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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980520021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-20
- Monat1898-05
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BHugS-PreiS U D oder tze» i» Acktzt« hetztet «ich h« Vorort«« errichtet«, L«<- aab«st«llra ahgeholt: vtertilstchelich ^44ckO. vei zweimalig« täglicher Zustellung ,»4 LaM ^l SÜO. Durch di« Poft bezogen für Deutschland «d Oesterreich: »Krteliadrltch ^>i . Dtrrct« tüglich» Krenzbaudlrnduug stch NuSlaud: mouatltch 7.50. Dl» Morg«Hln-gab« «rscheint m» '/,7 Uhch di« Abenh-An-geb« Wochentags um 5 Uhr. Ledactim m»d Erpeditto«: S»h»mie<««sie 8. Di« Expedition ist Wochentag« onmterbnch« geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: Dtt» chfenttn's Larti». (Alfred HnhttX UniversitätSstraße 3 (Panlinmn), Louis Lösche, Katharknenpr. 24, part. uud ASnlgSplatz 7. 252. Abend-Ausgabe Wger TaMalt Freitag den 20. Mai 1898. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigerr-PreiS die 6 gespalten« Petit-eile SO Rrclamen unter dem R«daction»strich (4ae- spalten) 50^, vor den Familitnuachrichsea (K gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnitz. Tabellarischer «nd Ziffnasatz nach höherem Tarif. Extra-Beilegen (gefalzt), nur mit der Morgen-Aasgabe, ohne Postbeförderung 60.-, mit Postbeförderung 70.-. ^»nahmeschluß fir Iiyeizea: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. Da« spanische Geschwader ist am Himmel- fahrt-taa wohlbehalten in Santiago de Cuba, an der Sudostküste der Insel avgekomme»! Das war die erste Meldung, die heute morgen vorlag. Admiral Errvera'- Flotte hat also bereit- ernea spanischen Hasen erreicht und dürfte nun die Fahrt ungehindert nach Havannah fortsetzen können, wo, wie es scheint, die Spanier doch den Hauptschlag führeu möchten. Weiter wird un- au» New Mort vom 19. Mai be richtet, nach einer Drahtnachricht der .Evening World" aus Washington solle der Marinesecrrtair Long die Meldung erhalten haben, daS spanische Geschwader nähere sich der Ostküste. Darunter ist augenscheinlich die Ab teilung spanischer Schiffe gemeint, welche, wie in New Aork angenommen wurde, schon seit fast acht Tagen auf der Höhe von Neu-England gesehen sein sollen. Eine Bestätigung scheint die Nachricht durch die folgende Meldung zu erhalten: Montreal, 19. Mal. Neun Kriegsschiffe, von denen man glaubt, daß sie spanische seien, passirteu hrute die Küste von Neu-Schottland. Die Ansicht, daß diese Schisse spanische seien, scheint eine hier eingetroffene private Drahtmeldung, nach der au» Cadiz kommende spanische Kohlenschiffe auf der Höhe von Miquelon und St. Pierre angekommen sind, zu bestätigen. Man glaubt hier, daß die Schiff« di« Städte und di« Häsen der atlantischen Küste Amerikas angreifen werden. Wie die Madrider Blätter melden, ist übrigens die Ab fahrt des unter dem Oberbefehl des Admirals Camara stehenden Geschwader» nach den Philippinen bevorstehend. Daffelb« soll aus den Panzerschiffen „Pelayo", „Carlos Quinto", den Kreuzern „Patriot»", „Rapido", „Alfonso Doce", „Antonio Lopez", drei Torpedobootjägern und dem Aviso „Giralda" zusammengesetzt sein. Ein weiteres Reserve-Geschwader, bestehend aus den Schiffen „Vic- toria", „Numancia", „Alfonso Trece" und „Lepanto", wird sofort gebildet werden. Eine amtliche Depesche au» Havannah bestätigt, daß zwei amerikanische Schiffe vor Santiago de Cuba erschienen und eine beträchtliche Anzahl Geschafft abfeuerten, ohne einen Schaden anzurichten. Die Strandbatterien erwiderten daS Feuer und brachten einem der feindlichen Schiffe eine Be schädigung bei. Eine halbe Stunde später fuhr ein französischer Aviso in den Hafen ein. Nach dem Eintreffen der spanischen Flotte dürften die amerikanischen Schiffe sich eiligst rückwärts concentrirt haben und auf einen weiteren Beschießungsversuch vorläufig verzichten. Neuerding» wurden die Aufständischen bei verschiedenen Zusammenstößen besiegt, wobei sie mehrere Tobte hatten. Der deutsche Kreuzer „Geier" ist, wie man un» au» Havannah berichtet, dort eingetroffen. Das Schiff gab bei der Einfahrt in den Hafen den vorschriftsmäßigen Salut. Gleich darauf begab sich der Commandant Corvetten-Capitain Jacobsen an Land und stattet» dem Generalgouverneur Marschall Blanco sowie dem General Manterola und dem Präsidenten der kubanischen Regierung Galvez Besuche ab. Die drei Besuche verliefen sehr freundschaftlich und bauerten längere Zeit. Die spanischen Behörden erwiderten die Be suche des Commandanten alsbald. Große Belustigung haben in Madrid di« telegraphischen Berichte über die Gefangennahme der beiden Reporter der New Iorker „World" hervorgerusen, welche am 13. Mai bei dem vergeblichen Landungsversuche der Nord amerikaner bei CardenaS von den spanischen Soldaten er griffen wurden. Diese beiden Herren waren es bauptsächlich gewesen, welche durch ihre täglichen Sensationsmeldungen in den Vereinigten Staaten di« Vorstellung befestigt hatten, daß die Landung auf Cuba eine sehr leichte sei. Noch am Tage vor ihrer Gefangennahme hatten sie nach New Jork telegraphirt, daß sie an der Küste Cubas etwa 3000 Auf ständische gesehen hätten, welche durch Freudensignale die Nord amerikaner herbeiriesen. Aber leider zögere Admiral Sampson noch immer, die Küstenpuncte zu besetzen, weshalb es nolbwendig sei, daß die Kriegspartei dieser schwächlichen Kriegsfi'ihrung ein Ende bereite, welche da» Ansehen der Nordamerikaner herabsetze. DaS letzte von den Berichterstattern beförderte Telegramm lautete dann: „Morgen früh wird endlich die Stunde der Erlösung schlagen und in 24 Stunden wird daö Sternenbanner in dem wichtigsten Häsen der Ostküste wehen". Kurz darauf waren die Herren gefangen. Die Madrider Presse tadelt heftig das Verhalten des Gouverneurs von Hongkong, weil derselbe den amerika nischen Schiffen gestattete, sich daselbst zu verproviantiren und weil er die Abfahrt der Insnrgentensührer nicht unter sagte. Ebenso wundert man sich über das Verhalten Eng lands, welches dem nicht entgegentrat, daß die Amerikaner das kubanische Kabel zerschnitten. Wie wir gleich vermutheten, gebt die Cabinetöbil- dung in Madrid nicht eben glatt von Statten. Die Schwierigkeit ist dadurch entstanden, daß Leon y Castillo sich jetzt weigert, das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten, zu deren Leitung er sich geneigt zeigte, zu übernehmen. Sagasta hak wiederholt bei ihm anfragen lassen, doch hat er noch keine Antwort erbalten. Sagasta führt zwar die Geschäfte des Aus wärtigen interimistisch weiter, doch bat er, wie es heißt, nun selbst keine Lust, fernerhin das Präsidium im Ministerium zu führen. Hiermit würde das neue Cabinet ohne Weiteres zu Grabe getragen werden. Da Sagasta sich schwerlich noch einmal zur Neubildung eines Ministeriums herbeilassen wird, so rechnet man in Madrid schon damit, daß Gamazo, daS Parteihaupt der Liberalen, sein Nachfolger sein werde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Mai. Die „Germania" ist sehr betrübt über die Bedeutung die da- Wort „national" in unserem öffentlichen Leben er langt hat; sie findet, daß diese Bedeutung „für das Zentrum wie für die Katho liken überhaupt im höchsten Maße verdächtig und anstößig" fei und mein! dann: „Wenn wir auch in wahrem Sinne deS Wortes gut national sind und deutsch fühlen und denken — das Wort „national" ist immer gegen das Centrum und gegen die Katholiken angeweudet worden". Diese Be hauptung ist zunächst insofern unwahr, als das Wort „national" keineswegs immer gegen die Katholiken angewendet wird; Hunderttausende von Katholiken wenden es vielmehr gegen das Centrum an. Und wenn die „Germania" den Fürstbischof Kopp fragt, warum er kürzlich dem Frac- tions-Diner der konservativen Gruppe des Herrenhauses bei gewohnt und «in Hoch auf diese Gruppe ausgebracht hat, so wird sie wahrscheinlich erfahren, warum auch hohe katholische Geistliche nichts vom Centrum wissen mögen und warum das Wort „national" auch von ihnen gegen das im Sinne der „Germania" wahrhaft nationale Centrum angewendet wird. Dieses bat in den ersten Jahren seines Bestehens auch solche organische Reichsgesetze abgelehnt, die in die Machtspbärc der römischen Hierarchie wenig oder gar nicht eingriffen. Es bekämpfte 1873/74 die Militairvorlage, 1875» die Land sturmvorlage, 1876/77 die großen Iustizgesetze. Später, als kirchenpolitische Fragen die katholische Bevölkerung nicht mehr in gleichem Maße erregten, behauptete daS Centrum die überlieferte Machtstellung, indem es sich mit den» Schein positiver Mitarbeit zu umgeben wußte. Aber aus zwei Gebieten versagte daS Centrum bis in die neueste Zeit hinein: auf den Gebieten der militairischen und der finanziellen Sicherung des Reiches. Selbst Gras Caprivi, von dem deute die „Germania" rühmt, er habe „in seiner sol datischen Ehrlichkeit" gelegentlich bemerkt, national seien Gott sei Dank jetzt die Parteien alle —, selbst Caprivi konnte die Stimmen deS CentrumS für die Militairvorlage von 1893 nicht gewinnen. Und die Reichsfinanzreform hat daS Centrum im Reiche, wie in Preußen zum Scheitern gebracht, nachdem die Franckenstein'sche Clausel die finanzielle Mißwirtbsckaft der Reichssinanzgebahrung verewigt hatte. Versagte das Centrum seine Mitarbeit gegenüber organisch-gesetzgeberischen Aufgaben von der bei Weitem größten nationalen Bedeutung, so unter stützte eS grundsätzlich und systematisch alle Bestrebungen, welche die inuereBesestigungdesReicheS bekämpfen. Tie Polen, die Welfen, die Elsaß-Lothringer, die Dänen fanden am Centrum stets einen sicheren Rückhalt; die ultramontane Hetze gegen den „Hakatismus", die heute so in Flor steht, ist typisch für diese Seite der „nationalen" Wirksamkeit des CentrumS. Ihr entspricht auch die Haltung des CentrumS bei den Wahlen. Nicht nur mit Polen, Welfen und Protestlern geht das Centrum bei den Wahlen Hand in Hand: selbst Socialdemokrateu sind mit ultramon- laner Hilfe in den Reichstag gelangt. Das geschah 1890 in München I, Mannheim und Offenbach, 1895 in Straßburg, München I, Offenbach,Mainz, Solingen, ObertaunuSkreis, 1895 bei der Nachwahl in Dortmund. Ein Mann wie Graf Konrad von Preysing wollte zwar 1890 in München I weder direkt, noch indirekt die Wahl des Socialdemokraten begünstigen und er klärte, daß er für den Liberalen stimmen werde. Das ultra montane Wahlcomits aber verheimlichte, so viel an ihm lag, die Erklärung, und das ultramontanc „Münchener Fremden blatt" bezeichnete sic als für die Partei nicht maßgebend. Beide konnten sich später auf die Autorität Windthorst's berufen, der in demselben Jahre für die Wahl in Hanau, wo ein Conservativer mit einem Socialdemokraten in Stich wahl stand, die Losung auögegeben hatte, die CentrumS- wähler sollten sich der Abstimmung enthalten. „Gut national" und „deutsch fühlend und denkend" zeigte sich das Centrum auch nicht gegen den Hauptbegründer des Reiches, den Fürsten Bismarck. Er war längst vom politischen Kainpfplatze abgetreten, als ihn der Preßausschuß des Mainzer Katholikentages den cowinis vo^u^ur der Socialdemokraten und aller Unzufriedenen, vr. Lieber ihn den Veranstalter antimonarchischer Kundgebungen nannte; ganz zu schweigen von dem Skandal, den der Reichstag zum 80. Geburtstage des Fürsten nicht allein unter Mitwirkung, sondern auf Anstisten des CentrumS herbeiführle. „Gut national" ist endlich nicht die Haltung des Centrums zur aus wärtigen Politik. Auf jeder Katbolikenversammlung wird eine Resolution angenommen, die sich für die Wieder herstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes ausspricht. Daß der Kirchenstaat nicht wieder hergestellt werden kann, ohne das niit dem deutschen Reiche verbündete Italien zu berauben, kümmert das Centrum nicht; sein Parteiinteresse bedarf um der Erregung der Mafien willen dieses Agitations mittels — das genügt, die Gebote der nationalen Politik zu mißachten! DaS sind einige der Gründe, die den der „Germania" so fatalen Umstand erklären, daß das Wort „national" immer gegen das Centrum angewendet wird; es giebt deren noch mehrere, auf die wir in einem anderen Zusammenhänge zurückkommen werden. Auch die Toctal-emotratte macht Anspruch auf die Bezeichnung „national"; sie giebt zu, antimonarchisch und international zu sein, behauptet aber, daß aus ihrem inter nationalen Charakter nickt auf einen Mangel an nationalem Sinne geschlossen werden dürfe. Sie versichert, ihre Ziele nickt in dem Sinne verwirklichen zu wollen, daß Deutschland russisch oder französisch gemacht werde; die Partei wolle Deutsch land oder auch nur ein Stückchen deutschen BodenS weder in russische noch in französische Hände legen und werde jedem Versuche dieser Art mit ganzer Kraft entgegentreten. Die Socialdemokratie wolle eine Völkerföderation und bekämpfe Alles, was diesem Ziele enlgegenwirkt, insbesondere die „nationale Ueberhebung", die „Eroberungssucht", die „feind liche Abschließung gegen andere Völker", die unausgesetzten Kriegsrüstungen zu Wasser und zu Lande u. s. w. Zu Gunsten ihrer angeblichen Ideale will die Socialdemokratie Alles unter stützen, was Feindschaft auSsöbnen und Gegensätze mildern kann, den Abschluß von Handels-, Schifffahrt»- und Verkehrs- erleickterungsverträgen, internationale Schiedsgerichte, inter nationale Arbeiterschutzgesetze u. s. w. Wenn Deutschland unter socialdemokratischer Führung zu dem Kosmopolitismus der früheren Zeiten zurückkehrte, so würde es diese social demokratische Politik sehr theuer bezahlen müssen und gar bald die Beute anderer Völker werden, welche die nationalen Interessen voranstellen und sich gegen die internationalen Velleitäten der Socialdemokratie verschließen. Nationale Inter essen sind der Socialdemokratie in Deutschland vollkommen gleichgiltig, sie stellt die Parteiinteressen obenan, ja man kann behaupten, sie hoffe auf kriegerische Verwicklungen, um dann im Trüben fischen und auf dem Ruin des Vaterlandes ihren Zukunftsstaat aufbauen zu können. Das bewies aufs Neue der Genoffe Stadthagen in einer socialdemokratiscken Versammlung zu Friedrichsberg bei Berlin, wo er über das Thema: „An'S Vaterland, an'S theure schließ' Dich an'" sich zu sprechen erlaubte, obwohl gerade dieser Agitator für das schöne Dichterwort nicht daS geringste Vcr- ständniß haben kann. Nach dem Berichte des socialdemo- kratischcn „Vorwärts" erklärte Genosse Stadthagen als die ersten Erfordernisse einer wahren Vaterlandsliebe die „Wahr heit und Klarheit in allen öffentlichen und staatlichen Ein richtungen" und sprach dann von einem angeblichen Spitzel und Vigilantenunwesen in Deutschland, von den indirekten Steuern, von der „AuSbeutungswuth der Schlotjunker" u. s. w. Alsdann behauptete Genosse Stadthagen, daß das deutsche Capital, das nach Afrika und China unter dem Schutze de« Staates seine Fangarme auSstreckte, ebenfalls international sei. Von der Intelligenz der Arbeiter, die in der socialdemokratiscken Gefolgschaft stehen, muß der Genosse Stadthagen doch eine sehr geringe Meinung haben, wenn er eS wagt, ihnen solche Thorheiten auszutischen. Wie eS scheint, kennt indessen Genosst Stadthagen seine Leute, da ihm Niemand widersprach, als er die Anlage deutschen Capital- in Afrika oder Asien, wodurch doch auch den Arbeitern in Deutschland Nutzen erwächst, auf dieselbe Stufe stellte mit den internationalen Fenillrton. Sanitätsraths Türkin. 1j / Eine Kleinstadt-Geschichte von KlauS Rittland. Nachdruck vrrbotttd 1. Capitel. „Wat willst denn, Jünging? Min Stäbeln sün ja ganz blank?" Diese Worte wurden in lachender Verzweiflung an einem Orte ausgestoßen, wo man ihresgleichen sicherlich noch nie gehört hatte: an einer Straßenecke Pera», des konstantinopoli- tanischen Frankenviertel». Der sie sprach, Sanitätsrath Körting, war erst vor wenigen Stunden in Konstantinopel an gekommen, und da» bunte orientalische Straßenleben erschien ihm noch wie ein wirrer Traum. Wieder und wieder blieb er, sich umschauend, stehen. Was Wunder, daß der kleine Wichsjunge an der Ecke ihn als gute Beute betrachtete, sich mit seinem Handwerkszeug auf da» solide deutsche Stiefelpaar loS- stiirzte und in eindringlichem Kauderwelsch seine Dienste anbot. Zuerst hatte der Sanitätsrath sich stumm gewehrt, dann aber, als der kleine Türkrnbengel gar nicht locker ließ, fuhr er ihm mit „Plattdiitsch" unter dte Nase, wie er'» daheim im Verkehr mit Menschenkindern von bescheidener socialer Stellung gewohnt war. Das wirkte — wunderbarer Weise. Verdutzt zog sich der kleine Wichs-Wütherich zurück, und der Fremde schritt weiter. Wa» war in diesen letzten Tagen alles an seinem Auge vorüber gezogen! Eine lang», anstrengende Reise lag hinter ihm, von seinem mecklenburgischen Hrimathstädtchen Kliitzow über Wien, Pest, Varna, das Schwarze Meer, den Bosporus, anstrengend aber lohnend, besonder» heute bei Morgengrauen, die Einfahrt in da» goldene Horn; da» war ein« von den Stunden gewesen, die man nie wieder im Lebe« vergißt! Nachher freilich, die Landung, die Plackereien in der Douane, die Verhandlungen mit Kutschern und Packträgern, die hatten den ersten günstigen Eindruck wieder etwa» verwischt. Daß diese Kerl» einen gar nicht verstehen wollten! „Mit Fran zösisch kommen Sie überall durch im Orient!" hatte ein welt kundiger Freund dem Sanitätirath versichert und daraufhin hatte er diese ganzen letzten Wochen vor der Reise eifrig an der Ausgrabung seiner tiefverschütteten französischen Kennt nisse gearbeitet. Täglich eine Stunde „Kleiner Ploetz"; sauer genug wer e» ihm geworden, und nun erwie» sich der kleine Ploetz gleich tm Anfang al» so unzureichend! Fast bereute jetzt der Sanitätsrath, daß er sich so auf eigene Faust hierher auf gemacht hatte, ohne seine in Konstantinopel lebenden Ver wandten vorher zu benachrichtigen. Ueberhaupt ein Geniestreich, diese Reise ins Türkenland! Vor nun fast drei Wochen hatte er den Brief erhalten, der ihn hierher gelockt, einen Brief von seiner Nichte Jndschi, der jüngsten hinterlassenen Tochter seines einzigen Bruders. Der war einst als junger Kaufmann ins Ausland gezogen, hatte sich in Konstantinopel etablirt, dort eine schöne Ungarin aus vornehmer Familie geheirathet und sehr bedeutende Geschäfte gemacht. Vor drei Jahren war er ge storben, ein Jahr später die Wittwe; die älteste Tochter war an einen französischen Advocaten, Maitre Florent, verheirathet und die jüngste lebte mit im Hause der Schwester. Kürzlich aber hatte sie dem Onkel geschrieben, sie könne nicht länger dort bleiben, möchte gern eine Stellung in Deutschland annehmen, ob er ihr nicht dazu verhelfen könne? Der Brief hatte den Sanitätsrath sehr aufgeregt. Weshalb wollte die Kleine eine Stellung annehmen? Ob die Verhältnisse so schlecht lagen? Freilich hatte er gehört, daß nach dem Tode des Bruders und nach Liquidation des ehemals so bedeutenden Importgeschäftes nur ein unerwartet geringes Capital übrig geblieben war. Was thun? Du lieber Gott, für einzelstehende Frauen ist das Brod in unserem lieben Vaterlande so knapp bemessen! Und Jndschi war sicherlich ein verwöhntes Kind. Eine Stellung hätte er freilich gleich gewußt: die in seinem eigenen Hause. Er war seit fünfzehn Jahren verwittwet und half sich mit „Hausdamen" durch; der letzten, einer ewig nörgelnden, mürrischen Alten, hatte er zum I. October gekündigt. Aber, ob Jndschi sich als Ersatz eignete? Schwerlich. Sie war ihm in der Erinnerung als sehr hübsches, eigenartiges, wildes, kleines Mädchen; seit zwölf Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen. Da war der kühne Entschluß in ihm aufgrtaucht, selbst nach Konstantinopel zu reisen, dort die Nichte kennen zu lernen und dann seine Ent scheidung zu treffen. Nach kurzer Wanderung stand er vor dem Hause, an welchem daS Schild de» „rksl'trv I'Iorent" prangte. Ein türkisch ge kleideter Diener — mit Fez und Pluderhosen — öffnete die Thiire. „Lst -<« qrw maoarns k'Iorent ost L la mrnson?" fragte Körting in seinem unnatürlichen Grammatik-Fran zösisch. Gottlob, der Muselmann verstand ihn. Und nun trat er in einen lauschigen, teppichbelegten Salon, wo zwei hübsche Damen ihn freudig erstaunt empfingen, die eine schlank, hellblond und mädchenhaft, die andere mehr doll entwickelt mit weichen, üppigen Körperformen und einem aus drucksvollen Schwarzköpfchen. „Nun, meine liebe Marie", sagte der Onkel, nachdem die erste Begrüßung vorüber war, der Brünetten die Hand reichend, „nun möchte ich aber vor Allem etwas über das Ergehen Deines Aeltesten, meines lieben Pathchens, hören —" „Bedauere, Onkelchen", erwiderte sie schelmisch lachend, — „aber ich habe keinen Aeltesten. Ich bin ja die Jndschi!" „Ach, ist's möglich?" Sie sah weit frauenhafter aus wie die schmächtige Blondine, die nun in berechtigtem Mutterstolze ihre drei niedlichen Babies präsentirte. Bald erschien auch deren Papa, Henri Florent, ein kleiner beweglicher Franzose mit einem wie aus Holz geschnitzten Gesicht. Der Onkel mußte natürlich zum Dejeuner bleiben; eigentlich sollte er gleich aus dem Hotel übersiedeln, was er jedoch dankend ablehnte. Die Unterhaltung während der Mahlzeit war ziemlich ge zwungen, wie gewöhnlich, wenn nahe Verwandte zusammen kommen, die im Grunde wenig von einander wissen und nie zu sammen gelebt haben. Jndschi verhielt sich sehr schweigsam. Zwischen ihr und dem Schwager herrschte ein überhöflicher, sarkastischer Ton. Die können fick nicht leiden, dachte der Onkel. Ihn selbst beobachtete sie scharf über den Tisch herüber mit ihren dunkelgrauen, schwarz bewimperten Augen, die so klar und traurig blickten, als hätten sie schon tief in das Leben hinein geschaut. Sie war wohl eigentlich gar nicht mehr so jung? Der Sanitätsrath rechnete nach. Fünfundzwanzig Jahre — wahrhaftig. Wie ein ver wöhntes Kind sah sie nicht aus — aber auch nicht wie eine „Hausdame". So unalltäglich. Der gelblichweiße Teint, die vollwelligen schtvarzen Haare, der türkische Vorname, den dir Mutter ihr nach einer Harems-Freundin gegeben — Alles gab ihr ein so fremdartiges Gepräge. Er konnte sie sich absolut nicht beim Kaffeekochen und Wäschezählen vorstellen, und der Gedanke, bei jeder Mahlzeit so ein exotisches Köpfchen gegen über zu haben, erschien ihm geradezu ungemllthlich. Dabei konnte einem doch kein Sauerkohl und Schweinefleisch schmecken! Gegen Abend forderte ihn — zu seiner Verwunderung — die exotische Nichte auf, mit ihr allein einen Spaziergang zu machen, „ich will Dir Konstantinopel aus der Vogelperspektive zeigen, vom Thurm zu Golata aus." Sie machten sich auf den Weg. Al» sie auf der unter irdischen Drahtseilbahn hinabfuhren, die das hochgelegene Pera mit Galata, dem Geschaftsvrertel der Türkenhauptstadt, ver bindet, begann das junge Mädchen von ihren Zukunftsplänen zu sprechen. „Du wunderst Dich gewiß, Onkel, daß ick durchaus weg will aus dem Hause meiner Schwester und selbstständig werden — aber glaub mir: es muß sein. Ich halte es nicht mehr aus, dieses Vegetiren als lästiges Anhängsel eines fremden Hausstandes!" „Lästig?" meinte Körting. „Ist das Verhältniß zwischen Dir und Deinen Geschwistern kein herzliches?" „Nein", antwortete sie bestimmt. „Wenn sie's mir auch nicht zeigen wollen, ich fühle es doch ganz genau, daß sie mich lieber heute wie morgen los wären. Marie hat mich ja in ihrer Art lieb, aber es kränkt sie, daß ich ihren Mann nicht als Halbgott betrachte, wie sie selbst. Und ich bin doch nun einmal nicht blind. Er ist ein kalter, eitler, rücksichtsloser Egoist — weiter nichts; sehr klug allerdings — aber trockene Verstandesschärfe. Und wo er sich ohnehin bei seiner Heirath so bös verrechnet hat!" Jndschi lächelte spöttisch. Sie waren mittlerweile der Tunnel-Finsterniß wieder entronnen und durchschritten die schmutzigen, holperigen, lärmerfüllten Straßen Galatas. „Ihr lebtet früher auf sehr großem Fuße und man hielt Euch für reich?" fragte der Sanitätsrath. Sie nickte. „Und schließlich kamen nach der Liquidation nur elende 40 000 Franken für uns Beide zusammen heraus. — Du mußt übrigens nicht denken", fuhr sie fort, „daß ich ganz das Gnadenbrod esse bei Florent's. Nein, so viel ich kann, steure ich zum Haushalt bei. Aber das ist doch herzlich wenig. Ach und es ist so qualvoll für einen stolzen Menschen, fünftes Rad am Wagen zu sein." Sie sprach leidenschaftlich erregt, und des Onkels Herz begann wärmer für sie zu schlagen. „Und was für eine Art Stellung denkst Du Dir denn so — etwa Lehrerin?" fragte er. „Sprachunterricht könnte ich wohl geben", meinte sie. „Oder Korrespondentin in einem kaufmännischen Bureau? Sollte man sich da nicht bald cinarbeiten können? Oder — ich glaube, dramatisches Talent zu besitzen — wenn ich zur Bühne ginge?" „Ach nein, das doch lieber nicht", protestirte er entsetzt. „Du machst wohl nur Spaß?" „Durchaus nicht!" Sie warf rebellisch den Kopf zurück. „Ich bin frei von Vorurtheilen — total!" Die wäre zu Allem fähig! dachte der SanitätSrath und schüttelte besorgt den Kopf. Und nun standen sie hoch oben auf der Thurmzinne, umweht von der mild kosenden Herbstluft des Süden», umstrahlt von goldigem Lichtschimmer. War da» eine Herrlichkeit' Da lag sie ausqebreitet in königlicher Pracht, die stolze Tonftantin»stadt — da» alte, vielumstrittene, heißbegehrte, blutgetaufte, goldene Byzanz! Dort drüben, jenseit« der tiefrinschnridenden Bucht, da- „goldene Horn" genannt, lag Stambul, die alte, unver fälschte Türkenstadt; goldstrahlendr Kuppeln und kühn«
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