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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-03-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980325017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898032501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898032501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-03
- Tag1898-03-25
- Monat1898-03
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Nur ungern fügte er sich dem mütterlichen Wunsche, denn der Soldaten stand war immer sein Ideal. Noch im Jahre 1872 schrieb er an Kaiser Wilhelm I.: „Ich habe jederzeit bedauert, daß eS mir nach dem Willen meiner Eltern nicht erlaubt war, lieber vor der Front als hinter dem Schreibtisch meine Anhänglichkeit an daS angestammte Königshaus und meine Begeisterung für die Größe und den Rubm des Vaterlandes zu bethätigen. Auch beute, nachdem Ew. Majestät mich zu den böchsten staatsmännischen Ehren erhoben hat, vermag ich daS Bedauern, ähnliche Stufen nicht als Soldat mir erstritten zu haben, nicht ganz zu unterdrücken. Ich wäre vielleicht'ein unbrauchbarer General geworden, aber nach meiner eigenen Meinung hätte ich lieber Schlachten für Ew. Maiestät gewonnen, wie die Generäle, die das Denkmal zieren, als diplomatische Campagnen." Bekannt ist auch die Aeußerung Bismarck's aus späterer Zeit: „Nach der Schlacht von Königgrätz war ich ganz allein für den Frieden. Alle waren gegen mich. Der König war ungehalten, die Generäle tobten über den Civilisten. Ich erklärte dem Könige: Ich werde die Verantwortlichkeit der Fortsetzung des Krieges nicht aus mich nehmen und zurücklreten. Aber wenn der König trotzdem Krieg führen und mrinethalb ein ost römisches Kaiserreich gründen und nach Konstantinopel gehen wolle, so erbäte ich mir eine Stelle bei der activen Armee, um zu beweisen, daß es mir nicht an Muth fehle." Den Muth, den Bismarck als Soldat gezeigt haben würde, bat er als Staatsmann oft genug beweisen müssen. Aber mit diesem Muthe verband er eine Eigenschaft, die noch höher steht und die es als ein der Vorsehung nicht genug zu dankende« Glück erscheinen läßt, daß er dem Vaterlande und seinem Könige als Staatsmann diente; jene Eigen schaft, die vielleicht am klarsten sich zeigt in seiner berühmten Depesche vom 24. Juli 1870, in der es beißt: „Ich war nicht der Meinung derjenigen Politiker, welche dazn riethen, dem Krieg mit Frankreich deshalb nicht nach Kräften vorzubeugen, weil er doch unver meidlich sei. So sicher durchschaut Niemand die Ab sichten der göttlichen Vorsehung bezüglich der Zukunft, und ich betrachte auch einen siegreichen Krieg immer als ein Nebel, welche« die Staatskunst den Völkern zu ersparen bemüht sein muß. Ich durfte nicht ohne die Möglichkeit rechnen, daß in Frankreich« Verfassung und Politik Veränderungen eintreten könnten, welche beide große Nachbarvölker über die Notb- wendigkeit eines Krieges hinweggeführt hätten — eine Hoff nung, welcher jeder Aufschub des Bruches zu Gute kam." Traten, wie aus dieser Depesche hervorgeht, beim Fürsten die militairischen Gesichtspunkte zurück hinter die staats männischen, so verlor er doch den ihm von Natur eigenen m litairischen Scharfblick nicht; in verschiedenen kritischen Augenblicken der Feldzüge von 1866 und 1870/71 hat er nach dem Zeugniß berufener Beurtheiler die Situation schneller und sicherer erkannt als militairische Autoritäten. Noch weniger minderte sich sein Interesse an der militairischen Schutzwehr des Reiches und an dem Soldatenstande als solchem. Schon äußerlich bekundete er dies dadurch, daß er seit 1866 bis zu seinem Scheiden auS dem Amte fast nur noch Uniform trug. Die Armee selbst weiß am besten, was sie ibm verdankt. Bei seiner Beförderung vom bescheidenen Landwehr - Infanterie - Lieutenant bis zum Generaloberst hat es sich allerdings nur um Titulaturen gebandelt, aber man hat durch daS militairische Avancement des Fürsten seine Verdienste um die Armee würdigen wollen. Als beute vor 10 Jahren Kaiser Friedrich Hl. dem Fürsten Bismarck zu seinem fünfzigjährigen Militairjubiläum beglückwünschte, bob er ausdrücklich hervor, daß sein Ruhm zwar auf anderem als militairischem Gebiet liege, daß aber seine großen Ver dienste um das deutsche Heerwesen die Theilnabme der Nation und deS Herrschers an seinem militairischen Jubiläum begründeten, und als Kaiser Wilhelm II. zur Feier des achtzigsten Geburtstages Bismarck's in Frievrichsruh war, wurde der Altreichskanzler nur als Soldat gefeiert. Der Kaiser sagte ausdrücklich: „Nicht an den großen Staatsmann, sondern an den Ofsicier richten sich heute meine heißen Wünsche." Kaum weniger erbeb, als der Militairstand dem Fürsten, verdankt dieser dem Geiste und den Ueberlieferungen deS preußischen OsficierstandeS. Schon äußerlich haben sich bei ihm von je der militairische Geist und die militairische Haltung vorlheiihaft geltend gemacht. Wenn die mächtige Gestalt in ihrer strammen Haltung und ihrer beherrschenden Würde Diplomaten, wie dem Grafen Rechberg, dem Fürsten Gortschakoff, oder DiSraeli entgegentrat, dann war die enorme Ueberlegenheit deS preußisch-deutschen Staatsmannes schon äußerlich offenbar; und auS einer bekannten Zeichnung Anton v. Werner'S, die den Fürsten solch einem fremden StaatSmännlein gegenüber zeigt, ist leicht zu erkennen, wie dieser militairisch erzogene Mann sich in dem großen Spiele der Staatskunst sicher fühlen mußte. Innerlich aber batte Fürst BiSmarck von je mit dem Officiersthum daS gemein, daß er eine große Kunst sich zu eigen gemacht hatte: die Kunst, zu gehorchen und zu befehlen. Wie dieser gewaltige Mann eS verstand, im rechten Augenblicke und den rechten Personen gegenüber zu gehorchen, wie er sich, ein echter Ofsicier im besten Sinne des Wortes, stets „im Dienst" und als Seiner Majestät getreuen Diener fühlte, das ist einer der schönsten Züge in seinem großen Bilde. Andererseits aber hatte er erkannt, daß auf jedem Gebiete nur ein Wille herrschen, nur ein Befehl gelten könne; der erst jüngst veröffentlichte Brief wechsel mit dem preußischen Gesandten in Paris, Grafen v. d. Goltz, hat wiederum gezeigt, wie zielbewußt und rastlos er Zeit seines Lebens gegen das Ueberwuchern von Neben einflüssen gekämpft hat, — hat kämpfen müssen. Die mächtige Schöpferkraft, die in dieser Einheit der Befehlsgebung ruhte, haben auch seine Gegner erkannt, freilich erst, nachdem die Zerfahrenheit deS leitenden Willens seines Nachfolgers sie belehrt hatte. (konservative Verwahrungen gegen das imperative Mandat. Eine bemerkenswerthe Auslassung finden die „Mittheil, für die Vertrauensmänner der nat.-lib. Partei" in der „Conservativen Korrespondenz" vom 14. März. Dort wird gegen alle Gewohn heit eine einzelne Candidatenrede wiedergegeben, und zwar die des Für st en zu Hohenlohe-Oehringen, der sich in Kreuzburg seinen Wählern wieder zur Verfügung gestellt hat. Wir geben auch hier diejenigen Sätze wieder, um deren Willen die Veröffentlichung im conservativen Parteiorgan bewirkt zu sein scheint. Der Fürst verlangt, was die Vorbereitung eines autonomen Tarifs anlangt, volles Vertrauen auf das bereits zugesicherte Entgegenkommen der Regierung. Betreffs der Handelsvertragspolitik überhaupt verlangt er volle Rücksicht darauf, daß man „nur etwas erreichen könne, wenn die Landwirthschaft, wie dies bereits in Aussicht stehe, mit den anderen Erwerbsständen, vor Allem mit der Indu - strieund dem Handel Hand in Hand gehe." Was die einzelnen Maßregeln zur Wahrnehmung der landwirthschaft- lichen Interessen betrifft, so