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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.01.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980127028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-01
- Tag1898-01-27
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Wahrscheinlich feierten die fehlenden Mitglieder der Majorität im Voraus ein Siegesfest. Sie geben sich bereits der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß ihre Reiben auf Kosten der Nationalliberalen um die Kraft des BündlerS Lucke- Patershausen verstärkt werden, der freilich bisher den Witzblättern ergiebigeren Stoff als den ernsthaften politischen Organen gegeben hat. Er kommt bekanntlich im Reichstagswahlkrcise Homburg-Kusel, der durch den Tod des nationalliberalen Abgeordneten Or. v. Mar- quardsen frei geworden ist, mit dem nationalliberalen „Agrarier" Schmitt »Reichend ach in die Stichwahl, und die „Germania" hat zur höchsten Genuglhuung des „deutschen" Freisinns die Parole ausgegeben, daß die 3572 Wähler, deren Stimmen bei der Hauptwahl einem ultramontanen Candidateu zugefallen waren, sammt den 839 Social demokraten Herrn Lucke zur Hilfe eilen sollen, um ihm das Mandat zu verschaffen, nur damit der „nationalliberale Ring" der Pfalz gesprengt werde. Ein pfälzisches national liberales Organ, das sich, wie der anmuthige klerikale Stil lautet, mit der Vermuthung „hervorwagl", die Ultra montanen würden Gewehr bei Fuß halten, wird höhnisch abgewiesen; „daS Centrum wird für den Bündlercandibaten stimmen". Wir haben es nicht anders erwartet; ein Politiker von Schlag des Herrn Lucke ist in der That die Persönlichkeit, wie sie für diesen Reichstag von Centrums gnaden paßt. Zn einem Reichstage mit einem klerikalen Präsidium, dem fast Tag für Tag nachgewiesen wird, daß es kaum Ordnung hallen kann ; in einem Reichstage, der tagaus tagein beschlußunfähig ist; in einem Reichstage, in dem die „ausschlaggebende" Partei so zerrissen ist, daß sie in den Lebensfragen der Nation Monate braucht, um dann ein feierliches Bekenntniß ihrer Rathlosigkeit abzulegen; in einem Reichstage, den ein Ahlwardt als rügender Censor über parlamentarische Sitte belehrt — ist in der That ein Agitator wie Herr Lucke der rechte Mann am rechten Platz, und bas Centrum handelt nur consequent, wenn es solche Leute zu sich holt. Wir verstehen nur Eins nicht: warum daS Centrum gegen die bayerischen Bauernbünde und gegen die Bauern am Rhein so herausfordernd auftrttt. Was diese an Beschwerden gegen das Centrum vorgebracht, ist doch von Herrn Lucke-PaterShausen bei Weitem über trumpft; und ein Centrumsmann, der für diesen stimmt, kann doch ebensogut in allen CentrumSehren für vr. Sigl und für Wieland eintreten. Bei der Abneigung der pfälzischen Bevölkerung gegen den UltramontaniSmuS steht übrigens der Sieg des Herrn Lucke noch bei Weitem nicht so fest, wie die Majorität des jetzigen Reichstages anzunehmen scheint. Die Parole „gegen gewerbsmäßige Agitatoren und Ultramon- tanismuS" ist in der Pfalz die schlechteste nicht. Wenn daher wirklich diejenigen Majoritätsmitglieder, die man gestern im Sitzungssaale nicht sah, eine Siegesfeier im Voraus gefeiert haben, so ist es leicht möglich, daß sie nächstens wegen einer Trauerfeier zu „schwänzen" sich gezwungen sehen. Der neue Staatssecretair des Neichspostamts von Podbielski hat bisher in der Budgetcommission des Reichstages eine freundlichere Aufnahme gefunden, als man nach den. Commentaren, von denen seine Ernennung begleitet worden war, hätte annehmen müssen; ja, man wird die Behandlung, die ihm zu Theil geworden ist, eine freundlichere nennen können, als die, die in den letzten Jahren seinem großen Vorgänger widerfuhr, der allmählich in ein recht ge spanntes Verhältniß zu der Commission