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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980212021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-12
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Die Nachricht ist überraschend, denn auS der keines wegs völlig ablehnenden Haltung deS polnischen Redners bei der ersten Lesung der Vorlage und aus der Weigerung der Fraction, sich durch die marinefeindliche Resolution einer in Posen abgehaltenen Wählerversammlüng binden zu lassen, halte man schließen muffen, daß die polnischen Abgeordneten wenigstens unter gewissen Voraussetzungen für das Flotten gesetz stimmen würden. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß sie anfangs unbedingte Gegner der Vorlage nicht waren. Wenn sie jetzt als solche aufzutreten beschlossen haben, so können sachliche Motive nicht maßgebend gewesen sein, denn das dem Reichstag inzwischen zugegangene neue Material verstärkt das Gewicht der Gründe noch, die für die unverkürzte Bewilligung des Entwurfs sprechen. Man ist daher zu der Annahme gezwungen, daß die polnischen Herren verstimmt seien durch die Erfolglosigkeit ihrer hinter den Coulissen betriebenen Verhandlungen. Kühn gemacht durch die Erfolge, die sie unter dem neuen Curse deS Grafen Caprivi mit ihrer Tauschpolitik erzielten, hatten sie gehofft, jetzt für eine der Marineoorlage günstige Haltung allerlei Concrssionen eintauschen zu können. Daß die jetzige Regierung sich erfreulicher Weise auf solchen Schacher nicht rinläßk, er klärt die Schwenkung der polnischen Fraction in das Laaer der Opposition zur Genüge. Als Gegner der Vorlage sind also jetzt anzuseben: die Socialdemokraten, die süd- deutlchen Volksparteiler, die freisinnige Volks partei, die Polen, die Welfen, die Elsässer und der Däne, zusammen etwas mehr als 120 Stimmen. Da man außer den früheren Cartellparteien noch die freisinnige Vereinigung und die Anti semiten als sichere Anhänger der Vorlage ansehen darf, so ist die Zahl der sicheren Anhänger der Vor lage immerhin noch um etwa 40—50 Stimmen höher, als dir der bestimmten Gegner. Leider wird durch die ablehnende Haltung der Polen gegen die Vorlage die Stellungnahme de» Cent rumS eine noch wichtigere und verantwortlichere. Wenn aber die „Germania" in einer Aufforderung zur Vor bereitung für die Wahlen sagt: „Wer weiß, wie bald Neu wahlen bevorstehen", und wenn sie damit die Ablehnung der Marinevorlage durch daS Centrum und die daraus folgende Auflösung des Reichstages andeutet, so braucht man sich dadurch noch nicht mit trüben Besorgnissen erfüllen zu lassen. Es ist ganz erklärlich, daß daS Centrum, nachdem die Ab lehnung der Marinevorlage durch die Polen feststeht, sich noch wichtiger macht, als vorher. Außerdem hat die Redensart der „Germania" den parteitaktischen Zweck, die Agitation für die Wahlen so früh al< möglich in Fluß zu bringen. Sollte aber daS Ccntrum wirklich seine ursprünglich wohlwollende Haltung gegen die Vorlage ändern, so könnte es für die nationalen Parteien nur erwünscht sein, daß das Centrum bei der Ablehnung sich in Gemeinschaft mit den Polen befände. Dadurch würde ein Helles Licht auf die „uationale" Gesinnung der Eentrum-partri geworfen werden. Die Beratbungen über den Marineetat und l daS Flottengesetz in der Budgetcommission werdens übrigens, soweit die parlamentarischen Dispositionen sich übersehen lassen, erst in der zweiten Hälfte nächster Woche beginnen. Die Annahme, daß dies schon am Montag ge schehen werde, bestätigt sich nicht. Die Beratdungen in der Commission werden aller Voraussicht nach in der Weise sich vollziehen, daß zuerst die erste Lesung des Floltengesetzes stattfindet und dann in die Berathung des Etats ein getreten wird. Der vielbesprochene, von den gröbsten