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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980502010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898050201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898050201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
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Als der kühne Seefahrer Columbus die Insel, die damals Juana, später auch Ferdinandina benannt wurde, entdeckte, fand er sie von Indianern bewohnt, die zwar kein Eisen, dafür aber Gold besaßen, das ihnen von den goldlüsternen Spaniern bald gegen werthlose Perlen, Geschmeide rc. ab genommen wurde. Die eigentliche Besiedelung Cubas durch Spanien erfolgte erst 1511. Diese und dre folgende Zeit bietet ein trauriges Bild in der Geschichte der europäischen Colonisation. Denn Spaniens Politik ging zunächst darauf hinaus, das Land ausschließlich mit Spaniern zu besetzen und die Eingeborenen systematisch aus zurotten. Und eS gelang diese Politik der Grausamkeit m der That. Denn im Jahre 1560 befand sich von den ehe mals etwa 30 000 Eingeborenen kaum noch einer auf der Insel. Auch in der Folgezeit machte die spanische Colonial politik Fehler auf Fehler, als deren Folge anzusehen ist, daß 1580 kaum 16 000, 1688 kaum 40 000 und erst etwa 1774 90 000 Köpfe auf dem mit Einschluß der vorgelagerten Inseln 118 833 Quadratkilometer großen Territorium gezählt wurden, welches jetzt von 1 632 000 Einwohnern bewohnt wird; die Verwaltung der Insel wurde derartig verkehrt gehandhabt, daß Spanien bis 1791 jährlich 8 Millionen Mark Substdien aus dem reichen Mexiko an Cuba senden mußte. Die innere Entwickelung Cuba's wurde namentlich dadurch gehemmt, daß die Spanier die Ausfuhr nur nach Cadix und Sevilla gestatteten. Da wurden die spanischen Besitzungen in Westindien auch von außen immer mehr geschmälert. Nach und nach rissen Niederländer, Franzosen und Engländer eine Antille nach der andern an sich, so daß heute den Spaniern außer Cuba nur noch Portorico, Culebra und Visquas gehören. Die Opfer, die diesem colonialen Raubrittrrthum anheim fielen, waren aber, so schmerzlich Spanien darunter auch zu leiden hatte, das Lehrgeld, das für ein neues Cvlonialsystem gezahlt wurde. Der beispiellose plötzliche Umschwung zum Bessern trat im Anfänge deS 19. Jahrhunderts ein; den ersten Anstoß dazu hatte die 1762 erfolgte Eroberung der Hauptstadt Cubas, Havannah, durch die Engländer ge geben. Diese öffneten nämlich sofort den Hafen und ver anlaßten dadurch, daß anstatt der 10—12 Schiffe, die ms dahin jährlich einliefen, jetzt binnen 10 Monaten 1000 Schiffe einliefen, ein Umstand, der wiederum auf die Entwickelung deS Landbaues seine segensreichen Einwirkungen auSübte. Nach dieser Probe, welche durch die Rückeroberung Havannahs durch die Spanier 1763 rasch wieder beendet wurde, be gann Spanien einzusehen, was man aus der Insel machen könne. 