gerathen war. Voraussichtlich wird auch im Plenum die Discussion mit Herrn von Podbielski nicht den gereizten Ton annehmen, der im Verkehr zwischen Herrn von Stephan und der Mehrheit des Reichstages leider seit Jahren zur Gewohnheit geworden war. In einem Puncte aber, der Herrn von Podbielski persönlich berührt, hat sich die Commission recht unfreund lich gezeigt, und es scheint so gut wie sicher, daß das Plenum sich der Commission anschließcn werde. Es ist nämlich die Erhöhung des Gehalts des StaatSsecretairs von 24 000 auf 30 000 .L davon abhängig gemacht worden, daß die Postniitcrbcamte» und die Lanübrieftriiger schon in diesem Jahre eine Gehaltserhöhung von je 100 -><( erhalten. Die „Köln. Ztg." ereifert sich gegen diesen Commissions beschluß; nach unsrem Dafürhalten hat aber die Commission nicht nur daran recht gethan, daß sie auf der Er höhung des Gehalts dieser Beamten bestand, sondern auch daran, daß sie diese Gehaltserhöhung mit dem Gehalte des Leiters der Postverwaltung in Verbindung brachte. Die Regierung will theils aus formalistischen, theils wohl aber auch aus fiskalischen Gründen die GehaltSverbesse- rung dieser unteren Beamtenkategorien noch um ein Jahr hinausschieben. Nun bedeutet aber für Den, der mit 700 bezw. 900 noch ein Jahr lang auskommen soll, die Hinausschiebung der Gehalts erhöhung auf 800. L bezw 1000 eine viel schwerere Ent sagung, als die Hinausschiebung einer Gehaltserhöhung von 24 000 auf 30 000 --i(, denn gewiß ist der Unterschied von 6000 bei einem JahreSgehalt recht wesentlich für die Lebenshaltung, die ein hoher Beamter sich gestatten kann, aber der Unterschied von 100 ist doch noch wichtiger für Den, der mit seinem niedrigen Gehalte von 700-el! überhaupt kaum ein menschenwürdiges Dasein führen kann. Lange genug haben die Postunterbeamten und die Landbriefträger einen ihre Kräfte aufreibenden und in einem gewissen Maße auch ver antwortungsvollen Beruf bei einem Gehalte ausgeübt, das dem Einkommen eines leidlich bezahlten Arbeiters einer mittleren oder größeren Stadt nickt gleichkommt. Dabei steht der Arbeiter außerhalb seiner Thätigkeit unvergleichlich freier da, insbesondere in politischer Beziehung, als ein kleiner Beamter. Daß die schlechte Besoldung der Postunterbeamten nicht dazu beigetragen hat, sie politisch zu sicheren Stützen der bestehenden Gesellschaftsordnung zu macken, ist offenkundig, und deshalb liegt es gerade im Interesse derjenigen Parteien, die diese Gesellschaftsordnung gegen die socialdemokratische Wühlarbeit aufrecht erhalten wollen, den Beamten auch der unteren Kategorien ein erträgliches Dasein zu verschaffen. Es hätte für den neuen Staatssecretair, der zum ersten Male den Postetat vertheidigt, keine bessere Einführung geben können, als wenn er selbst die Einstellung der höheren Gehaltssätze für die Unterbeamten und die Landbriesträger durchgesetzt hätte. Nachdem die Reichstagscommission nachgeholt, was er verabsäumt hat, wird er jedenfalls wohl daran tbun, sich für den Standpunct der Regierung nicht allzu eifrig einzusetzen. Das von der Regierung vorgeschlagene Compronnß der früheren dauernden Anstellung der Unterbeamlen wird der Reichstag wohl als unzureichend ablehnen. Die Erklärungen des Fürsten Hohenlohe gegen die föderalistischen Bestrebungen der polnischen Pro paganda haben das österreichische, schon äußerst über- mütbige, Poienthum sehr empfindlich getroffen. Die nächste Wirkung ist selbstverständlich allgemeine Empörung. Die Führer des Polenthums in Lemberg und Krakau versichern, daß sie nunmehr gezwungen seien, auch dem Deutschthum in Oesterreich sich entschieden feindlich entgegenzustellen. Es ist jedoch die Frage, ob offene Feindschaft nicht erträglicher ist, als daS bisherige heimtückische Lauern mit gelegentlichen Liebesversicherungen