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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980312022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898031202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898031202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-12
- Monat1898-03
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Die Morgru-LoSsab« erscheint nm '/«? Uhr, di« Lbeud-Au»gab« Wochentag» nm b Uhr^ Ne-action uv- Lrve-itiour Johanne-gafie 8. Di« Expedition ist Wochentag» nnnaterbrocha» »«öffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr, /Malm: Dtt« Klemm'» Eortim. (Alfred Hatz»)» UuiversitätSstraße 3 lPaolinnm), Laut» Lösche. IkaHarillmstr. 14, pari, mrd KöuigrplaL 7. Vezugr-PreiD » d» Hanpterpeditim» od«r d«a t» Stadt- bertrt «nd de» Vororten errichteten An»- aavestellen abg«holt: vierteljährlich4.50, oei zweimaliger täglicher Znstel lang in» Han» 5.50. Durch die Post bezogen für Dentfchland and Oesterreich: viertel,ährlich 6.—. Llrecr« tägliche Arrnzbaudiendung tn» Ausland: monaUich ÜI 7.üv. Abend-Ausgabe. 'chüMTaMait Anzeiger. Amtsvlatt des Königlichen Land- und Ämtsgenchles Leipzig, -es Mathes und Notizei-Ämtes -er Lladt Leipzig. 128. Sonnabend den 12. März 1898. «nzetgen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile SO Pf-, s««lam«n «ater dem RedactioaSstrich (4a» walten) SO^j, vor den Familiennachricht«» (6 gespalten) 4O>-. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und ZiffernsaH nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit dm Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderun^ 60.—, mit Postbeförderung 70.—» Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. ffLorge »«Ausgabe: Nachmittags 4UHL, Sei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Sättigen stad stets au die Expedits»» zu richte». Druck and Verla» von L. Polz in Lelptich 92. Jahrgang, ff Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. März. Der hauptsächlich von Mitgliedern des Wirtschaft lichen Ausschusses verfaßte, vorgestern an dieser Stelle nochmals mitgetheilte Aufruf zur Sammlung ist gestern endlich mit einer großen Anzahl von Unterschriften, die fast zehn Seiten der „N. Pol. Nachr." bedecken, aber noch ver mehrt werden sollen, veröffentlicht worden. ES heißt in ihm bekanntlich: „Daher ist die Sammlung aller derjenigen Parteien und wirthschaftlichen Gruppen, welche an Stelle des Kampfes der Interessen gegeneinander den fried lichen Ausgleich derselben erstreben, für die bevorstehenden Wahlen geboten." Nun haben aber gestern zur selben Stunde, als der Aufruf in vielen Tausenden von Exemplaren versandt wurde, im Reichstage bei der zweiten Berathung der Postdampfer- Borlage conservative Abgeordnete, von denen mehrere, wie die Herren v. Levetzow und v. Ploetz, zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören, einen Antrag verfochten, der keineswegs den friedlichen Ausgleich der Interessen, sondern den Kampf derselben gegen einander zu fördern geeignet ist. Es wurde nämlich der ebenso unpraktische, wie bedenkliche Versuch er neuert. den Schutz, den man der Landwirthschaft gegen etwaige Schädigungen durch die Rückfrachten der subven- tionirten Dampfer gewähren will, dahin auSzudehnen, daß die Rückfracht von Wolle durch das Gesetz aus geschlossen werden sollte. Schon bei der ersten Lesung batte der Staatssecretair Graf PosadowSky auf die Entwickelung der deutschen Textilindustrie und den gegen ihren Rohstoffbedarf verschwindenden Umfang der heimischen Wollproduction hingewiescn, um die Zwecklosigkeit und Un möglichkeit jeder Maßregel zur Einschränkung veS Imports fremder Wolle darzuthun. Gestern ergänzte der Staatssecretair diesen Hinweis