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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.04.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980422023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898042202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898042202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-22
- Monat1898-04
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Die Morgeu-AllSgabe erscheint nm '/,? Uhr» di« Abeud-AuSgab« Wochentag« um b Uhr. Filiale«: ktt» Klemm'« Lortim. (Alfred Hatz«)» U»tversitätSstraße 3 (Paulinum), Laut« LSsche, Latdartneuftr. ich, -ort. und »«»igeplah, 7. Ledartiou vn- Erve-itioa: Johanne«,ässe 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen gröffuet vvu früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Bezugs-Preis «» der Hauptexpeditio» oder den tm Stadt, bezirk «ad deu Vororten errichteten Au«, aabestellen abgeholt: vierteljährlich^«^), bei zweimaliger täglicher Zustelluug in« hau« ^l b.SO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich <^l S.—. Direcre tägliche Kreuzbandienduug t»A LuSlaad: monatlich 7L0. Abend-Ausgabe. MMerIaMak Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Uluzeigen-Prei- dir Sgespattme Prtttzeile SO Pf^ Meelameu unter demRedactionSstrich (4a* malten) bO^, vor deu ikamillcnnachrichtr» (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis» perzrichurß. Tabellarischer und Zisserusatz »ach höherem Tarif. Extr«-Beilagen (gefalzt), uur mtt dm Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuuz,' SO.—, mlt Postbesörderuug 70.—. Annahmeschlsß für Anzeigen: Lb eud. Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Bkorg« ».Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei deu Filialen und Aauahmestrlleo je eia» halbe Stunde früher. Anzeige» find stet« an die Expedits«» zu richten. Druck and Verla, voa L Pol» tu Leipzich 291. Freitag den 22. April 1898. 92. Jahrgang. Der Ausbruch -es Krieges. —e- Wir erhalten folgende, durch Anschlag bereits bekannt gegebene Meldungen: * Washington, 21. April. Nach den« Erachten de« Ltaatsdcpartemcns besteht der Kriegs zustand zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten, wofür Spanien verantwortlich sei. * New Aork, 21. April. Tas atlantische Geschwader ist abgcgangcn, nm die sofortige Blockade Havannas hcrzustcllcn. — Tas Central- Hilfskomitee für Cnba micthctc ein Tampsschiss, das am Sonnabend von hier mit Lebensmittel» für die RcconcentradoS abgehcn soll. Tic Negierung wird die Sicherheit des Schiffes gewährleisten. * Washington, 21. April. Ter Bcschlntz, das Geschwader abgehen z» lassen, wurde heute Nachmittag tm CabtnctSrathc gefasst und sollte ge heim gehalten werden, aber kurze Zeit darauf, um 3 Uhr Nachmittags, erfuhr man, das; das Geschwader bereits von Key-West abgcgaugen sei, um die Blockade hcrzustcllen. — Tie Trupen werden ihre Lpcrationcn mtt denen des Geschwaders vereinen, sobald sie eon- centrirt sei» könne», was voraussichtlich in zehn Tagen der Fall sein wird. Das ist der thatsächliche Beginn des Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien. Die kriegerische Action hätte schon anheben können, nachdem der spanische Gesandte Bernabe in Washington seine Pässe ver langt, Spanien also die diplomatischen Beziehungen ab gebrochen hatte. Er mußte beginnen, als die spanische Isiegrerung sich weigerte, das Ultimatum entgegen zunehmen. Mit dieser Weigerung