und thatsächlichen Ueberfällen, wo irgend die Deutschen geschädigt werden konnten. Man kann doch unmöglich feindseliger gegen das österreichische Deutschthum auf treten, als der berüchtigte Abrabamowitsch, der verflossene Abgeordnetenhaus-Präsident, der eben erst von den Häuptern und Führern des Lemberger Landtages als Held gefeiert wurde, während von polnischer Seite seit Schluß des Reichsraths nicht das Geringste geschehen ist, um den verbündeten Tschechen eine versöhnlichere Haltung nahezulegen. Es wäre daher wohl schwer gewesen, die Feindschaft des Polenthums gegen die österreichischen Deutschen zu steigern, und waS die Dreibund- Politik anbetrifft, so wird abzuwarten sein, ob die Polen sich wirklich getrauen, künftig, wie man sie drohen hört, gegen sie aufzutrct'en. Die dadurch etwa herbeigefübrte Klärung wäre für sie selber höchst unvortheilhaft. Wer weiß, ob nicht schließ lich doch eine Dämpfung der übermüthigen Schlacht» Galiziens, die sich heute so zornig gcberdet, nachfolgt. Hat in Russisch-Polen die industrielle" Thätigkeit Reichlhum und einen polnischen Lürgerstaud geschaffen, der nachgerade zum wirthschaftlichen Mittelpunkt des ganzen Polenthums sich entwickelt, so besteht jenes galizische Polcnthum, welches das Cenlrum der po litischen Agitation bildet, doch eigentlich nur aus einer Avelskaste, die trotz aller Beihilfe auS dem österreichischen StaatSscckel noch immer schwach ist und durch daS neue Wahlrecht der fünften Curie und durch das Ruthenenthum leicht in ernste Bedrängniß gebracht werden kann. Das klerikal-feudale „Vaterland" versichert zwar gegenüber dem Fürsten Hohenlohe, Oesterreich habe bewiesen, wie man die Polen zu " getreuen Staatsbürgern und „zuverlässigen Der- theidizern der Einheit der Monarchie" erziehe, durch Wohl wollen u. s. w. Sonst hat man jedoch nichts von ihrem Eintreten für die Einheit der Monarchie bemerkt. Auch wandte sich Fürst Hohenlohe nur gegen föderalisirende Ten denzen beS Polenthums ohne nähere Angabe. Warum fühlen sich denn die polnischen Jesuiten in Oesterreich dadurch gar so sehr getroffen? Immer toller werden die Capriolen der französischen Presse in der Dreyfus-Assaire, soweit sie an chauvinistischer Paralyse leidet: von Bülow's Erklärungen hat sie um allen Verstand gebracht. Lucien Millevoye, der Würgengel der „Patrie", sieht darin die Hand deSKaiserS, des angeblichen Lohengrin, unter dessen Visir daS Antlitz Macchiavelli's hervorschaue; er stelle ein deutsches Wort de n französischen entgegen, fordere dadurch Frankreich herauo. Wir erfahren dabei, daß der arme Bleichröder aus seinem Grabe heraus mußte, um im vorigen December dem Sv dicate die Anweisungen Wilhelm's II. zu überbringen, daß ferner, trotz der Freisprechung Esterhazy's, der Verleumdung^- kampf gegen die französische Armee fortgesetzt werden soll, und zwar war Zola dazu bestimmt, durch sein Schreiben an den Präsidenten den Funken in das Pulvermagazin zu werfen. Ebenso heftig eifert im „Jour" ein angeblicher Diplomat gegen diese Einmischnng Deutschlands in die inneren Angelegenheiten Frankreichs: „Deutschland", io schreibt er, „zwingt uns also seine Spione aus und unter sagt uns, die von ihm bezahlten Derräther zu bestrafen." Im „Petit Journal" veröffentlicht Judet einen vollständig verworrenen Artikel, aus dem man nur entnehmen kau::, das Judet glaubt, Deutschland suche den Krieg und treffe seine Dispositionen, um nicht in einer ungünstigen Stellung überrascht zu werden. Deutschland wolle Reckt bekalten der Wahrheit zum Trotz, um dann Frankreich anklagen zu können, daß dieses daS Wasser trübe. Die Ge schichte, welche v. Bülow erzähle, sei nicht die Wahrheit, ein fach deshalb, weil es preußische Wahrheit sei. v. Bülow stelle sie hin wie eine Herausforderung. Judet deutet schließ lich ebenfalls dunkle Zusammenhänge an, die wahrschen: lich zwischen Bülow und Zvla bestehen. Aves Guyot im „Siöcle" ist der einzige, der vernünftig und sachlich die Er klärungen v. Bülow's bespricht. Guyot richtete einen offenen Brief an Hanotaux, in dem es heißt: „Fühlen Sie nicht. Herr Minister, welche lächerliche Rolle Frankreich spielt, indem eS 'einen Mitbürger als Verräther behandelt, von dem die deutsche Regierung versichert, er babe nie in Diensten Deutschlands gestanden? Sie können aucb nicht sagen, daß diese Versicherung nicht zählt, weil sie von einem deutschen Minister abgegeben ist; renn Sie wissen, daß eine Regierung niemals ihre Spione deckt. Spione bandeln aus eigene Gefahr, kein Minister irgendwelchen Landes compromittirt sich für sie und setzt sich einem Dementi aus." Aves Guyot geht nun insofern zu weit, als er aus der Erklärung von Bülow's, Deutschland habe niemals in Beziehungen zu Dreyfus gestanden, sofort den Schluß zieht, Dreyfus sei damit von dem Verdacht der Spionage überhaupt befreit. Das liegt in den Worten des deutschen Staatsmannes durchaus nicht und soll nicht darin liegen. Die öffentliche Meinung in Deutsckland und anderwärts ist ja freilick geneigt, an die Unschuld deSEx-CapitainS Dreyfus zu glauben und es kann ihr Niemand verwehren, das auszusprechen. Für unsere Diplomatie dagegen hat die Frage nach der Schuld oder Unschuld des Verurtheiltcn schlechthin gar nicht zu existircu, sie ist dabei nur soweit interessirt, als behauptet wird, Dreyfus habe im Dienst der deutschen Spionage gestanden. Seit Wochen dauert nun der stille Kampf zwischen Engliindcrn und Russen um die chinesiscke Anleihe fort. Rußland, daS sonst selten einen diplomatischen Fehler begeht, scheint ihn in der Anleihefrage gemacht zu haben, indem eS überhaupt die Anleiheangeleaenheit hinzog und d «durch die Chinesen veranlaßte, sich an England zu wenden. Jetzt scheint Rußland diesen Fehler gut machen, und, wenn Frnttleton. Kampf und Entsagen. 21 j Roman von M. von Eschen. Nachdruck verbvtln. Es schien, als käme dem Mädchen erst jetzt das Bewußtsein der Situation — die Erinnerung an Alles, was sie sich bemüht hatte zu vergessen, und damit zugleich ihre alte Leidenschaft wieder. Und nun vor Allem zuerst doch regte sich der Wille, offen und ehrlich zu sein. Sie riß sich los von dem geliebten Manne. „Ich — ich bin nicht so — so —", da schon begann sie zu stocken. Und dann, als fürchte sie, daß sie sich selbst hindern könne zu sagen, was er doch wissen mußte, kam es hastend fast über ihre Lippen: „Nein, nicht so — gut, wie Sie denken. Ich — war böse, zornig auf Sie, auf die ganze Welt. Ich wollte mein Theil vom Glück haben, am Leben, nehmen, wo ich es fand." — Und mit brechender Stimme fügte sie hinzu: „Ich vertraute mich Jemandem an, der mir zur Seite stehen wollte —" „Einem Ihrer Freunde?" Wieder barg Helsa das Gesicht in den Händen — und dann mit fliegendem Athem, doch abgebrochenen Sätzen erzählte sie von der Fahrt, der Flucht nach der Charlottenstraße. Wolf prallte zurück, als habe ihn etwas in seiner Ehre ge troffen. „Und dann, der Freund war dort oder er kam?" Der Generalstäbler keuchte es heraus, seine Hand umspannte des Mädchens Gelenke. „Nein. — Es war so seltsam Alles. — Mir kam ein Grauen — ich floh — Anna fand mich auf der Straße; sie nahm mich mit hierher." Wolf's Brust hob sich erleichtert. Finster aber noch immer blieben seine Züge. „Wer wars?" fragte er mit geschlossenen Zähnen, „der — der Schurke —" „Dem Namen nach ein Edelmann", giebt Helja, die Lider senkend, gehorsam, als könne es gar nicht anders sein, zurück. „Mangern?" Es war ihm, als hätte er ein Gesicht. Sie schwieg. „Der Schurke, der ehrlose Schurke!" „Nun sticke ich mit Anna um die Wette", murmelte Helja, als wolle sie mit sich