Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.04.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980406017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898040601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898040601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-06
- Monat1898-04
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugA-Prel- 8» d«r Haupterpedition oder deu i» Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- gabestellen abgebolt: viertrlj^rlich^lsckO, »ri zweimaliger täglicher Zustellaug in» Haut L.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestührltch 6.—. Direkt» täglich« Arruzbandirndung int An-land: monatlich 7.20. Redaction und Erpeditio«: Johannes,afse 8. Die Expedition ist Wochentag« »aunterbrochr» Vössort von früh 8 bis Abend« 7 Uhr„ Di« Morgrn-Ausgab« erscheint um '/,7 Uhr. dir Abend-Ausgabe Wochentag« um b Uhr. Filiale«: ktlo Klemm s Sortini. (Alfrek Hahn^ UniversitätSstraße 3 (Paultuum), Lauts Lüsche. «atdariurustr. part. nnd Lönigsplah 7. Morgen-Ausgabe. MMcr. TaMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nnd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. 173. Mittwoch den 6. April 1898. «»zeigeu-PAOt- die S gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redaction-strich läge» spalten) Ü0-4, vor den Familiennachrichten (Sgespalteu) 40^. Krößere Gchrtsten laut unserem Preis verzeichnt-. Tabellarischer und Ziffern!«, nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit PostbesSrderung ^l 70.—. Annahmeschluß fn Anzeigen: Abend-An-gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-Au«gabe: Nachmittags «Uhr. Vet de» Filialen und Annahmestelle» je eine halb« Stunde früher. Auzrigeu si»d stet« au die Erpe-ttta» zu richte». Druck und Verlag do» E. Polz iu Leipzig. 82. Jahrgang. Alte und neue Innungen. Dr. L. Schon oft ist berichtet worden, daß das Hand werkergesetz vom 26. Juli 1897 in Kraft treten werde. Endlich ist die kaiserliche Verordnung ergangen, der zufolge vom 1. April d. I. ab zwar noch nicht daS ganze Gesetz, aber doch der größte Tbeil gilt. In Kraft gesetzt sind die Vorschriften über die ZwangSinnuugrn, die InnungSauS- schüsse und JnnungSverbände, nicht aber die besonderen Vor schriften über die LehrlingSverhältnifse der Handwerker und den Meistertitel. Im Gegensatz zu den beabsichtigten Zwangs Innungen sind die jetzt bestehenden Innungen al« „freie" Innungen bezeichnet, weil ihre sämmtlichen Mitglieder freiwillig ihnen beigetreteu sind. Die nächste Aufgabe der bestehenden Innungen ist jetzt, ihre Verfassungen mit den Vorschriften deS neuen Gesetzes in Einklang zu bringen. Von den Ab weichungen desselben ist hervorzubeben, daß als Innungs mitglieder auch frühere selbstständige Gewerbetreibende oder Werkmeister, die sich zu Ruhe gesetzt haben, also die Herren Rentiers, die oft neben reicher Erfahrung über viel freie Zeit für die Ehrenämter verfügen, ausgenommen werden können, desgleichen auch die in landwirthschaftlichen oder gewerblichen Betrieben gegen Entgelt beschäftigten Handwerker. Fernere Abweichungen sind, daß bei den Innungskrankencassen die Meisterschaft nur dann die Hälfte der Vorstandsmitglieder stellt, wenn sie die Hälfte der Beiträge aufbringt, daß das Vermögen der Innung nach den Vorschriften deS Bürger lichen Gesetzbuchs über Anlegung von Mündelgut zu belegen ist, ferner, daß sich die Zuständigkeit der Schiedsgerichte auch auf die Entscheidungen von Streitigkeiten zwischen den Innungsmitgliedern und den von ihnen beschäftigten un gelernten Arbeitern erstreckt, daß die Mitglieder der Innung zu einem für alle gleich hoch bemessenen