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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980624018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-24
- Monat1898-06
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Größere Schrtftrn laut unsere« Preis- verzetchntb- Dabellarischer nnd Ztfsernfatz nach höherem Darts. Extra»veilaieu (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung -4l SO—, mit Poftbesörderuog 70.—. ^nnahMschluß fir Änzeigeu: Abend-Au-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« sr»her. Anzeige» sind stets an die Expedtttan zu richten. Druck and Verlag von E. Polz ta Leipzig. Freitag den 24. Juni 1898. 92. Jahrgang. ZUM 80. Geburtstag -es Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar. Am heutigen Johannistage vollendet einer der edelsten, nationalgesinntesten, zugleich volksfreundlichsten deutschen Fürsten, der Großherzog von Sachsen, Carl Alexander, sein achtzigstes Lebensjahr. Bor fast genau zwei Monaten, am 23. April, beging unser allgeliebter König Albert seinen siebenzigsten Ge burtstag. Wie der Zeit nach, so werden auch ihrem Charakter nach diese beiden festlichen Tage in dem Leben der beiden stammverwandten und persönlich eng befreundeten Fürsten einander nabe berühren. Ein Volksfest im höchsten, schönsten Sinne des Wortes war der 70. Geburtstag König Albert'S, ein Volksfest im vollsten Sinne des Wortes ist der heutige 80. Geburtstag Großherzog Carl Alexander'» sicherlich für alle seine Landeskinder. Beide Monarchen gleichen einander darin, daß sie mit ihrer Person so wenig als möglich in die Oeffentlichkeit Hervor oder in den Gang der Slaatsgeschäfte hineintreten, daß sie aber in aller Stille im besten, zugleich nationalen und frei- beitlich-volkSthümlichen Geiste ihres hohen Amte« walten. So haben Beide die Sympathien ihrer Völker und die Hoch schätzung nicht nur des ganzen Deutschland-, sondern selbst des Auslandes gewonnen. Zum Dcchpelfesle unseres Königs Albert klang so manche milseiernde Stimme aus dem Nachbarlande Weimar zu uns herüber und mehrte unsere Freude; heute sind unsere thüringischen Nachbarn einer ebenso herzlichen Antheilnahme an ihrer Feier von unserer Seite versichert. Die beiden Fürsten sind unter sehr verschiedenen Ver hältnissen zur Regierung ihrer Länder gelangt. Als König Albert den Thron bestieg^war die deutsche Einheit erkämpft auf den französischen Schlachtfeldern, erkämpft wesentlich mit durch seine RuhmeSthaten als Feldherr. Als Carl Alexander seinem Vater Carl Friedrich 1853 in der Regierung folgte, lag über ganz Deutschland eine dumpfe Schwüle. Die Hoffnungen des Jahres 1848 waren rasch ge schwunden; Deutschland war in sich zerrissener als je. Auf dem Volksgeiste lastete eine Reaction der ärgsten Art. Der widerrechtlich wieder eingesetzte Bundestag und daS Schwarzenbcrg-Mantensfel'sche Regiment drückten auf die jenigen kleinen Staaten, welche der allgemeinen Strömung nicht freiwillig folgten, und es gehörte ein standhafter Muth selbst auf Seiten eines Souverains dazu, um diesem Drucke zu widerstehen und der bessern eigenen Ueber- zeugung treu zu bleiben. Carl Alexander hatte diesen Muth und er ward darin bestärkt durch das Andenken an seinen Vater und durch den Rath eines im gleichen Geiste wie er denkenden und handelnden Ministers. Von dem Großherzog Carl Friedrich erzählte man sich, daß er einem fürstlichen Besucher, der ihm zugeredet, er möge doch die freiheitlichen Zugeständnisse, die