und haltlosesten Angriffen auf die nationalliberale Partei strotzende Wahlaufruf, den die Mitglieder des Bundes der Land - wirthe im ReichStagSwablkreise Hildesheim verbreitet und den auch drei Landräthe mit unterschrieben haben, spielt immer noch eine Rolle, besonder- in der demokratischen Presse. So finden wir heute in der „Franks. Ztg." folgende Zuschrift auS Hildesheim vom 10. d.: „Der vor einigen Tagen nicht nur in der Stadt Hildesheim, sondern im ganzen Reichstagswahlkreise zum zweiten Mal ver- theilte Wahlaufruf des Bundes der Landwirthe mit den Unter- lchriflen von drei Landräthen war eine neue Auslage des am 20. Januar veröffentlichten Wahlaufrufs. Die vertheilten Exemplare waren nicht, wie die „RationaUib. Corresp." für möglich hälk, von der ersten Aussage übrig geblieben. Der Text des Aufrufs war unverändert, dagegen hatte man die nach dem 20. Januar gesammelten etwa 100 Unterschriften eingeschaltet. Die drei Landräthe haben aber nicht nur den Wahlaufruf unter- schrieben, sondern gehören auch der bei der Aufstellung des bünd- lerischen Caadidaten am 19. Juli v. I. gebildeten, aus 13 Mit gliedern bestehenden Wahl Commission an. Die Namen dieser Mitglieder wurden am 20. Juli v. I. in dem hiesigen Bundes- organ veröffentlicht. Man darf gespannt sein, ob der Minister die Landräthe auch zum Austritt au» der Wahlcommijsion des Bundes der LauLwirth« veranlassen wird. Die Bündler machen mit der Unterzeichnung de- Wahlaufrnses durch die Landräthe nnd deren Zugehörigkeit zur Wahicommission nicht nur in Versammlungen de« hiesigen Wahlkreise«, sondern auch außerhalb deS Wahlkreises erfolgreiche Reclame." Diese Zuschrift ist deshalb besonders interessant, weil sie zeigt, wie die Herren Landräthe überhaupt zu der Unter zeichnung deS Ausrufs gekommen sind. Sie gehören bereits seit geraumer Zeit der Wahlcommission an und mußten, wenn sie nicht als „Drückeberger" erscheinen wollten, den Wahlaufruf vom 20. Januar unterschreiben. Inzwischen sind sie bekanntlich amtlich rectificirt worden und müssen nun sehen, wie sie sich aus der Affaire ziehen. Daß da« keine leichte Sache ist, versteht sich von selbst. Aber erspart wird eS ihnen nicht werben; dafür werden schon die Herren vr. v. Miquel und v. Hammerstein- Lsoxten sorgen. Beide kennen die Provinz Hannover aus gründlicher Erfahrung und wissen — der )etz,ge preußische LandwirthschastSminister war ja Landrath des Kreises Bersen brück —, daß landräthliche Wahlbeeiuflußung dort ein sehr zweischneidiges Werkzeug ist. Außerdem haben beide in neuester Zeit viel zu deutlich erkennen lassen, was und zu welchem Zwecke sie „sammeln" wollen, als daß sie sich offene landräthliche Opposition gefallen lassen dürften. Je länger die drei Herren also zögern, daS Unerläßliche zu thun, um so schwerer wird eS ihnen fallen und je nachtheiliger wird eS ihnen werden. Die Nationalliberalen können den Verlauf der Dinge also ruhig abwarten; am wenigsten bedürfen sie demokratischer Hilfe. Die kriegsministerirlle und die rcactionaire Pariser Presse war bis gestern Vormittag sehr zufrieden mit dem Fortgang des Zola-Procrfses und besonders glücklich über die Aussagen der hohen Offnere, und redet sich ein, die Hauptresultate des Processes seien die kategorischen Versicherungen der Generäle von der Schuld deS Dreyfus und die Erklärung des Generals Pellieux, daß das Bordereau durchaus verschieden von dem publicirten Faksimile sei, wodurch alle Beweisführung, welche die Dreyfus-Vertheidiger auf die Faksimiles aufgebaut haben, hinfällig werde. Wir sind gespannt darauf, wie die öffent liche Meinung sich nach den gestrigen schwerwiegenden Aus sagen des OberstlieutenanlS Picquart, des ehemaligen CbesS des geheimen Nachrichtendienste», stellen wird, die in dem Proceß