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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980215025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-15
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Durch di« Post bezogen für Devtfchlasd und Oesterreich: vtertehährltch . Direcre tägliche Krruzbaudseud«»« t»> «u-laad: monatlich 7H0. Di« vkorgnt-LllSgabe erscheint »m '/,7 Uhr, di« Wbeud-Aa-gab« Wochestag« ma b Utzr^ Lr-artio« «n- Erve-Mo«: Johanne-gaste 8. Di» Expedition ist Wochentag« naanterbroch«» g»öff»et voll früh 8 bi« Abend« ? Uh«. Filiale«: Ott» «le»m « Tartim. (Alfred Hatz»)» Universitätsstraßr 3 lPaulinum), Laut« Lösche, Kattzarineu-r. V«t and «ö»ig«plat 7. Abend-Ausgabe. WWgcrTaMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Aathes nn- Nolizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. «nzeigenePretO tzte «gespattme Petitzeile VS Ps-> Meclamr» »»ter dem RrdactionSstrtch (4 a» N»allra) üO>^, vor de» FamilimaaLrichtr» (8 gespalten) 40 Gröbere Schriften laut unserem Peri«» verzetchniß. Tabellarischer und Ziffernsatz »ach höhere« Tarif. Extra «Beilagen (gefalzt), »nr mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderunz' ^l SO.—, mit Postbrsörderung 70.—. Ilnnahmrschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgab«: vormittag- 10 Uhr. viorgr a-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. vei den Filiale» und Annahmestelle» je ein» halbe Stunde früher. Anreisen sind stet« aa die Vrpetzttia» zu richte». Lnick ,»d Verlag vo» L. Polz t» Leipzig Dienstag den 15. Februar 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Februar. Wie wenig Interesse der Reichstag praktisch wichtigen Vorlagen entgegenbringt, zeigte sich gestern bei der ersten Lesung der Novelle zur EoncurSor-nung. Nicht nur, daß der Besuch noch schlechter war, als gewöhnlich: auch die Erledigung der ersten Lesung war eine flüchtige. Trotzdem wurden von Seiten des Centrums und der Nalionalliberalen einige Anregungen gegeben, die ConcurSordnung wirksamer zu gestalten, insofern nämlich, daß den Bankerottirern daS Handwerk etwas erschwert werden müsse. Die Verschärfung der Strafen freilich, von der daS Centrum viel erhofft, wird praktisch kaum von großer Bedeutung sein. Schon jetzt gestattet daS Ge setz die Anwendung recht hoher Strafen: beim betrügerischen Bankerott Zuchthaus bis zu 15 Jahren, beim einfachen Bankerott Gefängniß bis zu 2 Jahren. Trotz dieser hohen Strafandrohung steht daS Bankerottiren in voller Blüthe; deshalb ist eS wirksamer, die Bankerotteure da zu treffen, wo sie am empfindlichsten sind, nämlich am Geldbeutel. Darum kann man eher dem Centrumsvorschlage zustimmen, den Bankerottirern die Möglichkeit, wieder ein Geschäft zu eröffnen, zu erschweren und in besonderen Fällen zu ver schließen. Das leichtsinnige ConcurSmachen beruht zum großen Theile daraus, daß die Bankerottirer hoffen, bald wieder ein Geschäft eröffnen und mit fremden Maaren und fremdem Gelde aufs Neue ihr Glück versuchen zu können. Aus demselben Grunde ist auch dem Vorschläge zuzustimmen, die Abschließung des Zwangsvergleiches zu erschweren. Gegen wärtig paßt der Ausdruck „Zwangs"-Vergleich ost viel eher auf einen Theil der Gläubi^r, als auf den Schuldner, der häufig mit der Bezahlung eines ganz geringen Procent satzes der geschuldeten Summe seiner Verpflichtung ledig wird, weil der größte Theil der Gläubiger fürchtet, sonst gar nichts zu bekommen. Es ist zu wünschen, daß in der Com mission Erschwerungen des Concursmachens in daS Gesetz hineingebracht werden. Man kann sich in der Ansicht, daß die Regelung des Concursverfabrens