Beitrag heran gezogen werden sollen, daß ein Gesellenausschuß bei jeder Innung unerläßlich ist, nickt mehr freiwillig und bei der Beschlußfassung in ausgedehnterem Maße zugezogen werden muß. ES wird für die alten Innungen Wohl da» Einfachste sein, ihre Satzungen mit dem soeben vom BundeSrath fest gesetzten Normalstatut, das einzeln käuflich ist, zu vergleichen und danach zu ändern. Bringen die bestehenden Innungen ihre Satzungen nicht innerhalb eines IabreS in Uebereinstimmung mit dem Gesetz, so kann cs die höhere Verwaltungsbehörde thun; dieselbe aber kann auch die Innungen einfach schließen. Will die Innung bestehen bleiben, so ist sie vor die Frage gestellt, ob sie als solche, das heißt als Innung mit nur freiwilligen Mitgliedern, fortbestehen will, oder ob sie die Anordnung einer Zwangsinnung bei den Behörden beantragen will. Die letztere hat für die Innungscasse den Vortheil, von sämmtlichen Berufsgenossen im Bezirk der Innung Bei-1 trage zu erhalten; sie hat den Nachtheil, daß die Gefahr entsteht, daß die bisherigen Mitglieder in ihren Beschlüssen und Maßnahmen durch die widerwillige und uninteressirte Mehrheit der neuen Mitglieder gehemmt wird. Vom politischen Standpunct ist vielfach ganz allgemein die Parol- für oder gegen die Zwangsinnungen ausgegeben. In diesem Aufsatz, welcher nicht politisch sein, sondern rein^ sachlich belehren will, enthalten wir uns einer generellen Stellung nahme. Ob Vortheile oder Nachtheile der Zwangsinnung überwiegen, ist vielmehr eine im einzelnen Fall zu beant wortende, rein tbatsächliche Frage, die ganz nach den ört lichen Verhältnissen des betreffenden Gewerbes entschieden werden muß. Hält nun die Innung es für Wünschenswerth, daß auch die übrigen Berufsgenossen deS Bezirks ihr beitreten, so muß sie bei der Behörde den Antrag stellen, eine Zwangsinnung zu bilden. Solcher Antrag kann übrigens nicht nur von den Innungen als solcher ausgehen, sondern auch von einzelnen Mitgliedern derselben und schließlich ebenso gut auch von anderen Handwerkern, welche der Innung nicht angehören. Die Behörde soll prüfen: 1) ob der Bezirk der beabsichtigten Innung so abgegrenzt ist, daß kein Mitglied durck die Ent fernung seines Wohnorts gehindert wird, am GcnvssenschastS- leben theilzunehmen und die Innungseinrichtungen zu be nutzen, und 2) ob die Zahl der im Bezirk vorhandenen bctheili'gten Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung ausreicht. Treffen beide Erfordernisse nach Ansicht der höher» Verwaltungsbehörde zu, so wird sie eine Ab stimmung der sämmtlichen betheiligten Gewcrbtreibenden darüber herbeiführen, ob von ihnen eine Innung gewünscht wird oder nicht. Der Antrag kann auch darauf gerichtet sein, nur für diejenigen Gewcrbtreibenden die Innung zu bilden, welche der Regel nach Gesellen oder Lehrlinge halten. In diesem Falle werden nur solche Gewerbtreibende zur Abstimmung aufgefordert. Eine zweite Vorfrage ist, ob die Innungen nur für Gewerbtreibende, welche das gleiche Handwerk ausüben, begründet werde oder od sie auch verwandte Handwerke umfassen soll. Abstimmung in einer Versammlung nach mündlicher Hin- und Widerrede scheint von den Behörden nicht geplant zu werden, sondern die Verwaltungsbehörden werden eine Liste der in Betracht kommenden Gewcrbtreibenden aufstellen — die Gewcrbtreibenden haben ihr Gewerbe bei der Polizei an gemeldet — und entweder öffentlich bekannt machen oder, wenn die Liste sehr umfangreich ist, öffentlich auslegeu, so daß Jeder davon Einsicht nehmen kann. Alsdann werden durch ortsübliche Bekanntmachungen oder besondere Mittheilung die Betheiligten zu einer Aeußerung für oder gegen die