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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.04.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980406027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898040602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898040602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-06
- Monat1898-04
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Bezug-'Prel- «ck de» Vororte» «richtet« Lu«, «bgeholt: vierteljährlich^»4^0, täglich« Zustelluug in« dir Dost dr»oaeL Eür mrd crrich: vierteljährlich k»-. Lire«« tägliche Krenzbandjeuditn, ffG Lutlaud: monaüich 7chÜ. Dt»«or-e»-«n»gab, erscheint um '/.? Uhr. dk »«d^lrchgahe Wochentag« « b Uhr, Ne-artio« »»- Lrve-itiou v Autz«n»e»«uffe 8. DKEkdeditioa ist Wochentag« »nn»tert«ch«» «GS»t von früh 8 bi« «beud« 7 Uhr. Filiale«: lvtt» Kie»»'« Lorti«. <Alfre» Hah»^ Uuüxrsitättstruhe 3 lPaultuu»), L«»i« Lösche. Wrthrrlr«-». ich pari. «d K-ni-rplah L. l7L Abend-Ausgabe. -7- ripMer_TagMaü Anzeiger. ÄMlsvlatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Mittwoch den 6. April 1898. Nr»zetge»-Pret- Hie -gespaltene Petitzeile 20 PfA, Miel,men »»ter dem RrductiouSftrich läge» lpaltea) bO^, vor den Famllie-a-ckn-hi« (6 ges-alte«) '40 ch. Größere Schriften laut unserem PacS- verzrlchoiß. Tabellarischer.und Zisferusatz nach höherem Tarif. Extra »Beilage» (gefalzt), nur mit dm Morgen «Ausgabe, ohne Postbefürdrrui^ >il 60.—, mit Postbrsördrruug 70.—. Aunllhmeschlnß für Anzeigen: Abend-Au-gab«: vormittags 10 Uhr. Morg«»«Ausgabe: NachmiUagS 4Uhr. Lei den Filiale» u»d Annahmestelle» je eins halbe Stund« früher. Anzeige» sind stet« an die ErpeZitia» zu richten. Lrnck nnd Verlag von L. Potz in LttpztG 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. April. Al« vor zwei Jahren plötzlich bekannt gegeben wurde, daß die deutsche Regierung die Betbeiligung „von ganz Deutsch land* an der nächsten Pariser Weltausstellung in Aussicht gestellt habe, da machten zwar wenige, aber gewichtige -stimmen ernste Bedenken gegen diese Ankündigung geltend. Diesen erschien es. von änderen Erwägungen abgesehen, nicht räthlich, die auSstellungSmüde deutsche Industrie für ihr Erscheinen aus einem abermaligen Weltjahr markte zu engagiren. Diese Auffassung scheint Recht zu behalten. Private Aeußerungen der Unlust an dem Unter nehmen waren von Anbeginn bis zum heutigen Tage zahlreich zu vernehmen und jetzt hat auch eins der wichtigsten deutschen Gewerbe öffentlich seine geringe Geneigtheit,inPariS auszustellen, bekundet. Auf der vorgestern abgehaltenen Generalversammlung der Eisen- und Stahlindustriellen ergab nach dem vorliegenden Berichte die Erörterung der Angelegenheit „im Großen und Ganzen, daß eine große Neigung zur Beschickung der Pariser Ausstellung bei den deutschen Eisen industriellen überhaupt nicht besteht und daß sich namentlich für eine Collectiv-AuSstcllung (und auf eine solche scheint man angewiesen zu werden) besonders größte Schwierigkeiten ergeben dürften". Ob cS des Schweißes und — Geldes werth ist, diese Schwierig keiten zu überwinden, haben die Eisengewerbe, wie alle übrigen Industrien, für sich allein zu entscheiden. Es dürfte aber nicht überflüssig sein, die deutschen Industriellen zu versichern, daß sie von der öffentlichen Meinung keine Vorwürfe vom Standpuncte des nationalen Stolzes zu be fürchten hätten, falls sie es vorzögen, der Pariser Ausstellung fern zu bleiben. Man weiß allgemein, daß der deutsche Gewerbe fleiß die Gelegenheit hat und wahrnimmt, sich der Welt in seiner Tüchtigkeit zu zeigen, und der Wunsch, daß dies ohne die Hoffnung auf Erreichung wirthschafllicher Vortheile