war auch die unverzüg liche Abreise deS amerikanischen Gesandten aus Madrid gegeben. Man berichtet uns darüber: * Madrid, 21. April Tie Note, die -cm amerikanischen Gesandten Woodford von dem Minister des Auswärtigen Gullon zugcgangen ist, um ihn zur Abreise zu vcraulasscn, lautet. „Mit Bedauern thetle ich Ihne» mtt, daß, nachdem der Präsident der Bereinigten Staaten die Reso lution der beiden Häuser des Kongresses genehmigt hat, Sie auf eine sofortige bewaffnete Inter vention in der spanischen Provinz Cuba aus- geht, eine Intervention, welche die Kriegs erklärung in sich schließt, die Beziehungen zwischen de» beiden Negierungen abgebrochen sind, und das; die Negierung Spaniens keine weitere Mitthcilung von Amerika entgcgcnnchmc» wird. Aus demselben Grunde hat der spanische Gesandte in Washington, Bernabe, Washington bereits verlassen. Cw. Ercellcnz werden dem entsprechend thnn, was Ihnen angemessen erscheint." lieber die Abreise Woodford'S wird unö weiter ge meldet: * Madrid, 21. April. Der amerikanische Gesandte Woodford, der erste GcsandtschasiS-Secretair, des letzteren Mutter und Schwester, sowie die anderen Beamten der Gesandtschaft sind soeben mit dem Süd-Expreßzuge in der Richtung nach Paris abgereist. Ter Bahnhof war von berittenen Gensdarmen umgeben, der Bahnsteig war von der Polizei besetzt. Auch der Präfect befand sich am Bahnsteige. Als Woodford den Bahnsteig überschritt, grüßte er durch Lüfte» deS Hutes, was von mehreren Personen erwidert wurde. Im Augenblicke Les Abgangs des Zuges bewahrte die Menge auf dem Bahnsteige eine respektvolle Haltung. Dann erst erschollen die Rufe: „Es lebeSpanien, es lebe dieArmee.es lebe die Marine!" Woodford zeigte sich vor der Abreife sehr bewegt. Während seines Aufenthalts in Madrid empfing er Beweise der Hochachtung; denn er zeigte sich stets sehr correcl und machte große Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens. Als die Menge rief: „Es lebe Spanien!", grüßte Woodford vom Wagenfenstcr aus mit dem Hute. Nach der Zurückweisung des Ultimatums durch die spanische Regierung besteht also ein solches überhaupt nicht mehr; demzufolge besteht auch die in demselben gesetzte Frist nicht weiter, und so erklärt sich der sofortige Beginn der Feindseligkeiten durch die Union. In Washington sieht man es so an, oder stellt es vielmehr so hin, als sei Spanien für diesen Schritt verantwortlich, da es nicht die letzten Mittel diplomatischer Verständigung erschöpft habe. Allein das ist echt amerikanische Heuchelei, und als solche wird man — abgesehen vielleicht von dem „stammverwandten" England — das Ver halten der Iankees auch qualificiren. Man hat Spanien die Pistole auf die Brust gesetzt und von ihm Unmögliches ver langt. Wehrt sich Spanien dagegen und kommt es zum Blutvergießen — wer kann sagen, welche Dimensionen das selbe annehmen wird! — so ist moralisch und factisch Niemand anders verantwortlich dafür, als die beutegierige Kriegspartei in den Vereinigten Staaten und die, welche schwach genug waren, sich von ihr treiben zu lassen, um schließlich sich ihr unbedingt zu unterwerfen. Wir theilen nun zunächst noch die au uns gelangten, dem Fall der Würfel vorauSgegangenen Nachrichten mit, die zwar überholt sind, aber Loch einen Einblick in die Genesis des Conflictes geben. Man meldet uns: * Washington, 21. April. Eine Note der Regierung besagt, das Staatsdepartement habe gestern dem spanischen Gesandten die