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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980115024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898011502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898011502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-15
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Von einem „Plenum" konnte eigentlich nicht die Rede sein angesichts der leeren Bänke, auf denen die hauptsächlich dem Juristenstaube angehörigen Anwesen den fast verschwanden. Um so tapferer waren diese im Hören und Reden; sie füllten die üblichen fünf Sitzungsstunden aus, als ob sie selbst das ganze HauS füllten. Zunächst wurde die erste Berathung der Novellen zum Gerichtsverfas sungsgesetze, zur Straf- und zur Civilproceßord- nung, die schon am Mittwoch hätte beendet werden können, durch Ueberweisung der Vorlagen an eine Commission zum Abschlüsse gebracht und dann m erster Lesung ein Antrag des konservativen Abg. Salisch erledigt, welcher im Wesent lichen dahin geht, statt deS VoreideS den Eid nach der Aussage allgemein einzuführen, dazu aber auch die wissent lich falschen uneidlichcn Aussagen vor Gericht zu be strafen; schließlich verlangt der Antrag die obliga torische Nichtbeeidigung von Geistlichen, Rechtsanwälten und Aerzten bei Aussagen, die daS Beicht- oder Be- rufSgeheimniß berühren. Der Einführung des NacheideS stimmten alle Redner bei; auch der nationalliberale Abg. Pieschel trat dafür ein, hingegen bemängelte er die Formulirung der Nick'tbeeidigung im Falle eines Beicht geheimnisses, die zu dehnbar gefaßt fei, und beantragte Verweisung des Antrags an die Commission, die bereits über den Gesetzentwurf über die freiwillige Gerichtsbarkeit zu berathen hat. Ehe dies geschah, glückte eS dem socialdemokratischen Abg. Stadt hagen, der durch den Zusammentritt deS Reichstages vorlausig vor mehreren Strafprocessen wegen Nichterbeleidigung geschützt ist, einen Ordnungsruf wegen Beleidigung des Richterstandes sich zuzuziehcn und zugleich durch einen Aus fall auf ein Mitglied des Reichstags die Anwartschaft auf einen zweiten zu erwerben. Als drssker Punct der Tages ordnung kam die I ust i z n o v e l le unglückseligen Ange denkens an die Reihe, dieselbe, welche die Berufung in Strafsachen zugleich mit der Entschädigung unschul dig Verurtheilter einführen wollte und dem Reichstag in der vorletzten Session Monate von Plenar- und Com- missionSberalhungen gekostet hat, bis die Formulirung zu Stande kam, in der die Regierung sechs entscheidende Puncle für absolut unannehmbar bezeichnete. Die ComnnssionSfafsung war aber das Erzeugniß der Produktivität verschiedener eifriger Juristen, wie des Abg. Rintelen und deS Abg. Lenzmann. Diese traten denn auch gestern mit Wärme für die vom Abg. Rintelen wieder eingebrachte CommisstonS- fassung ei», obwohl sie, wie der Abg. Pirschet zutreffend barlegte, aussichtslos ist, zumal im Hinblick auf den Gesetz entwurf wegen Entschädigung unschuldig Verurtheilter, den Lie Regierung in dieser Session für sich eingebracht hat. Auf der BundesrathSestrade saß der Staatssecretair Vr. Nieberding, hörte vie Reden an und hörte schweigend zu, wie der auf dreißig Mitglieder zusammengeschmolzene Reichstag endlich beschloß, gleich im Plenum die^ zweite Be rathung vorzunehmen. Der Schlußeffect der Sitzung war, daß der Abg. Stadthagen den angekündigten zweiten Ordnungsruf erhielt, worauf der Reichstag sich auf Montag vertagte, um dann die zweite Lesung deö Etats mit dem deS ReichsamteS deS Innern zu beginnen. Die große Berliner Kundgebung von Vertretern des deutschen GewerbeslcißeS für die Flottcnvorlagc hat anfänglich auch der süddeutschen Demokratie im- ponirt. Besonders ist es ihr aufs Herz gefallen, daß Herr Schönerer aus Nürnberg eine