durch statistische Angaben von augenfälliger Beweiskraft, indem er an die Vertreter landwirthschaftlicher Interessen die eindringliche Mahnung richtete, einerseits nicht dem in Frage kommenden AuSlande, das ein nicht un bedeutender Abnehmer deutscher landwirthschaftlicher Producte, wie namentlich deutschen Zuckers, ist, durch praktisch nutzlose Forderungen zu Mißdeutungen Anlaß zu geben, andererseits aber nicht die im eigenen Interesse der Landwirthschaft liegende Politik der Sammlung durch zwecklose Be unruhigung einer großen Industrie zu erschweren. Bei den Conservativen und den Antisemiten fand er nur taube Ohren; ebenso der Abg. Münch-Ferber, der auf das Ueberzeugendste nachwieS, daß die Annahme des Antrags den Eingang der der Industrie unentbehrlichen Wolle ledmlich um einige Tage verzögern, mithin der den deutschen Woll producenten gar nichts nützen und lediglich eine Feindselig keit gegen die Textil-Jndustrie bedeuten würde. Die in der Sitzung anwesenden Conservativen stimmten mit Aus nahme von vier Mitgliedern sammt den Antisemiten, den Polen und einigen CentrumSmitgliedern für den Antrag, der freilich trotzdem mit 157 gegen 47 Stimmen abgelehnt wurde. Der Aufruf zur Sammlung hat mithin in Folge des UebereiferS des BundeSführerS v. Ploetz und seiner Freunde die erste Probe scklecht bestanden. Hoffemlich fällt die nächste bester aus. An Bemühungen, die Gegensätze auSzuzleichen und besonders die Seitensprünge der Leiter des Bundes der Landwirthe zu verhüten, fehlt es, wie wir einer Mittheilung der „Schles. Ztg." entnehmen, auch auf con- servativer Seite nicht. Am Schluffe dieser Mittheilung heißt eS: „Vereinbart ist der Aufruf mit dem Bunde durchaus nicht: doch kann derselbe logischer Weise nach den Aeußerungen des Herrn von Ploetz in Dresden und des Herrn vr. Hahn im Circus Busch dem Ausrufe seine Zustimmung nicht versagen; denn die ge- nannten Bundesleiter haben sich genau in demselben Sinne aus gesprochen. Es kann freilich nicht verschwiegen werden, daß neuere Auslassungen der genannten beiden Herren in weiten politischen und namentlich in con servativen Kreisen starkes Befremden und ent- schiedene Mißbilligung gesunden haben. Im Interesse der Landwirthschaft würde es keinesfalls liegen, wenn die Leiter des Bundes sich abseits der Sammlung bewegen und den Hintergrund für eine demagogisch-antisemitische Agitation abgebcn wollten; grade hiergegen soll eben die Sammlung der wirthschaftlichen Elemente schützen. Die Hoffnung der Freihändler, daß die Sammlung an den erwähnten Auslassungen doch noch scheitern werde, wird sich aber nach unserer Uebcrzeugung nicht verwirklichen. Es haben Wort führer des Bundes der Landwirthe schon manchmal „über die Schnur gehauen" und dann doch eingesehcn, daß sie damit einen Fehler gemacht haben; der größte Fehler aber, den sie jemals machen könnten, wäre der, die wirthschaftliche Sammlung zu ver hindern und die Wirkung des Aufrufs auf die Wählerschaft muth- willig zu beeinträchtigen." Daß das Zentrum seine Stellungnahme zu dem Flotten gesetze vorgestern abermals vertagt hat, Hal der Telegraph bereits gemeldet; er hat auch mitgetheilt, daß die „Germania" diese abermalige Vertagung mit der gestern erfolgten Abreise der bayerischen Mitglieder motivirt, die den Geburtstag deö Prinzregenten mitfeiern wollen. Aus dieser Motivirung geht hervor, Laß vorgestern mit den Bayern eine Ver ständigung noch nicht erzielt worden ist. Und daß eS nicht leicht sein wird, eine solche herbeizuführen, gebt daraus hervor, daß gestern im Reichstage der bayerische Abgeordnete vr. Heim u. A. erklärte: „Wir werden in der nächsten Zeit wobl noch sonst Gelegenheit haben, Farbe zu bekennen,- da wir für schwächliche