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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980716020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-16
- Monat1898-07
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: ktt» Slemm'S Tortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und König-Platz 7. Bezugs-Preis Da der Hauptexpedition oder den im Stadt- be»irt und den Bororten errichteten AuS- aaoestellen abgeholt: viertel jährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ^tb.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliahrlich ^ll S.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung tu» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. KipMl" TiMbllllt Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reklamen unter demRcdaction-strich (»ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und giffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Anzeiger. Ämtsökatt des Königrichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nokizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Ex-edition zu richten. ——- Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonnabend den 16. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. In Spanien ist eine zweifellos schon längst geplante Maßregel ausgesiihrt worden: die zeitweilige Aushebung der durch die Verfassung gewährleisteten Person- lichen Rechte. Ihr nächster Zweck ist zweifellos, republi kanische und insbesondere carlistische Anschläge im Keime ersticken zu können, ihr weiterer, dadurch freiere Hand für Friedensverhandlungen zu gewinnen. Don Carlos hat zu wiederholten Malen unumwunden gedroht, den bloßen Ver such eines Friedensschlusses, bei dem Spanien auch nur einen Theil seines Colonialbesitzes opfern müßte, mit einer bewaffneten Erhebung zu beantworten. Auch die Republi kaner erheben ihr Haupt. Der Zeitpunkt, wo Spanien sich zu einem solchen Frieden entschließen muß, ist, mag das in Madrid auch noch nicht eingestanden werden, gekommen; da gilt es denn, gegen die doppelte Gefahr gewappnet zu sein. Die Maßregel des Ministeriums Sagasta, so bedauerlich cs ist, daß sie nothwendig wurde, ist begreiflich; ob sie wirksam sein wird, hängt von der Armee ab. Hält diese ihren Fahneneid heilig, dann wird die angekündigte carlistische Erhebung, wofern es überhaupt dazu kommt, ein erfolgloses Abenteuer bleiben; kommt dieTreue des Heeres ins Wanken, dann werden keine Verfassungssistirunz und kein Belagerungszustand die Katastrophe hintanhalten, die als gewitterschwangere Wolke über dem Throne Alsonso's XIII. und seinem ganzen Hause schwebt. Die Aufhebung der konstitutionellen Bürgschaften setzt die Regierung in den Stand, den Ausschreitungen der Presse und der Agitatoren wirksam entgegenzutreten. Sagasta hat sich in solchen Situationen schon mehrfach als der Mann der That bewährt. Vielleicht vermag er auch in dieser äußerst schwierigen Zeit mit Hilfe außerordentlicher Macht- bcfugnisse die Ordnung aufrecht zu erhalten und das Land vor dem Unglücke zu bewahren, daß es neben dem Schmerz eines verlustreichen auswärtigen Krieges noch durch oas Un heil eines Bürgerkrieges heimgesucht wird. Unter allen Um ständen haben sich die inneren Verbältnisse in Spanien derart zugespitzt, daß nur durch thatkräflige Entschlossenheit größeres Unheil verhütet werden kann. Schon beginnt man in Madrid eine eigene Weißwaschung, und das, was wir über Tor al in Parallele zu Bazaine sagten, gewinnt Gestaltung. Aus