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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980225026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898022502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898022502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-25
- Monat1898-02
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. di« Abend»Au«gabe Wochentag« um b Uhr, Ledactio« und Erve-ittou: JohanneSgafie 8. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbroche» geöffnet vou früh S bi« Abend« 7 Uhr. Filiale»: VN« «klemm'« E«rtim. (AlfteS Haha), Uuiversität-strabe 3 lPaulinum), Laut« Lösche. Kathartnevstr. Part. und KöuigSplLL ?. BezugS.PreiS h« Hauptexpedition oder den <m Stadt, berirk und deu Vororten errichteten AuS» aabeslellen ab geholt: vierteljLbrlich^l4.öO. bei zweimaliger täglicher Zustellung m» Hau« b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich ^l S.—. Mirecre tägliche Kreuzbandienduug tu« Ausland: monatlich 7.S0. 101. Mend-Ansgabe eWMr.TagMM Freitag den 25. Februar 1898. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. «knzeigeu'Prei- die Sgespaltme Petitzeile 20 Ps^ checlamen unter dem Redactiou-strich (4ge spalten) bO^, vor den Familtenaachrichn« (6 gespalten) 40^. Srötzere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit d» Morgen«Ausgabe, ohne Postbeförderuu^ 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Aunahmeschluß für Anzeigen-. Abend-Ausgabe: Bormittag« 10 Uhr. -siorgeu-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet« an die -rpkhttian zu richten. Druck mid Verla, von E. Polz in LeltzziH 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Februar. Die gestrige erste Verhandlung der Flottcnvorlagc in der Budgetcommission des Reichstags bietet, obwohl hinsichtlich der wichtigsten marinetechnischen und strategischen Ausführungen des StaatSsecretairS Tirpitz strenge Geheim haltung anempfohlen und bis jetzt auch beobachtet worden ist, ziemlich reiche Ausbeute. Der Centrumsführer Abgeordneter vr. Lieber hat zwar, wie wir einem uns heute vorliegenden ausführlichen Berichte entnehmen, erklärt, daß er als Referent einen Vortrag halte, an dem der abstimmenve Abgeordnete in ihm keinen Antheil habe, und im Plenum ist diese Zweiseelentheorie für den Berichterstatter auch anerkannt und geboten; er muß über daS referiren, was sich in der Commission ereignet hat, und darf nicht Partei nehmen. Als aber Herr vr. Lieber gestern „reserirte", und zwar bevor ein Regierungsvertreter das Wort ergriffen hatte, war die Commission in Bezug auf die Flottenvorlage noch ganz geschichtslos und Herr vr. Lieber wird nicht sagen können, daß auS seinem einleitenden Bortrage nicht seine persönliche Ueberzeugung hervorgeleuchtet habe. Diese aber ist der Vortage nicht nur günstig, sie zwingt den „Bericht erstatter", zwingt den Abgeordneten geradezu zur Annahme der Vorlage, wie sie eingebracht ist; von unwesentlichen Einzel heiten etwa abgesehen. Nach der materiellen Seite erkennt der CentrumSführer an, daß dieZweisel, ob Deutschland zum Schutze seiner Küsten einer Schlachtflotte bedarf, behoben sind, daß die Zeit der technischen Erwägungen und Versuche abgeschlossen ist, und daß — diese Worte Lieber s betonen wir besonders — „eine abgeklärte Erkenntniß cher Aufgaben der Marine" der Vorlage zu Grunde liegt. Nach per formellen Seite räumt vr. Lieber ein, daß jetzt zum ersten Male die Schaffung eines organischen Gebildes vorgeschlagen werde und daß man deshalb den Plan der Negierung entweder ganz annehmen oder ganz „abthun" müsse; „auSschalten" lasse sich wenig oder gar nichts. Nach der „Germania" hat