er im Drange der Bewegung von 1848 seinem Volke gemacht, jetzt, wo die Zeiten ganz andere geworden, zurücknehmen, mit gehobener Stimme, so daß auch die Fernerstehenden cS gehört, erwidert habe: „Was denken Eure Liebden von mir? Ich bin ein ehrlicher Mann und halte mein Wort!" Der dirigirende Minister Herr von Watzdorf hatte sich schon vor 1848 sowohl als freisinnig wie als national dergestalt bewährt, daß selbst der Märzsturm ihn nicht blo» verschonte, sondern in seiner Stellung nur mehr befestigte. Unter dem Einfluß solcher Erinnerungen und eines solchen Rathgeber- begann Carl Alexander seine Regierung und in folchem Geiste hat er dieselbe geführt bis zu dieser Stunde — ohne Wanken, ruhig, ebenso besonnen wie entschieden in dem, was er wollte und that; in solchem Geiste hat er auch in die großen nationalen Angelegenheiten Deutschlands eingegriffeu — nicht bloS officiell als Fürst deS Reiches, sondern öfter» auch vertraulich vermöge seiner nahen Verwandtschaft mit dem Kaiserhofe. Nie durch ihn selbst, Wohl aber von anderer Seite drang wiederholt in bewegten Zeiten die Kunde in die Oeffentlichkeit, daß der Großherzog von Weimar zu den vielen Verdiensten, die er um daü Reich vor und während seiner Wiederaufrichtung sich erworben, ein neues hinzugefügt habe. Daß er dem Fürsten Bismarck ein selbstloser Förderer seiner Pläne gewesen und ein treuer Freund stets geblieben ist, hat der Schmied der deutschen Kaiserkrone oft mit herzlichem Danke bezeugt und wird eS auch heute bezeugen. Carl Alexander war und ist aber nicht bloS ein trefflicher Regent, er war und ist auch ein warmer Pfleger und Beschützer von Kunst und Wissenschaft und ein werklhätiger Förderer gemeinnütziger Zwecke. Unter seinen Auspicien hat die kleine Universität Jena in einer Zeit, wo die all gemeine rückläufige Strömung auch die Stätten der Wissenschaft nicht unberührt ließ, sich jenen Geist erhalten, den einst (unter gleich schwierigen Umständen) ein Carl August gepflegt und geschützt batte. Auf dem Gebiete der Musik war er der Gönner eine« Franz Li-zt, auf dem der bildenden Künste der eines Friedrich Preller, eines Hummel, eine« Genelli, eine- Dondorf rc. Zn seiner gemeinnützigen Thätigkeit fand er sich aus das Kräftigste und Umsich tigste unterstützt von zwei edlen fürstlichen Frauen, seiner Mutter, der russischen Großfürstin Maria Paulowna, und seiner Gemahlin, der Großherzogin Sophie, einer uieder- ländifchen Prinzessin. Wie schmerzlich mag er es heute empfinden, daß diese treueste Gefährtin seine- Lebens und Wirkens, die hochherzige Stifterin deS Goethe- und Schiller archivs, die Ehren und Freuden dieses TageS nicht mehr mit ihm theiltk So ist daS lange Leben dieses hochgesinnten Fürsten ein Muster unermüdlicher Regententhätigkeit, edelster Hingabe an die Interessen seines Volkes und der ganzen Nation, gemein nützigen Wirkens im Dienste alles Schönen und Guten ge wesen; so kann er und so kann sein Volk mit vollster Be friedigung darauf zurllckblicken. Möge Gott ihn seinem Lande und dem Reiche noch lange erhalten! Diesen Segenswunsch und ein dreimaliges Heil dem fürstlichen Geburlsläger rufen wir, die königlichen Sachsen, in daS großherzogliche Sachsen auS vollem, aufrichtigem Herzen hinüber! Deutsches Reich. 