Madrid wird nämlich berichtet, Sagasta habe erklärt, daß weder die Regierung noch Blanco sich in die CapitulatiouSverhandlungen von Santiago eingemischt hätten. Dies sei Sache des Generals Toral gewesen, den auch alle Verantwortung dafür treffe. Außerdem erklären die Minister noch, eS liege noch keine Bestätigung der Capitulation Santiagos vor(!). Infolge der SuSpendirung der konstitutionellen Garantie wird die Depeschcncensur sehr streng gehandhabt. Auf der ganzen Halbinsel soll noch vollständige Ruhe herrschen, vielleicht die Ruhe vor dem Sturme. Es wird eine Proklamation Don Carlos' erwartet. Vom Kriegsschauplatz liegen folgende Nachrichten vor: * Santiago, 16. Juli. General Sh aster hat seinen Truppen gestattet, die Verschanzungen zu verbessern, das Eindringen in die VertbeiLigungswrrke der Spanier jedoch verboten. — Den aus Santiago Geflüchteten wird die Rückkehr zu Hau» und Hof erlaubt werden. Den Aufständischen gegenüber sind dringende Befehle zur Verhütung von Plünderungen und jedweder Ausschreitungen ertheilt worden. * New Bork, 16. Juli. Ein mit Kabel über San Antonio elngetroffenes Telegramm von gestern meldet, die Krankenträger vom Rothen Kreuz sollen sogleich nach Santiago hineingehen und, während die Spanier Alles zum Aufbruche vorbereiten, die Aus übung der Polizeigewalt in der Stadt übernehmen. Die amerika nischen Truppen und die Cubaner werden keine Marodeure nach Santiago hineinlassen. Die Forts und die Artillerie sollen sofort von den Amerikanern in Besitz genommen werden, der Einmarsch in Santiago soll jedoch erst nach der Einschiffung der spanischen Truppen vor sich gehen. * Ncw Bork, 1ö. Juli. In der Bucht von Santiago sind mehrere der dort versenkten Minen gesprengt worden, jedoch bleibt das Verbot für Schiffe, nach Sonnenuntergang in den Hafen einzulaufen, in Kraft, bis zum Erlasse einer neuen Ver- ordnung. * Washington, 15. Juli. Nach Depeschen aus Siboncy sind, wie vom Kriegsdcpartement erklärt wird, unter den amerikanischen Truppen in den letzten 24 Stunde» nur 23 neue Erkrankungen an Gelbem Fieber und 3 Todesfälle vorgekommen. Die Krankheit tritt, wie die Depeschen weiter melden, in milder Form auf. * Washington, 15. Juli. Die Commissare sür die Regelung der Einzelheiten der Uebergabe Santiagos beriethen gestern bis spät Abends und traten auch heute wieder zusammen. Man glaubt, daß die Verhandlungen heute zu Ende geführt werden. Nachdem endlich die genauen Mittheilungen über die Kämpfe bei Santiago vom 1. Juli vorliegen, bat sich das Bild von dem angeblich so heldenmüthigen Ringen doch wesentlich verschoben. Während anfangs die Zahl der Todten und Verwundeten auf nordamerikanischer Seile auf 2000 an gegeben war, wurden bei der genauen Zählung 230 Todte und 1284 Verwundete aufgefunden, dagegen 500 Mann, welche sich als verwundet aus den Reihen zurück gezogen halten, nur ganz geringfügige Verletzungen zeigten. Desgleichen war die Zahl solcher „Vermißten" sehr groß, welche sich am 2. u. 3. Juli als ziemlich wohlbehalten wieder cinstellten. Der Jnsurgentenführer Calixto Garcia, dessen Schaaren aus dem rechten amerikanischen Flügel zumeist Scheingefechte in möglichst weiter Entfernung von den spanischen Stellungen ausführten, hatte angegeben, seine Truppe habe 200 Todte verloren, während nachher nur 20 Todte und schwerverwundete Cubaner aufgefunden wurden. Ucbcreinstimmend wird dagegen versichert, daß sich die Milizen von Michigan, welche auf dem linken Flügel und dem