von hoher socialpoliti- scher Bedeutung sei, nur bestärkt fühlen, wenn man sieht, wie leicht heute Schuldner „umwerfen", um sich dann rascher wieder zu erheben, als die häufig geschädigten „kleinen Leute". Die gestern in Berlin abgehaltene Hauptversamm lung des Bundes der Landwirthe wich, so weit man bis jetzt übersehen kann, insofern von ihren Vorgängerinnen ab, als die Redner im Allgemeinen einen weniger schroffen und aufreizenden Ton als sonst anschlugen und daß demgemäß die Temperatur der Versammlung eine gelindere als früher war. Freilich weichen die vorliegenden Berichte nicht unwesentlich von einander ab. So meldet unser Berichterstatter nichts von einem scharfen Proteste des Herrn v. Ploetz gegen eine umfassendere Canalpolitik, während andere Bericht erstatter einen solchen Protest besonders hervorbeben. Im Ganzen aber bekommt man den Eindruck, daß der Bundes präsident der gemäßigtste der zum Bundesvorstände gehörigen oder von ihm abhängigen Redner gewesen sei. Er ließ es freilich nicht au den üblichen Zweideutigkeiten fehlen, stellte, um dem Bunde ein Verdienst vindiciren zu können, die bis herige officielle Agrarpolitik durchaus schief dar, wollte von der Preisgabe irgend einer der alten Bundesforderungen nichts wissen und betonte überhaupt mehr die Bundes- als die landwirthschaftlichen Interessen; aber daS conservative Fractions- mitglied verrieth doch, daß es sich den nothwendigen Anfor ¬ derungen einer Politik der Sammlung nicht ganz zu ent- ! ziehen vermag. Am deutlichsten geht dies daraus hervor, daß Herr v. Ploetz erklärte, bei der neuerdings angebahnten > Wirtschaftspolitik seien die Interessen der Industrie ebenso zu fördern, wie die der Landwirthschaft. Wie das möglich sein soll, wenn der Bund an seinen alten Forderungen festhält i^nd sie nur aus taktischen Gründen bei der Wablbewegung nicht betont, daS bleibt freilich vor läufig noch das Geheimniß des Herrn v. Ploetz, von dem er vielleicht demnächst einmal den Schleier ent fernt. Daß die angenommene und natürlich von Herrn v. Ploetz gebilligte Resolution damit anhebt, einen „Gegensatz zu Kundgebungen, welche zu einer Politik der Sammlung auf- rusen, ohne bestimmte und klare Ziele erkennen zu lassen", zu construiren, und mit einer Aufforderung zur Politik der Sammlung deS Bundes der Landwirthe endet, läßt allerdings darauf schließen, daß sich Herr v. Ploetz den Sammelpunkt etwas anders denkt, als andere Leute, und daß er unter den zu fördernden Interessen der Industrie etwas Anderes sich vorstellt, als die Industrie selbst. Immerhin erwies sich Herr v. Ploetz als sammeleifrig gegen die radikale Demokratie und die Socialdemokratie und er weckte damit die Hoffnung, daß er wenigstens in solchen Wahlkreisen, in denen einer dieser Gegner zu bekämpfen ist, mit sich reden und von dem zu unterstützenden Canbidaten nicht unbedingte Unterwerfung unter die offen ausgesprochenen und die vorläufig zurückgestellten Bundesforderungen ver langen werde. Daß der Bundesdirector vr. Hahn trotz seiner ebenfalls gemäßigten Form des Auftretens in diesem Punkte weniger zugänglich sein werde, geht aus seinen Ausführungen deutlich hervor. Auch er will sammeln, aber nur zum Besten von Männern, die „jede handels politische Bindung durchVerträge auf lange Zeit hinaus auf das Entschiedenste zurückweisen" und deshalb dem Handel und der Industrie nickt genehm sein können. Wo solche Männer zu haben sind, sind sie unter allen Umständen von den Bundesmitgliedern zu unter stützen. In seinem Sinne ist also die Aufforderung an sie den Bestrebungen des Bundes nahe stehenden Parteien, die Politik der Sammlung