12 Vertin, 23. Juni. Da- CentrumSwahlcomits für den Kreis Teltow-Bee-kow-Storkowa-Cbarlottenburg bei Berlin hat einstimmig Stimmenthaltung für die Stichwahl empfohlen. Zn Betracht kommt der Socialbemo- krat Zubeil und der conservalive Superintendent Vorberg. Der Beschluß hat keine praktische Bedeutung, da der Candidat des Centrumü in der Hauptwahl diese- „NiesenwahlkreiseS" von 85 000 abgegebenen Stimmen deren nur 1232 erhalten bat. Um so beachtenSwerther ist die allgemeine politische und man darf wohl sagen auch die moralische Seite der klerikalen Stellungnahme: der UltramontaniSmuö sieht lieber einen Socialdemokraten al- einen evangelischen Geistlichen gewählt. Deshalb bleibt er doch da- „Bollwerk", dem zur vollen Functionsfähigkeit nur noch die Jesuiten fehlen. 8. verlttt, 23. Juni. DaS persönliche Eingreifen deS Kaisers in die Parteikämpfe ist in der vater ländischen Presse seit Jahren wiederholt beklagt worden. Machte doch sogar die königliche „Leipziger Zeitung" in ihrer Besprechung der ReichStagSsitznng vom 12. Mai vorigen Jahres kein Hehl daraus . . . daß es im hohen Grade tm Interesse unserer monarchischen Einrichtungen liegen würde, wenn in unserer überkritischen Zeil möglichst wenig Gelegenheit geboten würde, an Aeußrrungen, die von unverantwortlicher Stelle fallen, Kritik zu üben, oder, wie eS der Abgeordnete Richter diesmal nicht unzutreffend auS- drückte: wenn thunlichst vermieden würde, daß fürstliche Personen ohne ministerielle Begleitung in die Arena hinabsteigrn. Zu denjenigen Politikern, welche dieser Erkenntniß sich verschließen, gehört auch Freiherr v. Stumm. Er hat mehrfach die Person des Kaisers in die öffentliche Erörterung bineingezogen, u. A. damals, als er das an ihn gerichtete kaiserliche Telegramm über Stöcker urbl ot orbi mitlheiltr. So konnte es kommen, daß jetzt, nach der Hauptwahl zum Reichstage, Herr Stöcker triumphirend die 10180 Stimmen, die er in Siegen erkalten hat, gegen den Kaiser auS- spielt. „Trotz Kaiser-Telegramm. . . sind wir Christlich- Sociale in jenem industriellen Kreise so stark, wie alle an deren Parteien zusammen!" ruft Herr Stöcker im „Volk" auS. Und er kann in der That daraus Hinweisen, daß er seit der Wahl vom Jahre 1893 „trotz dem Kaiser-Tele gramm" rund 1000 Stimmen gewonnen bat. Frei herr von Stumm dagegen, der gegenüber Stöcker sich mit der Autorität des Kaisers deckte, gewann nur keine Stimme hinzu, sondern verlor einige tausend. 1893 wurde er im ersten Wahlgange mit 15 644 Stimmen gewählt; am 16. Juni 1898 aber erhielt er nur 12 276 Stimmen, er hat demnach 3368 Stimmen verloren und muß, wenn nicht der „Reichsanz." Recht behält, der ihn al« gewählt bezeichnet, in unsicherer Stichwabl mit dem Centrum um das Mandat kämpfen. Ist dieses Ergebniß auch in erster Linie durch die agrarische Sondercandidatur herbeigeführt worden, so wird man doch den „Imponderabilien", die Freiherr v. Stumm durch die Verwerthung kaiserlicher Aeußrrungen geschaffen bat, einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf den Wahlausfall beimessen dürfen. * Berlin, 23. Juni, lieber die im nächsten Jahre bevor stehende Reorganisation der Feld-Artillerie berichtet die „Köln. Ztg.": „Während das mobile deutsche Armee- Corps 20 Batterien zählt, die zu je sechs als DivistcnS- Artillerie auf die beiden Infanterie-Divisionen vertheilt sind, und der Rest (6 fahrende und 2 reitende Batterien) zur Verfügung des commandirenden Generals als CorpS-Artillerie zurückßehalten werden, sehen wir im Frieden mit Rücksicht auf die erst bei der Mobilmachung aufzustellenden und mit Artillerie auSzustattenden Cavallerie-Divisionen und Reserve- for mationrn erhebliche Verschiedenheit. Eine