Resolutionen in der Deckungsfrage nicht zu haben sind." Aber vielleicht hat die abermalige Verschiebung der Entscheidung noch einen anderen Zweck als den, Zeit zu neuen Einigungsversuchen zu gewinnen. Wir finden nämlich heute in der „Franks. Ztg." folgendes Telegramm: BreSla«, 11. März. Aus fürstbischöflichen Kreisen er fahre ich, daß Cardinal Kopp am Dienstag in einer überaus wichtigen Mission nach Rom gefahren ist. Sofort nach seiner Ankunft dort wird der Batican die Verhandlungen mit der deutschen Reichsregierung über dringendeWünsche des Centrums aufnehmen, deren Ergebniß entscheidend für die Flotten vorlage sein werde. Die Abstimmung über die Deckungsfrage wird absichtlich so lange hinausgeschoben werden. Von anderer Seite wird der Romreise des Breslauer Cardinal-Fürstbischofs allerdings ein anderer Zweck unter geschoben; es heißt nämlich, er plane einen „größeren Schlag gegen den unter dem Namen des Polenthums in Oberschlesien arbeitenden AgrarsocialiSmus" und wolle diesen Plan gegen eine Störung durch römische Einflüsse sichern, da der Propagandapräfect Cardinal LedochowSki seine grog polnischen Gesinnungen noch nicht ganz aufgegeben habe. Das mag ja zutreffen, würde aber den von dem Gewährs mann« des Frankfurter Blattes der Reise des Cardinals Kopp beigelegten Zweck nicht ausschließen. Verdächtig ist die Verschleppungstaktik des Centrums immer gewesen, und die vaticanische „Voce della Verita" hat ihrer Erwartung, daß das Centrum sür seine dem Flottcngesetze zu leistenden Dienste anständig werde bezahlt werden, erst kürzlich zu offenen Aus druck gegeben, als saß man glauben dürfe, der Valican werde es ablehnen, der deutschen Reichsregierung die dringenden Wünsche des Centrums wärmstens anS Herz zu legen. Das Wiener Blatt „Reichswehr" enthält an hervor ragender Stelle einen aus München datirten Artikel, über schrieben: „Bayern und Preußen", dem wir folgende Stelle entnehmen: „ . . . . Jedenfalls ist momentan der Gegensatz zwischen Preußen und Bayern sehr schroff und die Sprache des preußischen Kriegs- Ministers v. Goßler in der Militaircommission hat diesen Gegensatz eher verschärft als gemildert. Dessen ungeachtet beharrt Bayern aus seinem klaren Rechte (betreffs des obersten Militair- gerichtshoies), und man läßt sich durch preußische Inter- pretationskunst nicht irre machen. Neben dem bekannten Staatsrechtslehrer von Seidel hat sich auch Fürst Bismarck im Sinne Bayerns ausgesprochen. Kurz und gut: Preußen hat diesmal einen Gegner gesunden, der weiß, was er will, und sich auch durch Drohungen aller Art nicht davon abhalten läßt, sein gutes Recht zu vertheidigen. Auf preußischer Seite wird dabei wieder viel von der deutschen Einheit gesprochen, aber man lese dabei: preußische Einheit, wenn man das Richtige treffen will. Polen- und Welsenthum wachsen, in Braunschweig ist man das preußische System satt, Württemberg wählt demokratisch, in Baden ist der Nationalliberalismus, die preußenschärmerische Partei, ge stürzt; in Elsaß-Lothringen ist der Germanisirungsproceß infolge der preußischen Verwaltungspolitik weniger denn je dabei, vor wärts zu kommen, und wie es in Bayern steht, ist in Vorstehendem ungesähr dargelegt worden. Das deutsche Reich trägt einen föderativen Cbarakter, entsprechend seiner Natur und Len Wünschen der deutschen Stämme, aber Preußens Politik geht aus Centralisirung aus, und darin liegt eben der bedenkliche Gegensatz, aus dem so viele Erscheinungen in unserem politischen Leben zu erklären sind. Die Haltung Preußens in der Militair- Strafgerichtsordnung Bayern gegenüber ist ein neues lehrreiches Docuinent, aus dem man Vieles lernen kann. Hat doch Fürst Bis marck gelegentlich einmal gesagt: „Der