Absichten der Regierung und eine Abschrift der Resolution des Congresses mitgetheilt. Nach Empfang derselben verlangte der Gesandte die Pässe, die ihm am Nachmittag zugestellt wurden. Das Staatsdepartement empfing heute früh eine Drahtmeldung von Woodford, aus der hervorgeht, daß die spanische Regierung die diplomatischen Beziehungen abgebrochen hat. Diese Haltung macht jede weitere diplomatische Action der Ver einigten Staaten unnütz. Eine Depesche an Woodford besagt: Ter Präsident beauftragt Sie, entsprechend den Resolutionen des Congresses Spanien aufzufordern, sofort auf die Souveränität in Cuba zu verzichten und seine Truppen zu Wasser und zu Lande zurückzuziehen. Die Depesche schließt: Wenn bis zum nächsten Sonnabend, den 23. d. M., Mitternacht die Re gierung der Vereinigten Staaten von Spanien nicht eine vollständig befriedigende Antwort empfangen hat, wird der Präsident ohne eine andere vorherige Benachrichtigung in dem nothwendigen Maße die Vollmacht und Autorität anwenden, die ihm durch die ge meinsamen Resolutionen verliehen und auferlegt wird. * Madrid, 21. April. (Senat.) Marschall Martinez Campos fragt an, ob cs wahr sei, daß der amerikanische Gesandte Woodford seine Pässe erhalten habe und daß der spanische Gesandte in Washington Polo Bernabe Washington verlassen habe, um nach Spanien zurückzukehren. Der Minister des Aus wärtigen beantwortet beide Fragen zustimmend; er habe Bernabe Befehle gegeben, alle Beziehungen zu der amerikanischen Regierung abzubrechen. Martinez Campos schätzt sich glücklich über die von der Regierung gezeigte Weisheit, welche gern alle Forderungen erfülle, die nicht die Würde Spaniens verletzten. Seit dem Jahre 1820 verfolgten die Vereinigten Staaten das Ziel, sich Cubas zu bemächtigen. Wenn Amerika für die Amerikaner sei, so müsse Spanien als amerikanische Macht betrachtet werden, denn es habe sein Blut vergossen aus den Gefilden Amerikas. Redner erinnert daran, daß in Amerika 40 Millionen Einwohner von spanischer Abstammung existiren, welche dem Mutterlande günstig gesinnt sind. Fernando Gonzelez (Republikaner) er klärt, er sei vollkommen einverstanden mit Martinez Campos und fügt hinzu, wenn das Vaterland in Gefahr sei, seien alle Parteien in Spanien einig und bieten der Regierung bedingungslos ihre Mithilfe an. Ein Antrag mehrerer Senatoren, die Mitwirkung zur Rettung der Ehre Spaniens anzubieten, wurde durch Acclamation angenommen. Der Minister des Aus wärtigen sprach seinen Dank aus, nicht Namens des liberalen CabinerS, sondern Namens der nationalen Regierung. Der Präsident hielt sodann eine patriotische Ansprache, welche sehr bcisällig und mit großem Enthusiasmus ausgenommen wurde. Ersichtlich ist die Stimmung in Spanien eine kampf bereite und ernste. Wie zu den Zeiten, wo die KriegS- schaaren Napoleons das Land überfluthet hatten, knieen die gläubigen Krieger vor dem Crucifix und den Heiligen bildern. Der Admiral, der das Torpedo-Geschwader narb den afrikanischen Inseln zu führen hat, von wo es die Fahrt nach den Antillen antreten soll, begab sich an der Spitze seiner Mannschaften in das Herligthum der Jungfrau Maria zu Cadiz. Dort hielt er eine An sprache, in welcher er seinen Leuten die Gefahren des Krieges vorhielt. „Wer Furcht empfindet", sagt er, „mag zurück bleiben." Die Seeleute riefen wie aus einem Munde, sic wollten mitsahrcn, sie wollten mit ihrem Führer die Ge fahren der See und des Krieges theilen. Dann