und sogar unter Opfern geschehe, ist ganz vereinzelt. Das Argu ment, Deutschland müsse, nun es einmal zugesagt, auch „würdig" auftreten, ist unstichhallig, soweit eS für di« Betheiligung der einzelnen Gewerbe und Gewerbtreibcnden inS Treffen geführt wird. Es hat nur Sinn hinsichtlich derjenigen Branchen, die zur Beschickung bereits entschlossen sind. Wie eS trotz mehr facher officiöser Beschwichtigungsversuche den Anschein hat, wird der deutschen Rieseninduslrir das Fernbleiben durch die französischen Unternehmer dadurch besonders leicht gemacht, daß nur ein verbältnißmäßig geringer Raum zur Verfügung gestellt werden soll. Wir würden dadurch zu CollectivauS- stellungen gedrängt, die, wie die Eisen- und Stablindustriellen bezeugen, vielfach aus große Schwierigkeiten stoßen. Wo dies der Fall ist, ist die Frage de« Zuhausebleibens jeden falls einer nochmaligen ernsten Erwägung werth. Don der Hervorhebung politischer Gesichtspunkte wird man in diesem Stadium absehen muffen, aber so viel darf gesagt werden, daß kein politischer Grund erfindlich ist, der Deutsch land bewegen könnte, die 1878 und 1889 mit Erfolg für die Beziehungen beider Völker geübte weitgehende Zurückhaltung aufzugebeu. Herr Eugen Richter bekommt »nn auch von der „Voss. Ztg." ein ArmutdSzeugniß weg«» seiser Weißbierphilister- Haltung in der Flott en frage ausgestellt. Allerdings nicht direct, aber unter der Deckadresse österreichischer Politiker. Das Berliner Fortschrittsblatt schreibt nämlich: „Kleinmutb, Mangel an weitem, zeitliche und räumliche Fernen umspannendem Blick und eine übel angebrachte Psennigsuchserei drohen die Pläne der österreichisch-ungarischen Marincverwaltung zum Scheitern zu bringen. Um ihre „schönen Budgets" und deren stolz angekündigte Ueberschüsse unversehrt zu erhalten, sträuben sich die Finanzminijler Oesterreichs und Ungarns gegen die Absicht des neuen Marinechefs v. Spann, den Schiffsbestand der k. und k. Kriegsmarine auf eine den maritimen Interessen der Mon archie angemessene Höhe zu bringen. Alle europäischen Groß mächte wetteifern in der Verstärkung und Modernisirung ihrer Flotten, der schwimmenden Burgen ihres überseeischen Handels, nur Oesterreich-Ungarn mit seinem alten, stetig sich ausdehnenden Seehandel bleibt von diesem Wetteifer un berührt. Lehnt der Ministerrath in Wien wirklich die Vor schläge der Marineverwaltung ab, dann begeht Ocsterreick- Ungarn einen UnterlassungSfebler, dessen Folgen es auf dem Gebiete deS wirtbschastlichen Wettbewerbes bald, später ein mal vielleicht auch auf anderem Gebiete, unangenehm em pfinden wird." Diese wirthschaftlichcn Folgen hat Herr- Richter für Deutschland heraufbeschwörcn wollen. ES ist nickt ohne Bedeutung, daß ihm das in einem Blatte vor gerückt wird, dem ein Mitglied seiner Fraktion, Or. Lessing, persönlich sehr nahe steht. Im englischen Unterhaus bat der Erste Lord deS Schatzes Balfour, im Oberhaus der Herzog von Devon shire Erklärungen über die Erwerbung Wei-Hai-weis und die englische Politik in Ostasicn gegeben, die wir an anderer Stelle in ausführlichem Auszug bringen. Dieselben sind ziemlich schwerwiegender Natur, denn sie lassen erkennen, daß zwischen England und Rußland daö Tafeltuch eudgilrig durchschnitten ist. Die Sprache, welche Balfour Rußland gegenüber führt, ist eine geradezu verletzende und herausfordernde. Der erste Lord de« Schatzes wirft der Petersburger Diplomatie Unzuverlässigkeit, wenn nicht Wortbruch vor, bezeichnet die Besitzergreifung von Port Arlbur als einen Schlag gegen da« chinesische Reich, als die Inanspruch nahme ungemessenen Einflüsse« in Peking, als eine fort dauernde Bedrohung der Hauptstadt deS himmlischen