schlimmste Particularismus ist der preußische!" Damit hat der alte Herr in Friedrichsruh Recht, wenn er auch sonst manchmal nicht Recht gehabt hat." Hierzu bemerkt die Berliner „Post": Unseres Mistens ist die „Reichswehr" ein Blatt, das mit maßgebenden Stellen in Oesterreich, vor Allem mit militairischen Kreisen Fühlung hat. Um so mehr muß das vorstehende Machwerk auffallen. Wir meinen, in einer Zeit, wo die innere Lage Oesterreichs derart ist, daß die dortigen Politiker alle Veranlassung hätten, vor der eignen Tbür zu kehren, sollte sich ein solcher publicistischer Angriff gegen den Bundesgenossen Oesterreich-Ungarns erst recht verbieten. Stammt das Elaborat aus gewissen Preußen- bezw. re ichS- feindlicheu Kreisen in Bayern, so muß eS jedenfalls zu denken geben, daß die Hetzerei jener Kreise in einem Wiener- Blatt ein so lebhaftes Echo findet! — Wir fügen dem hinzu, daß die „Reichswehr", die Nachfolgerin der alten „Wiener Presse", nicht nur mit militairischen, sondern auch mit klerikalen Kreisen engste Fühlung hat und als das Organ jener rückständigen, aber einflußreichen Kreise zu gelten hat, welche die 1866er Gestaltung der Dinge noch nickt verwunden haben und sich in die Vormachtsstellung Deutsch lands noch immer nicht finden können. Seinem blinden Philisterhaß gegen Deutschland hat das Wiener Blatt, wie man sich erinnern wird, schon einmal, und zwar in einem allgemeines Aufsehen erregendenArtikel Ausdruck gegeben,alsGrafMurawfi w im Januar 1897 zum russischen Minister Les Aeußern ernann: und als angeblich authentisch versichert wurde, er sei ftn innersten Herzen deutschfeindlich gesinnt. Damals polemisiere hie „Reichswehr" aufs Schärfste gegen die Berliner Politik, die Oesterreich in seinen Orientintereffen nicht unterstütze, sowie gegen die Politik Oesterreichs, das um eines be friedigenden Kopfnickens der Berliner Diplomaten willen alles Selbstbewußtsein aufgebe und sich zu einer Mackt zweiten Ranges erniedrige, anstatt danach zu trachten, das; es von Murawjew in die — russisch-französische Combination mit einbezogen werde. Von nicht geringerem Haß gegen Deutschland zeugen auch die erst kürzlich in der „Reichswehr" erschienenen Artikel über die deutsche Militairstrafproceßordnung. Irgend welche actuelle Bevcn- tung braucht man diesen Leistungen nicht beizumessen, alcr eS ist doch gut, sich von Zeit zu Zeil daran zu erinnern, welche Minirarbeit in Oesterreich gegen Deutschland und den Dreibund getrieben wird. Man wird auch nicht fehl gehen, wenn man mit der in diesen Kreisen herrschenden Stimmung die Animosität in Verbindung bringt, welche gegenwärtig i > Oesterreich gegen das Deutschthum die Ministerprogramme sür die innere Politik schreibt. Die praktische Wertblosigkeit social-emokratischcr Hirn- gespinnste wird abermals in schlagendster Weise dargethan durch den Bericht, den ein Mitglied des Ministeriums für Neu-SüdwaleS, I. Garrard, über eine Inspektionsreise er stattet, die ihn durch die socialdemokratischen Acker bau-Ansiedelungen Südaustraliens führte. Der ge nannte Minister äußert sich über den Stand dieserAnsiedelungen sehr abfällig. Die Ansiedler seien, so berichtet er, mit ehrlichem Enthusiasmus sür Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ins Zeug gegangen, ein Erfolg aber war ihren Bemühungen erst beschicken, nachdem sie die socialdemokratischen Theorien über Bord geworfen und das Privateigenthum an Grund und Boden proclamirt hatten. Er führt u. A. als Beispiel eine Ansiedelung Namens Holder an, wo die Arbeitsamen unter den Genoffen sich peremptorisch weigerten, „die Faulen auf ihrem Rücken mit zu schleppen". Ebendort kam eö vor, daß die Unverheiratheten rebellirten, weil sie pro Mann nur eine