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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.07.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980705018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-05
- Monat1898-07
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Größere Schriften laut unserem Preis» derzeichnib. Tabellarischer uud Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbcsörderung vO.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anjeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Dienstag den 5. Juli 1898. 92. Jahrgang. WanderungspoMik und sociale Frage. v. Wenn wir auf das abgelaufene erste Jahrzehnt der Regierung Kaiser Wilhelm's II. zurückschauen, so werden wir uns der Einsicht nicht verschließen können, daß die Wan derungspolitik in diesem Abschnitt eine ganz besondere Beachtung verdient. Sie selbst ist jetzt an einen gewissen Ab schnitt gelangt, der aber durchaus nicht etwa einen, wenn auch nur vorläufigen, Abschluß bedeuten soll. Es ist im Gegen- theil in diesem Abschnitt erst ein Fundament geschaffen, auf dem nun rüstig weiter gebaut werden soll, der allgemeinen Bedeutung der Wanderungspolitik entsprechend. Wenn ich nun zwei für die beiden Theile der Wanderungspolitik — die innere und die äußere Colonisation, Binnenwanderung und Aus wanderung — besonders wichtige Punkte aus dir letzten Zeit herausgreifen soll, so nenne ich nur auf der einen Seite die Erwerbung von Kiautschau, auf der anderen die Erneuerung des 100-Millionen-Fonds für die Ansiedelungen im Osten. Neben diesen wesentlichen Thatsachen ließe sich noch manche andere anführen, so für die äußere Colonisation das Auswanderungs gesetz mit unverkennbarer Anbahnung künftiger Erwerbungen in Südamerika, und die enge Verbindung mit der Türkei, für deren Unterstützung im letzten Kriege wir den Lohn in der weiteren Erschließung des Weges durch Kleinasien und nach dem Persischen Meer suchen, wie wir den Lohn für die Unter stützung Chinas nach dem Kriege mit Japan in Kiautschau gefunden haben — so für die innere Colonisation das Biele felder Programm, die Unterstützung des ländlichen Genossen schaftswesens mit besonderer Rücksicht auf die neuen An siedelungen u. s. w. Den Wanderungen der Volksmassen, die in der Geschichte aller Zeiten und Völker eine überragende Rolle spielen, sind durch diese Politik gewisse Bahnen gewiesen, die im nationalen und socialen Interesse gerade wegen der allgemeinen, hohen Bedeutung dieser Wanderungen von größerer Wichtigkeit sind, als vielleicht irgend ein anderer Zug der Politik des hinter uns liegenden Regierungs-Jahrzehnts. Nationalen Interessen dient nicht nur die planmäßige Leitung der Auswanderung, die bisher so schmerzlich vermißt wurde und deren Mangel dem deutschen Reiche Millionen seiner Bürger gekostet hat, sondern nicht minder auch die Leitung der Binnenwanderung durch die innere Colonisation. National ist diese Maßnahme zunächst in demselben Sinne, wie überhaupt jedcs Mittel zur allgemeinen Förderung der nationalen Wirt schaft oder eines ihrer wesentlichen Zweige, national aber auch im engeren Sinne dadurch, daß sie neuerdings in den Dienst der Förderung des Deutschthums in der Ostmark gestellt ist, der Polonisirung direkt entgegentritt und durch maßvolle Beschränkung des vielfach auf slawische Zu wanderung angewiesenen Großgrundbesitzes auch indirekt dem weiteren Eindringen slawischer Elemente Einhalt thut. Ferner ist diese Wanderungspolitik durch und durch social. Die äußere Colonisation