Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.03.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980322023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898032202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898032202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-22
- Monat1898-03
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vezug-.PreiS brr Hauptexpedition oder den tm Stadt, bezirk und den Vororten errichteten Aut- aobeslellen ab geholt: vierteljährlich ^l4.öO, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» b.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direcre tägliche Kreuzbaudieuduug tu» Ausland: monatlich 7.bO. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abrnd-Ausgabe Wochentag» um b Uhr^ Le-action vn- ErveLitiou: IohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale»: iktt» Klemm'» Eortim. (Alfred Hatz«), Uaiverjitätsstraße 3 tPanlinum). Loui» Lösche. Kethariuenstr. ich pari, »ad König»plrb, 7. Abend-Ausgabe. WpMr TagMaü Anzeiger. Amtsblatt -es Äöniglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. «>zeige«.Vrei- ^Gie 6 gespaltene Petitzeile SO Pf^ Aeelame« unter dem Redaction-strich (4g» ipaltrn) 50-^, vor den ^amiliennachrichte« (S gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Pni»« verzeichnib. Tabellarischer und Ziffernj«tz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen «Ausgabe, ohne Postbeförderunz,' S0>—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anreisen: Abend-Au-gab«: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedits»» zu richten. vnick nnd Verlag von E. Potz tn Leipzig 92. Jahrgang. 1^6. Dienstag den 22. März 1898. Deutschland, Rußland und Kreta. Nachdruck verbolcn. Die in der vergangenen Woche gebrachte Nachricht von der Zurückziehung der „Oldenburg" auS den kretischen Gewässern ist nn Auslande vielfach und nicht immer freundlich besprochen worden. So haben die „Times" einen Artikel mit ziemlich plumpen Scherzen gegen Deutsch land gebracht. Die „Nowoje Wremja" setzt an die Ltelle des Spottes die Drohung. Sie erklärt, das Ver balten Deutschlands in der kretischen Affaire gleiche einem Abfall von dem europäischen Concert uud sei eine Ermuthizung der Türkei, die Candidatur des Prinzen Georg zurückzuwcisen. Das russische Blatt räth der deutschen Diplomatie, sich nicht durch das bekannte Wort von den ..Knochen des pommerschen Grenadiers" zu einem Jrrthum verführen zu lassen. Zu der Nothwendigkeit gebracht, in völligem Einvernehmen mit England zu handeln, werden Rußland und Frankreich dazu veranlaßt, ungünstig gegen Deutschland in Afrika und Ostasien zu handeln. Man darf überzeugt sein, daß dieser drohende Artikel seinen Zweck, die deutsche Regierung zu erschrecken, verfehlen wird. Einmal nämlich stehl die deutsche auswärtige Politik noch immer auf dem Bismarck'schen Standpuncte, daß durch eine gewisse drohende Gestaltung der Druckersckwärze, durch Zusammenstellung von Worten, eine große und stolze Macht, cm Deutschland nicht eingeschüchtert werden kann; zweitens aber muß man gerade bei Auslassungen der russischen Presse immer berücksichtigen, daß sie naturgemäß nicht den Einfluß bat, wie die Presse parlamentarisch regierter Länder, und daß in Rußland mehr als in anderen Staaten die höchste Stelle selbstständig den Gang der Politik bestimmt. Wenn trotzdem der Artikel der „Nowoje Wremja" eine Widerlegung wohl verdient, so geschieht es wegen des Ein drucks, den er außerhalb Deutschlands und Rußlands gemacht bat und noch machen wird. Die „Times" haben bereits den Artikel unmittelbar nach seinem Erscheinen