Reiches ebenso wie deS englischen Handels und sagt offen, daß eS Englands Pflicht als erster Handels macht gewesen sei, dem hindernd entgegenzulreten. BeachtenSwerlh ist ferner die Prätension Balfour'S, daß Eng land in allen Tbeilen Chinas Interessen habe, sowie die Mittheilunz, daß China sick verpflichtet habe, daS Iangtse- kianggebiet unter keinen Umständen einer anderen Macht als der englischen zu verpachten. Man siebt daraus, daß England sich wie den „Protektor" ganz Afrika«, so als den Herrn ganz China« ansieht und daß e« nur Vorwand ist, wenn Balfour im Eingang seiner Rede versichert, England strebe nicht nach weiterem Landcrwcrb. Auf diese Weise wird e« nicht nur mit Rußland, sonder» auch sehr bald mit Frankreich in Conflict gerathen. In dieser Voraussicht bewirbt sich denn auch der englische Staatsmann in offenem, unverblümtem Antrag um die Freund schaft und BundeSgenoffenschaft Deutschland«, um England nicht völlig isolirt den kommenden Ereignissen entgegenfübren zu müssen. Deshalb wird auch die Besetzung Kiaotschau«, über die di« gesammte englische Presse anfangs außer dem Häuschen war, al« etwas ganz Unschuldiges hingestellt. Man will in Dcutsckland gute Laune machen. In ähnlichen Lagen hat man das schon oft versucht; stets ohne Erfolg. Auch diesmal wird Englands Liebesmühe vergeblich bleiben. Sem colonialer Besitz in Ostafrika grenzt an den unserigen, aber was wir dort erlebt haben, läßt keine Hoffnung, das; unser neuer Nachbar in Schantung ein guter und — getreuer sein wird. Die Zweifel, die wir den „Enthüllungen" -cS Lirckc über Beziehungen deS früheren deutschen Militairattachös in Paris Oberst v. Schwarz ko ppen mit dem Major Ester bazy entgegenbrachten, werden auch sonst in der deutschen Presse getheilt. So schreibt die Derl. „Post": Man weiß, daß in der ganzen TreysuS-Affaire so viel gefabelt, phantasirt, über Hintertreppen ausgetaucht und dann „enthüllt" worden ist, daß jeder Maßslab dafür, was an Wahrheit in diesem Wust von Geschreibsel übrig bleibt, fehlt. Tas gilt auch für die Er« zädlung des „Berner Diplomaten", deren sonderbare, schleierumwobcne Herkunft schon ihren Inhalt höchst zweifelhaft erscheinen läßt. Jeden falls ist diese Manier der „Enthüllung" so wenig, wie frühere Er« Zeugnisse ähnlicher Art, irgendwie angeihan, die deutsche Regie rung zu einem Mehr zu ihren bereits abgegebenen Erklärungen zu veranlassen. Wir haben gesagt, was zu jagen war. Will die französische Regierung sestgeslellt wissen, was au dieser Geschichte etwa nicht gefabelt ist, so mag sie selbst sprechen. Sie hat das ja um so leichter, als Esterhazy ihr engster Vertrauensmann ist. Also, wenn officiell etwas zu äußern sein sollte, so hat jetzt die Regierung der französischen Republik das Wort! Offenbar ist daS, was der „Siöcle" veröffentlicht, dasjenige Material, das von der Zolapartei zusammengetragen worden ist und daS zuerst im Zolaproceß feine Rolle spielen sollte, auf dessen Dorbringung man aber verzichtete, weil man die Ueberzeugung gewann, daß der Präsident den in diesem Sinne aussagenden Zeugen das Wort abschneiden würde. Die Vertbeidigung hielt eö deshalb Wohl für nutzlos, schon damals daS beste Pulver zu verschießen, und man beschloß, e- für eine bessere Gelegenheit aufzubewahrcn. Es liegt Grund zu der Ver- muthung vor, daß man die Wahlen in Frankreich vorübergehen lassen wollte, ehe man in der Angelegenheit wieder vorging; wahrscheinlich aber hat jetzt die Umstoßung deS Unheil« durch den CassationSbof, namentlich aber dre Haltung, die der Präsident dieses höchsten Gerichtshofes und der General- staatSanwalt dabei cinnahmen, der Vertheidigung Zola'ö den Augenblick zu sofortigem