Sonderstellung nehmen drei schon im Frieden auS drei Divisionen bestehende Armee-Corp- (1l., 12. und 2. bayerische- Armee-CorpS) ein, von denen zwei 32 und ein» 31 Batterien besitzen. Von den übrigen Armeecorp- haben zwei 18 fahrende und 4 reitende, eins 20 fahrende und 2 reitende, neun 21 fahrende und 2 reitende, vier 23 fahrende und 2 reitende, schließlich eins (13.) nur 23 fahrende Batterien. Eine Ausgleichung nach oben hin erscheint vor der Hand weder durch das Stärke- verhältniß unserer Nachbarstaaten noch durch die Interessen der Waffe geboten. Weit erstrebenswerther erscheint die Herbeiführung einer größeren Gleichförmigkeit in der Organi sation der Abteilungen, wobei naturgemäß diejenigen un berücksichtigt bleiben, die gewissermaßen nur al» Stämme für neu auszustellende Neserveformationen dienen. Ein Blick in die FriedenSbesoldungSvorschrift zeigt die Abteilungen zu 2, 3 und 4 Batterien formirt und in wechselnder Stärke, so daß der Sollbestand einer fahrenden Abteilung von 3 Batterien sich bewegen kann zwischen 216 Mann, 88 Pferden und 476 Mann mit 300 Pferden. Zweifelsohne ist ein der artiger Zustand der Ausbildung wenig förderlich; ohne Er höhung deS Etats zu fordern, ist, wie vergreisend bemerkt werden soll, ein Ausgleich nur durch Umwandlung einer Anzahl reitender Batterien in fahrende möglich. Die Krie^Serfahrung hat gezeigt, daß reitende Batterien für Cavalleriedivisionen unumgänglich nöthig sind, daß die durch ausgesesseneBedienungsmannschastenmehrbeschwerten fahrenden Batterien ^luf die Dauer den Schwadronen nicht zu folgen vermögen. Für diese Zwecke dürften zwanzig reitende Batterien genügen. In der CorpSartillerie sind hingegen die reitenden Batterien nicht unbedingt nöthig; waS man von den zwei reitenden Batterien an Marschleistungen ver langen kann, müssen unbedingt auch die fahrenden Batterien leisten." (-) Berlin, 23. Juni. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: „Verschieden« ausländische Zeitungen sprechen ueuerding- die Meinung aus, die „Marinepolitische Lorrespontzcnz" sei ein halbosficiöses Organ und stehe mit dem Reichsmarineamte in Verbindung. DaS ist nach keiner Richtung zutreffend!" L. Berlin, 23. Juni. (Privattelegramm.) Da die Besetzung von Ktautschau in ihrer gegenwärtigen Stärke er halten werden soll, stellt sich die Nothwendigkrit der Ab lösung des ältesten Jahrganges deS dritten See- bataillon- heraus. Hierzu ist der Uebertritt von 40 Unter- ossicieren und 270 Mann au» der Armee beantragt worden und finden der „Nat.-Zt." zufolge zur Zeit Umfragen nach sich freiwillig Meldenden bei sämmtlichen Armeecorp» statt. 8. Berlin, 23. Juni. (Privattelegramm.) Wie be richtet wird, sind die Arbeiten für di« krgantsation der Colouial-Pchntztruppe» jetzt beendet, so daß die betreffenden Mitlheilungen demnächst zur Veröffentlichung gelangen werben. Neuformationen oder sonst Neuforderungen bedingende Aende- rungen sind der „Nat.-Zt." zufolge damit nicht verbunden, vielmehr werden die bisher bestehenden Formatione» und Bestimmungen für die einzelnen Theile der Lchutztruppe in den verschiedenen Colonien nur einheitlich zusammengefaßt Das Johannisfest auf dem Oberharze. Bon Georg Pasig. Nachtruit Ein Gebirge wie der Harz ist bei seiner abgeschlossenen Lage in der norddeutschen Tiefebene wohl geeignet, die Sitten und Bräuche seiner Bewohner alt werden zu lassen. Viele Volks feste haben sich darum auch dort lange und länger als anderswo erhalten, so z. B. die