registrirt, andere Blätter Englands und Frankreichs werden folgen. Es sei daher auf den Inhalt der Drohung und auf ihre sachliche Berechtigung eingegangen. Die Drohung besagt etwa, daß Deutschland wegen seiner Haltung in der kretischen Frage in Bezug auf seine colonialen Interessen nicht mehr auf den Schutz Rußlands und Frankreichs gegenüber England w<rde rechnen dürfen. Ueber diese Drohung kann man leicht zur Tagesordnung übergehen. Deutschland braucht weder diesen Schutz, noch bat es ihn je erbeten. Nimmt man die Frage, die gegenwärtig im Vordergründe steht, die ostasiatische, als Beispiel, so siebt man, daß England viel heunrubigter durch das Vorgehen Ruß lands und Frankreichs ist, als durch das Deutsch lands. So meinen die „Times" in einer Parallele der Besetzung von Kiaotschau und der gegenwärtigen fran zösischen Forderungen: „Als Deutschland sich Kiaotschau sicherte, setzte eS sich nicht direct auf eine große englische HandelSroute, wie die von Singapore nach Sbanghai, wie es jetzt Frankreich thun will." So haltlos, wie die Drohung selbst, ist auch ihr Grund. „Vous vou8 tLcksr, vous uvsr lort." WaS wirft man denn Deutschland eigentlich vor? Wenn es sein Kriegsschiff auS den kretischen Gewässern zurück- zieht, „so ist damit doch noch nicht gesagt, daß es auS dem europäischen Concert, sei eS auch nur in der kretischen Frage, völlig ausscheidet. Auch die kretische Frage wird doch nicht durch die Marine-Officiere in den kretischen Gewässern ent schieden, sondern durch die Diplomatie in Konstantinopel. Die Zurückziehung des deutschen Kriegsschiffes besagt also nur, daß Deutschland auf jede Eventualität eines activen Eingreifens auf Kreta verzichtet. Und dazu hat Deutschland seine guten Gründe. Nicht nur die Indiensthaltunz des Schiffes, der Aufenthalt der Mannschaften auf fremdem Boden erfordert Geld, sondern die weitere Entwickelung der kretischen Dinge wird den jenigen Mächten, die dann noch activ auf Kreta thätig sind, bedeutende Kosten verursachen, einfach nach dem Grundsätze deS „nobIo88S odligoR Nun möge man in Rußland bedenken, daß Deutschland in einer wesent lich anderen Lage ist, als Rußland, in einer anderen sogar auch, als England und Frankreich. Ueber den Unterschied zwischen Deutschland und Rußland bei Aus gaben braucht kaum geredet zu werden. Es sei nur auf daS Beispiel hingewiefen, wie die deutsche Regierung um die Flott en Vermehrung kämpfen muß, und wie in Rußland durch eine einfache Verfügung des Zaren eine Mehrausgabe von 90 Millionen Rubeln becretirt werden konnte. Auch in Frankreich und England ist in solchen Fällen die Regierung besser daran. Eine Phrase, wie etwa: „1» tricolors lumant ckans 168 oaux cko l'orienG genügt, um den Widerspruch der Kammer verstummen zu lassen. In England hilft eine Phrase von Humanität oder dergleichen über alle Schwierig keiten hinweg, daS deutsche Parlament ist weniger gutmüthig und verlangt, daß die Regierung nur da ausgiebt, wo directe deutsche Interessen im Spiele sind. Daß diese in Marokko oder auf den Antillen, oder fast überall in der Welt stärker vorhanden sind, als gerade in Kreta, wird man selbst in Rußland zugeben müssen. Zum Weiteren möge man in Rußland daran denken, daß Deutschland gegenwärtig keineswegs einen Nebenfluß an Schiffen hat. Die ja mit Sicherheit zu erwartende Be willigung der Flottenvermehruug steht doch einstweilen erst auf dem Papier. Außerdem hat Deutschland gegenwärtig in Ostasien mehr Schiffe als sonst. Jeden Augenblick können rS die über die ganze Welt verbreiteten Interessen Deutsch lands nölhig machen, daß die Entsendung weiterer Schiffe nach