Vorgehen geeignet erscheinen lassen. Daß die Zolapartei, nachdem sie die Umwerfung des Erkennt nisses durchgesetzt und sich jetzt zur Vorbringung solcher schweren Anklagen entschlossen hat, damit noch weiter Allarm machen wird, ist Wohl sicher, und deshalb gewinnt e« den Anschein, daß dieser Fall noch recht lange die öffentliche Meinung beschäftigen werde. In dem s-antsch-amcrikanischcn Conflict senkt sich die Waage immer mehr zu Gunsten deS Kriege«. Die Sprache derUnionS-Presse wird von Tag zu Tag erregter und schärfer, wa« über die alsbald zu erwartende Botschaft Mac Kinley'S an das Repräsentantenhaus bekannt wird, läßt vermuthen, daß der Prä sident bereit« für den Krieg entschieden ist, und der amerikanische Consul Lee in Havannah trifft schon Anstalten, abrurcisen und Sorge zu tragen, daß die amerikanischen Staats angehörigen rechtzeitig von Cuba befördert werden. Der Vermittelungsversuch deS PapstcS, der in Madrid günstig ausgenommen worden ist, wird in Washington schroff zurück gewiesen. Uns liegen darüber folgende Meldungen vor: --Paris, ö. April. Wie der „TempS" aus Rom melde!, telegraphirte der apostolische Legat Msgr. Martinelli, Mac ÄürUn Hobe geäußert, weder er noch sonst Jemand hätte die Macht, de > schlechtenEindruckzu verhindern, welchen die I n te rve n t i o ii deS Papstes auf da« der Majorität nach protestantische amerikanische Volk hcrvorgerufen hab». Mac Kinley habe hiuzugefügt, er werde Alles thun, um den Krieg zu vermeiden (?), aber er könne nicht gegen die Gesinnung de« Volkes Vorgehen, ivclches L.c Unabhängigkeit Cubas wolle, damit endlich die dort drei Jahre andauernden Gräuel aushören. Nach einer anderen Meldung soll Mac Kinley — natürlich im Hinblick auf daS Unfertige der amerikanischen Rüstungen — dem Vorschlag deS Papstes, lediglich eine Waffenruhe zwischen Spanien und den Insurgenten zu vermitteln, zu gestimmt, die weitere Sondirung aber, ob er eine direc! Vermittelung deS Papstes oder einer europäischen Macht gul heiße, strikte von der Hand gewiesen haben. Mac Kinley'-- Botschaft geht wahrscheinlich heute an den Congreß. Er las gestern einige Theile derselben den Mitglieder', deS CabinetS vor. Tie Sprache derselben ist energischer unr bestimmter, als erwartet war. Auch in den Madrider RcgierungSkreisen sieht man die Lage als im höchsten Grad. krilisch an. Wie uns von dort berichtet wird, wurde dcr Ministerpräsident Sagasta gestern beim Verlassen des Palais um neue Nachrichten befragt, er verweigerte jedoch jede Auskunft hierüber. Nur auf die Frage, au welchem Tage er den Ministerratb einzubernfen gereute, antwortete er, er erwarte eine Depesche auv Washington und werde danach über die Zusammen berufung entscheiden. Dann dürften die Würfel fallen. Die französische Presse sorgt dafür, daß die makcSonifchc Frage auf dem Tapet bleibt. Der „GauloiS" diScutiri neuerdings den Gedanken einer bulgarisch-griechischen Verständigung über die Zukunft Makedoniens. Er erinnert zunächst an die Mittheilnngen, tue der bulgarische diplomatische Agent in Pari-, Geschow, vor Kurzem einem Bericht erstatter der Athener „Akropolis" in dieser Hinsicht gemacht habc. Geschow sei der Ansicht, daß die Serben, die in Makedonien nur i i kleiner Zahl vertreten seien, zurückslehen würdcu und daß nur eiue griechisch-bulgarischc Verständigung in Betreff der Zukunft dicscc- Gebietes zulässig sei. Nachdem der Plan eines Balkanbundec- gescheitert sei, meiut der „Gauiois", bemühe sich Stoilow, eiuc solche Verständigung zu Stande zu bringen. Jedenfalls hätte die Absicht, die man dein Fürsten Ferdinand zuschrieb, nichts Unwahr scheinlicheS oder Anstößiges, im Gcgcntheil sei es natürlich, das; dieser