1778 wurden zunächst Bestimmungen erlassen zur Erleichterung deS Handels, und im Jahre 1818 fügte sich Spanien den Wünschen der Cubaner nach Handelsfreiheit völlig und eröffnete die Insel für den Handel und die Schiff fahrt aller Völker. Es war das damals ein unerhörtes Vorgehen, der Erfolg aber rechtfertigte dies Vorgehen. Denn es kam eine Zeit der Blüthe für Cuba, wie sie weder vor her noch nachher auf der Insel erlebt worden ist. Leider hielt der Aufschwung nicht lange an. Denn die übrigen Colonialmächte eröffneten nun ebenfalls ihre Colonien, und CubaS Leistungsfähigkeit reizte Spanien zu neuen Bedrückungen. Seit 1827 folgte eine Verschwörung der andern. Da war es das begehrliche Nordamerika, das hier im Trüben fischen wollte und versuchte, sich unter den unzufriedenen Bewohnern Cuba's Sympathien zu verschaffen. Die nordamerikanische Union war allmählich an den mexikanischen Golf und nach Florida vorgedrungen. Cuba aber bildet den Schlüssel des genannten Meerbusens und hat mit seinen vortrefflichen Häfen eine gleichwichtige Lage für den Handel wie für den Verkehr der SUdstaaten der Union. Zumal Havannah ist einer der schönsten Häfen von Amerika, einer der ersten Handelsplätze der Welt, die natürliche Niederlage für New Orleans und Vera Cruz, ein natürlicher Bereinigungspunct der von den Vereinigten Staaten, Mexiko und Haiti auslaufenden Verkehrswege. Amerikaner sind nicht die Leute, welche vor offenkundigen Vortheilen die Augen zu schließen oder über die Wege ihrer Erreichung sich Scrupel zu machen pflegen. Zuerst boten sie (im Jahre 1848) den Spaniern 200 Millionen Dollars für die Insel. Als eine Ablehnung dieses Angebots erfolgte, wurde im Senat der Antrag auf Annectirung CubaS gestellt und man beschloß, durch Frei beuterzüge sich in den Besitz des Landes zu setzen. Solche Züge wurden 1850 und 1851 unternommen, mißlangen aber vollständig. Der Plan, Cuba von Staats wegen durch Unterhandlung oder durch neue Raubzüge den Spaniern wegzunehmen, blieb trotz alledem bestehen. Da kam den Amerikanern im Jahre 1855 ein Aufstand sehr gelegen, der auf Cuba selbst gegen Spanien ausbrach; doch waren ihre Bemühungen auch hier resultatloS. Ebenso erging eS ihnen in dem furchtbaren Aufstand, der 1868 gegen Spanien auSbrach, und der erst 1878 beendet wurde, nachdem Spanien im Ganzen 150 000 Mann Truppen auf die Insel geworfen hatte. Dieser Bürger krieg hat Cuba außerordentlich geschadet. 1882 wurde die Schuldenlast der Insel auf fast 750 Millionen PesoS (zu ca. 4 ^e) geschätzt, und in dem JahreSbudget (z. B. 1895/96 Einnahmen 24 755 26V PesoS, Ausgaben 26 095 244 PesoS) nehmen die für die Tilgung der Schuldenlast aus- gesekten Summen die erste Stelle rin. In dem Verhältniß zu Nordamerika trat insofern eine vorübergehende Aenderung ein, als der amerikanische Secessionskrieg den Vereinigten Staaten zunächst Gelegenheit gab, an sich selbst zu denken, und ferner die Nordreiche an die Herrschaft brachte, die sich für Annexion von Planlagenstaaten nicht zu begeistern ver mochten. Wie die Verhältnisse heute liegen, kann Wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Nach einer jüngeren Statistik zerfällt d'e Bevölkerung Cubas in etwa eine Million Spanier, 10 000 Fremde, 44 000 Asiaten, meist eingeführte Kulis aus Japan und China, und 530 000 Farbige. Die Weißen befinden sich also erheblich in der Ueberzahl. Die Farbigen wurden erst 1870 freigesprochen und ihre Freisprechung erst 1880 bestätigt, doch hat man schon seit 1847» dem Jahre der Beendigung des Sclavenhandels, die asiatischen Kulis eingeführt. Diese und die Farbigen sind meist mit dem Plantagenbau beschäftigt, der auf Cuba in hohem Maße entwickelt ist. Früher herrschte der Kaffeebau vor, jetzt erzeugt die Insel kaum noch