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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980310029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898031002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898031002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-10
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Abend-Ausgabe. 124 Die Morgeu-Au-gabe erscheint nm '/,? Uhr, di« Abeud-Au-gabr Wochentag- nm b Uhr. Donnerstag den !0. März 1898. Lrdaction und Ervedittou: Aohannr-gasse 8. LftExprdttton ist Wochentag- »vvntrrstroch« ^öffnet von früh 8 bi» Abend- 7 Uhr. Filialen: Dtts Klemm's korttm. (NlfreS Hahn), Uaiversität-skrahr 3 (Paulinum), Louis Lösche, Ratharinevstr. 1-, parL nud Nvnig-plad 7. kipMtr TagMalt Anzeiger. Ämtsvlatt des Äbnigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Mokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. VezugS-Prei» M d« Han-ter-editton oder den 1» Gtadt. bezirk und den Bororten errichteten AoS- aabestrllrn abgeholt: vierteljährlich^4.Z0, Lei -wrimaliger täglicher gustellnng in- HtNt- b^O. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich 8.—. Dirrn» täglich» Krruzbandirndung ius Au-land: monatlich 7.S0. U«zelge«oPrrr- die -gespaltene Petitzeile SO Pfg. Neclamen unter dem Redactionsstrich (Sa» spalten) bO^z. vor den Famtltennachrildt» <S gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» uerzrichniß. Tabellarischer and Ztffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Veilagen (gesalzt), aur mit de» Vtororn-Ausgabe, ohne Postbeförderunz , mit Postbesörderuug ^4 70.—. Iiunahweschlu- fiir Anzeigea: Abeud-Au-gabe: Bormittag- 10 Uhr. Piorge a-Ao-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je »in« halbe Stunde früher. Anzeigen stad stets an dl« Er-editi-n zu richten. Druck und Verlag von «. Bolz tu Lelpzich 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. März. Die in unserer heutigen Morgen-AuSgabe mitgetheilte Erklärung des CentralvorstanveS und der vereinigten Fraktionen der natioualltberalen Partei deS Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses war zur Notbwendigkeit geworden, nachdem der hauptsächlich von Mitgliedern deS Wirthschaftlichen Ausschusses auS- gegangene Aufruf zur wirthschaftlichen Sammlung in Kön igsberg von extrem-agrarischer Seite eine Umdeutung erfahren hatte. Dieser Aufruf hat folgenden Wortlaut: „Am 31. December 1903 lausen unsere Handelsverträge mit Belgien, Italien, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Rußland, der Schweiz und Serbien ab und wir werden vorher rechtzeitig auch in eine Prüfung unserer anderweitigen Handelsverträge einzuireten haben. Bei dem erneuten Abschluß solcher Verträge erscheint es aber zweifelhaft, ob die bestehende Meistbegünstigungs klausel, die allen Staaten auch solche Concessionen ohne Entgelt zufallen läßt, welche dritte Bertragsmächte mit wirthschaftlichen Opfern von uns erkauft haben, in der bisherigen Form fernerhin aufrecht zu erhalten sein wird. Dir wirthschoftliche Zukunft Deutschlands hängt von der künftigen Gestaltung unserer handelspolitischen Beziehungen zum Auslande ab. Die Reichsregierung hat durch Begründung des wirthschaft- lichen Ausschusses und durch wiederholte ausdrückliche Erklärungen den festen Willen bekundet, die vielseitigen und schwierigen Fragen unseres Erwerbslebens zu vertiefen und begründeten Forderungen nach wirksamem Schube unserer schaffenden Arbeit gerecht zu werden. Der Reichsrogierung auf dieser Bahn zu folgen, liegt im gemein samen Interesse aller Stände. Die Entscheidung aber liegt bei dem neu zu wählenden Reichs tage, der sowohl über Len zeitgemäßen Ausbau unseres