Fastnachtsfeier, das Osterfeuer, verbunden mit dem Winteraustreiben, und das Johannisfest. Gleichwie indeß die eigenthümlichen Volkstrachten immer mehr im Ver schwinden begriffen sind, so haben auch diese Volksfeste leider viel von ihrem urwüchsigen, frischen Charakter verloren. Von der Cultur, „die alle Welt bedeckt", sind sie zum Theil schon arg beschnitten worden. Das ist auch das Schicksal des einst so beliebten Johannissestes, welches vor ungefähr 20 Jahren noch auf dem Oberharze mit großer Begeisterung von Jung und Alt gefeiert wurde. In unserer Stadt Leipzig, deren Schutzheiliger bekanntlich Johannis der Täufer ist, wird ja das Johannisfest auch gefeiert, aber es ist in der Hauptsache ein Tag wehmüthigen Gedenkens an unsere Todten, die still draußen auf den Friedhöfen ruhen und deren Gräber wir schmücken mit den Gaben der jetzt im schönsten Festgewande prangenden Natur, eine Sitte, die wahr scheinlich von den Johanniskirchhöfen ausgegangen ist, die an diesem Tage ihr Kirchweihfest feierten. Ganz im Gegentheil hierzu wurde der Johannistag auf dem Oberharze als ein Freudentag begangen. Dieser Brauch hat sicher seinen Ursprung im Heidenthume. Allerdings ist daS Johanni-fest ein christliches Fest, denn wie schon der Name besagt, wurde es zum Gedächtniß Johanni« deS Täufer« in der christlichen Kirch« gefeiert und wird in den katholischen Kirchen noch heute als Heiligenfest begangen. Wir finden aber auch heidnische Momente dabei. Denn in nicht unkluger Weise suchten ja die Verkündiger de» Christenthumes s. Zt. die christ lichen Feste mit den schon bestehenden heidnischen Festen zu vereinigen, um die heidnischen Germanen leichter für da» Christenthum zu gewinnen und um den christlichen Festen eher Eingang zu verschaffen, die heidnischen dagegen zu verdrängen. So ist auch das Johannisfest mit mancherlei Resten aus heidnischer Zeit umrankt. Was für ein Fest dies indeß war, das die heidnischen Germanen um unsere Johanniszeit feierten, darüber sind in der neuesten Zeit die Meinungen getheilt. Bisher wurde es aufgefaßt al» daS Sommerfest der Sonnenwende. Und so heißt in manchen Gegenden noch heut« da» Johannilfest Sonnwendefest. Nach neueren Forschungen*) aber soll daS Johannisfcst mit der Sommersonnwende so wenig zu thun haben, wie das Julfcst mit der winterlichen Sonnwende. ES ist auch kaum anzunehmen, daß die Zeit der Sonnwende, da sie ja so wenig bemerkbar ist, Gegenstand einer heidnischen Festfeier gewesen sei. Sonne und Tag waren bei unseren Vorfahren an und für sich durchaus verschiedene Dinge. Wenn es wärmer wurde, das empfanden sie eher als das Längerwerden der Tage. Das Hauptfest der Germanen, das Julfest, scheint vielmehr in erster Linie ein allgemein germanisches Todtenfest, inzweiter Reihe ein Neujahrsfest gewesen zu sein, an welchem das neue Jahr fröhlich begrüßt und für ein glückliches Jahr geopfert wurde. Als das Fest der wiederkehrenden Sonne dagegen könnte man ein von den Heiden im Norden um unsere Fastnachts zeit gefeiertes Fest bezeichnen, wo es anfing wärmer zu werden. Ganz ähnlich läßt sich aus den vorhandenen Quellen und sonstigen Anhaltspunkten um unsere Johanniszeit ein germa nisches Sonnwendfest nicht nachweisen. Wohl haben die alten Germanen um diese Zeit, im Frühlinge, gegen den Anfang des Sommers, ein Fest gefeiert, das von Tacitus beschriebene Nerthusfest. Da die NerthuS aller Wahrscheinlichkeit nach als chthonische Gottheit aufzufassen ist, so würde schon damit jede Beziehung zur Sonne hinfällig. Dies Fest hat lediglich den Charakter eines Frühlings- oder Sommerfestes, das der neu erwachten Mutter Erde, der Nerthus, galt und durch eine seier- lichr Umsahrt oder Procession mit dem heiligen Wagen der Gdrön und durch Opfer gefeiert wurde. So begeht noch heute da» deutsche Volk in manchen Gauen dieses Erwachen der Natur durc^ ähnliche Aufzüge, welche sich Zug für Zug mit dem alten Nerthusfeste decken. In den Kreis dieser Friihjahrsfeste gehört auch daS später auftretende Herbeiholen und Aufpflanzen deS Maibaumes oder der Pfingstmaie und das Einholen de» Mai- königS oder der Maikönigin, eines mit grünem Laube und Blumen geschmückten Knaben oder Mädchen-, deren Umzug sich dem der NerthuS zur Seite stellen läßt. Ueberall, wo das Maifest gefeiert wurde, oder noch wird, gehörte ein Umzug durch dir Ortschaft, der gewöhnlich mit Musik und Pomp zu Pferde geschah, zu den wichtigsten Ceremonien. Vom Lande kam dies Frühlingsvolksfest auch in die Städte, wo ei durch die Gilden zum Schützenfest geworden ist. Auch dabei darf be kanntlich der feierlich« Umzug nicht fehlen. Der Tag der Freude für diese Frühlingtsefte war oder ist bald der 1. Mai, bald der Pfingsttag, bald auch der 23. Juni, wa» für uns von Wichtigkeit ist. Mögen diese Volksfeste auch nicht als Ueberreste jener altgermanischrn Nerthusfeste anzusehen sein, so sind st« doch mit diesen au» gleicher Wurzel hervorgegangen. *) Vergl. Eugen Mogk, Germanische Mythologie. 2. Auflage. Straßburg, K. LrUbner. 18S8. Betrachten wir nun das Iohannisfest auf dem Ober harze, so entdecken wir keine Hinweise auf die Sonnwende, wohl aber manch« Beziehungen zu den genannten Frühlings festen. Es fanden hier wie dort Umzüge statt, es trat auch im Harz ein mit grüner Tannhecke geschmückter Knabe oder Bursch auf, das sogenannte „Hcckmännel"*), dessen Gestalt aber z. B. in Klausthal sehr verblaßt zu sein schien, wir finden einen Festbaum, auch fehlte endlich, echt germanisch, ein kleines Gelage nicht. Angesichts dieser Ergebnisse werden wir da» Johannisfest auf dem Oberharze als ein am 24, Juni gefeiertes Frühlings volksfest, ähnlich den Maifesten, zu betrachten haben, wobei sich das Harzvolk, gleichwie die alten Germanen an ihrem Nerthusfest, zu gemeinsamer Lust und Freude über die wieder erwachte Mutter Erde verband. Versetzen wir uns nun im Geiste zurück in die Vergangen heit und schauen wir zu, wie sich der Harzer vor ungefähr zwanzig Jahren noch am Johannistage, seinem Frühlingsfeste, erfreute. Schon die Vorbereitungen zu diesem Freudenfeste wurden von langer Hand betrieben, wie man ja heute noch zu einer fröhlichen Feier lange vorher Vorkehrungen zu treffen pflegt. Vor Allem galt e», das Fest zu schmücken. Monate vorher wurden deshalb auSgeblasene Eier gesammelt, um dann bunt bemalt und auf Fäden gezogen zu werden. Als Eier- guirlanden sollten sie beim Feste Verwendung finden. Als Schmuck durften natürlich auch die Blumen nicht fehlen, die ja um diese Zeit die Natur in so reicher Fülle spendet. Darum gingen schon tagelang vorher die Kinder von Haus zu Haus mit der sich stets gleich bleibenden Bitte: „Sei'n Sie so gut, schenken Sie mir ein paar Blumen!" Dieser Bitte um Flora» Kinder mußte gewillfahrt werden. Es war dies eine Art Tribut, und wenn er nicht freiwillig gezollt wurde, so stiegen die Kinder des Nachts über die Zäune und holten sich aus den Gärten so viele Blumen wie sie brauchten. Die Hauptrolle beim Johannis feste spielte der Johanni»baum, zu dessen Fertigstellung auch mit der größten Sorgfalt vorgegangen wurde. Zu diesen Johannisbäumen verwendete man große Tannen oder Fichten, welche am 23. Juni aus dem Walde geholt und am 24. Juni nach der Morgenkirche zurecht gemacht wurden. Oft geschah dies auch schon am Tage vorher, und dir liebe Jugend tummelte sich dann wohl um den Baum und sang: Tripp, trapp, KSsenapp, Morgen ist Johannistag! Die Bäume waren beinahe haushoch. Der untere Theil des Stammes wurde von den Arsten befreit, dann geschält und mit Guirlanden aus Tannenrei» und Blumen umwunden. 1 Vergl. da» „Laubmännchrn- in Thüringen. Den schönsten Schmuck erhielt die stattliche Baumkrone. BlumenbouquetS aus künstlichen und frischen Blumen wurden daran befestigt, wozu man hauptsächlich die malvenähnlichen Pappelrosen oder die schönen rothen Pfingstrosen nahm. Ferner wurden die oben erwähnten bunt bemalten Eierketten von Ast zu Ast gezogen und endlich auch noch die Zweige mit bunten Papierfähnchen geschmückt. Nach solcher Ausschmückung wurde der fertige Johannisbaum in die für ihn unterdessen auf einem freien Platze oder auch mitten auf der Straße ausgeschaufelts Grube gesetzt und dort befestigt. In einer Straße waren oft zwei oder drei Bäume zu sehen. Oft wurden unter den Baum ausgestopft« Figuren in Lebensgröße gesetzt und ihnen Musik instrumente in die Hände gegeben. Aber nicht allein der Jo- hanniSbaum, sondern auch di« Straßen wurden mit Blumen gewinden und bunten Sierguirlanden geschmückt, welche quer von einem Hause zum anderen gespannt waren. Wir kommen nun zur Feier de» Johaniitages selbst, der ehedem al» voller Festtag galt, und an dem auch die Arbeit ruhte. Wie schon kurz angedeutet worden ist, zerfiel dies« Feier in eine kirchliche und eine profane. Die kirchliche Feier wurde durch einen festlichen Morgen- und Nach mittagSgotteSdienst gebildet, wobei als Epistel Jesaiä Cap. 40, 1—8, und al» Evangelium Lucä Cap. 1. 67—80 verlesen wurde. Nach Beendigung der Nachmittagskirche. um zwei Uhr, begann die profane Feier, deren Mittelpunkt der Tanz um den Johannisbaum bildete. Von der Jugend wurde der Tanz begonnen und von dem Alter bi» spät in die Nacht hinein fortgesetzt. Während sich nun dir Jugend lustig um den Fest baum tummelt, gewinnen wir Zeit, eine kleine Betrachtung über diesen Baum und da» Tanzen anzustellen. — Der Glaube, im Baume etwa» Derehrungswerthes zu sehen, entstammt dem Heidenthume. In den Bäumen, glaubte man, wohnen di« Gottheiten, die Winddämonen. Darum zog man hinaus in den Wald, um vor dem heiligen Baume Gebet oder Opfer zu verrichten. Di« Heiligkeit de» Baume» gab dann später bei fortschreitender Cultur, als man nicht mehr hinauSging, um im Freien zu opfern, Veranlassung, den Baum aus dem Wald« Herrin in die ländlichen und städtischen Bezirke zu holen; man glaubte, mit ihm zugleich den im Baume woh nenden Geist oder Gott herbeizuführ«n, dem da» Fest galt. So entstanden der Mai- und Pfingstbaum und damit sicher auch der Harzer Johannisbaum. Ganz ähnlich scheint man auch in Schweden zu Johanni» »inen Baum aufgerichtet zu haben. So bemerkt Longfellow in seiner Vorrede zu Tegner's „NattwardSbarnen": „St. Johanne» Hot dir Blumen und das Fest des heidnischen Balder (y an sich gerissen, und in jedem Dorf erhebt sich ein Maibaum von 80 Fuß Höh, mit im Winde fliegenden Kränzen, Rosen und Bändern und einem knarrenden Wetterhahn auf der Spitze."
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