Herr Lieder noch den Ausdruck gebraucht: e'ost L prenckro vu ü Iui88vr. DaS ist zwar auch ein materielles Zugeständniß, aber seine vorwiegende, seine politische Bedeutung, liegt auf der formalen Seite. Wer anerkennt, daß es sich um einen Bau handelt, der nach dem vorliegenden Plane ober gar nicht hcrgestellt werden kann, der muß entweder den ersten Baustein verweigern oder die Fertigstellung des Gebäudes sicher stellen. Letzteres ist im vorliegenden Falle nur durch die Bewilligung des soge nannten SeptennatS zu bewerkstelligen. Nach Herrn Lieber's Ausführungen kann nicht nur, sondern muß ein Organismus an Stelle des bisherigen Nebeneinanderstellens oder auch Nichtnebeneinanderstellens von Schiffen geschaffen werden. Diese Schöpfung ist aber nicht möglich, wenn man das Gesetz so gestaltet, daß Gliedmaßen oder Ansätze von Glied maßen gebildet werden, die Vollendung des Ganzen aber beliebig unterbrochen oder ganz und gar aufgegeben werden kann. Zntellectuell und moralffck, d. h. unter dem GesichlS- puucte der parlamentarischen Pflicht, hat sich Herr Lieber gebunden. Ob er den Wunsch, daß die Ansichten über die Flottenfrage nicht als Prüfstein nationaler Gesinnung gelten sollen, im Interesse eines TheileS seiner Parteigenossen oder der „Linken" gemacht har, muß sich noch Herausstellen. Den Prinzen Are »berg hat er bei seinem Vorbehalt jeden falls nicht im Auge gehabt, denn dieser Abgeordnete hat seine Meinung offenbart durch die an Herrn Tirpitz gerichtete Frage, ob zu gewärtigen sei, daß ein künftiger Krieg zur See andere Ergebnisse bringen werde als die des Krieges von l870/7l. Die Antwort lautete dahin: „Die französische Flotte habe 1870 nicht gewußt, was sie wolle, sie sei weder ent sprechend gerüstet noch organisirt gewesen; man sei aber durchaus sicher, daß dies jetzt anders sei." Nach diesem Verlaufe der Beratbung ist eS erklärlich, daß Herr Eugen Richter der Anregung deS Herrn v. Bennigsen, die Stellung seiner Partei zur Vorlage zu präcisiren, keine Folge gab. Er war anscheinend — und diese Annahme wird durch kurze unwirsche Bemerkungen der „Freis. Ztg." be stätigt — unangenehm überrascht worden. Bis zur nächsten Sitzung, so giebt er zu verstehen, werde er die Sprache wieder gefunden haben, denn diese werde „die formelle Seite des Flottengesetzes, also die Bindung des Etatsrechts, zum Gegen stände haben". Die formelle Seite bildet aber, wie schon be tont, die von Herrn Lieber bereits bejahte Frage: ob das Reich seine Seemacht nach einem festen Plane ausbauen muß. Ein Loblied auf den politischen Handel und den Militarismus hat kürzlich der — svcialdcmokrattsche Candidat für den 3. Berliner Reichstagswahlkreis, Rechts anwalt Heine, gesungen. Man hatte ihm das im Kreise der „Genossen" übelgenommen, aber nachdem der Wortlaut seiner Rede vorlag, hat die socialdemokratische Reichstags- fraction am 23. d. folgenden Beschluß gefaßt: Nachdem die Fraction aus Grund der Erklärungen des Genossen Heine sich überzeugt, daß der Gedanke ihm fern gelegen hat, sich mit dem herrschenden System in eine Kompen» sationspolitik einzulassen, und daß er durchaus aus dem Standpunct der bisherigen Taktik der Partei und der Fraction steht, erklärt die Fraction, daß für sie die Angelegenheit befriedigend erledigt ist. Herr Heine will zwar politische Handelsgeschäfte machen und er will auch ein großes Heer, aber das Erstere nicht mit einer Regierung wie die heutige und daS Letztere überhaupt nur für den ZukunstSstaat. Nur der ZukunftsmilitarismuS in seinen Ausführungen ist interessant. Herr Heine meint: „Ich kann die Augen nicht davor verschließen, daß wir noch nicht in der Periode