selbst zum Schlüsse und ins Klare kommen. „Wir halten zusammen Haus. Und ich muß, ich will zufrieden sein, wenn ich hier bleiben kann, denn — ich habe — auch meine Stimme verloren —" Was in seiner Seele gestürmt, das Mitleid, die Liebe, siegten über alles Andere. „Helja, aber — Sie waren mir gut, einst?" „O mein Gott!" Der Seufzer sagte mehr denn jede schön gesetzte Betheuerung. Und noch einmal hat er überwunden, was seinen männlichen Stolz, seine Ehre beleidigt, in der Liebe und in der Erkenntniß, daß er selbst nicht ohne Schuld dem Mädchen gegenübersteht. Wieder rückt er an ihre Seite, er nimmt ihre Hände, sein Ton klingt sehr ernst, fast feierlich: „Helja, die Bibel weiß von einer Sünde gegen den heiligen Geist, die dem Menschen nicht vergeben wird. Es giebt auch eine Sünde gegen die Liebe: diese aber vergiebt?! Mein Herz sprach für Dich; ich wollte ihm nicht ge horchen — lassen wir es sein. Jetzt weiß ich es besser, was der Werth und das Glück des Lebens bedeutet. Vergeben und ver gessen" — er reicht ihr die Hand; sie legt die ihre hinein. „Vergeben und vergessen Alles bis auf unsere Liebe." Damit fliegt schon wieder das alte, launige Lächeln um seinen Mund, und seine Augen blicken mit dem alten frohen Glanz. Und seinen Augen glaubt es Helja noch mehr als seinen Worten, daß ihm der Preis für dies Glück nicht zu theuer wird. Und nun sitzen sie nebeneinander in dem ärmlichen kleinen Raum, sehen nur den Himmel Eines in des Anderen Blick, fühlen nur Eines-den Schlag von dem Herzen des Anderen, tauschen ihre Seligkeit Eines in des Anderen Kuß. Zeit und Raum drohen zu schwinden. Wolf besinnt sich zuerst, damit ist auch Helja der Wirklichkeit zurückgegeben. „Aber Lilian — Fräulein von Dernburg — ist sie denn nicht Ihre Braut?" wirft sie zagend ein. Ein peinlicher Schreck lähmt die selige Stimmung Wolf's. Er hätte doch nicht geglaubt, daß er sich einmal so bedrückt fühlen könnte vor sich selbst. Er sieht, wie die Angst in Helja's Gesichtchen steigt — „Nein", sagte er, „nicht eigentlich. Nein." Es klingt wie befreiend. Dennoch fliegt sofort ein dunkles Roth über seine Stirn. Es ist ihm nicht leicht, so vor sich selbst dazustehen; es wird ihm schwer, Lilian so gegenüber zu treten. Aber wieder faßt er sich schnell, männlich entschlossen, was er einmal begonnen hat, auch durchzufiihren. „Selbst wenn sie es gewesen wäre", murmelt er mehr für sich — „jetzt wäre sie es eben nicht mehr!" Dann mit vollem Blick und Wort Helja zugewandt, erklärt er: „Heute noch werde ich Lilian Aufschluß «eben, wie es um uns steht! Unbesorgt", das galt den sick aufs Neue umdüsternden Mienen Helja's: „Lilian ist keine Frau, die an dem Herzen zu Grunde geht — wenn sie überhaupt wärmer für mich empfunden hat, was ich sogar eigentlich nicht glaube!" Und der Sonnenstrahl, der seinen Weg über die hohen Dächer in das Zimmer von Lorenz Kirchner gefunden hat, fand auch den Weg in die arme Kammer hier. Wie er das Haupt der stolzen Lilian verklärt, spielte er auch um Helja's Köpfchen und streute noch goldiger schimmernde Funken in das krause Haar. Wolf hätte sie küssen mögen, die Locken, die sein Entzücken waren, die Augen, deren Sterne sich so fest in sein Herz hineingeschienen hatten, die feinen Lippen, die nun roth und röther wieder er blühen wollten. Er dachte an das, was noch vor ihm lag und bezwang sich und seinen Liebesjubel. „Lebe Wohl, Helja", sagte er ernst. „Wenn ich ganz frei — erst ganz wieder frei bin, hole ich Dich heim, meine kleine süße Braut." Kaum hatte sich die Thür hinter Wolf geschlossen, sah er Etwas flattern an dem Ende des schmalen Ganges, das eine un zweifelhafte Achnlichkeit aufwies mit einem ihm wohlbekannten rosafarbenen Kleid. Lilian? Und ein kleiner Schreck flog ihn doch an, als habe er ganz vergessen, daß er