Zolltarifs, wie über den Abschluß neuer Handelsverträge zu beschließen haben wird. Von dem Ausfall der Reichstagswahlen hängt die Durch führung einer nationalen Wirtschaftspolitik ab. Daher ist die Sammlung aller derjenigen Parteien und wirth- schastlichen Gruppen, welche an Stell« deS Kampfes der Interessen gegen einander den friedlichen Ausgleich derselben erstreben, für die bevorstehenden Wahlen geboten. Die Vertreter von Industrie, Landwirthschast, Handel und Gewerbe müssen sich vereinigen, innerhalb der einzelnen politischen Parteien nur für solche Candidaten einzutreten, welche fest auf dem altbewährten Programm des Schutzes der nationalen Arbeit und gleichmäßiger Berücksichtigung aller Zweige des Erwerbslebens stehen. An alle Anhänger des Schutzes der nationalen Arbeit ergeht daher die dringende Aufforderung, schon bei der Aufstellung der Candidaten sich über die Wahl von Männern zu einigen, welche rückhaltlos auf dem Boden der nationalen Wirthschastspolitik stehen." Während dieser Aufruf eS nur für zweifelhaft erklärt, ob die Meiflb-egünstigungSklausel in der bisherigen Form fernerhin aufrecht zu erhalten sei, wurde in Königsberg bekanntlich schlankweg von der Beseitigung dieser Klausel gesprochen; desgleichen wurden dort die langfristigen Bindungen gegenüber dem Auslande, die ein Lebensbedürfniß für Industrie und Handel sind, verworfen und so manche andere Forderung, die mit der „gleichmäßigen Berücksichtigung aller Zweige deS Er werbslebens" unverträglich ist, aufs Neue erhoben und in den Aufruf hinein interpretirt. Dem gegenüber war eS unerläßlich, den Sinn, den die Urheber des Aufrufs in diesem zum AuSdrucke hatten bringen wollen, wieder herzustellen und vor aller Welt klarzulegen, wozu die nationalliberalen Unterzeichner durch ibre Unterschrift sich verpflichten. Und das ist in kurzen Worten Folgendes: Als Ausgleichs bestrebungen können wir nur solche Bestrebungen gellen lassen, bei denen neben der „besseren" Rücksicht aus die Landwirthschast auch die Anerkennung steht, daß für Handel und Industrie längere Tarifverträge LebcnS- bedürfniß sind; umgekehrt müssen Handel und Industrie bei Wahrnehmung dieser vitalen Interessen das höhere Schutz- bedürfniß der Landwirthschast gelten lassen; wir wollen aber in diesem Augenblick und für diese Wahlen nichts Weiler verfolgen, als die Festigung und Verallgemeinerung der großen Grundlagen deS Ausgleichs; auf Festlegung von Einzel heiten lasten wir uns nicht nur nicht ein, sondern wir be kämpfen dieselbe im Interesse deSAusgleichs. — Daß die Commen- tare zum Aufrufe, die sich wahrscheinlich noch vermehren werden, — voraussichtlich läßt die Berliner Leitung des Bundes der Lanbwirthe nicht lange mit der Erklärung auf sich warten, daß sie als berufene Vertreterin der Landwirthschast allein geeignet sei, festzustellen, was der Landwirthschaft fromme und von ihr als „gleichmäßige" Berücksichtigung ihrer Interessen aufgefaßt werden müsse —, die werbende Kraft des Aufrufs nicht verstärkt, geben wir ohne Weiteres zu. Die Hoffnung auf eine Einigung lassen wir aber trotzdem nicht sinken, da die Nothwendigkeit eines friedlichen Ausgleiches zu klar auf der Hand liegt, als daß die Vertreter einseitiger und extremer Forderungen Aussicht auf die Gefolgschaft breiter Massen haben könnten. Auch das Organ des Fürsten Bismarck, die „Hamb. Nachr.", hält an dieser Hoffnung fest und sieht in der nationalliberalen Erklärung nichts, waS diese Hoff nung vermindern könnte. Im Gegenthal: „Wir sind der Ansicht, daß diese Erklärung die Partei in den Stand setzt, die Politik der wirthschaftlichen Sammlung kräftig zu unterstützen, da dieselbe den gleichmäßigen Schutz