fernen Erdtheilen erfolgt. Es ist daber nur wünschenS- wertb, daß man in der Heimath über möglichst viele Schiffe verfügt, und daß deshalb ein Schiff, das seine Mission erfüllt hat, wie die „Oldenburg", in die Heimath zurückkehrt. So ist das Vorgehen Deutschlands objectiv berechtigt. Wie verhält sich nun dieses Vorgehen speciell in Bezug auf die deutsch-russischen Beziehungen? Auch hier wird man sagen müssen, daß Deutschland durchaus correct handelt. Man sollte denken, daß Rußland damit zufrieden sein müßte, baß ihm Deutschland völlig freie Hand läßt. In der Zurückziehung der „Oldenburg" kann man doch zum Mindesten ebenso gut eine Entmuthigung deS Sultans sehen, wie eine Ermuthigung, denn es liegt doch darin die stillschweigende Erklärung, daß Deutschland Rußland nicht etwa in den Arm fallen will. Indem Deutschland so handelt, bringt eS sogar Rußland ein Opfer. Man weiß doch, welchen besonderen Werth man in der Türkei auf Deutschlands Freundschaft legt, und daß deshalb der Einfluß Deutschlands am goldenen Horn sicherlich noch steigen würde, wenn Deutschland auch in dieser Frage positiv die Türkei unterstützte. Daß eS sich zurückzieht, wird der Pforte eine gewisse Enttäuschung be reiten. Freilick ist man dort objectiv genug, anzuerkennen, daß Deutschland zunächst nach seinen eigenen Interessen handeln muß. Man sollte in Rußland diesem Beispiele folgen. Denn für das Verhältniß zwischen zwei Mächten ist eS von großer Wichtigkeit, daß allezeit Klarheit darüber herrscht, WaS sie von einander verlangen dürfen, und was nicht. Deutschland unterstützt die Absichten Rußlands, auch activ, wenn es in Deutschlands eigenen Interessen liegt. Die Theilnabme Deutschlands an der ostasiatischen Action im April 1895 trug doch wohl mit dazu bei, daß Rußland jetzt in Port Arthur sitzt. Hier hatte aber, wie erwähnt, Deutschland auch ein eigenes Interesse. Ist ein solches nicht vorhanden, so verfährt Deutschland nach dem bewährten Grundsätze der berühmtesten Diplomatie der Welt, der Diplo matie der katholischen Kirche: „tolvrari p088v^. Man nimmt an der Action der Anderen keinen Antheil, man billigt sie auch nicht ausdrücklich, aber man läßt sie hingehen. Sv handelt Deutschland in der kretischen Frage. Und ein Mehrere-, als Deutschland Rußland zu gewähren bereit ist, wird ihm auch nie beifallen, von Rußland zu fordern. Deutschland verlangt nichts, als daß Rußland aus seiner Seite ist, wenn eS zugleich den russischen Interessen entspricht, und daß Rußland da, wo russische Interessen nicht vorhanden sind, Deutsch land freundnachbarlich gewähren läßt. Und darum darf auch Rußland nicht ein Mehreres von Deutschland fordern; es darf nicht fordern, daß Deutschland sich da positiv engagirt, wo deutsche Interessen nicht in Frage kommen. Nicht nur in einem kaufmännischen Geschäfte, auch bei den Beziehungen zwischen Staaten ist eS wünschenS- werth, wenn bei der Bilanz Debet und Credit säuberlich stimmen. Wenn Rußland und Deutschland danach ihr Ver halten gegeneinander einrichten, werden sie zederzeit Freund sein können. Es scheint fast, als ob der einzige innere Grund deS Miß behagens deS russischen Blattes darin zu suchen wäre, daß es ihm unbehaglich ist, daß in einem positiven Falle daS Vorgeben Rußlands nicht den Beifall Deutschlands, sondern den Englands findet. DaS russische Blatt beherzigt viel leicht einen Ausspruch Bismarck's aus den 70er Jahren, daß er erst die Richtigkeit seines Vorgehens erkenne, wenn er von seinen Gegnern angegriffen würde, und daß er anfinge Be denken zu haben, wenn seine alten Gegner ihm einmal zu stimmten. DaS ist ja richtig; es