des ewigen Friedens leben, daß wir, soviel vorauszusehen ist, auch in hundert Jahren noch nicht so weil sein werden. Je mehr die StaatSeinrichkungrn der westeuropäischen Nationen demokratischer werden, umsomehr hat Las absolutistische ilawische Rußland ein Interesse, uns zu unterjochen, umsomehr werden wir also Gewehr bei Fuß stehen müssen. Deshalb werden wir Socialdemokraten wohl auch, wenn wir einmal die Herr- schast im Lande haben, unS durch den principiellen Abscheu vor dem „Militarismus" nicht davon abhalten lassen können, Gewehre und Kanonen zum Schutze unserer eigenen Freiheit anzuschaffcn." Vorher hatte Herr Heine erklärt, daß er heute wie keinen Mann, so auch keinen Groschen bewilligen würde, „auch daS nicht, was für die Armee unbedingt nötbig wäre", also auch keinen Groschen für Bewaffnung rc. Mit anderen Worten: Deutschland darf und soll dem absolutistisch slawischen Rußland — man sieht, mit dem Verzicht auf den Internationalismus gebt sogar die Wiederaufnahme der Rassen theorie Hand in Hand — preisgegeben werden, bis die Social demokratie die Herrschaft an sich gerissen hat. Dann muß es sich wehren. Herr Heine gebt der Frage auS dem Wege, ob Rußland bis dahin nicht vielleicht aufgehört haben könnte, absolutistisch zu sein. Das mag hingeben, aber daß er daö mitFrankreich verbündete Rußland als den Feind des demo kratischen Westeuropas bezeichnet, ist eine selbst im social demokratischen Lager unerhört plumpe Speculation auf die Gedankenlosigkeit des PublicumS. Aber von Rußland gar nicht zu reden: meint Herr Heine, die deutschen Arberler wüßten nicht, daß daS demokratische und daS socialdemo- kraliscbe Frankreich nichts sehnlicher wünscht, als mit dem absolutistischen Rußland jetzt, nicht nach 100 Jahren, über Deutschland herzufallen? Und meint er, die deutschen Arbeiter seien dumm genug, zu wünschen, daß in einem von Rußland und Frankreich unterjochten Staate — Herr Heine gebraucht selbst dies Wort — die Freibeit, die er meint, heranreisen möge? Die Webrlosmachung deS heutigen Deutschlands, wie er sie proclamirt, wäre eine Einladung an Rußland, das zu thun, was Herr Heine von ihm für das socialdemokratisch gewordene Deutschland befürchtet. Mit der von ihrer Reichstags- fraction gebilligten Theorie, daß nur ein socialdcmokratisches Deutschland der Bertheidigung Werth sei, stellt sich die Social demokratie aufs Neue außerhalb der nationalenGemeinschaft und in um so gehässigerer und verächtlicherer Weise, als gerade jetzt in Frankreich das demokratische Princip, Recht und Ge rechtigkeit, Freiheit und Sitte mit Füßen getreten werden, lediglich um des Werkzeuges willen, mit dem dort Socialisten wie Nicktsocialisten in Gemeinschaft mit Rußland „uns" zu unterjochen hoffen. Die Rede deS Herrn Heine und der Beschluß der socialdemokratischen ReichslagSfraction vom 23. Februar werden zu den Acten genommen werden. Ebenso wenig wie der AuSgang des Zola-ProccffeS über raschen konnte, vermag es das Schicksal der mit ihm zu sammenhängenden Interpellationen in der Kammer. Allerdings mußte der Kriegsminister Billot zugeben, daß die Generäle nicht auf seinen Befehl in die Verhandlungen ein gegriffen hätten — ob auch ohne seine Genehmigung, darüber schwieg er sich, obgleich die Anfrage auch dahin präcisirt war, aus — und daß einer derselben (gemeint ist der GcneralstabScbef Boisdeffre) „zweifellos ein Wort zu viel gesagt" habe, allein, wenn auch dadurch unsere An nahme von einer tiefgehenden Differenz zwischen Mi nisterium und Generalstab officiell bestätigt wird, der für die Regierung so ungemein günstige Verlaus deS Zola- ProccsseS läßt diese nichtsdestoweniger