verlangt der Fürst wie billig, besseren Zollschutz für Getreide, entschlossene Seuchcnabwehr u. s. w., endlich Beseitigung der gemischten Transitläger und der Zoll- credite an Mühlen, „soweit diese Vergünstigungen ent gegen ihrem ursprünglichen Zwecke zu Ungunsten der Landwirthschaft ausgenutzt wurden." Der Fürst ist kein grundsätzlicher Gegner der Canalbauten. Er will nur, wenn z. B. der Mittellandcanal, „dieses an sich gewiß großartig geplante und in vieler Beziehung sicher nutzbringende Unternehmen" gebaut würde, daß dann durch Kleinbahnen diejenigen Kreise schadlos gehalten werden, die sich einen solchen großen Verkehrs weg nicht zu Nutze machen können. Zum Schluß lehnt der Fürst ausdrücklich jede Art eines imperativen Mandates ab. Er halte dafür, „daß eine einseitige Jnteressenpolitik unmöglich gute Früchte zeitigen könne. Darum sei er auch nicht in der Lage, sich für einzelne Fälle zu binden. Er könne nur die ihm vorgesteckte Richtungslinie bezeichnen. Ganz besonders in der Wirthschaftspolitik müsse man alle Erwerbszweige im Auge behalten und den friedlichen Ausgleich aller Interessen anstreben — selbstverständlich ohne Beein trächtigung der großen politischen Gesichts- p u n c t e." Als Erfolg dieser Rede kann die „Eons. Corr." berichten, „daß der Fürst als Candidat aller in Frage kommenden Parteien sowie auch des Bundes der Landwirthe aufgestellt wurde." Dann heißt es: „Auf zwei Interpellationen von Seiten des Wahlkreisvorsitzenden des Bundes war der Fürst in der Lage, befriedigende Erklärungen abzugeben, ohne d a - durch das Onus eines gebundenen Mandats sich aufzuerlege n." In der Provinz sind uns Kreise bekannt, wo die Wahl kreisvorsitzenden des Bundes nach den ihnen gewordenen In structionen dem Fürsten zu Hohenlohe-Oehringen sofort mit einem Gegenkandidaten bekämpfen müßten, der die „For derungen" des Bundes „voll und ganz" unterstützte. Um so größere Befriedigung wird es erwecken dürfen, daß in dem von der „Cons. Corr." besonders betonten Kreuzburger Fall nun auch von conservativer Seite aufs Unzweideutigste das imperative Mandat zurückgewiesen erscheint. Das liegt ja auch im Sinne des Dresdener Parteitagsbeschlusses, der „vor Allem die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit" der conser vativen Kandidaten fordert. Deutsches Reich. * Leipzig, 24. März. Am 9. März, dem Tage deS stille» Gedächtnisses an dem Heimgang Wilhelm'S I., haben die Braun schweiger Antisemiten (Deutsch-socialer Reformverein) im Wilbelmsgarten zu Braunschweig eine Versammlung ab gehalten, in welcher der zunAenfertige Herr vr. Lindstrom au« GoSlar eine Wahlrede hielt. Ueber den Beginn der Ver sammlung berichtet die „Braunschweigische Landeszeitung" folgendermaßen: Der Vorsitzende des Vereins, Herr Walterscheid, eröffnet« die Feuilleton. Ein eingegangener Zeuge glorreicher Zeit. Nachdruck »rrboten. Frühlingsanfang! Er fand mich draußen in der Natur, in einsamen, menschenleeren Gefilden, auf denen einst die gewal tige Völkerschlacht tobte und aus der verzweifelten Stimmung des deutschen Volkes heraus mit waghalsiger Kühnheit, mit todes- muthiger Hingebung aller Helden das Vaterland erstritten ward, in Gefilden, auf denen die Entscheidung zum Heile für Deutsch land fiel. Es ist etwas Eigenthümliches, fern von dem lauten Gewühl der Welt, so ganz abseits von der großen Heerstraße, dahin zu wandern und sich den Eindrücken hinzugeben, die der Seele bei dem Verweilen aus historischem Boden entspringen. Bei dem leisen Rieseln der Quellen, bei Lerchentriller schweift der Sinn in die Vergangenheit zurück und macht seltsame Geister aus ihr lebendig; er bevölkert den Plan mit waffenklirrenden Schaaren, die vor fünfundachtzig Jahren unter dem Donner der Kanonen auf der weiten Ebene in