäologen und Kunsthistorikern zum Theil, bei Naturwissenschaftlern und Medicinern längst allgemein tn den mit Demonstrationen, Uebungen, Exkursionen verbundenen Vorlesungen üblich ist, überall auch in den humanistischen Fächern, soweit irgend thuulich. Stoffe, die Lazu geeignet sind, sollen mög lichst in praktischen Uebungen allein absoivirt werden." Die Grundanschauuna deS Verfassers wird Wohl ziemlich ungelheiste Zustimmung finden. Die Prüfung seiner einzelnen Vorschläge muß den Fachmännern überlassen bleiben. Deutsches Reich. I-. Leipzig, 3. Januar. Am ll. Oclober v. JrS., kurz nach dem in Hamburg abgehalteueu Parteitage der Socialdemokrateu, wurde der verantwortliche Revacteur spielenden mitzunehmen, was ein Gast, und namentlich wenn er zugleich der Autor ist, in Beziehung auf die Darsteller der bedeutenden Rollen niemals versäumen müßte. Eben wollte ich mein „Abdankungsspriichlein" beginnen, als einige Stimmen im Hintergründe des Parterres: „Meyer!" riefen. Herr L. Meyer, uns au- diesem Buche schon als ehemaliges Mitglied des König städter Theaters bekannt, hatte den Chevalier mit gewohntem Talent gegeben. Ich, anstatt, wie es ziemlich gewesen wäre, ihn aus seiner Garderobe zu holen und vorzuführen, ließ mich in einer Anwandlung von übler Laune verleiten, dem Jnspicienten zu zurufen: „Was fällt Ihnen denn ein, mich hinauszuschicken i Es wird ja Herr Meyer verlangt!" worauf ich mich wieder in mein Kämmerlein §og. Jetzt erschien Meyer in der sicheren Vor aussetzung, ich hätte meine Dautsagungsgeschäfte längst ins Reiue gebracht, und war nicht wenig erstaunt, als ihm mein Name heftig entgegengerufen wurde! Nun räumte auch er sehr unwillig daS Feld, und nun wurde so heftig der „Verfasser" begehrt, daß mir, schon halb ausgctleidet, nichts übrig blieb, als meine Blöße mit einem Mantel zu bedecken und den vorigen Weg noch einmal anzutreten. Alles war stumm, meiner Rede harrend. Da nahm sich ein mir übelwollender Spaßvogel die Freiheit, mir in mein erstes Wort den Namen eines eben nicht beliebten Schau spielers, der gerade an diesem Abend unleidlich gespielt hatte, zuzuschreien. Hätte ich so viel Fassung gehabt, stehen zu bleiben und nur eine Secunde zu warten, so würde ich gesehen haben, wie durch Handhabung der schnellsten Justiz jener scherzhafte Gegner sehr ernsthaft zur Thür hinausgeworfrn wurde. Diese Satisfaktion aber wartete ich nicht ab, sondern ging abermals ohne geredet zu haben davon, diesmal mit dem festen Ent schluss«, an dirsem Abend nicht mehr vors Publicum zu treten. Diesem Entschluß blieb ich treu und ließ mich durch einige Boten, die mir von heftigem Tumult im Hause Kunde brachten, nicht bewegen, Folge zu leisten. Absichtlich zögerte ich nun beim Aus kleiden und Abschminken, damit unterdessen sich die letzten Reste des Publicums verlaufen möchten. Nach einem Weilchen erhielt ich Besuch in meiner Garderobe. Einer meiner Leipziger Gönner und Freunde, Herr H. B., und «in mir durch zufällige» Begegnen bekannt gewordener Student fanden sich ein, die Absicht kund gebend, daß sie mich heim begleiten würden. Zwar erschien mir dieser Vorschlag befremdend, und ich merkte wohl, daß irgend des „Hamburger CchoS", H. W. Stenzel, wegen zwiefacher Beleidigung des König- der Bel gier zu acht Monaten Gefängniß verurtheilt. Der Sachverhalt ist so bekannt), daß wir nicht darauf zurückzukommen brauchen. In der Revision des An geklagten, die beute vor dem 3 Strafsenate de» Reicks gerichts zur Verhandlung kam, wurden processuale und materielle Beschwerden erhoben. Der Vertheidiger, Rechts anwalt vr. Suse aus Hamburg, vertrat die An sicht, daß die Vollmacht des belgischen Gesandten, Barons Greindl, der den Strafantrag stellte, hätte geprüft werden müssen. Der Gesandte habe den Strafantrag gestellt „im Auftrage der Negierung". Hier sei festzustellen gewesen, wer nach der belgischen Verfassung „Regierung" ist. Die belgische Verfassung habe dem Landgericht höckst wahrscheinlich gar nicht vorgelegen. (Der Vertheidiger überreichte dem Reichs gerichte ein Exemplar der belgischen Verfassung; der Senat lehnte aber eie Annahme ab, da er schon versorgt sei.) Der Wabrheilsbeweis hätte, so fuhr der Vertheidiger fort, nickt abgelebnt werden dürfen, mindesten deshalb nicht, damit der Angeklagte seinen guten Glaube» erhärten konnte. Es habe sich ja nicht darum gehandelt, die Ehre des Belgier königs zu retten, sondern darum, ob der 8 103 vom Angeklagten verletzt war. Der gute Glaube des Angeklagten komme aber dabei wesentlich in Betracht. Der Passus des einen incriminirten Artikels, der von der „Liebenswürdigkeit" des Königs Leopold handele, sei