Ration erhielten, indeß den Verheiratheten so viele Rationen geliefert wurden, als ihre Familie Köpfe zäblte. Aus Verdruß ob dieser „unsocialdemokratischcn" Eintheilung schieden die Unverheiratheten aus und be gründeten eine neue Genossen-Ansiedelnng. Wen» aber so die Apostel der neuen Zeit sich untereinander bekämpfen, und zwar in sehr principiellen Fragen, braucht man sich nicht zu wnndern, wenn die Vertreter der alten Weltanschauung sick> minder energisch der Realisirung socialdcmokratischer Well- beglückungS-Idecn entgegenstemmen. Wie den „B. P. N." mit- getheilt wird, scheint eine Revision der englischen Arbeitergesetzgebung behufs wirksameren Schutzes der Arbeitswilligen in Anbahnung begriffen. Dir „broo ftabour krotection zVssociation" hat ein Count»' I nietergesctzt, welches sich mit den Ausschreitungen der I Streikposten und mit der gesetzlichen Verantwortlichkeit der I Tradc-Unions befaßt. Diese Maßregel ist augenscheinlich aus /»«iUeton. Durch eigene Kraft. 23s Roman von Alexander Römer. Nachdruck «erbot«». Einundzwanzig st es Capitel. Die Villa der Prinzeß Ada, welche nach den beiden steinernen Bildern am Eingang den Namen „Sphinx" führte, lag inmitten eines parkähnlichen Gartens an der Charlottenburger Chaussee. Ottilie, seit zwei Jahren stets im Gefolge der Prinzessin, auf Reisen oder hier, dem eigentlichen Domicil der hohen Frau, saß in ihrem eleganten, mit viel luxuriösen Nichtigkeiten erfüllten Zimmer und las. Ein Stapel neuer, vom Buchhändler ge sandter Bücher, Broschüren und Zeitschriften lag vor ihr auf dem Tische, und sie blätterte in den Heften. Sie bekleidete dem Namen und der Form nach das Ami einer Vorleserin der Prinzessin, obgleich ihre Gebieterin fast nie die Ruhe besaß, sich vorlesen zu lassen. Aber es war ihr bequem, wenn Ottilie dieses immer neu zufluthende Material sichtete und oberflächlich durchsah und sie dann in gedrängter Kürze ungefähr über den Inhalt orientirte. So ging ein Gemengsel verschiedenartigster Literatur durch des jungen Mädchens Hände, ihr Kopf und ihre Phantasie wurden mit einem bunten Wirrsal von Bildern angefüllt. In jüngster Zeit waren spiritistische Schriften jeder Gattung bei dem Buchhändler bestellt worden, und sie mußte sich auch darein vertiefen. Die Prinzessin gehörte zu den Menschen, welche eine Menge Hände und Köpfe in ihrem Dienste zu beschäftigen, ja zu ver brauchen wissen, und für Ottilie gab es immer Aufträge. Sie zählte jetzt neunzehn Jahre, aber die Wangen hatten schon von ihrer ersten jugendlichen Rundung eingebützt, in den ernsten Augen lag nicht mehr dieser träumerische Glanz der Un schuld, ein reiferer, bewußterer Ausdruck war in das Gesicht ge kommen, aber schön war sie auch heute noch — für manchen Kenner vielleicht noch schöner als ehemals. Sie erhob sich von der mit einer persischen Deck« belegten Ottomane und horchte hinaus. Die Prinzessin war zur Gala tafel nach Potsdam gefahren und mußte bald zurückkehren. Draußen rauschte es melancholisch in den kahlen Zweigen der hohen Bäume, die dunklen Föhren schüttelten ihre Wipfel, «in pfestender, ächzender Ton strich zuweilen durch das Geäst, es regnete und aus den vorspringenden Wasserspeiern rieselte es in die steinernen Becken. Die Gasflammen am Eingangsthor brannten trübe und flackerten hin und her, es war melancholisch still und öde in der Villa. Auf den weichen Teppichen der Gänge und Treppen verhallten die Tritte der Dienerschaft, ein gelegentliches leises Knarren unbotmäßiger Stiefel, ein leichtes Huschen und Flüstern, auch wohl ein unterdrücktes Kichern — das Treiben der Jungfern und Lakeien — waren die einzigen Laute, die sich dem Ohr auf drängten. In dem Toilettenzimmer der Fürstin, das an