wuchtigem Aufeinander zu sammenprallten Langsam stieg ich an einem Frühmorgen der letzten Tage das leicht gewellte Terrain von dem etwas tiefer in der Ebene liegenden Liebertwoltswih empor; von fernher grüßten Meusdorf und der Monarchenhügel, schauten alle die historischen Stätten herüber, an denen das Leipziger Schlachtfeld so reich ist. Einer von den vielen, zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig pietätvoll errichteten Denksteine steht auf dem höchsten Punct jener Hügelwelle, er trägt auf seiner mit grünlichem Moos schimmer überzogene Säule wenige, aber bedeutsame Worte: „Graf Lauriston V. Corps 15 000 Mann". ..... Hier war es, wo der Kampf um Liebertwolkwitz zwischen den Franzosen und den Verbündeten entbrannte. Wenige Schritt davon erhebt sich auf der breiten Basis einer Bodenerhöhung ein gewajtiger quadratischer Granitbiock, der mit dem eingemeißelten schlichten „16. October 1813" einen folgenschweren welthistorischen Act in geschichtlicher Lapidar schrift deutlicher, eindringlicher und klarer al« hundert Bücher verkündet. DaS Dachauer Gefild hatte sich Napoleon zum Schlachtplatze ausersehen. Dieselben Felder, auf denen schon am 14. October Blut geflossen war, als sich dort bereits die Gegner im Kampf maßen und Murat, der den Ruhm eines großen Reiteranfuhrers hatte, die alten spanischen Reiter regimenter persönlich ins Treffen führte, sollten am 16. October eine Hauptschlacht sehen. Auch Fürst Schwarzenberg erkannte, daß die Entscheidung bei Wachau lag. Um Wachau, den Hauptpunkt de» 16. October, den Napoleon mit zähestem Widerstand zu behaupten suchte, wurde mit höchster Erbitterung gerungen. In unabsehbaren Reihen standen die Schlachthaufen. Es war eine Feuerlinie. In der Mitte wüthete der Geschützkampf. Die abgeschleuderten Eisenballen zerschmetterten Menschen oder wühlten sich in die Erde. Es war ein beständiges Zischen und Sausen, Stampfen und Dröhnen. Dichter Dampf verbarg dem erbitterten Kämpfer seinen Feind. Neben den Donnerschlägen der Kanonen und dem Knattern der Gewehre tönte Trommelschlag und Hörner klang. Dazu da» Toben und Schreien der Soldaten, ihr „Hurrah!" und ihr „Viva I'mnpvreurl" und da» Wehgeschrei der Getroffenen: rin wüster, entsetzlicher Lärm, de» Todes Vor bote, der furchtbar ringsum mähend rinherschritt. In der ganzen Breite hauste der menschenmörderische Kampf. Zerstörung, Blut und Tod ringsum, als sei die rasende Hölle los. Mit heldenmüthiger Tapferkeit wurde um Wachau ge rungen; fünfmal erstürmten es in wenigen Stunden die beiden kämpfenden Parteien. Ein entsetzliches Ringen um Tod und Leben geschah, das dann die Katastrophe des 18. October besiegelte Wohl war es die Umgebung von Wachau, die von Blut ge tränkte Erd«, welche an diesem Frühlingstag mir den ganzen riesenhaften Kampf der Völker wie eine Vision herausbeschwor, doch noch etwas Anderes rief die Erinnerung daran wach, ein bis vor wenig Tagen noch lebender Zeuge jener gewaltigen Völkerschlacht, jetzt ein gebrochener Riese, der zerrissen und zer schmettert am Boden lag: die Murat-Linde im Garten des Rittergutes zu Wachau. Am letzten Sonnabend stürzte sie mit einem ungeheuren Krach zusammen, nachdem die jüngsten Stürme das Ihrige gethan und mit Wucht unablässig an dem morschen Baum gerüttelt hatten. In einem historischen Zimmer des Rittergutes Wachau, in dem einst Murat, der Brfehlshaber des rechten Flügels der Fran zosen, in den Octobertagen seine Wohnung genommen, hängt noch rin in Lithographie überaus fein ausgeführtes Bild jener Linde, dessen Unterschrift sie fälschlicherweise als „Napoleons-Linde" bezeichnet. Es ist durch glaubwürdige Zeugen erwiesen, daß Napoleon niemals von dieser Linde aus, zu welcher früher eine Wendeltreppe von fiinfundsechzig Stufen emporführte, Beobach