des Bundes nicht durch Betonung parteipolitischer Gegensätze zu gefährden, nicht Anderes als eine Aufforderung, jeden Widerspruch gegen, eine Bundessorderung fallen zu lassen und bedingungslos der Bunvesleitung sich zu unterwerfen. Trotz der gemäßigten Tonart, welche die Redner anschlugen, ist also für eine Politik der Sammlung aller productiven Stände in der gestrigen Versammlung wenig oder gar nichts geschehen, wenn man nicht annehmen will, daß nachträglich Herr I)r. Hahn Herrn von Ploetz sich unterordnen werde. Besonders das Ver- hältniß der Conservative» zu dem Bunde ist gestern nicht geförvert worden. Die demonstrativen Sympathiekundgebungen für Herrn Liebermann v. Sonnenberg stachen zu sehr von der Stellungnahme des Dresdner Parteitages zum Antisemitismus ab, als daß sie auf konservativer Seite nicht unangenehm empfunden werden sollten. Im Uebrigen wird man abwarten müssen, wie die Blätter des Bundes vie gestrige Versammlung zu fruclisiciren suchen werden. Erst dann wird auch die Einwirkung der Versammlung auf die conservative Partei und auf die preußischeRegierung ersichtlich werden. Erklärt der Bund klipp und klar, inwiefern er „im Gegensatz zu Kundgebungen, welche zu einer Politik der Sammlung aufrufen, ohne bestimmte und klare Ziele er kennen zu lassen", seine Sammelpolitik betreiben will, dann tritt auch an den Vater der Parole von der Sammlung aller productiven und nationalen Kräfte, Herrn Or. v. Miquel, die zwingende Nothwendigkeit heran, seine Parole mit einem klaren und unzweideutigen Inhalte zu erfüllen und den Elementen, die sich bewußt und absichtlich in Gegensatz zur Sammelpolitik der Regierung stellten, die volle Gegnerschaft der Regierung fühlbar zu machen. Der gestrige Tag des Zola-Proccsscs, über dessen Verlauf wir eingehend an anderer Stelle berichten, brachte das mit Spannung erwartete Verhör der Sachverständigen. Man muß gestehen, daß dasselbe, bis auf einen Punct, sehr zu Gunsten Dreyfus' ausgefallen ist. Eine geradezu jammer volle Rolle spielte der Schriftkundige Ber tillon, dessen Urtheil über das berüchtigte Bordereau bekanntlich den AnSschlag gegen DreyfuS gab, dem dieser Experte es einzig und allein zuschreiben zu müssen glaubte. Bertillon, dessen unsicheres, haltloses und schwankendes Auftreten den allerschlecktesten Eindruck machte, mußte sich von dem Verteidiger Zola's, Clemenceau, nachweisen lassen, daß er daS Princip seines Systems, das er dem Gerichtshof nicht darlegen wollte, einem Freunde erklärt hatte; er, der an Gerichtsstelle sein System wiederholt mit verdächtiger Emphase für un fehlbar erklärt hatte, verstummte gestern aus die Frage der Vertheidigung, ob er, wenn er wieder in irgend einer Sache zu Rathe gezogen werden sollte, sich desselben Systems bedienen würde; er, von dessen Wort das Schicksal des jüdischen Capitains Dreyfus nicht in letzter Linie ab gehangen, äußerte seinem (Bertillons) Vetter gegenüber, als dieser ihn auf die Ähnlichkeit der Schrift Esterhazy's mit der deS Bordereaus aufmerksam machte, er werde die Schrift Esterhazy's nicht prüfen, er sei ja ein Stroh mann der Juden. Aber er muß diese Schrift gekannt haben und muß zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß Esterhazy das Borderau verfaßt hat, sonst hätte er nicht in demselben Athemzug hinzusetzen können: Esterhazy wird schließlich (waS er aber bekanntlich nicht that) eingestehen. Indessen Dreyfus muß der Schuldige sein, denn wenn sein Proceß revioirt wird, so kommt eS zur Revolution! Ist das nicht die schlimmste Caricatur eines vereideten Sachverständigen? Wird nach den Enthüllungen dieser Stütze deS auf