Adresse zahlreicher Handels und Gewerbetreibenden aus seiner Vaterstadt überreichte und versicherte, cs seien unter den Unterzeichnern auch viele Frei sinnige. Die „Franks. Ztg." bemerkte hierzu: „Das kann richtig sein, es giebt auch an anderen Orten Freisinnige, die für die Flottenvermehrung sind. ES unterliegt gar keinem Zweifel, daß die heute versammelten Herren des Handels standes und der Industrie für die Verstärkung der Flotte und für überseeische Politik begeistert sind, so stark begeistert, wie es scheint, daß sie auch weitergehenden Plänen, als Len jetzt vor liegenden, ebenso jubelnd zu st im men würden. Das ist nicht überraschend. Man konnte schon seit längerer Zeit beobachten, daß in weiten Kreisen des Handels und der Industrie zum Theil auch in solchen, die sonst zur politischen Opposition gehören, eine Stimmung für die neue Phase unserer Politik vorhanden ist." Nachdem aber Herr Eugen Richter, unerschrocken wie immer, auf die Berliner Kundgebung gepfiffen und sie als „gänzlich bedeutungslos" aus der Reihe der bemerkenSwerthen Zeitereignisse gestrichen Hal, fühlt auch das Frankfurter Lemokratenblatt sein Herz aus der Tiefe der Beinkleider, in die eS gesunken war, wieder zur Höhe steigen. Und aus der vollen Ueberzeugung dieses Herzens verkündet es jetzt den Gesinnungsgenossen: „Die mit so vielem Geräusch inscrnirte Berliner Flottenkund- gebung, die angeblich zu einer allgemeinen Kundgebung von Handel und Industrie werden sollte, stellt sich bei näherem Zu sehen als eine recht einseitige Demonstration ganz bestimmter Kreise unter Führung des Centralverbaudes deutscher Industrieller und unter dem Patronat bestimmter, be» sonders flottenbegeisterter Parteien dar. Essindimmer dieselben Personen, die sich für derlei Arrangements zur Verfügung stellen. Ebenso gut aber, wie hier eine Kundgebung einzelner Handelskreise für die Flottenvermchrung zu Wege gebracht worden ist, wäre es ohne Schwierigkeiten möglich, eine mindestens ebenso imposante Kundgebung von Handel und Industrie gegen die Marinevorlage herbeizuführen, ganz abgesehen davon, daß eine An- zahl von Versammlungen sich bereits in scharfen Redewendungen gegen das Flottengesetz ausgesprochen haben, so erst neuerdings wieder eine Versammlung in Schwabach." ES würde den komischen Gegensatz zwischen diesem „Himmelhoch Jauchzen" und jenem „Zum Tode betrübt" abschwächen, wenn man ihn noch mehr hervorheben wollte. Zum Glück für die „Frkf. Ztg." wirb es ja allem Anscheine nach zu einer Auslösung deS Reichstags infolge einer Ab lehnung der Vorlage nicht kommen, sonst würde jedenfalls das Herz dieses Blattes noch tiefer fallen, als eS nach dem ersten Eindrücke der Berliner Kundgebung gesunken war. Die „VossiscLe Zeitung" bringt die fast unglaublich klingende Mittheilung, daß die Bemühungen, alle Mitglieder der deutschen Colonie in Rom zu einer gemeinsamen Feier des Geburtstags deS Kaisers zu vereinen, an der Forderung der katholischen Geistlichen zu scheitern drohten, daß ein Trinkspruch aus den König von Italien unterbliebe. Eine derartige Unterlassung wäre, um ein ehrliches deutsches Wort zu gebrauchen, eine Flegelei sondergleichen. Es würde jedem Brauche widersprechen, wenn man bei einer Zusammenkunft zu Ehren des deutschen Kaisers den Monarchen vergäße, der das Land, dessen Gastfreundschaft die Feiernden genießen, regiert. Der König von Italien ist nun aber noch nebenbei der Bundesgenosse und außerdem einer der intimsten Freunde Kaiser Wilhelms II. Ihm bei einer Zusammenkunft zu Ehren des deutschen Kaisers in Rom kein Hoch auszubringen, hieße den deutschen Kaiser an seinem Geburtstage beleidigen, also die Ehrung in ihr Gegentheil umwandeln. Man braucht gar nicht national, sondern nur anständig zu denken, um zu erwarten, daß die Deutschen