tungen über das Schlachtfeld angestellt hat, wohl aber ersah sie sich Murat, der König von Neapel, in Begleitung zweier Adju tanten zum Observatorium, zuerst in der Frühe des 14. O c t o b e r, ehe das Reitergefecht bei Wachau begann. Der einstige Schullehrer von Wachau, Sachse mit Namen, hat es oft erzählt, wie er Murat mit seinen Begleitern auf der Linde stehend und die Stellung der Gegner beobachtend gesehen und bemerkt, wie dieser durch eine durch das Geäst des riesigen BaumeS sausende Kanonenkugel zum Verlassen dieses Beovach- tungiposten» gezwungen worden sei. Wachau besaß früher am Gasthofe einen Aussichtsthurm, der aber gegen Ende de» 18. Jahrhunderts seiner Baufälligkeit wegen abgebrochen wurde; als Ersatz dafür wurde die dreihundert jährige Linde im RittergutSgarten mit einer Wendeltreppe ver- sehen und al» willkommener Aussichtspunct über die weite Ebene gewählt. Ihr Stamm mochte 20 Meter hoch sein uno einen Durchmesser von Iß Meter haben. Endlich fiel doch der mehr hundertjährige Baum, ein denkwürdiges Wahrzeichen der großen Leipziger Sch l a ch t f e l d e b e n e, den Stürmen der Zeit zum Opfer. Halb und halb Ruine, fast ab gestorben, im Innern morsch und faul, ohne festen Halt im Stamm, ließ er einen baldigen Zusammenbruch befürchten und bildete in den letzten Jahren für jeden ihm Nahenden eine Gefahr. Bor dreißig Jahren schon hatte ein gewaltiger Sturm die Treppe zum Stürzen gebracht und zugleich die «ine Hälfte der Linde abgerissen. Wa» der Wind damals verschonte, da» zer schmetterte vollend» der Blitz, der tiefe Rinnen in den alters schwachen, wenig Widerstand mehr bietenden Stamm riß, zuletzt noch vor fünf Jahren. Seltsam erfüllte sich hierbei de» greisen Dichter» Weissagung, der am 6. September 1876 in Wachau den daselbst er schienenen Kaiser Wilhelm I. und König Albert von Sachsen Angesicht» der alten Linde mit poetischem Wort huldigte und des uralten Wächters auf Leipzigs Gchlachtenebene gedachte: Zu Wachau die alte Lind« In stillem Garten steht, Ein wunderbares Rauschen Ihr durch die Zweige geht. Es ist ein Freudenschauer, Der sie erfaßet heut', Ein mächtiges Erinnern An längst vergang'ne Zeit. Vor dreiundsechzig Jahren Stand sie hier auf der Wacht Und schaute die großen Thaten Der großen Freiheitsschlacht. Da zog der Preußen König, Inmitten der Kaiser zwei, Von Glück tiefernst beweget, Voll Tank zu Gott, vorbei. — Und heut' schaut sie des Vaters Gleich großen Sohn und Held, An unsres Königs Seite Durchziehn das Schlachtenfeld. Er hat mit Deutschlands Fürsten Im innigsten Verein Geschlagen zum zweiten Male Die Maischen über den Rhein. Er hat cs aufgerichtct, Tas deutsche Kaiserthum, Von Neuem zu Deutschlands Ehre, Zu Deutschlands Macht und Ruhm. Und nun durchzieht er die Lande, Als Deutschlands Herr und Hort, Um fester zu knüpfen die Bande, Durch Händedruck und Wort. Tas schaut die alte Linde Im Garten zu Wachau heut', Und durch die alten Zweige Rauscht's mächtig voll Glück und Freud't „Willkommen, o deutscher Kaiser An unsres Königs Seil', Willkommen, o schön' Gebilde Von deutscher Einigkeit. Gott segne mit reichem Segen Dich, hoher, greiser Held, Gott segne Deutschlands Fürsten, Die Er um Dich gestellt! Und nun ich solche» geschaut Im hohen Alter noch heut', Nun biet' ich die alten Zweige DemBlitzundSturmemitFreud'. Und mag auch Alles veralten, Was jetzo jung ist und neu, Gott möge Deutschland erhalten Und deutsche Einheit und Treu!