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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980302021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898030202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898030202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-02
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verteichuiß. Tabellarischer uud giffernsatz nach höher«« Tarif. Extra »veilagen (gefalzt), aar mü dch Morgen-Ausgabe. ohne Postbesörderunt' ^l 60.—, mit Postbesörderuug ^tl 70.-^ Iinnahmeschlu- für Anzeigen: Ilbeud.Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. ffitorgeu-Auögabe: Nachmittag» SUHL Sei den Filiale» uud Annahmestelle» je «in» halb« Stunde früher. Anteile» stad stet« a» die Oxpetzttim» zu richte». Druck «>ch Verlag von L. V»k» t» LrtpzkA Mittwoch den 2. März 1898. Jetzt also stockt die vom Grafen Schwerin gegen die landes- vcrderberischen Berufsagitatoren im Interesse namentlich auch der Landwirlhsckaft eingeleitete Action, und Herr vr. Hahn bat im Augenblick Oberwasser. Das geeignetste Mittel, ibn in seiner günstigen Position zu befestigen, ist natürlich die Lahmlegung der gemäßigten Elemente unter den Conservativen durch die Ausstreuung, daß diese es wären, die sich „Machenschaften" zu Schulden kommen ließen nnd die Unterstützung der zweideutigsten Politik der Sammlung be absichtigen — ein Vorwurf, der sich, wie schon angedcutct, auch gegen hervorragende Nationalliberale „obue Ar und Halm" von erklärtem großindustriellen Interesse richtet. Herr vr. Hahn bat demgemäß an den offenen und verkappten Freisinnigen sehr eifrige Bundesgenossen gefunden. Dessenungeachtet sind wir überzeugt, daß schließlich die Vernunft den Sieg davontragen wird. Vorläufig ist von einem Fiasco der gestern mitgetbeilten „Erklärung" keine Rede, und gegen diese Erklärung ist nichts einzuwenden. Sie verlangt die Prüfung der Meistbegützstigungsverträge in der dem Ablauf der Handelsverträge unmittelbar vorhergehenden Zeit und bezeichnet die Zurück stellung nebensächlicher Parteigcgensätze als eine innere Aufgabe der Parteien. Mit der letzteren, von National liberalen gewünschten Aenderung ist der Auslegung, daß das Sprengungswerk der Liebermann v. Sonnenberg, Hahn, Zimmermann sanctionirt werben sollte, von vornherein begegnet. Diese Erklärung oder eine die gemäßigte Auf fassung noch schärfer präcisirende wird erscheinen. Trotz dem ist größte Wachsamkeit von Nöthen. Denn zur Stunde hat eS den Anschein, als ob der eine oder andere Regierungsmann nicht abgeneigt wäre, Herrn l)r. Hahn nebst einer Gruppe von Hochschutzzöllnern gegen die Jnteressen- barmonie auszuspiel^u und damit statt der Sammlung eine Unterwerfung herberzuführen." — So unser Berliner Ge währsmann. Jedenfalls geht auch aus seiner Darstellung hervor, daß die gestern von uns empfohlene Zurückhaltung gegenüber der Erklärung vorläufig am Platze ist. Trotz des altjüngferlichen Zierens eines TheileS der klerikalen Presse darf die Verständigung über das Flottcn- gcsetz als Thatsache betrachtet werden. Wenn es hierfür noch eines Beweises bedürfte, so erbrächte ihn die „Germania", die sonst auck noch ein wenig Mätzchen macht, aber das Urtheil einer Centrums-Correspondenz an erster Stelle und vor anderen klerikalen Preßstimmen durch den Druck aus gezeichnet wiedergiebt. Sie lautet: „Wir betrachten die Sache vom Gcsichtspunct der zwei Uebel, von denen man das kleinere wählen muß. Die ganze „Bindung" gefällt uns nicht. Aber wir müssen mit den vorhandenen Thatsachen rechnen, als da sind: 1) Die Regierung hat weithin Sympathien für ihre Vorlage ge- sunden, weil man nach den bisherigen „uferlosen" Ankündigungen größere Forderungen erwartet hatte. 