in Rom in ihrer „großen Mehrheit sich nicht unter dieses von klerikaler Gehässigkeit aufgestellte Joch beugen werden. Der Vorfall zeigt aber wieder einmal, wie werthvoll deutsche Lebensfragen — und dazu gehört daS Bestehen deS Dreibundes — für die Kleri kalen sind. In der TrcyfuS-Angclcgcnheit ist vor Allem daran fest zuhalten, daß — eine ungeheuerliche Thatsache — ein fran zösischer Officier auf Grund geheimer Beweis stücke ungehört verurtheilt worden ist. ES ist stets zu wiederholen, daß diese in der Anklageschrift des Majors Ravary anerkannte Thatsache bis jetzt der einzige unzweifelhaft wirksame Hebel ist, mit dem die Wiederauf nahme des Verfahrens betrieben werden kann; alle die Beschul digungen gegen Minister und Generäle dagegen, die hinaus» geschleudert worden, sind Behauptungen, denen bis jetzt der Be weis fehlt. Ein Politiker, der die ganze Angelegenheit in strenger Objektivität lediglich vom juristischen Standpunkt aus be trachtet und behandelt hat, der ehemalige Justizminister Senator Trarieux, rückt diesen NcchtSfchler ausschließlich in den Vordergrund und bat darüber eine Interpellation angekündigt. Dor RcchtSbruch an sich ist freilich kein Beweis für die Unschuld Dreyfus', aber er ist ein rechtlich zwingender Grund, das Verfahren wieder aufzunchmen, er bietet auch den heutigen Machthabern den Anlaß, eine Tbat wieder gut zu machen, die sortzeugend Boses gebären mH und deren Folge sein wird, daß eine Nation, deren Gerichte Angeklagte ungehört verurtheilen, aus der Reihe der modernen Rechtsstaaten auszuscheiden hat. DaS „Siöcle" will wissen, das DrehfuS vorenthaltene Beweisstück sei der angebliche Brief des Obersten Schwartzkoppen an den italienischen Militairattachö, in welchem die Worte vorkommen sollen: „cotto erimitlo cko v ...." (nicht wie eS AnfangShieß: cot nuimal cko v). Er sei auf BefehldeS Generals Mercier den Richtern vorgezeigt worden. Diesen Vorgang habe General Mercier, damals Kriegsminister, weder seinen Collegen im Cabinet Dupuy mitgetheilt, noch dem damaligen Präsidenten der Republik Casimir Perier. „Da der Bericht Ravary'S erklärt, fährt „Siöcle" fort, daß eine Photographie im Kriegsministerium gestohlen worden ist, ist es noth« wendig, daß man wisse, wer diesen Bries gestohlen hat. Wenn man die Untersuchung in vollem Tageslicht nicht will, so werden wir sagen, wer diesen Brief im Kriegsministerium entwandt, wer ihn Esterhazy mitgetheilt und wer ihn aus mehreren Abzügen gefälscht hat. Vor dem Schwurgerichte werden die Erklärungen hierüber i : vollen Tageslicht abgegeben werden." Der Artikelschreiber erklärt ferner, daß die andere V Häuptling Ravary'S, der Oberstlieutenant Picquart habe n.u dem Advocaten Lcblois dieses Schriftstück gesehen, falsch s- i. Wie weit das „Siecle" unterrichtet ist, entzieht sich natürl ' der Beurtheilung. Auf keinen Fall ist cs recht informi ?. wenn es eine Betheiligung der deutschen Botschaft an k DreyfuS'schen Spionageangelegenheit annimmt. UebrigenS eS noch sehr fraglich, ob Zola erreicht, was er beabsichtig, ein öffentliches Verfahren, da juristische Stimmen si,> dahin äußern, auch bei SckwurgerlchtSverbandlungen kön.': die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden. Wie ein schlech! Witz klingt es, wenn einzelne Schreier verlangen, man soll. Zola ins Irrenhaus sperren. Aber daS ist bei denen, ki: es verlangen, blutiger Ernst. Zola l»at bekanntlich sein.:, Geist und seinen Körper im vorigen Jahre dem Secirmesicr des Nervenarztes vr. Toulouse unterbreitet, um dem Z sammenhang zwischen Genie und Wahnsinn nachzuspürcn. Und, wie man sich erinnern wird, vr. Toulouse hat ihn zwa. nicht zu den Irrsinnigen gerechnet, aber doch manches Un regelmäßige an ihm gefunden; und auf Grund dieses B sundes werden sich schon Stimmen finden, die