Aus führungen des Beitrittszwangs aufgefordert werden. Bei der Abstimmung entscheidet die Mehrheit Derjenigen, welche sich an der Abstimmung betheiligt haben. In die Wählerlisten aufzunehmen sind gemäß 8 100k des Gesetzes alle Diejenigen, welche das Gewerbe oder die Gewerbe, wofür die Innung errichtet werden soll: ,,al« stehendes Gewerbe selbstständig betreiben", mit Ausnahme Derjenigen, welche das Gewerbe „fabrikmäßig" betreiben. In gesonderter Abstimmung ist die Ansicht der Haus- aewerbtreibenden und derjenigen Handwerker, welche in landwirthschaftlichen oder gewerblichen Betrieben — z. B. als Gutsschmied oder als Tischler eine» Spediteur« — gegen Entgelt beschäftigt sind und der Regel nach Gesellen oder Lehrlinge halten, darüber zu hören, ob auch sie der neuen Innung angehören wollen oder nicht. Die Innung kann aber trotz Widerspruchs dieser Personen mit Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde beschließen, daß sie der Innung «»gehören sollen. Hat die Mehrheit sich für die Bildung einer ZwangS- innunz entschieden, so wird die höhere Verwaltungsbehörde dieselbe anordnen. In einem Falle ist sie hierzu berechtigt, ohne vorher zur Abstimmung zu schreiten, nämlich dann, wenn der Antrag, eine Zwangsinnung zu bilden, von einer solchen Innung ausgeht, deren Mitgliedern das aus schließliche Recht verliehen war, Lehrlinge anzulehren, oder welcher die Ermächtigung eingeräumt war, auch von Nicht innungsmitgliedern und deren Gesellen Beiträge zu den Kosten für gewerbliche Einrichtungen zu erheben. Das ist eine wichtige Concession, welche diesen „bewährten Innungen" gemacht ist, sie gilt aber nur bis zum 30. September d. I., mit welchem Tage jene Innungen auch ihre bisherigen Vorrechte verlieren. Von dieser Ausnahme abgesehen, ist eS Regel, daß die selbstständigen Handwerker allein darüber bestimmen, ob sie eine Zwangsinnung haben wollen oder nicht. Ist sie einmal da, so können aber auch andere Personen, welche daS Gewerbe betreiben, wofür die Innung errichtetest, derselben beitreten, nämlich die Werkmeister oder ähnliM Personen auS einem Großbetriebe, sowie die in landwirthschaftlichen oder gewerb lichen Betrieben beschäftigten Handwerker, auch wenn sie weder Gesellen noch Lehrlinge halten. Diejenigen, welche das Gewerbe fabrikmäßig betreiben, können nur mit Zu stimmung der Jnnungsversammlung ausgenommen werden. Die nähere Regelung der Rechte der Fabrikanten, sowie der Werkmeister und dergleichen Personen erfolgt durch die Satzungen. Die gesetzlichen Aufgaben der zukünftigen Innungen, seien sie freie oder Zwangsinnungen, sind wesentlich die gleichen geblieben. Besonderer Nachdruck ist jetzt aus die Sorge für den Arbeitsnachweis gelegt. Beide Arten von Innungen können wie bisher Gesellen- und Meisterprüfungen veran stalten und UnterstützungScassen errichten. Aber mehrfach sind doch Unterschiede zwischen beiden Innungen. Der wich tigste ist, daß einen gemeinschaftlichen Geschäfts-Vertrieb nur eine freie Innung einrichten kann. Eine Zwangsinnung darf dies nicht, denn man kann die unfreiwillig beigetretenen Mitglieder nicht zwingen, ihre Beiträge für den unsicher,' Au-gang eines gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs zu riskiren. Die Zwangsinnung muß sich darauf beschränken, gemeinsame Geschäftsbetriebe, z. B. die Errichtung einer Einkaufs Genoffenschaft, anzuregen. Die Zwangsinnung darf ihren Mitgliedern auch keine Preise für Maaren oder Leistungen vorschreiben, oder ihnen den Absatz an gewisse Kunden, z. B. Consnmvereine, verbieten. Von den Vorschriften über die Lehrlinge sind nur die allgemeinen Bestimmungen in Kraft gesetzt, welche