knieten alle vor dem Crucifix und schwuren feierlich, nur als Sieger nach Spanien zurückkehren zu wollen. Kein Zweifel, das ist die Empfindung des gesammten spanischen Volkes. Nm Dienstag Nachmittag, als die Beschlüsse des amerikanischer. Congressen in Madrid bekannt wurden, konnte der Bericht erstatter des „New Aork Herald" wahrnehmen, daß man es wie eine Erlösung empfand. Die Spannung hatte gar zu lange angehalten, das Unabwendbare war nicht abgewandt worden, und mit dem Ausruf: 6raeiL8 g, Dios! gab das vaterländisch gesinnte Volk dem Gefühl der Erlösung von dem lastenden Alp Ausdruck. Wir erhalten hierzu noch die folgenden Mittheilungen: * Madrid, 22. April. (Telegramm.) Gestern Abend 8 Uhr schaarte sich vor dem Geschäftsgebäude der amerikanischen Ber« sicherungsgesellschaft „The Equitable" eine Menge zu sammen und verlangte die Ersetzung der amerikanischen Flagge durch eine spanische. Diesem Verlangen wurde unter jubelnden Zurufen der Menge Folge geleistet. Ebenso wurde das Wappenschild durch ein anderes Schild ersetzt mit der Aufschrift, daß das Gebäude ein Unterpfand der zu Gunsten bei der Gesellschaft Versicherten sei. Die Theilnehmer an deu Kundgebungen begaben sich alsdann nach dem Bahnhofe, um zwei abfahrende» Bataillonen Kundgebungen darzubringen, und von dort nach dem militairischen Clubhause, wo unter Hochrufen auf die Armee und die Marine eine Fahne niedergelegt wurde. Die amerikanischen Schilder sollen heute überall entfernt werde». Später durchzogen etwa 6000 Personen mit Fahnen unter den Rusen: „Es lebe Spanien!" „Es lebe die Armee und die Marine!" „Nieder mit den Nankees!" die Hauptstraßen der Stadt. Nach dem Besuche des militairischen Clubhauses veranstaltete ein Theit der Theilnehmer an den Kundgebungen eine Manifestation vor der französischen Botschaft. Andere zogen nach dem Theätre Espagnol, wo der Präfect eine Ansprache hielt, in der er der Menge sagte, sie könne nach Herzenslust manifestiren, möge sich dann aber zurückziehen. Die Menge klatschte Beifall. Trotzdem durchzog sie weiter die Straßen unter den Rufen: „Krieg den Nankees!" „Es lebe Spanien!" Leider kommt auch die allgemeine Bedrängniß, in der Spanien sich befindet und trotz deren es in einen blutigen Krieg gedrängt worden ist, in bedauernswerther Weise zur Erscheinung. Während in Barcelona die Nachrichten aus FeuiHetoir. Der Kampf mit -em Schicksal. 17j Roman von Hermann Heinrich. Nachdruck »erboten. Hastig durchlas er das Buch. Es war kein Zweifel mehr, er hatte die Orakel der Sibylle aus der Behrenstraße in der Hand. „Okeanos der Alte trägt auf schwankendem Rücken das dampfende Schiff, das Dich hinwehführt nach ferner Zone zum fernen Gestade." Das war Omars Orakel, und hier: „Charon, der Fährmann, trägt auf schwankendem Boot die Seelen hinüber und wieder herüber. Schon naht sich der Alte, den Sohn zu besuchen, schon landet er diesseits am dunklen Gestade", — so wurde Willy Ender von der Alten auf das Gespräch mit seinem Vater vorbereitet! Außerdem enthielt das Buch noch etwa fünfzig Sprüche, die sich auf alle Lebensverhältnisse erstreckten und in demselben geheimnißvollen Tone gehalten waren. Das war offenbar die ganze Orakelweisheit der Madame de Giorgewo, mit der sie die Gemüther verwirrt und ihre Casse gefüllt hatte. Und die Baronin hatte das Buch geschrieben, sie mußte also mit der Sibylle irgendwie in Verbindung stehen. Diese Entdeckung erregte in Ricbard einen