ihm die Zn rcchnungSfähigkeit absprechen und ihn vor Gericht nicht ein mal zu Worte kommen lassen wollen. In Frankreich ist j heute Alles möglich. Aus den journalistischen Auslassungen seiner Landsleute muß Zola jetzt wissen, daß er eigentlich nur noch ein mit Schimpf und Schande bedeckter Schreib knecht ist; warum sollte er nicht auch — verrückt fein'? Der begeisterte Empfang, der dem greisen EriSpi in Palermo bereitet worden ist, scheint merkwürdigerweise für Manche eine Ueberraschuug gewesen zu sein, und der Entschluß Rudini'S, auch nach Palermo zu gehen, Win auf diesen Empfang Crispi's zurückgeführt. Wer aber die sicilischen Blätter in letzter Zeit laS, mußte erkennen, das; die Stimmung dem vorigen Premier, trotz Allem, was gegen ihn gesagt wird, trotz der ihm drohenden Anklag., und obgleich von seinen Gegnern immer wieder darauf hin- gewiesen wurde, daß er sich, indem er der, Belagerungszustand über Sicilien verhängte, als der schlimmste Feind seiner eigenen engeren Heimath erwiesen habe, immer noch günstiger ist, als der jetzigen Regierung, ja als den: Königshanse selbst. Denn cs entspricht den Thatsachen nicht, wenn man es jetzt so hinzustellcn versucht, als habe die Begeisterung vor Allem dem Kronprinzenpaar gegolten und seien nur einige Brosamen für CriSpi «('gefallen, weil er sich in dessen Begleitung befand; die Begeisterung war im Gegentheil noch größer, wenn sich CriSpi allein zeigte. Vielleicht, wenn, wie eS zuerst hieß, der König selbst gekommen wäre, würde er als die Hauptperson bei den Feierlichkeiten angesehen worden sein, obgleich ja die nicht wegzuleugnendc Thatsache immer bestehen bleiben muß, daß daS HauS Savoyen mit dem Ausstande, dessen 50. Jahrestag gefeiert wird, nichts zu thun hatte. Weshalb der Monarch seinen Entschluß änderte, ist nickt bekannt geworden, sicher that er eS nicht, weil er, wie jetzt verbreitet wird, die Glorificirung CriSpi's vor aussah und nicht Zeuge davon sein wollte. Die ohnehin schon so schwierige Stellung deS Ministeriums wird jedenfalls durch die bewiesene Popularität von Rudini'S Vorgänger nicht verbessert. Höher erheben die Anhänger Crispi's ihr Haupt und bereiten sich eifrig zum Kampfe vor. Zudem ist ja die Rechte durch den Eintritt Zanardelli'S ins Cabinet diesem nun feindlich FeitiHetsn. Kampf und Entsagen. Ilj Roman von M. von Eschen. Nachdruck verboten. XI. Und die Bässe brummen, die Geigen singen; im Zweiviertel- Takt wirbelt die junge Welt in dem Tanzsaale herum. Das Boudoir ist leer bis auf zwei Menschen. Fiffi und Nadaszy haben in eifrigem Geplauder den Beginn der Polka nicht bemerkt. Fiffi, auf einem kleinen Sopha sitzend, hält dem jungen Mann ihren großen Holzfächcr entgegen. Sie hat ihn mitgenommen, auf daß sich all die interessanten Leute, die sie hier treffen wird, in einem Autograph auf den hölzernen Blättern verewigen sollen. Der Tenor, als erster Stern, benutzt die Gelegenheit, um sich vor Fräulein von Dernburg auf ein Knie niederzulassen — in der Luft kann er doch nicht schreiben! Und nun, mit seinen Feueraugen bald das Mädchen anschauend, bald sie auf die Holzflächen heftend, die jetzt auf ihrem Schooße ruhen, kritzelt er ein paar Bcrse hin. Fiffi kennt deren Sprache nicht. Er muß sie übersetzen. Dazu seht er sich nahe zu der kleinen Dame hin, nun kommen sich auch die Köpfe der jungen Leute ziemlich nahe. Fiffi ist mit dem Ergebniß der Uebersetzung zufrieden. „Es klingt hübsch", meint das junge Ding. Dann fügt sie mit einer gewissen Ueberlegenheit hinzu: „Schreiben Sie immer italienisch, Herr Nadaszy?" „Oh —" Er kann doch nicht sagen, daß er etwas unsicher in der Orthographie aller Sprachen ist, und lieber niemals „in keiner einzigen nit schreibt", „'s steckt mir von den Rollen im Blut. Und's is halt so sehr eine schöne