den bis herigen Vorschriften wesentlich entsprechen, also daß der Lehr vertrag binnen 4 Wochen schriftlich abzuschließcn ist, daß die gesetzliche Probezeit 4 Wochen dauert, aber durch Vertrag auf 4 Monate verlängert werden kann rc.; neu ist nur die Vor schrift gegen LehrlinqS-Zückterei. Es kann nämlich einem Lehrherrn, der eine im MißverhLltniß zu dem Umfang oder der Art seines Gewerbebetriebes stehende Zahl von Lehr lingen hält, so daß die Ausbildung der Lehrlinge gefährdet erscheint, von der unteren Verwaltungsbehörde die Entlassung eines entsprechenden Theil« der Lehrlinge auferlegt werden. Die Vorschriften, welche den Nachweis einer Befähigung deS Lehrherrn fordern, sind einstweilen noch nickt in Kraft gesetzt, — also daß nur, wer eine 3jährige Lehrzeit zurückgelegt unv die Gesellenprüfung bestanden oder daS Handwerk 5 Jahre hindurch selbstständig auSgeübt hat oder als Werkmeister thätig gewesen ist, Lehrlinge anlehren dürfe. Ebenso kann einstweilen noch Jeder, ohne irgend eine Prüfung abgelegt zu haben, sich den Meistertitel beilegen. Deutsches Reich. X. Berlin, 5. April. Für die 6 Berliner Wahlkreise hat, wie bereits gemeldet, eine Einigung zwischen den Conservativen, den Christlichfocialen und den Anti semiten staitgefunden. Diese Einigung ist nicht sowohl um ihrer praktischen Bedeutung willen interessant — denn es dürste fick voraussichtlich nur darum handeln, ob der einzige noch nicht socialdemokratische Wahlkreis ebenfalls in die Hände der Socialdemokratie übergeben wird —, als deswegen, wie die drei Parteien sich mit einander geeinigt haben. Die Christlichsocialen haben den 4. und 6. Wahlkreis, die Conservativen den 1. und 2. Wahlkreis, die Antisemiten den 3. und 5. Kreis zugewiesen erhalten. Am schlechtesten gefahren sind bei dieser Einigung die Christlichsocialen. Im 4. Wahlkreise haben die Socialdemokraten seit 1884, im 6. seit einer Nachwahl in demselben Jahre, also 4 mal hintereinander, stets im ersten Wahlgange gesiegt, und zwar mit stets wachsenden Mehrheiten. Bei den letzten Wahlen hatten vie bürgerlichen Parteien im 4. Kreise zusammen noch FerriHetsn. Frühlingsphantafie. Von Frieda Wolff. Nachdruck »erboten. Es war UM die Zeit, da sonst des Winters Herrschaft vorüber zu sein Pflegt und des Frühlings Nahen überall zu spüren ist. Aber schon lange warteten die Menschen vergeblich und wußten nicht, warum der holde Lenz noch immer nicht erscheinen wollte. Der aber, nach dem sie Alle so sehnsüchtig ausschauten, stand derweil droben vor Gott Vaters Thron, schon reisefertig, doch sehr betrübt, denn der liebe Gott wollte ihn diesmal nicht ziehen lassen. In seinem lichten Gewände stand der holde Knabe da, das liebliche, goldlockige Haupt gesenkt; denn er wagte nicht, den lieben Gott um das „Warum?" zu befragen, sondern wartete in Demuth dessen, was der Herr über ihn beschließen würde, und ob er es für gut fände, ihn in seine Gedanken einzuweihen. Und alsbald that Gott Vater seinen Mund auf und sprach zu dem Frühling und all den andächtig lauschenden Engeln ringsum von der Verderbtheit der Menschen, ihrem Unglauben und Undank, und wie sie doch Alles von ihm hinnähmen, ohne je daran zu denken, daß es doch auch einmal anders kommen und er seine Hand von ihnen abziehen könne. Darum sei er nun willens, diesmal den Frühling nicht hinabzusenden zu der undankbaren Menschheit, die seiner Huld nicht werth sei. So sprach Gott Vater, und alle Englein weinten. Der lichte Engel des Frühlings aber fiel zu seinen Füßen und sprach leise, während Thronen in seinen großen, blauen Augen schimmerten: „O, Herr, zieh' Deine Hand nicht ab von den Menschen, straf' nicht