eine Etappe von allergrößter Bedeutung bilden. Der „Matin" schrieb gestern: „Von diesen vier übervollen Verhandlungstagen wird vielleicht nichts übrig bleiben als die Minute des Schweigens, welche aus die an General Mercier gestellte Frage über die Mitt Hei lung des geheimen DocumentS an das Dreyfus- KriegSgericht folgte, sowie daS Verstummen deS Zeugen Salles, als Clemenceau ihn aufsorderte, zu dementiren, daß er von einem Mitgliede des Kriegsgerichts diese Mittheilung babe. Man fühlt, daß der ganze Proceß in dieser Gesetz widrigkeit liegt." DaS ist in der That, wie wir wiederholt bervorgeboben, der Kernpunkt der ganzen Sache, aber für die Gesetzwidrigkeit des Gerichtshofs, der DreyfuS zu lebens länglicher Deportation verurtheilte, lagen bisher nur Schlüsse vor, es fehlte der direkte Beweis, da im Esterhazy-Proceß die Erörterung des DreyfuS-ProcesseS als einer ros zuäicuta ausgeschlossen war und im Zola-Proceß der Vorsitzende bisher die Stellung jeder auf diese bezüglichen verfänglichen Frage untersagt hat. Hier ist gestern anscheinend eine entscheidende Wendung eingetreten: AlS Picquart den GcrichtSsaal betrat, sagte, er zu seinen Freunden: „Ich bin entschlossen, die ganze Wahrheit zu sagen und unbekümmert um die Folgen rückhaltslos zu sprechen". Diese Folgen können für ihn selbst sehr empfindlich sein, denn der Kriegsminister hat das DiSciplinar-Urtheil über ihn bis heute schweben lassen, um eS strenger oder milder abzufassen, je nachdem die Aussage Picquarl'S der Negierung unangenehm oder angenehm ist, und er riskirt außerdem noch schwere Strafe wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses. Um so mehr Gewicht aber fällt auf daS Wort dieses vielgeschmähten Officiers. Es handelt sich in der Aussage Picquart's um „daS geheime Schrift stück", „von welchem", wie Labori es näher bezeichnet, „so viel gesprochen worden ist." Nun ist ja in dem Proceß von mehreren geheimen Actenstücken die Rede gewesen, so ins besondere von dem die Schuld Esterhazy's angeblich be weisenden, welches die verschleierte Dame diesem nächtlicher Weile übergeben hahen soll. Aber nach der Charakterisirung Labori's kann, wenn auch bei der verzeihlichen Lückenhaftig keit und Ungenauigkeit der telegraphischen Berichterstattung ein Jrrtbum nicht ausgeschlossen ist, daS hier in Frage kommende geheime Schriftstück kaum ein anderes, als das sein, welches im Proceß Dreyfus diesem und dessen Vertheidigern vorenlhalten wurde und die Verurtheilung deS Hauptmanns herbeiführte. „Dieses Schriftstück" sagte Picquart gestern auS, „habe ich gesehen, als General Pellieux es mir zeigte." Ueber den Inhalt deS Aktenstückes allerdings schwieg Picquart, erklärte aber, denselben bekanntgeben zu wollen, wenn der Kriegsminister ihn von dem Dienstgebeimniß entbinden würde. Die Sensation, die diese Mittheilung machte, ist begreiflich und Uäßt kaum noch einen Zweifel darüber, welches ge Heime Dokument gemeint ist. Wird nun das KriegS- ministerium Picquart weiter zu reden gestalten? Nachdem der Vorsitzende des Schwurgerichts so weit von dem Princip, die DreyfuS-Angelegenheit nicht in die Diskussion ziehen zu lassen, abgegangen ist, sollte man meinen, die Regierung babe sich entschlossen, der Wahrheit den Weg frei zu machen. Aber auch wenn dies nicht geschieht, so scheint doch eins festzustehcn: nach der Bekundung Picquarl'S ist ein geheimes Schriftstück vor banden gewesen, und somit kann dieRevision deSDreyfuS-Processes kaum mehr verweigert werden. Bon außerordentlichem Werth ist auch Picquart's Aussage, daß er die im Kriegsminisierium circulirende Photographie des bekannten Bordereaus (Ver- zeichniß der verrathenen militairischen Acten) und wohl auch daS Original selbst gesehen, daß daS im „Matin" veröffent lichte Faksimile