den eigenen Bedarf an Kaffee, statt dessen blüht die Zucker- und namentlich die Tabak-Industrie. Man veranschlagt die jährliche Production an Zucker auf 7 Millionen Doppel-Centner, wovon im Durchschnitt über ausgeführt werden, d. b. Cuba ist das am meisten Rohzucker producirende Land Amerikas. Auch für den Tabak bau ist Cuba das gesegnetste Land. Man braucht nur an den Namen seiner Hauptstadt Havannah zu erinnern, die den köstlichsten Tabaksorten den Namen gegeben hat. Die Qualität der Cuba-Tabake ist kaum irgendwo anders auf der Erde wieder erreicht; besonders werthvoll sind die Tabake des etwa lOO czkm großen Landstriches Vuelto abajo. Doch ist es unglaublich, waS in der Welt alles unter dem Namen „Havannah" geht. Denn die Insel selbst producirt nicht mehr als durchschnitt lich etwa 12 Millionen Kilogramm im Jahr, also etwa '/z der österreichisch-ungarischen Production; davon bleibt ein Drittel im Lande und nur zwei Drittel werden exportirt. Dafür werden aber die Tabake von Haiti, Portorico und den. umliegenden Inseln aufgekauft und in den vorhandenen ständigen Fabriken verarbeitet, um dann die Insel als „echte" Havannah-Cigarren oder Cigaretten wieder zu verlassen. Der Tabakbau auf Cuba ist alt. Bei Ankunft der ersten Europäer erfreute sich der Tabak bereits einer ganz allgemeinen Verbreitung, und zwar wurde er in Form der heutigen Cigarre von Jung und Alt geraucht. Ja der Sprache der Eingeborenen bezeichnete „Tabaco" eine aus Tabakblättern angefertigte Rolle, also eine Cigarre; der Ausdruck Tabaco für Cigarre hat sich in der spanischen Sprache erhalten, während man Cigarro für Cigarette, d. h. für zerschnittene, in Papier oder Maisblätter gewickelte Tabakblätter gebraucht. Auf Cuba ist der Tabak nicht Gegenstand eines Anbaues im Großen, sondern er wird ausschließlich von kleinen Pächtern oder Grundbesitzern gezogen und daher ist bei der unbegrenzt fortwährend im Steigen begriffenen Consumtion ceS Tabaks sein Anbau auf Cuba noch einer großen Ausdehnung fähig. Ter Ertrag ist bei einer einigermaßen befriedigenden Ernte ein sehr reichlicher, bei guten Ernten ein geradezu er staunlicher. Sobald die Blätter zur Reife gelangt sind, werden sie abgepslückt, in Bündel gebunden und entweder in die Fabriken zur Verarbeitung geschafft oder in Ballen von ca. 300 kx exportirt, entweder in rohem Zustande oder schon zur Fabrikation zugeschnitten. In der Cigarrenfabrik wird der Tabak getrocknet, mit einer verschieden zubereiteten Beize behandelt und endlich auf kleinen Holzplättchen ge wickelt, wobei man sich zum Festdrehen der Spitze eines Kleisters bedient. Die Peinlichkeit und Sorgfalt in den cubanischen Cigarrenfabriken kann allen andern Ländern zum Muster dienen. Die Cigaretten, welche auf Cuba und in ganz Mittel- und Südamerika in unglaublichen Quantitäten con- sumirt werden, werden meist aus den von den Cigarrenfabriken herrllhrcnden Abfällen hergestellt, indem beim Wickeln der Tabakblätter und besonders des Deckblattes immer Stücke des Blattes abgeschnitten werden müssen, um das Blatt der Cigarrenform anzupassen. Unter den etwa 600 Cigarrenfabriken, die sich auf der Insel befinden und von denen allein etwa 400 auf Havannah kommen, befinden sich nur wenige mit einem ständigen Arbeiterpersonal in unserem Sinne. Die Cigarrenbereitung ist meist Hausindustrie und die