2) Die Ereignisse in Kiaotschau und die neuen Hoffnungen für den Handel und die Missionen haben die Opferwilligkeit für die Marine gesteigert. 3) In weiten Kreisen ist man sehr erfreut darüber, daß jetzt ein abgeschlossener Plan für die Ausbildung und Erhaltung der Flotte vorgelegt worden ist, und glaubt, daß diese Sicherheit gegen „plötzliche" Mehrforderungen und alljährliche Streitigkeiten ein Opfer Werth sei. 4) Die Erfahrung von 1887, wo „jeder Mann und jeder Groschen" bewilligt, aber um das konstitutionelle Recht gestritten wurde, macht es zweifelhaft, ob das Volk für eine bloße Frage des Etatsrechts und des verfassungsmäßigen Gleichgewichts das rechte Vcrständniß und daS nölhige Interesse haben wird. 5) Auf dem militairifchen Gebiete haben Pauschquantum, Septennat und Quinquennat sich schon eingebürgert; um so schwerer ist die Abwehr ähnlicher Einrichtungen für die Marine. 6) Ein Conslict bringt furchtbare Gefahren und auf jeden Fall schwere Schäden für die wichtigsten Interessen mit sich. Ob wir aber auf dem Wege eines Conslictes zu einer besseren und billigeren Lösung der Flottenfrage kommen würden, ist doch sehr zweifelhaft. Wer Alles in Allem nimmt, wird wohl die erwähnte Verständi gung für das kleinere Nebel halten." Nun also. Unter der Regierung des Grafen Badeni waren die Tschechen über die Maßen verhätschelt worden. Was die bisherigen positiven! „Thateu" des Nachfolgers Badeni's anbelangt, so können sich die Tschechen auch darüber nicht beklagen, denn die hervorragendste Leistung Gautsch's bestand bis jetzt in dem Verbote des Farbenlragens der deutschen Studenten. Daß durch die Nachgiebigkeit gegen die tschechische Anmaßung nur die Unersättlichkeit dieses Dolksstammes wächst, zeigt sich jetzt in dem von den Deutschen verlassenen böhmischen Landtage. Tie Regierung bat sich gegenüber dem tschechischen Adreßentwurfe, dessen letzte Consequenz die Zerreißung Ocsterreichs durch den Föderalismus sein würde, denn doch genöthigt gesehen, zu erklären, daß sie nicht auf dem von den Tschechen eingenommenen staatsrechtlichen Standpuncte stehen könne. Sie hat diese Erklärung in sehr maßvollen Formen abgegeben, die sie den Tschechen gegenüber zu wahren pflegt. 'Trotzdem gießen jetzt die Tschechen die Schale ibreS Zornes über die Regierung aus. Der jungtschechische Abgeordnete Gregr hat die Drohung ausgesprochen, daß das tschechische Volk der Regierung eine deutliche Antwort geben werde. Tie Prager Pöbelsceneu im) vergangenen December haben ja zur Genüge dargethan, was die Tschechen unter einer deutlichen Antwort verstehen. Im klebrigen ist die Rede Gregr'S deswegen beachtenSwcrtb, weil sie die Eigenartigkeit des tschechischen Patriotismus klar beleuchtet. Wenn die Tschechen vom CentraliSmuszumFLderalismuS übergeben wollen, so schwebt ihnen dabei nicht nur das politische Ideal einer eigenen Staatsverfassung vor, sondern sie haben auch recht wenig ideale materielle Gründe dafür. Herr Gregr klagte darüber, baß das centralistische System des Reichs daS Königreich Böhmen übermäßig belaste. DaS heißt nichts Anderes, als daß er bedauert, daß infolge der finanziellen Zusammenfassung Cisleitbaniens eine