erschließt der deutschen Industrie neue Märkte und beschäftigt Tausende und Abertausende von Händen im Mutterlande; die innere Colonisation ist vollends un bestritten eine der werthvollsten Maßregeln zum socialen Aus gleich, zur Hebung der socialen Lage weiter Kreise nicht nur auf dem Lande, sondern ebensogut infolge der Verminderung des Stromes nach der Stadt, der Landflucht und der Arbeiter reservearmee auch in der Stadt. An keinem anderen Punkte können wir, wenn wir nach dem ersten Regierungsabschnitte unseres Herrschers die Rechnung ziehen, so befriedigt in die Vergangenheit und so Bestellungen auf ReiseMiMmts nimmt entgegen und führt für jede beliebige Zeitdauer aus Die kM-itm des leipziger Tageblattes, Johannisgasse 8. zuversichtlich in die Zukunft blicken, wie gerade in Sachen der nationalen und socialen Wanderungspolitik; vielleicht mehr zuversichtlich in die Zukunft, als befriedigt in die Vergangenheit — denn noch ist auf diesem Gebiete viel, sehr viel zu thun übrig. Die Hauptsache aber ist doch schließlich, daß der rechte Weg eingeschlagen ist. Fassen wir besonders den Theil der Wanderungspolitik inS Auge, der sich auf die Binnenwanderung erstreckt — die innere Colonisation —, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Resultate bisher doch noch recht gering sind und daß noch sehr rüstig auf dem Felde weiter gearbeitet werden muß. Indessen wollen wir auch Eins nicht übersehen: So außer ordentlich hoch wir auch die innere Colonisation schätzen, so sehr wir auch einen energischen Fortgang wünschen — auch hier haben wir Grund zu sagen: Herr, behüte uns vor unseren Freunden! D. h. vor jenen übereifrigen Freunden, die ihren Blick ganz ausschließlich auf diesen einen einmal ins Auge gefaßten Punkt richten und wild auf das Ziel losstürmen, gleich viel, welche Verwüstungen sie auf dem Wege anrichten, über wie viel Leichen sie Hinwegstürzen. Diese gefährlichen Freunde sind diejenigen Politiker, die von heute auf morgen das ganze Land an viele Millionen kleiner Bauern vertheilen, den größeren Grundbesitz absolut vertilgen wollen und kein Mittel zu diesem Zwecke scheuen. Aus den Reihen dieser gefährlichen Freunde der inneren Colonisation, die ihr nur schaden, ist neuerdings wieder ein dickes Werk hervor gegangen, das alle socialen Uebel der Welt lediglich aus der Existenz des Großgrundeigenthums ableitet, das als schleunigst auszurottender, aus dem Nomadenrecht übernommener Fremd körper im Reiche der reinen Tauschwirthschaft dargestellt wird. Das von der freisinnigen Presse mit großer Begeisterung auf genommene Werk „Großgrundeigenthum und sociale Frage" von vr. Franz Oppenheimer ist ganz dazu angethan, auf der einen Seite die Köpfe zu verwirren, auf der anderen Seite die Sache der inneren Colonisation über haupt in Mißkredit zu bringen, weshalb hier eine ganz kurze Kritik wohl angebracht sein mag. Schon früher hat vr. Oppen heimer seine Ansichten in einem dickleibigen, übrigens sehr an regenden Werke niedergelegt; damals bewegte er sich auf dem Boden der praktischen Politik, und bis zur vorletzten Station konnte man im Allgemeinen ganz getrost mit ihm gehen; dieje vorletzte Station hieß: Ausgedehnte innere Colonisation. Dann aber folgte die letzte, äußerst bedenkliche Station: Gewaltsame Ausrottung des Großgrundbesitzes. In seinem neuesten Werke bewegt sich vr. O. auf rein theoretischem Boden; auch was er an historischen Belegen für seine Gesetze giebt, läuft im Grunde auf theoretische Construction hinaus. Das Gesetz, mit dem O. namentlich