Sturm von Gedanken. Die Vermuthung lag nahe, daß die vornehme Frau das doch nicht war, wofür sie sich ausgab, und dann waren ihre drei Schlösser auch nichts weiter als — Luftschlösser. Vielleicht schwebte sein Vater in einer großen Gefahr, und er mit ihm. Er erinnerte sich der auffallenden Ähnlichkeit zwischen der Stimme und dem Dialect der Alten und der Sprechweise der Baronin, vielleicht war diese sogar eine Tochter der Sibylle. Dem Alter nach konnte sie es sein. Das Buch rührte unzweifelhaft vom Einbruchsdiebstahl her und war den Dieben verloren gegangen oder von diesen weg geworfen worden. Eigentlich hätte es Richard der Polizei aus liefern müssen, aber er beschloß, es vorläufig zu behalten, über zeugt, daß ihm dieses Buch der Schlüssel zu manchem Geheimniß werden und manchen bangen Zweifel lösen könne. Nach einigen Tagen traf ein Telegramm von der Baronin ein: „Bitte, polizeiliche Verfolgung einstellen. Ich komme selbst." Das war wieder die bekannte Milde der Baronin, aber dies mal wollte sie dem Amtsrath gar nicht gefallen. Er glaubte für seine Klugheit und Umsicht Anerkennung verdient zu haben, und sie wollte die Einbrecher einfach laufen lassen. Glücklicherweise ging das nicht so rasch, da hatte die Polizei auch ein Wörtchen mitzureden. „Ob sie wohl kommen wird?" dachte Richard. Daß sie von der Polizei nichts wissen wollte, stimmte zu seinem Verdacht, aber daß sie selbst zurückkam — Und sie kam zurück. Schön und glänzend wie früher erschien sie eines Tages auf Krahnepuhl. Der Traueranzug ließ sie noch würdevoller und vornehmer erscheinen, aber aus ihrem blühenden Gesicht leuchtete die alte Milde und Güte. Der Amtsrath war die Herzlichkeit und die Liebenswürdigkeit selbst. Edler Stolz belebte seine Gestalt, er wuchs förmlich in Gegenwart dieser Frau., Mit etwas beklommenem Herzen nahte Richard. Die Zurückhal-1 tung des erwachsenen Sohnes gegenüber der Braut seines Vaters Z war wohl erklärlich. Die Baronin respectirte sein Gefühl und bewies ihm in Worten und Verhalten eine Achtung und Zu neigung, die den Amtsrath entzückte. Schon der feine Tact, der dieser Frau eigen war, adelte sie, es hätte des klangvollen Namens gar nicht bedurft. „Ist die Erbschaft schon geregelt, gnädige Frau?" fragte Richard. „Keineswegs, die Angelegenheit wird mich noch längere Zeit beschäftigen. Ich reise in einigen Tagen wieder ab." „Und lediglich der Einbruchsgeschichte wegen haben Sie Ihren Aufenthalt in Ungarn unterbrochen und die weite Reise zurück gelegt?" Die Baronin machte eine abwehrende Bewegung. „Das be unruhigt mich nicht eine Minute. Das konnte ich wohl ruhig Ihrem Herrn Vater und der Polizei überlassen. Aber der Ein bruch war mir ein willkommener Borwand, meine lieben Bru- nower Freunde einmal wiederzusehen." Sie reichte mit einem bezaubernden Lächeln dem Amtsrath die Hand. „Glauben Sie nicht, daß mein Herz mehr auf Krahnepuhl als in Ungarn ist?" Der Amtsrath drückte seine Lippen auf die feine Rechte und erwiderte mit Innigkeit: „Dieses Kleinod, meine liebe, gnä digste Frau, ist auch nirgends besser aufgehoben als bei uns. Hier würde ich mit jedem Einbrecher auf Leben und Tod ringen." „Weitz er's?" fragte sie, zu Richard hinüberwinkend. Der Amtsrath nickte. „Nun, was sagen Sie zu unserer Absicht, Richard?" „Ich beglückwünsche Sie, gnädige Frau." Richard stand auf und reichte ihr die Hand. Sie erhob sich ebenfalls, umarmte ihn und küßte seinen Mund. Ihre Augen