meisten Fabriken sind mehr oder weniger große Handlungen, die die Fabrikate verpacken und dieselben — meist im Inland — absetzen. Die wenigen großen eigentlichen Manufakturen beschäftigen ihre Arbeiter, von denen sie die besten durch hohe Löhne an sich zu fesseln verstehen, in der Fabrik selbst. Sie arbeiten im Wesentlichen für den Export, haben ihre bestimmten Tabaklieferanten und arbeiten meist auf Bestellung vom Auslande. Die Feuilleton. Das weiße Hemd. Skizze von Emil Peschkau. Nachdruck verböte«. Mitternacht war längst vorüber, als ich in Monte Carlo ankam. Trotz des heftig stürmenden Mistrals hatte ich von Marseille aus sechs Stunden lang eine Fußwanderung längs der Küste unternommen, und der Rest des Tages im Eisenbahn- coupß, beständig am Fenster vor dem Wandelpanorama dieser paradiesischen Landschaften, konnte dem physischen Menschen auch keine Erholung bringen. So war ich denn recht müde, und meine ganze Sehnsucht galt einem guten Bett. In dem Hellen Mondschein sah der Fels von Monte Carlo mit seinen märchen haften Palmenwipfeln gar verlockend aus, und nicht weniger märchenhaft lockte von der Höhe der phantastische Bau des Spieltempels mit seinen großen, hellerleuchteten Fenstern. Aber die Mondscheinpromenade hatte keinen Reiz mehr für mich, und die zwei Zwanzig-Francs-Stücke, mit denen ich mein Glück ver suchen wollte, konnten ja auch noch morgen geopfert werden. Ich gab also meine Handtasche dem Portier des nächsten Hotels, und schon zehn Minuten später stand ich halbentkleidet in meinem Zimmerchen und wusch mir den Reisestaub vom Gesicht. Dann wurde bei einer Flasche Bier noch eine Cigarette geraucht, und als ich mich überzeugt hatte, daß der Riegel einer in ein Neben zimmer führenden Thür geschlossen war, wollte ich zu Bett gehen. In diesem Augenblicke aber wurde plötzlich ein Geräusch hörbar, als richtete sich mein Nachbar im Bette auf, und dann wurde an die Verbindungsthllr geklopft. „Was giebt's?" fragte ich ärgerlich in französischer Sprache. „Verzeihen Sie!" antwortete eine sanfte, schüchtern klingende Männerstimme. „Sie sind also wirklich männlichen Geschlechts? Ich zweifelte erst. Sie haben einen so leichten Schritt. Aber es ist doch nicht dieses eigenwillige „Klap, Klap" des Weiber schrittes, und ich sagte mir, daß Sie Vernunfterwägungen zu gänglich sein müßten, selbst dann, wenn Sie eine Dame wären. Tragen Sie denn ein Corset? Ich hörte so etwas — als ob Sie's öffneten — und auf der Tischplatte klang es dann auch so." Mein Aerger war geschwunden — der Herr. Nachbar begann mich im höchsten Grade zu interessiren. „Was Sie für ein Corset hielten, war mein Gürtel", er widerte ich lachend. „Ach so", sagte er mit einer sonderbaren Freude im Ton, „Sie sind Tourist? Sie tragen keine Weste, sondern Gürtel und bunte Hemden?" „Allerdings. Aber warum freut Sie das?" „Das will ich Ihnen später sagen. Erst möchte ich noch wissen, ob Sie kein Weißes Hemd bei sich haben." Ich mußte wieder lachen. „Nein — ich habe nicht ein einziges. Nur ein beinahe Weißes." „Sin — beinahe weißes?" „Ja. Ein seidenes Touristrnhemd mit einem leisen Schimmer ins Gelbliche." „So — nun — das macht nichts. Ich mein« ein Weißes Hemd mit steifer Brust und steifem Kragen. Sin solches haben Sie also nicht?" „Nein." „Wollen Sie mir Ihr Wort darauf geben, daß Sie sich hier