lebens- .längliche Deportation lautenden Dreyfus - UrtbeilS die 'Revision noch verweigert werden? Und dann die Aus sage von HveS Guyot, Bertillon habe ihm. seinen lang jährigen Freund, gesagt, er habe DreyfuS als Ver fasser deS Bordereaus bezeichnet, nicht weil die Schrift des DreyfuS mit der Schrift des Bordereaus identisch sei, sondern verschieden, d. h. verstellt war, während der Sachverständige Pelletier bekundet, die Schrift sei keine ungleiche, mit zögernder Hand zu Papier gebrachte, sondern eine natürliche, geläufige! Aus Allem kommt man zu dem Schluß, daß Bertillon ein gewissenhaftes Urtheil im DreyfuS-Proceß nicht abgegeben hat. Schwer wiegend ist auch die Aussage deS Schreibsachverständigen Charavay'S, der offenbar nicht zu den Freunden der DreyfuS-Sache gekört, aber bekundet, er würde nie in seinem Leben auf ein bloßes Schreibsachverständigen-Zeugniß hin Jemanden verurtheilen, eine Aeußerung, die in besondere Beleuchtung unter der Aussage Pelletier's tritt, das Bordereau sei mit Sicherheit weder der einen noch der anderen ver dächtigen Person zuzuschreiben. Einen Schlag für das „DreyfuS- Syndicat" bedeutet dagegen anscheinend die Enthüllung des Sachverständigen Teyssonniöre, ein Vertreter dieses SyndicatS habe versucht, ihn zu bestechen und zu einer Aenderung seines Gutachtens zu Gunsten DreyfuS' zu bewegen. Wenn Derartiges vorgekommen wäre, Idauu gewänne auch die Behauptung an Wahrscheinlichkeit, das: das in den Blättern veröffentlichte Faksimile deS Bordereaus mit nachgeahmten Schriftzügen Esterbazy'S gefälscht. Esterhazy als Strohmann des Dreyfus-Syndicats zu betrachten ist und die ganze Action des Letzteren auf Betrug basire. Allein abgesehen davon, daß der Sachverständige Crepieux- Iamin, der den Bestechungsversuch gemacht haben soll, dies aufs Entschiedenste bestreitet, erscheint Teyssonniöre durch aus nicht als besonders glaubwürdig. Er hat in ver dächtiger Weise die Schriftstücke, die seinem an das Kriegs ministerium in der DreyfuS-Angelegenheit zu erstattenden Bericht als Grundlage gedient hatten, zum Theil zurückbehalten und verschiedenen Personen gezeigt, er hat Trarieux, dem jetzigen Senator und früheren Kriegsminister, gegenüber ein gestandenermaßen zugegeben, daß Unähnlichkeiten in der Handschrift des Bordereaus und der des Dreyfus bestünden, während er nach seinem wunderbaren Ausspruche: „Ich spreche in einem Berichte niemals von Unähnlichkeiten", für die Aehnlichkeit beider Schriften plaidirt haben muß. DaS ist also kein zuverlässiger Zeuge. Von größter Wichtigkeit ist trotzdem sein Bekenntniß, daß er Schriftstücke zurückbehalten, denn dies beweist, daß, wie die Vertheidigung schlagfertig bervorhob, die Richter des Kriegsgerichts die Schrift stücke mit den Darlegungen des Berichts Teyssonniöre'S nicht verglichen, seine Bekundungen also nicht geprüft haben. Ihnen scheint mithin das Urtheil über Dreyfus schon vorher fest gestanden zu haben. Unter solchen Umständen ist es begreif lich, daß im Senat eine Interpellation über die Enthüllungen des Zola-Processes geplant wird. Der Stein ist im Rollen; daß die Regierung ihn jetzt noch wird aufhalten können, man möchte eS kaum mehr für möglich halten. Die auswärtige Politik England«, welche unter der Un zulänglichkeit der zur Förderung ihrer weltumspannenden Bestrebungen verfügbaren materiellen Machtmittel nicht wenig zu leiden hat, hegt ein ebenso begreifliches wie natür liches Interesse daran, baß der Actionskraft rivalisirendcr Mächte, welcher die Spitze abzubrechen Großbritannien selbst zu ohnmächtig ist, anderweitige Hemmnisse, je zahlreicher desto besser, erwachsen. Und da