den Plan einer Annäherung an eine Nation, nämlich di-: griechische, gefaßt habe, der man eintretendrn Falls die Erbjchait des kranken Mannes nicht streitig machen könne und die soeben einen eclatantcn Beweis der Sympathie Rußlands, Frankreichs nnd Englands erhalten habe. Der „GauloiS" geht offenbar etwa« stark ins Geschirr. In diplomatischen Kreisen bleibt man bei der Annahme stehen, daß Fürst Ferdinand selbst und auch die bulgarische Negierung die Aufwerfung der makedonischen Frage nickl betreiben, daß sie aber den dahingehenden Bestrebungen freien Lauf lassen, weil sie nicht anders können. Ob die Mächte unter diesen Umständen dcu AuSbruch einer bul garischen Bewegung im nächsten Frühjahr durch einen Mach: Der Lamps mit -em Schicksal. bj Roman von Hermann Heinrich. Nachdruck verboten. Sie trocknete sich mit der Schürze energisch dre Augen, reichte ihm die Hand und sah ihm mit mütterlicher Zärtlichkeit ins Auge. „Aber Richard, Sie Ausreißer, werden Sie denn nun auch Gutes thun? Werden Sie denn auch das vierte Gebot halten und nicht mehr auf die Klamottenbäckerei schimpfen?" „Wie werde ich denn!" rief Richard, indem er die Alte um armte und an sich drückte. „Richardchen", sagte sie schmeichelnd, indem sie ihm die Wangen streichelte. „Ach Du mein kleines süßes Bohnensiengel- chen! Mein Hammelrippchcn! Mein Lämmerschwänzchen!" Ihr Gefühl hatte sie zwanzig Jahre in die Vergangenheit zurück versetzt, die eilig nahenden Dienstboten aber führten sie in di« Gegenwart zurück. „Ist mir sehr angenehm, junger Herr", sagt« sie schnell in officiellem Ton und mit voller Haltung. „Wünschen Sie nur immer, cs soll Alles gemacht werden. Adieu, adieu!" Damit complimentirte sie Richard zur Küche hinaus. Fritz, der Kutscher, und August, der Knecht, die zum Mittag brot» heraneilten, standen fast starr, als sie die ungewohnte Höflichkeit der Wirthschafterin wahrnahmen. Aber die Wort«: „Was wundern sich die Maulaffen? Der junge Herr wird schon Ordnung in die Wirthschaft bringen!" brachten si« schnell wieder zu sich und flößten ihnen vor Richard einen ungewöhnlichen Respekt ein. Richard wandte sich nach dem WirthschaftShofe und in den Garten. Jede Ecke, jeder Baum sah ihn vertraut an und er innerte ihn an seine Knobenzeit. Nach dem Kaffee führte ihn der Vater in der Ziegelei umher, und mit besortderem Stolz machte er ihn auf die Schwemmanlage aufmerksam. Der AmtS- rath war kein gewöhnlicher Klamottenbäcker; in den Jahren der Abwesenheit Richard'- hatte er sich von dem gewöhnlichen Niveau der Fabrikation von Bausteinen zur Herstellung von Klinker steinen hinaufentwickelt. Dazu aber war die Echwemmankag« rwihwendig. Auf einem künstlich hrrgestellten Hügel befand sich ein riesiger Bottich, in welchem der Thon in Wasser ge schlemmt und von allen unedlen Bestandtheilen gereinigt wurde. Di« Anlage, von einer Dampfmaschine getrieben, war in Thätig- keit, und munter kreiselte der Schlemmapparat im Bottich umher. In Rinnen floß das Thonwasier den Hügel hinab in die Bassins, in denen es an der Luft zu weichem Thon verdickt wurde. Als Richard den Erklärungen seines Vaters mit Aufmerksamkeit zu hörte, nahte sich ihm von hinten ein Arbeiter, der schnell einen Strick um seinen Arm band und ihn an einer Säule befestigte. Ehe noch Richard seine Gefangenschaft inne ward, erscholl es aus mehreren rauhen Arbeiterkehlen: „Der junge Herr lebe hoch!" Der Amtsrath machte erst ein ernstes Gesicht zu dieser un liebsamen Unterbrechung. Aber gegen den allgemeinen Brauch, Neulinge zu binden, konnte er nichts einwenden, und gegen ein Lösegeld von drei Mark erkaufte Richard seine Freiheit. Die Thongrube lag dicht bei der Ziegelei