keine» lausen?" „Wenn es Ihnen Vergnügen macht, gern. Aber ich finde I Ihr Ansinnen höchst merkwürdig." „Sagen Sie doch lieber gleich, daß Sie mich für verrückt halten. Ich will Sie jedoch darüber beruhigen — wenn ich nur erst Ihr Wort habe. Sie werden sich kein weißes Hemd kaufen?" „Mein Wort darauf! Was soll ich denn mit einem Weißen Hemde? Ich würde mir auch ohne mein Wort keines kaufen." „Ich erlaube mir, daran zu zweifeln. Aber nun sollen Sie Alles wissen. !Uls Sie sich vorhin wuschen, da weckten Sie mich auf, und mein erster Gedanke war: Ha — wieder ein Opfer! Da heißt es Acht geben, daß wir morgen nicht ver schlafen!" Der Herr Nachbar wurde immer räthselhafter. „Wieder ein Opfer?" fragte ich verwundert. „Ein Opfer!" antwortete er pathetisch. „Sie wollen doch morgen Ihr Glück versuchen — oben im Spielsaal?" „Ja — das will ich. Nur denke ich durchaus nicht daran, ein Opfer zu werden. Ich habe vierzig Francs für diesen Zweck bestimmt — die will ich verlieren und nicht mehr." „So haben schon Tausend- gesprochen!" klang es höhnisch zurück. „Zwanzig Francs will ich verlieren — vierzig Francs — hundert Francs —!" Und dann haben sie Alles verloren — ihr Vermögen — ihr Glück — oft genug ihr Leben! Ich wollte ja auch nicht mehr dran wenden, als ein paar lumpige Napoleons. Und die hätte ich nicht dran gewendet ohne den Eigensinn eines Weibes. Und dann . . . Aber ich will Ihnen das jetzt nicht erzählen. Nur so viel, daß mich das Spiel mein Vermögen gekostet hat und — ein schönes Mädchen. Das selbe, das mich zum Spiel gereizt hatte! Seitdem thue ich, was in meinen bescheidenen Kräften steht, um den Spitzbuben da oben wenigstens einen Theil ihrer Opfer zu entreißen. Ich kann leider nur sechs Wochen im Jahre hier sein — ich bin Beamter des Marine-Material-Depot» in Paris — aber meine Ferien verbringe ich immer hier, und der Sommer ist insofern die beste Zeit für meine Bemühungen, al» ich da die Unschuldigen retten kann, die harmlosen Touristen, die 's eben nur mal Pro kuren wollen, oder arme Teufel, denen ein Gewinn ia zu wünschen wäre. Die zur Zeit der Saison Herkommen — die verdienen's zumeist nicht besser — an denen ist nicht viel verloren. Aber die Anderen — WaS geht da zu Grunde in dieser Schandhöhle! Nun — ich kann sagen — ich habe schon Hunderte und Hunderte gerettet. Leicht ist es ja nicht und ich muß alle möglichen Kunststücke anwenden, um die Leutchen Herumzukriegen. Für dir Frauenzimmer hab' ich freilich noch nichts Rechte» gefunden. Vernünftige» Zureden hilft da selten — sie haben'- schon im Schritt — klap klap, jetzt thu ich'S erst recht! Und das beste Mittel,.das ich für die Männer gefunden habe, kann ich bei Ihnen nicht anwenden." „Meinen Sie das weiße Hemd?" unterbrach ich ihn zugleich belustigt und gespannt. „Ja, das weiße Hemd!" erwiderte er jubelnd. „Den Frauen zimmern kann ich doch nicht da» Wort abnehmen, daß sie nur in Unterrock und Nachtjacke ausgehen. Aber von den Männern bring ich die meisten spielend herum — wie eben Sie. Und kein anderes Mittel wirkt so sicher. Wie oft hab' ich schon Einem das Versprechen abgenommen, nicht zu spielen. Ddnn sieht sich der brave Mann mit dem festen Vorsatz, sein Versprechen zu erfüllen, da- Casino an, die schönen Säle, und eins, zwei, drei, ist er verführt und der Spielteufel hat ihn am Kragen. Wer aber