Frankreich, dessen eigennütziger Unternehmungsgeist in Ostasien und mehr noch in West- und Mittelafrika den Engländern, die in letzter Reihe auf die alleinige und ausschließliche Beherrschung deS dunklen WelttheilS speculiren, schon längst unbequem geworden ist, jetzt durch den Zolaproceß und dessen Rückwirkung aus die Situation der Regierung nach Innen alle Hände voll zu thun bekommen hat, so erscheint die Möglichkeit nicht aus geschlossen, daß man jenseits deS Canals auS dieser Wendung der Dinge Vortheile für die eigenen afrikanischen Interessen herauözuschlagen sich bemüht. Die Londoner Blätter, welche in der Besprechung der englisch-französischen Neben buhlerschaft wegen Westafrika seit Monaten sich einer beinahe an Aengstlichkeit grenzenden Zurückhaltung befleißigten, schlagen plötzlich einen auffallend herausfordernden Ton an, als glaubten sie, den Franzosen Alles bieten zu können. Sic geben zu verstehen, daß die Regierungen beider Länder von lebhaften Besorgnissen wegen des Ganges, den die Dinge in I Westafrika nehmen könnten, ergriffen seien, und daß nament- I lich in englischen Regierungskreisen bedeutende Erbitterung I gegen Frankreich herrsche, die im Publicum sicherlich ein Echo FrniNrton. Durch eigene Lrast. 2s Roman von Alexander Römer. Nachdruck »erboten. Ottilie stand in der Wohnstube, wo der durch Liesas Für sorge angezündete Ofen behagliche Wärme ausstrahlte. Im ersten Augenblick sah sie nichts, ihre Augen waren verschleiert oder gar von ganz unpassenden Thränen verdunkelt — cs arbeitete so schwer in ihr, sie mußte sich gewaltsam zusammennchmen. Der zutraulich gewordene Spitz umkreiste ihre Füße, und ohne zu wissen, was sie that, beugte sie sich zu dem Thiere nieder und streichelte sein langhaariges Fell. Gesprochen hatte sie außer dem leisen „Guten Abend" ivch kein Wort. Der Vater saß bereits breitspurig auf dem Sopha, ihr hatte Liess einen Stuhl hingerückt, den sie aber nicht benutzte. Liess lief geschäftig hin und her und hatte nicht Zeit, sich um sie zu kümmern, Mariann« wechselte ein paar kurze Reden mit dem Vater. „Willst Du es Dir nicht bequem machen", wendete sie sich jetzt an die Nichte, „wie heißt Du doch? Ottilie — ja, richtig, wenn man so gar nichts von einander hört und sieht, vergißt man auch die Namen. Wir sind hier einfache Leute, und mit Complimenten geben wir uns nicht ab, mußt Dich zurechtfinden und in uns schicken, so gut es geht." „Na — was stehst Du da so steif, so fetze Dich doch", rief der Vater. Ottilie gehorcht« und seht« sich. Sie war in diesem Augen blick sehr blaß, vielleicht erhöhte auch das Trauerkleid die Weiße ihres Gesichts, das weit über seine Jahre ernst erschien. Der kleine Mund war so herb und fest geschlossen, die großen, wunder baren Augen von einer unbestimmten Farbe — sie wechselte je nach dem Ausdruck — irrten mit einem prüfenden Blick im Zimmer umher. Ihr selbst unbewußt lag etwas Unnahbares und Abweisende- in ihrer Miene und Haltung. Tante Marianne beobachtete sie, und ihre Züge wurden dabei nicht freundlicher. Liesa kam mit einer mächtigen Schüssel voll Spiegeleier, von der zwölf Personen hätten zehren können, auf dem mit der weißen Damastserviette bedeckten Tisch stand Bier, Brod, Butter und Schinken. Bor Ottiliens Couvert befand sich eine mit Rosen -«nah« Lasse, und Liesa schenkte ihr jetzt aus einem riesigen, weißen Theetopf dünnen Thee ein, den sie oben in der Küche aufgebrüht hatte. Sie bemerkte dabei, das feine Nichtchen trinke doch gewiß lein Bier. Ottilie schaute auf und zum ersten Mal in das Gesicht der Tante. Es war freundlich zu ihr herabgeneigt und hatte gutmüthige, aber