aller Zweige der nationalen Arbeit bezweckt, der früher, wie die Erklär-,ng selbst eiugesteht, der landwirlh schaftlichen Production geiehlt hat. Daß die nationalliberale Partei, wenn sie die Politik der wirthschast- lichen Sammlung unterstützt, dabei die Wahrung ihrer Partei grundsätze nicht preisgeben zu wollen erklärt, beeinträchtigt die Sache nicht. Der „Wirthfchaftliche Aufruf", auf dessen Basis die Sammlung erfolgen soll, besagt hinsichtlich des Abschlusses künftiger Handelsverträge jo ziemlich dasselbe wie die nationalliberale Er klärung, und nach den neulichen Auslassungen der Abgg. Graf Kanitz und Möller ist anzunehmcn, daß über die Zeitdauer der Verträge ebenfalls Einverständniß zwischen den beider- seitigen Auffassungen hergestellt werden wird. Im klebrigen haben wir stets betont, daß eine Cooperation der staatserhaltenden Parteien, wie sie hier beabsichtigt ist, dieselben in keiner Weise nöthigt, ihre Selbstständigkeit oder ihr Programm aufzugeben. Der Zusammenschluß soll nur bezüglich solcher Puncte stattfinden, Uber die allseitige Uebereinstimmung der Meinungen herrscht, zum Beispiel über den besseren Schutz der Landwirthschaft, über die gemeinschaftliche Bekämpfung der Socialdemokratie re. Wir hoffen, daß sich die nationalliberale Partei von der Richtung, die sie mit der vorliegenden Erklärung ringeschlagen hat, nicht durch die Elemente abdrängen lassen wird, welche die Partei auf die „manche st erlich-liberale" Seite hinüberziehen möchten. Daß die nauonalliberale Partei sich nicht auf die „manchesterlich - liberale" Seite hinüberziehen lassen wird, geht aus ihrer Erklärung zu deutlich hervor, als baß eine solche Besorgniß auskommen könnte. Die Partei wird sich aber auch ebensowenig zu einer Unterwerfung unter die Forderungen jener extremen Ivteressenvertreter be wegen lasten, die keinen Ausgleich wollen, um ibre Agitation mit dem alten Eifer betreiben zu können. Vor Allem wird es jetzt darauf ankommen, wie die Regierung und die Conservativen sich entscheiden und ob sie unzweideutig ibre Unterstützung den ehrlichen Freunden eines gerechten Ausgleiches, oder den selbstsüchtigen Befürwortern einseitiger Forderungen gewähren wollen, die jeden Ausgleich unmöglich machen und die bevorstehenden ReichstagSwahlen zu einem wüsten Kampfe Aller gegen Alle zu machen drohen. Ueber ibre Stellung zum Flottcngesetze hat die CcntrumS- fraction des Reichstags der „Germania" zufolge auch vor gestern Abend noch keine Beschlüsse gefaßt; doch bebauptet das Blatt, die Aussichten auf einmütbige Stellungnahme batten sich vermehrt. Wenn das wahr wäre, so würden auch die Aussichten auf cinmüthige Annahme der Vorlage sich vermehrt haben, denn allem Anscheine nach ist cs dem Abg. vr. Lieber gelungen, die Mehrheit der Fraktion für seine Ansicht zu gewinnen, und die Mehrheit wird sich doch der Minderheit nicht unterwerfen. Aber es ist nicht gerade wahrscheinlich, daß die Behauptung der „Germania" zutreffend sei; Alles, was über die Fractionssitzung vom 7. d. bekannt wird, widerspricht dieser Behauptung. Obgleich von dem Vorsitzenden Grafen Hompesch dringende Einladungen zu dieser Sitzung ergangen waren, war sie doch nur mäßig besucht; die Kernlruppe des bayerischen Ultramontanismus war ausgeblieben, nur der Abgeordnete Schädler war als ihr Wortführer herbeigeeilt, um dem Eifer Lieber's einen Dämpfer aufzusetzen. Die Verhandlungen wurden aller dings in einem sehr maßvollen Ton gehalten, aber alles dies kann doch die Wahrscheinlichkeit nicht verschleiern, daß es bei den kommenden Abstimmungen über die Vorlage zu einer Spaltung des Eentrums kommen wird; die Bayern werden voraus sichtlich der Mehrheit ihrer Fractionsgenossen nicht folgen und sich ablehnend verhalten. Es ist aber wohl eine Uebertreibung, wenn in manchen Blättern die Rede davon ist, daß die Bayern entschlossen seien, auS ver Fraction auszutreten und eine eigene Gruppe zu bilden; das ist schwerlich beabsichtigt und würbe auch mit den Erklärungen Schädler's in Widerspruch stehen, die dieser noch im ver gangenen Sommer abgegeben hat. Eine andere Frage ist freilich, wie lange das Centrum solche Spaltungen in wich tigen nationalen Dingen vertragen wird; ohne Rückwirkung auf den inneren Zusammenhang der Partei können sie un möglich bleiben. Die Redner in der Montagssitzung waren, nachdem Müller-Fulda über die Vorlage und den bis herigen Verlauf der Verhandlungen Bericht erstattet hatte, hauptsächlich Lieber, Gröber, Schädler und v. Hert- ling. Gröber stellte sich dabei vollständig auf den Standpunct, als dessen Vertreter in erster Linie Lieber gilt, während Schädler und v. Hertling gegen eia so weites Ent gegenkommen gegenüber den Forderungen der Regierung ibre Bedenken erhoben. Aber schon aus dem Verhallen Gröber's geht hervor, daß der Widerstand gegen die Vorlage wohl aus schließlich auf den bayerischen Theil des CentrumS beschränkt bleiben wird. Lieber wird also voraussichtlich die Mehrheit seiner Partei hinter sich haben und damit zu einer günstigen Entscheidung beitragen. Ein Schluß darauf ist schon aus der vorgestrigen Verhandlung in der Budgetcommission über denMarinetat zu ziehen, die nicht so verlaufen sein würde, wie sie verlaufen ist, wenn sich Vr. Lieber in der Minderheit wüßte. Das Ergebniß war, daß das gesammte Ertra- ordinarium mit den gelammten SckisfSneubauten bewilligt wurde. Der Abg. Richter erklärte von vornherein, das Flottengesetz sei ja doch so gut wie angenommen, also habe eS keinen Zweck, gegen einzelne Positionen sich zu erklären; dasselbe erklärte der Abg. v. Iagd- zewski im Namen der polnischen Fraction. Damit war der Streit um die erste Quote zur Ausführung des Flottengesctzes zu Ende und die ersten Raten zum Bau von zwei Linienschiffen, eines großen Kreuzers, zweier kleiner Kreuzer, zweier Kanonenboote, eines TorpedodivifionSboots und die erste Rate zum Bau von Torpedobooten wurden glattweg genehmigt. Nur in einem Puncte war vr. Lieber unerbittlich: er wollte nicht auf den Vorschlag deS Abg. Bennigsen eingehcn, das Flottengesetz vor der zweiten und dritten Lesung des Etats zu erledigen. Die Taktik des CentrumS geht eben dahin, die Entscheidung möglichst lange in der Hand zu behalten, und so wird die Vorlage erst abgeschlossen werden können, wenn der Etat fertigzestellt ist. Abwarten! Das ist auch heute noch die Signatur der Lage in Oesterreich nach der Berufung des CabinetS Thun, denn der neue Ministerpräsident hat sich noch nicht authentisch über sein Regierungsprogramm geäußert. Aber im großen Ganzen kann man doch jetzt schon, und zwar au- der Zu sammensetzung deS CabinetS, sich ein Urtheil über den Operationsplan des Grafen bilden. Seine Hauptaufgabe ist ebenso wie die seiner beiden Vorgänger, da- Parlament wieder actionsfähig zu machen, den Ausgleich unter Dach zu bringen und so das constitutionelle System vor einem unheil vollen Stoß zu bewahren. Zweifellos ist diese Absicht eine gute, und hätte Graf Thun Erfolg, so würden dadurch die Deutschen nicht minder wie die Tschechen vor einer der Ent wickelung ihres VolkslbumS gefährlichen Zukunft bewahrt. Unter diesen Erwägungen ist auch der Eintritt Bärn- reither'S, der den verfassungstreuen liberalen Großgrund besitz vertritt, in das neue Ministerium erfolgt. Das geht aus der folgenden Meldung hervor; * Wien, 10. März. (Telegramm.) In der