kein weißes Hemd an hat, der darf gar nicht hinein!" „Wahrhaftig?" fragte ich verwundert. „Der darf nicht hinein?" Ich hörte durch die Thüre durch, wie sich mein Nachbar ver gnügt die Hände rieb. „Der darf nicht hinein!" jubelte er. „Das heißt.... Sie dürfen mich nicht falsch verstehen. Da oben finden Sie ja genau dieselbe gesellschaftliche Komödie wie sonst in unserer Welt. Es ist nicht nöthig, daß Sie ein weißes Hemd am Leibe haben. Es geht auch mit einem verlumpten Kittel. Aber darüber muß eine weiße gestärkte Brust, ein weißer gestärkter Kragen und eine Cravatte sein. Wenn Sie nicht diese Uniform tragen, läßt man sie nicht eintreten, und deshalb habe ich Sie ge rettet. Jetzt aber gute Nacht, Herr Nachbar, ich will Sie nicht länger vom Schlaf abhalten." „Hoffentlich habe ich morgen das Vergnügen, Sie kennen zu lernen." „Das Vergnügen wird ganz auf meiner Seite sein." „Uebrigens gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich nicht mehr als vierzig Francs zu mir stecke, wenn ich das Casino besuche. Und wenn ich doch hineinkomme " „Sie wollen Ihr Wort brechen?" „Woran denken Sie! Ich meine, wenn ich doch ohne Weißes Hemd hineinkomme. —" „Dann schlafen Sie wohl, Herr Nachbar." „Besten Dank — für Alles, Herr Nachbar. Gute Nacht!" „Gute Nacht!" Ich sah noch eine Weile lächelnd nach der Thür und dann legte ich mich zu Bett, nicht wenig erfreut über die originelle Bekanntschaft, aber mit dem festen Entschluß, Monte Carlo ohne weißes Hemd zu erobern. -i- * -!- Zufällig hatte ich bei meiner etwas überhasteten Abreise keine anderen Reservekleider zur Verfügung gehabt, als einen ganz neuen, eleganten Gesellschaftsanzug, und das kam mir jetzt zu statten. Ich machte am anderen Morgen sofort große Toilette, zog die Kleider an, die ich bisher noch gar nicht benutzt hatte, und al» ich dann einen prüfenden Blick in den Spiegel warf, bildete ich mir ein, mit diesem festlichen Gewände und meinem weißen Seidenhemd, das noch durch eine Cravatte ver edelt wurde, zum Mindesten auszusehen wie ein englischer Lord. Und so stieg ich dann im Vorgefühl meines Triumphes durch die herrlichen Gartenanlagen zum Casino empor. Aber ich hatte kaum die Vorhalle betreten und schon sah ich, daß die Sache nicht so leicht sein würde. Der Portier schüttelte den Kopf und deutete auf meinen Hals. „Mit dieser Toilette ist der Eintritt nicht erlaubt", sagte er. Nun brauste ich auf. „Aber zum Teufel — kein Lord kann besser gekleidet sein wie ich." — „Oh — Mylord —" erwiderte er nun sehr höflich, „daran zweifle ich nicht. Aber die Lords thun sogar noch mehr für Monte Carlo. Bitte — da kommt eben Mylord Jpsworth." Ich wandte mich um und sah ganz verblüfft einen langen Eng länder in schwarzem Frack mit weißer Cravatte durch die Vor halle nach den Spielsdlen schreiten. „Aber das ist ja lächerlich", sagte ich nun. „Warum soll ich mit diesem Kragen nicht eintreten können? Er ist doch auch weiß." „Aber nicht gestärkt, Mylord", erwiderte der Mann. „Führen Sie mich zur Direktion!" Er winkte einem Diener und eine Minute später stand ich vor den Beamten de» Bureaus. „Man verweigert mir den Zutritt", sagte ich energisch, „weil mein Kragen angeblich nicht genügt. Aber ich habe doch einen weißen Kragen und er ist sogar von Seide." Die Beamten waren sämmtlich zusammengelaufen und ich wurde bedauernd