wohlhabende Provinz einen Tbeil der Lasten mit auf sich nehmen muß, die die armen Alpenländer nicht tragen können. Das ist ebenso, als wenn etwa die Rheinprovinz und Westfalen sich darüber beschweren würden, daß sie stärker zu den Staatslasten herangezogen werden, als die armen Provinzen Posen und Westpreußen. WaS die Tschechen er streben, und was sie ja auch im Winter 1867 beinahe durchgesetzt hätten, ist nichts Anderes, als was der verflossene unselige deutsche Bund für Deutschland war, mit dem Unterschiede höchstens, daß statt der vielen ge krönten Häupter durch die Personalunion ein einziger König über die verschiedenen, sonst voneinander unabhängigen Länder regieren würbe. Uud wie Deutschland zur Zeit des deutschen Bundes politisch ohnmächtig war, so würde auch Oesterreich M. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. März. lieber die Entstehung und den Charakter des gestern mit- getheilten Entwurfes eines WaylprograuimS, der von Mit gliedern des „Wtrthschaftlichcu Ausschusses" (Zollbeiraths) und einigen zu ihren Beralbungen zugezogenen anderen Herren ausgearbeitet worden ist und für den jetzt im Lande Unterschriften gesammelt werden, herrschen anscheinend selbst in solchen Kreisen, die sonst in wirikschastlichen Fragen eines Sinnes sind, ganz verschiedene Auffassungen, wie über so Manches, was nicht in voller Ocffentlichkeit, sondern hinter den Couliffen vorbereitet worden ist. Heute wird uns über die Entstehung und den aus ihr sich ergebenden Zweck von wohlinformirter Seite Folgendes geschrieben: „Die Erklärung, mag man sie nun Wahlaufruf oder anders nennen, hat jedenfalls und ausgesprochener Maßen einen agitatorischen Zweck. Sie setzt die Einigung der großen Mehrzahl der Mitglieder des Zollbeiralhs „auf dem Boden einer nationalen Wirtbschaftspolitik unter Zurückstellung neben sächlicher Parteigegensätze" voraus und will im Sinne dieser Einigung auf die Wähler wirken. Wir können diese Ab sicht an sich nicht mit der „Köln. Ztg." tadeln, sondern müssen sie loben. Der Wirthschaftliche Ausschuß ist doch nicht allein dazu da, um zu reden, er soll auch wirken. Seine schönsten Gutachten aber sind Maculatur, wenn sich bei den Reichs- tagswahlen nicht eine Mehrheit für eine die verschiedenen Interessen versöhnende Politik des Schutzes der gejammten nationalen Erwerbstbätigkeit fände. Nach dem gestern auch im „Leipz. Tagebl." mitgethcilten Berichte mußte cs freilich erstens den Anschein gewinnen, als ob die Be mühungen der Mitglieder des Zollbeiratbes nicht der Har monie, sondern dem Gegentheile bienen sollten, und zweitens, als ob die Einigungsversuche erfolglos geblieben wären. So liegen die Dinge nach beiden Richtungen nicht. Weder ist die freihandlcrische Presse berechtigt, von „Machenschaften" der Herren Grasen Schwerin-Löwitz, VopeliuS rc. zu reden, noch sind die Verhandlungen als gescheitert anzusehen. Die dem Erklärungs-Entwurf hinzugefügten Angaben über den Verlauf der Rerathung waren allerdings fo gefaßt, daß man annebmen mußte, eS sei von vornherein ein Attentat der extremen Ver treter des ostelbischen Agrariertbnms gegen alle übrigen Er- werbSstände und Parteien geplant gewesen. Der Hergang war aber ein ganz anderer, insbesondere hat die Darstellung die Dinge geradezu auf den Kopf gestellt, indem sie sich so ge staltete, daß die Herren Graf Schwerin-Lowitz und Vopelius als die Störenfriede erschienen. Umgekehrt waren diese beiden Herren und zwar