linken Centrum standen, wirklich tapfer geschlagen haben; gerade auf diese entfallen nahezu die Hälfte aller Verluste. DaS Bcmcrkenswerthestc ist hierbei, daß diese Mannschaften größtentheilS aus Milwaukee und Chicago stammen, und deutsche Namen tragen. Nach den Berechnungen der deutschen Zeitungen in Ncw Aork ist sogar ein Drittel der bei Santiago gefallenen unv Ver wundeten deutscher Abstammung, was wohl am besten den Opfermuth der norvamerikanischen Deutschen in dem jetzigen Kriege beweise. Von den für die Verwaltung CubaS an- aemelketen 8000 Bewerbern haben bereits zwölf Per sonen als Civilbeamte für Santiago ihre feste Anstellung erhalten. Zum „Civilgouverneur der Provinz und Stadt Santiago" ist der bisherige Präsident deS Obersten Gerichts hofes in Washington ernannt mit einem Jahresgehalt von 12,000 Dollars. Die anderen elf Personen sollen die leitenden Stellen der Steuer- und Justizverwaltung erhalten. Man nimmt nämlich an, daß sich die Stadt in einem völlig zer störten Zustande befindet, weshalb dieselbe sofort im ver besserten und verschönerten Maßstabe wieder aufgebaul werden soll. — Tie übrigen Beamten für Santiago, deren Gesammt- zahl auf 500 veranschlagt ist, sollen auch in kürzester Zeit ernannt werden. politische Lagesschau. * Leipzig, 16. Juli. „Preussen ist ein klerikal regiertes Land, dessen Pro testanten gelegentlich durch Worte, deren BedeutungSlcsig- keit nicht überall erkannt wird, über diesen Zustand hinweg getröstet werden." Dieser im Leitartikel unserer letzten Sonutagsnummer enthaltene Satz ist von ossicivsen und von klerikalen preußischen Blättern als jeder Begründung ent- bebrend bezeichnet worden, obgleich wir seine Begründung an zahlreichen Tbatsachen wiederholt nachgewiesen haben. Eine neue, höchst charakteristische wiro heule der „Tägl. Rundsch." gemeldet. Der Bericht lautet: „In Westerland, dem bekannten Badeorte der Insel Sylt, hatte bis vor wenigen Jahren der katholische Gottesdienst während der Sommermonate bald in dieser, bald in jener Räumlichkeit statt gesunde», da für einen katholischen Kirchenbau nur etwa 2000 die unter den Badegäste» gesammelt waren, zur Ver ¬ fügung standen. Ta erschienen im Sommer 1895 eines Tages der katholische Pfarrer Spee aus Flensburg, ein Graf Nostiz und einige andere Herren der sächsischen und österreichischen Aristokratie in der Gcnieinderathssitzung der politischen Gemeinde Wester land und erklärten schlankweg: Wenn die Gemeinde den Katho liken nicht alsbald ein würdiges Gotteshaus auf ihre (der Gemeinde) Kosten herstelle, so solle auf Verordnung des hochwürLigen Herrn Bischofs keine Messe mehr in Wester- land gelesen werden, und was das für den Besuch des Bade-Ortes von Seiten katholischer Badegäste zu bedeuten habe, werde die Gemeinde-Vertretung wohl begreifen. — Auf solche „Anregung"hin bewilligte die bis aus ein einziges katholisches Mit glied völlig .evangelische Gemeinde sofort 23 000 ./L sür den Bau einer katholischen Capelle, die durch eine Anleihe aufgebracht werden mußten, und obendrein jährlich ungefähr 800 ./L für den Unterhalt eines Priesters, wozu Kreisausschuß und Landrath ohne Weiteres ihre Zustimmung eriheilten. Das wäre ja nun soweit ganz gut, und wir gönnen den katholischen Badegästen ihr Kirchlein. Nun aber kommt die Kehrseite der Münze. Da die evangelische Kirche in Westerland sich längst als viel zu klein, besonders während der Bademonate, erwiesen hatte, eine Vergrößerung derselben aber von Len Sachverständigen als unthun- lich bezeichnet worden war, so beantragte der Pastor des Ortes beim Gemeinderath die Bewilligung einer entsprechenden Summe für einen Neubau, und die Gemeinde beschloß demgemäß, es sollten 50 000 für diesen Zweck aufgebracht werden, jedoch nicht durch eine Anleihe bezw. Inanspruchnahme der Steuerzahler, sondern durch jährliche Zahlungen von 2500 ./» aus Len Ueberschüssen der Badeverwaltung. Dieser Beschluß der Gemeindevertretung wurde vom Landrath des Kreises Tondern, dem freiconser- vativen Abgeordneten und großherzoglich olden- burgijchen Hofrath Hansen, einfach und in schroffster Form, als „cassirt sür immer" verworfen, ohne daß der Herr Landrath die Sache dem Kreisausschusse auch nur vorgelegt hätte. Ten Vor stellungen des Kirchenpropstes gegenüber wies der Landrath aller dings auf die großen Ausgaben hin, die der Gemeinde durch nvth- wendige Canalisation rc. bevorständen, obgleich diese Ausgaben hier gar nicht in Betracht kommen, da die Baukosten für die Kirche lediglich aus den Ueberschüssen der Badeverwaltung bestritten werden sollten. So muß sich denn angesichts der Opfer, welche da» Bad sür die katholischen Curgäste gebracht hat, die evangelische Gemeinde mit ihrem häßlichen, unzureichenden und obendrein entlegenen Kirchlein von nur 365 Sitzplätzen begnügen, bis der zur Zeit 17 000 betragende Baufonds die nothwendige Höhe erreicht hat. Aber auch dazu wird es lange Zeit brauchen, da auf die Beschwerde katholischer Badegäste hin die seit vielen Jahren hier üblichen Stranöjammlungen für den evangelischen Kirchenbau, welche jährlich 1500—2000 brachten, vom Regie rungs-Präsidenten verboten worden sind!! So trägt man in der Nordmark unseres Vaterlandes katholischen Wünschen Rechnung und so tragen unsere Behörden bei zur Stärkung des evangelischen Bewußtseins!" Wen erinnert dieser Vorgang nicht an die von der klerikalen „St. Johann-Saarbrückener Volksztg." und dem CentruinSabgeordneten Euler ausgestellte Behauptung, es sei au die preußischen Ressortminister die Weisung ergangen, ihre Untergebenen dahin zu belehren, „daß bei der Wahl nichts gegen das Centrum zu unternehmen", und es sei dafür gesorgt, daß Beamte, die das Mißfallen des CentrumS her- vorricfeu, in Berlin eine „schlechte Note" erhalten würden? Der Herr Landrath dcsKreiseüTondern hat wahrscheinlich unter dem Drucke der Befürchtung einer solchen Note gestanden, als er den Beschluß der Gemeindevertretung Westerland für immer cassirte. Selbstverständlich wird der Vorgang im preußischen Abgeorvnetenhause zur Sprache gebracht werden müssen. Die Folgen einer solchen Besprechung werden aber wesentlich von dem Ausfälle der Landtagswahlen abhängen. Die protestantischen preußischen Urwähler werden daher ihre Wabl- luänuer und ihre Candidaten sehr genau darauf prüfen müssen, ob sie unter dem Drucke der Befürchtung „schlechter Noten" stehen oder aus sonst einem Grunde der Gefügigkeit gegen klerikales Regiment verdächtig erscheinen. Zn den unausrottbaren politischen Verschrobenheiten, au eenen der „deutsche" Freisinn so reich ist, gehört die vorurtheilsvolle Bewunderung Englands und der Engländer. Sind die Thatsachen der rauben Wirklichkeit auch mächtig genug, um die freisinnigen Befürworter einer deutsch - englischen Entente zum Schweigen zu bringen, so macht sich die blinde Liebe zu den angelsächsischen Vettern doch in der Beurtheilung der Innern Zustände Englands Lust. Wie himmelweit diese Bcurtheiluug dem grämlich verbissenen Nörgeln an den deutschen Verhältnissen, wie bimmelweit sie gleichzeitig von der Wahrheit entfernt ist, kann man heute aus einer Betrachtung der „Voss. Ztg." er kennen. Von der richtigen Feststellung, daß die kollektivistische Socialdemokratie in England nicht annähernd solchen Ein fluß gewonnen hat wie bei uns, gelangt die „Voss. Ztg." dahin, über den zwischen Capital nnd Arbeit in England bestehenden Gegensatz sich mit einem Optimismus zu äußern, der die erbitterten Lohnkämpfe der letzten Jahre vollständig übersieht. Doch dies nebenbei. Wenn aber die „Voss. Ztg." den englischen Fabrikanten daS „Ver- Feuilleton. Gauernblul. 33s Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verbotrn. „Uebermüthiger Schlingel!" murmelte er in den Bart, wie Waiter vorüber war. „Dickköpfiger Bauer!" brummte der Andere, indem er kräftig den Schenkel anlegte und sein Thier zu noch schnellerer Gangart antrieb. Wie unähnlich ist dieser Burscht seinem Vater! dachte Teil im Weiterschreiten, wie unähnlich auch seiner Schwester! Der alte Herr ist bestrebt, auch dem Geringsten seiner Leute immer höflich zu begegnen, und Ellen hat sich nicht für zu fein und vor nehm gehalten, um voriges Jahr einen sechsmonatigen Kursus als Samariterin in einem Berliner Hospitale durchzumachen! Dieser junge Patron aber trägt die Nase in den Wolken und hat ein so ausgesprochenes Ohrfeigengesicht, daß Einem bei seinem Anblick förmlich die Finger zucken. Als Tell in den Hof trat, steckte Just, der in der Thür zur Milchkammer stand, hastig einen Brief ein, den er eben gelesen hatte. Er wollte mit Hilfe des Professors Völker seinen Freund und Gönner Tell gewissermaßen in eine Falle locken. Da dieser nicht mehr zu bewegen war, die Gesellschaft der Giesdorfer Damen aufzusuchen, und im Laufe der letzten Jahre nur ein paar Mal und immer nur zu einer Zeit drüben gewesen war, wo, wie er gesehen hatte, der Wagen mit den beiden Damen vom Schlöffe nach der Bahnstation davongerollt war, so hatte Just einen Plan geschmiedet, den Eigensinnigen zu überrumpeln und wider seinen Willen mit Ellen zusammenzubringen. Die zu morgen angesehte feierliche Beisetzung de» Kaisers Wilhelm sollte di« Gelegenheit dazu bieten. Völker verfügte zufällig Unter den Linden Uber die Wohnung eines seiner Verehrer, der krank an der Riviera weilte. In diese Wohnung hatte er die Brankffche Familie ringeladen, um von dort aus da» Leichenbegängniß vor überziehen zu sehen. Brank» hatten angenommen. Nun wäre (daS war der Inhalt des Briefe» gewesen, den Just eben gelesen hatte) auch an Tell eine gleiche Einladung abgegangen, ohne daß darin der bevorstehenden Mitanwesenheit der Giesdorfer Erwäh nung gethan wäre; Just sollt« mttkommen, sich aber vorher um Gotte» willen nicht» merken lassen. Seine Genugthuung über den empfangenen Brief verbergend, schritt Just dem zurückkehrenden Spaziergänger entgegen. „Es ist ein Brief für Sie angekommen, Herr Tell, ich habe ihn auf Ihren Schreibtisch gelegt." „Sonst nichts Neues?" „Ich wüßte nichts." „Der junge Brank, der hier vorbeigeritten, hat doch nicht etwa die Dreistigkeit gehabt, sich meinen Hof anzusehen?" „Nein, Herr Tell, er hat mir nur zugenickt und ist vorüber gesprengt ... ein famoser Reiter! Das Herz dem Pferde immer eine Pferdelänge voraus! Das hat er von seinem Vater!" Tell ärgerte sich über das Lob Walters. Er ließ Just stehen und begab sich brummend nach dem Verandazimmer, das er in der Zeit, wenn Frau Lampert nicht hier draußen weilte, als sein Wohnzimmer benutzte. Er las die Völter'sche Einladung und fühlte sich angenehm überrascht. Er rief Just in's Zimmer. „Ich habe da eine Einladung des Professors, mir morgen das Leichenbegängniß mit anzusehen; er erwähnt Ihrer zwar nicht besonders, aber ich denke, ich werde Sie ohne Weiteres mit nehmen können . . ." „Ich habe die Einladung ebenfalls erhalten," meldete Just, „der Herr Professor ist immer so aufmerksam, auch gegen unser- einen." „Das ist nett!" sagte Tell erfreut, „so fahren wir zusammen; morgen mit dem ersten Zuge! Wir müssen das Gedränge ver meiden; e» wird lebensgefährlich sein." Am anderen Morgen in der siebenten Stunde saßen Tell und Just in einem überfüllten Wagenabtheil des Vorortzuges. ES war eine förmliche Mobilmachung der ganzen Landbevölkerung auf zehn Meilen im Umkreise, und was nur irgendwie Zeit und Kräfte hatte, daS eilte nach der Hauptstadt, um noch einen letzten Abschiedsblick auf den kaiserlichen Sarkophag zu werfen. All« Eisenbahnzüge waren gedrängt voll; von allen Richtungen der Windrose ergossen sich die Ströme der Leidtragenden in die Me tropole, sodaß diese die in ununterbrochener Folge ankommenden Tausende und Abertausende schwarz gekleideter Menschen kaum noch zu fassen vermochte. Tell und Just hatten trotz der frühen Stunde schon Mühe, sich bi» Unter den Linden durchzukämpfen. Einzelne Straßen waren schon abgesperrt, überall lange Linien von Schutzleuten ru Fuß und zu Pferde. Als sie durch das Brandenburger Thor schritten, hob Tell den Kopf und las den weithin leuchtenden AbschiedSgruß: „Vnlo, senex impenetor!" den er seinem Ge nossen verdeutschte. Unter den Linden angekommen, wagten Beide kaum noch di« ernst-feierlichen Velarien, die Masten mit Trauerfahnen, die mit schwarzem Flor umhüllten Dreifüße, aus denen Pechflammen lodern sollten, zu betrachten; der Verkehr war zu athemlos, das Gedränge geradezu sinnverwirrend. Sie strebten daher mit hastigen Schritten dem ihnen bezeichneten Hause zu und waren froh, als sie es endlich erreicht hatten und im ersten Stock von Völker empfangen und in die beiden nach vorn gelegenen Zimmer der kleinen Wohnung geleitet wurden. „Hier sind vier Fenster", sagte der Professor. „Wählen Sie sich, welches Sie wollen! Ich habe für jedes Fenster nur vier Personen gerechnet. . . wir werden also Platz haben." „Wer kommt denn noch?" fragte Tell ahnungslos. „Noch dreizehn Personen, sodaß wir in Summa sechzehn sein werden", erwiderte Völker ausweichend; „Alles Freunde von mir. Einer wird natürlich auch seinen Photographir-Apparat mitbringen, aber furchten Sie nichts, ich schicke ihn nach oben, sodaß er uns nicht stören wird." Tell trat mit Just an ein Fenster und fragte Völker: „Dürfen wir's ausheben?" „Es ist kalt draußen", wandte Just ein, der sich die erstarr ten Finger rieb; „der Ostwind geht Einem bis auf die Knochen." „Hier auf dem Tisch steht Portwein zur Erwärmung", sagte Völker, „heben Sie es nur aus; die Mäntel müssen Sie dann aber wieder anziehen." Die Thür öffnete sich und Walter von Brank trat mit ein geklemmtem Monocle über die Schwelle. Er dankte dem Pro fessor für die freundliche Einladung, schnitt ein ziemlich unzu friedenes Gesicht, wie er Tell entdeckte, dem er nur eine kaum merkliche Verbeugung gönnte, und wandte sich dann sofort dem anderen Zimmer zu. „Der auch hier?" äußerte Tell empört zu seinem Faktotum; „kommen Sie, wir gehen." Just legte die Hand auf den Arm des Anderen und hielt ihn zurück: „So hören Sie doch nur, von draußen tönen schon die Stimmen seiner Eltern, sie sind schon im Flur, um abzulegen, gleich werden sie hier sein .... es ist unmöglich, daß wir ohne daS peinlichste Aufsehen jetzt noch aufbrechen." Tell stand wie angewurzelt und starrte nach der Flurthür, durch die jetzt der alte Freiher mit seiner Gattin eintrat. Dem elterlichen Paare folgte die Tochter. Mutter und Tochter waren tiefschwarz gekleidet; von ihren nachtdunklen Crspehüten wallten lange, ernste Trauerschleier herab. Ellen sah etwas größer und noch schlanker und vornehmer auS; ihr reizend geschnittenes, heute vielleicht um einen Ton blässere» Gesichtchen hob sich scharf und leuchtend von der dunkeln Toilette ab, wie Alabaster von schwar zem egyptischen Marmor. Als sie Tell erkannte, erröthete sie flüchtig und es huschte wie Sonnenschein über ihr Antlitz. Der alte Freiherr dankte dem Professor für das liebens würdige Anerbieten so bevorzugter Zuschauerplätze; auf den Tribünen würde man heute ja erstarrt sein. Dann schritt er auf Tell zu, schüttelte ihm die Hand und sagte bewegt: „Ein schicksalsschwerer Tag! Was wird uns die Zukunft bringen?" „Gott gebe, nur Gutes!" erwiderte Tell; „auch ein kranker Kaiser Friedrich ist ein Segen für das deutsche Volk! Die Angst und Sorge um ihn reißt wie eine Pflugschar die Herzen auf und aus dem umgebrochenen Boden wird das aufgehen, was hienieden immer seltener wird: Liebe und Treue." Frau von Brank und Ellen, die hinzugetreten waren, hatten die letzten Worte gehört. Mit einem fast dankbaren Blicke sagte Jene: „Sie sprechen mir aus der Seele, Herr Justizrath!" Ellen nickt Tell zu, und wenn sie es noch nicht gewußt hat, so weiß sie es jetzt, daß ihr ganzes Sein diesem Manne zudrängt, daß sie keinem Andern als ihm wird angehören können. Dann hebt sie nachdenklich an: „Die Trauer um den großen Todten würde weniger tief und sittlich läuternd sein, wenn sein Nach folger jugendfrisch und kerngesund wäre, denn dann würde ein Theil der Trauer, wie das auch ganz natürlich wäre, durch die Freude an dem neu ausgehenden Gestirn verdrängt werden." „Schwesterlein! Schwesterlein!" tönte eine spöttisch näselnde Stimme, „was redest Du da für Zeug; bei uns Preußen heißt es allezeit: I« rai ost mord, vivo I« roi!" Es war Walter, der diese nicht recht passende Belehrung seiner Schwester zu Theil werden ließ. Mit strengem, überlegenem Blicke schaute Tell den jungen Mann an; er begriff nicht, worauf dessen Bemerkung hinzielen sollte; da er aber herausfühlte, daß sie einen leichten Tadel für Ellen enthalten sollte, so sagte er kühl belehrend: „Ihr Fräulein Schwester hat recht, Herr von Brank. Daß Kaiser Wilhelm ge storben ist, ensprach einem Naturgesetze; ein solcher Tod kann uns nicht um alle Fassung bringen. Daß aber sein Nachfolger, die in Siegfriedschöne strahlende Hoffnung eines jüngeren Ge schlechts, durch ein tückisches Leiden nur zu einer nach Monden zählenden Herrschaft berufen scheint, das will uns erst nicht in den Sinn, das däucht uns wider Sternenlauf und Schicksal; zuletzt aber wird es auch für den flachsten Menschen zu einem ver stärkten Antrieb, sich der Unbegreiflichkeit der Gerichte und der Unerforschlichkeit der Wege Gottes zu erinnern und in hoffen dem Vertrauen auf den ewigen Erbarmer sich wieder emporzu ringen aus der Nacht des Bangens und der Muthlosigkeit." Walter zuckte dir Achseln und kehrte nach dem anderen Zim mer zurück.
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