operirt, „das Gesetz der Strömungen", wonach die Menschen vom Orte höheren wirthschaftlichen Druckes zum Orte geringeren wirthschaftlichen Druckes abströmen, ist im Grunde theoretisch ganz richtig — und in jenen richtigen Grenzen übrigens keine Erfindung Oppenheimer's, worüber er bei Ratze! nachlesen mag —, praktisch aber durchaus nicht in jener schrankenlosen Weise anzuwenden, wie O. es thut. Die noth- wendige Voraussetzung dazu wäre nicht allein die rechtliche Freizügigkeit, sondern auch die praktische Möglichkeit, beispiels weise heute in einem schlesischen Bergwerk zu arbeiten und morgen, wenn die Löhne sinken, eine Farm in Argentinien zu bebauen. Nach O. müßte infolge jenes Gesetzes absolutes wirthschaft- liches Gleichgewicht herrschen und nur das Großgrundeigenthum wäre daran schuld, daß dieses Gleichgewicht gestört ist, dieses böse Großgrundeigenthum, das aus Nomadenrecht und Sclaven- wirthschaft herübergenommen ist in die moderne Tauschwirth schaft. Hier bewegt sich O. lediglich auf dem Boden der theo retischen, phantastischen Construction, indem er einerseits in die germanische Wirthschoft die wesentlich verschiedenen römischen Sclavenbegriffe hinllberbugsirt und das germanische Großgrund eigenthum trotz seiner gänzlich verschiedenen Bewirthschaftung ohne Weiteres mit den römischen Latifundien identificirt und andererseits völlig außer Acht läßt, daß die alten Konstruktionen der Nomaden- und Agrarwirthschaft durch die epochemachenden Untersuchungen von E. H a h n, denen sich so bedeutende Wirth- schaftshistoriker wie Karl Bücher und August Meitzen immer enger angeschlossen haben, arg erschüttert sind. Nur nebenher sei ein sehr beliebtes Mittel Oppenheimer's gestreift, durch das er jede Kritik unschädlich zu machen sucht; jedem, der seinen Constructionen nicht folgen mag, hält er oft und nachdrücklichst entgegen, daß eine Widerlegung un möglich sei, da er seine Beweise mit „Binsenwahrheiten" führe. Mit Verlaub — was sind Binsenwahrheiten? Binsenwahrheiten sind überhauptkeine Wahrheiten! Ich erkühne mich sogar, ganz entschieden die allgemeine Wahrheit des Satzes: 2X2 — 4 zu bestreiten — sobald man diese Binsenwahrheit als strikten Beweis für theoretische Constructionen auf volkswirthschaftlichem und volkspsychologischem Gebiete in Anspruch nimmt. Wer wollte behaupten, daß die von einem Arbeiter bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden an einem Tage gelieferte Arbeitsqualität und -quantität gleich der in 2 X 10 Stunden (zehnstündiger Arbeits tag) gelieferten Arbeit wäre?! Also: 2X2 >4. (Zuoct erat ckemonstranckum. — Nun widerlegt Oppenheimer sich selbst, indem er nachweist, daß auch zu Zeiten, da das Großgrundeigenthum rechtlich be stand, eine ganz kolossale allgemeine wirthschaftliche Blllthe stattgksundcn yat, und zwar in der Zeit vom 10. bis zum 14. Jahrhundert. Zwar nimmt er gerade diese Thatsache für sich in Anspruch, da dieser große Äufschwung seinen Grund darin gehabt habe, daß das Großgrundeigenthum „latent" ge worden, daß seine Wirkung nicht zum Ausdruck gekommen sei. Nein, nicht weil das Großgrundeigenthum latent geworden, sondern weil eine Zeit ungeheurer Colonisation an gebrochen war, trat dieser Aufschwung ein. Daß das Groß grundeigenthum latent wurde, war, wie O. selbst sieht, eine Folge — aber eine mehr nebensächliche Folge dieser ausge dehnten Colonisation. Und wenn O. heute wieder ganz allein das Großgrundeigenthum verantwortlich macht für das massen hafte Abströmen vom Lande, so hat er zwar für „Ostelbien" Recht, doch sollte er nicht völlig übersehen, eine wie enorme Land flucht z. B. um 1848 in Württemberg ohne jeden Einfluß des Großgrundeigenthums stattfand. Ebensowenig sollte er über sehen, einerseits, daß das eigentliche Großgrundeigenthum heute überwiegend nicht in den Händen der „Agrarier", sondern in den Händen der städtischen, großkapitalistischen Hypotheken gläubiger ruht und daß ferner ohne jeglichen Zusammenhang mit dem alten Nomaden- und Sclavenrecht mitten in den westlichen Gebieten, fern von jedem ostelbischen Einfluß, ein ausgedehntes Großgrundeigenthum sich in den Händen der Groß industriellen und Großcapitalisten ganz neu zu bilden begonnen hat, das mit seiner Construction wenig zu thun hat. Doch zurück zu der Frage der Colonisation. Sie war damals die Ursache des großen wirthschaftlichen Aufschwunges, und ebenso wird auch heute — darin stimmen wir wieder völlig mit O. überein — eine ausgedehnte innere Colonisation wirth- schaftlich und social höchst segensreich sein — gleichviel, ob das Großgrundeigenthum nun „latent" wird oder nicht. Aber wir haben uns vor den Uebertreibungen Oppenheimer's und seiner zahlreichen Genossen zu hüten, insbesondere vor jener äußersten Uebertreibung, in der er im Nothfalle auch einen willkommenen Weg zur Verwirklichung seiner Ideen sieht. Denn neben dem verfassungsmäßigen faßt er auch einen revolutionairen Act ins Auge, durch den der Großgrundbesitz abgeschafft werden könnte. Treffend schreibt dazu vr. Ballod in einem be- achtenswerthen Aufsatz über „Die Bedeutung der Landwirtschaft und der Industrie in Deutschland" (in Schmoller's Jahrbuch): „Da ist nur der Leichtsinn zu bewundern, mit dem hier mit dem Feuer gespielt wird; Herr Oppenheimer und ein Theil der freisinnigen Presse scheinen tatsächlich zu glauben, daß ein eventuell siegreiches revolutionaires Proletariat nur den Groß grundbesitz abschlachten, aber vor den Geldsäcken jüdischer Bankiers und den Fabriken der Großcapitalisten Halt machen werde. Man kann der inneren Colonisation so sympathisch als irgend möglich gegenllberstehen, eine gewisse Vorsicht und ein Maßhalten ist doch unter allen Umständen angebracht. So erwünscht auch der Ankauf und die Parcellirung der wirtschaft lich rückständigen Großgüter ist, so bedenklich ist es, auch den wirtschaftlich fortgeschrittenen Großgrundbesitz in Bausch und Bogen auftheilen und gar zwangsweise expropriiren zu wollen." Gerade als entschiedener Freund einer sehr ausgedehnten inneren Colonisation hat man die Pflicht, derartigen „uferlosen" Uebertreibungen, die nur geeignet sind, die ganze Sache in Miß kredit zu bringen, scharf entgegen zu treten. Mit der gewalt samen Ausrottung des Großgrundeigenthums ist die sociale Frage noch lange nicht gelöst. Diese Ideen müssen abgeschüttelt werden, wenn der vernünftige Fortgang des Werkes nicht ge fährdet werden soll. Und ein vernünftiger, entschiedener Fort gang der inneren Colonisation ist und bleibt ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Hoffen wir, daß das angebrochene neue Jahrzehnt der Regierung Kaiser Wilhelm's H. uns auf diesem Wege der nationalen und socialen Wanderungspolitik um einen recht bedeutenden Schritt weiter führe! Deutsches Reich. L2 Bcrlin, 4. Juli. In dein demnächst erscheinenden vierten Bande des Poschinger'schen Werkes „Fürst BiSmarck und der Bundesrath" wird über den bayerischen Gesandten in Berlin Grafen Lerchenfeld- Köfering Folgendes gesagt: „Derselbe führt in allen Bundesraths-Verhandlungcn, zu welche:-. nicht ei» bayerischer Minister nach Berlin kommt, die bayerische Stimme; außerdem pflegt derselbe in den Fällen, in denen der regelmäßige Vorsitzende des Bundesraths am Erscheinen verhindert ist, mit dem Vorsitz im Plenum des Bundesraths betraut zu werden. Bayern führt außerdem in dem aus den Bevollmächtigten der drei Königreiche und zwei alljährlich vom Bundesrath zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten gebildeten Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten Len Vorsitz. Tie Ausübung dieser Function ist allerdings dem gegenwärtigen bayerischen Gesandten erspart geblieben, weil sich seit 1879 ein Modus herausgebildet hat, der ganz dasselbe erzielt und sich in praxi besser durchführen läßt: die Mittheilung interejsirender politischer Berichte aus diplomatischem Wege an die einzelnen Bundesregierungen. Man ist in einzelnen Kreisen über die Stellung, welche der bayerische Gesandte im Bundesrath einnimmt, nicht gehörig unterrichtet, und ich selbst habe als Fernstehender bis vor Kurzem ein unzutreffendes Urthcil darüber gehabt. Den Mittheilungen einer mit den einschlägigen Verhältnissen wohlvertrautcn Persönlichkeit entnehme ich Folgendes: Graf Lerchenseld widmet sich mit Eifer den Arbeiten in den Ausschüssen des Bundesraths, in denen ja der Schwerpunkt für die Arbeite» dieser Körperschaft ruht. Er erscheint dort niemals, ohne vorher über alle zur Verhandlung gelangenden Gegenstände von den übrigen bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrath Vortrag entgegengenommen zu haben. Außerdem hat er selbst ein nicht unbedeutsames Referat in dem wichtigsten Ausschüsse des Bundesraths, dem für Handel und Verkehr, übernommen, dessen er sich mit Geschick und Sachkeuntniß entledigt. Es kann die Aufgabe des bayerischen Gesandten nicht sei», alle im Bundesrath zur Verhandlung kommenden technischen Fragen über Militair-, Zoll-, Steuer- und Justizweje» zu beherrschen oder gar zu erledigen. Dafür steht ihm eben sei» aus den tüchtigsten bayerischen Verwaltungsbeamten gebildeter fachmännischer General stab zur Seite. Im Parlament tritt er allerdings selten hervor, er ist kein Debatter. Wenn er aber im Reichstag Erklärungen abzu geben hat, so zeichnen sich dieselben durch Rundung und Klarheit aus. Als seine Domaine betrachtet der Gesandte den Verkehr niit den: Auswärtigen Amte, und er fördert damit die politische Seite seiner umfassenden Ausgabe: das gute Verhältniß zwischen Bayern und dem Reiche." Daö Vorstehende ist einem Aushängebogen einer „ver besserten Anslage" entnommen, der den „Berl. Nenest. Nackr." zugegangen ist. Eine frühere, zurückgezogene Auslage enthielt ein anderes und ziemlich abfälliges Unheil über die Person und die Leistungen des Grafen Lerchenfeld. Herr v. Poschingcr hätte gut gethan, sein „unzutreffendes Urtbeil" zu corrigiren, ehe cr eS drucken ließ. Seinen früheren ungünstigen Aus lassungen ist von der bismarckfeindlichen Presse natürlich sofort der Stempel der FriedrichSruher Herkunft aufgedrückt worden. Ties geschah nur, um den Altreichskanzler in Bayern an- zuschwärzen und wider besseres Wissen. Wer Bismarck's Ausdrucksweise und Gewohnheiten nur im Entferntesten kennt, für den bedurfte cs der Versicherung eines Berliner Blattes nicht, daß der Fürst mit der Herabsetzung seines früheren Bnndesratbscollegen und Mitarbeiters nicht das Mindeste zu schaffen habe. Am die Erde. Reisebriese von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. Von den Tempeln Kiotos. — Straßenleben. — Liebenswürdigkeit der Japaner. — In den Werkstätten. — Hohe Kunstfertigkeit. — Sei denstickereien. — Die Curios-Läden. — Zu den Stroiyschnellen des Katsura. Kioto, 7. Mai. Kioto führt nicht vergeblich in Japan den Beinamen der „heiligen Stadt"; die Zahl seiner Tempel beläuft sich auf weit über hundert, von denen mehrere im ganzen Jnselreiche die höchste Verehrung genießen. Von weither kommen Pilgerschaaren ge wallt, kommen Steche und Kranke, Schuldbeladene und vom Un glück Heimgesuchte, um, unter Opferung von Geld oder anderen Dingen, von dieser und jener Gottheit Hilfe zu erflehen. Ein fesselnder Anblick ist ei, wenn diese Bittenden, unter welchen sich viele farbig gekleidete Frauen mit ihren Kindern befinden, die Tempeltreppen emporsteigen und sich im Innern der hohen Hallen demuthivoll vor den vergoldeten Buddha- oder anderen Götterfiguren nirderwerfen, mit dem Haupte mehrfach die Erde berührend, um darauf, die Hände zusammengelegt, in stillem Gebet zu verharren. Dieser ganzen Götterverehrung haftet nicht, wie in China, etwa» Unheimliches, Starre», Abstoßende» an: auch hier, wie in dem ganzen öffentlichen Leben Japan», berührt un» Viele» freundlich und anmuthig: nirgends in den Tempeln Schreck- und Zerrbilder der Gottheiten, nirgends drohende Fratzen und die Schilderung furchtbarer Höllenstrafen, wie man es stets im Himmlischen Reiche sieht, dafür aber duftende Blumensträuße neben und vor den Altarwänden, herrliche Tempelgcgenstände aus Bronze und Eisen, kostbare Vasen aus dem schönsten Porzellan, schimmernde Tischchen aus verschiedenfarbigem Lack, von Meister hand bemalt« Wandschirme — man hat oft den Eindruck, als ob man mehr in einem Palast als in einem Tempel weile. Und von palastähnlicher Ausdehnung sind auch viele dieser Tempel mit ihren Nebengebäuden. Sie ähneln sich oft unter einander in ihrer äußeren Form: ein großer Haupttrmpel, sein doppeltes Dach mit kunstvollsten Schnitzarbeiten von hohen Holz fäulen (wie Alles von Holz ist) getragen, die Altarseite, zu deren Plattform von außen hölzerne Stufen hinanfllhren, offen, die anderen drei Seiten durch Holzwände, deren zahllose qua dratische Oeffnungen durch Papierfenster verklebt sind, geschlossen, die Decke der inneren Halle mit schönen Schnitzereien versehen, der Fußboden mit weichen Matten belegt, Alle» funkelnd von peinlichster Sauberkeit, so daß man durchaus damit einver standen ist, schon an der Treppe (wie ja auch beim Betreten jeder japanischen Wohnung und der Theehäuser) die Schuhe abzulegen oder sie mit einer sockenartigen Umhüllung zu versehen. Natürlich weichen viele Tempel, zumal die älteren, von denen einzelne auf sechs und sieben Jahrhunderte zurückblicken, von der eben flüchtig angegebenen Einrichtung ab, sie sind enger, weisen eine ganze Reihe von Andachträumen auf, ibre Wände sind mit oft halbvermoderten Opfergaben behängt, dieser oder jener Tempel verfügt über eine besondere Anziehungskraft: der Eine über einen riesigen, au» Holz gefertigten Buddha, der Andere gleich über Tausend vergoldete, erzene Buddha», der Dritte über einen in allen Medicinsachen wundcrthätigen Gott, der vierte über eine heilsames Wasser spendende Quelle, die von mehreren Gottheiten beschirmt wird, und so fort. Die meisten Tempel liegen am Fuße oder in halber Höhe der die Stadt in weitem Kreise umgebenden Berge, in dichtes Grün eingebettet, so daß der Blick zu ihnen hinauf ebenso reiz voll ist wie der von ihnen herab. Jedem steht der Zutritt zu den Tempeln frei, Niemand kümmert sich um Einen, nirgends wird man belästigt; wer will, kann stundenlang das Innere studiren, kann schreiben und zeichnen, er wird nie unter verletzender Neu gierde leiden. Hinter den Tempeln an den Bergeshalden ziehen sich kleine Friedhöfe hin; sie machen ihrem Namen Ehre, so lauschig und still ist'S auf ihnen. Jedes der sorgsam gepflegten Gräber ist mit einer Steinsäule versehen, daneben künden zahl lose Bambustäfelchen mit Inschriften von dem treuen Gedenken der Hinterbliebenen, kurze, mit Wasser gefüllte Bambusstämme enthalten duftige Blumen, lieblicher Vogelsang in den Kronen der schattigen Bäume und im Grase das Ümherhuschen der Eidechsen, deren Körperchen in allen Regenbogenfarben glitzern. Gern aber kehrt man zu den Lebenden zurück und mischt sich mit immer erneutem Behagen in das wechselvolle Getriebe der großen Stadt, deren Hauptstraßen man stundenlang durch wandern kann, in jeder Minute fast neue malerische Bilder schauend und reizvolle Scenen beobachtend. Alles spielt sich ja hier gewissermaßen auf der Straße ab, offen sind die Werk stätten und Läden und zurückgeschoben sind tagsüber die Papier- und Holzwände der in den Erdgeschossen liegenden Wohnungen, daß ungehindert die Blicke in die von Sauberkeit blitzenden Zimmerchen dringen, deren ganze Ausstattung bei den weniger bemittelten Classen meist nur aus einigen Kissen auf den Matten, einem Schränkchen, ein paar Blumenvasen, einem Schreibkasten besteht. Immer wieder fallen Einem dabei so recht die Selbst genügsamkeit und Bescheidenheit de» gangen Volke» auf; zum täglichen Unterhalt braucht ja die Durchschniitsmenge nur äußerst wenig, die Arbeit, die nur selten mjt körperlichen An strengungen verbunden ist, scheint den Meisten Freude zu machen, in keinem anderen Lande der Welt trifft man wohl auf so viele vergnügte und lachende Gesichter wie hier — der geringste Scherz verursacht unbändige Heiterkeit, und all' die fröhlichen Mienen zu sehen, bereitet Einem ja selbst die größte Freude. Von Ueberhebung oder gar Fremdenhaß habe ich bisher auch nicht das Geringste gemerkt, sondern überall nur das liebens würdigste Entgegenkommen gefunden; wer freilich hier mit herrschendem und grobem Benehmen auftritt, in dem stolzen Gefühl, als „cultivirter" Europäer hoch über den Japanern zu stehen, wer sie — ich habe es leider bei einem Landsmann beo bachtet — ins Gesicht hinein mit Vorliebe „Affen" nennt und sie als solche zu behandeln sucht, dem mögen freilich unangenehme Erfahrungen nicht erspart bleiben, aber ist's nicht ganz recht, wenn solchen Herren einmal tüchtig die Jacke ausgcklopft wird? Jene zahllosen Dinge, die wir als „Japanwaaren" zu Hause kennen, wir sehen sie bei solch einem Straßenbummel entstehen; hier werden allerliebste Körbchen und Tellerchen aus Bambus fasern geflochten, da bemalt sorgsam ein ehrwürdiger Meister Papierschirme mit Rosen und Chrysanthemums, im benachbarten Geschäft werden kunstvolle Fächer angefertigt, dort sitzen eifrig junge Mädchen am Stickrahmen und die schmalen Finger ziehen so rasch die goldenen und silbernen wie seidenen Fäden ourcb, daß man ihnen kaum folgen kann, in einem anderen Werkraum fügen Knaben hübsche Lampions zusammen, nebenan ist em Elfenbein schnitzer bei der Arbeit, während wir ein paar Schritte weiter genau die mühevolle Thötigkeit der Verfertiger von Cloisonnß- Sachen verfolgen oder in dem gegenüberliegenden Laden zu schauen können, wie schimmernd« Perlmutter-Arabe»ken in Lack kästchen eingelegt werden. Ueberall fällt un» die bewundern»«
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