Sprache", erklärt der Ungar, der sein Deutsch zumeist „in Wcan, wo er auf der G'sangschul' ausgebild't worden is, g'lernt hat". „Schauens, Gnäd'ge, dös t'amo, dös klingt halt nirgend so guat, un t'nmo, dös is d'Hauptsach' für uns." „Was heißt das?" „Ich liebe Dich", erklärt er wieder, diesmal mit Emphase und die Hand auf der Brust, in seiner gewohnten Bühnenpose. „1"amo", plaudert Fiffi arglos nach. „Wie schehn dös Gnäd'ge sog'n." Fiffi lacht und lehnt den Kopf hinter den Bulgarenschal hinter ihr an der Wand. „Noch einmal soag'n, so a klein Bissel t'awo soag'n —" auch er lehnt den Kopf gegen die Draperien. „Dös is wie uel viels schon." Nun lachen sie Beide, harmlos muthwillig, die Köpfe hin und her schiebend auf den weichen Falten. Und die schöne Ium 'Ium, den Fächer im Nacken, über den Falten thronend, eine Terrakotta-Erinnerung an den Siegeslauf des „Micado" durch die Welt, lacht mit über die Beiden, die da spielen mit dem Feuer, ohne zu bedenken, wie oft schon ein kleines Zündhölzchen, der Hand entfallen, ein Haus in Brand gesteckt und in Asche gelegt hat. „1"amo, t'amo sempro " haucht .,mota voce" der Sänger seine Partie in der „Traviata" vor sich hin. Und Nadaszy hat in der That eine Stimme, die zu Herzen geht: selbst in diesen verhaltenen Tönen liegt ein bestrickender Reiz. Fiffi fühlt sich wie elektrisirt von den braunen Stirnlöckchen bis hinunter zu den kleinen Füßchen in den rosa Atlasschuhen. „Wann fingen Sie wieder?" fragt sie wie unter einem Banne. „Uebermorgrn." „Und dann?" „So halt zwei-, dreimal noch, je nachdem die Sembrich kann oder mag." — Der Tenor ist eben ganz bei seinem Fach. „Ich werde kommen, jedesmal." „Und ich werde nur für Gnäd'ge singen." Wieder ist er ganz in seinem Fach, das für den hübschen Menschen im Leben auch die Rolle des Liebhabers geworden ist. „Nur für Gnäd'ge singen", betheuert er feurig, und seine spitzbübisch hübschen Augen funkeln nicht minder feurig die kleine Fiffi an. Wenn doch Heribert nur eine Spur von dem Temperament hätte! Etwas Aehnliches zuckt ihr durch den zierlichen Kraus kopf. Aber sie hat kaum Zeit, dem Gedanken nachzugehen. Näher rückt der Tenor zu der Kleinen hin; mit jener Scheu, wie sie jedem noch unverdorbenen Mädchen eigen ist, weicht Fiffi zurück. „Werden Sie unS schon bald verlassen, Herr Nadaszy?" Damit flüchtet sich das jmrge Ding vor sich selbst in den Con- versationston hinein. „So — in vierzehn Tagen." „Oh! —" Da geht das Temperament mit dem jungen Geschöpf durch. „Das ist schade —" Dann macht Fiffi we nigstens einen Versuch, sich zu fassen. „Wohin?" fragt sie konventionell. „Nach London — Amerika —" „Sie gehen gern?" „Na natürlich!" will er antworten — „'s giebt ja a brillante Gag'!" — Doch von dem Reiz dieser kleinen vertraulichen Unter redung bestrickt, meint er lieber: „Gnäd'ge fragen grausam. Aber was is auch halt so an armer Sänger für die vornehme Dame!" Dabei seufzt er mit Gefühl. Und „Oh!" macht die kleine Fiffi. Der Laut bekennt, daß Nadaszy die Herren aus der Gesellschaft, wie zum Beispiel Heribert Rau, für viel gefährlicher hält, als sie seiner Dame bislang geworden sind. „Aber Gnäd'ge gehen mit, in meinen Gedanken", fährt er, einmal im Flirten begriffen, munter fort. Er selbst findet jetzt Fiffi reizend. „Gnäd'ge iverden bei mir sein, immer — wenn Sie mich längst vergessen haben." „Das werd' ich nicht!" bricht Fiffi aus. „Gnäd'ge halten Wort?" Er reicht ihr die Hand entgegen. Das junge Ding schlägt ein. „Gnäd'ge wollen mich a bisserl im Herzen behalten?" Näher wieder rückt er zu dem Mädchen hin. Gleich einem Mäuschen duckt sich die kleine Dernburg scheu und still. Nun schlingt er den Arm um die zierliche Gestalt; sein Athem streift des Mädchens Wange. Fiffi's Herz schlägt hoch; es flimmert ihr vor den Augen. Der