davon in keinem Zuge verschieden gewesen ist, also nur auf Grund einer Indiskretion in den „Matin" gekommen sein kann, daß General Pellieux ihm das Esterhazy „rettende Schriftstück" gezeigt babe, daß dies die Worte enthalten babe: „Diese Canaille von D...." und daß Picquart keinen stricten Befehl von seinen Vorgesetzten erhalten hat, seine Nachforschungen über Esterhazy einzustellen, sondern als er unbequem geworben, nach Tunis geschickt wurde, nachdem man vorher beabsichtigt hatte, ihm eine Mission nach Tripolis, in eine als — unsicher geltende Gegend zu geben. AuS Allem gebt hervor, daß Oberst Picquart mit allen Einzelheiten und Actenstücken des ProcesieS DreyfuS aufs Genaueste vertraut ist, daß der Ne gierung nach dem Bekanntwerden der Aehnlichkeit der Schrift Esterhazy's mit der des Dreyfus selbst Bedenken gegen daS gegen diesen gefällte Urtheil aufgestiegen sind, daß die Regierung selbst die ersten Nachforschungen Piquart'S gegen Esterhazy gebilligt und unterstützt hat und daß sie erst später auS einem noch im Dunkel liegenden Grunde der Untersuchung ein plötzliches Ende gemacht hat, indem sie Picquart nach Tunis entfernte. „Alles ist seltsam in dieser Angelegenheit", begann General Pellieux seine gestrigen Ausführungen. Wir schließen die unserigen heute mit diesem nur allzuwahren Dictum und nehmen nur noch davon Notiz, daß nach den Aussagen Picquart's ein unverkennbarer Stimmungswechsel zu Gunsten der von ihm vertretenen Sache sich bemerkbar machte, den der Chauvinis mus der Straße durch neue Demonstrationen gegen die Juden beantwortete. Die Wogen der Erregung beginnen wieder höher zu steigen, wen werden sie schließlich verschlingen, wen nach oben tragen? Die wiederholte Parteinahme der Leiter des Zola-Processes für die obersten Vertreter der Militairgewalt, die auch gestern wieder grell zu Tage trat, als daS AuditoriMn Picquart eine Ovation darbrachte, giebt vielleicht einen Fingerzeig. Das Pariser Amtsblatt theilt die organisato^schen Details der nunmehr durchgefübrten Verdoppelung und Zweitheilung deS an der französische» Lstgrcnze diSlocirten Armee corps mit. Zu dem bisherigen ArmeecorpS Nr. 6 gesellt 'sich in Folge dieser Maßregel als zweites GrenzcorpS nun mehr das neu formirte 20. Corps. Das CorpSquarlier des 6. Corps bleibt in seinem alten Sitze ChalonS an der Alice. Roman von I. Serini na. Nachdruck «ertöten. Sie hatte gewiß Unrecht, daß sie nicht seinem Mißtrauen zuvor gekommen war. Warum hatte sie ihm nicht einfach ge standen, daß sie Alles wisse? Dann hätte er gewiß mehr Ver trauen zu ihr gehabt. So klagte sie sich selbst an und machte sich da» zum Verbrechen, wa» sie aus übergroßer Liebe gethan. Wa» sollte sie thun? Sie wußte e» nicht. Sie empfand nur ein Bedürfniß, zu handeln, eine Leidenschaft, sich zu opfern, und wenn es auch für etwa- Unmögliche» war. Trotzdem hielt sie ein unbestimmter Gedanke aufrecht. Da- vidot, dieser Spitzel, den sie jetzt iiber Alles haßte, mußte wohl wissen, wo sich ihr Mann befand! Da» hatte sie an einigen Worten begriffen, die ihm entschlüpft waren. Er mutzte ihr die Adresse geben! — Wenn er sich aber weigerte? — Aber nein, er war im Grund kein schlechter Mensch; er hatte es bewiesen, indem er ihr diese 24 Stunden Aufschub bewilligt. Er hatte den geheimen Wunsch, Gaston möge entfliehen, denn wenn er ge- zwungen war, seine sogenannte Pflicht zu thun, so durste er nicht mehr wagen, vor seiner Mutter zu erscheinen. Das war Gaston's Rettung, denn im Nothfalle würde die alte Frau ihre Bitten mit denen Alice'» vereinen, und Daoidot würde nicht widerstehen. Endlich befand sie sich wieder in Pari», wo sie einen Wagen nach der Rue de Deaume nahm. Es war vielleicht unklug, nach Hause zurückzukehren, denn sie hotte das Gefühl, daß sie