über diesen im Grunde doch höchst bedenklichen Zwiespalt hinwegsehen und macht sie zu Vertheidigerin der unerhörten militairischen Eingriffe in den Gang der Justiz, die sie mit der Erregung der angeblich in ihrer Ehre verletzten Officiere zu entschuldigen sucht. Ministerpräsident Moli ne war es, der daS jesuitische Kunststück deS sacriticium intellectug in anbelender Stellung vor dem Götzen Chauvinismus fertig brachte, Möttne, dessen Nüchternheit, Ruhe und Vor sicht so viel gepriesen wird, war eS, der um den Beifall deS Heeres und aller Franzosen buhlte, welche die verlorenen Pro vinzen noch nickt vergessen haben, indem er nach dem wiederholten Hinweis auf daS „triumphirende Ausland" sagte, die französischen Officiere würden von ganz andern Träumen angesta chelt, als von Haß gegen das eigene Vater land, Meline war eS, der den Muth halte, von Intoleranz auf Seiten der Dreyfusfreunde zu sprechen, wo diese doch offen kundig auf der Seite der Vertreter der starren StaalSraison,deS Revanche-Patriotismus und der Unverschämtheit des Säbels ist, Meline endlich war es, der nicht bloS, wie uns über den Verlauf der gestrigen Interpellations-Debatte weiter berichtet wird, auf eine Frage Castelin's erwiderte, die Regierung werde das DreyfuS-Syndicat „innerhalb der Grenzen der bestehenden Gesetze" zur Verantwortung ziehen, nachdem er vorher gedroht hatte, sie werde, falls die Agitation weiter gehe, und die bestehenden Gesetze nicht auSreichten, andere, also Ausnahmegesetze verlangen. Alles das ließ die Kammer der französischen Republik sich nicht blec sagen, sie beklatschte eS, votirte der Regierung daö Vc> trauen mit einer kaum jemals dagewesenen Majorität uur beschloß, die Rede Möline'S überall im Lande anschlagcn zu lassen! Das ist ein weiterer Schritt auf dem Wege zu dem Ideal, von dem ein Republikaner nicht träumen sollic. Der sccialistiscke Deputirte Roche interpellirte über den au geblichen Schritt, welchen der Intendant Martini im Namen des Kriegsministers Billot bei der Familie Dreyfuo unternommen hätte, und griff das Kriegsgericht an, welches der Henker der gemeinen Soldaten sei. Der KriegSministee General Billot antwortete, er habe niemals Jemanden zu der Familie DreyfuS gesandt und er sei niemals Sckeurer-Kestner's Gefangener gewesen. Er protestirte mit Entrüstung gegen die Unterstellungen, deren Gegenstand er gewesen sei, und verlangte einfache Tagesordnung, welch: von der Kammer mit 428 gegen 54 Stimmen an genommen wurde. Jene Unterstellungen beruhten thal sächlich nur auf Gerüchten und sind nie erwiesen worden. Deshalb muß man auch zugestehen, daß der Kriege Minister sein Vertrauensvotum verdient hat, mehr jedenfalls als sein College Msline. Auch im Senat sollte in der Zola-Angelegenheit interpellirt werden. Senator Fabre wünschte den KriegSminisier wegen der Wort: zu befragen, welche der Generalstabschef BoiSdeffrc vor dem Schwurgericht gesprochen hat, wegen der Abwesen heit Billot'S mußte jedoch die Interpellation aufgeschoben werden. Den Blättern zufolge beschloß Zola, dem Cassations hofe dieNichtigkcitsbeschwerde gegen seine Verurtbeilung zu überreichen, und gleichzeitig wird bekannt, daß heute dac Urtheil über Oberst Picquart gefällt werden wird, daS nach allgemeiner Annabme auf Pensionirung lauten dürfte. Das ist Stoff genug, Paris weiter in Aufregung zu erhalten. Die Actien Deutschlands zum Schutze der christlichen Missionen in Lstasicn ist in Frankreich vom Anbeginn an mit unfreundlichen Blicken betrachtet worden und es hat daher dort unangenehm berührt, daß der Vatican diese Action im Gegentheile mit ausgesprochenem Wohlwollen beobachtet. Es war