in Gemeinschaft mit dem national liberalen Industriellen Möller schon seit Anfang dieses Jahres darauf ausgegangen, die extremen Agrarier zu isoliren und eine Verständigung zwischen Lanbwirthschast, Industrie und Handel mit der Maßgabe herbeizusübren, daß nicht schon jetzt bindende Verpflichtungen hinsichtlich der Handelsverträge, die erst in fünf Jahren abgeschlossen werden können, verlangt und eingegangen werden sollen. Darüber wird man namentlich auch in conservativen Kreisen des Königreichs Sachsen Näheres wissen. Die redlichen, energischen und zähen Bemühungen gerade des Grafen Schwerin, anfangs sehr aussichtsvoll, sind bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Daß hieran das Ver sagen der führenden Kraft der Regierung die Schuld trägt, steht fest. Ob dieser Defect, wie man sagt, durch Differenzen zwischen zwei hervorragenden Regierungsmännern bedingt war, sei einstweilen dahingestellt. Feuilleton. Durch eigene Lrast. lös Roman von Alexander Römer. Nachtruck vrcboten. „Ich bin ganz Deiner Meinung, Tante Marianne", ent gegnete Ottilie leise. Des Vaters prahlerische Reden, mit denen er sie entließ, schien sie nicht zu hören. Sie trat mit dem Mädchen aus der Thür, schritt durch den Vorgarten über die Straße, und ihre Augen spähten verstohlen umher, ob Ludwig sich nirgends blicken ließ. Sie hatte ihn nicht gesehen heute, er wollte wohl nichts — er konnte auch im Grunde nichts dazu sagen, aber lieb war ihm diese Wendung der Dinge sicher nicht. Ihr Herz war in diesem Augenblick centnerschwer, eine quälende Sehnsucht erfaßte sie. Wenn er da wäre wie an jenem Abend, als der Schneesturm draußen heulte, sie in seine starken Arme nähme und sie weit forttrüge. Sie ahnte es nicht, daß er verborgen unter dem dichten Schatten der Linden stand und ihr nachschaute — ach, mit welchen Gefühlen! In dem schon dämmerigen Licht erschien die leicht füßige, weiße Gestalt wie schwebend, so engelhaft, so fremd. Da tauchte sie noch einmal auf hinter den Büschen — wandte sie den Kopf zu ihm zurück? Sie wußte ja nicht, daß er da stand, und jetzt verschwand sie unter den dunklen Kastanien. „Auf immer!" sagte eine Stimme in seinem Innern. Er hätte laut aufschreien mögen vor Qual. Wer nahm sie ihm, ein Gott oder ein Dämon? Schwebte sie dahin, ihrem Glück entgegen, oder ihrem Unheil? Sie war ja glücklich gewesen in der letzten Zeit, nun wurde der stille Spiegel ihrer Seele aufgestört, und — er vermochte nicht weiter zu denken, ihm war, als sei das Mark aus seinen Gliedern entflohen, als sei er ein alter, gebrochener Mann. „Ludwig!" rief seine Mutter vom Hause her. Er fuhr zusammen. Sie stand an seiner Seite und faßte seinen Arm. „Sei doch kein Narr", sagte sie, „es mögen sie eben alle Leute leiden. Morgen kommt sie und erzählt uns von all der Herrlich keit, und dann reisen die Herrschaften wieder ab, und die Ge schichte ist ihr und uns wie «in Traum." , Er nickte. , " )recht, Mutter," / Er trat mit festem Schritt ins Haus, ihre warme Stimme gab ihm Trost, es war ja noch nicht Alles verloren, und — vielleicht war eine solche Prüfung nothwendig für den Bestand seines Glückes. Vierzehntes Capitel. Im Salon saßen Princeß Ada mit ihrer Hofdame und die Baronin. Es waren haute keine Gäste da. Die Baronin machte die Erfahrung, daß die Unterhaltung eines so hohen Gastes ohne besondere Hilfsmittel eine schwierige Aufgabe sei, aber die Prinzessin hatte ja durchaus einmal ganz einsam idyllische