Versammlung der Obmänner des verfassungstreuen Grundbesitze-, die sich, wie gemeldet, mit überwiegender Mehrheit für den Eintritt Bärnreither's in das Cabinet Thun anssprach, wurde constatirt, daß der Eintritt Bärnreither's nur im Hinblick auf die kritische Lage und daS ernstlich gefährdete Sta atsiuteress« gebilligt werde, damit sich der verfassungstreue Großgrundbesitz sowohl im öfter- reichischen als insbesondere im deutschen Interesse an der Herstellung geordneter Verhältnisse activ betheiligen könne. Die Versammlung nahm mit Befriedigung davon Kenntniß, daß dieser, von reinem patriotischen Empfinden dictirtr Versuch nur unter der ausdrück lichen Voraussetzung gemacht wurde, daß uicht- unternommen wird, was den Bestimmungen der Verfassung widerspricht oder dir berechtigten Interessen der Deutschen verletzt. Wie gesagt, diese Motive sind durchaus achtenSwerth, aber sie zeugen gleichzeitig von einer so unbegreiflichen Kurz sichtigkeit, daß man die Erregung begreift, welche die Annahme eines Ministerportefeuilles durch Bärnreither in den Reihen der übrigen deutschen Parteien hervorgerufen hat. Denn das ist zweifellos, daß nicht Sympathie für pje Durch eigene Kraft. Llj Roman von Alexander Römer. Nachdruck verboten. „Für wen hältst Du eigentlich diese Rede, Mama? Für mich, Deinen erleuchteten Sprossen, den Du doch sicher nie zu den Gimpeln zählst?" Felix' bleiches Gesicht hatte sich flüchtig geröthet, seine Miene aber war ironisch und so ruhig wie möglich. „Nein, Gottlob, ich brauche von Dir keine Gimpelstreiche zu fürchten", entgegnete die Baronin hastig, während sie nervös mit vem Lorgnon spielte. „Du würdest sicher, auch abgesehen von allem Anderen, kein Nachfolger, eventuell Deckmantel für Prinz Anton werden ivollen. Unbekannt ist Dir die cdroniqus soanliakouss Wohl nicht." „Mama!" Es war ein merkwürdiger, herrischer, scharfer Ton, den man sehr selten bei Felix Waldstätten kannte, und di« Baronin fuhr zusammen, sie ward noch einen Schein bleicher. Nach kurzer Pause fuhr er fort: „Ich bin sehr passiv in solchen Dingen und lege ungemein geringen Werth auf daS, was aus dem Klatschbasenwinkcl herausquillt — verzeih! Du pflegtest sonst kaum orientirt zu sein über dergleichen — diesmal hat man Dich jedenfalls geschickt in Gespensterfurcht gejagt — aber, wo man so weit geht, die personificirte Reinheit in den Schmutz zu ziehen, da soll jeder Cavalier eine Lanze rinlegen. Wer wagt es, die Namen von Fräulein Röpke und Prinz Anton in unehren hafte Verbindung zu bringen? Prinz Anton ist — nun, sagen wir es immerhin unter un- — ein grüner, unreifer Junge, und Fräulein Röpke hat ein« s«hr schwierige Stellung. Si« wird in die Gesellschaft gebracht und gehört nicht zu ihr." „Nein, sie gehört nicht zu ihr", fiel ihm dir Mama mit deut lich vibrirender Stimme in die Rede, „und das beweisen ihr die Damen ohne Ausnahme. In den intimen Cirkeln der Prinzessin, dem einzigen Ort, wo die hohe Frau sie figuriren lassen kann, machen alle Damen, soweit eS der Anstand und die Etikette er lauben, Front gegen den Eindringling, und nur dir Herren bringen ihr auffällige Huldigungen dar, an denen sie sich ja berauschen kann." „Halt, Mamachen!" Felix war jetzt ruhig und trug eine überlegen« Miene zur Schau, al- lei er der Nettere und Zurecht weisende, „laß un- zu einer richtigen Basil für unsere Unter redung gelang««. Dein Ton, in dem Du über di« junge Dame sprichst, die doch unter dem Schutze der Prinzessin steht, wie Du selber zugeben mußt, ist seltsam, ist ungerecht, Du kennst ihre Herkunft, weißt, wie sie in diese Stellung gerathen ist. Sie hat hier nichts gethan, was sie unserer Achtung unuxrth machen könnte, und