Überwacht würde. Die Straße aber war leer. Uebrigens, wo sollte sie auch hingehen? Es gab für sie nur den geraden Weg, und diesen verfolgte sie, wie der Soldat, der unerschrocken dem Feinde entgegen geht. Madame Davidot stieh einen Schrei der Überraschung auS, als sie sie eintreten sah unk sragte lebhaft: „Jst's geschehen?" Alice gab schnell die nöthigen Erklärungen; sie müsse Davidot auf der Stelle sprechen. Aber er war schon am Morgen fort- gegangen und würde wahrscheinlich den Tag über nicht nach Hause kommen. Wo war er hingegangen? Ja, legte er jemals Rechenschaft von seinen Handlungen ab? „Doch seien Sie unbesorgt", fuhr die Alte fort, „er ahnt nichts. Er glaubt, ich habe ihm wirklich verziehen; als wenn das möglich wäre! Doch das ist meine Sache, das habe nur ich ab zumachen. Wie hat Ihnen Ihr Mann nur «ine falsche Adresse angeben können? Er mitztraut Ihnen also oder er wollte nicht, daß Sie ihn auffinden können?" „O, welcher Gedanke — ich bin Gaston's sicher! . . . Und doch, mein Gott, weitz ich nicht mehr, was ich denken soll! Ich muß, ich muh ihn sehen!" Die Abwesenheit des Criminalisten hatte sie nicht voraus gesehen; das war das Letzte und sie fühlte, daß sie verloren sei. Sie wiederholte ganz leise: „Mein Gott, mein Gott!" und rang, vor Entsetzen dir Augen schließend, die Hände. Madame Davidot, die nicht recht begriffen hatte, um waS es sich eigentlich handle, fand keine Worte, um sie zu ermuthigen oder zu trösten. Nur ihr Haß gegen ihren Sohn stieg ihr wieder in bitteren Worten auf die Lippen. Wieder war er an dieser Verzweiflung schuld, an diesen Thränen. O, er solle nur nach Hause kommen, sie würde sofort die Verzeihung zurücknehmen, iäe er ihr entlockt hatte. Die Zeit verstrich, und Alice lief voll quälendster Angst im Zimmer hin und her. Zuweilen sragte sie sich, warum sie nicht fortlief und suchte. Doch wenn sie auch von einem Ende der großen Stadt zum anderen lief, was hatte daS wohl für einen Zweck. Während dieser Zeit konnte Davidot gerade nach Hause kommen. Einen Augenblick war ihr der Gedanke gekommen, ihn auf der Polizei zu suchen, doch ein« heftige Furcht hatte sie zurück gehalten. „Es kommt Jemand die Treppe herauf", rief sie plötzlich aufschreckend. „ES ist Herr Davidot." Sie lief zur Thür, öffnete sie, beugte sich über das Geländer und stieß einen Ruf der Freude auS. Es war nicht Davidot, sondern der Lakai, der ihr die Briefe ihre» Gatten brachte. Mit der Unverschämtheit seines Stande» reichte er ihr den Brief auf der Treppe und schickte sich an, fortzugehen. „Treten Sir doch ein, mein Herr, bitte nur einen Augenblick." Der Lakai sah sie überrascht an. Die Aufforderung schien ihm unangenehm zu sein, denn er batte keine Zeit zu verlieren. Trotzdem folgte «r Alic«, die die Thür hinter ihm schloß. „Mein Herr* sagte sie schnell zu ihm, „wollen Sie mir eine Auskunft geben?" .Wa» für eine Auskunft?" „Tagen Tt«, »a befindet sich die Prrs-n, di« Ihnen diesen Brief übergeben hat?* Er blinzelte mit den Augen, zog eine Grimasse und sah sie, ohne zu antworten, an, während sie, fieberhaft erregt, fortfuhr: „Ich bitte Sie, mein Herr, es handelt sich um eine ernste, sehr ernste Angelegenheit. Mein Gatte hat mir seine Adresse schriftlich dagelassen und ich habe sie verloren. Sagen Sie mir auf alle Fälle, wo er ist, denn ich muß ihm etwas sehr Wichtiges schreiben." „Und wenn man mich vor die Thür setzt?" fragte der Diener unverschämt. „Aber wer wird denn wissen, daß Sie mir diese Auskunft gegeben haben. Ich sage Ihnen doch, mein Mann . . . ." „Ihr Mann; nun, meintewegen, ich will Ihnen Alles sagen. Geben Sie mir aber zwei Louis dafür?" „Ach ja, es ist wahr, ich dachte nicht daran", versetzte Alice naiv, „da nehmen Sie, nehmen Sie!" Sie schüttete die Börse, oder