Na turfreuden genießen wollen. Da bot dieses Intermezzo mit dem kleinen Mädchen beinahe willkommene Abwechslung. Durchlaucht war schon so unstet, ihre Unterhaltung so sprunghaft, als warte sie mit Ungeduld. Jetzt trat Emily mit dem Mädchen ein. Die Baronin war in der That ein wenig überrascht. Das war ja eine reizende Erscheinung mit sehr guten Manieren. Knicks und Handkuß ließen nichts zu wünschen übrig. Prinzeß Ada's Langeweile war verschwunden, sie überhäufte Ottilie mit Liebkosungen und Schmeicheleien, sie fragte und forschte wieder nach allen Richtungen. Der Baronin, welche ihren crufgezwungencn Gast mit süßsäuerlicher Freundlichkeit empfing, ward die Rolle der stummen Zuschauerin und Zuhörerin ertheilt. Ottiliens Antworten lauteten vorsichtig und bescheiden. Da die Fragen alle ihr Leben auf Erlenmoor betrafen, so hatte sie Gelegenheit, von ihrer Blutter zu reden, und dabei kam eine bewegte Wärme in ihren Ton und höhere Farbe auf ihre blaffen Wangen. Diese Jahre in Erlenmoor — wie lebendig tauchten sie hier in dieser Umgebung wieder in der Erinnerung empor. Sie vergaß im Momente, wo sie war und zu wem sie sprach, und wurde beredt. „Armes, kleines Engelchen! Und nun in solche Verhältnisse gelvorfen, welch ein Schicksalswechsel, ein Roman!" rief Prinzeß Ada und küßte Ottilie. Sie erfaßte Labei spielend den Schildpattpfeil, der den Haarknoten hielt, und in reizender, lockiger Fülle wollte das weiche Haar über die Schultern des Mädchens herab. Ein lauter Ausruf des Entzückens entfuhr den Lippen der Prinzessin. „Ein Märchen!" rief sie, „Cvcile, sieht sie nicht gerade aus wie jenes Bild, das Märchen — ich meine das Köpfchen, hahaha! — aber genau so! Bitte, Götting, ein paar Rosen, rasch, da au» tza» Aördch«! Still, still, Kind, «inen Moment. — Sehen Sie, Cecile, wäre doch ein Maler hier — wo haben Sic denn Ihren Hofmaler? Wir nannten ihn ja immer so, den Hartwig, der uns im vorigen Jahr die allerliebsten Momentbilder entwarf. Verschollen, untergegangen? Ei, schade, war ein niedlicher Mensch, der Hartwig, Ihre Liebe, glaube ich, Fräulein von Eichsfeld. Hahaha, welche Gluth! Ja, ich bin leider so furcht bar scharfsinnig, ich habe einen Jnstinct für solch« kleinen Liai sons — hoffentlich haben Sie nicht seinen Untergang verschuldet." Während Ottilie erröthend dastand und vergebens bat, sich entfernen zu dürfen, um die gelöste Frisur wieder zu befestigen, steckte die Fürstin ihr die Rosen ins Haar und hielt sie lachend fest. Das tödtliche Erschrecken der Eichsfeld über ihre hinyeworfene Bemerkung machte ihr köstlichen Spaß, und sie hörte deren Ver wahrung gegen die ihr zugeschriebenen Sünden gar nicht mehr an. Sie hatte Ottilie, welche diese Reden auch mit Verwun derung und vollem Verständniß vernahm, in einen Sessel ge drückt, breitete die goldige Haarfluth über die Lehne und schmückte sie mit eigenen Händen. „Wir müssen in den nächsten Tagen lebende Bilder stellen, Cßcile, denken Sie nur, mit solchem Material. Das zauberischste Dornröschen von der Welt, Baron Felix kann den erlösenden Ritter darstellen — ah, wenn man vom Wolfe spricht, ist er nicht weit." Baron Felix erschien gerade in der Thür des Salons. Aber in demselben Momente besann sich die Prinzessin, stieß einen kleinen Schrei aus und rief: „O, ich vergesse, wir sind hier bei der Toilette, Herr Ritter." Lachend hatte sie einen Spitzenshawl, welcher der Götting gehörte, ergriffen und ihn der verlegenen