gemustert. „Thut mir leid, Monsieur, Ihr Kragen ist nicht gestärkt." „Wo steht das geschrieben, daß er gestärkt sein muß?" fragte ich noch energischer. Und nun zeigte man mir das Statut: „Der Eintritt ist nur in der üblichen städtischen Kleidung gestattet", las ich und dann brauste ich von Neuem auf. „Also ist meine Keidung nicht die übliche städtische?" „Nein, Monsieur. Dazu gehört ein gestärkter Kragen." „Aber mein Bart verdeckt ja fast den ganzen Kragen. Und wenn ich meinen Rock höher zuknöpfe, — so — so sieht selbst ein sehr aufmerksamer Beobachter nichts mehr als einen weißen Streifen. —" „Bedaure, dieser Weiße Streifen muß gestärkt sein." „Für eine Spielhölle!" fuhr ich auf. „Sie treiben doch nur eine — ein Geschäft! Und welcher Geschäftsmann wird nach dem Kragen seines Kunden fragen!" Die Herren sahen einander mit Blicken an, als berathschlagten sie, ob ich schon reif sei zum Hinauswerfen. Nun fiel mir doch ein Wort ein, das gar oft verschlossene Thiiren öffnet — ich sagte, daß ich Journalist sei und überreichte zum Beweise meine Postkarte. „Bedaure — ein Journalist muß eben auch einen gestärkten Kragen haben." Es war also nichts zu machen. „Dann bedaure ich auch", erwiderte ich und dabei dachte ich: „Hol Euch der Teufel, Ihr Spitzbuben!" Eine Minute später war ich draußen und als ich die Treppe zum Park hinabschritt, sah ich einen hageren, grau gekleideten alten Herrn auf mich zukommen, der mich lächelnd anblickte. Und jetzt zog er den Hut und verneigte sich. „Ich habe die Ehre mit Nr. 27 —" Das konnte Niemand anders sein als mein Zimmernachbar. „Nr. 28 —?" fragte ich. Er nickte und reichte mir die Hand. „Ich sah Sie ausgehen und bin Ihnen gefolgt. Es hat nichts genützt — nicht wahr?" „Es hat nichts genützt. Das ist ja eine unglaubliche Bande!" Er zuckte die Achseln. „Die Welt, lieber Freund! Dieser gestärkte Halskragen ist eines ihrer Symbole. Alles was sie Schönes und Gutes hat, steht auch dem Ungestärkten offen. Sehen Sie nur — das blaue Meer da und alle die Herrlichkeit — das dürfen wir genießen auch ohne „weißes Hemd". Sie können in jedes Museum, in jede Bibliothek so eintreten, wie Sie sind. Und alle Kirchen stehen Ihnen offen — alle! Wie Sie mich da sehen, in diesem bunten, weichen Hemd bin ich in Rom in der Peterskirche ge wesen, als der Papst das Hochamt celebrirte, und seine Hand hat mich gesegnet. Nur wo Sie das Komödienspiel der Welt er wartet oder die geduldete Gaunerei — dort geht's nicht so. Da nimmt man's mit aller Förmlichkeit genauer, als selbst dort, wo eine gewisse Förmlichkeit gerechtfertigt sein mag . . . Aber jetzt ruft mich meine Pflicht. In zehn Minuten kommt der Eilzug von Genua. Da muß ich auf der Lauer sein .... vielleicht daß ick wieder Einen rette. Sehen wir unS an der Tadle ck'dSte?" „Gewiß", erwiderte ich. „Ich komme unter allen Umständen — wenn ich weiß, daß ich Sir treffe." „Ich bin sicher dort. Auf Wiedersehen also." Wir drückten uns die Hände und dann schritt er auf einem der Treppenwege zwischen Palmen und Lorbeerbäumen hinab nach dem Bahnhof. Ich aber blieb oben auf der Terrasse stehen, und während ich der unscheinbaren Gestalt nachblickte, kam es mir erst ganz zum Bewußtsein, daß ich eigentlich unendlich viel mehr erlebt hatte al» rin drollige» Reiseabenteuer.
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