unter diesen umstanden vrwauSzusehen, daß Frankreich, als Protektor der katholischen Kirche in Ostasien, beim Vatican irgend einen Schritt unternehmen würde, um seinen Einfluß in dieser Beziehung un geschmälert zu erhalten. Wie nun verlautet, wird der französische Botschafter beim Vatican demselben dem nächst Vorschläge unterbreiten, welche aus eine Abgrenzung der ActionSsphäre der deutschen Regierung in Bezug auf die katholischen Missionen in China abzielen. In erster Linie soll es dem Pariser Cabinet darum zu thun sein, daß durch den Vatican fcstgestellt werde, daß das Vorgehen DeuischlandS keinen Präcedenzfall für die anderen Regierungen bilden dürfe, welche die Absicht hegen sollten, auch ihrerseits das Schutzrecht über ihre Missionare in Ostasien zu bean spruchen. Frankreich steht eben auf dem Standpuncte, das; dieses Protektorat ausschließlich von ihm auSgeübt werden dürfe. In kirchlichen Kreisen Roms ist man der „Pol. Corr." zufolge der Ansicht, daß der Vatikan diesen Forderungen gegenüber eine rein passive Haltung einnehmen werde. Der Vatican werde übrigens kaum unterlassen, in dem Meinungsaustausche hierüber darauf hinzuweisen, daß eS ihm viel leichter wäre, in dieser Angelegenheit zu interveniren, wenn er in Peking eine diplomatische Vertretung hätte, gegen deren vom Vatican leb haft gewünschte Errichtung das Pariser Cabinet seinerzeit Feuilleton. Durch eigene Kraft. 11s Roman von Alexander Römer. Nachdruck verboten. „Sie sehen es wohl selbst ein, Fräulein", sagte Lüowig's Stimme, „daß an ein Gehen draußen für Sie nicht zu denken ist. Sie müssen mir es also schon erlauben, Sie zu tragen." Sie fuhr einen Moment zurück, aber er hatte sie schon wie ein Kind auf seine starken Arme genommen; einen Moment begegneten sich ihre Augen bei dem Licht der Flurlampe, sie sah den ernsten und doch so weichen Ausdruck in seinem Gesicht, und sie fühlte sich hilflos. Sie sagte nichts mehr. Als die rauhe Luft draußen sie um fing, legte sie -unwillkürlich den Arm um seinen Nacken, um sich fester zu halten, und so stieg er mit ihr di« Stufen hinab und trug sie bis über die Straße in das Haus der Tanten. Be hutsam setzte er sie 'dort auf der Hausdiele zu Boden, nachdem er die Hausthür geschlossen hatte. Marianne kam aus der Küche und Lief« hinter ihr her. Ottilie sah die Gestalten wie durch einen Nebel und hört« ihre Reden nur wie «in dumpfes Stimmengeräusch. Ludwig Heidemann's Arm hielt sie noch, schob und trug sie mehr, als er sie führte, bis -um Sopha in der Wohnstube. Verschiedene Hände nahmen ihr den Hut und. das festgeknüpfte Tuch ab, und nun unterschied sie Ludwig's Stimme dicht an ihrem Ohr: „Schlafen Sie wohl, Fräulein, hoffentlich ist Ihnen nicht kalt geworden auf dem Wege." Sie blickte zu ihm auf und flüsterte: ^Jch dank: Ihnen!" Wie seltsam! — sein« Augen leuchteten förmlich, seine Gestalt aber war verschwunden, und ihr war so köstlich ruhig zu Muth«. Sie versuchte indeß, den Bann abzuschütteln, und sich auf ihre Füße zu stellen, was durchaus nicht gelang. Die sank kraftlos zurück, während ihre Sinne klarer wurden. Ludwig Heidemann war verschwunden, Tank Marianne hielt sie umfaßt und stützte sie, und Liesa eilte geschäftig hin und her. „Kind, waS machst Du für Geschichten", sagt« Tante Ma rianne, „wer kann auch nur denken, daß «in vernünftiges Mädchen in solchem Wetter stundenlang umherläuft." „Ach, Tante, sei nur nicht böse — ich wußte gar nicht —" „Marianne, schilt sie jetzt nicht, sie ist gerade elend genug", rief Liesa aus der „guten Stube" nebenan heraus, und durch Ottiliens Kopf irrte der Gedanke, was sie da zu thun haben möge. „Ich muß wohl hinauf und