mag in Rußland zum Nachdenken anregen, daß England an der kretischen Frage mit solchem Eifer dem russischen Standpunct beipflichtet. Aber für diese Stellung Englands kann doch gewiß nicht Deutschland verantwortlich gemacht werden. Darum thäte man im russischen Interesse gewiß gut daran, nicht noch durch Preß artikel besonders hervorzuheben, daß man in einem Falle den fraglichen Vorzug genießt, Englands Beistand zu finden. Die Rechnung, die England dafür präsentirt, wird dadurch nur noch höher. Und auS diesem Grunde ist der Artikel deS angesehenen russischen Blattes nicht im deutschen Interesse zu bedauern, sondern im russischen. - - Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. März. Im Reichstage wird die Zusammenstellung der Be schlüsse, die daS HauS bei der zweiten Lesung deS Milttatr- ftrafproceszentwurfs gefaßt bat, schon heute zur Vertbeilung gelangen; es steht also der Erledigung auch dieser Vorlage noch vor den Osterferien ein äußeres Hinderniß nicht im Wege. Erfreulicherweise kann auch daS Hindernis;, daS der parlamentarischen Bebandlung deS Entwurfs in Folg; der bayerischen Reservatansprüche auf einem besondere!! obersten Gerichtshof entgegenftand, nach der am Sonn abend vom Reichskanzler abgegebenen Erklärung als be seitigt gelten. Wenn der Reichskanzler in so bestimmte!. Form der Hoffnung Ausdruck giebt, daß eine befriedigende persönliche Vereinbarung der beiden nächstbetheiligten Conti» - aentSherren erfolgen werde, dann steht die Grundlage dieser Vereinbarung sicherlich bereits fest. Diese überhebt auch Li: Mitglieder deS bayerischen CentrumS der vermeintlichen Pflicht, den extremen bayerisch-particularistischen Standpunct zu ver treten und dadurch daS Zustandekommen des Gesetze- zu er schweren. Immerhin ist dieses noch gefährdet, weil die zweite Lesung eine Anzahl von Puncten übrig gelassen hat, in denen eine Verständigung erfolgen muß, wenn nicht die dritte Lesung mit einer unlösbaren Differenz zwischen Reichstag und BundeSratb enden soll. Bei Beginn der zweiten Lesung bezeichnete be kanntlich der preußische Kriegsminister vier Bestimmungen, bezüglich deren er die Wiederherstellung der Regierungs vorlage als „unabweisbar nothwendig" forderte. Er fügte weiter hinzu: „Geschieht dies nicht, so würde ich die Garantie weder übernehmen können, noch übernehmen wollen, daß der Entwurf mit diesen von Ihnen beschlossenen Aenderungen auf Zustimmung seitens der verbündeten Regierungen zu rechnen hat." Die Ausstellungen deS Kriegsministers betrafen erstens die Zusammensetzung der Kriegsgerichte in H 46, welche nach der Vorlage aus einem KriegSgerichtSrath und vier Officieren, nach der CommissionSsafsung aus zwei Räthen und drei Officieren zusammengesetzt werden sollen. Der zweite Punct war die Bestimmung in K 172 über die vorläufige Festnahme eines OfftcierS, die nach der Vorlage nur wegen eine- Verbrechens auf frischer That erfolgen kann, nach der Commissionsfassung aber auch schon bei einem mit bürgerlichem Ehrcnverlust bedrohten Vergeben. Punct drei war der von der Commission beschlossene Zusatz zu tz 274 , wonach dem Verletzten unter allen Umständen der Zutritt zur gerichtlichen Verhandlung gestattet werden soll. Der vierte Pnnct war der Zusatz, den die Commission zu H 926 gemacht und nach dem, soweit bürgerliche Delikte den Gegenstand der Anklage bilden, auch ein bei deutschen Gerichten zugelassener Rechts- anwalt vom Gerichtsherrn zur Bcrtbeidigung zu gelassen werden kann, wenn nicht eine Gefährdung militairdienst- licher Interessen oder der Staatssicherheit zu besorgen ist. DaS HauS bat den Wünschen deS