und zog sich, durch Dämme gegen das Eindringen des Wassers geschützt, am Ufer der Havel hin. Hierin genoß der Amtsrath einen großen Vorzug gegenüber anderen Ziegeleibesitzern der Umgebung. Während diese das nothwendige Material oft aus meilenweiter Entfernung auf Kähnen heranschleppen mußten, hatte es dcr Amtsrath vor der Thür. Diese Thongrube war die Quelle seines Wohlstandes, und sie schien unerschöpflich zu sein. Sie bildete eine weite, rechteckige Versenkung. Mit Maschinen wurde die Thonerde aus der Tiefe emporgehoben und mit Hunten, die auf schmalspurigen Gleisen liefen, nach dcr Schlemmanlage gebracht. „Das ist mrser Californien", sagte der Amtsrach bedeutungs voll. „Hier wird Gold gewaschen. Unsere Hauptsorgc muß sein, diese Grube vor Ueberschwemmungen zu schützen. In diesem Jahre" — er deutete auf di« Havel — „war sie zahm. Manch mal aber sicht sie recht böse aus, und dann heißt es: Tag und Nacht auf der Hut sein." „Wie lang« wird die Grub« noch ausreichen?" fragte Richard. „Voraussichtlich noch manches Jahr. Und wenn sie erschöpft ist, kann sie nach dort erweitert werden. Anderthalb Meter Abraum, und dann Thon bis in die Unendlichkeit. Wir müssen aber selbstverständlich sparsam wirthschaften und können nicht Alles auf einmal verbuttern." Zuletzt rief der AmtSrath den Ziegelmeister Dallmer und stellte ihm Richard vor. „Mein Sohn wird mich von jetzt ab öfter vertreten", sagte er streng. Der Ziegelmeister sah Richard in strammer Haltung an und wagte eS kaum, di« ihm freund lich dargebotene Hand anzunrhmen. An solche Vertraulichkeiten war er nicht gewöhnt. „Da- war nicht nöthig", belehrte der AmtSrath seinen Sohn. „Mr müssen zu allererst die Schranke achten, die von diesen Leuten trennt. UebrigenS ein sehr brauchbarer Mensch", fügte er milder hinzu. Ein milder FrühlingSabend war dem Tage gefolgt. Nach dein Abendbrod saßen Vater und Sohn noch lange in vertrau lichem Gespräch beieinander. Der Amtsrath machte Mit theilungen über seine geschäftlichen Verbindungen und ließ Richard Einblicke in seinen Vermögensstand thun. „Du siehst", sagte er zuletzt, „ich bin ein reicher Mann. Nur muht Du nicht denken, daß mir die gebratenen Tauben in den Mund geflogen sind. Ich habe mir das Alles durch Fleiß und Ausdauer, durch Ge wissenhaftigkeit und Sparsamkeit erworben. Es ist mein im besten Sinne. Von meinen Nachbarn hier herum ist Mancher zu Grunde gegangen. Man kann sie kaum bedauern. Wie man sich bettet, so schläft man, und Jeder ist seines Glückes Schmied." Damit verabschiedete sich der Vater und ging zu Bett. Richard fühlte sich durch die letzteren Wort« unangenehm berührt. Die Anschauung, daß Jeder sein eigenes Schicksal schmiede, war ja bisher auch die seinige gewesen. Aber mit dieser Anschauung verband sich bei dem Vater eine gewisse Sclbstgerechtigkeit und eine Geringschätzung der niedriger Gestellten. Er ging in sein Zimmer, steckte sich eine Cigarre an und öffnete das Fenster, um der milden Abendluft Eingang zu gestatten. Als er in be haglicher Ruhe auf dem Sopha lag, ging plötzlich die Thür auf und Frau Ladrwig stürzte herein. Sie war im Untrrrock und verhüllte mit einem langen Tuch Kopf und Brust. Eben im Begriff, zu Bett zu gehen, durchzuckte sie ein schrecklicher Ge danke, der sie sofort zu Richard führte. „Dachte ich's doch!" rief sie, lief zum Fenster, schlug die Flügel krachend zu und lieh rasselnd die Jalousien herab. „Wissen Sie nicht, daß Krahnepuhl ein Wasser- und Sumpfloch ist? Sie haben wohl lang« kein Sumpffieber gehabt!" Damit eilte sie zur Thür hinaus. Richard lächelte, aber die Fürsorge der Alten that ihm wohl. In der That hatte er vergessen, daß man besonders im Frühjahr