ins Bett", meinte si«. „Ja, hinauf in die kalte Kammer, das ginge nun wohl wirklich nicht", sagte Liesa, die jetzt neben ihr stand, „und die Heidemann sammt ihrem Ludwig steinigten uns ja wohl, wenn wir Dich da schlafen ließen. Komm nur, Dein Bett ist warm, und das Feuer brennt lustig im Ofen; fasse sie mit an, Marianne, damit wir sie rasch hineinbringen." Marianne faßte sie mit an, und so trugen die Beiden sie in die Putzstube, in di« man ein B«tt gestellt hatte. Ottilie war wie im Traume. Si« widerstrebte nicht und sprach nicht. Sie war bald entkleidet und lag in den weichen Kiffen. Ach, wie das wohlthat! Verwundert, mit großen, fieber glänzenden Augen folgte sie dm Bewegungen Tante Marian nens. Beim flackernden Scheine der kleinen Kerze sah diese grotesk aus. Sie wickelte Ottiliens Füße in die warme Decke und legte ihr ein nasses Tuch um dm Kopf. Dann streichelte sie sie mit ihrer schwieligen Hand, das hatte sie noch nie gethan. „So — nun gute Nacht, hoffentlich wird das Fieber morgen vorüber sein; Liesa schläft hier bei Dir, nun versuche, ein- zuschlofm." Ottilie lachte plötzlich, sie fürchtete sich heute Abend gar nicht vor Tante Marianne, und es war Alles so komisch. „Was stellt Ihr eigentlich mit mir auf, und wie komme ich dazu, in der besten Stube zu schlafen?" „Ja, das hast Du ganz listig angefanqen", entgegnete Tante Marianne und lachte ebenfalls — sonderbar — sie hatte Tante Marianne noch nie lachen sehen. Sie träumte gewiß oder phon- tasirt«. Aber da war Liesa, gang leibhaftig, und sing an, sich auszuziehen, und sich «n Lager auf dem Sopha herzurichten. „Tante Liesa!" rief Ottilie. Auf den Zehen schlich diese heran. „Sag mir doch blos, wie dies Alles zugeht, da brennt ja das Feuer im Ofm, und wie kommt Ihr darauf, Eure best« Stube für mich herzugeben?" „Ja, wie kommm wir dazu?" entgegnete Liesa, leise lachend. „Hättest den Ludwig Heidemann sehen sollen, der weiß Einm in Tritt zu setzen! Mitten aus der Wäsche hat er uns heraus geholt, selbst Mariann« brachte er inS Laufen." „Ludwig Hetvemann", wiederholte Ottilie, und starrte vev- ständniß loS in Liesa'S Gesicht. „Ja, Ludwig Heidemann. Er brachte ja die Nachricht, daß Du bei seiner Mutter lägest und krank wärest. Und da hat er hier das HauS auf den Kopf gestellt, selbst hat er dir Betten heruntergetragen und mir geholfen, Deine Bettstelle hier auf zuschlagen. Er weiß ja mit Allem zu helfm, das ging nur so im Umsehen. Wir mußten Alle mitrennen und Wäsche Wäsche sein lassen. Wenn der mal die Herrschaft kriegt, das wird ein Strammer." „Liegst Du gut so?" fragte Liesa noch. „Ein Federbett durften wir Dir auch nicht geben, eine Steppdecke mußte es sein." Ottilie nickte und ihre Augen blieben geschlossen. Es klopfte so wild in all ihren Pulsen. Und dabei klang es vor ihren Ohren wie Musik, und Bilder gaukelten auf und ab. Ihre Mutter war es, lvelche fragte: „Liegst Du gut so?" und dann dieses braune Männergesicht und die warme Stimme: „Schlafen Sie wohl!" Liesa legte sich leise nieder, sie horchte noch ein paar mal nach dem Kinde hinüber, ehe sie das Licht löschte, aber sie war selbst sehr müde von dem anstrengenden Waschtag und be ruhigte sich dann. „Sie hat sich erkältet", dachte sie, „es wird schon vorüber gehen. Was der Ludwig für Aufhebens machte! Ja, wenn man jung und hübsch ist!" Sie seufzte, legte sich auf die andere Seite und schlief ein. Elftes Capitel. Frau Heidemann kam gleich am anderen Morgen, nach ihrem Pflegling zu sehen. Mit ihr leuchtete ein Sonnenstrahl in das Zimmer — ein wirklicher von draußen, denn nach dem Schnee treiben der Nacht war das Wetter klar geworden — Ottilien aber war