Alle zugleich um der Gottlosen willen! Siehe, Du bist der Allweise und weißt, was Du thun willst, und bedenkest Alles wohl; wer kann Deine Wege erforschen, o Herr? — Aber bist Du nicht auch der Allgütige und Gerechte? O, so höre mein Flehen: laß mich noch dies eine Mal versuchen, die Menschen zu bekehren und ihre Herzen Dir zuzuwenden; vielleicht daß doch eine Seele Deinen Namen ehrt und Dir dankbar ist, und sollte dann diese Deiner Gnade auch nicht theil- haftig werden?" Der Frühling schwieg; Gott Vater aber hob ihn auf und küßte ihn auf die reine Stirn. „So ziehe hin, mein Kind", sprach er liebreich. „Und findest Du ein Menschenherz, das noch in Ehrfurcht meiner gedenkt und in Dir da« Unterpfand meiner Gnade sieht, so soll mein Zorn schwinden, und um de« Einen willen will ich dann die Erde nicht verschmachten lassen." Da küßte der Frühling den Saum seines Gewandes und zog voll Hoffnung und eilends von dannen, die Erde zu durch wandern. Sein erster Blick fiel auf ein stattliches Dauerngehöft; ringsum breitete sich ein weites Ackerland au«, noch von weichem Schnee bedeckt. Dor der Thür stand der Bauer mit seinem Sohn; Beide schauten froh den Sonnenstrahlen zu, die der Frühling auf die Schneedecke berabschickte, so daß ste zu schmelzen anftng. „Ei, Vater", sagte der junge Bauer, „es wird Frühling, schau, wie der Schnee zergeht!" — „Ja, ja", erwiderte der Alte, „da werden wir bald das Land zurichten können." Und damit ging er ins Haus. Der Frühling blickte ihm betroffen nach; er war bitter enttäuscht. „Das ist doch nicht die rechte Stimmung, wie sie der Herr wünscht", dachte er, „solch ein selbstzufriedenes, nüch ternes Rechnen läßt ja gar keinen Gedanken an Gott aufkommen! — Aber es wird schon besser kommen!" Weiter flog der Frühling und sah bald eine große Stadt vor sich. In einer der belebtesten Straßen waren viele Leute auf einem Bau beschäftigt; lustig klang das Pochen und Hämmern durch die klare Morgenluft. Der Bauunternehmer stand auf dem Gerüst und ließ prüfend seine Blicke über die Schaar der emsig Arbeitenden schweifen, er blickte zur Sonne hinauf und ein zufriedenes Lächeln spielte dabei um seinen Mund. Unser Himmelsbote lauschte gespannt, als Jener jetzt einige Worte an den Maurerpolier richtete. „Der freut sich doch gewiß meiner!" dachte er. Und was sprach der lächelnde Mund? „Da haben wir ja endlich Thauwetter! 's war auch Zeit, daß es wieder an die Arbeit ging. Nun aber meine ich, wenn's so warm bleibt, daß wir in vierzehn Tagen richten werden." „Ha, also weiter nichts!" dachte der Frühling ganz empört. „Auch der findet es nur selbstverständlich, daß der Frühling kommt, ihm sein Geschäft zu fördern. Freilich, da bleibt auch keine Zeit, an Anderes als ans Geschäft zu denken. Klang es nicht wie ein Vorwurf gegen den gütigen Himmelsherrn aus seinem Wort, daß es nun Zeit sei zum Warmwerden?" Nicht besser erging es dem Frühling bei einem Photographen, in dessen gläsernes Haus er viele lustige Strahlen hinabschickte. Der Photograph zog flugs seinen Kopf aus dem Guckkasten, in dem er, eifrig zurechtschiebend und prüfend, gesteckt hatte. „Fritz", rief er seinem Gehilfen zu, „schreib' an die Thür, daß die Aufnahmen jetzt schon um 9 Uhr beginnen; es scheint ja endlich Helles Wetter zu werden!" In einer der weniger belebten Straßen waren Weiber damit beschäftigt, den Schnee fortzuschaffen; sie schichteten ihn zu beiden Seiten des Fahrweges dammartig auf. Als nun die Sonne darauf schien, fing er an zu schmelzen, und kleine Bächlein flössen herab. Das gewährte freilich nicht gerade einen poetischen Eindruck, aber es war doch die Friihlingssonne, die