richtiger gesagt, die der Madame Davidot, in die Hand des Burschen aus, der das Geld betrachtete und nach einer Weile sagte: „Sie wollen also wissen, wo sich Ihr Gatte befindet?" „Ja, bitte, schnell, schnell!" „Nun denn, die Adresse ist: Frap v. Herbecourt, Rue Thi- roux, ein kleines Haus mit einer Freitreppe." „Und dort ist mein Mann?" „Immerfort", lachte der Lakai, „aber nicht mehr lange; wenn Sie ihn finden wollen, müssen Sie sich beeilen." Er stieß ein häßliches Lachen aus, dach Alice achtete nicht auf ihn und zog sich schnell, ohne weitere Fragen zu stellen, die Handschuhe an. Der Lakai betrachtete sie, dann fragte er nach einer Weile: „Wünschen Madame sonst noch Etwas von mir?" „Nein, nein; noch einmal, ich danke Ihnen." Der Lakai verließ daS Zimmer. Herbecourt, ja da» war der Name, sie wußte wohl, sie hatte sich nicht getäuscht! Doch warum hatte «r Madame gesagt? Jedenfalls nur ein Versprechen! Sie lief in das Zimmer der Madame Davidot und stotterte, ihr die Hände schüttelnd: „Ich weiß die Adresse, ich weiß sie! Ich bin so glücklich! Doch jetzt muß ich fort, e» bleibt mir kaum eine Stunde. Leben Sie wohl!" Sie umarmte die Kranke und ginst eilend» fort. Das Beste wär« gewesen, sie hätte sich einen Fiaker nehmen können; doch sie bemerkte erst jetzt, daß sie ihr ganze» Geld fortgegeben hatte. Ah bah! Sie mutzt« eben zp Futz g-hen. Es regnete nicht mehr, doch der Nebel war starker geworden. Das glatte Pflaster gestattete Alice nicht, schnell zu gehen, und sie fühlte zeitweise, wie ihr die Knie förmlich zusammenbrachen. Einen Augenblick zwang sie ein« Art Schwindel, stehen zu bleiben, und ihr Herz klopfte wie ein Hammer. Mit letzter Willensanstrengung unterdrückte sie die Schmerzen und eilte weiter. Sie hatte nicht das Recht, leidend zu sein, denn es galt ja die Rettung des geliebten Gatten. Jnstinctiv sank sie den Weg, ohne danach zu fragen. Endlich befand sie sich in der Rue Thiroux und erkannte das Haus, von dem der Lakai gesprochen hatte. Plötzlich durchfuhr es sie wie ein Schlag, denn sie hatte Coco Lacour erkannt, der in einem Winkel versteckt stand. Glücklicher weise drehte er ihr den Rücken. Sie eilte in das ihr bezeichnete Haus; die Thüre stand offen und sie bemerkte, daß in dem Hofe eine angespannte Postchaise wartete. Auf dem Wege hielt sie ein Portier auf und fragte: „Was wünschen Sie, Madame?" „Ich möchte Herrn von Clairac sprechen." Der Mann zuckte leicht die Achseln. „Herrn v. Clairac? Es giebt hier Niemand dieses Namens; Sie irren sich." „O nein, ich irre mich nicht; ist das nicht das Haus des Herrn v. Herbecourt?" „Der Frau v. Herbecourt, ganz recht, aber was beweist das? Ich habe den Auftrag, Niemand eintreten zu lassen." Alice war leichenblaß geworden. Ein plötzlicher Verdacht stieg ihr auf. Eine Frau! — Gaston! — Man hörte im Innern des Hauses den Ton eines Flügels. Alice stieß den Portier mit so heftiger Bewegung zurück, daß er sie passiren ließ. Sie fing an zu laufen, rannte die Freitreppe hinauf, öffnete eine Thür, dann eine andere und blieb plötzlich, mit weit aufgeriffenen Augen, wie vom Blitz getroffen, stehen. Sie erblickte am Flügel eine Frau im eleganten Reisecostüm, die sich zu einem Liede begleitete, das sie mit halber Stimme sang. Neben ihr saß Gaston, den Arm um ihre Taille gelegt, der sich beim Geräusch der geöffneten Thür heftig umdrehte. Alice war in ein schluchzendes, halb wahnsinniges Lachen ausgebrochen und rührte sich nicht. „Wer ist da, Gaston?" fragte die Frau am Flügel. Da er nicht antwortete, so wandte sie sich ebenfalls um, und erblickte Alice, die sie nicht kannte. „Wer ist diese Frau?" fuhr sie fort, „und wa» will sie hier?* Alice hielt jetzt ihre beiden Hände an ihren Hal«.
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