in der Verhandlung von beiden Parteien mit Stillschweigen übergangen worden, uni nicht Dinge zur Sprache zu bringen, die den Proceß sensationell gemacht haben würden. Dann hätte aber auch das Urtheil nicht, wie geschehen, sich mit diesem Passus beschäftigen dürfen. — Der Reichs an walt erklärte die Revision für vollständig unbegründet. Der Strafantrag sei. wie sestgesteltt, von Baron Greindl im Auftrage der belgischen Negierung gestellt. Es gebe aber nicht an, den Bevollmächtigten einer Regierung mit einem Privatbevollmächligten auf eine Stufe zu stellen. Desbalb könne nicht geprüft werden, wie der Strafantrag zu Stande gekommen ist. Ein anderer Senat habe schon am 16. November v. I. in der ähnlichen Sache gegen Feld mann entschieden, daß eS gleichgiltig sei, wer die belgische Regierung sei. — Der Senat erkannte sodann auf Ver werfung der Revision. Berlin, 3. Januar. Für die Scrupellofigkeit der polnische» Agitation liegt wieder einmal ein drastischer Beleg vor. Im ReickstagSwablkreis Sckwey sand bekanntlich eine Wahlversammlung statt, um die Candidatur des früberen deutschen Vertreters Rittergutsbesitzer Holtz Parlin für die kommende Wahl aufzustellen. Wie erinnerlich, batte das Graudenzer Poleuorgan auS dieser Versammlung folgende Mmheilung gebracht: „Die Freisinnigen werden Herrn Holtz ihre Stimmen nicht geben. Diese Meinung ist auch auf der vorgenannten Wähler versammlung zum Ausdruck gebracht worden und zwar durch den Riitergut-b.siLer Steinmeyer - Grabowo. Herr Steinmcyer erklärt nämlich, ihm und vielen anderen sei es ganz gleich, ob der Vertreter des Kreises Schwetz im Reichstage am Ende seines Namens ein „ski" habe oder nicht, ob er Pole oder Deutscher sei, wenn er den Kreis nur würdig vertrete und mit Erfolg für denselben wirke, sür Herrn Hoitz-Parlin sei er jedoch nicht zu hiben. . . Aus den Ausführungen dieses braven Mannes, Lessen Namen wir zum ewigen Angedenken hier angeführt hoben, ersehen wir, daß glücklicher Weise noch nicht das ganze deutsche Volk den sriedeuslöreuden Umirieben der Hakatisten Bestall spendet." Diese Mittbeilung wurde dann noch in dem in deutscher Sprache erscheinenden Wochenableger des obengenannten Organs auch der deutschen Bevölkerung mitgelheilt. In Folge dessen hat Rittergutsbesitzer Stein meyer-Grabowo eine Zuschrift an den Graudenzer „Geselligen" gerichtet, auS Etwas sie dazu veranlaßt haben müsse, konnte jedoch nicht ahnen was es war. Als wir aus dem Schauspielhause traten, sollte es mir klar werden. Der große Platz vor dem Tbeatergebäude war von Menschen angefüllt, durch deren Reihen ich mit meinen Be gleitern langsamen Schrittes mir Bahn zu machen suchte. Die zunächst Stehenden schienen meist Studenten zu sein. Bei dem ernsten Schweigen, wie man es ringsumher beobachtete, wollte mir fast bange werden, und wenn ich auch gerade keinen persön lichen Angriff befürchten zu dürfen meinte, war mir doch sehr wohl, als wir meine Behausung — ich wohnte nicht weit vom „Blumenberg" — unangefochten erreicht hatten. Die Fenster meiner Wohnung gingen nach dem Hofraum, wo nicht zu ver nehmen war, was auf der Straße vorfiel. Dort saß ich mit den mich begleitenden Herren, beide mit Fragen bestürmend, was die mich Erwartenden eigentlich im Sinne gahabt haben könnten. Dem Austausch verschiedener Ansichten darüber machte meine Wirthin ein Ende, welche aus ihren nach der Straße blickenden Zimmern zu mir herüber kam, mit ängstlicher Hast berichtend, daß ein große, dichtgedrängte Menschenmenge vor dem Hause versammelt sei, und daß kräftige Stimmen nach mir riefen. Jetzt blieb mir nichts mehr übrig, als den Verlangenden Rede zu stehen. Ich ergriff zwei Lichter, begab mich nach vorn, ließ ein Fenster öffnen und zeigte mich dort zwischen beiden Kerzen wie eine Gipsbüste bei einer Illumination, fragend, was man von mir begehre. „Die Worte wolle man hören, die auf der Bühne an das Publicum zu richten ich verhindert worden sei!" Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und hielt meine Danksagungsrede in bester Form. Sobald ich geendet, erklang ein dreimaliger durch die laue Sommernacht hallender Beifallsruf, und in demselben Augenblick zerstreute sich die Masse, ohne daß weiter eine Be merkung oder eine Aeußerung deS zwischen die Schaar der Ge bildeten gemischten Volks zu vernehmen gewesen wäre! — Man denke sich einen Auftritt dieser Tastung in einer anderen Stadt, vielleicht in Breslau oder Berlin, und es wird keiner allzu leb haften Phantasie bedürfen, um die schlechjen Witze zu hören, welche jede wohlmeinende Absicht übertönt haben würden!
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