Ottiliens Ge mach grenzte, raschelte Klöckchen, die Garderobiere, mit den Seidenroben, und der eigenthümliche Duft eines feinen orien talischen Räucherwerkes durchzog alle Räume. Ottilie horchte auf den Wagen der Gebieterin und wartete. Wie lange lebt« sie nun schon in dieser Luft? Es war ihr, als sei es eine sehr lange Zeit, viele Jahre. Wechsel- und unruhevoll, aber nicht ereignißreich waren sie vorübergeraufcht. Sie hatte viele einsame Stunden, und doch nie vollkommen« Muß« und Ruhe, es war eine ewige Spannung, Erwartung, Aufregung. Unvorhergesehenes geschah fast alle Tage, bedenkliche Situationen kamen, welche die ganze Besonnen heit eines reifen, geschulten Menschen erfordert-.n. Sie hatte sich gewöhnt, aufmerksam zu beobachten, wenig zu reden, Nie mandem zu trauen. Das war keine natürliche ?lufgabe für ein Mädchen von 19 Jahren. Sie hatte viel, ja eigentlich eine für ihre Jugend zu uneingeschränkte Freiheit, sie ward verhätschelt, verwöhnt, und dann wieder kostete sie die empfindlichsten Krän kungen, die bittersten Erfahrungen durch. Heute Morgen hatte sie in der Equipage der Prinzessin, die stets zu ihrer Verfügung war, einen Besuch bei der Gräfin Pfeiler, geb. Alma von Seebeck, abgestattet. Alma, die Pensions freundin, war die einzige weibliche Bekannte, mit der sich hier für sie eine Anknüpfung gefunden hatte, wenn sie Emily von Eichsfeld ausnahm, welche ihr zuweilen eine geflissentliche Wärme heuchelte, an die sie nicht glaubte. Sie hatte die Jugendfreundin gleich im ersten Jahre ihres Hierseins aufgesucht, einestheils getrieben von ihrem sehnsüchtigen Herzen, das nach einem Anschluß verlangte in ihrer bedenklich ftolirten Stellung, anderntheils auch aus einer klugen Berechnung. Sie mußte versuchen, eine Position zu gewinnen in der Gesellschaft. Alma war damals erst seit einigen Monaten verheirathet, sie empfing sie mit dem früheren kindischen Jubel. Aber — war sie verändert? Oder war es die Freundin? Almas ganze Ideenwelt, ihr krauses Geplauder, ein Gemengsel oberfläch lichsten Gesellschaftsklatsches, erschienen Ottilien albern. Daneben fiel manch unbedachtes, rücksichtsloses Wort, tvelches Ottiliens feines Gefühl verletzte. Aima fans diese wechselnden Wen dungen ihres Geschickes romanhaft, ungeheuer interessant, erklärt; aber doch, ihr« jetzige Stellung sei gräßlich und auf die Dauer furchtbar langweilig. „Nun, man wird Dich verheirathen", sagte sie tröstend, „und dann kannst Du Dein Leben genießen." Aber es machte Ottilie gar nicht den Eindruck, als ob Alma in ihrer jungen Ehe glücklich sei. Sie lebte in einem Strudel von Vergnügungen, das heißt Repräsentation in der großen Welt, und die Gatten schienen wenig intimen Austausch zu haben. Heute nun hatte sie Alma in Thränen gefunden. Sie war leidend, nervös und doppelt rücksichtslos in ihren Aeußerungen. „Prinz Anton soll Dir ja rasend die Cour machen", warf sie hin, „nimm Dich in Acht, der scheucht Dir die reellen Freier fort, und Du mußt doch mit Energie auf eine Heirath zusicuern." Wie häßlich, wie verletzend hatte das aus dem jungen Munde geklungen! Ottilie hatte es aber gelernt, mancher spitzen Rede ein stolzes Schweigen entgegenzusetzen, und so batte sie es auch heute gethan. Der Traum, die Jugendfreundschaft in ihrem damaligen schwärmerischen Charakter wieder aufleben zu lassen, war lange verblaßt, aber solche Züge bohrten doch einen tiefen Stachel in ihr Herz. Dieser Prinz Anton war ein sehr lästiger Mensch, dessen auf fällige Huldigungen ihr schon manche böse Stunde bereitet hatten. Oft ballten sich ihre Hände in ohnmächtiger Wuth, weil sic dem hohen Herrn, der sie zuweilen mit seinen frechen Blicken verschlang, ihr die banalsten Schmeicheleien in die