« Jetzt liegt der Koloß am epheuumwachsenen Boden; seine Krone ist im Fall auf die Mauer des Rittergutsgartens gesunken und in Splitter auseinandergeborsten. Was dem absterbenden Baum noch einigen Halt verliehen hatte, das waren fußdicke, im Innern aus dem Wurzelwerk neu emporgewachsene Sprossen; ohne sie wäre die „Murat-Linde" längst zusammengesunken. Während man immer noch pietätvoll die Erhaltung de» histo rischen Baumes anstrebte und seine Blößen mit Theerpappr bedeckte, trieben in seinem mulmigen, mit morschen Splittern auS- gepolstrrten Höhlungen Marder, Eichhörchrn und Igel ih, Spiel, vollends das zerstörend, waS an Trieben in dem alten Baum vorhanden war. Unweit der „Murat-Linde" liegt ein großes Franzosen grab. Ich trat heran und las an seinem eupheuumrankten Stein die Worte: „Hier ruhen die am 16. October gefallenen Krieger". Darunter fand ich weiter die Mahnung: „Niemand störe ihre Ruhe wieder". Es waren Streiter des 32. fran zösischen Regiments gewesen, die hier in einem Massengrab im Garten ihre letzte Ruhestätte fanden. Bon dem erbitterten Kampfe, der am 16. Oktober 1813 um Wachau und sein Gut tobte, weiß auch das zu Ehren der ehemaligen Besitzerin des Rittergutes, Frau Rahel Friederike verw. Quandt geb. Maukisch, in Form eines kunstreichen Sarkophages gesetzte Denkmal zu reden. Seine Ostseite, — von Osten kam der Ansturm — welche das von einem plastischen Rosengewinde umgebene Marmorrelief dieser schönen Frau zeigt, weist ganz deutlich noch Kugelspuren auf, flache Kugeleindrücke im glatt geschliffenen Marmorgrund mit den durch den Anprall geschaffenen Riffen und Aederchen. Nichts vermag einen grelleren Gegensatz zu dieser kugel zerrissenen Marmorplatte zu bilden, als die Inschrift d«S künstle rischen Denkmals selbst: „Heiter Asyl, das Du mit liebender Sorgfalt gebildet, weiht zum Heiligthum schöner Erinnerung ein". Jetzt freilich liegt es wieder in einer Idylle; ringsum an den Buchsbaumrabatten blühen die Schneeglöckchen, schießen die Keime des Crocus empor. Von der noch kahlen Pappel schmettert schon der Fink. Frühlingsanfang! Dort drüben aber liegt lang hingestreckt, zerfetzt, zerrissen, zersplittert, zerbrochen der alte moosgrüne Stamm der „Murat-Linde": mahnt er nicht an das morsche Jmperatorenreich deS Cäsars des 19. Jahrhunderts, das auch zusammenbrach, als es — Völker frühling wurde? Liebenswürdige Gastfreundschaft des Besitzers des Ritter gutes Wachau, Herrn F. Weinschenk, führte mich in das Ge bäude selbst, das nicht weniger denn drei Berühmtheiten gesehen. Hier wurde der Satiriker Gottlieb Wilhelm Rabener, neben Gellert der populairste deutsche Schriftsteller seiner Zeit, ge boren, hier weilte Napoleon — es war in dem nach Süden gelegenen Zimmer zu ebener Erde — und hier schmiedete Murat, der kaiserliche Schwager, der Sohn des Gostwirths von Cahors, seine Pläne. Noch sind die Räume im Obergeschoß im Allgemeinen so erhalten, wie sie Murat bewohnte, Tapeten, Oefen sind die alten. Auch ein Stich vom Jahre 1809 mit der Figur des „Hoi cke Xaples et cke Zivile" in voller Groß admirals-Uniform, das schon zu Murat'S Zeiten dort hing, ist vorhanden, ebenso der Tisch, auf dem Napoleon seine Karten auszubreiten Pflegte, kurzum ein großer Theil de» Mobiliars, wie e» zu Anfang dieses Jahrhundert» bereit» dort gestanden hat. Daneben Bilder Napoleon's und der Völkerschlacht. Murat selbst hat sich eine längere Reihe von Tagen in Wachau auf gehalten; sein erster Waffengang bei Wachau erfolgte am 14. October 1813, wo er dem Andrang der feindlichen Hauptmacht durch das Reitergefecht bei Liebertwolkwitz begegnete; die blutige Schlacht bei Wachau am 16. Oktober sah ihn dann im Stand quartier Napoleon'» am nahen Galgenberg. ES ist schwer, sich von äußeren historischen Eindrücken lo»zu- reißen, wenn sie so machtvoll reden, wie alle die ReminiScenzen von Wachau. Auf sie hat der Geist einer großen Zeit seinen Stempel gedrückt. Nur Eines wird man künftig vermissen: die blitzgetroffene, sturmgeknickte „Murat-Linde". Volkmar Müller.
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