preußischen KriegSminifterS nicht entsprochen; r- hat in den beiden ersten Puncten und im vierten die CommissionSfassunz aufrecht erhalten und aufAutrag deS Abg. Bassermann den Zusatz zu K 274 dahin abgeänderi, daß die Entscheidung über die Zulassung in den Händen des Gerichte» bleibt. Außerdem wurde be kanntlich vom Plenum der ß 8 gestrichen, in dem bestimmt ist, daß bestraft wird, wer wegen dienstlicher Vor kommnisse nach dem Austritt an« dem Dienst einen früheren Vorgesetzten beleidigt oder fordert, wie die Vorlage weiter sagte, fall- seit der letzten militairischen Controle noch nicht zwei Jahre verflossen sind, wie der Commissions beschluß lautete, falls noch nicht ein Jahr seither ver flossen ist. Dieser ganze Paragraph ist gefallen, obwohl er in der Commission die Zustimmung der CentrumSmitglirder erhalten hatte, die dann im Plenum „umfielen". Hierbei Feuilleton. Durch eigene Kraft. 31j Roman von Alexander Römer. Nachdruck vkrdoten. Ottilie streckte die Hand nach dem Knopfe der Klingel aus, ihre Züge blieben so kalt und unbewegt, daß Emily trotz ihrer Aufregung stutzte. Sie hatte so ganz Anderes erwartet, leiden schaftlichen Schmerz, völlige Gebrochenheit — solcher Verstellung war diese ja nicht fähig. Hinter ihnen öffnete sich plötzlich eine Thür, Claus Hartwig stürmte herein. Er war in Heller Wuth, solche Frechheit überstieg ja alle Grenzen. Es war Alles fest angeordnet worden, Emily wollte vom Bahnhof direct zu den Kowalskys fahren, und während er dort durch die Fürsorge für das Gepäck noch zurück gehalten wurde, überschritt dieses Frauenzimmer alle Abmachun gen und drang hier ein. Claus war so empört, daß er keine Rücksichten mehr kannte. Ottilie athmete erreichter auf, als sie seine breite Gestalt er blickte. Sie zog sich geräuschlos zurück und überließ ihm das Feld für die weitere Verhandlung. Claus packte Emily'S Arm mit derber Faust. „Haben Sie mich bisher etwa nicht verstanden, Fräulein", rief er, noch pustend und athemlos vom raschen Lauf« die Treppen herauf, „Himmelschockschwerenoth! Ich werde nicht gern hand greiflich gegen das schöne Geschlecht, aber hier hört denn doch Verschiedenes auf." Emily brefreitc sich mit raschem Ruck aus seiner eisernen Um klammerung. „Lassen Sie mich los, Sie roher Mensch!" „Ja — der rohe Mensch, dem Sie sich einst an den Hals warfen, mein Fräulein, ich muß Ihnen wirklich bei dieser Ge legenheit mein Compliment machen, denn Ihre Drachensaat scheint immer Segensfrüchte zu tragen. Ich habe Ihnen im Grunde Allerlei zu danken. Ihr Verrath schüttelte mein träges Blut so hübsch durcheinander, es ist ein ganz tüchtiger Kerl seitdem aus mir geworden. Und dieser jungen Frau hier — ganz im Vertrauen gesagt — Sie haben ihr auch den größten Gefallen von der Welt gethan, indem Sie sie von diesem Schwächling von Gatten befreiten. Haben Sie sich eben -«weidet an dem Anblick? Nicht wahr, sie sieht nicht wie rin« vom Schmerz niedergeschmetterte Wittwe aus? Die lebt jetzt erst auf, sage ich Ihnen, Sie haben sie frei gemacht, und dem Menschen, der diese Welt so gründlich ausgekostet hatte, daß sein Geschmack für Alles schaal geworden war, der Wittlich hier nichts mehr nützt« und mit seinem Leben schließlich nichts mehr anzu fangen gewußt hätte, dem haben Sie rasch und leicht davon ge holfen. Wenn Sie noch Lust haben, hier länger aus respektvoller Entfernung zuzusehen, so -werden Sie noch Wunderdinge «rieben. In der jungen Frau steckt nach Allerlei, glauben Sie es mir — sie geht in den Bahnen der Ordnung durch das Leben, aber sie arbeitet sich durch. Leicht hatte sie es nicht. Und ich, die ich warm