den Schnee aufthaute, dieselbe Sonne, die Alles ringsherum vergoldete, wo sie nur zwischen den hohen Häusern sich hindurch zustehlen vermochte. Ein schön geputztes junges Mädchen kam daher, mit den behandschuhten Fingern hob sie zierlich ihr Kleid. Nun schritt sie auf den Zehenspitzen behutsam über eine Pfütze hinweg und rümpfte dabei ihr Näschen. „Was für ein abscheuliches Schmutz wetter!" sprach sie und blickte mit einem bösen Ausdruck in dem jungen Gesicht zur Sonne hinauf. Der Frühling aber wandte sich seufzend ab; seine Hoffnung war ein gut Theil schwächer geworden. Vor einem prächtigen Hause hielt er jedoch in seiner Wanderung inne, und neue Zuversicht belebte ihn. Eins der großen Spiegelglasfenster war weit geöffnet, um die Sonnenstrahlen einzulassen, wie es schien. Ein blühender, eleganter Herr lehnte sich heraus, behaglich seine Cigarre rauchend; neben ihm stand eine zarte, freundlich blickende junge Frau. Da winkte der Frühling mit der Hand, und ein munteres Schwalbenpaar kam herbeigeflogen, setzte sich gerade auf den Fensterbogen über den Beiden und zwitscherte gar vergnügt. „Ei sieh, da sind ja schon Schwalben, lieber Mann", sagte die junge Frau lächelnd, „sie bringen Glück!" — „Was für ein alberner Aberglaube!" murrte der Mann, und ein mißbilligender Blick traf die liebliche Sprecherin. „Jeder ist ja doch seines Glückes Schmied!" — Und er schloß das Fenster. Immer trüber ward des Frühlings Angesicht, aber weiter, immer weiter zog er. Sein Weg führte über weite Felder und durch manchen Wald; und ob er gleich recht betrübt und wenig zu Scherz und Kurzweil aufgelegt war, so konnte er doch nicht unterlassen, mit sanfter Hand den Schnee von den Aeften zu streichen oder die weiße Schneedecke der Felder ein wenig zu lüften. Und wie er so ging, hob hier und da ein neugieriges Schneeglöckchen fein Köpfchen, erst ganz schüchtern, dann aber reckte eS sich und stand da in seinem schmucken Kleidchen und blickte dem Frühling nach. Und in den Bäumen, die sein holder Finger berührte, begann es sich zu regen, der Saft stieg bis in die Spitzen der Zweige und braune Knöspchen fingen an zu schwellen. Ob auch der Lenz des Erfolges seiner Reise nicht sicher war, so meinte er doch, dem Gebote des Herrn nicht zuwider zu handeln, wenn er seine Kräfte alle gebrauchte; er konnte eben nicht anders, als neues Leben wecken, wohin er kam. Und wie sollte er auch sonst die Seelen der Menschen erforschen, als durch reichliches Spenden aus seinem Füllhorn? Als er nun aus einem Walde heraustrat, den er mit frischen grünen Trieben versehen und mit jauchzenden Vogelschaaren belebt hatte, sah er ein nettes, reinliches Dörfchen vor sich liegen. Don der Schenke her erklang lustig die Fiedel. Unter der Linde, die schon ihr Helles, leuchtendes Festkleid trug, drehten sich munter Burschen und Mädchen im Tanze; manch fröhlicher Jodler, manch jauchzendes „Juchhei!" erscholl au» den jugendlichen Kehlen. Dem Frühling bot diese harmlose Fröhlichkeit ein recht herz erfreuendes Schauspiel und er betrachtete es lange. Da sah er abseits Hand in Hand ein schmuckes Paar gehen; sie sangen ein Liedchen, und obwohl es aus ungeschulten Kehlen kam, so war es doch dem Lauschenden gar süße Musik: „O du klarblauer Himmel und du Erde so weit, Möcht' ans Her, dich gleich drücken voll Lust und voll Freud' Aber 's geht doch nicht an, Denn du bist mir zu weit, Und mit all' meiner Freud' Was fang' ich nur an?