wenn Du gar Befürchtungen hegst, wie es mir vorkommt, Befürchtungen, welche es in sich schließen, daß Du das Mädchen hoch stellen mutzt — so verstehe ich Deine Auslassungen gar nicht. Du hast Dich da in einen Widersinn hinein phantasirt, Mamachen." Die Baronin bebt« innerlich. Sie fühlte, daß sie unvorsichtig vorgegangen war und sich eine Blöße gegeben hatte. Die Art des Sohnes reizte sie unsäglich, und dabei blieb ihre durch Emily zuerst in ihr geweckte Furcht, welche ihr keine Ruhe mehr ließ. Wenn der indolente Felix sich zu einer so warmen Ver- thridigung herbeiließ, so war das etwas sehr Auffälliges. Solltees möglich sein, daß er wirtlich verliebt war — und die Ver liebten begehen ja die unerhörtesten Tollheiten. Sie beherrschte sich gewaltsam, sie sah ihm verstohlen prüfend in das Gesicht. „Sag' mir wenigstens, waS Dich in neuerer Zeit so sehr in der Villa Sphinx fesselt. Man erzählt sich, daß Du zu allen Stunden des Tages dort Zutritt hast, oft noch kurz vor der Tafel zur Prinzeß gerufen wirst." „Zur Prinzeß — aber Mamachen, da wundert es mich wirk lich, warum Du nicht zunächst auf den Gedanken kommst, Durch laucht fände Gefallen an mir und ich würde für eine Zeit lang der begnadete Cavalier, dem man das darbende Herz zuneigt." „Felix! Laß dies unerträgliche Spötteln, es bringt mich zur Verzweiflung. Prinzeß Adas Ruf wird wohl Keiner von uns antasten wollen, überdies zählt sie ihre vierzig Jahre — aber einen Gegenstand haben Eure intimen Unterredungen doch jeden falls." „Ja, den haben sie, und wenn eS Dein gequältes Mutterherz entlasten kann, so will ich einen Vertrauensbruch begehen und Dir Andeutungen machen, für welche Du Verschwiegenheit ge loben mußt, wie das Grab." „Das brauche ich wohl nicht, ich denke. Du kennst mich." Felix seufzte, und der Seufzer klang bedenklich nach einem Zweifel, aber er fuhr lächelnd fort: „Die Prinzessin citirt Geister — Nein, erschrick nicht", schaltete er «in, als die Baronin ihn ent setzt anstarrte, „nicht den Geist ihres verstorbenen Gemahls, sie ist sehr froh, wenn der in seiner ewigen Ruhe bleibt, aber — ei gab in ihrem Leben Augenblicke, wo Ander« — nun gut, lassen wir ja unter dem Schleier, wat je da- Licht scheute, — kurz, die er lauchte Dame wünschte in die spiritistische Wissenschaft eingeweiht zu werden und spiritistischen Sitzungen beizuwohnen, unerkannt natürlich, unter dem Spiegel des größten Geheimnisses, und ich stellte mich ihren Wünschen zur Verfügung und vermittelte die Sache." „Felix! Du mystificirst mich, Prinzeß Ada, diese streng gläubig« Seele!" „Oh! Mama, es wird dort keine Abgötterei getrieben, im Gegentheil, es wird der Beweis für die Unsterblichkeit der Seele erbracht, irrdeß, ich wollte Dein Gemüth beruhigen und es nicht aufregen. Nimm die angedeutete Thatsache und formulier sie Dir, wie Du willst, als eine neue Laune, eine Schwärmerei, einen Wahn, kurz, wie es Dir beliebt. Jedenfalls sind Deine Besorg nisse von vorhin wohl zerstreut." „Felix, Du bist sonderbar. Es war einmal die Rede davon, ich erinnere mich jetzt, daß Du Dich mit spiritistischen Schriften beschäftigtest, ich habe keinen Werth darauf gelegt. Ein so weit schweifender Geist wie der Deine umfaßt gern Alles, was durch seine Zeit fluthet, aber Du glaubst doch sicher nicht an solchen Humbug?" Frau Cäcilie sah viel beruhigter aus, dieser Gegenstand be rührte ste nicht so tief, als das erste Gesprachs-Thcma. Felix zuckte die Achseln und auf seinen Zügen war schwer seine wahre Gesinnung zu lesen. „Es giebt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen unsere Philosophie sich nichts träumen läßt", entgegnete er, „und — laß mich Dir etwas ver- rathen, Mama, der Zustand in dem das Menschenthum heut zutage im Allgemeinen sich befindet, ist ein grausam öder, man hat wenig Freude noch an seines Gleichen. Die Einen nennen es Verfall, Entartung, die Anderen ein Aufstreben zu höheren Formen. Was mich betrifft, so spüre ich ganz schauerlich das Erstere, den Verfall, die Entartung meine ich; und wohin verirrt sich da nicht der Mensch? Er versucht es auch einmal mit den Geistern aus einer abge schiedenen Periode und wendet sich an di« Schatten einer zu künftigen. Das aufgeklärte Jahrhundert findet Mittel und Wege überall hin." Die Baronin starrt« ihn verwirrt an. Es war nicht zu er gründen, ob er rm Ernst oder im Scherz sprach. Sie erhob sich. „Ich werd« alt, Felix", sagte sie resignirt, und diese ehrliche Erkenntniß war bei ihr so etwas Unerhörtes, daß ihr Sohn sie nun seinerseits verwundert ansah — „ja, ja, sieh' mich nicht so ungläubig an, Felix, ich spüre es. Ich denke ost, wer weiß, wie viel Lebenstage mir der Herr noch beschieden hat, — aber — das thust Du mir nicht an, daß Du die Traditionen unsere- House« vergißt, und — und — nein, ich will das Ungeheuerliche mit keinem au-gesprochenen Wort heraufbeschwören.' „Sei ohne Sorgen, Mutter. Die Traditionen unsere» Hauses", wiederholte er kopfschüttelnd, „unsere Vorfahren, meine Urgroß- und Großväter väterlicher und mütterlicherseits waren, glaube ich, ganz andere und strammere Gesellen, als dieser Ur enkel, der jetzt vor Dir steht. Ich wollte, ich hätte ihr Mark in den Knochen und die schöne Ruhe, dir sie noch umgab. Damals war -das Leben noch nicht so complicirt, Mutter, man kannte keine Nerven, man besaß noch nicht solche Stapel von Schriften, die den Geist zerwühlen und Alles zu unterst und oberst kehren — ach! die Urgroßväterzeiten, wenn Du die zurückzaubern könntest — ich glaube, sie kannten damals auch die schlaflosen Nächte nicht, kein Morphium und Chloral, eine gesegnete Zeit, Mutter." Er legte ihr den Mantel um die Schultern, und ihr fielen zum ersten Mal seine durchsichtig weißen Hände auf. Es fröstelte sie, ja, sie hatte einen sonderbaren Sohn. Ettvas dergleichen ging über ihre Lippen. Er lachte. „Einen echten Bürger des neunzehnten Jahrhunderts, einen richtigen modernen Menschen, der all die Hypercultur in sich gesogen hat, nennst Du Deinen Sohn", sagte er und geleitete sie hinunter an das elegante Coup5, das draußen ihrer harrte. Zwanzigstes Capitel. Langsam stieg Felix die Stufen wieder hinauf in seine Wohnung, kleidete sich vollends an und befahl Franz, ihm eine Droschke zu holen, welche ihn in sein Arbeitsbureau brachte. Sein Kopf schmerzte, man war gestern nach der Oper noch bei Dressel zusammen gewesen bis zum Morgengrauen; die ersten Kräfte des Opernpersonals und des Ballets hatten an dem Gelage theil- genommen und es war zuletzt recht wüst zugegangen. Von dem Ende solcher Scenen wußte man ja glücklicherweise am anderen Morgen recht wenig. So erledigte er heute nur das Nothwendigste und trat, da die Stunde für das Diner, das er meist in einem feinen Clublocal im Kreise von Standesgenossen einnahm, noch nicht heran gekommen war. in einen Austernkeller, um sich bei einem Glase Rheinwein an den frischen Schalthieren zu stärken. Der Besuch und die Reden der Mutter hatten Allerlei in ihm aufgewühlt. Wenn er ihr auch ausgewichen war, sich selbst konnte er nicht immer ausweichen, klebrigen» ging die Mama mit Besorgnissen in die Irre. Er hatte da vorhin eine Lanz« für das junge Mädchen, das sie fürchtete, gebrochen, aber er wußte sich selbst kaum Rechenschaft darüber zu geben, wie er dazu ge kommen war. (Fortsetzung folgt.)
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