für sie fühle, ich bin Ihnen, wenn ich mich recht besinne, von Herzen dankbar, daß Sie ihr Raum geschafft haben." Claus hatte seinen Zorn verrauchen lassen und fühlte in diesem Augenblick beinahe etwas wie Belustigung, weil er ihr, von der er einmal gemeint hatte, sie könnte ihn in den Tod treiben, jetzt so kaltblütig gegenüberstand. Er haßte sie auch nicht einmal, er betrachtete sie nur als «in schädliches, gefährliches Geschöpf, und was er sagte, war seine volle Ueberzeugung. Was sie hatte böse machen Wösten, machte Gott gut. Emily war unter seiner stachelnden Rede in einen Stuhl gesunken, es schüttelt« sie wie Fieberfrost. Seit Felix' Tod tobte in ihr eine Hölle. Auch ihre Klugheit, ihre Klarheit war dahin. Gewissen — Unsinn! Sie glaubte an kein Gewissen, und — wenn sie auch in ihren Gedanken berechnet hatte, daß Alles so kommen könne, so kommen sollt« nach ihren haßerfüllten Wünschen — Berechnungen und Wünsche tödten nicht. Nur eigene Thaten reißen den Menschen ins Verderben — ihn fällte seine eigene haltlose Schwäche. Und solche Zustände, wie der ihre augenblicklich, entsprangen aus Nervenüberreizung. Sie hatte ihr« Körperconstitution für kräftiger gehalten, als sie war. Ihr eiserner Wille, ihre zähe Ausdauer hatten ihr bisher große Erfolg« verschafft, jetzt hatte sie ihre Rache voll haben wollen. Dieses wercbe, unbedeutende Wesen, das durch seine Madonnenschönheit wirkte und rs gewagt hatte, ihre Wege zu kreuzen, das wollte sie zertreten vor sich sehen und sich an dem Anblick ihres zerstörten Glückes aufrichten. Nun verwirrte sich ihr Kopf. Claus Hartwig — wie haßte sie ihn! — o, diese Schwachheit in den Anfängen ihrer Laufbahn brachte ihr das Verderben — Claus ward die Mauer, an der sie zer schellte. Der hatte seine Rache vollauf. Der gutmüthige Claus hatte diese Rach« gar nicht yffuckt. „Wollen Sie meinen Arm nehmen, gnädiges Fräulein", fugte er jHck sehr höflich, „ich habe mir erlaubt, Ihrem Kutscher unten di« Weisung zu geben, daß er wartet." Sie sprang auf. „Also Ihnen habe ich dies Me» zu danken", rief sie, „Sie nehmen Ihre kleinliche Rache, indem Si« mir di« einzige Heimath rauben, die ich noch besaß —" ' - „Sachte, sachte, sehen Sie sich doch selber nicht so herab. Ich sagte Ihnen schon, ich habe keine Racheglüste, ich bin Ihnen ja dankbar und gar nicht gram. Aber ernsthafte Sorge um Sie und Ihr« Zukunft packt mich auch nicht, dazu kenne ich Sie zu gut. Das ist so wie mit den Katzen, man werfe sie, wohin man will, sie fallen immer auf ihre Füße." Er lachte leise, und sie fuhr an ihm vorüber und zur Thür hinaus. Er folgte ihr wie ein artiger Cavalier, war auch noch rechtzeitig am Wagenschlag, um dem Kutscher die Adresse: Oberst Kowalsky, Behrenstraße 79, zu wiederholen. Er verab schiedete sich unter Bücklingen, während sie aufschluchzend in die Wagenkissen sank. Dreißigstes Capitel. Ottilie saß, in die voffchriftsmäßize tiefe Wittwenirauer gehüllt, Haar und Stirn unter der Kreppschneppe vrrborgen, am Schreibtisch über Rechnungsbüchern. Sie ordnete di« Papiere, rechnete schon seit Tagen, schaffte sich eine Ueber- sicht über die Schulden und den Kassenbrstand. Sir trocknete den Schwriß von der Stirn, es war harte Arbeit, und die Sorgenlast senkte sich immer schwerer auf ihr Herz. Felix hatte unverantwortlich gewirthschaftet, wie war solcher Leichtsinn möglich, und der Papa — ja, sie wußte nur zu gut, daß der nicht helfen konnte. Diese Rechnungen aus Nizza, dies« Summen, dir Felix noch in Monte Carlo verloren hatte, rissen eine furchtbare Bresche. Der Diener trat ein und meldete den Herrn Justizrath Eilers. Der