es, als ginge der Sonnenstrahl von dieser breiten Gestalt aus. Di« Nacht hatte ihr keinen ruhigen Schlaf gebracht, nur bunte, wirre Fieberträume; die arme Liesa war durch ihre lauten Reden ein paar Mal aufgestört worden und hatte dann neben ihr auf dem Bettrande gehockt, ohne daß sie sie erkannte. So lag si« heute Morgen recht matt in ihren Kissen, der Kopf schmerzte, aber die Sinne waren klar. Die ganze Erkältung kam tüchtig zum Ausdruck, sie mußte ruhig im Bett liegen bleiben, und hatte es ja so gut wie eine Prinzessin, wie sie dankbar versicherte. Mutter Heidemann, eine erfahrene Pfle gerin für alle Kranke rm Dorfe, fühlte ihr den Puls, besah dir Zunge und meinte, der Zustand sei wohl rin bischen gastrisch. Tie war aber auch der Meinung, «m Arzt sei noch nicht nöthig, einstweilen wisse sie selbst noch ganz gut, was hier zu thun sei. Ottile plauderte heute Morgen sehr vertraulich mit der ihr gestern noch ganz fremden Frau, viel lebhafter und vertraulicher, als sie es in all diesen Wochen je mit den Tanten gekonnt hatte. Ja, rS überkam sie rin gewisser iibermiithigrr Humor, der sich lange nicht mehr bei ihr gezeigt hatte. Sie lachte über die Ueber- rumpelung der Tanten, welche mitten in ihrer Arbeit gestört und zu so unerhörten Anstalten getrieben worden waren. „Das ist ein Wunder, welches Herr Heidemann da voll bracht hat", sagte sie schelmisch, und sah sich scheu um, ob auch eine der Tanten sie höre. „Wenn ich hier unten bleiben dürfte", meinte sie, „meine Kammer oben ist grausig kalt." „Still, still, Kind, das wollen wir schon machen", flüsterte Frau Doris, „da soll Vieles anders werden. Die beiden Alten meinen es nicht schlimm, sie sind nur so schwerfällig und ver stehen es nicht besser." „Papa und ich sind ihnen ja auch eine rechte Last", sagte Ottilie plötzlich ernst und traurig. Last? Solch ein herziges junges Mädel sollte eine Last sein in irgend einem Hause?" rief Mutter Heidemann entrüstet. „Nein, Kind, da müßte böser Wille vorliegn von beiden Seiten. Eine Lirst, ein Segen, ein Sonnenstrahl sollen Sie hier noch werden, seien Sie nur erst wieder gesund! Ach, wie oft habe ich mir eine Tochter gewünscht, der liebe Gott hat mir keine be schert. Na — er hat mir meinen Ludwig gegeben, der zählt freilich doppelt." Ottiliens Hand lag in der ihrer Pflegerin. „Wenn ich wieder gesund bin, will ich mich anders zu den Tanten stellen", sagte sie bewegt, „Sie haben Recht, an mir liegi's, ob ich ein« Last oder eine Hilfe bin." „Ach, Sie kleines liebes Seelchen! Sobald Sie wieder frisch sind, lernen Sie bei mir Ims Kochen, und dann machen Sic später den Tanten das Leben bequem." Ottilie lächelte wehmüthig. „Welch einen dummen, un geschickten Lehrling werden Sie l^aben!" Ottiliens Vater trat ein, und die Krugwirthin entfernte sich. Der alte Röpke war gestern Abend erst nach Hanse gekommen, nachdem seine Tochter schon zur Ruhe gebettet war. - Er hatte mit dem Inspektor und dem Förster Scat gespielt und heute früh erst von den Vorgängen erfahren. „Sieh, sieh!" sagt« er, „also haben sie sich endlich dazu verstanden, Dir hier unten ein anständiges Quartier zu geben. Ich wollte nur, sie gäben mich mir rin anderes anstatt des Hundrlochs da oben." Darauf beschränkte sich seine Theilnahme für die Krankheit seiner Tochter. Nach einer Woche etwa konnte Ottilie das Bett verlassen. Die Fieberanfällr waren noch allabendlich wiedergekehrt, hatten nun aber nachgelassen. Die junge Natur half sich ohne Arzt und Medikamente unter der vorsichtigen Behandlung, die Mutter Heidemann überwachte. Ottilie saß, recht blaß, mit dunsten
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