grobe, bäuerliche Züge. Und wie ungewohnt klang diese Sprache, dieser Dialcct an ihr Ohr, wie schrecklich hausbacken war diese Umgebung. Sie danke beklommen und nahm vorsichtig ein Ei von der dargebotenen Schüssel und eine von den dicken, umfangreichen Brodschnitten, mit der sie nichts Rechtes anzufangen wußte. Sie versuchte, sie zu zertheilen, ihr gesunder Hunger war aber ver gangen; ihr war in diesem Augenblick zu Muth, als könne sie keinen Bissen hinunteibringen. „Dem jungen Fräulein schmeckt es hier schon nicht bei uns", sagte Marianne trocken, „hier giebt es nur Hausmannskost, keine Delikatessen und Pasteten." „Unsinn", rief Fritz Röpke, der seinen Teller anständig beladen hatte und mit vollen Backen kaute. „Umstände braucht Ihr für sie nicht zu machen, das ist selbstverständlich. Sie ist noch ein bischen fremd, Has giebt sich — wie, Tilla?" „Ja, Papa, ich bitte um Verzeihung, diese Reise und —" Sie stockte, die verrätherischen Thränen drängten sich so ge waltsam hervor, daß sie ihre Rede nicht vollendete. „Nun, nun, essen mußt Du jedenfalls ein bischen, und wenn Du dann müde bist, so bringe ich Dich auf Deine Kammer", sagte Liesa mitleidig und machte einen zaghaften Versuch, die blaffe Wange zu streicheln. Ottilie zuckte freilich zusammen unter der Berührung der rauhen, schwieligen Hand, aber ein dankbarer Blick aus den großen, scheuen Augen lohnte Liesa doch. Sie würgte ein paar Bissen hinunter, sie that wirklich ihr Möglichste«. Des Vaters und Mariannens Reden schwirrten an ihrem Ohre vorüber, diese schrecklichen Reden von dem bevor stehenden Berkaus deS Gutes, von der Auflösung deS Haushaltes, der abzuhaltenden Auktion. Sie ertrug eS nicht länger, ihre Lippen zitterten, sie war so blaß, daß e« selbst Marianne auffiel. „Werde nur nicht krank", sagte sie, „Du siehst ja schrecklich elend auS; ich glaube auch, eS ist am besten. Du bringst sie zu Bett, Liesa." Ottilie erhob sich, sie schwankte beinah«, und das Zimmer dreht« sich mit ihr im Kreist. Gottlob! MamaS Name war noch nicht genannt worden, dachte sie bei sich. ES war ihr, al« hätte sie eS nicht ertragen können, wenn man die geliebte Todte hier erwähnt hätte. Sie trat auf Tante Marianne zu und versuchte, ihr die Hand zu küssen. „Dummes Zeug", sagte diese und zog ihre braune, knochige Hand energisch zurück, „ich will hoffen, daß wir uns gut ver tragen, wenn Du länger hier bei uns bleiben solltest; wir sind schlichte Leute und reden, wie cs uns ums Herz ist. Zu Leid thut Dir hier Niemand etwas, wir müssen uns aber erst kennen lernen. Schlaf nur ordentlich aus und komm morgen mit rothen Backen herunter." Ottilie nickte unter verhaltenen Thränen und versuchte dank bar und freundlich auszusehen, was ihr aber nicht ganz gelang. Liesa nahm sie bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer. „So, nun sprich Dich aus", sagte Marianne, als die Thür sich hinter den Beiden geschlossen hatte, zu ihrem Bruder, „Deine Briefe sagten ja nichts, was denkst Du Dir eigentlich, wie soll es werden?" Fritz Röpke hatte sich im Sopha zuriickgelehnt und die Füße von sich gestreckt. Er sah seiner ältesten Schwester ähnlich, hatte dieselbe große Nase, aber ein volleres, aufgedunseneres Gesicht. Er blies jetzt die Backen auf, was seine Gewohnheit war, und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. „Pah, was werden soll, kann ich's denn etwa wissen?" ent gegnete er. „Einstweilen ist hier ja wohl in meines Vaters Hau« noch Platz für mich und mein Kind. Wenn solche Jammer zeiten kommen und es Pech vom Himmel regnet Jahr um Jahr, dagegen an soll einer wohl arbeiten. Ich hab die