Ottilie über den Kopf geworfen. Felix stand verwirrt, «r wußte im ersten Moment nicht, WaS er aus der Situation machen sollte. Emily hatte ihn freilich ungefähr von der neuesten Laune der Prinzessin unterrichtet, aber die Scene war doch zu sonderbar. Er verneigte sich und machte Miene, sich zurückzuziehen. „Nun — wir sind hier freilich auf Ihrem angestammten Grund und Boden und haben eigentlich kein Recht, Sie zu ver treiben, edler Ritter", scherzte Durchlaucht wnter, Zo sollen Sir in Gnaden gegen ehrerbietigen Kniefall zugelassen sein. So schauen Sie denn und bleiben Sie Ihrer Sinne Meister." Felix begriff jetzt rasch, die Prinzessin nahm den Schleier von Ottiliens Haupt, er beugte das Knie und — „Himmeldonnerwetter!" dachte er bei sich, „daS ist ja wahr haftig wie ein Theatercoup, dieser Anblick kann schwindeln machen," 82. Jahrgang. seine Großmachtstellung sofort einbüßen, wenn sich das tschechische Ideal verwirklichte. Die Savonarola-Ftier in Ferrara dürfte arg ver pfuscht werden. Freisinnige Männer haben sie vorgeschlagen und vorbereitet, und jetzt droht sie eine kirchliche, wo nicht gar eine ultramontane zu werden. Den Liberalen von Ferrara, die am 23. Mai den Gedächtnißtag der vor vier hundert Jahren erfolgten Verbrennung Savonarola'S feiern wollten, hat nämlich, wie der „N. fr. Pr." von dort geschrieben wird, Carducci durch seine Weigerung, die Gedächtnis)- rede zu halten, einen argen Strich durch die Rech nung gemacht. Carducci sagte, daß es ihm unmöglich wäre, den starren Glaubenseifer des Mönches al» die unversiegbare Kraft menschlichen Freiheitsdranges zu feiern. Das Wort wurde von den Klerikalen mit heißem Drange aufgegriffen, und die Freiheitsfeier will sich nun in das gerade Gegcntheil verkehren. Der geschichtlichen Wahrheit wird dies keinen Abbruch thun, denn Savonarola war thatsächlich ein Glaubensschwärmer auS einem Guß Die Klerikalen, die ihn nun an Stelle der Freigeister ehren wollen, vergessen dennoch, daß er nicht zu ihnen gebürte. Er widerstand thatsächlich jahrelang den Befehlen des Papstes — freilich war es Alexander VI. — und er wollte seiner Autorität auch nicht ein Körnchen von dem preisaeben, was er für wahr erkannt hatte. Wahr ist eS auch, daß auf seiner Seite die Katharina dei Ricci, der großherzige Frlippo Neri standen, die den Päpsten manches herbe Wort sagten und dennoch heilig gesprochen wurden. Rafael wies ihm in einer der berühmten Fresken der vaticanischen Stanzen einen Platz unter den Doctoren der Kirche an, und Santa Maria Novell« in Florenz bewahrt sein Bild, und in zahlreichen Stichen und Münzen aus jener Zeit wird er als Lehrer und Märtyrer gepriesen. Es ist darum nicht zu verwundern, daß gelehrte und heilige Männer, die sich, wie beispielsweise Cardinal Scampa und Bischof Bonomelli, eine gewisse Freiheit des Urtheils bewahrten, sein Andenken Hochhalten. Er gehörte wie sie — um uns seines eigenen Worte» zu bedienen — zur sieghaften, nicht zur streitenden Kirche. Wunderlich ist es hingegen, daß die klerikalen Heißsporne sich seiner so heiß annehmen. Könnte Savonarola wieder unter Menschen weilen und wären die Klerikalen Herren im Lande, sie würden ibn gewiß noch einmal verbrennen, wenn Rom es fordern sollte. War er auch nicbt als Dogmatiker der Vorläufer der Reformation, so hat er derselben doch durch seinen heldenhaften Kampf gegen die Sittenlosigkeit in der römischen Kirche den Weg geebnet. In interessanten Bemerkungen