Roman, mit dem sich ihre Phantasie so lange beschäftigt, an dem ihre Seele hängt — scheint zu beginnen — „So a klein bisserl an mich denken?" Nadaszy wagt es, das junge Ding nun ein wenig fester zu umfassen — „so a klein bisserl, wie mer an Jemand denkt, dem mcr halt quet is?" Fiffi nickt. „Nun geräth er in wirkliches Feuer: „Und ich werde Gnäd'ge lieben, wie immer, immer — seit dem ersten Augenblick!" Da mit küßt er das fiebernde Geschöpfchcn in seinem Arm. Der Roman ist auf der Höhe — Fiffi hält es für ganz in der Ordnung, daß sie sich küssen läßt. — Mangern ist endlich wieder seiner Dame habhaft geworden, welche, so scheint es, nach und nach auch Andere bemerkenswerth finden. Er hat Helja unmerklich in das Boudoir hinein geschmuggelt. Es ist ein reizendes Plätzchen, welches sich der Kenner ausersehen: ein kleines weiches Sopha, ähnlich dem unter der schönen Yum Ium, nur an der entgegengesetzten Seite. Feucht von dem hier anstoßenden Wintergarten strömt die Luft mit dem Duft von Azaleen, Himalayarosen, Maiblumen, Veil chen und künstlich getriebenen Remontanten herein. Während ein kostbarer Schirm japanischer Arbeit, die Blicke von außen einschränkend, dem Fleckchen etwas traulich Anheimelndes ver leiht, bleibt doch die Aussicht in den Saal, auf die Menge hier frei. „Haben Sie nie daran gedacht, Fräulein von Hausen, Ihre Stimme zu vcrwerthen?" fragt Mangern, wie etwa ein Wohl wollender Mäcen mit einem ihm empfohlenen Talente spricht, dabei leicht spielend, wie man im Salon alle Dinge behandelt- Sein Ton giebt Helja die gewohnte Stimmung zurück. „Ich bilde mich ja für den Unterricht aus und gehe dann in meine Heimath zurück." „Unterricht — Nordheim!" Mangern läßt den Kneifer fallen, starrt das Mädchen an mit unbewaffneten Augen, ein sehr natürliches Entsetzen im Blick. „Das wäre ja ein J-nnmer!" Der Jammer berührt nur allzu sympathisch Helja's Herz. Sie zupft an ihrem Taschentuch, sieht zu dem Sprecher auf. „Es bleibt mir nichts Anderes", klagt sie vertrauensvoll. „Das Schicksal ist stärker als ich." „Nein." Er bleibt ruhig und gehalten. „Jugend, Schönheit und Talent bezwingen das Schicksal. Warum werden Sie nicht Sängerin? Hat Ihnen das noch Niemand gesagt?" „Doch." Helja nickt und erinnert sich der Aussprüche ihres Lehrers. „Mir graut aber vor der Oeffentlichkeit —" „Unsinn! Das giebt sich, wie das Ballfieber eines Back fisches." „Ich bin einmal nicht dafür erzogen —" Helja ist eben wieder ganz ein junges Mädchen voll Ergebung in die einmal bestehenden Verhältnisse. „In unseren Kreisen ich denke, auch Tante Weilar würde dagegen sein." Mangern erlaubt sich ein leises, doch recht lanzgezogenes, deutliches: „Pah haben Sie einmal darüber nachgedacht", sagt er dann, wie etwa ein Mentor zu seinem Schüler, „was unsere Kreise — Pardon, ich meine es ehrlich — also, was unsere Kreise für ihre unvermögenden Töchter übrig haben? Zu jedem Krieg" — hier findet der Mentor es rathsam, einen scherzenden Ton anzuschlagen — „auch dem permanenten Krieg zu Zweien, gehört, was schon der große Montecuculi für alle Kriege nothwendig gefunden hat, Geld, Geld, und wieder Geld! Es ist aber ein notorisches Factum, daß die Damen unserer Kreise — meistens blank sind. Dr^o giebt es für die schönste Prinzessin keinen Prinzen hier. Sie muß eine alte Jungfer werden. Eine alte Jungfer aber — in unseren Kreisen — ist ein lebendig begrabener Mensch, eine Mumie, ein Petrefakt. Ein Ergebniß der gesellschaftlichen Verhältnisse, ja — aber eben die Gesellschaft behandelt dies ihr eigenes Erzeugniß wie das bekannte Skelett im Haus, von dem man lieber nicht spricht. Ein Wesen aber, wie Sie, mein gnädiges Fräulein, das darf nicht vertrocknen; das paßt aber auch nicht für ein eintönig
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