nicht ungestraft auf Krahnepuhl wandeln durfte. Dem Neuling besonders war die feuchte Sumpfluft gefährlich, und schon man cher Arbeiter hatte sein« Fieberperiod« durchmachen müssen. Er hüllte sich in eine Decke und setzte Lch an den Schreibtisch. Jetzt nach der Aufregung deS ersten LdgeS hatte er mit seiner ge liebten Franzi-ka noch ein Stündchen zu plaudern. Der Ge danke an sie und Lrethchen hatte wie ein stille», süße- und doch bängliches Gefühl den ganzen Ta- über in seiner Brust geruht. Jetzt wurde r« frei nnd seüte sich in Worte um. Den Brief versah er mit der Adresse seines Freunde- Wilhelm Ender, der, ins Geheimnis -««gen. seinen Namen für beide Lhefle gern als Deckadresse hergab. Während Richard mit seiner Frau plauderte, lag der Amts rath im Bett und dachte an Richard, den Torgenstrin. Heute hatte er sich ja ganz gut gemacht, wenn er mir cmShäkt! Sein eigenes Leben hatte er mit starkem Herzen und zielbewußtem Verstände selbst gestaltet, über den Sohn hatte er keine Mach! Da wandten sich seine Gedanken dem zu, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche. Er faltete die Hände und flüsterte: „Gott, laß cs gelingen!" Mit dem tiefsten Herzeleid hatte Franziska ihren Mann ziehen lassen. Nun, da sie allein war, kam ihr die Welt wie aus- gestorben vor. Wie Schatten huschten die Menschen im Hause .md auf der Straße an ihr vorüber, und nicht einmal das süße Geplauder des Kindes konnte sie aufrichten. Ihr ganzes Sein wurzelte in Richard. Da er ihr genommen war, ging es ihr wie der Pflanze, die man aus dem Boden gezogen hat, der sie nährt und hält. Sie fühlte ihre Lebenskraft schwinden und glaubte vergehen zu müssen. Der Brief Richards, den sie schon am dritten Tage nach seiner Abreise erhielt, richtete sie lvieder e'was auf. Seine Liebe that ihr wohl, fachte aber auch zugleich die verzehrende Sehnsucht an. Stunden tiefster Niedergeschlagen heit wechselten mit zornigen Regungen gegen die Härte der Manschen und mit Anklagen gegen das Schicksal. Die Bitterkeit ihres Herzens richtete sich sogar gegen Richard, an dessen Liebe >ie zu zweifeln begann, bis ein neuer Brief aus Krahnepuhl das Gleichgewicht ihres Gemüths wieder einigermaßen herstellte. Richard erzählte in übermüthig humoristischer Weise von den ge scllschaftlichrn Besuchen, die er gemacht hatte. Es sah reckt feierlich aus, als die Staatstutsche des Vaters mit den beiden Braunen und dem versilberten Geschirr vorsudr und „der junge Herr" im schwarzen Anzuge und tadelloser Wäsche einsticg. De: Empfang bei den umwohnenden Ziegeleibesitzern war einfach und herzlich, derb und bieder, von keiner Sentimentalität und leiner Geistreichigkeii angekränkelt. Hin und wieder fiel eine derbe Anspielung, ein loses Scherzwort, und auch ein gewisser Stolz auf ergiebige Thongruben imd gefüllte Beutel kam zu weilen zum Ausdruck; sonst aber waren es recht prächtige Leulc. In Saadenburg batte der Vater keine gefellschaftlickM Äerbin dunaen; Krahnepuhl und Umgegend gehörte viel mehr gesell schaftlich zu Brunow, einer kleinen, in reizender Umgebung ge legenen Havtfftabt. Mit den dortigen Honoratioren hatte sich Richard leicht angefreundet. Der Bürgermeister und ver Pastor, dcr Doctor und der Apotheker, der Rector und noch einige ander- respektable Bürgersleute waren dem Sohne der- AmlSraths von Krahnepuhl sehr herzlich rntgegengekommen. Sie freuten sich, die gesellschaftliä)« Verbindung mit dem Amtsrath wieder auf genommen zu sehen, und wenn Richard nicht geradezu ein Un mensch war, so mußte er gut mit ihnen auskommen. Nur in einem Puncte zeigten sie sich Alle schwach. Sie konnten Ver-
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