Ohren zu zischeln wagtet nicht offen ihre Verachtung ins Antlitz schleudern durfte. Es war ja ein Prinz — und sie — ja, sie stand unter dem Schutze der Prinzessin, aber ihre fürstliche Gebieterin nahm solche Dinge leicht, und dann war es ein heikles Ding, bei ihr eine erlauchte Person anzutasten. Ottilie kannte das bereits aus Erfahrung, sie kannte dieses Stirnrunzeln, dieses Heben der Schultern, diese stolze, unsäglich hochmüthige Miene, die mehr sagte, als Worte je hätten ausdrücken können. Sie mußte sehr vorsichtig sein auf diesem Boden, dem sie nicht mehr entfliehen konnte. Familienbande hatte sie ja kaum noch. Der Vater war nach Australien gegangen. Er schrieb im Anfang ein paar Mal von Sydney und Melbourne aus, hoffnungsreich, prahlerisch, wie es seine Art war, später fehlte jede Nachricht von ihm. Die Correspondenz mit den Tanten erwies sich als schwierig und erlosch beinahe. Tante Marianne hatte sich nie zu einer Er widerung herbeigelassen, sie war nicht vertraut mit der Feder; Liesa hatte augenscheinlich unter besonderen Anstrengungen in großen Pausen ein paar Antworten vom Stapel gelassen, die aber nichts Wissenswerthes enthielten. Es ging ihnen gut, was sie auch von ihr hofften — anderen Inhalt boten die ungelenken Sätze nicht. Die Familie Heidemann wurde nie erwähnt. Jetzt wurden draußen ein paar glühende Augen in dem feuchten Nebel sichtbar. Das waren die Laternen am Wagen der Fürstin. Er rollte in die Einfahrt, die prächtigen Schimmel machten in raschem Trabe die Rundung um das Rasenrondell und wurden kunstgerecht zum Stehen gebracht. Wie aus Stein gemeißelt standen sie vor der Rampe. Die rothen Rosetten an den weißen Köpfen leuchteten in dem Hellen Strahl, der aus der Eingangshalle fiel, ein Lichtschein streifte auch die räthselvollen Steingesichter der Sphinxe, die zu beiden Seiten der Steintreppe lagen. Auf den Corridoren wurde es lebendig, Ottilie trat in das Toilettezimmer. Prinzeß Ada rauschte herein, ganz in Weiß gekleidet, mit der ellenlangen Schleppe von weißem ^loirve ontique, reich mit echten Brüsseler Points garnirt, funkelnd von Brillanten, dir in Diademform das Haupt schmückten und in den Spitzen der Robe, an Hals und Busen strahlten. Ein blendender Anblick. Sie warf das schwanüesetzte Mantelet von den nackten Schultern und rief der noch in der Thür knixenden Götting ein paar kurze befehlende Worte zu: „Halten Sie sich nach einer Stunde etwa bereit, mich in die Oper zu begleiten, später zum Thee sind Sie dispensirt." Mit noch halb abwesendem Blick, zerstreut schritt sie vorwärts über den weichen Teppich, ohne Ottilie zu sehen, wie es schien. Sie schleuderte Fächer und Handschuhe der bereit stehenden Klöckchen zu, welche beides geschickt auffing. Sie hatte die Prinzessin schon von deren Kinderjahren an bedient und war in ihrem Beruf ergraut. Ottilie bewunderte sie oft, wenn sie mit ihren welken, von Gicht gekrümmten Fingern an den feinen Häkchen der Brillanten herumarbeitetc, Kopf-, Haks und Armschmuck zusammensetzte in verschiedensten Formen. Prinzeß Ada sank in den Sessel und ließ sich von der Alten die feste Taille lösen. Ein befreiender Athrmzuz verrieth, wie lästig ihr bei ihrer Fülle die große Toilette gewesen war. „Sieh da, Kleine", sagte sie jetzt und reichte Ottilien di- Hand zum Kusse, „na, warte, laß mich nur erst wieder zum Menschen werden, dann sollst Du mir Bericht erstatten, und wir werden plaudern. Uff! Ist das übrigens heiß hier — Mignonne, öffne das Fenster — das dort links natürlich — rasch, Klöckchen, rasch!" Sie streifte die kostbare Gewandung mit ungestümen Be wegungen ab, warf das Strahlendiadem aus ihrem Haar, welches
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