glänzten feucht, sie konnte vor Rührung kein Wort sprechen. Der Amtsrath stand dabei und sah mit stillem Entzücken auf diese erste Familienscene. Endlich sagte sie: „Nicht wahr. Sie werden mich auch ein klein wenig lieb haben, Richard?" „Ich werde Ihre Güte zu verdienen suchen." Ueber den Einbruch äußerte sich die Baronin, daß sie den armen Schluckern gern die Strafe erlassen hätte, zumal ihr wirk lich werthvolle Sachen nicht entwendet worden seien. Ihre Werthpapiere und Juwelen habe sie selbstverständlich nicht in der Wohnung zurllckgelassen. Da aber die Polizei die Sache so ernst nehme, so wollte sie ihr auch nicht in die Arme fallen. Sie plaidire nur für mildernde Umstände. Sie habe heute Morgen dem Bürgermeister schon ihre Erklärung zu Protokoll gegeben. „Sie vermissen also nichts, waS Ihnen lieb und Werth ist?" fragte Richard. „Das kann ich nicht sagen, nur sind ai kleine Werthgrgen- stände im gewöhnlichen Ginne. Da find zunächst die Zeichnun gen verschwunden, die ich Ihrer Güte verdanke, und dann unter anderen Kleinigkeiten ein Buch mit den Poesien einer Freundin. Ich habe sie selbst geschrieben. Es wäre mir lieb, sie wieder zu bekommen. Sie sind für jeden Anderen ohne Werth, für mich aber ein theures Andenken." Die Baronin blieb zum Frühstück. Es waren herrliche Stun den, die der Amtsrath in ihrer Gesellschaft verlebte. Auch in der ruhigen Unterhaltung erschien sie bedeutend, und, was für den Augenblick noch mehr sagen wollte, aus ihrer Stimme klang jene seclenvolle Herzlichkeit, welche Bande der Liebe zu knüpfen und zu befestigen geeignet sind. Am nächsten Tage erschien Richard in der Villa der Baronin. Hocherfreut über die Aufmerksamkeit hieß sie ihn herzlich will kommen und führte ihn in den Salon. „Gnädige Frau", begann Richard, „Sic sagten uns gestern, daß Ihnen ein Buch mit Poesien, von Ihrer eigenen Hand ge schrieben, verloren gegangen sei. Vielleicht bin ich in der glück lichen Lage, es Ihnen zu überreichen?" Er nahm das glänzende Buch aus der Umhüllung und legte es in ihre Hände. Die Baronin erkannte es sofort als das ihrige und war er freut, das Andenken an die Freundin wiederzuerhalten. Richard erzählte, auf welche Weise es in seinen Besitz gelangt sei. Die Baronin durchblätterte es schnell und legte es dann auf den Schreibtisch. „Sind die Gedichte nie gedruckt erschienen?" „Nie, meine Freundin hatte eine Scheu vor der Öffentlichkeit. Aber meinen Sie nicht, daß sie einen Platz in der Öffentlichkeit recht wohl verdienten?" „Sie setzen also voraus, daß ich sie gelesen habe?" „Warum sollten Sie nicht?" „Das übcrhebt mich der Bitte um Entschuldigung wegen meiner Jndiscretion. Die Gedichte haben in mir eine große Erregung hervorgerufen." Das Gesicht der Baronin wurde ernst, aber mit bezwingender Ruhe weilten ihre Augen auf dem jungen Mann. „Nicht wahr? Sie haben einen großen poetischen Werth?" „Nicht deshalb. Nein, weil ich sie schon kann», zum Theil wenigstens." „Diese Gedichte? Nein, das ist nicht möglich. Sie ver wechseln Sie wahrscheinlich mit ähnlichen." „Durchaus nicht, Frau Baronin. Das eine von ihnen ist sogar für mich persönlich von Bedeutung gewesen. „Flüssig wie Wasser ist das Schicksal der Menschen. Wo Du jetzt stehst, da darfst Du nicht weilen." Einen Augenblick sah die Dame den jungen Mann, dessen Augen voll Spannung auf fie gerichtet waren, sinnend und ruhig an. Ihr Geist schien die Vergangenheit zu durchfliegen, und ein