sie hier treffen mußte. Tapfer beschleunigte der Major seinen Schritt. „Cousine Lilian!" Da auf dem Treppenabsatz machte Fräulein von Dernburg Halt und wandte sich nach dem Vetter um. Im Nu stand er neben ihr. „Gehen wir." Weiter sagte sie nichts. Ihr Ton aber klang so seltsam fremd, wie aus einer anderen Welt, so heischend und dringlich zugleich, daß eine Gegenrede wie eine Störung, jedes Wort wie die Ent weihung von etwas Heiligem erschien. Diggins mochte des Generalstäblers Stimme, die eilenden Tritte bespornter Stiefel gehört und sich damit endlich auf den eigentlichen Zweck ihrer Anwesenheit hier besonnen haben. Kaum daß Wolf und Lilian auf der Straße angekommen waren, so stellte sich auch Diggins ein. Etwas pustend noch von der Eile, documentirte sie sich und ihre Treue sofort mit einem: „Herr Gott, wie sehen Miß Lilian aus! Ich habe es ja gleich gedacht, Miß sind die Häuser nicht gewohnt!" Wolf machte der Frau ein Zeichen, daß sie schweigen sollte und befahl ihr lakonisch, ihnen zu folgen nach der Bahn. Droschken gab es hier nicht. „Darf ich bitten?" damit legte er Lilian's Arm in den seinen. In dem Augenblick dachte er nur, daß sie seiner Fürsorge be durfte. Und wortlos schritt sie die kurze Strecke neben dem Vetter her. Er besorgte die Karten; er half der Cousine in das Coupck Immer noch schweigend saß Lilian da. Seltsam sah sie aus: nicht gerade kummcr- und leidvoll, noch weniger verzweifelnd, eben so wenig aber glücklich und froh, vielmehr abwesend, Welt entrückt, wie Jemand, der einen Traum träumt, den er mit all seiner Kraft festhaltcn möchte: einen Traum, so hoch und hehr, daß er einem gewöhnlichen Sterblichen bange machen kann. Endlich hielt der Zug an dem Zoologischen Garten. „Wollen wir nicht lieber nach Hause gehen?" Langsam nur schien sich Lilian's Geist zuriickzufinden in die gewöhnliche Welt. „O nein." Darin klang der Muth, der zu dem Leben gehört, das einmal ausgenommen werden muß. In den laubigen Gängen brannten die Lichter; Musik schallte von dem Tempel nahe der Restauration herüber. Mehr und mehr schien Lilian da» Bewußtsein zu kommen, daß sie ihrem Begleiter und sich selbst etwas schuldig sei. „Wolf, lieber Vetter Wolf", begann sie. brach aber ab. Wolf hatte längst begriffen, daß etwas Außergewöhnliches das Mädchen erschüttert haben mußte. „Sie wollen mir etwas sagen, liebe Lilian", so kam er theil nehmend und ritterlich der Cousine entgegen. Sorglich lenkte er ein in die einsamen Gänge, wo cs weniger hell war und sich eben fast gar keine Menschen aufhielten. „Ja, Wolf", — es wurde ihr nicht leicht, aber sie konnrc nicht anders, als ehrlich sein. Fest und entschlossen fuhr sie fort: „Ich habe es mir überlegt — ich möchte zurück — in meine Heimath gehen." Und schneller mit freierem Athcmzug fügte sie hinzu: „Bei uns, wo jeder Reiche sich nicht zu sterben erlaubt, ohne einige Legate für das Gemeinwohl zu hinterlassen, begreift man es leichter, daß auch eine Erbin dem Allgemeinen dienen kann, ohne darum Nonne oder Diakonissin zu werden." Und nach einer kleinen Pause gab sie die Erklärung: „Ich habe die Fühlung mit den einzelnen Menschen, mit meinem Glücke — verloren. — Lieber Vetter Wolf, ich hoffe, daß Sie nichts gegen meine Wünsche haben?" Und Wolf begriff sofort, was Lilian dainit sagen wollte. Gleich einer Eentnerlast fiel es von seinem Herzen, daß er ein Mädchen wie sie nicht zu verletzen brauchte. „Sie wissen, Cousine Lilian, daß mir Ihre Wünsche stets heilig sind." Nun aber drückte eS ihn dock, daß sie ihn so viel besser hielt, als er eben wirklich war, daß sie für Edelmut!; nahm, was zwar ein ganz natürlich gesunder, aber doch immerhin reiner Egois mus war. „Auch ich habe Ihnen Etwas initzutheilen, Cousinchen", bc-
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