Schinderei satt, sag ich Dir. Ein Scandal ist's, daß sie mich stecken lassen. Freunde! Ja, Freunde hatte ich genug, als ich der reiche Herr Röpke auf Erlenmoor war, aber als sie merkten, daß es haperte und abwärts ging, da wurden sie flau, die Kerle, da steckte sich Einer hinter den Anderen, und zur Hilfe fand sich Keiner." Marianne saß da mit finsterem Gesicht und zuckte nur die Achseln. „Was gedenkst Du jetzt zu thun?" fragte sie kurz. „Meinst Du, daß au« dem Gut so viel herauskommt, daß die Gläubiger ihr Geld erhalten und für Dich noch etwas übrig bleibt?" „Ha! ha! ha!" Das dröhnend« Lachen erschallte wieder. „Du bist naiv", meinte er, „Gläubiger befriedigen, Geld übrig haben — bildest Du Dir ein, daß ich dann hier sähe?" „So — also nur die äußerste Noth trieb Dich zu uns", ent gegnete sie gereizt. „Na, die Blutsverwandten sind doch schließlich einem die Nächsten, und im Uebrigen brauchst Du Dich nicht zu ängstigen, ich suche mir etwas, hab' schon allerlei Pläne. Einem fingen. spekulativen Kopf wie dem meinen, dem fehlts nicht. Ich brauche nur eine Summe zum Anfang, die wird sich schon finden." „Und Deine Tochter?" „Bleibt hier einstweilen bei Euch, natürlich. Ihr habt ja Raum genug für sie, und das bischen, was sie bedarf, werdet Ihr ja wohl noch übrig haben, sollt ich denken. Was brauchen denn so ein paar Frauenzimmer, Ihr müßt ja in dieser Reihe von Jahren Capitalien gesammelt haben", setzte er lachend hinzu. „So — so — ja, wir leben von der Luft", sagte Marianne trocken, „und dieses vornehme, verwöhnte Dämchen, Deine Tochter, wird sich sehr behaglich bei. uns fühlen. Na übrigens — morgen weiter darüber, heute ist's spät, und wir sind Alle müde. Wir haben Dich oben in der Giebelstube einquartiert und Deine Tochter daneben, ich dachte, es wäre Euch so bequem." „Das ist egal, aber freilich — hier unten habt Ihr ja doch noch die gute Stube und eine Kammer dabei, ich dachte, Ihr wieset mir wenigstens zwei anständige Räume an." „Hier unten? Die gute Stube? Nein, das paßte mir nicht." Marianne nannte sich allein, Liesa zählte bei solchen Ge legenheiten nicht. Ein brummender Ton war die Antwort des Bruders, er nickte mürrisch „Gute Nacht" und begab sich mit wuchtigen Schritten nach oben, wo er, ohne seiner Tochter weiter zu gedenken, sich gähnend entkleidete und in sein Bett warf, daß es krachte. In der Kammer daneben saß Ottilie bei dem brennenden Licht, das die Tante ihr gelassen, allein. Sie hatte versprochen, sich gleich niederzulegen und einschlafen zu wollen, aber sie dachte nicht daran. Sie saß und starrte wie ein angstvolles Vögelchen die geweißten Wände an. Das Gemach war niedrig und schräg, die mit Federkissen hoch- gethürmte Bettstatt nahm den größten Raum darin ein. Ein hölzerner, mit grobem, reinlichem Linnen bedeckter Tisch war mit den nothwendigsten Waschgeräthen besetzt, ein kleiner Spiegel mit einem Erntekranz darüber und zwei Stühle bildeten das übrige Mobiliar. Sie sah das Alles beklommen an und kam sich vor, als ob der Alp eines furchtbaren Traumes auf ihr laste. Seitdem sie so jäh aus der Pension nach Hause gerufen worden war, dauerte schon dieser schreckliche Zustand. Damals, als sie die süße, heißgeliebte Mutter sterbend fand, hatte sie wild aufgeschrieen. Sie war ja ganz unvorbereitet, Niemand hatte sie ahnen lassen, wie es zu Hause stand. Die Mutter sorgte dafür, daß ihre Kindheit sonnig blieb. Wenn sie dem Vater gegenüber auch immer scheu gewesen war und nie ein rechtes Zutrauen oder gar eine zärtliche Neigung für ihn hatte fassen können, ja, wenn sie zuweilen auch
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