plötzliche« Aufleuchten der Augen bewies, daß sie wieder zur Gegenwart zurückgekehrt war. „Gestatten Sir mir «in« indiScretc Frage", sagte sie lächelnd. „Haben Sie Madame de Giorgewo gekannt?" Richard war überrascht und verwirrt. „Ja, und d,rt eben habe ich einen Theil dieser Gedichte kennen gelernt — in der Form von Orakelsprüchen." „Das erklärt Alles. Dann, lieber Freund, haben wir sie aus einer Quelle. Aber", fügte sie mit satirischem Lächeln hinzu, „ich hätte nicht geglaubt, einen so selbstbewußten jungen Herrn auf einer solchen Schwäche zu ertappen." Richard überhörte diese Worte absichtlich. Er wollte nichl aus der Position eines Angreifers in diejenige eines Angegriffenen versetzt werden. „Madame de Giorgewo ist also Ihre Freundin?." „Gott bewahre mich!" rief die Baronin. „Aber Sie sagten doch —" „Wie neugierig Sie sind! Aber da der Zufall diese seltsame Frau zu unserer beiderseitigen Bekanntschaft gemacht hat, so sollen Sie den Zusammenhang wissen. Schon seit langer Zeit beschäftigte ich mich mit der Idee, ein Werk über den Aberglauben in allen Gestalten zu schreiben. Sie werden zugeben, daß dies eines der interessantesten Gebiete ist, und daß derjenige, dem ein solches Werk in wissenschaftlich begründeter Form gelänge, ein gutes Stück der Menschengeschichte geschrieben hätte." „In der That eine Idee, eines großen Geistes würdig." „Ungarn ist ja das Land der Zigeuner und der Wahrsage kunst. Es ist aber sehr schwierig, in die Geheimnisse einzu dringen, die natürlich fanatisch gehütet werden; sind doch manche Wahrsager der Meinung, daß ihre Zaubersprüche an Kraft ver lieren, wenn profane Menschen sie kennen lernen. Dessenunge achtet gelang es mir in vielen Fällen. Gold und Ueberredung öffnen ja schließlich alle Herzen. Ich scheute sogar das Zigeuner' costum nicht, um mein Ziel zu erreichen. In Szegedin habe ich eine große Sammlung solcher Zaubersprüche. Ich bin ein wenig stolz darauf. Die praktischen Aufgaben, welche mir das Leben durch den Tod meines Gemahls so unerwartet stellte, haben mich zur wissenschaftlichen Verarbeitung meiner Schätze bisher nicht kommen lassen. Sobald aber mein Herzenswunsch realisirt ist, gehe ich an die Arbeit. Wollen Sie mir helfen?" „Ich danke, gnädige Frau. Mein Sinn ist mehr auf das Praktische gerichtet." „Ja, ein seltsames, in hohem Maße interessantes Weib, diese Giorgewo. Ich hörte von ihrer eigenartigen Wahrsagung, das war mir neu. Ich ging zu ihr, ließ mir mein Orakel sagen und machte dann ihre nähere Bekanntschaft. Es kostete mir unendlich viel Mühe, sie für mich zu gewinnen. Ein kleines Vermögen habe ich dabei geopfert,und auch dann gab sie mir die Sprüche erst, als ich Verschwiegenheit mit Bezug auf die Quelle gelobt hatte. Ich schützte deshalb die Freundin vor. Sie vergeben mir hoffent lich die Täuschuna." „WaS halten Me »an der Giorgewo?" „Hm! Wie alle Wahrsager glaubt sie natürlich an ihre Orakelsprllche." „Obgleich sie dieselben Sprüche für alle Menschen anwendet." „Das ist für sie kein Wtdersvrruh. Die Wahrsager theilen nchmlich das Schicksal d«r Mensiyen in verschiedene Kategorien. Innerhalb derselben Kategorie sind die Schicksale und also auch die Orakel gleich. Kleine Abänderungen und Combinationen spielen dabei natürlich auch eine Rolle. Ja, sie werden umso häufiger eintreten, je geschickter und erfahrener der Wahrsager ist." . ... (Fortsetzung folgt.)
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