Herr war seit langen Jahren der Sachverwalter brr Familie, und Ottilie hatte ihn zu sich bitten lassen. Sie wollte Klarheit haben, handelte es sich doch für sie um di« Zukunft ihres Kindes. Der Papa war trank, lag von gichtischen Schmerzen geplagt danieder, sie mußte ihm einstweilen so viel wie möglich aus dem Weg« räumen. Mit der Mama war jo natürlich über solche Angeled«nheiten gar nicht zu reden, und es war eine Erleichte rung für Ottilie, daß sie apathisch in ihren Kissen lag und an gar nichts Antheil nahm. Sie hatte nicht einmal nach Emily gefragt und schien diese nicht zu vermissen. Der Sachverwalter, ein alter Herr mit feinem, klugen Ge sicht und sorgfältig gescheiteltem, -rauem Haar, verneigte sich vor der jungen Wtttrve. Seine scharfen Augen überflogen mit wohl wollendem Blicke di« edle Erscheinung, die ihm in ihrer würde vollen Ruhe sehr »»hl -»fiel. Ve bat ihn, Platz zu nehmen, und setzte ihm in kurzer vierer Weis«, sich streng an di« Sache haltend, auLeinander, was fir wünschte. „Ich fühl«, daß von mir jetzt festes Handeln gefordert wird" sagte sie, „die Schwiegereltern sind beide alt und durch den Schictsalsschlag gebrochen, es ist außer mir Niemand mehr da, der die Rechte des unmündigen Erben ins Auge faßt." Der Justizrath sah vor sich hin und schwieg eine Weile. Er zog das seidene Taschentuch aus der Tasche und schneuzte sich, einen scharfen, prüfenden Blick über die Brillengläser hinweg auf die junge Frau heftend. „Die Verhältnisse liegen verwickelt, gnädige Frau." - „Ich fürchtete es, aber Heßbach ist doch rin großes Gut." Der Justizrath zuckte die Achseln. „Belastet bis zum Aeußersten, gnädige Frau; wär« nicht der Hauptgläubiger, der Krugwirth Heidemann, rin der Familie von Waldstätten anhänglich gesinnter Mann, so wäre schon früher eine Katastrophe unvermeidlich gewesen." Ottiliens Hände zuckten, ein flüchtiges Roth färbte ihr blasses Gesicht. Der Justizrath, welcher nicht ahnte, daß die Dame vor ihm je auf Heßbach gelebt und dort Beziehungen hatte, achtete nicht darauf und fuhr fort: „Dieser alt« Mann ist aber jetzt gestorben, und man weiß nicht, wie sein Sohn, sein einziger Erbe, denkt, ob er willens ist, so weitgehende Concessionen zu machen wie sein Vater. Seit mehreren Jahren konnten den Leuten keine Zinsen mehr gezahlt werden." Ottilie fuhr mit dem Tuch über ihr Gesicht und verbarg es eine Weile dahinter. Sie meinte zu ersticken. Ihre Erregung bei einer solchen Nachricht war ja nicht zu verwundern, und so siel ihr Benehmen dem Justizrath auch nicht auf. „Wann — wann ist dec alte Herr Heidemann gestorben?" fragte sie gepreßt. Der Justizrath blickte überrascht auf. Die Frage hatte ja wenig mit der eigentlichen Sache zu thun. „Vor einer Woche etwa; er ist seiner Frau, wrche ein Schlag anfall plötzlich hinwegraffte, nach wenigen Tagen gefolgt. Es waren brave Menschen, die in sehr glücklicher Ehe lebten." Aus Ottiliens Brust kam es wie rin Stöhnen. Sie wußte nichts von diesen Todesfällen, der Papa mochte in seinem augen blicklichen Zustande kaum Notiz davon genommen haben. Der Justizrath sah sie jetzt betroffen an. Ihre Blässe war auffallend. Sie faßte sich aber gewaltsam. „Und Sie meinen, der Sohn wird ein härterer Gläubiger sein?" fragte sie leis«. Der Hlstizrath zuckte die Achseln. „Das kann man eben nicht wissen, gnädige Frau. Der Sohn ist ein gebildeter, mit den Anforderungen der Neuzeit vertrauter Mensch, der jedenfalls die Krugwirthschaft nicht fottsetzt. Er hat schon laihe den Miihlenbetrieb allein geleitet, sich ein stattliches Haus aufgebaui,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite