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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980610019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898061001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898061001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-10
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BezugS-Pre!- Der Hauptrxpedttion oder den im Stadt bezirk und den Vororte» errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung inS Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgllbr erscheint um V,7 Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. vrdarlion und Expedition: IohanneSgasse 8. Dir Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von friih 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltt» klemnt's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), VoniS Lösche. Katharinenstr. 14, part. und KönigSplatz 7. Morgen-Ausgabe. rWM.TagMM Anzeiger. ÄmtsöLatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 288. Freitag den 10. Juni 1898. Anzetgeu-Preis die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter demRedactionSstrich (4gr- spalten) 50/>j, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/ijj. Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Zissrrnsatz »ach höherem Tarif. ^xtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Die Gerillter Leitung -es Gundes -er Lan-wirthe. 52 Dor etwa zwei Wochen ist gegen die oberste Leitung des Bundes der Landwirthe öffentlich eine Anklage erhoben worden, die wir nur kurz streifte», weil wir — trotz des soliden Mißtrauens, das uns seit langer Zeit gegen die Berliner Bundcsleitung erfüllt — an ihre Begründung kaum zu glauben vermochten und nicht dazu beitragen wollten, den Wahlkampf durch eine unbewiesene Beschuldigung schwerster Art zu verschärfen. Die Anklage ging dabin, daß die Bundesleitung ihren Mitgliedern ThomasphoSphatmehl um 15 Mark für den Doppel waggon höher anrechne, als er von anderen Lieferanten den Landwirtben gestellt werde, daß der den Bauern ohne ihr Wissen abgenommcne Mehrbetrag in die Easse des Bundes fließe und — ganz oder zum Theil — zu Tantiömen für die „Oberbeamten" der Hahn-Plötz'schen Be triebsanstalt verwendet werde. Es war anfänglich schwer, an die Beschuldigung trotz ihrer Ungeheuerlichkeit nicht zu glauben. Denn die Presse des Bundes, voran die „Deutsche Tageszeitung", ging um den Kernpunkt der klägerischen Behauptung wie die Katze um den beißen Brei herum, sprach von einem plumpen Wahlmanöver, spielte die ge kränkte Unschuld, vermied aber ein rundes Nein. Besonders verdächtig erschien es, daß die „Deutsche Tageszeitung" als Quelle der „Wahlgeschickte" die „demokratische und jüdische" Presse nannte, während die ersteErzählung vom „Hannoverschen Kurier" herrührte, den Niemand für demokratisch oder jüdisch bält. Aber nach einigen Tagen schien eine bereits mitgetheilte Erklärung der Bundesleitung, unterzeichnet: „v. Plötz, vr. Rösickc, Plaskuda" unsere Zurückhaltung zu rechtfertigen. Sie be zeichnete die Mittheilung von einer „Extrapreisdifferenz" für „absolut unwahr und grundlos". Allein diese bestimmte Versicherung verdiente, wie sich jetzt herausstellt, so wenig Glauben wie die Ausflüchte der „Deutschen Tages zeitung" und anderer Bundesorgane. Der „Hann. Kurier" schreibt nämlich jetzt das Folgende: „Die Deutsche LandwirthschastSgrsellschaft hatte mit den Rhei nisch-Westfälischen Thomasphosphatsabriken einen Vertrag abge- schlossen aus Lieferung von Thomasmehl an die Mitglieder der Deutschen Landwirthschastsgesellschaft und zwar zum Preise von 24 Pfennig Parität Oberhausen, 28'/, Pfennig Parität Ostseehäfen. Darauf sollte die Deutsche Landwirthschastsgesellschaft nach Nb- Wickelung der Geschäfte einen Rabatt von 30 ./L erhalten. Dem Bund der Landwirthe war jedoch Lieser Rabatt (richtiger Vermittler. Provision) zu gering, und es wurde deshalb, da dir Rheinisch- Westfälischen Phosphatfabriken einen höheren Rabatt nicht geben wollten, der Bund ihn aber verlangte, unterm 23. Januar 1896 zwischen der Bundesleitung und den Rheinisch-Westfälischen Thomas- phosphatfabriken ein Vertrag abgeschlossen, wonach den Mitgliedern des Bundes das Thomasmehl zu einem höheren Preise, nämlich von 25 Pfennig Parität Oberhausen und 28'/, Pfennig Parität Ostseehäfen geliefert werden solle. Dafür solle der Bund statt 30 Rabatt 45 erhalten. Nur unter gewissen Bedingungen solle zu dem niedrigeren Preise geliefert und dann der Rabatt aus 30 ./l herabgesetzt werden. Thatsächlich haben die Rheinisch-Westfälischen Thomasphosphatsabriken im Jahre 1896 circa 1132 Doppel waggons zu dem erhöhten Preise und nur 260 Doppelwaggons zu dem niedrigeren Preise berechnet. Daraus ergiebt sich der in unserer ersten Mittheilung erwähnte Extragrwinn für die Bundescasse auf Kosten der Thomasmehl durch Vermittelung der Bundesleitung be- ziehenden Bundesmitglieder. Unser Gewährsmann für diese Darlegungen ist Herr vr. Rösicke, der zweite Vorsitzende des Bundes, selbst, also gewiß eine in diesem Falle über jeden Zweifel erhabene Autorität. In dem Correspondenzarchiv deS Bunde- der Land- wirthe, Abheilung II, wird sich jedenfalls eine Copie oder der Entwurf deS von Herrn vr. Rösicke unterzeichneten, in Form eines Schreibens gehaltenen Vertrage- vom 23. Januar 1896 befinden, in dem das Obige festg.strllt wird: daß nämlich die Bundesimt- glirder im Jahre 1896 daS Thomasmehl zu 25 respcctive 29,, erhalten sollen, und daß auf diese den Mitgliedern in Rechnung zu stellenden (erhöhten) Preise die Actiengesellschast dem Bund der Landwirthe für je 10000 lcs außer den 15 X „Rabatt' und 15 „Provision", die auch der Deutschen LandwirthschastSgesell- chaft zugebilligt waren, noch 15 alS „Extra-Preisdifferenz", in Summa 45 für je 10000 le« gewährt werden." Danach ist daS Unglaubliche doch Ereigniß. Der Bund, der vorgiebt, der Landwirthschaft im Allgemeinen und im Besonderen ihre Nothlage erleichtern zu wollen, tauscht die Bauern über den Bezugspreis eines der wichtigsten Betriebs artikel und nimmt ihnen zum Besten seiner Kostgänger einen sehr beträchtlich höheren Preis ab, als Andere denselben Ab nehmern bewilligen. Die Berliner Bundesleitung mißbraucht also daS Vertrauen, mit dem sie einen Bruchtheil der deutschen Landwirthe, man muß wohl sagen, vergiftet bat, zu einem Düngerwucher. Da die Auskömmlichkeit des Verkaufspreises des heimischen Getreides zum überwiegenden Theil von den Productionskosten abhängt, so wirft diese vom Bunde verursachte Vertheuerung der Production von Neuem ein grelles Licht auf seine Propaganda für den Antrag Kanitz wie überhaupt für die „großen Mittel". Ueber den Ehrenpunct verlieren wir kein Wort, doch sei an die folgenden strafrechtlichen Bestimmungen erinnert: 8 263 deS Reichsstrafgesetzbuches lautet: „Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvortheil zu verschaffen, das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Thatsachen einen Jrrthum erregt oder unterhält, wird wegen Betrugs mit Gefängniß bestraft, neben welchem aus Geldstrafe bis zu 3000 ^l, sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann." Auch der Versuch ist strafbar. In Anbetracht besten, daß eine geschäftliche Concurrenz zu anderen landwirthschaft- lichen Vermittelungsanstallen vorliegt, käme weiter Z 4 deS Gesetzes zur Bekämpfung deS unlauteren Wettbewerbs in Anwendung: „Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mittheilungen, welche für einen größeren Kreis von Personen be- stimmt sind, über die Beschaffenheit oder die Preisbemessung von Maaren oder gewerblichen Leistungen, über die Art des Bezuges oder die Bezugsquelle von Maaren . . . wissentlich un- wahre und zur Irreführung geeignete Angaben thatjächlicher Art macht, wird mit Geldstrafe bis zu 1500 bestraft." Zur Antragstellung auf Strafverfolgung sind die „Ver- bänve zur Förderung gewerblicher Interessen befugt, soweit sie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten klagen können", also die landwirthschaftlicken Genossenschaften, welche durch die Geschäftsgebayrung der Bundesleitung mittelbar schwer benachtheilizt werden. Auf alle Fälle wird man erfahren müssen, wer die Leute waren, denen zu dem niedrigen Preise geliefert worden ist, zu deren Gunsten also der Bund auf seinen — außerordentlichen Gewinn verzichtet hat. DaS wird ja vor den Wahlen nicht bekannt werden, wie auch über die Thatsache der „Extra preisdifferenz" die Bundeszeitungen sich bis zum 16. Juni — durchhelfen werden. Auf den Wahleffect kommt es auch nicht an; wir haben uns nie der Täuschung hingegeben, daß schon diesmal eine Reinigung herbeigesührt werden könne. Aber die vor Monaten geäußerte Ansicht, daß die Periode der Abwirthschaftung für die Bundesleitung und ihre Presse begonnen habe, wird durch die neuerliche Bloßstellung bestärkt. „Dein Stern ist im Erbleichen" ist dieser Tage dem vr. Hahn von seinem nationalliberalen Gegner im 19. hannoverschen Wahlkreise zugerufen worden. Da- wird bald auch für alle anderen an der Praktik deS Bundes Betheiligten gelten, und zwar nicht nur für die sichtbar an der Spitze des Bundes Stehenden, sondern auch für deren Gehilfen. Für den Revacteur der „Deutschen Tageszeitung", der in unserem Sachsen ein Mandat anstrebt, ist cs z. B. ein großes Glück, daß die Bestätigung der „Mehlgeschichte" so kurz vor den Wahlen erfolgt ist. Denn eS ist doch unzweifelhaft, daß dieses Blatt den Sackverhalt gekannt hat, al« es dessen richtige Darstellung in das Gebiet der Verleumdung verwies. Der Bauer begreift etwas langsam, wenn er aber begriffen hat, dann hält er fest. Und die neueste Lection über die Natur der Redner und Schreiber der Bundesleitung wird er begreifen. Ob vor oder nach der Wahl, das ist, wie gesagt, ziemlich gleichgiltig. Eine Ärbeiterstimme gegen -ie Socialdemokralie. DaS Sckriftchen „Arbeiterpartei oder Revolutionspartei? Wer hat Reckt, Naumann oder ich?" Mahnruf eines deutschen Arbeiters an seine Genossen. Von Theodor Lorentz en, Arbeiter auf der kaiserlichen Werft zu Kiel. (Kiel und Leipzig, Verlag von LipsiuS und Tischler), das einen energischen Protest eines Arbeit ers gegen das Treiben der Socialdemokratie und eine wohlbegründete Warnung der Arbeiter vor einer Umstrickung durch diese enthält, ist bereits nach der Bedeutung, die es, als aus Arbeiterkreisen kommend, in hohem Grade hat, sowohl hier, als in anderen Blättern, z. B. den „Hamburger Nachrichten", im Allgemeinen vollauf gewürdigt worden. ES sei daher nur noch auf einige der wichtigsten Stellen darin besonders aufmerkfam gemacht. So werden die socialdemokratischen NeichStagSabaeordueten nach ihrer Lebensstellung charakterisier. 15 davon find Redacteure und Schriftsteller, 2 Rentiers (Singer und v. Vollmar), drei Ga'twirthe, 7 Eig> rrenfabrikanten, 2 Kaufleute, 4 Buchdruckerei besitzer und Verleger, dann mehrere Handwerksmeister u. s. w., alfo inSgesammt Inhaber bürgerlicher Berufszweige. Es bleiben nur 7 (von mehr als 50!), die wirkliche Arbeiter sein „sollen". „Aber," sagt der Verfasser, „diese Herren haben wohl schon längst den Arbeiter an den Nagel gehängt und sind Geschäftssocialisten geworden; es ist wohl schon sehr lange her, baß sie ihre Hände an einer Arbeit beschmutzt haben. Man wird vergeblich unter diesen socialdemokratischen Reichstagsabgeordneten nach einem Proletarier suchen; sie sind alle Arbeitgeber oder leben (nach socialdemokratischer AuSdrucksweise) aus Kosten anderer Leute, sind also Ausbeuter, Träger desjenigen Systems, da« sie an geblich vernichten wollen. Auch unter den socialdemokratischen Abgeordneten der verschiedenen Landtage sind keine Prole tarier zu finden." Die Seiten 15 und 16 handeln über die „Geld- und GeschäftSmänner unter den Socialdemokraten". Da wird zuerst folgender Ausspruch von Bebel citirt: „Seien Sie überzeugt, wenn wir heute die Macht hätten, oder wenn Sie über Hunderttausende verfügten, dann würden viele Social demokraten — Sie, meine Herren, nicht ausgenommen — die Socialdemokratie an den Nagel hängen". Dann heißt es: „Sobald ein Socialdcmokrat, mag er auch früher noch so sehr über die kapitalistischen Ausbeuter geschimpft haben, selbst Vorsteber eines Geschäftes wird, und sei eS auch nur eine socialdemo- kratische Genossenschaft, kann er seinen Untergebenen gegen über nicht so auftreten, wie er eS früher laut gefordert hat. Auch Pfarrer Naumann, Göhre und andere Pastoren und Professoren würden ganz anders sprechen, wenn sie statt Pastor oder Professor Fabrikbesitzer und Großgrundbesitzer wären!" Auf S. 17—19 nennt und charakterisirt der Verfasser eine Reihe sog. „Geschäftssocialisten". Ein österreichischer Arbeiter, Schatzl, der auch erst Socialdemokrat war, sagt über solche: „Die GeschäftSsocialdemokratcn, die sich den Teufel um die Verwirklichung der Grundsätze des Socialismus kümmern, ind Leute, die aus dem SocialismuS ein Geschäft, eine Existenzquelle für sich geschaffen haben oder sich schaffen wollen." S. 25 ff. führen uns, wie die meisten „Gewerkschaften", satt mit ihren großen Einnahmen aus „Arbeitergroschen" praktisch etwas für die Arbeiter zu thun, dieses Geld nur zu Agitationen und Streiks verwenden, wodurch sie den Arbeitern ehr oft mehr schaden, als nützen. Speciell über die Streiks )andelu S. 29 ff. Die Ausbeutung der Arbeiter in den von „Genossen" ge- eiteten Consum- und Productivvereinen wird auf S. 40 ff. mit Angabe einzelner Beispiele gebrandmarkt. S. 51 ff. pricht von der angeblichen „Mauserung" der Socialdemo- kratie und weist nach, wie deren Führer immer kurz vor den Wahlen zahmer sprechen und die rothe Fahne in die Tasche stecken, um nicht ihre „Mitläufer" abzuschrecken, wie aber dann immer wieder der Pferdefuß zum Vorschein kommt. S. 83 ff. endlich wird den Arbeitern anschaulich gemacht, wie sehr die Scialdemokratie gegen das Interesse der Arbeiter handele, wenn sie immer nur Classenhaß predige und wenn sie im Reichstag Alles verweigere, was der In dustrie förderlich ist, die doch allein dem Arbeiter Verdienst gewähren könne. Möchte doch dieses Schristchen eines Arbeiters von rech' vielen Arbeitern gelesen und beachtet werden! Deutsches Reich. -0- Pirna, 8. Juni. Die Wahlbewegunz in unserem 8. sächsischen Rcickstagswablkreise ist noch immer nicht reckt im Fluß. So dringend nothwendig es ist, hier gegen die drohende Gefahr eines socialistischen Wahlsieges geschlossen vorzugehen, so ist in der Hinsicht doch noch wenig gesckchen. ES würde Vielen hier eine recht starke Ueberwindung kosten, sich mit der einzigen hier bestehenden Candidatur, der reformerischen, absinden zu müssen. Erwartet hatte man zuerst sicher eine Candidaten-Ausstellung durch den „Reicks treuen Verein"; letzterer hat sich jedoch bekanntlich aufgelöst, nachdem eS nicht möglick geworden war, einen geeigneten Eandidaten ausfindig zu machen. Eine ganz kolossale Rührigkeit entfaltet die Socialdemokratie. Ihr Eandidat ist der Ofensetzer Julius Fräßdorf, der bis jetzt in allen von der Riformpartei veranstalteten Versammlungen aus getreten ist. * Berlin, 9. Juni. Einen Maßstab für den Umfang und die Bedeutung der deutschen überseeischen Interessen bildet die consularische Vertretung deS Reiches im AuSlande, die zum Theil von Berufs-, zum Theil von kaufmännischen Eonsuln und zum kleineren Theil, namentlick in den überseeischen Staaten, von der diplomatischen Ver tretung des Reiches wahrgenommen wird. Seit den letzten 25 Jahren nun zeigt die Entwickelung des Consulatsdieustes im Auslande, wie wir einer Aufstellung der „Berl. N. N." entnehmen, eine ganz außerordentliche Zunahme. Im Ganzen waren im Jahre 1872 556 Eonsulate, von denen 29 Berufsconsulate waren, vorhanden, während diese Zahlen sich 1897 auf 697 Eonsulate und 92 Berufs- consulake gehoben batten. Die stärkste Steigerung weist die Zahl der consularischen Vertretung in Amerika auf, ein Anzeichen dafür, wie groß dort die Steigerung der deutschen überseeischen Interessen in dem hier in Betracht gezogenen 25jäbrigen Zeitraum gewesen ist. Das Wachs- lhum der consularifcken Vertretung vertheilt sich auf Europa ausschließlich der Balkanstaaten, aber einschließlich des asiatischen Rußland einerseits und andererseits auf die außereuropäischen Staaten (einschließlich der Balkanstaaten) wie folgt: Die Gruppe Europa zeigt «ine Ver mehrung von 283 auf 332 Eonsulate und von 4 auf 28 Berufsconsulate; die außereuropäische Gruppe von 273 auf 365 Eonsulate und von 25 aus 64 Berufs consulate. An der Zunahme haben sowohl in der ehren- Feuillrtsn. Eine Erinnerung an die deutsche Nationalversammlung. Bou vr. Max Mendhelm. Nachdruck verboten. In der 49. Sitzung der deutschen constituirenden National versammlung zu Frankfurt a. M. machte der Präsident Heinrich von Gagern am Morgen des 27. Juli 1848 kurz nach Eintritt in die Tagesordnung folgende Mittheilung: „Ich habe der Nationalversammlung den ersten Verlust zur Kenntniß zu bringen, der sie durch den Tod eines ihrer Mitglieder betroffen hat. Es ist gestern vr. Johann Georg August Wirth aus Hof in Bayern, 49 Jahre alt, Herausgeber der „Deutschen Tribüne" im Jahre 1831, Verfasser der Geschichte des deutschen Volke-, Abgeordneter für die deutsche Nationalversammlung, gewählt in Reuß-Schleiz-Lobenstein, hier gestorben. Die Be deutung diese- Mannes ist un- Allen bekannt, und wir werden unS sämmtlich veranlaßt finden, ihm die letzte Ehre zu erzeigen, indem wir un» seinem Leichenbegängnisse anschließen. (Viele Stimmen: Ja! Ja!) Ich werde daS Nähere hierüber bekannt machen lassen." Diese Bekanntmachung erfolgt, noch in der selben Sitzung durch den Präsidenten selbst. So wurde dann am frühen Morgen des 28. Juli der erste Todte jenes arbeitsfreudigen, begeisterten Parlamente- beerdigt, von dessen Mitgliedern heute nur noch wenige am Leben sind. Ein wechselvolles, arbeitsreiches, kampfesmuthiges, entsagungs volles Leben war es, dem am 26. Juli in Frankfurt a. M. mitten in neuer Thätigkeit der Tod ein Ziel gesetzt hatte. Johann Georg August Wirth stammte au- Hof in Bayern, Wo er am 20. November 1798 al» zweiter Sohn de» Retch»post stallmeisters Wirth geboren wurde, der leider schon am 3. De- cember 1803 starb und seine vier Kinder der Sorge ihrer Mutter überließ. Der Knabe besuchte seit seinem vierten Jahre die Bürgerschule und vom achten an das Gymnasium seiner Vater stadt, später noch die Gymnasien zu Bayreuth, Plauen und Nürnberg, und bezog im Herbst 1816 die Universität Erlangen, um hier die Rechte zu studiren. Nach vollendetem Studium prakticirte er zunächst an verschiedenen Aemtern, promovirte dann in Halle und vermählte sich 1821 mit einer Schwester des Amtmanns Werner in Schwarzenbach a. S. Nach einem vor übergehenden Aufenthalt in BreSlau, wo sein „Handbuch der Strafrechtswissenschaft und Strafgesetzgebung" entstand, ein Ver such, die Existenzmöglichkeit einer reinen Strafrechtswissenschaft zu beweisen, wurde er 1823 Mitarbeiter des Sachwalters Keim in Bayreuth. Hier, als Anwalt des Volkes, hatte er nun reiche Gelegenheit, die Grundsätze der Verwaltung und den Geist der Rechtspflege kennen zu lernen und zu sehen, wie nicht die Wohl fahrt deS ganzen Volkes die Handlungen der obersten Leiter des Staates lenkte, sondern wie statt dessen überall nur zu Gunsten des Fiscus gearbeitet wurde, ein System, das zu unendlichen Klagen der Rechtsuchenden führte. In seinem jugendlichen Optimismus glaubte der Anwalt, er brauche nur durch Wort und Schrift die Regierung auf diese traurigen Zustände hin- zuweisen, so werde diese alsbald dem Elend abhelfen. Aus diesem guten Glauben heraus schilderte er 1826 in einer Schrift: „Beiträge zur Revision der bürgerlichen ProcehgesetzgebunV die Lage der Dinge in ihrem wahren Lichte. Statt der erhofften Zustimmung der höchsten Behörde wurde ihm aber für seine edle Absicht nur schnöder Hohn zutheil. War es da zu verwundern, daß alsbald ein Keim der Bitterkeit im Herzen des so Getäuschten Wurzel faßte? Sein Eifer für die gute Sache trieb ihn nun dazu, sich näher mit der Geschichte und den Gesetzen des Bildungs ganges deS Volke» vertraut zu machen; dabei vertiefte er sich natürlich auch immer mehr in die zu allgemeiner Geltung ge langenden liberalen Ideen seiner Zeit und wurde von diesen so ergriffen, daß er den Entschluß faßte, sich ganz dem Dienste der Volkssache zu widmen. So gab Wirth denn Ende des Jahres 1830 seine Stellung auf und gründete alsbald eine Zeit schrift zur Verbreitung seiner freiheitlichen Gedanken, die unter dem Namen „Kosmopolit" vom 1. Januar 1831 an in Bayreuth wöchentlich zweimal erschien, es aber im Ganzen nur „auf sieben Abonnenten und auf sieben Nummern" brachte, wie er in seinen „Denkwürdigkeiten" selbst bekennt; denn er wurde genöthigt, das Erscheinen des „Kosmopolit" einzustellen, weil er sich einer Verordnung der Regierung vom 28. Januar 1831 nicht fügen wollte, wonach Zeitschriften auch in Ansehung der inneren Staatsangelegenheiten der Censur unterworfen wurden. Nach diesem mißglückten Versuche verließ Wirth Bayreuth und gftig Ende Februar nach München, um sich hier womöglich eine öffentliche Wirksamkeit zu verschaffen. Nach vergeblichen Be mühungen, wieder selbst ein Blatt zu gründen, ging er auf den Vorschlag Cotta's ein, die Leitung von dessen Zeitschrift „Das Inland" zu übernehmen, eines gemäßigt liberalen Blattes, das sogar halbofficielles Organ der Regierung war. Aber Wirth's Schreibweise war zu offen und freimllthig, und darum konnte es nicht ausbleiben, daß er alsbald in heftigste Opposition zur Regierung und in mehrfache Conflicte mit der Censur gerieth. So wußte sich der Verleger Cotta, der von der Re gierung wiederholt gedrängt wurde, Wirth von der Redaction deS „Inlandes" zu entfernen, schließlich nicht anders zu helfen, als daß er das Blatt gänzlich an Wirth abtrat, der es nun unter dem Titel „Deutsche Tribüne" weiter herausgab, nun natürlich der Regierung nur noch kräftigere Opposition machend. Als er deshalb von der Censur allzu arg beschränkt wurde, siedelte er Anfang 1832 nach Homburg in der Pfalz über. Doch nach wenigen Wochen wurde sein Blatt auch hier vom Bundes tage verboten, und zwar, weil er darin mit großem Nachdruck Nationaletnheit gefordert und der Gründung eines Preß Vereins das Wort geredet hatte, der der freien Er örterung durch die Presse gegenüber den Gewaltthätigkeiten der Regierung Schutz verschaffen und im Volke die Ueberzeugung von der nothwendigen Wiedergeburt Deutschland» und von der Schaffung eines einigen Reiches mit demo kratischer Verfassung Wecken sollte. Ja, als dieser Verein wirklich zu Stande kam und sich in Kurzem von der Pfalz bis nach Leipzig ausdehnte, wurde gegen den Verfasser und Verbreiter dieses Aufsatzes sogar ein Proceß angestrengt und ein VerhaftSbefehl wider ihn erlassen. Nach vier Wochen wurde endlich die Haft wieder aufgehoben und vom Appellationsgericht zu Zweibrücken die Grundlosigkeit des Verfahrens anerkannt. Die Freisprechung Wirth's, der trotz Bundesverbots seine „Tribüne" hatte weiter erscheinen lassen, erhöhte den Muth der Radikalen, und sie bemäckiigten fick des beabsichtigten Festes zu Hambach, wo die Ideen des neuen Vereins in einer großen Volks versammlung weiter verbreitet werden sollten. Am 27. Mai 1832 tagt in Hambach diese große, von 20000 Menschen besuchte Versammlung, in der begeisterte Reden auf Deutschlands Ein heit und republikanische Verfassung gehalten wurden zur Ver nichtung der „Tyrannei" der Fürsten, der „Servilität" und „Despotie" der Beamten, der Brutalität des Militair», des AristokratismuS der Vornehmen und dergleichen mehr. Auch Wirth hielt eine schwungvolle Ansprache an das Volk, in der er zu einmüthigem Zusammenstehcn aufforderte und auch die Zer sahrenheit der Opposition kritisirte. Aus Zweckmäßigkeits gründen warnte er aber hierbei vor einem Bunde mit den herr schenden Parteien Frankreichs, den Viele befürworteten, weil deren Hilfe nur um den Preis des linken Rhemufers zu erlangen sein würde; einen solchen Preis aber dürfe man nicht zahlen, denn daraus würde nur, gleichwie zu Zeiten des Rheinbundes, eine ähnliche Beherrschung Deutschlands durch Frankreich und eine neue Zerstückelung des Vaterlandes, nicht aber die ersehnte Einigkeit hervorgehen. Ja, er meinte sogar, bei dem Versuche Frankreichs, eine Scholle deutschen Bodens zu erobern, müsse auf der Stelle alle Opposition im Innern schweigen, die Be freiung des Vaterlandes müsse vielmehr die Zurückgewinnung Elsaß-Lothringens im Gefolge haben. Seiner demokratischen Gesinnung aber gab er Ausdruck durch ein Hoch auf die ver einigten Freistaaten Deutschlands und da» verbündete republi«
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