äußert sich die von dem Fürsten Uchtomski herauSgegebene russische „Petersburger Zeitung" über daS Verhalten der Petersburger Regierung über die kretische Gouverneursfrage und über die Meer enge n-Durch fahrt. In Bezug auf die erstere sagt sie, wenn einerseits die Träume der kretischen Christen Beach tung verdienen, so müsse andererseits auf die Befürchtungen der muselmanischen Minderheit und auf die unter den Musel manen herrschende Gährung Rücksicht genommen werden. Jede Candidatur für den Gouverneursposten werde eine gute sein, wenn sie die einander feindlich gegenllberstehenden PartKen versöhnt; wenn aber der Sultan Gründe habe, wegen des einen oder andern Candidaten Besorgnisse zu hegen, so werde zweifellos die gesammte muselmanische Bevölkerung sich einem solchen Candidaten nicht unterwerfen. Auch den Entschluß Deutschlands und Oesterreichs, dem Ottilie wendete in ihrer Verlegenheit das Haupt, und eine der lose eingestreuten Rosen fiel aus ihrem Haare zur Erde. Er hob sie vom Boden auf, drückte sie an seine Lippen und machte, gewandt auf das Spiel eingehend, eine fragende Geberde, ob er sie behalten dürfe. „Ich denke, wir gewähren ihm die Gunst, holdes Märchen, was meinen Sie?" fragte die Prinzessin schalkhaft, zu Ottilien gewendet, „weil er so bescheiden und ritterlich und artig ist." Ottilie lächelte. Sie fühlte, daß sie ihre aufgezwungene Rolle wohl oder übel mit so viel Anstand als möglich durch führen müsse. Sie neigte sich huldvoll mit den Allüren einer geborenen Königstochter, und Baron Felix küßte ihr ehrfurchtsvoll die Hand. Dann sprang er rasch auf seine Füße, und vielleicht war es nur Emily, welche den flammenden Blick der Bewun derung auffing, den er auf die schöne Fremde richtete und der sie zu giftigem Neid aufstachelte. Auch Ottilie erhob sich, mit bittender Geberde zu der Prinzeß aufschauend. „Ja, ja, jetzt sollen Sie die Erlaubniß haben, zu verschwinden, um mit glatt gekämmtem Haare wieder zu erscheinen", rief diese. „Götting, nehmen Sie die Kleine mit aus Ihr Zimmer, und wenn ich ihr die Chevelure zu arg zerzaust habe, so klingeln Sie Klöckchen", — die alte Kammerfrau der Prinzeß, welche dieselbe schon von ihrer Kindheit her bediente, trug diesen Beinamen — „damit die sie frisirt. -1u ravoir misxnonrm!" Ottilie entschlüpfte, geführt von der Hofdame, deren ver blühtes Gesicht recht abgespannt aussah. Diese schellte und raunte der eintretenden Alten den Befehl der Durchlaucht zu. Klöckchen, ein feines Dämchen mit weiß bebänderter Haube, schien von der Zumuthung nicht sehr erbaut zu sein, schickte sich aber langsam an, dem Befehle Folge zu leisten. „Ich danke Ihnen", sagte Ottilie hastig in einem ihr fremden, bestimmten Tone, „ich bin gewohnt, mich seLst zu bedienen." Mit geschickter Hand vollbrachte sie in wenigen Minuten das durch die Umstände freilich schwieriger als sonst gemachte Werk. Ihr entging dabei nicht der eigenthümliche Dlickwechsel zwischen Beiden, der hohen und der niederen Dienerin. Als sie in den Salon zurückkehrten, waren die Herrschaft« im Begriff, sich in das Eßzimmer zu verfügen, um den The, einznnehmen. Prinzeß Ada vcrtheilte die Plätze. Sie präsidirte mit der Wirthin an der Seite am oberen End« des Tisches; Felix mußte zwischen der Eichsfeld und Ottilie Plaz nehmen, und die Götting saß neben der Eichsfeld. Die Prinzessin widmete sich jetzt ein Weilchen mif bezaubernc
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