- Als sie geendet, schlang der Bursch den Arm um sein Mädchen, guckte ihr in die Augen, und sie lachten sich selig an. Er aber stimmte die zweite Strophe an, immer inniger, bis et zuletzt fast in ein Jauchzen ausklang: „Und da seh' ich mein Lieb unterm Lindenbaum stehn, Ist so klar wie der Himmel, wie die Erde so schon. Und wir küßten uns Beid', Und wir sangen mit Lust, — Ta hab' ich gewußt, Wohin mit der Freud'!- Und damit zog er sie an sich und sie machten den Schluß des Liedes wahr. Da konnte der Frühling nicht anders, er mußte seine hellsten Strahlen und schönsten Blumendüfte zu ihnen hinabsenden. „O, ihr Reinen, ihr Glücklichen!" flüsterte er, und es klang den Liebenden wie sanftes Windeswehen, „wie schön, wie lieblich ist eure Begeisterung; aber es ist doch die rechte nicht. Um euret willen wünschte ich, daß ihr den Geber alles Guten nicht über eurer Lust vergessen möchtet. Wie gern möchte ich euch be glücken! O, ihr Kinder der Welt", seufzte er schmerzlich, „selbst die Reinsten denken nicht an Gott, denn irdische Lust erfüllt sie ganz. Im Glücke vergessen sie ihn auch nur zu bald!" Eine unendlich schmerzliche Wehmuth bemächtigte sich des Frühlings; er setzte sich auf einen Stein am Wege und Thronen flössen über seine Wangen, die als herrliche Thautropfen an den neu hervorgesproßten Grashalme» hängen blieben. „Wo ist die Seele, die sich gedrungen fühlt, Gott zu preisen?" rief er schmerzlich aus. Er hegte keine Hoffnung mehr, sein Suchen mit Erfolg gekrönt zn sehen, und der Gedankt, dann von dieser Erde für immer scheiden zu müssen, die er so gerne beglückt hätte, that ihm sehr weh. Der Klang einer fröhlichen Kinderstimme weckte ihn aus seinem schmerzlichen Hinbrüten. Nicht fern von ihm traten aus einer baufälligen Hütte, die er für ganz unbewohnt gehalten hatte, zwei Menschen; der eine, ein Greis mit schönen, ernsten Zügen, aber dürftig gekleidet und gebeugt von der Jahre, vielleicht auch des Kummers Last, und neben ihm, mehr ihn führend als geführt von seiner Hand, ein kleines, liebliches Mädchen. Der Grei» hob sein Haupt zur Sonne empor, da sah der Frühling in ein starres, ausdrucksloses Augenpaar, er war blind. „O, armer, armer Mann", seufzte der Frühling, und eine Thräne floß herab aus seinem Auge; und wo sie niederfiel am Wegesrand, da sproß ein herrlich duftende» Veilchen auf. „Armer Mann, Du siehst nicht die Sonne, die Blumen und das erquickende Grün. Wo Alles von Licht durchfluthet, ist um Dich allein tiefe Nacht! So will ich Dir wenigsten« all da spenden, dessen Du Dich zu freuen vermagst!" Und er winkte eine Schaar munterer Vöglein herbei; die setzten sich auf die Bäume am Wege und zwitscherten und jubi- lirten, so viel die kleinen Kehlen vermochten. Der Blinde hob das Haupt, tief und wohlig athmete er, und ein Lächeln verklärte seine abgezehrten Züge. Ein Helles Jauchzen aber scholl auf einmal aus des Kindes Kehle; eS bückte sich und hob da? eben erblühte Veilchen vom Wcgesrand auf. „Großvater, ein Veilchen, ein Veilchen!" rief e» und reichte e« strahlenden Blickes dem blinden Greis hinauf. „O, nun ist ganz gewiß der Frühling da!" Und der Alte? Er sah ja nicht die herrliche Frabenpracht der lieblichen Frühlingsbotin, aber er hielt ste fest in seiner Hand und sog den balsamischen Duft «in, er lauschte auf der Vöglein Sang. Da faltete er die Hände, eine Thräne glänzte in den erstorbenen Augen, und sein Haupt neigend, flüsterte er: „O, lieber Gott, ich danke Dir!" Und der Frühling küßte die blinden Augen, er küßte da« sil berne Haar und die welken, fromm gefalteten Hand«, er küßte de» kleinen Mädchens Lockenköpfchen. Dann schwebt« er jauchzend dem Throne Gotte« zu, die Botschaft zu überbringen, daß er die Seele gefunden, die Gotte» Lieb« verstand und S«m gedachte, al» der Frühling kam.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite